Geständnisse einer Teilzeitfeministin

Anmerkungen

Vorwort: Was um alles in der Welt ist eine Teilzeitfeministin?
  1. Simone de Beauvoir: «Das andere Geschlecht», S. 263

  2. Simone de Beauvoir: «Das andere Geschlecht», S. 265

  3. Margarete Stokowski: «Untenrum frei», S. 23

Haben Sie eine Vagina?
  1. Lisa Nienhaus: «Feminismus, das klingt so unrasiert und ungebumst», in: FAZ, 23.2.2016

  2. Virginie Despentes: «King Kong Theorie», S. 28

  3. Hans Magnus Enzensberger: «Der Mann, der alle Probleme löste – oder zumindest glaubte, er habe sie alle gelöst», in: Neue Zürcher Zeitung, 27.4.2018

  4. Deborah Frances-White: «The Guilty Feminist», S. 5

  5. Caitlin Moran: «how to be a woman», S. 101

  6. Nils Bokelberg: «Warum ich Vater und Feministin bin», in: Die Zeit, 14.8.2017

Was wollt ihr denn noch?!
  1. Rebecca Solnit: «Unziemliches Verhalten», S. 88

Dornröschen müsste man sein …
  1. Jutta Allmendinger: «Es geht nur gemeinsam!», S. 40

  2. Daniel Kahnemann: «Schnelles Denken, langsames Denken», S. 516

Mama macht das schon
  1. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/03/PD21_106_621.html

Mein kleines Familienunternehmen
  1. Jutta Allmendinger: «Es geht nur gemeinsam!», S. 45

  2. Caitlin Moran: «More Than a Woman», S. 63

  3. Joanna Syrda: «Spousal Relative Income and Male Psychological Distress», in: Sage Journals: Personality and Social Psychology Bulletin, 28.10.2019.

  4. www.yourfirm.de/karriere-ratgeber/disponent/

Als Feministin auf der Beifahrerseite
  1. Alexander Kunst: «Umfrage in Deutschland zur Rollenverteilung beim Grillen 2017», in: Statista, 6.11.2019

Neues aus der Steinzeit
  1. Anette Selg: «Forscher entzaubern die Steinzeit-Klischees», in: Deutschlandfunk Kultur, 20.1.2016

  2. Randall Haas u.a.: «Female hunters of the early Americas», in: Science Advances, 4.11.2020

Neues aus der Steinzeit
  1. Jörg Römer: «Die Großwildjägerin aus der Steinzeit», in: Der Spiegel, 5.11.2020

  2. Merle Sievers: «Männer, die auf Koteletts starren», in: Süddeutsche Zeitung, 18.7.2013

Die Sklaverei der modernen Frau
  1. Emma: «Du hättest doch bloß fragen müssen», in: Krautreporter, 12.7.2017

  2. Podcast «Alles gesagt?»: «Alice Schwarzer, wie wird man eine Frau?», in: Zeit Online, 8.10.2020

Mama muss nicht arbeiten
  1. Florian Illies: «Generation Golf», S. 173

  2. Ebd.

Männer als Tor zur Welt
  1. Ruth Klüger: «Frauen lesen anders», S. 90

  2. Simon Sales Prado: «Warum in der Schule nur männliche Autoren gelesen werden», in: Süddeutsche Zeitung, 19.5.2020

Wo ist das weibliche Genie?
  1. Der Spiegel: «Wer bekommt die bessere Bewertung – Mann oder Frau?», 10.11.2020

  2. Pauline Harmange: «Ich hasse Männer», S. 68

  3. Olympe de Gouges: «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin», Artikel 10

Der Anfang vom Ende der Gleichberechtigung
  1. Barbara von Würzen: «Corona: Traditionelle Aufgabenverteilung im Haushalt belastet Frauen stark», in: Umfrage Bertelsmann Stiftung, 3.12.2020

Fingerdicke Mutterliebe
  1. Erica Jong: «Angst vorm Fliegen», S. 187

  2. Ebd.

Wo bitte geht’s zum Vaterinstinkt?
  1. Elisabeth Badinter: «Der Konflikt. Die Frau und die Mutter», S. 9

  2. Heike Kleen: «Was geht, wenn nichts mehr geht?», in: Der Spiegel, 14.10.2020

  3. www.youtube.com/watch?v=TkkHKU_lLqU

  4. Michael I. Posner: «Father’s brain is sensitive to childcare experiences», in: PNAS Research Article, 8.7.2014

  5. Stephanie Höppner: «Entwicklungspsychologin: Afrikanische Mütter sind über uns erschüttert», in: Deutsche Welle, 19.1.2014

