Iny Lorentz
Der rote Himmel
Roman
Knaur e-books
Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb begeisterte. Mit der »Wanderhure« gelang ihnen der Durchbruch; der Roman erreichte ein Millionenpublikum. Seither folgt Bestseller auf Bestseller. Die Romane von Iny Lorentz wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen ihrer »Wanderhuren«-Romane sowie der Bestseller »Die Pilgerin« und »Das goldene Ufer« haben Millionen Fernsehzuschauer begeistert.
Im Frühjahr 2014 bekam Iny Lorentz für ihre besonderen Verdienste im Bereich des historischen Romans den »Ehrenhomerpreis« verliehen. Die Bühnenfassung der »Wanderhure« in Bad Hersfeld hat im Sommer 2014 Tausende von Besuchern begeistert und war ein Riesenerfolg.
Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren: www.inys-und-elmars-romane.de
eBook-Ausgabe 2016
Knaur eBook
© 2016 Knaur Taschenbuch Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: AKG images / North Wind Picture Archives,
© Richard Jenkins
ISBN 978-3-426-43775-9
An einem Spätsommertag des Jahres 1860 hielt Edward Montgomery eine Rede, die nun bereits zwei Stunden währte, und Walther Fitchner, Rancher und Mitglied des Senats von Texas, ärgerte sich seit dem ersten Wort über ihn.
Nun hob Montgomery in einer theatralischen Geste die Faust. »Wir müssen uns von diesen Krämerseelen des Nordens trennen, sonst haften sie wie ein Geschwür an uns und werden den gesunden Leib des Südens verderben. Wollt ihr das?«
»Nein!«, hallte es von den meisten Senatoren-, aber auch von den Zuschauerplätzen zurück. Dort hatten sich Montgomerys Anhänger versammelt und bejubelten seine Rede mit derselben Begeisterung, mit der sie die wenigen Männer niederschrien, die es wagten, sich gegen ihr Idol zu stellen.
Zu den Angefeindeten gehörte auch Walther. Bis vor wenigen Wochen hatte er noch gehofft, die Vernunft würde siegen, doch mittlerweile zweifelte er daran.
Montgomerys nächste Worte gingen im Lärmen seiner Parteigänger unter, aber kurz darauf gewann seine durchdringende Stimme wieder die Oberhand.
»… hat es Texas gebracht, nach Washington zu schauen und wie ein Bittsteller dort vorstellig zu werden? Nichts, sage ich euch! Unsere gerechten Ansprüche auf das Land am Oberlauf des Rio Grande wurden uns schmählich verweigert, weil man dort neue Territorien einrichtet, in denen die Handlanger des Nordens das Sagen haben!«
Nun hielt es Walther nicht mehr auf seinem Sitz. Er stand auf und stemmte zornig die Arme in die Seiten. »Sie haben wohl vergessen, dass die Bundesregierung dafür die gesamten Schulden der ehemaligen Republik und des jetzigen Bundesstaats Texas übernommen hat, die sonst noch unsere Enkel und Urenkel hätten abtragen müssen!«
»Diese Schulden hätten wir durch den Verkauf von Landrechten längst hereingebracht und besäßen die Aussicht, weiteres Land im Westen und im Süden für Texas zu gewinnen!«, trumpfte Montgomery auf.
Er hielt kurz inne und ließ seinen Blick Beifall heischend über die Senatoren und Zuschauer schweifen. »Diese Niggerfreunde im Norden haben alles getan, um Texas schwach zu halten. Doch sind wir schwach, Freunde?«
»Nein!« Diesmal ließen das Schreien und Trampeln seiner Anhänger die Wände erzittern.
»Was auch immer kommt: Texas muss für uns alle an erster Stelle stehen«, fuhr Montgomery fort, als es etwas ruhiger geworden war. »Dies bedeutet aber auch, dass jeder Texaner seinen Besitz in die Territorien und in den Norden mitnehmen kann, ohne dass bestechliche Richter und diese von Gott verfluchten Abolitionisten ihm seine Sklaven wegnehmen können. Erinnert euch an Kansas und an die Morde, die dieser Lumpenhund John Brown dort begangen hat!«
»John Brown wurde wegen seiner Verbrechen von den Bundesbehörden gefangen genommen und von einem ordentlichen Gericht zum Tode verurteilt!«, rief Walther in die kurze Pause hinein, die der Redner machte, um seine Anklage besser wirken zu lassen.
»Aber diese verdammten Yankees bezeichnen ihn als Märtyrer, ja, als Wiedergeburt Christi!«, brüllte Montgomery ihn an.
»Dafür halten viele Leute im Süden einen Mann für einen Helden, der einen anderen hinterrücks mit dem Metallknauf seines Spazierstocks niedergeschlagen hat!«, konterte Walther nicht weniger aufgebracht.
»Diese von Gott verdammten Sklavenfreunde haben es nicht besser verdient! Ein echter Gentleman aus dem Süden sollte jeden Tag einen dieser Schurken mit seinem Gehstock züchtigen«, spottete Montgomery unter dem Johlen seiner Parteifreunde und Anhänger.
Dann bedachte er Walther mit einem höhnischen Blick. »Aber das können Sie nicht begreifen, denn Sie sind nur ein lumpiger Ausländer, der nach Texas eingewandert ist. Wenn ich eines mit den Yankees teile, so ist es die Abscheu vor katholischen Iren und Deutschen, die als Speerspitze des Vatikans in unser Land kommen und uns nach Jahrhunderten der Freiheit wieder unter das Joch Roms zwingen wollen!« Montgomery lachte, denn diesem Trumpf, so sagte er sich, hatte Walther Fitchner nichts entgegenzusetzen.
Mit einer energischen Bewegung verließ dieser seinen Platz und trat vor die Rednertribüne. »Ich war am San Jacinto River dabei, als wir für Texas die Freiheit erkämpften. Dort aber habe ich weder Ihren Vater noch Ihre älteren Brüder gesehen! In jenen Tagen war Texas ein Land ehrlicher Farmer, die sich und ihre Familien mit ihrer eigenen Hände Arbeit ernährten. Keiner der reichen Plantagenbesitzer aus Louisiana, Georgia oder den anderen Bundesstaaten des Südens dachte damals daran, auch nur einen Finger für die Freiheit von Texas zu rühren. Erst als wir diese errungen hatten, kamen die Herren mit ihren dicken Geldbündeln und ihren Sklavenscharen und rissen das beste Land an sich.«
Walthers Hoffnung, den Stolz der Texaner zu wecken und einige der Männer, die er einst Freunde genannt hatte und die nun in Opposition zu ihm standen, wieder auf seine Seite zu ziehen, erfüllte sich nicht. Sie schrien ihn nieder, Pflanzer und Sklavenbesitzer drohten mit den Fäusten, und Montgomery heizte die Stimmung weiter an.
