Herr Blunagalli hat kein Humor
Ein sprudelnder Italiener gefangen in Deutschland
Ich entschuldige mich schon jetzt, falls sich jemand in einer der Figuren dieses Buches wiedererkennen sollte; und ich möchte klarstellen, dass – mit wenigen Ausnahmen – Ähnlichkeiten mit Personen oder Situationen rein zufällig sind.
A. C.
Der Deutschen Bahn gewidmet, ohne die unser Leben sehr viel ereignisloser wäre.
Dies ist mein Tag.
Ein Sonntag, der auf einen Montag fällt. Er beginnt mit einem Telefonat. Endlich hat jemand gelesen, was ich geschrieben habe!
Ich lege auf und bin glücklich – genau wie damals in der Schule, wenn die Klassenarbeiten zurückgegeben wurden. Jeder Lehrer hatte dabei sein eigenes System – human, spannend oder extrem sadistisch.
Ich bin in Italien geboren und zur Schule gegangen. In Rom, Ende der sechziger Jahre, waren die Worte Schulreform und antiautoritäre Erziehung Fremdwörter. Alle Schüler trugen Uniform und wurden mit Gebrüll erzogen. Ich war blond wie ein Kornfeld im Juli und wurde als «Il Tedesco» verspottet – der Deutsche.
Kein Wunder, dass ich ungefähr 30 Jahre später in Deutschland landete.
Die besten Noten wurden immer zuerst verteilt, was meine Hoffnungen immer recht schnell sinken ließ – und mein Blick, den ich aus dem Fenster auf das Kolosseum richtete, verdüsterte sich mit jeder weiteren Arbeit, die mich einer Fünf näher brachte …
Umso größer war dann die Erleichterung, wenn ich aufgerufen wurde und es doch gerade so zu einer halbwegs guten Note gereicht hatte. Dann spürte ich es, dieses Gefühl: Eine große Ruhe breitete sich aus. Die hielt aber nur bis zum nächsten Schultag. Dann ging das Elend von vorne los.
Heute bin ich Autor. Ich gebe keine Klassenarbeiten mehr ab, sondern reiche Ideen für Filme, Manuskripte und fertige Drehbücher ein und warte dann darauf, dass sie dem gefallen, dem ich sie gegeben habe. Und das dauert manchmal etwas länger.
In diesem besonderen Fall wartete ich geschlagene sechs Monate.
Nun hat sich Herr Endruweit, ein bekannter Hamburger Film- und Fernsehproduzent, aber endlich gemeldet. Genauer gesagt: Er lässt melden. Nur erfolglose Produzenten melden sich persönlich.
Die sehr freundliche Sekretärin des erfolgreichen Herrn Endruweit teilt mir mit quäkender Stimme mit, dass Herrn Endruweit das Drehbuch, das ich ihm geschickt habe – Amore und so ’n Quatsch –, in dem eine fränkische Krankenschwester Anfang 30 erst in Berlin viel Pech und dann in Italien das Glück findet, sehr gut gefällt. Und dass er sich freuen würde, mit mir darüber zu sprechen. In Hamburg.
Ich sehe förmlich das Gesicht der Sekretärin vor mir; sie grinst ganz sicher, und in dem Moment, als ich mich bedanken möchte, legt sie auf. Leider hat mir ihre knarzende Stimme nicht verraten, wie gut genau das Drehbuch Herrn Endruweit gefallen hat.
Sagt sie Projekte auch mit dem gleichen routiniert-freundlichen Ton ab? Nein. Dann meldet man sich einfach nicht mehr. Schweigen ist Gold. Und eine Absage.
Ich habe, wie gesagt, sechs Monate gewartet. Deshalb bin ich erst einmal völlig euphorisch und wähle von den drei Terminen, die mir die Sekretärin anbietet, spontan den letzten aus – den in zwei Wochen –, um jene Ruhe auszukosten, wie sie sich früher auch nach der Rückgabe von Klassenarbeiten ausbreitete.
Und um die Vorfreude möglichst lange zu genießen.
In der Theorie ist das eine gute Idee; in der Praxis eher nicht, denn Autoren grübeln ja schon berufsbedingt. Bei mir geht es ungefähr neunzig Sekunden, nachdem ich aufgelegt habe, los.
Immer und immer wieder hallen die Worte der Sekretärin durch meinen Kopf. Und dann diese grelle Stimme!
«… hat ihm sehr gut gefallen …» – das hat sie gesagt, ich bin ganz sicher!
Aber was heißt das genau?