Der Haushalt: Kann ich Feministin sein und trotzdem lieber Hausfrau?
  1. Alice Schwarzer: «Der kleine Unterschied», S. 18

Der kleine Unterschied hat immer noch Folgen
  1. Boris Herrmann: «Hochachtungsvoll», in: Süddeutsche Zeitung, 25.11.2020

  2. «Bundeskanzlerin Merkel: Wir dürfen bei Gewalt gegen Frauen niemals wegschauen!», in: Pressemitteilung der Bundesregierung, 21.11.2020

Die Hausfrau und der Sinn
  1. Erma Bombeck: «Nur der Pudding hört mein Seufzen», S. 119

  2. Ebd., S. 195f.

Letzte Ausfahrt Tradwife?
  1. Laurie Penny: «Unsagbare Dinge», S. 27

  2. www.youtube.com/watch?v=VhQ7j29Jd-4

  3. Sara Peschke: «Ein Gläschen am Mittag», in: Süddeutsche Zeitung, 19.10.2018

  4. Ebd.

Der Weiblichkeitswahn ist noch da
  1. Betty Friedan: «Der Weiblichkeitswahn», S. 13

  2. Ulrike Baureithel: «Zwischen Wut und Würde», in: Der Tagesspiegel, 18.11.2013

  3. Simone de Beauvoir: «Das andere Geschlecht», S. 428

  4. Erma Bombeck: «Nur der Pudding hört mein Seufzen», S. 197

Die Arbeit: Kann ich Feministin sein und in Teilzeit gehen?
  1. www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/eltern-teilzeitarbeit.html

Abwärtsspirale Elternzeit
  1. Statista Research Department: «Zuwachs der Weltbevölkerung Stand 2020», in: Statista, 14.1.2021

  2. Henrik Kleven u.a.: «Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations», in: AEA Papers and Proceedings, Mai 2019

  3. The Economist: «How big is the wage penalty for mothers?», 28.1.2019

Gratis abzugeben: Die Hälfte der Macht
  1. Anne-Marie Slaughter: «Why women Still Can’t Have It All» in: Atlantic Monthly, Juli / August 2012

Nur für Kinder unverzichtbar?
  1. Valerie Höhne: «Pflegen, kochen, putzen – Männer sollen auch im Haushalt ihren Job machen», in: Der Spiegel, 4.9.2020

Die Schule als Karrierekiller
  1. Katja Wippermann u.a.: «Eltern – Lehrer – Schulerfolg», in: Publikationen der Konrad Adenauer Stiftung, 25.2.2013

  2. Ebd.

Wann erziehen wir Söhne wie Töchter?
  1. Gillian Anderson, Jennifer Nadel: «Wir», S. 349

Der Wert des Weiblichen
  1. Kiju Jung u.a.: «Female hurricanes are deadlier than male hurricanes», in: PNAS, 17.06.2014

Sollen Männer Männer bleiben?
  1. Jens van Tricht: «Warum Feminismus gut für Männer ist», S. 57

  2. Celia Parbey: «Autor JJ Bola: Warum Männlichkeit für Jungs ein Albtraum ist», in: ze.tt, 6.9.2020

Der Körper als Waffe
  1. Katja Lewina: «Sie hat Bock», S. 116

  2. Margarete Stokowski: «Die letzten Tage des Patriarchats», S. 156

Der Geist: Kann ich Feministin sein und Männern Platz machen?
  1. Simone de Beauvoir: «Das andere Geschlecht», S. 11

  2. Franca Parianen: «Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt», S. 289

Das Wunder der männlichen Selbstwahrnehmung
  1. Charlotte Riley: «How to play Patriarchy Chicken: why I refuse to move out of the way for men», in: New Statesmen, 22.2.2019

Vorbilder heute: Werde ich Fee oder Hexe?
  1. Fumiko Lipp: «Studie zu Rollen im TV: Männer sind Experten, Frauen sind schön», in: tagesschau.de, 12.7.2017

  2. Heike Kleen: «Die Sendung mit dem Mann», in: Der Spiegel, 27.8.2018

Selbstfürsorge verleiht Flügel
  1. Sabine Stamer: «Das Frauenbild orientiert sich an den Fünfzigerjahren», in: Der Spiegel, 28.1.2019

  2. www.malisastiftung.org/geschlechterdarstellungneue-medien/

  3. Virginia Woolf: «Ein Zimmer für sich allein», S. 6

  4. Teresa Bücker: «Ist es radikal, sich die Gedankenarbeit zu teilen?», in: Süddeutsche Zeitung, 8.12.2020

Wenn Frauen das Dirndl ausfüllen
  1. Laurie Penny: «Bitch Doktrin», S. 229f.