Mit höhnischer Miene wandte er sich an Walther. »Mister, Sie haben eben meinen Vater und meine Brüder beleidigt. Dafür verlange ich Genugtuung! Außerdem steht noch eine weitere Rechnung offen. Sie haben meinen Parteifreund und wahren Gentleman des Südens, Thierry Coureur, durch Betrug und mit der Hilfe Ihrer deutschen und irischen Katholiken um seinen Senatssitz gebracht. Auch dafür werden Sie mir geradestehen!«
»So ist es richtig!«, vernahm Walther die durchdringende Stimme von Rachel Coureur, der Ehefrau seines einstigen Freundes Thierry.
Er sah nicht einmal hin. Seit der von ihm gewonnenen Wahl hasste die Frau ihn mit jeder Faser ihres Herzens und hatte mit ihren Hetzereien dafür gesorgt, dass jede Versöhnung mit Thierry unmöglich geworden war.
Walther streifte den Gedanken an Thierry und dessen Ehefrau ab und musterte Montgomery mit kaltem Blick. »Wenn Sie mich zur Rechenschaft ziehen wollen, sollten Sie es nicht mit einem Spazierstock tun. Männer, die das hier in Texas versuchen, werden ohne Zögern niedergeschossen.«
Einige der Senatoren und Zuschauer zogen die Köpfe ein. Immerhin waren wilde Geschichten über Walther Fitchner im Umlauf, und keine davon besagte, dass man ihn ungestraft beleidigen konnte. Er mochte fast sechzig Jahre alt sein, doch er hielt sich noch immer aufrechter als manch Jüngerer und konnte tagelang im Sattel sitzen, ohne zu klagen. Auch hatte sich die Zahl jener Unglücklichen, die auf seinen Befehl hin aufgehängt worden waren, im Volksmund verdoppelt und verdreifacht. Zwar war er hier im Senat von Texas nur einer der wenigen Vertreter der Opposition, aber sein Wort galt in seinem Heimatbezirk so viel wie ein geschriebenes Gesetz.
Edward Montgomery durchlebte einige unangenehme Augenblicke, denn er musste an die Duelle denken, die sein Gegner gewonnen haben sollte. Bei dem Gedanken, nur wenig älter als dreißig zu sein und als guter Schütze zu gelten, straffte er jedoch die Schultern und warf Walther seinen zusammengeknüllten rechten Handschuh hin.
»Ich werde Texas von Ihrer Anwesenheit befreien, Fitchner.«
»Jawohl, tun Sie das!«, rief Rachel Coureur triumphierend. Fast sechs Jahre lang hatte sie ihren Hass gehegt und sah nun die ersten Früchte wachsen.
Ihre Tochter Thamar hingegen, die neben ihr auf den Zuschauerrängen Platz genommen hatte, starrte hilflos zu Boden. Viele Jahre lang hatte sie Walther Fitchner und dessen indianische Ehefrau Nizhoni wie nahe Verwandte geliebt und war vor Scham fast gestorben, als ihre Schwester Abigail Walthers Sohn Josef mit einem anderen Mann betrogen hatte, obwohl die beiden verlobt gewesen waren. Bei dem Gedanken an Josef suchte ihr Blick das andere Ende der Zuschauerränge. Dort saßen die beiden ältesten Fitchner-Söhne, Josef in einem dunkelgrauen Jackett und karierten Hosen, sein Bruder in der Uniform eines Kadetten der Militärakademie von Westpoint, von der er vor wenigen Tagen zurückgekehrt war.
Während die junge Frau ihren Gedanken nachhing, warf Montgomery Walther etliche Beleidigungen an den Kopf und forderte ihn auf, ihm jetzt und sofort zum Duell zur Verfügung zu stehen.
Bislang hatten Josef und Waldemar sich zurückgehalten. Doch als Montgomery ihren Vater einen dreckigen Squawman nannte, der es gar nicht wert sei, in den Pistolenlauf eines echten Gentleman zu blicken, fuhr der Ältere auf.
»Sie wollen ein Gentleman sein, Montgomery? Ein kläffender Pinscher und ein Feigling sind Sie! Einen Mann herauszufordern, der fast doppelt so alt ist wie Sie, ist schändlich! Ich werde nicht zulassen, dass Sie meinen Vater und meine Familie länger schmähen. Daher fordere ich Sie zum Zweikampf. Sie können sich aussuchen, ob mit Pistolen, Säbeln oder was auch immer. Es soll nur schnell gehen, denn ich will morgen wieder zu unserer Ranch reiten und möchte mich daher nicht länger in Austin aufhalten als nötig.«
Thamar klatschte Josef in Gedanken Beifall, während Rachel erneut keifte.
»Am besten sollte Mister Montgomery beide erschießen. Dann wäre auch die Schmach gerächt, die Josef Fitchner meiner armen Abigail antat, indem er seine Verlobung mit ihr gelöst hat.«
Am liebsten hätte Thamar sie daran erinnert, dass nicht Josef der Schuldige gewesen war, sondern Abigail. Auch die Mutter selbst hatte die Folgen zu verantworten, weil sie Abigail mit Jim Jenkins alleine hatte ausreiten lassen. Solche Worte aber hätten ihr ein paar heftige Ohrfeigen eingebracht – und das vor allen Leuten. Daher wartete sie innerlich zitternd darauf, wie Montgomery reagieren würde.
Die Beleidigungen, die Josef dem Herausforderer seines Vaters an den Kopf geworfen hatte, waren übel. Montgomery wusste selbst, dass man ihn beschuldigen würde, einen alten Mann zum Duell genötigt und getötet zu haben. Doch Walther war ein politischer Gegner, den es zu beseitigen galt. Josef Fitchner hingegen stand noch im Schatten seines Vaters, und sein Tod brachte ihm nichts ein.
Daher schluckte Montgomery seine Wut hinunter. »Ich werde Sie bei passender Gelegenheit zurechtstutzen, Josef Fichtner. Doch jetzt ist erst einmal Ihr Vater an der Reihe!«
Montgomery fügte noch einige Beleidigungen hinzu und ließ dabei alle Höflichkeit fallen.
Rachel Coureurs klatschte begeistert. »Das ist ein echter Gentleman des Südens!«, rief sie ihrer Tochter zu. »So einen wünsche ich mir als Schwiegersohn.«
Da sie ihrer Stimme keine Zügel anlegte, vernahmen es alle im Saal. Thamars Gesicht wurde puterrot, und sie wünschte sich ans andere Ende der Welt. Montgomery hingegen deutete eine Verbeugung in Rachels Richtung an und wandte sich mit einer herablassenden Geste wieder Walther zu.
»Ich will es gleich und hier erledigen!«
»Im Sitzungssaal des Senats? Ich finde, wir sollten diesen ehrwürdigen Ort nicht durch eine Schießerei entweihen«, antwortete Walther eisig.
