Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2018
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Umschlaggestaltung ZERO Media GmbH, München
Umschlagabbildung FinePic, München
Graphiken Johannes Hayers
Cartoons Mia L. Meier
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ISBN Printausgabe 978-3-499-63368-3 (1. Auflage 2018)
ISBN E-Book 978-3-644-40400-7
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-40400-7
Wer jetzt glaubt, die Gutenachtgeschichte oben sei komplett ausgedacht, der hat recht. Natürlich läuft so etwas subtiler ab. Wie genau, das dürfen wir in diesem Buch nicht schreiben. Weil der Rowohlt-Verlag, das wissen doch alle, der steckt unter einer Decke mit der Süßigkeitenind… aber pssst … das dürfen wir nicht verraten. Und wenn, dann würden wir es nur guten Freunden verraten. Denn mit guten Freunden teilt man Geheimnisse und gibt ihnen auch mal ein Ferrerororo-Küsschen.
Und auch nie warst, liebe Frida, wie wir jetzt von deiner Schwester erfahren haben. Hase hört sich ja so nach freier Wildbahn und Langstrecke an. Aber wenn wir unserer Informantin trauen dürfen, warst du mehr so ein Gartenkarnickel.
Ella Fitzgerald
F. Scott Fitzgerald
Wer neugierig geworden ist, kann das in dem Buch Du bist viel schöner, wenn ich recht habe nachlesen.
Vorwort
FIT INS LEBEN
Putzmunter gegen Zähneputzen
Das neue Handy, schon wieder
Magisches Mäcces
Begabtes Bummeln
Hobby und Schreizeit
Geh weg, Gemüse!
My room is my castle
Ungestört telefonieren?
Kinder und Haustiere
Volle Konzentration
Süße Wünsche
Kleiner Säufer
Heiß auf Junk Food
Ernährung: Ratgeber ohne Ratnehmer
Marihuana
Grundnahrungsmittel Schokolade
Lass laufen!
Helm auf!
Rauchzeichen
Das Bewegungslosprofil
Nur ein paar Drinks
Gesundes Frühstück
BUNTES BENEHMEN
Notlüge ohne Not
Tischmanieren
Motzkopf
Langfinger im Haus
Rotzfrech
Brülläffchen
Fremdschämen
Geschenke
Ich will! Ich will! Ich will!
Die doofe Schwester
Lügen und Betrügen
Hip-Hop-Schlampe
Blödes Beleidigen
Zu laut!!!
FAULE FRÜCHTCHEN
Taxi Mama 1
Taxi Mama 2
Mahlzeit, mal keine Zeit
Dem Schimmel so nah
Lola pennt
Der Fall Abfall
Ein Leben lang zu spät
Schlaf der Ungerechten
Trödeln
Kinderarbeit
Wo ist mein …?
Mamaaaaa!
WENN DU MAL GROSS BIST
Geld ist wie Karnickel
Weit und breit Geschwisterstreit
Das dumme Telefon, 1
Das dumme Telefon, 2
Der Vogel des Jahres: Schmierfink
Schulschwänzer
Die kleine Trümmerfrau
Da kannst du lange warten!
Wo ist Schnuffel?
Tag der offenen Tür
Schau heimwärts, Engel
Tiere töten? Nein!
Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist schon wieder passiert, und es ist grausam: Einhörner schlagen Pädagogen! Denn so leid es uns für die Pädagogen tut, bei der Auswahl der Erziehungstricks für dieses Buch kommen wieder nur Eltern und ihre Kinder zu Wort. Wie bitte? Ganz normale Eltern? Ja. Und dazu auch noch Eltern, die nicht einmal alle verfügbaren Erziehungsratgeber gelesen haben? Ja. Sie erzählen einfach so, mit welchen Tricks sie ihre Kinder erziehen? Ja. Okay, nein. Einfach so, das stimmt nicht. Es war auch dieses Mal nicht immer ganz einfach, sie dazu zu bewegen. Denn noch immer sorgen sich viele Eltern, sie könnten durch ihre unkonventionellen Methoden den pädagogischen Volkszorn entfachen. Nur nach stetigem guten Zureden und vor allem stetigem Zuprosten vertrauten sie uns ihre besten Tricks an. Und mit die «besten» sind nicht immer die pädagogisch wertvollen Tricks gemeint. Es sind die ungewöhnlichen, teilweise unglaublichen, hinterhältigen, kreativen, originellen, unmoralischen, listigen, aber vor allem lustigen Tricks. Nein, auch dieses Buch ist kein seriöser Ratgeber, aber auch dieses Buch ist eine liebevolle Bitte: «Nehmen Sie Ihr Kind mal wieder auf den Arm!»