Die Feministin am Männertisch
  1. Deborah Frances-White: «The Guilty Feminist», S. 3

Die Sache mit den Alphamännchen
  1. Wenke Husmann: «Eine Frau braucht keinen erfolgreichen Mann – aber sie will ihn», in: Zeit Online, 1.11.2020

  2. Katrin Hummel: «Was bleibt von mir als Mann?», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.1.2014

Er gibt sich doch Mühe
  1. David A. Frederick u.a.: «Differences in Orgasm Frequency Among Gay, Lesbian, Bisexual, and Heterosexual Men and Women in a U.S. National Sample», in: Springer Link, 17.2.2017

Er gibt sich doch Mühe
  1. Mareice Kaiser: «Warum es beim Sex vor allem um Macht geht», Podcast auf ze.tt, 13.12.2018

  2. Germaine Greer: «The Madwoman’s Underclothes: Essay and Occasional Writings», S. 74–89 (zitiert nach Naomi Wolf: «Vagina», S. 213)

  3. Katja Lewina: «Sie hat Bock», S. 35

Sie will, was er will – oder?
  1. Verena Stefan: «Häutungen», S. 72

  2. Kristen Roupenian: «Cat Person», in: The New Yorker, 4.12.2017

  3. queertopia.blogspot.de: «Ja, Nein, Vielleicht – Liste – Fragen zu Körper, Sexualität und Grenzen»

Warum haben Frauen Überwältigungsphantasien?
  1. Philip «Roth: «Das sterbende Tier», S. 27f.

  2. Daniel Bergner: «Die versteckte Lust der Frauen», S. 117

  3. Margarete Mitscherlich: «Über weiblichen Masochismus», in: Emma, 1.9.1977

  4. Johanna Adorján im Gespräch mit Eva Illouz: «Ist Sadomasochismus die Lösung?», in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.6.2013

  5. Ricardo Coler: «Das Paradies der freien Liebe», in: taz, 27.5.2009

  6. Jan Pfaff im Gespräch mit Michael Kimmel: «Come on, guys!», in: Der Freitag, 5.10.2012


Was um alles in der Welt ist eine Teilzeitfeministin?

Ich muss ein Geständnis machen: Ich bin eine Teilzeitfeministin. Teilzeitfeministin? Was bitte soll das sein? Dieser Begriff tauchte eines Tages wie ein nervöses Cookie-Banner vor meinem geistigen Auge auf, als ich in einem schonungslosen Moment meinen Alltag kritisch unter die Lupe nahm: ganz ohne Filter-App oder die übliche Schönrederei. Plötzlich fühlte es sich an, als würde ich ein Doppelleben führen – nur leider ohne gelegentlichen Adrenalinkick oder sexuelle Ekstase.

Stattdessen sah ich Folgendes: Vormittags sitze ich am Schreibtisch und verfasse Texte über Gleichberechtigung – nachmittags bin ich allein für die gemeinsamen Kinder zuständig. Vormittags plädiere ich online für eine bessere Arbeitsteilung in der Familie, nachmittags lege ich offline die Wäscheberge zusammen. Vormittags mache ich mich für mehr Frauen in Führungspositionen stark, nachmittags lehne ich ein attraktives Jobangebot ab, um mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Zu gern sage ich: Mein Mann ist selbständig, er kann sich zu Hause nicht so viel kümmern. Ich wiederum bin selbständig, damit ich mich zu Hause mehr kümmern kann.

Feministin bin ich offensichtlich nur halbtags, spätestens am Nachmittag finde ich mich in der traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter wieder. Und es geht noch weiter: Ich

Sobald ich Texte von Feministinnen lese, bewundere ich sie für ihre Klugheit, ihre Weitsicht, ihr Leben. Und dann frage ich mich: Ob sie wie ich im Auto am liebsten auf der Beifahrerseite Platz nehmen, anstatt selbst zu fahren? Oder ob sie manchmal lächeln, obwohl ihnen gar nicht danach ist? Vermutlich nicht. Bestimmt schreiben sie, im Gegensatz zu mir, ihren Männern auch nie einen Einkaufszettel, und in ihren Sexphantasien geht es grundsätzlich gleichberechtigt zu.

Mein Verstand ist genauso willig wie ihrer, das weiß ich genau, aber der Alltag macht mich regelmäßig schwach. «Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu», hat Ödön von Horváth mal gesagt, und es stimmt: Die Feministin in mir wird ständig vom Leben überrumpelt und in die Knie gezwungen – und viel zu oft bemerke ich das erst im Nachhinein.