«… hat ihm sehr gut gefallen …», im Sinne von: Wir drehen ab nächster Woche? Oder eher: Da ist ja schon viel Schönes dran? Oder etwa so: Ich will Ihnen hier in Hamburg persönlich ins Gesicht schleudern, was Sie da für einen Schwachsinn abgeliefert haben?
Autoren in dieser schlimmen Lage muss man ablenken. Mit Zoobesuchen oder weihnachtlichem Plätzchenbacken. Aber nicht mal mein sehr temperamentvoller Kater namens Sport vermag das im Moment.
Ich quäle mich durch die Hölle der nächsten zwei Stunden. Versuche dies und tue das. Bringe Worst- und Best-Case-Szenarien zu Papier. Diskutiere am Telefon mit Vertrauenspersonen und meinen Co-Autoren alle Möglichkeiten.
Kurz bevor ich in meiner Not nach der Fernbedienung greife, um eine der älteren Damen auf einem Astro-Kanal um Hilfe zu bitten, rufe ich die freundliche Sekretärin von Herrn Endruweit an und sage ihr, dass sich in meinem Kalender jetzt doch eine Lücke ergeben hat.
Ich nehme den allerersten Termin.
In 48 Stunden.
Heute ist mein Tag! Und jetzt ist es wirklich mein Tag! Das ist mir sofort klar, als ich durch einen Schrei von Kater Sport geweckt werde, der durch die geschlossene Tür dringt. Mit einem gewagten Sprung auf die Klinke öffnet er die Tür und miaut laut am Rande des Bettes.
Mein Kater weckt einen Sieger.
Er weiß das zwar nicht, aber ich bin davon überzeugt – oder besser gesagt, ich wage davon zu träumen.
Blöd nur, dass im selben Moment der Wecker losgeht. Um nicht das ganze Haus aufzuwecken, geht mein Arm mit Schwung in Richtung Schlummertaste, wobei ich die arme Mieze voll ins Gesicht treffe. Sport macht seinem Namen alle Ehre und landet schwungvoll und halbwegs elegant auf dem Boden. Sein empörter Schrei beeindruckt mich jedoch nur geringfügig, denn ab jetzt bin ich auf dem Weg nach Hamburg!
Das Frühstück gelingt mir noch ganz gut, aber als der Installateur wegen des kaputten Wasserhahns anruft, fehlen mir die Worte. Den Fehler kann ich noch ganz gut beschreiben, aber ob ich einen neuen Mittelflansch brauche, weiß ich nicht. Ich weiß nicht mal, was ein Mittelflansch ist.
Dazu kommt, dass der Mann nur Düsseldorfer Platt spricht.
Als ich ihn höflich frage: «Können Sie auch Hochdeutsch?», ist es ganz aus.
«Du brauchen Mittelflansch?» Der Handwerker behandelt mich wegen meines unüberhörbaren Akzents wie jemanden, der nur die internationale Ausländer-Babysprache versteht – in voller Lautstärke.
«Ich bin nicht taub! Ich bin Italiener!», brülle ich zurück.
«Watt schreien Sie denn so?»
Nun ist der Arme völlig verwirrt. Ich stammele eine Entschuldigung und lege auf.
Dabei lebe ich seit vielen, vielen Jahren in Deutschland. Aber Italiener bleibt man eben sein Leben lang – auch, ohne eine Pizzeria aufzumachen.
Trotzdem schreibe ich meine Drehbücher auf Deutsch – also … auf Neu-Deutsch, das kann ich richtig gut. Und ich schreibe es mit dem allergrößten Selbstbewusstsein, seit ich von Italien nach hierher gezogen bin. Alt-Deutsch ist erst später dazugekommen.
Als ich mein Notebook durchforste, das ich nach Hamburg mitnehmen will, stoße ich auf einen sehr frühen Drehbuchversuch aus dem Jahr 1993. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um einen meiner allerersten schriftlichen Kontakte mit der Sprache der Dichter und Lenker. In diesem Drehbuch geht es um einen Politiker und den Detektiv Jakob, der im Auftrag einer eifersüchtigen Frau ermittelt …
BILD 1. Vor Haus Außen/Abend
Es ist Winter. Es schneidet. Jacob sitz im Auto und beobachtet ein Haus direkt gegenüber. Der Opa sitz sich vor Fernsehen an. Familien feiert Silvester. Rothaarige in Badenmantel und Bettina und Carsten streiten. Hinter Jacob, im Auto, sitz Frau Holzmann die Kundin. Sie ist nicht zu sehe.
BILD 2. Im Auto Innen/Abend
Jacob im Auto mampf ein Berliner aus eine Tüte. Er blick starr auf den Fenster der Rothaariger.