Wir wünschen Ihnen verboten viel Vergnügen bei den nicht ganz legalen Erziehungstricks.
Johannes Hayers & Mia L. Meier
Wer Menschen danach fragt, was für sie Glück bedeutet, der erhält nicht selten die Antwort: Das Lächeln eines Kindes. Vera kann das bestätigen: «Wenn meine Tochter sich mal wieder weigert, ihre Zähne zu putzen und dann lächelnd ausatmet, fall ich von dem Duft ohnmächtig hintenüber. Und wenn ich mir dabei nicht den Kopf anschlage, hab ich Glück gehabt.» Veras sechsjährige Tochter Lina hält regelmäßiges Zähne putzen für total überbewertet. Den eigenen Atem riecht sie nicht, und beim Blick in den Spiegel kann sie ihren blinkenden Beißerchen nur eine Note geben: Eins plus mit Sternchen. Vera wird klar, dass Logik und Pädagogik nicht die besten Kumpel sind, wenn ihre liebe Tochter das Zähneputzen mit genau dem Lächeln verweigert, das sie dem Zähneputzen verdankt.
Vera: «Lina, du musst dir die Zähne putzen.»
Lina, lächelnd: «Nein.»
Vera: «Lina, du bekommst Karies.»
Lina: «Nein, danke.»
Vera: «Nein danke? Das kann man sich nicht aussuchen, Karies bekommt man einfach.»
Lina: «Wir müssen ja die Tür nicht aufmachen.»
Vera: «Wann?»
Lina: «Wenn Karies gebracht wird.»
Vera: «Karies wird nicht gebracht.»
Lina: «Dann ist ja gut.»
Vera: «Nein, dann ist nicht gut. Karies bekommt man so oder so.»
Lina: «Ja, aber dann brauche ich doch auch nicht zu putzen!»
Vera: «Lina, wenn du jetzt nicht putzt, dann bekommst du bald Löcher in den Zähnen.»
Lina: «Wozu?»
Vera: «Wozu? Na, wozu die Löcher sind, weiß ich auch nicht.»
Lina: «Oh, aber ich weiß es! Das ist so wie beim Käse.»
Vera: «Ja?»
Lina: «Ja, da ist der gute Geschmack um die Löcher drum herum.»
Vera: «Nein, das schmeckt überhaupt nicht gut, und es riecht schlecht.»
Lina: «Dann will ich keine Löcher.»
Vera: «Sehr gut, dann putz dir jetzt die Zähne!»
Lina: «Nein, danke.»
Vera: «Willst du dir wirklich nicht die Zähne putzen?»
Lina: «Nein, danke.»
Vera: «Nein, danke? Immer nur nein danke? Eines Tages stehst du vorm Traualtar, du lächelst den Bräutigam ohne Zähne an, und weißt du, was der dann sagt?»
Lina, lächelnd: «Nein, danke?»
Vera: «Genau.»
Lina: «Mama?»
Vera: «Ja.»
Lina: «Was ist ein Bräu-Tiger?»
Vera: «Ein Bräu-Tiger? Das ist jemand, der mit einem Bier in der Hand länger auf dem Sofa sitzen kann als unsere Katze.»
Lina, begeistert: «Papa!»
Vera: «Äh … richtig.»