Wie paradox mein eigenes Verhalten ist, fällt mir immer häufiger auf: Ich bin eine Feministin, die den Gender Pay Gap, also die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern, beenden will, aber dankbar lächelt, wenn sie statt der überfälligen Gehaltserhöhung ein Kompliment für ihr «tolles Engagement» bekommt. Ich bin eine Feministin, die auf dem Weg zu einer Podiumsdiskussion über Körperakzeptanz mit großem Interesse eine Werbung für figurformende Unterwäsche studiert. Ich bin

Das geht so nicht weiter.

Es wird höchste Zeit, meinem Teilzeitfeminismus auf den Grund zu gehen. Geht das nur mir so – und woher kommt mein widersprüchliches Verhalten? Muss ich mit meiner Doppelmoral leben, oder habe ich zu hohe Ansprüche an mich selbst? Vielleicht muss ich auch den Begriff Feminismus freier denken. Oder mein Leben einer Kurskorrektur unterziehen. Finde ich einen Schuldigen, dem ich mein Dilemma in die Schuhe schieben kann – der Biologie, meiner Erziehung, dem Patriarchat? Oder bin ich beides: «Halb Opfer, halb Mitschuldige, wie wir alle», wie Simone de Beauvoir ihren Lebensmenschen Jean-Paul Sartre zitiert?[1]

Ich lebe in einem Land, in dem die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert ist, ich kann eigentlich kein ohnmächtiges Opfer der äußeren Umstände sein, wir Frauen müssten unser Leben doch frei gestalten können! Dennoch hat die traditionelle Rollenverteilung hierzulande nach wie vor Hochkonjunktur, das zeigen nicht nur die Statistiken. Für diese Erkenntnis genügt ein Blick in Vorstandsgremien (überwiegend Männer) und auf Kinderspielplätze (überwiegend Frauen). Schwer zu glauben, dass diese Aufgabenverteilung ausschließlich freiwillig vonstattengegangen ist.

Einer der berühmtesten Sätze von Simone de Beauvoir lautet: «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.»[2] Das Zitat wird häufig falsch wiedergegeben, wie auch Margarete Stokowski in Untenrum frei erklärt.[3] Viel zu oft heißt es: «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.» Das ist ein großer Unterschied: Werden wir von unserer Umwelt, von unserer Gesellschaft zu Frauen gemacht, sind wir wehrlose Objekte, denen eine Zwangsjacke mit der Aufschrift «Frau» verpasst wird, aus der wir uns nicht mehr befreien können? De Beauvoir schrieb 1949 in ihrem Grundlagenwerk Das andere Geschlecht: «On ne naît pas femme: on le devient», also man «wird» zur Frau, nicht, «man wird dazu gemacht». «Devenir» ist ein aktives Verb, kein passives. Wir Frauen haben dem Zitat zufolge also einen aktiven Anteil an diesem Prozess – aber wie groß ist der?

Ich möchte wissen, wie ich zur Teilzeitfeministin wurde und warum ich es bis heute nicht immer schaffe, gleichberechtigt zu leben, zu denken und zu handeln.

Mein Leben als Teilzeitfeministin

Ich kann nur meine persönliche Geschichte erzählen, es ist keine dramatische: Sie handelt weder vom Aufstieg aus prekären Verhältnissen noch von systematischer Unterdrückung

Ich hatte mir das gleichberechtigte Leben als emanzipierte Frau deutlich einfacher vorgestellt. Einige Fallen habe ich mir selbst gestellt, in andere bin ich nichtsahnend hineingestolpert. Ich bin nicht so frei, wie ich dachte, und in dunklen Stunden

Ich bin neidisch auf das Klonschaf Dolly. Ich möchte eine Kopie von mir erstellen lassen, mit der ich mir mein Leben aufteile. Eine Sekunde später denke ich: «Meine Güte, stell dich nicht so an, es ist nur Wäsche – und du willst von den Kindern schließlich auch etwas mitkriegen.»

Wenn ich mich heute umschaue, merke ich, dass ich nicht allein bin mit diesem Gefühlsdilemma. Ich sehe abgekämpfte Frauen, die jeden Tag aufs Neue versuchen, ihre Position zwischen Kindern, Küche und Karriere zu finden und dabei Kompromisse eingehen. Sie alle sind oft müde, manchmal schlecht gelaunt und haben fast immer das Gefühl, nicht zu genügen.