»Vater, das …«, begann Josef, doch Walther wies ihn mit einer Geste an zu schweigen. »Dies ist meine Sache! Mister Montgomery hat meine Ehre in den Schmutz getreten und wird dafür bezahlen.«
Walther drehte sich zu Sam Houston um, einem seiner letzten politischen Freunde. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir sekundieren würden, Sam.«
»Das mache ich gerne! Da Sie der Geforderte sind, steht es in Ihrem Ermessen, die Waffen zu wählen«, antwortete Houston.
»Ich bestehe darauf, richtige Duellpistolen zu verwenden. Die neumodischen Revolver der Firmen Colt und Remington schießen mir zu ungenau.«
»Ich werde Ihnen eine Kugel genau zwischen die Augenbrauen jagen!« Montgomery ärgerte sich zunehmend darüber, dass sein Gegner keinerlei Angst zeigte, sondern so kühl blieb, als ginge es um ein alltägliches Geschäft. Außerdem passte es ihm nicht, mit einer Duellpistole schießen zu müssen. In den letzten Jahren hatte er sich an seinen Colt gewöhnt und hätte lieber diese Waffe benutzt.
Da er sich jedoch keine Blöße geben durfte, nickte er hochmütig. »Ich hoffe, einer Ihrer wenigen Freunde besitzt ein passendes Paar Pistolen. Wenn einer meiner Freunde sie von seiner Plantage holen müsste, würden einige Tage vergehen.«
»Ich kann aushelfen«, klang da erneut Sam Houstons markante Stimme auf. Man hatte ihn zwar zum Gouverneur von Texas gewählt, aber in der Zwischenzeit waren ihm durch seine strikte Ablehnung der Sezessionsbestrebungen des Südens die meisten seiner Anhänger verlorengegangen. Zudem war er ein enger Freund von Walther und Männern wie Montgomery auch deswegen suspekt.
Houston schwang seinen Gehstock so durch die Luft, dass einige, die sich zu weit nach vorne gewagt hatten, zurückzuckten. »Ich besitze zwei passende Pistolen«, erklärte er noch einmal. »Sie sollten einen Ihrer Freunde darum bitten, mit mir zu kommen, damit er sieht, dass ich an den Pistolen nichts verändere. Ich will nicht, dass es heißt, General Fitchner habe nur deshalb das Duell gewonnen.«
Houstons Worte trafen Montgomery wie eine Ohrfeige. »Sie werden schon sehen, wer aus diesem Duell als Sieger hervorgeht, Mister Gouverneur«, antwortete er ätzend und drehte sich zu seinen Freunden um. »Würde bitte jemand den Gouverneur begleiten!«
Sofort traten sechs Mann vor, einigten sich dann aber darauf, dass zwei von ihnen mit Houston gehen sollten.
An ein Weiterführen der Senatssitzung war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken. Daher hob sich Edward Montgomery das, was er noch hatte sagen wollen, für den nächsten Tag auf. Als er den Saal verlassen wollte, vertrat ihm Rachel Coureur den Weg und ergriff seine Hand.
»Ich danke Ihnen, Senator, dass Sie der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen und diesen elenden Fitchner in die Hölle schicken werden.«
Walther sagte sich, dass Rachel schon immer ein Ekel gewesen war und mit zunehmendem Alter immer schlimmer wurde.
Schlägereien aus politischen Gründen gab es in diesen Tagen häufig, gelegentlich auch eine Schießerei. Ein Duell zwischen zwei Mitgliedern des Senats von Texas hingegen kam nicht oft vor, und aus diesem Grund wuchs die Zahl der Schaulustigen von Minute zu Minute. Einige besonnene Männer warnten bereits, dass eine fehlgehende Kugel Unbeteiligte verletzen könnte, und einer forderte die Damen auf, sich dieses Schauspiel zu ersparen.
Bei Rachel Coureur biss er damit auf Granit. »Ich will sehen, wie dieser elende Fitchner stirbt!«, fuhr sie ihn an und hielt ihre Tochter fest, als diese gehen wollte. »Du bleibst bei mir! Ich will nicht, dass dir das Gleiche passiert wie Abigail.«
Thamar fand diesen Vergleich bösartig, denn sie war nicht willens, wie ihre Schwester ihre Tugend an den nächstbesten Kerl zu verschleudern, selbst wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen würde.
Während sie auf die Pistolen warteten, erhielt Montgomery von seinen politischen Freunden viel Lob dafür, dass er mit Walther Fitchner den ungekrönten König des French Settlement aus der Welt schaffen wollte.
»Ist dieser alte Bock erst einmal aus dem Weg geräumt, bringen wir auch die Leute dort dazu, das für Baumwolle geeignete Gebiet an uns zu verkaufen. Sie können ja weiter nach Westen ziehen«, rief sein aus Georgia stammender Schwager, der schon geraume Zeit auf der Suche nach einem geeigneten Stück Land war, auf dem er sich hier in Texas ansiedeln konnte. Am Rio Colorado gab es einige solcher Flächen, doch solange Walther Fichtner dort das Sagen hatte, bekam kein Sklavenhalter die Chance, sich dort festzusetzen.
Montgomery nickte seinem Schwager zu. »Wenn Fichtner erledigt ist, werden wir auch mit seinen Söhnen fertig! Das French Settlement ist fruchtbar genug für mehrere große Plantagen. Vielleicht werbe ich sogar um Coureurs Tochter und richte mir mit seiner Unterstützung dort eine zweite Plantage ein. Die Nigger dazu könnte ich aus Virginia oder North Carolina holen.«
Unweit der beiden, aber durch Welten getrennt, wartete Walther auf Houstons Rückkehr. Er selbst wirkte völlig gelassen, aber seine Söhne waren nervös.
»Du hättest diesen aufgeblasenen Kerl mir überlassen sollen«, erklärte Josef.
»Er hat mich herausgefordert und nicht dich!« Walther lächelte. Schon viel zu lange hatte er sich Montgomerys Hetzreden und die seiner Freunde anhören müssen, und so empfand er tiefen Groll. Auch war ihm klar, dass er diesen Männern im Weg war. Sie träumten von einem Land, in dem weiße Männer über schwarze Männer herrschten und diese mit Peitschen zwangen, die Arbeit für sie zu erledigen. Doch er war nicht willens, dies zuzulassen, zumindest nicht in dem Bereich, in dem er genügend Einfluss besaß.
Er zog seine Söhne mit einer tröstenden Geste an sich. »Es wird schon gutgehen! Und wenn nicht, so trete ich mit reinem Gewissen vor meinen Herrgott. Ich bin in dieses Land gekommen, um der Unfreiheit zu entgehen. Daher will ich auch keine anderen Menschen als Sklaven sehen.«
»Auch du kannst den armen Hunden, die in dieses Land gebracht worden sind, nicht zur Freiheit verhelfen, Vater«, wandte Josef ein.