Lina: «Mama, dann hat Papa dich wegen deiner schönen Zähne geheiratet?»
Vera: «Ja, das hat er.»
Lina: «Ah, Gott sei Dank hat er dich genommen. Überleg mal, mit Karies wärst du noch immer alleine.»
Vera: «Na ja, ich …»
Lina: «Aber ich nicht, ich bleib nicht allein. Papa hat gesagt, eine wie ich muss sich nicht aufs Aussehen verlassen, denn ich hab auch was im Köpfchen.»
Vera: «Ähhh …»
Von Vera (34), Medizinische Assistentin, für ihre Tochter Lina (6)
Vera durchstöbert den Laden ihrer Freundin Mara, einen Laden für Karnevals- und Halloweenartikel. Sie erzählt Mara, dass ihre Tochter wohl denkt, ihr Papa habe eine hohle Nuss geheiratet und Karies werde an die Tür gebracht. Da fällt ihr Blick auf ein richtig fieses Gebiss mit schiefen, gelben und braunen Zähnen. Mara schaut sich das Gebiss an und hat eine glänzende Idee.
Der nächste Tag. Vera und Lina kommen gerade vom Kindergarten nach Hause, da klingelt es an der Tür. «Machst du mal auf, Schatz?», ruft Vera. Lina öffnet die Tür. Ein hübsches Mädchen, ungefähr 14 Jahre alt, steht vor ihr und hält ein Paket in der Hand. Vera kommt hinzu: «Aha, das Paket ist da.» Lina lächelt das Mädchen an. Das Mädchen lächelt zurück. «Uaaaah!», brüllt Lina: «Was hast du denn für Zähne?»
«Aber so etwas sagt man doch nicht, Lina, das ist sehr unhöflich», meint Vera, die das Paket entgegennimmt. Das junge Mädchen mit dem fiesen Gebiss geht auf Lina zu, die sich angeekelt abwendet. «Tja, Lina, ich habe solche Zähne, weil ich sie mir früher zu selten geputzt habe. Heute putze ich sie mir täglich drei Mal.» Sie spreizt den Mund so, dass Lina das ganze schauerliche Gebiss sehen kann. «Aber heute ist es zu spät. Leider. Tschüs!» Dann macht sie kehrt und verschwindet. Vera hat die Tür hinter Maras Nichte noch nicht ganz geschlossen, da sprintet Lina ins Badezimmer, reißt die Zahnbürste mit Becher aus der Halterung, knallt drei Finger dick Zahnpasta drauf und putzt sich so leidenschaftlich die Zähne, dass ihr Mund aussieht, als hätte sie einen Eimer Sahne ausgeschleckt.
Wenn Lina jetzt ihre Mutter anlächelt, fällt Vera nicht mehr hintenüber. Sie lächelt zurück. Und das kann doch nun wirklich auch eine Quelle des Glücks sein: das Lächeln einer Mutter.
Anjas 15-jähriger Sohn Mattis ist ein Vorzeigekonsument, den so schnell nichts und niemand vom Kauf des neusten Handys abhalten kann. «Er ist der Held des Konsums», meint Anja und ist sich sicher, dass in nicht allzu ferner Zukunft eine Bronzestatue ihres Sohnes mit diesem Titel das Foyer irgendeines Handykonzerns schmücken wird. Das neueste Handy ist aber nicht immer das beste, sondern meistens nur eins: das teuerste. Für das, was das neue Modell dieses Mal kostet, könnte Anja tatsächlich eine lebensgroße Bronzestatue ihres Sohnes anfertigen lassen. Auf Anhieb fällt ihr kein guter Trick ein, um diese nutzlose Anschaffung zu verhindern und sie beschließt, erst mal eine Nacht darüber zu schlafen. Am nächsten Morgen breitet sich ein hoffnungsvolles Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sie die Zeitung aufschlägt …
Ja, richtig, es war nur ein Traum, denn Anja meint: «Beim kleinsten Schnupfen legt sich mein Sohn sofort ins Bett, aber gegen so einen Virus wäre er hundertprozentig immun.» Und jetzt? Was tun? Ihren Sohn mit Argumenten überzeugen? Das wäre eine nicht minder große Schlagzeile wert: «15-Jähriger von guten Argumenten überzeugt!» Nein, Mathis hört nur auf den örtlichen Handyverkäufer. Klar, der ist gerade mal Mitte 20, also fast noch ein Kind, und will ihrem Sohn immer «the hottest shit on earth» andrehen. Also stattet Anja dem kleinen Handydealer jetzt einen mafiapatenmäßigen Besuch ab. «Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann.»