Sie alle ringen im Alltag immer wieder um Zuständigkeiten im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung. Bei solchen vermeintlichen Kleinigkeiten geht es um nichts Geringeres als um Machtverhältnisse, die ununterbrochen neu ausgelotet werden müssen. Die Corona-Pandemie hat sichtbar gemacht, was viele Frauen seit Jahren geahnt haben: Wir sind längst nicht so gleichberechtigt, wie wir es uns gern einreden. Und auch wenn wir uns als Feministinnen bezeichnen, sieht unser Alltag oft nicht sonderlich gleichberechtigt aus. Sagte ich schon, dass wir erschöpft sind?

Seit ich Mutter bin, schlägt mein Teilzeitfeminismus immer häufiger zu: Ich will meinen Sohn zu einem sanftmütigen,

Wenn mein Schreibtisch zu voll ist, führe ich am Wochenende ein Leben als 50er-Jahre-Mann, ich verkrieche mich hinter dem Rechner und genieße die Arbeitsteilung: Ich höre Töpfe und Pfannen im Hintergrund scheppern, werde von meinem Mann zum Essen gerufen, sehe die Kinder für einen entspannten Moment – und dann ist auch gut. Ich streiche ihnen liebevoll über die Köpfchen und lasse das Küchenchaos hinter mir. Am liebsten würde ich mir zurück am Schreibtisch wie Don Draper in Mad Men eine Zigarre anstecken und einen Drink einschenken, während ich denke: Kein Wunder, dass so viele Männer sich gegen die Gleichberechtigung wehren. Mein Leben könnte ewig so weitergehen – das Patriarchat ist super! Zumindest, sofern man auf der richtigen Seite sitzt … Hoppla, das ist ja nun auch alles andere als ein feministischer Gedanke. Als Feministin will ich doch nicht, dass wir die Rollen umkehren, sondern dass Männer und Frauen sich beruflich und privat auf Augenhöhe begegnen und sowohl Erziehungsarbeit als auch alle anderen Verantwortlichkeiten gerecht untereinander aufteilen.

Aber anstatt genau das zu Hause umzusetzen, nehme ich beim ersten Kind die längere Elternzeit und heule Rotz und Wasser, als die Kitatür zum ersten Mal hinter meinem Sohn ins Schloss fällt – was bitte soll das? Ich bin so froh, endlich wieder arbeiten zu können – und rolle gleichzeitig das schlechte

Wenn ich Ablenkung brauche, krame ich eine alte Sex-and-the-City-Staffel hervor und hoffe, dass Carrie und Mr. Big endlich wieder zusammenkommen. Geht’s noch? Es mag ja in den 90er Jahren revolutionär oder gar feministisch gewesen sein, dass Frauen nicht nur offen über Sex reden, sondern sich ihn auch nehmen, wenn ihnen danach ist. Aber letztlich ging es in dieser Serie doch darum, dass die Heldin den Mann fürs Leben findet und währenddessen unzählige Designerklamotten anhäuft. Warum fühlt sich das ewige Geschnatter über Liebe in Kombination mit diesen Bildern trotzdem so gut an? Oder will ich nur rauskriegen, wie man sich mit dem Schreiben einer Sexkolumne ein Apartment in New York, unzählige Restaurantbesuche und Unmengen überteuerter Schuhe leisten kann? Die Feministin in mir hat sich offensichtlich mal wieder hinter dem Sofa verkrochen, womöglich will sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich kann es ihr nicht verdenken.

Um zu verstehen, warum ich so bin, wie ich bin, muss ich nur ein, zwei Generationen zurückgehen. Wir Kinder der 60er, 70er und 80er Jahre wurden von Frauen erzogen, denen klare Rollen zugewiesen wurden, die sie begannen, in Frage zu stellen. Unsere Mütter fingen an, für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen, und verzweifelten daran gelegentlich. Einige von ihnen hatten bereits Männer, die kochen konnten oder sogar den Kinderwagen schoben – das war in den 70er und 80er Jahren etwas Besonderes. In unserem ostfriesischen Landstrich wurde nur der Klavierlehrer meiner Schwester mit einem Kinderwagen gesichtet, und das sorgte Mitte der 80er Jahre im Dorf für mehr Aufregung als die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Blicken wir zurück in diese Zeit, in der meine Prägung begann.

