Carolin Emcke

Ja heißt ja und...

FISCHER E-Books

Über Carolin Emcke

Carolin Emcke, 1967 geboren, zuletzt ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, studierte Philosophie in London, Frankfurt am Main und Harvard. Als Journalistin und freie Publizistin berichtete sie aus weltweiten Krisenregionen. In ihren Büchern setzt sie sich immer wieder mit Fragen der Gewalt, der Zeugenschaft und den Bedingungen einer offenen, freien Demokratie auseinander. »Ja heißt ja und ...« entstand aus der Arbeit an einer Lecture Performance für die Schaubühne Berlin. Carolin Emcke lebt in Berlin.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Die »MeToo«-Debatte hat vor allem eines gezeigt: Es ist ein Gespräch über Missbrauch und Sexualität entstanden, das nicht wieder abgebrochen werden kann. Denn die Fragen bleiben: Welche Bilder und Begriffe prägen unsere Vorstellungen von Lust und Unlust? Wie lässt sich Gewalt entlarven und verhindern? Wie bilden sich die Strukturen und Normen, in die Männer und Frauen und alle dazwischen passen müssen? Was wird verschwiegen, wer muss ohnmächtig bleiben? Wie lässt sich Lust und Sexualität in ihrer Vielfalt ermöglichen – ohne Vereindeutigung? Indem sie eigene Erfahrungen, soziale Gewohnheiten, Musik und Literatur befragt, zeigt Carolin Emcke, wie kompliziert das Verhältnis von Sexualität und Wahrheit immer noch ist.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: Sonja Steven, Büro KLASS

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491121-2

Endnoten

Über den Begriff des »Mitschnackens« habe ich schon einmal geschrieben in: Carolin Emcke, Wie wir begehren, Frankfurt am Main 2012.

Michel Foucault, Macht und Wissen. Gespräch mit S. Hasumi, das am 13. Oktober 1977 in Paris aufgezeichnet wurde, veröffentlicht in: Michel Foucault, Dits et Ecrits, 3. Band, Frankfurt am Main 2003, S. 521f.

https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2018-11/franziska-giffey-bundesfrauenministerin-spd-frauenhaeuser-ausbau-haeusliche-gewalt-lebensgefaehrten

http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/fakten-gewalt-gegen-frauen-101~_origin-96f72d09-c7a6-41c0-abd7-61ff8380e38b.html

Clifford Geertz bezieht sich in »Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur« auf den von Gilbert Ryle entwickelten Begriff, und auch das Beispiel stammt von Ryle; Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987, S. 1012.

Vgl.: https://www.bbc.co.uk/programmes/p00ff0hh, oder auch: https://www.welt.de/politik/ausland/article9189064/Baccha-Baazi-Afghanistans-Kinderprostituierte.html. Sehr ausführlich und auch mit eindrücklicher Analyse jener traditionellen Formen des »Kinderspiels«, die nicht mit sexualisierter Gewalt einhergingen: Ingeborg Baldauf, Die Knabenliebe in Mittelasien, Bačabodzik, o.O., 1988.

Diesem Abschnitt liegt eine meiner Kolumnen in der Süddeutschen Zeitung zugrunde: https://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-boeses-1.3028440

Siehe: http://www.oecd.org/berlin/presse/dergroeunterschiedfrauenindeutschlandverdieneneinfunftelwenigeralsmanner.htm

Vgl. https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/Arbeitsmarkt/GenderPayGap.html

Fred Hersh, Good Things Happen Slowly. A Life In and Out of Jazz, New York 2017, S. 160f.

einem Bühnenprogramm,

das im Dezember 2018

an der Schaubühne in Berlin Premiere hatte.

– Kate Tempest –

»Das Sprechen über die Natur des Schreibens ist immer auch ein Sprechen über die Natur des Sprechens, ist eine Brücke zum Zweiten, zum Dritten, zum Anderen.«

– Enis Maci –

Am Anfang ist der Zweifel.

Vor jedem Satz, jedem Wort gibt es diese Schwelle: Ist das richtig? Woher weißt du, dass es zutrifft? Ist es gerecht? Ist es nicht nur wahr, sondern auch wahrhaftig?

 

Und das sind nur die Zweifel an dem, was gesagt werden könnte.

 

Ich schreibe, als ob ich murmeln würde: leise, mehr vor mich hin als schon an andere gerichtet. Es ist eher ein Nachdenken mit Tastatur. Schreibend denkt es sich genauer. Das ist intim. Wie Flüstern. Oder eben wie Murmeln. Vielleicht schreibe ich deswegen immer barfuß. Als ob sich mit Füßen in Schuhen nur in Konventionen denken ließe.

 

Sobald ich mir ein Publikum vorstelle, verflüchtigt sich alles, dann entzieht sich mir umgehend das Wort. Dann schieben sich Einwände vor die eigenen Gedanken und verdecken sie. Von den Anfeindungen voller Furor und Verachtung einmal ganz abgesehen. Die machen mir Angst, kriechen unter die Haut, wie Gift,

 

Am Anfang ist immer der Zweifel.