»Aber ich kann sagen, dass ich es nicht für gut erachte, und an das Gewissen meiner Mitbürger appellieren, dass sie dies nicht weiter zulassen sollen. Geht dies nur durch meinen Tod, dann soll es eben so sein!«
Seinen Worten zum Trotz empfand Walther wenig Lust, an diesem Tag zu sterben. Nicht zuletzt deshalb hatte er darauf bestanden, altmodische Vorderladerpistolen zu benutzen, denn mit diesen kam er besser zurecht als mit den neumodischen Revolvern.
»Ich glaube, Houston kommt zurück«, meldete Waldemar.
»Dann geht zu ihm und seht euch die Pistolen an«, forderte Walther seine Söhne auf. Diese gehorchten, und für einige Augenblicke stand er allein da. Dann trat Andreas Belcher, sein alter Freund seit fast fünfundzwanzig Jahren, neben ihn.
»Das gefällt mir gar nicht! Fast habe ich den Eindruck, Montgomery habe es darauf angelegt, dich herauszufordern, Fichtner.«
Belcher gehörte zu den wenigen, die Walthers Familiennamen noch so aussprachen, wie es in der deutschen Heimat Sitte gewesen war. Die Texaner hatten diesen in Fitchner umgewandelt, da dies für sie leichter auszusprechen war.
Walthers Miene nahm einen ernsten Ausdruck an. »Mir gefällt es auch nicht. Aber da es nun einmal sein muss, werde ich es durchstehen.«
»Montgomery ist gerade mal über dreißig, und du gehst stramm auf die sechzig zu«, wandte Belcher ein.
»Eine ruhige Hand und ein sicheres Auge sind nicht vom Alter abhängig!« Walther sah, wie Houston und die Sekundanten seines Gegners näher kamen, und seine Anspannung kehrte zurück.
»Wir haben die Waffen geprüft. Sie sind in gutem Zustand und von gleicher Art«, erklärte Josef.
Einer von Montgomerys Sekundanten nickte. »Das Gleiche haben auch wir festgestellt. Jetzt sollen die Pistolen unter Aufsicht geladen werden.«
»Tut das!«, beschied Walther ihn knapp.
»Macht schon!«, rief Montgomery ungeduldig, denn ihm dauerte das Zeremoniell bereits viel zu lange.
Auch ärgerte er sich über die unnatürliche Ruhe, die sein Gegner ausstrahlte. Ihm kamen wieder die Erzählungen in den Sinn, denen zufolge Walther Fitchner schon etliche Männer in einem Pistolenduell besiegt haben sollte. Da war auch von irgendeinem deutschen Grafen die Rede gewesen, der den weiten Weg nach Texas auf sich genommen hatte, um sich wegen einer alten Sache mit Fitchner zu schlagen. Wie es hieß, war der Mann mit zerschossener Schulter auf ein Schiff gebracht worden. Ob er die Heimat lebend erreicht hatte, wusste niemand in Texas zu sagen.
Montgomerys Handflächen wurden feucht vor Schweiß. Er starrte auf die beiden Pistolen, die in tödlicher Schlichtheit in ihrem Kasten lagen. Eben nahm einer seiner Freunde eine Waffe heraus und lud sie unter den wachsamen Blicken der Fitchner-Söhne. Da kein anderer es wagte, seinem Vater offen beizustehen, ergriff Josef die andere Pistole und lud sie mit derselben Genauigkeit.
»Wir haben beschlossen, dass jeder die Pistole erhält, die sein Sekundant geladen hat«, erklärte Houston eben regelgemäß. »Die Entfernung wurde auf zwanzig Schritte festgelegt. Damit keiner einen ungerechten Vorteil erhält, wird kein Mensch das Zeichen zum Feuern geben, sondern das erste Pferd, das zu wiehern beginnt. Habt ihr verstanden?«
»Ich habe verstanden«, antwortete Walther.
»Verstanden!« Montgomery nickte und griff dann zur Pistole, die sein Sekundant ihm reichte. Während er sie kurz überprüfte, lachte er böse. »Jetzt sind Sie an der Reihe, Fitchner!«
Walther kümmerte sich jedoch nicht um den Ausruf, sondern nahm die andere Pistole an sich und sah zu, wie Josef und ein Sekundant seines Gegners die Entfernung ausmaßen.
Als dies geschehen war, stellte Montgomerys Sekundant sich in Positur. »Wir werfen eine Münze! Der Gewinner kann sich den Platz aussuchen, von dem aus er schießen wird. Als Geforderter können Sie wählen, ob Sie Kopf oder Zahl wollen, Mister Fitchner.«
»Zahl!«, entschied Walther.
Der Sekundant zog einen Dollar aus der Tasche, zeigte ihn jedem, der in seiner Nähe stand, damit man sehen konnte, dass es sich um eine neue Münze handelte, und wollte sie dann Josef geben.
»Werfen Sie! Ich vertraue Ihnen«, antwortete dieser.
Mit einer kurzen Bewegung schnellte der andere die Münze in die Luft. Sie drehte sich ein paarmal um die eigene Achse und landete dann auf dem Boden.
»Kopf! Tut mir leid, Mister Fitchner. Ihr Gegner hat die Wahl.«
Der Mann gab sich Mühe, keinen Triumph zu zeigen, denn einer der Duellanten würde die Sonne schräg von vorne haben, und das war nun mit Sicherheit nicht sein Freund Montgomery.
Dieser wies auch sofort auf die günstigere Seite. »Ich wähle diese Stelle!«
Walther nahm es mit einem Achselzucken zur Kenntnis und ging zu seinem Platz. Im Gegensatz zu Montgomery hatte er die Waffe noch nicht gespannt, sondern wartete, bis auch dieser sich aufgestellt hatte.
»Sobald ein Pferd wiehert, könnt ihr schießen«, betonte Sam Houston noch einmal.
Nun erst spannte Walther die Pistole und hob sie hoch. Sein Gegner zielte bereits auf ihn, um sofort abdrücken zu können, wenn ein Wiehern erklang. Obwohl es in der Umgebung etliche Pferde gab, blieb es jedoch still.
Keiner wusste zu sagen, wie viel Zeit verging. Sekunden dehnten sich zu Minuten und Minuten zu Stunden. Für Walther und seinen Gegner wurde es zunehmend schwer, die Pistole mit dem ausgestreckten Arm zu halten. Während Montgomery die Zähne zusammenbiss und mit dem Zeigefinger den Abzugsbügel umklammerte, atmete Walther ruhig durch und hob den Lauf der Waffe ein wenig, um das Gewicht zu verlagern.