Mein Sexismus-Studium

Noch bevor ich zur Schule kam, begann ich, Sexismus zu studieren. Dafür musste ich mich nicht anstrengen, sondern einfach meine natürliche Umgebung beobachten. In meinem kleinen ostfriesischen Heimatdorf wurde das Patriarchat gelebt, und keiner kam auch nur ansatzweise auf die Idee, es anzuzweifeln. Hier lebten alle erwachsenen Frauen entweder das Modell Hausfrau oder das bis heute sehr beliebte Modell «Mutti verdient was dazu, ist aber trotzdem Hausfrau». Wir werden später beleuchten, was sich daran wirklich geändert hat. Dass Frauen zum Beispiel die alleinige Verantwortung für das leibliche Wohl aller hatten, war eine Selbstverständlichkeit. Am besten lässt sich das an unseren vielen Familienfesten beschreiben: Unzählige Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen sitzen im Wohnzimmer meiner Oma, und es gibt ununterbrochen etwas zu essen: mittags riesige Fleischplatten, dazu Rotkohl und Kartoffeln, danach Tee und eine Kuchenauswahl, die jeden Konditormeister demütig stimmen würde (schließlich brachte jede Frau eine mehrstöckige selbstgebackene Torte mit). Direkt im Anschluss gab es Knabbereien und den ersten Alkohol, damit bis zum Abendbrot nur kein kleiner Hunger entstand. Zum krönenden Abschluss bergeweise Schnittchen, die mit der Rechtfertigung «Wir müssen doch die Landwirtschaft unterstützen» mehr als großzügig belegt worden waren.

Und was taten die Männer in dieser Zeit? Sie saßen. Und saßen. Und redeten. Und saßen. Gelegentlich standen sie auf, um zur Toilette zu gehen, aber noch lieber verrichteten sie ihre Notdurft draußen. Warum? Es ist mir schleierhaft. Mir fällt nur ein Grund ein: Sie taten es, weil sie es konnten.

Ich erinnere mich bis heute lebhaft an den Tag, an dem es meiner Mutter zu bunt wurde und sie nicht länger bereit war, nach jedem Familienfest in einem vollgepinkelten Vorgarten zu stehen. Nachdem alle Gäste das Haus für die Geburtstagsfeier betreten hatten, schloss sie kurzerhand die Haustür ab, und siehe da – die Männer fanden ganz allein den Weg zur Toilette.

Doch zurück zu der großen Tafel, die ununterbrochen geleert und wieder befüllt wurde. Eine Szene hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt: Eine meiner Tanten beugt sich weit über den riesigen Tisch, um an die winzige Teetasse ihres Mannes zu gelangen, in der einen Hand hält sie die Kanne, mit der anderen mühsam ihr Gleichgewicht. Für ihren Mann wäre es ein Leichtes gewesen, ihr zu helfen, eine kleine Armbewegung hätte genügt, um ihr die Tasse entgegenzuschieben – gut, vielleicht hätte er sich ein kleines bisschen vorbeugen müssen. Doch er tat es nicht. Er sah seelenruhig und tief im Sofa versunken zu, wie sie sich abmühte und fast den Arm auskugelte, endlich an seine Tasse kam, sie mit Kluntjes – das ostfriesische Wort für Kandis – befüllte, ihm frischen Tee einschenkte, Sahne dazugoss und das fertige Gesamtkunstwerk erneut unter großen

Jüngere Generationen und auch Zeitgenoss*innen erklären mich an dieser Stelle womöglich für hysterisch, ältere halten dagegen, dass die armen Männer, die sich damals am Sonntag bedienen ließen, die ganze Woche über hart gearbeitet hatten, während Sigmund Freud mir hämisch «Siehste, doch Penisneid!» zuruft.

Doch ich spürte anhand dieser ausbleibenden Hilfsbereitschaft, dass Frauen und Männer hier nicht gleichberechtigt zusammenlebten, dass man sich nicht gegenseitig unterstützte, dass die Wertschätzung für das weibliche Geschlecht fehlte und es zwei Lager gab. Und ich hockte mittendrin, wäre lieber sitzen geblieben im Zigarettendunst der Männer, um ein paar zotigen Anekdoten zu lauschen und etwas über die Welt da draußen zu

Bin ich eine Feministin, die insgeheim glaubt, dass Jungen etwas Besseres sind? Nein, das kann ich ausschließen, eher bin ich zur Feministin geworden, weil mich die von mir empfundene Ungleichbehandlung von klein auf beschäftigt hat.

Bin ich eine Feministin, die davon überzeugt ist, dass ihr natürlicher Lebensraum die Küche ist? Natürlich nicht, aber ich fühle mich bis heute verantwortlicher für das, was auf den Tisch kommt, als mir lieb ist.

Ich frage mich rückblickend, ob sich mir die Teetassen-Szene auch als Junge derart ins Gedächtnis gebrannt oder ob ich sie als Selbstverständlichkeit hingenommen hätte.