Von Anja (43), Beamtin, für ihren Sohn Mathis (15)
Das letzte Handy von Mathis, genau wie das von Anja und ihrem Mann, wurde in diesem Handyladen geordert. Sie ist also Stammkundin und hat ein gutes Druckmittel, da muss sie dem Dealer nicht einmal mafiapatenmäßig die Beine brechen lassen. Nach einem kurzen, aber intensiven Gespräch mit dem Verkäufer fragt Anja: «So, fassen wir zusammen: Wenn mein Sohn hier alleine auftaucht oder ich mit ihm hierherkomme, dann sagen Sie was?» Der von Anja eingeschüchterte Verkäufer spult ihre Anweisung herunter: «Das neue Modell ist gar nicht so gut, das ältere ist besser. Das neue wird im Moment extrem in den Markt gepusht, das ist reine Marketingstrategie, hat nichts mit der Qualität zu tun.»
«Gut, junger Mann. Und warum haben Sie selbst das neue?»
«Weil man uns dazu zwingt? Marketingstrategie und so?»
«Richtig! Der Kandidat hat 100 Punkte.»
Hat sich der Handyverkäufer wirklich darauf eingelassen? Klar. Erstens hat er Angst vor Anja – sie kommt jeden Tag an seinem Laden vorbei, und ihr Blick sagt eindeutig: «Bursche, wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann …» – und zweitens verbaut er sich sonst das weitere Handygeschäft mit der ganzen Familie. Und so bekommt Mathis dieses Mal nur das zweitneuste Handy und ist trotzdem zufrieden. Denn er hat geiles Insiderwissen: «Das neue ist gar nicht so gut, das ist reines Marketing.»
Na also! Und wenn dieser Trick sich jetzt wie ein Virus verbreiten würde, dann … oh, Entschuldigung, kurze Pause, das Telefon klingelt: «Ja? Wer ist dort? Das Wirtschaftsministerium? Bitte? Diesen Trick nicht veröffentlichen? Sonst bekommen wir was? Aha, spezielle Präparate unserer Pharmaindustrie. Kostenlos? Oh, das ist aber nett, dass Sie uns kostenlos … Ob wir gerne zu Fuß gehen? Ja, schon … Ob wir das auch weiterhin tun wollen? Oh, Moment, ja jetzt … ja, jetzt verstehen wir, was Sie meinen. Bitte? Ja, Ihnen auch einen schönen Tag. Bitte? Ja, wir hoffen auch, dass es nicht unser letzter ist. Auf Wiederhören.»
«Und wenn du ganz brav bist, dann gehen wir morgen zu McDonald’s.» Anne versteht diesen Satz ihrer Freundin Ellen überhaupt nicht. «Ellen, wieso muss dein Sohn Junk Food essen? Und wieso verkaufst du ihm das als Belohnung? Das ist ja voll abartig!» Ellen wiederum versteht Anne nicht: «Aber Tim liebt es, dort essen zu gehen.»
«So scheiße kochst du doch gar nicht. Versteh ich nicht.»
«Er findet das halt toll, was soll ich machen?»
«Ja, er findet das toll, weil die Werbung ihn darauf heißmacht und weil sie die Blagen mit Spielzeug als Beigabe süchtig machen wollen. Das sollte man aber nicht auch noch unterstützen.»
