Das Kartell

Don Winslow

Das Kartell

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch
von Chris Hirte

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Über Don Winslow

Don Winslow wurde 1953 in New York geboren. Die Geschichten, die sein Vater von der Marine erzählte, beflügelten seine Fantasie. Ebenso seine Großmutter, die Ende der 60er für den berüchtigten Mafiaboss Carlos Marcello arbeitete. Winslow sagt von sich, dass er bislang nur fünf Tage durchgehalten habe, ohne zu schreiben. Es ist eine Sucht, die bis heute ein Werk hervorgebracht hat, dessen Qualität, Vielseitigkeit und Spannung Don Winslow zu einem der ganz Großen der zeitgenössischen Spannungsliteratur machen. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis (International) 2011 für »Tage der Toten«. Er lebt mit seiner Frau und deren Sohn in Kalifornien.

Und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Macht gab, und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer kann wider es streiten?

Offenbarung I, 13:4

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Alberto Torres Villegas, Roberto Javier Mora García, Evaristo Ortega Zárate, Francisco Javier Ortiz Franco, Francisco Arratia Saldierna, Leodegario Aguilera Lucas, Gregorio Rodríguez Hernández, Alfredo Jiménez Mota, Raúl Gibb Guerrero, Dolores Guadalupe García Escamilla, José Reyes Brambila, Hugo Barragán Ortiz, Julio César Martínez Pérez, José Valdés, Jaime Arturo Olvera Bravo, Ramiro Téllez Contreras, Rosendo Pardo Ozuna, Rafael Ortiz Martínez, Enrique Perea Quintanilla, Bradley Will, Misael Tamayo Hernández, José Manuel Nava Sánchez, José Antonio García Apac, Roberto Marcos García, Alfonso Sánchez Guzmán, Raúl Marcial Pérez, Gerardo Guevara Domínguez, Rodolfo Rincón Taracena, Amado Ramírez Dillanes, Saúl Noé Martínez Ortega, Gabriel González Rivera, Óscar Rivera Inzunza, Mateo Cortés Martínez, Agustín López Nolasco, Flor Vásquez López, Gastón Alonso Acosta Toscano, Gerardo Israel García Pimentel, Juan Pablo Solís, Claudia Rodríguez Llera, Francisco Ortiz Monroy, Bonifacio Cruz Santiago, Alfonso Cruz Cruz, Mauricio Estrada Zamora, Luis Villanueva Berrones, Teresa Bautista Merino, Felicitas Martínez Sánchez, Candelario Pérez Pérez, Alejandro Zenón Fonseca Estrada, Francisco Javier Salas, David García Monroy, Miguel Ángel Villagómez Valle, Armando Rodríguez Carreón, Raúl Martínez López, Jean Paul Ibarra Ramírez, Luis Daniel Méndez Hernández, Juan Carlos Hernández Mundo, Carlos Ortega Samper, Eliseo Barrón Hernández, Martín Javier Miranda Avilés, Ernesto Montañez Valdivia, Juan Daniel Martínez Gil, Jaime Omar Gándara Sanmartín, Norberto Miranda Madrid, Gerardo Esparza Mata, Fabián Ramírez López, José Vladimir Antuna García, María Esther Aguilar Cansimbe, José Emilio Galindo Robles, José Alberto Velázquez López, José Luis Romero, Valentín Valdés Espinosa, Jorge Ochoa Martínez, Miguel Ángel Domínguez Zamora, Pedro Argüello, David Silva, Jorge Rábago Valdez, Evaristo Pacheco Solís, Ramón Ángeles Zalpa, Enrique Villicaña Palomares, María Isabella Cordero, Gamaliel López Candanosa, Gerardo Paredes Pérez, Miguel Ángel Bueno Méndez, Juan Francisco Rodríguez Ríos, María Elvira Hernández Galeana, Hugo Alfredo Olivera Cartas, Marco Aurelio Martínez Tijerina, Guillermo Alcaraz Trejo, Marcelo Tenorio Ocampo, Luis Carlos Santiago Orozco, Selene Hernández León, Carlos Alberto Guajardo Romero, Rodolfo Ochoa Moreno, Luis Emmanuel Ruiz Carrillo, José Luis Cerda Meléndez, Juan Roberto Gómez Meléndez, Noel López Olguín, Marco Antonio López Ortiz, Pablo Ruelas Barraza, Miguel Ángel López Velasco, Misael López Solana, Ángel Castillo Corona, Yolanda Ordaz de la Cruz, Ana María Marcela Yarce Viveros, Rocío González Trápaga, Manuel Gabriel Fonseca Hernández, María Elizabeth Macías Castro, Humberto Millán Salazar, Hugo César Muruato Flores, Raúl Régulo Quirino Garza, Héctor Javier Salinas Aguirre, Javier Moya Muñoz, Regina Martínez Pérez, Gabriel Huge Córdova, Guillermo Luna Varela, Estebán Rodríguez, Ana Irasema Becerra Jiménez, René Orta Salgado, Marco Antonio Ávila García, Zane Plemmons, Víctor Manuel Báez Chino, Federico Manuel García Contreras, Miguel Morales Estrada, Mario A. Segura, Ernesto Araujo Cano, José Antonio Aguilar Mota, Arturo Barajas López, Ramón Abel López Aguilar, Adela Jazmín Alcarez López, Adrián Silva Moreno, David Araujo Arévalo –

 

Journalisten, die in jenen Jahren in Mexiko ermordet wurden oder »verschwanden«. Die Liste ist unvollständig.