»Langsam müsste doch so ein Zossen plärren«, stieß Rachel Coureur aus, die sich um nichts auf der Welt dieses Schauspiel hätte entgehen lassen. Ihre Stimme hallte wie ein Pistolenschuss über den Duellplatz. Beinahe hätte Montgomery abgedrückt, konnte es aber gerade noch verhindern. Auch er trieb in Gedanken die Pferde an, endlich zu wiehern.
Plötzlich hallte ein misstönender Laut durch die Stadt. Noch während des ersten Tons feuerte Montgomery und sah seinen Gegner kaum merklich zusammenzucken. Walthers Wange und Hals färbten sich rot, und für ein paar Augenblicke hoffte Montgomery, ihn entscheidend getroffen zu haben.
Da senkte Walther den Lauf seiner Waffe ein wenig und zielte auf die Brust seines Gegners, sagte sich aber, dass er mit Montgomerys Tod nichts gewann. Daher zog er die Waffe leicht höher, um den anderen in der Schulter zu treffen. Sein Schuss krachte, doch in dem Moment ließ Montgomery die nutzlos gewordene Pistole sinken und bewegte sich unbewusst zur Seite, um der Kugel seines Gegners zu entgehen. Statt der Schulter traf die Kugel daher den rechten Oberarm.
Montgomerys Pistole flog durch die Luft und blieb mehrere Yards entfernt liegen. Blut floss wie ein Bach aus der Wunde, während er bleich und mit einem verwunderten Ausdruck dastand. Offensichtlich konnte er nicht begreifen, was geschehen war.
»Einen Arzt! Einen Arzt!«, kreischte Rachel Coureur und eilte zu Montgomery. »Bei Gott, welch ein Unglück! Sie sind hoffentlich nicht schwer verletzt, Senator?«
Montgomery versuchte, den Arm zu bewegen, ließ es aber mit einem Aufschrei sein. Alle, die in der Nähe standen, hatten jedoch gesehen, dass sich zwar das Schultergelenk, nicht aber der Arm bewegt hatte.
Endlich kam der Arzt, holte ein Skalpell aus seiner Tasche und schnitt damit die Ärmel von Rock und Hemd auf. Ein einziger Blick zeigte ihm, dass es mit einem schlichten Verband nicht getan war. Trotzdem wand er mehrere Leinwandstreifen um den Arm, damit die Wunde nicht mehr blutete, und trat einen Schritt zurück.
»Mister Montgomery muss auf einem Bett liegen, damit ich ihn richtig versorgen kann. Können Sie gehen?«, fragte er den Verletzten.
Dieser nickte mit knirschenden Zähnen, war allerdings so bleich, dass mehrere seiner Freunde ihn stützten. Während der Senatssitzungen lebte Montgomery im Hotel, doch als man ihn dorthin bringen wollte, mischte sich Lucretia Ransom, die Witwe eines Parteifreunds, ein.
»Senator Montgomery braucht bessere Pflege, als er sie im Hotel erhalten könnte. Schafft ihn in unser Haus!«
»Ja, tut das!«, stimmte Rachel Coureur ihr zu.
Da sie ohne ihren Ehemann nach Austin gekommen war, wohnte sie nicht im Hotel, sondern bei dieser Dame, und sie sah dies als gute Gelegenheit an, Montgomery ihrer Tochter Thamar schmackhaft zu machen.
Lucretia Ransom begriff die Absicht ihres Gastes und beschloss, diesen Plan zu vereiteln. Immerhin hatte sie selbst eine Tochter im heiratsfähigen Alter, für die Edward Montgomery der passende Ehemann war. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte sie angeboten, den Verletzten in ihr Haus aufzunehmen. So konnte sie sich die Dankbarkeit des reichen Baumwollpflanzers sichern, ihr Ansehen in der Stadt heben und, wenn alles gutging, ihre Tochter an den Mann bringen.
Rachel warf Walther noch einen hasserfüllten Blick zu und nahm wahr, dass dieser nur ein wenig an der Wange und am Ohr verletzt war. Daraufhin beklagte sie stumm, dass Montgomery nicht besser getroffen hatte.
Sam Houston betrachtete Walthers Verletzung und grinste. »Sieht ja ganz gut aus. Sie haben nur das linke Ohrläppchen verloren und eine Schramme an der Wange. Da Sie wohl kaum mehr auf Freiersfüßen gehen werden, dürfte Sie das wenig stören.«
»Es war unvernünftig, Vater, dem Mann den ersten Schuss zu lassen«, schalt Josef.
»Auf jeden Fall haben Sie gezeigt, dass mit uns alten Texanern nicht zu spaßen ist. Außerdem hat Montgomery sich nicht an die Regeln gehalten!« Sam Houstons Grinsen wurde noch breiter, während er sich einem von Montgomerys Freunden zuwandte, der zurückgeblieben war.
Dieser fuhr sofort auf. »Das ist eine infame Unterstellung!«
»Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Ohren heute nicht gewaschen haben, aber für mich war das vorhin kein Pferdewiehern, sondern das Geschrei eines Esels. Na ja, passt irgendwie zu Montgomery!«
Sein Gegenüber stand kurz vor dem Platzen, doch einer der unbeteiligten Zuschauer nickte. »Sie haben recht, Gouverneur! Es war ein Esel. Mister Montgomery mag zwar Senator sein, aber das macht ihn noch nicht zu einem richtigen Texaner. Ein solcher sollte ein Pferd von einem Esel unterscheiden können.«
Einige lachten, und auch Männer, die Walther in der letzten Zeit gemieden oder ihn gar offen kritisiert hatten, klopften ihm auf die Schulter. In dem Augenblick waren sie alle Texaner, und der Streit zwischen den Staaten des tiefen Südens und den Yankees schien fürs Erste vergessen.
Sam Houston schob sich durch die Gruppe, die sich um Walther versammelt hatte. »Kommen Sie, Fitchner! Da Ihr Gegner zu schwer verletzt ist, um ins Hotel zu gehen, sollten Sie das auch nicht tun. Es könnte dort den einen oder anderen Narren geben, der es Ihnen heimzahlen will. Wenn jemand so freundlich sein würde, Doktor Simpson zu holen, sobald dieser Senator Montgomery zusammengeflickt hat. Ihr findet uns in meinem Haus. Ich kann Ihnen ein Glas von dem guten Whiskey Ihres irischen Pfarrers anbieten – den mit dem ey meine ich!«
Er hakte sich bei Walther unter und führte ihn zu seinem Heim. Unterdessen nahmen Josef und Waldemar die Pistolen an sich, reinigten sie und legten sie wieder in ihren Kasten.