«Ja, ja, du bist mal wieder die Supermutti. Wie machst du das denn bei Fiona und Caroline?»
«Weiß ich noch nicht. Sie dürfen da nicht hin.»
«Das kannst du gar nicht kontrollieren. Spätestens in einem Jahr sitzen die da jedes Wochenende. Was willst du dagegen tun?»
«Keine Ahnung. Ich gehe mit hin und kotze ihnen auf die Teller. Vielleicht so?»
«Ja, das klingt vernünftig. Könnte funktionieren.»
Als wir mit Anne sprechen, hat sie ziemlich starke Ausdrücke für die manipulativen Methoden der Fast-Food-Industrie übrig, die wir hier aus Jugendschutzgründen nicht wiedergeben können. Dazu muss man wissen, dass Annes Charakter mit dem Wort «impulsiv» nur sehr unzureichend beschrieben ist. Trotzdem ist sie in der Lage, einem ausgeklügelten Plan zu folgen, um ihre Kinder zumindest vorerst von Fast-Food-Ketten (andere sind in ihren Augen genauso schlimm, wenn nicht schlimmer, das müssen wir an dieser Stelle erwähnen) abzuhalten.
Von Anne (40) und Nils (42), Personalberaterin und Arzt, für ihre Töchter Fiona (8) und Caroline (6)
Anne macht genau das Gegenteil ihrer Freundin Ellen. Sie gibt ihren Kindern zu verstehen, dass ein Besuch bei der fiesen Schnellfutterabfertigung eben keine Belohnung darstellt. Statt Samstagmittag zu kochen, sagt sie: «Ach, Kinder, heute hab ich keine Zeit, etwas Vernünftiges zu kochen. Tut mir leid. Heute müssen wir mal schnell zu McDonald’s oder so was. Ich weiß, das ist blöd, aber geht grad nicht anders.» Ihr Mann spielt mit und zieht eine Fleppe: «Ach, Mensch, das ist aber schade.» Das greift Tochter Fiona sofort auf und unterstützt ihre Mutter: «Ja, schade, aber Mama, wenn’s nicht anders geht, machen wir das.»
Genauso wie Caroline: «Ja, dann müssen wir mal in den sauberen Apfel beißen.»
«In den sauren Apfel», korrigiert Anne. «Das müssen wir wohl, obwohl: Obst gibt’s da leider auch nicht.»
Bei McDonald’s angekommen, beginnt Annes nächstes Manöver: «Die Einrichtung hier sieht aber billig aus. Sollen wir nicht doch lieber woanders essen?» Ihr Mann spielt den perfekten Gegenpart: «Ach, Schatz, ein Mal können wir das doch machen. Ist doch nicht schlimm.» Schon schauen auch die Kinder kritisch auf die Einrichtung. Und Anne ergänzt: «Ist nicht so gemütlich. Aber, Kinder, lasst euch die Laune nicht verderben. Was wollt ihr essen?»
Auch beim Blick auf die Menütafel lässt Anne sofort erkennen, was sie davon hält: «Was soll das sein: Chicken McNuggets? Ach, das ist Englisch. Kinder, das heißt übersetzt: Kleine Häppchen Hähnchenpampe. Oh, und das da? Ein Big Tasty Bacon? Auch Englisch. Das heißt auf Deutsch: Riesenfettschinken in trockenem Brötchen.» Mit gespielt guter Laune spricht sie ihre Kinder an: «So, wer will Häppchen Hähnchenpampe, und wer will Riesenfettschinken in trockenem Brötchen, na?» Erst jetzt fällt Anne der Blick des Angestellten hinter der Theke auf. «Äh, nichts für ungut, junger Mann. Sie machen Ihre Arbeit, und ich mache meine.» Ihr Mann hat sich in diesem Augenblick schon lachend weggedreht und ist keine Hilfe mehr. Tatsächlich schauen die beiden Kinder angesichts der deutschen Übersetzungen wenig überzeugt auf die Menüs.
«Ich weiß nicht, Mama. Ich nehm vielleicht die Pampe», meint Fiona.