Jacob: 23,58 alle ruhig. Objekt befindet sich nicht im Haus.
Aus den Ruckbank Frau Stimme.
Frau Holzmann: Doch!
Jacob: Nein ist es nichts! und außerdem mischen sie sich nicht dauernden in meinen Job.
Frau Holzmann: Schnauze! Ich zahle. Da es ist ja wohl mein gute recht zu sehen wie sie arbeiten.
Jacob: Heute hätten wir mal eine pause machen können.
Frau Holzmann: Bringen Sie mir ein Foto wie mein Mann darauf komm da machen wir pause.
Jacob: Warum reden sie nicht mit ihr Mann!?
Sie kommt hoch.
Frau Holzmann: Ich rede nicht mit einem Betrüger!
Jacob: Runter!
Turmuhr schlagt 00 : 00 ein Feuerwerk geht’s los.
Frau Holzmann: Frohes neues Jahr, Herr Jacob.
Ihr hand kommt von hinter hervor.
Jacob: Frohes neues Jahr, Frau Holzmann.
Die Tür geht auf.
Frau: (entsetz) Los gehen sie, holen sie mir das Fotos.
Jacob lässt alles fallen und rennt los. Feuerwerk gehen los, Opa mit Hund.
Jacob: Pssss, da kommt jemand.
Das Rechtschreibprogramm auf meinem Notebook schafft es leider nicht, alle Fehler, die ich zur Korrektur anbiete, in sauberes Deutsch zu verwandeln. Und so lese ich allzu oft die Meldung Keine Rechtschreibvorschläge. Das ist ausgesprochen frustrierend. Bei manchen Wörtern weiß ich bis heute nicht, wo ein Umlaut hingehört, geschweige denn, wie das Wort dann korrekt ausgesprochen wird.
Ein Satz wie «Das Buffet ist eröffnet» hört sich in meinen romanischen Ohren an wie der Titel eines türkischen Popsongs.
Ein Pole sagt: «Das Biffet ist ereffnet», was ich richtig lustig finde.
Ich sage: «Das Buffet ist eroffenet» – für mich fast perfektes Deutsch. Leider sind da nicht alle meiner Meinung.
Deshalb rufe ich meistens: «Essen ist fertisch!» Das versteht jeder.
Heute scheint das Essen allerdings nicht fertisch zu werden, weil ich viel zu aufgeregt bin und ein Kürbisrisotto kein Gericht ist, das man einfach so an einem Reisetag (oder sagt man Reistag?) zubereitet. Die empfindliche Masse, die man ständig rühren muss, brennt an – egal, das bringt mich nicht aus dem Tritt.
Ich bekomme heute zwar kein Mittagessen, aber dafür einen bleibenden Eindruck vom deutschen Winter. In diesem Land schneit es nicht oft, und wenn, dann bin ich auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Erst wenn der Schnee geschmolzen ist, «sieht man die ganze Scheiße», sagte doch mal dieser deutsche Fußballmanager, dessen Name mir jetzt nicht einfällt. Er hatte recht. Der Schnee ist noch nicht geschmolzen, und deshalb bemerke ich den riesigen Hundehaufen nicht. Nichts ahnend trete ich mit der Fußspitze hinein, fluche parallel in meiner Muttersprache und auf Deutsch – in der Hoffnung, dass das Hundeherrchen mich hören kann: «Zozzone! Welcher Altehackfresse hat hier die Hund hinmachen lassen!»
Nur mit Mühe schaffe ich es, diesen Tag dennoch zu loben. Dies ist mein Tag, und den lasse ich mir von nichts und niemandem kaputt machen. Erst recht nicht durch getarnte Hundehaufen! Ich lobe auch schnell noch den Tag, an dem ich mich gegen Hunde und für Katzen entschieden habe. Katzen sind majestätisch, eigensinnig und vor allem sauber – Eigenschaften, die sie zu den bevorzugten Tieren ganzer ägyptischer Dynastien machten. Dass sie einen morgens rüde wecken, nehme ich da gern in Kauf.
Ich mache mir die Schuhe am verschneiten Bordstein sauber, was deutliche Spuren hinterlässt und jedem den Grund dieser Aktion erklärt. Eine alte Dame, die mich beobachtet, kommentiert das mit der Bemerkung: «Datt brengt Jäld.»
Wo soll was brennen?
Ich rate ihr, schnell die Feuerwehr zu rufen. Die Düsseldorferin meint aber, in einen Hundehaufen zu treten brächte Geld.
Ich weiß zwar nicht, wo da ein Zusammenhang besteht, aber es soll mir recht sein. Schließlich bin ich geschäftlich unterwegs.