Bob Dylan

Cover

Inhaltsverzeichnis

Some of the people can be all right part of the time

But all of the people can’t be all right all of the time

I think Abraham Lincoln said that.

I’ll let you be in my dreams, if I can be in yours.

I said that.

Talkin’ World War III Blues / Bob Dylan

Songs sind wie Träume, die man wahr zu machen versucht.

Sie sind wie fremde Länder, die man bereist.

Bob Dylan / Chronicles / Volume one

Als ich 2002 zum ersten und bisher letzten Mal in Washington zu tun hatte, gab’s Stress mit dem Zöllner. Die Leute vom Goethe-Institut hatten mich eindringlich davor gewarnt zuzugeben, dass ich so was wie einen Gig spielen würde, denn dafür bräuchte man ein Arbeitsvisum. Ein solches zu beantragen wäre allerdings zu aufwendig für die Handvoll Songs, die ich in einem Programmkino spielen sollte, wo die untertitelte Version von Wim Wenders’ BAP-Film »Viel passiert«, benannt nach meiner Coverversion von Bob Dylans »My Back Pages«, vorgestellt würde. Ein Touristenvisum müsste genügen. Der Kerl an der Gepäckkontrolle war allerdings stutzig geworden, als er in meinen

Die restlichen Erinnerungen an diesen Trip sind schnell erzählt: Eine erste gejetlaggte, fast schlaflose Nacht, beim Frühstück habe ich zum ersten Mal mitgekriegt, dass amerikanisches Kettenhotel-Rührei mittels einer erhitzten Pampe aus Plastikkanistern erzeugt wird (wahrscheinlich ist das in unseren Gefilden nicht anders, jedenfalls habe ich nach diesem Erlebnis in Hotels stets auf Rührei verzichtet). Eine Ausstellung im Hirshhorn-Museum, unter anderem mit Bildern aus der wichtigsten Phase von Larry Rivers, hab ich besucht. In einem Viertel, das hauptsächlich von Äthiopiern bewohnt wird, habe ich mir einen schwarzen Wollschal mit zwei dezenten Streifen der grün-gelb-roten äthiopischen Nationalflagge gekauft, den ich dann zwei Jahre später in einem Zug von Bremen

Erinnerungen dieser Art gehen mir in der Regel durch den Kopf, wenn ich mich irgendwo kurz vor der Ankunft in einer Stadt befinde, in der ich schon mal war. Meistens natürlich auf Tournee, und oft wundern sich die Leute, wie viel ich von Gigs, die manchmal bis zu vierzig Jahre zurückliegen, noch im Gedächtnis habe – Zahlen (außer einigen Jahreszahlen) allerdings ausgeschlossen. Ich kann mir nicht mal meine eigene Telefonnummer merken. Wieso auch? Erstens ist die eingespeist, und zweitens rufe ich mich nie selbst an.

Beim Anflug auf Washington im September 2017 war ich froh, dass diesmal alle Formalitäten für meine Frau und mich gesetzeskonform erledigt waren. Das hatte die Berliner Produktionsfirma besorgt, in deren Auftrag wir eine fünfteilige Dokumentation für Arte mit dem Arbeitstitel »Prophet eines anderen Amerikas/Wolfgang Niedecken auf

Dieses eine Jahr, in dem wir ausführlich Zeit zum Vorbereiten hatten, auch wenn alle Beteiligten teilweise manchmal anderweitig verplant waren, war ein Geschenk des Himmels. So war ich beispielsweise nach der »Lebenslänglich«-Tour in erster Linie damit befasst, mein Familienalbum »Reinrassije Strooßekööter« vorzubereiten und es dann im Mai ’17 in New Orleans aufzunehmen. So was macht man nicht nebenbei, trotzdem habe ich in dieser Phase auch immer wieder mal an die bevorstehende Reise im Herbst gedacht und mir dazu die eine oder andere Idee notiert. Aber um mich ausschließlich auf unser Dylan-Projekt