Kinder identifizieren sich ab einem Alter von ca. vier Jahren mit dem eigenen Geschlecht. Sie wissen zu diesem Zeitpunkt in der der Regel, welchem Geschlecht sie selbst angehören, sie beobachten das Handeln der Männer und Frauen und ziehen daraus ihre Schlüsse. Insbesondere mit Hilfe der Vorbilder aus der Familie entsteht ihre erste Geschlechteridentität, darüber hinaus identifizieren sie sich mit gleichgeschlechtlichen Personen aus ihrem näheren Umfeld. Darum beobachtete ich die Frauen so genau, während meine Cousins sie vermutlich kaum wahrgenommen haben – es sei denn, sie hatten Hunger.

Es wird Zeit herausfinden, wieso ich als Feministin in den


Wer braucht ihn – und wenn ja, wie viel?

Natürlich möchte ich eine gute Feministin sein, auch wenn die meisten Männer bei dem F-Wort noch immer gucken, als würde man sie gleich ohne Betäubung kastrieren, und selbst viele Frauen – und darunter ausgerechnet prominente und einflussreiche – sich äußerst schwertun mit dem Begriff. Wer den Feminismus als etwas Gestriges abtut, sollte bedenken, dass das Patriarchat seit Jahrtausenden unseren Alltag bestimmt hat und das noch immer macht. Frauen wurden unterdrückt, misshandelt und für geisteskrank erklärt, sobald sie aus Männersicht zu aufmüpfig wurden. Wer denkt, dass Feminismus überflüssig ist, sollte sich einfach mal seine eigene Familie vor Augen führen: Meine Urgroßmütter durften nicht wählen, meine Großmütter weder allein Auto fahren noch ein Bankkonto eröffnen, und als meine Mutter heiratete, galt noch die sogenannte Hausfrauenehe, die sie gesetzlich zur Haushaltsführung verpflichtete. Nur mit dem Einverständnis meines Vaters hätte sie einen Beruf ausüben dürfen, und das auch nur, solange sie dabei ihre «familiären Pflichten» nicht vernachlässigt hätte. Wäre ich bereits als 20-Jährige den Bund der Ehe eingegangen, hätte mein Mann sich jederzeit gegen meinen Willen straffrei an mir vergehen können – schließlich ist die Vergewaltigung in der Ehe hierzulande erst seit 1997 strafbar.

Von den Frauen, die an dieser Stelle genervt mit den Augen rollen, wüsste ich gern, auf was sie lieber verzichten würden: den Führerschein? Oder doch das Wahlrecht? Das eigene Konto? Den Job? Würden sie sich lieber von Wochenbett zu Wochenbett hangeln oder als einsame Jungfer bezeichnet werden und darauf hoffen, dass die zuppelige Verwandtschaft sie durchfüttert, weil sich kein Mann erbarmt hat, sie «wegzuheiraten»?

Haben Sie eine Vagina?

Aber worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Feminismus reden? Der Feminismus als politische und gesellschaftliche Bewegung ist zwar schon über 200 Jahre alt, aber er hat bis heute ein Imageproblem, noch immer klingt er «unrasiert und ungebumst»[1], wie Carolin Kebekus bereits 2016 diagnostizierte. Mal abgesehen davon – was ist das Problem an Frauen, die weder rasiert sind noch Sex haben? Aber das ist ein anderes Thema …

Bis heute wird Feministinnen gelegentlich unterstellt, das andere Geschlecht zu hassen – und die einfacher gestrickten Männer nehmen diese irre Annahme als Rechtfertigung dafür, im Umkehrschluss feministische Frauen zu hassen. Oder gleich alle Frauen, dann verliert man nicht so schnell den Überblick. Die Klügeren dagegen argumentieren: «Eine Frau wie du hängt heutzutage doch keinem ‹-ismus› an, als starkes Individuum brauchst du kein Label und keine Bewegung!» Ein spannender

«Die Männer prangern lauthals soziale und rassistische Ungerechtigkeiten an, aber wenn es um männliche Dominanz geht, sind sie nachsichtig und verständnisvoll»[2], schreibt die französische Schriftstellerin Virginie Despentes in King Kong Theorie. Das ist wahr, und sobald es um das Thema Gleichberechtigung geht, hören wir immer wieder aus den vorderen Männerreihen: Es ist doch schon so viel passiert … – was wollt ihr denn noch? Und – zack! – ist das Thema für Männer vom Tisch, möge doch bitte alles so weitergehen wie bisher. Reicht doch.