Waldemar rieb sich über die Stirn. »Ich wusste zwar, dass es in South Carolina und in Georgia einige Schreier gibt, die nach der Trennung von den Vereinigten Staaten rufen, aber ich hätte niemals für möglich gehalten, dass es hier in Texas genauso sein würde.«
Josef legte seinem jüngeren Bruder die Hand auf die Schulter. »Man merkt, dass du mehrere Jahre in Westpoint verbracht hast. In der letzten Zeit sind immer mehr Sklavenbesitzer nach Texas gekommen, um Land aufzukaufen und Plantagen anzulegen. Jeder von denen bringt hundert und mehr Schwarze ins Land. In einigen Gebieten sieht es jetzt schon genauso aus wie in Alabama, Georgia und South Carolina. Diese Plantagenbesitzer sind hoch angesehen, weil sie Geld haben und vor allem den Willen, sich gegen jedermann durchzusetzen.«
»Auch mit Gewalt?«, fragte Waldemar.
»Ja! Das hast du doch heute gesehen. Einen anderen Mann als unseren Vater hätte Montgomery eiskalt niedergeschossen. Doch mit einem General Fitchner kann der Kerl sich nicht messen. Vergessen aber werde ich es nicht! Sobald Montgomery wieder auf den Beinen ist, hole ich ihn mir vor den Lauf.«
Josef schloss den Pistolenkasten und schlug den Weg zu Houstons Haus ein. Sein Gesicht wirkte dabei so grimmig, dass Waldemar sich fragte, was in der Zeit seiner Abwesenheit alles vorgefallen sein mochte.
»Nizhoni und die Kleinen werden sich freuen, dich wiederzusehen«, sagte Josef, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Die Kleinen?« Waldemar lachte. »Gretel muss doch bald eine junge Dame sein.«
»Sag ihr das, und sie wird dir recht undamenhaft ein paar Dornen unter den Sattel stecken.« Josef lachte leise, als er an ihre Schwester dachte.
Auch Waldemar konnte sich diesen Wirbelwind nicht in Krinoline und mit Sonnenschirm vorstellen. Er dachte an seinen jüngsten Bruder. »Was macht eigentlich Diego?«
»Der soll noch heuer bei mir auf der Rinderranch als Vaquero anfangen, denn ich will ihm beibringen, wie man Rinder züchtet«, antwortete Josef. »Einige von Montgomerys Freunden haben versucht, das beste Land im French Settlement an sich zu bringen, und das nicht mit lauteren Mitteln. Doch diesem Vorgehen hat Vater einen Riegel vorgeschoben. Da er alle Farmer rechtzeitig hat eintragen lassen, konnten die Winkeladvokaten der Sklavenhalter die Landrechte der Tejanos im French Settlement und in dessen Umgebung nicht als ungültig hinstellen, wie es in anderen Teilen von Texas geschehen ist. Als die Kerle einige Farmer bedroht haben, ist Vater ihnen mit unserer Miliz in die Quere gekommen, und es gab eine Schießerei. Wir hatten drei Verwundete, die anderen mehrere Tote. Seitdem wagt sich keiner von denen mehr in unser Gebiet.«
Josefs Bericht klang beiläufig, doch Waldemar begriff, dass seine Familie hart kämpfen musste, um sich zu behaupten. Einige Augenblicke lang überlegte er, ob er seine Absicht, beim Militär zu bleiben, aufgeben und lieber mithelfen sollte, Leute wie Montgomery in ihre Schranken zu weisen, kam aber zu keinem Entschluss.
Lucretia Ransom ließ Montgomery in das beste Schlafzimmer ihres Hauses bringen und wies ihre schwarzen Bediensteten an, den Herren, die sie begleitet hatten, Getränke zu servieren. Einige sahen tatsächlich aus, als könnten sie eine Stärkung vertragen. Sie waren von dem Ausgang des Duells schockiert und sorgten sich um ihren verletzten Freund und politischen Verbündeten.
Montgomery war kaum mehr bei Sinnen, als er auf das Bett gelegt wurde.
»Wir müssen ihm Stiefel und Hosen ausziehen«, erklärte Rachel resolut.
»Das soll Harry übernehmen!« Die Hausherrin rief einen ihrer schwarzen Diener herein und scheuchte Thamar und ihre eigene Tochter aus dem Zimmer.
»Es wäre ungehörig für euch, einen Mann in Unterhosen zu sehen«, erklärte sie und wandte sich an den Arzt, der Montgomerys Wunde untersuchte und dabei besorgt den Kopf wiegte.
»Der Senator wird doch gewiss wieder gesund werden?«
Doktor Augustus Simpson antwortete, ohne in seiner Arbeit innezuhalten. »Ich hoffe, ihm das Leben erhalten zu können. Allerdings sieht es schlecht aus. Der Knochen ist zertrümmert, und Sie sollten beten, dass ich den Arm nicht abnehmen muss. Die Verletzung ist nahe an der Schulter, und ob Mister Montgomery eine Amputation überstehen würde, weiß ich nicht.«
»Das hat Fitchner ganz bestimmt mit Absicht gemacht! Er wollte den Senator zum Krüppel schießen«, rief Rachel wuterfüllt aus.
»Das glaube ich nicht! Mister Montgomery hat sich bei Senator Fitchners Schuss bewegt. Andernfalls wäre er hoch in der Schulter getroffen worden.«
Die beiden Frauen achteten jedoch nicht auf Doktor Simpsons Einwand, sondern ließen ihrem Hass auf Walther freien Lauf. Dabei zog Rachel Coureur so lautstark über dessen Familie her, dass Augustus Simpson verärgert dazwischenfuhr.
»Ich wäre den Damen sehr verbunden, wenn sie ihre Unterhaltung in einem anderen Raum fortsetzen könnten. Hier erschrecken Sie den Verletzten. Außerdem kann ich bei diesem Gekeife nicht arbeiten.«
»Gekeife?« Lucretia Ransoms Stimme klang empört.
»Wir haben nur erklärt, was von diesem Fitchner, der Wilden, die er geheiratet hat, und seiner Brut zu halten ist«, erklärte Rachel mit schriller Stimme.
»Ich muss Sie dennoch bitten, das Zimmer zu verlassen. Noch etwas: Irgendjemand muss bei mir zu Hause mehrere von den Holzschienen holen, die ich vorsorglich angefertigt habe. Außerdem sollte jemand Laudanum besorgen. Mister Montgomery wird es in den nächsten Tagen brauchen, denn der Arm muss vollkommen ruhig liegen, wenn er heilen soll.«
Einen Augenblick sah es so aus, als würde die Hausherrin zu einer heftigen Antwort ansetzen, doch der Gedanke an den Verletzten, der sie nicht als Megäre erleben sollte, brachte sie dazu, die Lippen zusammenzukneifen. Sie schob Rachel Coureur aus dem Zimmer, folgte ihr und wies draußen zwei ihrer schwarzen Haussklaven an, die Holzschienen und das Laudanum zu holen. Danach gesellte sie sich zu Montgomerys Freunden, die eifrig miteinander diskutierten und sich immer wieder nachschenken ließen.