«Ja, okay, die Pampe nehm ich auch», sagt Caroline.
Und so gehen dreimal Pampe und für den Papa einmal Riesenfettschinken mit trockenem Brötchen über die Theke. Am Tisch schaut Anne schon nach dem ersten Bissen drein, als müsste sie sich gleich den Finger in den Hals stecken, fragt aber ihre Kinder in fröhlichem Ton: «Na? Wie ist die Pampe?»
«Geht so.» Fiona und Caroline schieben sich die Nuggets eher widerwillig und mit viel Soße rein. Nur Nils hat seinen Burger schon verdrückt. «Ich hab’s schnell runtergewürgt. Ich weiß nicht, Anne, aber beim nächsten Mal gehen wir doch besser woanders hin, oder? Am besten schmeckt es natürlich zu Hause.»
«Ja, Mama, das stimmt, deine Pampe schmeckt viel besser!», ruft Caroline.
Und das ist doch mal wirklich ein wunderbares Kompliment.
Annes Trick hat funktioniert. Sie hat McDonald’s vor den Kindern nicht als etwas Verbotenes dargestellt, das so fraglos an Reiz gewinnt. Sie hat es auch nicht als Belohnung dargestellt. Sie hat es geschafft, Mäcces ziemlich alt aussehen zu lassen. Und wenn die Kinder irgendwann mal wieder ums Essen streiten, hört sie sich schon rufen: «Hört auf damit, sonst gehen wir wieder zu McDonald’s!»
Die Sinnesorgane unserer Kinder funktionieren auf höchstem Niveau. Kinder spüren unglaublich viel. So wie Raubtiere Angst wittern, wittern sie, wenn es jemand eilig hat. Spannen sich zum Beispiel die Stimmbänder des Vaters eine Spur zu stark an, wenn er sagt: «Wir müssen noch einkaufen fahren», oder nimmt er den Mantel einen Tick zu hastig von der Garderobe, bleiben sie trotzig liegen. Werden sie bewusst angetrieben, ist eh alles zu spät, dann verharren sie in Bummelstarre. Davon ist jedenfalls Björn überzeugt, der nur noch darauf wartet, dass seine Kinder von einer Wanderdüne überholt werden.
Auf einem Elternabend erzählt Björn von seinen langsamen Kindern und vor allem davon, wie lange sein Sohn braucht, um sich ins Auto zu setzen und anzuschnallen. Er erzählt das in der sicheren Annahme, alle anwesenden Eltern würden ihm von ihren Kindern Ähnliches berichten. Falsch gedacht. Offenbar sind andere Kinder besser erzogen. Das kann Björn gut verkraften. Die Art und Weise, wie ihm das gesagt wird, allerdings nicht so gut.
Hendrick: «Ich erkläre meinem Sohn einfach, dass wir es eilig haben. Er analysiert die Situation und versteht das sofort. Gut, vielleicht hat er im Gegensatz zu anderen eine überdurchschnittliche Auffassungsgabe, das kann natürlich sein.»
Aha, er will das Wort «hochbegabt» vermeiden, denkt Björn. Und was ist mit Elisabeth?
Elisabeth: «Wir machen diese Erfahrung nicht, Björn. Unsere Josefina ist immer sehr konzentriert. Wir denken, das kommt vom Musizieren. Sie spielt leidenschaftlich Oboe. Das täte deinem Sohn bestimmt auch gut.»
Mein Sohn Oboe? Und wie spielt man überhaupt leidenschaftlich Oboe?, fragt sich Björn, bei dem als Pop- und Rockmanager ein Film im Kopf abläuft, wie Josefina auf der Bühne vor tausend kreischenden Fans ihre Oboe kaputt schlägt. Aber eines hört Björn ganz klar heraus: Mein Kind ist besser als deins! Irgendwie fühlt sich Björn bei diesem Gespräch an seine Kindheit erinnert, wenn seine Freunde damit angaben, wer das beste Auto hat. Damals stachelte das Kartenspiel «Autoquartett» so etwas noch zusätzlich an. Und heute fragt sich Björn, ob diese Angeber-Eltern vielleicht etwas Ähnliches spielen: Kinderquartett.