Departamento Petén, Guatemala

1. November 2012

Keller hört ein Baby schreien.

Oder er glaubt es zu hören, während sein Hubschrauber mit gedrosselten Rotoren über die Bäume des Dschungeldorfs fliegt.

Das Baby, falls es eins ist, schreit laut und schrill – vor Hunger, Angst oder Schmerz.

Oder aus Einsamkeit – es ist die Stunde vor dem Morgengrauen, wenn Träume zu Alpträumen werden und die Geister der Unterwelt auf Beute gehen, weil ihre Opfer jetzt einsam und hilflos sind.

Das Schreien endet abrupt. Vielleicht hat die Mutter das Kind in die Arme genommen – falls es eins ist. Jedenfalls ist es eine Erinnerung, dass dort unten Zivilisten sind, Frauen und Kinder, sicher auch einige Alte, und dass diesen Menschen jetzt Unheil droht.

Die Männer im Hubschrauber prüfen die Magazine ihrer M4-Karabiner und sehen nach, ob die Reservemagazine festsitzen. Ihre Gesichter unter den Gefechtshelmen mit Nachtsichtgerät und Knochenhörer sind geschwärzt. Sie tragen keramikverstärkte Schusswesten und Cargohosen in Tarnfarben mit großen Taschen, in denen Tuben mit Energy Gel stecken, laminierte Satellitenfotos vom Dorf, Kompressen – falls es Verletzte gibt.

Ein Tötungskommando auf ausländischem Territorium, so was kann leicht schiefgehen.

Die Männer haben den typischen Tunnelblick erfahrener Söldner vor dem Einsatz. Der Zwanzig-Mann-Trupp ist aufgeteilt auf zwei MH 60 Blackhawks, die meisten waren früher Seals, Green Berets oder bei der Delta Force – alles Elitesöldner mit Kampferfahrungen in Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia.

Technisch betrachtet sind sie Privatsöldner. Dass sie für irgendeine Sicherheitsfirma aus Virginia arbeiten, ist nur eine Tarnung, die sofort auffliegt, wenn dieser Einsatz hier in die Hose geht.

Gleich werden sie sich abseilen, direkt in der Kampfzone. Trotz Überrumpelungstaktik wird es ein Gefecht geben, die Krieger der Narcos geben alles für ihre Bosse, auch ihr Leben. Meist sind sie bestens bewaffnet, mit Kalaschnikows, Bazookas, Handgranaten, und sie wissen, wie man damit umgeht. Diese Sicarios sind nicht einfach nur Ganoven, sondern ebenfalls Elitesöldner – ausgebildet in den USA, in Fort Benning und anderswo. Gut möglich, dass da unten Leute auf sie schießen werden, die sie einmal ausgebildet haben.

Es wird Tote geben, so viel ist sicher.

Das gehört dazu, denkt Keller.

Heute ist der Tag der Toten.

Jetzt ein neues Geräusch – das Knattern von leichtem Gewehrfeuer. In der Dunkelheit unter ihnen blitzt Mündungsfeuer auf.

Ein Feuergefecht im Dorf, schon vor der Landung. Gebrüll, Kommandos, Schreie von Verwundeten.

Das ist schlecht. So war es nicht geplant. Die Überrumpelungstaktik ist gescheitert.

Jetzt steigt ein grellroter Streifen aus dem Dunkel.

Ein lauter Knall, ein Lichtblitz, der Hubschrauber wird zur Seite geschleudert wie ein von der Keule getroffener Spielzeugflieger. Granatsplitter schwirren, Kabel sprühen Funken, der Hubschrauber brennt.

Rote Flammen und dicker Rauch füllen die Kabine.

Der Gestank von versengtem Metall und verbranntem Fleisch.

Aus der geplatzten Halsschlagader eines Mannes spritzt Blut im Rhythmus seines rasenden Pulses. Ein anderer kippt vom Sitz, mit einem Granatsplitter im Bauch, der obszön in die Höhe ragt, direkt unter seiner Schussweste, und der Sanitäter arbeitet sich nach vorn, um zu helfen.

Jetzt schreien erwachsene Männer – ein Gebrüll, gemischt aus Angst, Schmerz und Wut, während Leuchtspuren von unten aufsteigen und auf den Rumpf einprasseln wie ein Platzregen.

In irren Spiralen trudelt der Hubschrauber nach unten.

Teil I

Zeit zum Aufstehen

Denn die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlaf.

Römer, 13:11