»Wie geht es ihm?«, fragte einer, als Lucretia Ransom mit Rachel im Gefolge hinzutrat.
»Der Arzt befürchtet, dass er ihm den Arm abnehmen muss!«, rief die Hausherrin klagend aus.
»Dieser verfluchte Fitchner hat den armen Montgomery mit Absicht so schwer verletzt«, setzte Rachel giftig hinzu.
»Bei einem Duell kann man nun einmal getötet oder verletzt werden«, sagte einer der Männer, um die übrigen Anwesenden zur Besonnenheit zu mahnen.
Ein anderer schüttelte zornig den Kopf. »Dafür wird Fitchner büßen! Ich lasse nicht meinen besten Freund zum Krüppel schießen.«
»Wollen Sie ihn auch zum Duell fordern? Der Mann ist kalt wie Eis! Er hat nicht einmal gezuckt, als Montgomerys Kugel ihn getroffen hat.«
Sein Gegenüber wackelte missbilligend mit dem Kopf. »Hätte noch nicht schießen dürfen! Montgomery, meine ich. Es hat nämlich ein Esel geschrien und kein Pferd gewiehert. Wird ihm nachhängen, dem armen Kerl! Wird heißen, dass er entweder zu dumm ist, einen Esel und ein Pferd auseinanderzuhalten, oder dass er es mit Absicht getan hat, um Fitchner regelwidrig niederzuknallen. Macht sich nicht gut für uns. Hat immer noch Freunde – Fitchner, meine ich!«
»Mit Fitchner und dessen Freunden werden wir jederzeit fertig!«, rief der Mann, der Walther bereits Rache angedroht hatte.
»So wie vor einem Jahr, als er die Burschen aus Louisiana, die Sie geholt hatten, um seinen mexikanischen Nachbarn das Fürchten zu lehren, über den Haufen schießen und aufhängen ließ?«
Der Sprecher hatte bereits etwas zu viel von dem starken Whiskey getrunken, der in diesem Haushalt ausgeschenkt wurde, und gab seinem Parteifreund kräftig Kontra. Innerhalb kürzester Zeit entspann sich ein Streit, der so laut geführt wurde, dass Doktor Simpson oben auf der Treppe erschien.
»Ist das hier eine Kneipe oder ein ehrliches Haus?«, fragte er zornig. »Von Ihrem Geschrei wird mein Patient ganz unruhig. Wo sind außerdem die Schienen, die geholt werden sollten? Hier stehen ein Haufen Männer herum, aber keiner tut etwas.«
»Ich habe einen meiner Nigger geschickt«, verteidigte sich Lucretia Ransom.
»Dann sehen Sie auch zu, dass er zurückkommt! Bei Gott, wenn Sie sich bei jeder Arbeit auf Ihre Sklaven verlassen, wundert es mich wirklich nicht, dass der Süden stagniert.« Mit diesen Worten drehte der Arzt sich um und kehrte zu seinem Patienten zurück.
Die Männer ballten die Fäuste und blickten wuterfüllt hinter ihm her.
»Verdammter Yankee!«, fluchte einer. »Wenn der so weitermacht, holen wir ihn eines Nachts aus seinem Haus, stecken ihn in eine Teertonne und wälzen ihn in blutigen Hühnerfedern.«
»Ist der beste Arzt hier in der Stadt. Würde ungern zu einem anderen gehen«, wandte der Betrunkene ein.
»Pah! So gut ist er auch wieder nicht«, blaffte ihn ein anderer an.
Unterdessen kam einer der beiden gesandten Schwarzen mit mehreren schmalen Holzstücken im Arm zurück. Lucretia Ransom nahm es als Gelegenheit, sich von den Herren zu verabschieden und sich wieder in eine fürsorgliche Gastgeberin zu verwandeln. Diese Haltung behielt sie jedoch nur so lange bei, bis Doktor Simpson die geforderten Utensilien in den Händen hielt. Danach winkte sie Rachel, sie in ihr Nähzimmer zu begleiten, und beäugte sie dort lauernd.
»Liebste Rachel, du weißt, wie sehr ich dich mag und mich freue, wenn du mich besuchst. Aber du wirst verstehen, dass ich mich jetzt, da Senator Montgomery schwer verletzt in meinem Haus liegt, weder um dich noch um Thamar kümmern kann. Auch wird mein Personal mit der Versorgung des Kranken beschäftigt sein. Ich muss dich daher bitten, morgen abzureisen.«
Das war ganz und gar nicht in Rachels Sinn, und sie streckte abwehrend die Arme aus. »Meine liebe Lucretia, ich verstehe deine Sorge um Mister Montgomery sehr gut und bin gerne bereit, sie zusammen mit dir zu tragen. So könnten meine Thamar und ich ihn pflegen und dir damit viel Arbeit und Mühe abnehmen.«
Das könnte dir so passen, besagte Mrs. Ransoms Blick. Sie hatte mit Montgomery ihre eigenen Pläne, und die ließen nicht zu, dass ein anderes Mädchen als ihre Julia die Pflege des Verletzten übernahm.
»Es tut mir leid«, antwortete sie mit falscher Freundlichkeit, »aber es geht nicht anders. Es werden ständig einige Herren zu uns kommen, um nach ihrem Freund Montgomery zu sehen – und diese Besucher wären für Thamars Tugend eine zu große Gefahr.«
Rachel nahm das Gift in Lucretia Ransoms Worten wahr, spielte diese doch auf ihre älteste Tochter an, die überstürzt einen sehr unpassenden Bewerber hatte heiraten müssen. Immer noch verfluchte Rachel Abigail dafür, denn ihr hatte Josef Fitchner als Schwiegersohn ins Auge gestochen. Doch diese Pläne hatte der Leichtsinn des Mädchens ruiniert, und über dieser Angelegenheit war auch die bis dorthin enge Freundschaft ihres Mannes mit Walther Fitchner zerbrochen. Auch wenn sie es sich nur ungern eingestand, so tat es ihr manchmal doch leid, dass Josef nicht ihr Schwiegersohn geworden war. Aber nun ging es darum, sich wenigstens Montgomery für Thamar zu sichern. Daher war sie nicht bereit, kampflos zu weichen.
»Du musst an deine Julia denken, liebste Lucretia. Auch für sie stellt die Anwesenheit vieler junger Herren eine Gefährdung ihrer Tugend dar. Da wäre es doch besser, wenn unsere beiden Töchter während dieser Zeit zusammenbleiben könnten.«
In Mrs. Ransom stieg die Galle hoch, und sie beschloss, deutlicher zu werden. Immerhin winkte als Preis ein reicher Schwiegersohn. »Es ist mein letztes Wort! Meine Niggerinnen werden dir heute noch beim Packen helfen.«
Mit diesen Worten ließ sie Rachel stehen und schwebte davon, um ihre Tochter zu suchen.