Manchmal wünschte ich, ich könnte ihn abstellen. Aber damit wäre das schreibende Ich nicht mehr Ich. Schreibend findet und erfindet es sich.

*

In meiner Kindheit wurde das vermeintlich Unaussprechliche, wenn es denn ausgesprochen werden musste, angedeutet durch ein Wort im Dialekt. »Mitschnacker«, das war Platt, und auch Kinder, die kein Platt konnten, ahnten das unbestimmt Böse, das sich damit verband. »Lass dich nicht mitschnacken«, das bekamen wir gesagt auf dem Weg in die Welt, zur Schule oder zum Sportplatz.[1] Es sprach die Gefahr an, aber versetzt. Als ob der Dialekt das, vor dem da gewarnt werden musste, abfedern könnte. Wir sollten uns nicht ansprechen lassen von einem, der uns mit-schnackt, also anspricht und mitnimmt. Aber was dann geschehen würde, wenn uns ein Fremder mitgenommen hätte, das wurde verschwiegen.

 

Wir haben das so hingenommen, nehmen es bis heute so hin.

 

 

»Lass dich nicht mitschnacken.«

 

Das ist Maskerade. Es klingt lustig. Als handelte es sich um jemanden, der bloß zu viel plappert. Dabei geht es ja nicht um die Ansprache, sondern um die Gewalt, die nach der Ansprache droht.

 

 

So wird nicht die verbrecherische Handlung tabuisiert, sondern das Sprechen. Von Anfang an. So unterwandert die Erwartung nicht der, der Gewalt ausübt, sondern jene, die davon erzählen wollen. Die sprachliche Verdrängung verschiebt die Last der Rechtfertigung. Es kommt sich falsch oder schmutzig vor, wer über etwas sprechen will, über das nicht gesprochen wird. Darin liegt das Komplizenhafte.

 

Um etwas kritisieren zu können, muss man es sich vorstellen können und wollen. Um sich etwas vorstellen zu können, muss man es benennen können. Wenn Gewalt abstrakt bleibt, wenn es für sie keine konkreten Begriffe und Beschreibungen gibt, bleibt sie

unvorstellbar,

unantastbar.

*

Der Bademantel.

Ich kann mich einfach nicht einkriegen über den Bademantel.

Überall taucht in den #metoo-Geschichten dieser Bademantel auf …

Nicht im Urlaub am Strand. Nicht zu Hause im Schlafzimmer. Sondern im Büro. Bei einer Besprechung. Im Hotel. Bei einer Besprechung. In einem als professionell simulierten Kontext.

 

Was ist das nur für eine Obsession mit dem Bademantel?

 

Ich versteh’s nicht. Ich versteh’s wirklich nicht. Verstehe die Szene einfach nicht. Was darin geschieht. Was das soll. Erklärt einem ja auch keiner. Nicht in der Situation und hinterher erst recht nicht. Alles muss man allein durchdenken.

 

Junge oder ältere Frauen, Kolleginnen, Mitarbeiterinnen, Hotelangestellte, Praktikantinnen, Frauen, mit denen diese Männer schon länger zusammen arbeiten

Tarrraaaaah,

Auftritt im Bademantel.

 

Ich stelle mir das dauernd vor. Ich kann immer nur weiße Frottee-Bademäntel denken. Keine Ahnung, warum. Dabei tragen solche Typen vermutlich Seide. Wasweißich. Ich entwickle schon ein ganz gestörtes Verhältnis zu meinem eigenen Bademantel, seit ich diese Geschichten höre.

 

Die Begrüßung im Bademantel – was ist das? Ist das der Prolog zur Unterwerfung, die erwartet wird? Ist das eine Aufforderung zum Sex? Ist das Stolz? Schau mal her, was für einen fabelhaften Schwanz ich habe? Glauben die das ernsthaft? Eine Frau kommt in eine Besprechung, und da kommt ihr unaufgefordert und zusammenhangslos ein Schwanz entgegen? Könnte der Einstieg zu einem Witz sein. Wie die Witze über Irre früher. »Kommt ein Irrer und zieht eine Zahnbürste an einer Schnur hinter sich her.« Nur beginnen die hier eben anders:

»Kommt ein Schwanz mit Bademantel ins Büro …«

 

Nicht der entblößte Körper wird gezeigt, sondern die Fähigkeit zu kontrollieren, die Möglichkeit, alles, was sich gehört (in einem Arbeitskontext), außer Kraft zu setzen, die Möglichkeit, zu dominieren, zu demütigen, nach Belieben, wann immer es einem passt. Umso besser also, wenn es nicht zur Situation passt, umso besser, wenn es verstößt gegen alle Formen, gegen das, was normalerweise ins Büro passt oder in eine Besprechung, was normalerweise zum Begehren gehört: wechselseitige Lust und Zartheit, Leidenschaft und Hingabe an eine andere.

 

Der Bademantel ist immer deplatziert.

 

Es gibt bislang keine einzige Erzählung, die den Bademantel so auftauchen lässt, dass es harmlos oder angemessen oder verführerisch wäre. Keine Erzählung, in der sich ein Paar nach einer durchliebten Nacht etwas überziehen will, keine