Eine Trendwende ist zu erkennen, aber sie beschränkt sich eher auf junge gebildete Frauen in Großstädten. Hier ist der Feminismus cool oder hip, spätestens seit Stars wie Beyoncé, Lady Gaga oder Emma Watson sich dazu bekennen. Sogar die Modewelt hat feministische Botschaften für sich entdeckt. Markige Sprüche wie «We should all be feminists» werden auf Kleidung gedruckt – und die bekennende Feministin darf bei Dior schlappe 620 Euro dafür hinblättern, kann diese Botschaft aber auch günstig bei gängigen Modeketten erstehen.

Aber Moment, wie feministisch geht es dabei eigentlich hinter den Kulissen zu? Kann eine Frau sichergehen, dass für ihr modisches Statement keine Geschlechtsgenossin in einer Textilfabrik am anderen Ende der Welt ausgebeutet wurde? Und durfte das Model den Luxuslabel-Laufsteg womöglich nur erklimmen, weil sie Wochen vorher keine feste Nahrung zu sich genommen hat, um dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen? Feminismus ist gelegentlich kompliziert.

Aber woher stammt der Begriff überhaupt? Ausgerechnet ein Mann soll ihn erfunden haben: Charles Fourier, ein französischer Sozialist. Im Jahr 1837 kam ihm diese Erleuchtung, die

Bestimmt haben die Frauen Monsieur Fourier damals sämtliche Türen eingerannt, doch dieses Prachtexemplar von einem Mann weigerte sich zu heiraten, weil eine Ehe seiner Meinung nach die Rechte der Frauen mit Füßen treten würde. «Where’s Charles Fourier on Tinder, when you need him?»[4], fragt die britische Comedienne Deborah Frances-White völlig zu Recht.

Ziehen wir die britische Journalistin Caitlin Moran zu Rate, um uns dem modernen Feminismusbegriff zu nähern. Sie gibt ihren Leser*innen in ihrem Buch How to be a Woman einen einfachen Test an die Hand:

«Erforschen Sie mit der Hand das Innere Ihrer Unterhose, und beantworten Sie die folgenden Fragen:

a) Haben Sie eine Vagina?

b) Möchten Sie selbst über sie bestimmen?

Sie haben beide Fragen mit ‹Ja› beantwortet? Herzlichen Glückwunsch! Sie sind eine Feministin!»[5]

Leider bleiben alle anderen Geschlechter und Gender bei diesem Test außen vor, und es scheint Männern selbst heute noch leichter zu fallen, sich als schwul zu outen als lauthals zu sagen: «Ich bin Feminist!» Wenn sie es doch tun, sind sie entweder ein gut aussehender kanadischer Premierminister oder schieben schnell eine persönliche Erklärung hinterher. Der Moderator Nils Bokelberg bekannte 2017 in der Zeit, Feminist geworden zu sein, als seine Tochter 16 Jahre alt wurde: «Auf dem Geburtstag meiner Tochter, als ihre Eigenständigkeit auf einmal so nahe rückte, wurde mir schlagartig klar: Was dieser Gesellschaft

Kreisen wir den Feminismusbegriff also weiter ein und blicken dafür auf eine weibliche Ikone der Frauenbewegung. Die US-amerikanische Frauenrechtlerin Gloria Steinem arbeitete 1963 drei Wochen lang als Playboyhäschen in einem New Yorker Playboy-Club. Sie war im Gegensatz zu mir allerdings keine Teilzeitfeministin, sondern hat dort als investigative Journalistin die Arbeitsbedingungen der angestellten Frauen recherchiert. Sie startete ihre Karriere als Feministin also als eine Art Günther Wallraff mit Puschelschwänzchen und setzt sich seit dieser entwürdigenden Erfahrung für die Gleichberechtigung von Frauen ein. Aus ihrem Mund klingt die Sache mit dem Feminismus ganz einfach: «Ein Feminist ist jeder, der die Gleichheit und Menschlichkeit von Frauen und Männern anerkennt.» Geht doch. Dieser Satz könnte in seiner Klarheit der ganzen Debatte die Aufregung nehmen – aber so leicht scheint es nicht zu sein.

Vielleicht sollten wir die Sache noch einfacher auf das deutsche Grundgesetz herunterbrechen, Artikel 3 Absatz 2. Dort heißt es: «Männer und Frauen sind gleichberechtigt.»

Warum löst dieser Gleichberechtigungsgedanke so viel Hass aus? Leider sind nicht nur die Fronten verhärtet, sondern auch die Denkstrukturen in unseren Köpfen verkrustet, in den männlichen wie den weiblichen. Wären wir nur alle ein bisschen queer.