Julia Ransom hatte sich zusammen mit Thamar in ihr Zimmer zurückgezogen und saß, die Fingerspitzen gegeneinander gelegt, auf ihrem Lieblingsstuhl. »Mister Montgomerys Verletzung ist eine schlimme Sache. Er war ein so eleganter Kavalier und ein ausgezeichneter Tänzer. Bei dem Gedanken, dass er nun ein Krüppel sein wird, kommen mir die Tränen.«
»Noch ist es nicht sicher, ob er einen bleibenden Schaden davontragen wird«, wandte Thamar ein, erntete aber ein verächtliches Schnauben.
»Du hast doch gehört, was der Arzt gesagt haben soll. Er wird Mister Montgomery den Arm abnehmen müssen. Den rechten Arm wohlgemerkt! Mister Montgomery wird hinterher in vielen Dingen behindert sein – besonders auch im Ehebett.«
»Wieso denn da? An der Stelle hat ihn die Kugel doch gar nicht getroffen«, beantwortete Thamar diese Anzüglichkeit.
Julia beschloss, darüber hinwegzusehen. »Ich hoffe nur, dass meine Mutter mich nicht drängt, Mister Montgomery weiterhin Hoffnungen zu machen. Einen Krüppel will ich nicht als Herrn in meinem Haus!«
»Wenn zwei Menschen sich lieben, wird auch dies sie nicht trennen können«, rief Thamar.
»Meine Liebe hat Mister Montgomery bislang nicht errungen – und als Krüppel wird er das wohl noch viel weniger!« In diese Moment ging die Tür auf, und ihre Mutter trat ein.
Lucretia funkelte sie zornig an. »Rede kein so dummes Zeug! Mister Montgomery ist noch immer ein junger Mann, der das Herz und die Hand jeden Mädchens erringen kann. Sobald der Arzt das Haus verlassen hat, wirst du dich um unseren lieben Verwundeten kümmern. Wage es ja nicht, ihm eine säuerliche Miene zu zeigen, sonst lernst du mich kennen! Und du«, das Letzte galt Thamar, »sollst zu deiner Mutter kommen und ihr beim Packen helfen. Sie will morgen abreisen.«
»Sehr wohl, Madam!« Thamar knickste und verließ erleichtert die Kammer. Damit blieb es ihr zum Glück erspart, Montgomery zu pflegen. Sie wusste genau, was ihre Mutter beabsichtigte. Diese wollte alles so einfädeln, dass der Mann ihr hinterher einen Antrag machen musste. Den hatte nun Julia zu erwarten, und ein wenig vergönnte sie es ihr.
Sam Houston sah dem Arzt zu, der Walthers Verletzung versorgte, und goss dann eigenhändig fünf Gläser mit Whiskey ein. »Öfter sollten Sie einen solchen Scherz nicht mehr machen, Walther«, sagte er lachend. »Immerhin sind seit der Schlacht am San Jacinto River fast fünfundzwanzig Jahre vergangen. Der Jüngste sind Sie wahrlich nicht mehr.«
»Du hättest den Mann mir überlassen sollen, Vater«, setzte Josef hinzu, der innerlich immer noch gegen Montgomery wütete. »Wenn dir etwas passiert wäre, würde Nizhoni mir die Schuld geben.«
»Jetzt reg dich nicht auf!«, wies Walther seinen Ältesten zurecht. »Der Mann hatte es auf mich abgesehen. Daher hättest du ihm ins Gesicht spucken und ihn den Sohn eines räudigen Affen und einer versoffenen Hure nennen können – er hätte trotzdem auf einem Duell mit mir bestanden.«
»Weshalb war Montgomery eigentlich so scharf darauf, dich umzubringen?«, fragte Waldemar. Er war in den letzten Jahren nur selten zu Hause gewesen, und in den wenigen Briefen, die ihn erreicht hatten, hatte nichts Diesbezügliches gestanden.
»Da gibt es mehrere Gründe«, erklärte Houston. »Zum einem ist dein Vater ein entschiedener Gegner einer Abtrennung von den Vereinigten Staaten, die von Montgomery und dessen Freunden vehement gefordert wird, und zum Zweiten herrscht Walther wie ein Patriarch im alten Gamuzana-Gebiet. Selbst die Aufteilung in zwei verschiedene Countys hat daran nichts geändert. Die Farmer des French Settlement und die Tejanos und Deutschen im südlichen Teil halten wie Pech und Schwefel zusammen. Insbesondere sind sie weder bereit, die besten Stücke ihres Landes an Männer zu verkaufen, die dort Baumwollplantagen anlegen wollen, noch dulden sie Sklavenbesitzer unter sich.«
Waldemar erinnerte sich an die üblen Beleidigungen, mit denen Rachel seine Familie bedacht hatte, und sah seinen Vater erstaunt an. »Was ist eigentlich mit Thierry Coureur und dessen Frau los? Ich war ganz entsetzt, Mistress Coureur als keifende Xanthippe zu erleben.«
»Sie hat nicht verwunden, dass Thierry als Senator abgewählt worden ist und selbst alte Freunde dort nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, weil er auf Rachels Betreiben Sklaven hält«, antwortete Josef.
»Coureur ist im French Settlement zu einem Fremdkörper geworden.« In Walthers Stimme klang Wehmut mit. Immerhin waren Thierry und er lange Jahre die besten Freunde gewesen. Doch Rachels Wahn, als etwas Besonderes zu gelten und zu den Spitzen der Gesellschaft zu gehören, hatte alles zerstört.
»Coureur baut auf einem Teil seines Landes ebenfalls Baumwolle an und hat dafür über fünfzig Schwarze, Männer wie auch Frauen, gekauft«, setzte Josef hinzu.
»Er wollte doch Pferde und Rinder züchten!«, rief Waldemar verwundert.
»Das war, bevor er Männer wie Montgomery zu seinen Freunden gemacht hat. Jetzt hat er sich diesen angepasst und behandelt Menschen, die gleich uns von Gott geschaffen wurden, wie Vieh, das er auf dem Markt erwerben und ebenso wieder verkaufen kann.«
Waldemar spürte die Enttäuschung seines Vaters über den Weg, den Thierry Coureur eingeschlagen hatte, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich verstehe nicht, weshalb die Baumwolle von Sklaven gesät und geerntet werden muss. Das könnten freie Arbeiter doch genauso tun.«
»Weißen ist diese Arbeit zu schwer, und von den Schwarzen nehmen die Plantagenbesitzer an, dass sie, sobald sie frei sind, in den Norden strömen würden, um dort leichter ihr Auskommen zu finden«, sagte Walther.