Neu! Für Angeber-Eltern
KINDERQUARTETT
Von Björn (32), Musikmanager, für seinen Sohn Vitus (8)
Die anderen Kinder sind also superspitzewahnsinnstoll. Nur davon ist Björns Sohn auch nicht schneller im Auto. Vitus ist eigentlich nur ungeheuer schnell, wenn er sich für etwas begeistert. Und wofür begeistert er sich? Für Kriminalgeschichten. Ja, keine Angst, natürlich nur kindgerechte Kriminalgeschichten. Aber auch darin kommt schon mal ein Mörder vor.
Um seinen Trick vorzubereiten, konditioniert Björn seinen Sohn erst mal außerhalb des Autos. Immer wenn sie vor der geschlossenen Haustür stehen, sagt er zu Vitus mit gespielter Aufregung: «Was, wenn jetzt ein Mörder kommt? Dann müssten wir uns aber beeilen!»
«Oh ja, schnell, schnell, Papa», ruft Vitus, der begeistert mitspielt: «Schließ auf, der Mörder kommt!»
Björn spielt das nervöse Opfer und hantiert hastig mit den Schlüsseln.
«Los! Schnell!», ruft Vitus. Björn dreht den Schlüssel herum, beide stürmen ins Haus, schließen rasch die Tür hinter sich und rufen: «Geschafft!»
«Um das vorwegzunehmen», erklärt uns Björn: «Davon bekommt das Kind kein Trauma. Auch wenn ich damit Traumaverliebte, also Leute, die in den Begriff Trauma geradezu verschossen sind, enttäuschen muss. Ganz im Gegenteil: So eine Art von Stressübung kann sogar die Resilienz, also die Widerstandskraft, erhöhen. Im Sport gehört so etwas zum ganz normalen Stresstraining.»
Björn ist sich aber trotzdem darüber im Klaren, dass es sich hierbei um ein kleines manipulatives Täuschungsmanöver handelt. Sein Ziel ist es ja, seinen Sohn auch beim Einsteigen ins Auto schneller zu machen. Und das klappt: «Schnell, der Mörder kommt, wir müssen schnell einsteigen und losfahren!» Und – flupp! – hüpft Vitus ins Auto, schnallt sich an und ruft: «Er kommt! Fahr!» Und Björn braust davon. Würde er das auf dem Elternabend erzählen, wäre er dort für immer unten durch bei seinen «Elternfreunden». Eigentlich gefällt ihm dieser Gedanke aber ganz gut. Wir haben verstanden, Björn. Zwei Exemplare dieses Buches gehen gratis an Hendrick und Elisabeth. Aufklärung muss sein.
Wenn Babys auf die Welt kommen, schreien sie. Schreien sichert ihnen das Überleben. Nur so können sie sicher sein, immer und überall gehört zu werden. Die Natur hat es so eingerichtet, dass junge Menschen am lautesten und am längsten schreien können. Diese Fähigkeit nimmt mit dem Alter ab. Alte Menschen müssen sich schon etwas ausdenken, um überleben zu können, und nehmen auf Wanderungen Trillerpfeifen mit für den Fall, dass sie mit gebrochenem Bein im Wald liegen bleiben. Aber da sagt die Natur: Nö, das mit den Trillerpfeifen lassen wir mal, und macht die Alten vergesslich. Wer das jetzt liest und denkt: «Boah, diese Natur, die ist vielleicht grausam!», der hat recht. Es ist grausam, wenn man neben der kleinen schreienden Mila steht. Und warum schreit Mila? Vielleicht schreit sie so laut, weil ihre Ohren verstopft sind? Nein, natürlich hat ihre Mutter Helene sie beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt durchchecken lassen, aber der sagt nur: «Stabile Stimmbänder. Super!»