Am Morgen des 28. Juli 2017 ploppte unter kretischer Sonne auf meinem iPad die Nachricht auf, Sam Shepard sei gestern gestorben. Ich war geschockt. Sam Shepard war ein guter Freund von Wim Wenders, mit dem zusammen er am Drehbuch von »Paris Texas« und »Don’t come knocking«, in dem er zusätzlich auch noch die Hauptrolle, einen alternden Westernstar, spielte, gearbeitet hatte. Wir hatten ihn für den geplanten Film auf unserer Interview-Liste, weil wir ihn über seine Zusammenarbeit mit Bob Dylan an dessen Film »Renaldo und Clara«

Als Erstes hatte ich mir auf Kreta noch einmal Dylans Autobiografie »Chronicles/Volume One« vorgenommen. Ich hatte nach ihrer Veröffentlichung die deutsche Hörbuch-Fassung eingelesen und war sogar zu einer Art Lesereise durch die deutschsprachigen Länder aufgebrochen, bei der ich auch einige seiner Lieder in Originalsprache zu ausgewählten Passagen gespielt hatte. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, bei dieser Gelegenheit eingekölschte Versionen vorzutragen. Das hätte ich als respektlos empfunden. Im Gegenteil, es hat mir sehr viel Spaß gemacht, die Songs in ihrer rohesten Fassung, nur von Gitarre und Mundharmonika begleitet, zu singen, ohne darauf achten zu müssen, ob alle im Publikum auch wirklich kapierten, was sie da hörten. Zu Anfang der BAP-Zeit, als ich in den Kölner Szenekneipen meine Talking-Blues-inspirierten

Die »Chronicles« lasen sich für mich wie ein Bildungsroman. Der Mann, der sich nie gerne interviewen ließ, entschied hier selbst, was sein Publikum über sein Privatleben angehen würde und was nicht. Auf Fragen, wie man seine Songs zu interpretieren habe, antwortete er ohnehin mit schöner Regelmäßigkeit : »It’s all in the song«, und das war’s. Was sein Privatleben betrifft, gab es bisher wenig Einblicke. Umso erfreulicher, dass er diesmal sogar über einige fragwürdige Phasen seiner künstlerischen Entwicklung uneitel und unprätentiös Auskunft gab, sodass man sich mühelos in ihn hineinversetzen konnte. Trotzdem wird das, was er uns mitzuteilen hat, nie zu einer sentimentalen Beichte. Wenn ich jemandem nur ein einziges Dylan-Buch empfehlen dürfte, dann »Chronicles«. Dabei erhebt es nicht mal den Anspruch auf Vollständigkeit, riesige Lücken tun sich auf, von denen man hofft, dass sie eventuell in »Volume Two« oder »Volume Three« geschlossen werden. Die meisten

Die anderen Bücher, die ich mit nach Kreta genommen hatte, waren Robert Sheltons »No Direction Home«, Gisbert Haefs präzise Lyrics-Übersetzungen des Meisters und Suze Rotolos »Als sich die Zeiten zu ändern begannen«, allerdings eher zum Nachschlagen. Suze Rotolo ist das Mädchen, mit dem Dylan 1962 seine erste New Yorker Wohnung in der 4th Street bezogen hat. Sie ist jedem Dylan-Fan dadurch vertraut, dass sie Arm in Arm mit ihm auf dem »Freewheelin’«-Cover in der winterlichen Jones Street abgebildet ist. Ein Buch, das, ohne zu geschwätzig zu sein, unerwartet eine ganz persönliche Perspektive eröffnet.

Erst im Holiday Inn in Washington lernte ich dann im September 2017 in übermüdeter Verfassung den Rest unserer sechsköpfigen Reisegruppe kennen, nämlich Alex Seidenstücker und Daniel Waldecker, die für Kamera und Ton zuständig waren und schon ein paar Tage vorher angereist waren, um mit Hannes und seinem Assistenten Christoph Pöthke die Drehorte in New York City und Washington DC zu checken. Relativ schnell wurde uns klar, dass diese Unternehmung nichts für Weicheier und Langschläfer war. Man brauchte nur mal in den Schedule

HAVEDREAM

NYC