Betreff: Falls ich sterbe

Inhaltsverzeichnis

Als die Mail ankommt, sitze ich auf dem Sofa und stille. Das ist im Grunde das Einzige, was ich derzeit tue. Stillen, dann so regungslos wie möglich mit meinem schlafenden Sohn auf dem Arm dasitzen, außer mir vor Angst, dass er aufwachen und wieder anfangen könnte zu schreien. Dann noch ein bisschen stillen, wieder regungslos dasitzen, versuchen, das schlafende Kind abzulegen, um zu duschen oder etwas zu essen. Scheitern, wieder zum Sofa zurück, stillen. Tagein, tagaus. Als die Mail ankommt, ist Ivan knapp drei Monate alt. Du arbeitest wieder in einem deiner vielen Jobs, ich habe keine Ahnung, in welchem, denn du erzählst selten davon. Produktionsunternehmen von Werbefilmen oder freiberufliche Regisseure in derselben Branche beauftragen dich wegen deiner technischen Kompetenz. Wenn ich mich erkundige, wie dein Tag war, dann sagst du, so uninteressant, dass ich es nicht würde wissen wollen. Früher habe ich insistiert, doch jetzt nicht mehr. Du sollst selbst entscheiden, ob du über deine Arbeit sprechen willst oder nicht.

Ich für meinen Teil stille. Wenn du auf dem Nachhauseweg bist, schickst du mir eine SMS und fragst, was du zum Abendessen einkaufen sollst, inzwischen kümmerst du dich um die meisten Dinge hier zu Hause. Arbeiten, einkaufen, Essen kochen, putzen, mit unserer Katze spielen, die seit der Ankunft von Ivan vernachlässigt wird. Ich stille und stille. Und dann, eines Donnerstags Anfang Mai, kurz nach ein Uhr mittags, bekomme ich eine Mail von dir.

An: Carolina

8. Mai 2014, 13:05 Uhr

Betreff: Falls ich sterbe

 

Gut zu wissen, falls ich mal den Löffel abgebe:

Mein Computerpasswort ist: ivan2014 

Eine ausführliche Liste befindet sich im Dokument Falls ich sterbe.rtf

Hoffen wir das Beste!

LG Aksel

Ich lese die Mail dreimal hintereinander. Erst verstehe ich sie nicht, dann lese ich sie wieder und werde nervös. Beim dritten Lesen werde ich wütend. Das ist so typisch für dich. Niemand ist so krass und unsentimental, an der Grenze zum zwanghaft Nüchternen wie du. Du mit deinem extrem trockenen Tonfall in Mails und SMS. Du mit deinen ewigen Back-ups von Computern und Telefonen. Du mit deinen Passwörtern, die du regelmäßig änderst und die immer kleingeschriebene Buchstaben und Versalien enthalten und Ziffern und Sonderzeichen. Du, der erzählt hat, dass er nicht begraben werden will, wenn er stirbt, stattdessen soll man dich irgendwo in den Wind streuen, sodass niemand sich verpflichtet fühlt, mit Blumen und Kerzen irgendwo hinzufahren. Niemand anders als du würde eine solche Mail schicken, mitten am Tag, während der Arbeit, an seine stillende Lebensgefährtin zu Hause auf dem Sofa. Aber du hast es getan.

Ich antworte nicht. Am Abend, beim Essen, frage ich dich, was das denn sollte, und du sagst, dass es ein spontaner Einfall gewesen sei, dass man nie ausreichend vorbereitet sein könne. Dass es aber gut für mich zu wissen sei, für den Fall, dass etwas passieren würde. Mit dieser Antwort hatte ich gerechnet. Dann sprechen wir nie wieder über diese Mail.

Es ist ein Sonntag im Oktober. Wir sind müde und nicht sonderlich nett zueinander. Ich habe zu wenig geschlafen, denn Ivan hat sich durch eine weitere Nacht getrunken. Es gelingt mir nicht, zwischen diesem ständigen Gewecktwerden wieder einzuschlafen, und wenn man bedenkt, dass Ivan bald acht Monate alt wird, sehe ich da auch keinen Silberstreif am Horizont. Ich bin ständig müde. Heute bin ich wütend und tue mir selbst leid. Du bist gestresst und versuchst, dein Arbeitspensum zu schaffen. Du hast deinen Auftraggebern noch nicht erzählt, dass du in nur einer Woche in Elternteilzeit gehen wirst. Darüber streiten wir oft. Ich will, dass du die Belastung runterfährst, damit du unser Leben, unser Kind, unsere Welt bewältigst. Du willst das nicht. Oder du sagst, dass du es willst, dass es aber nicht geht. Für Freiberufler geht das eben nicht so, erklärst du. Du hast dir über lange Zeit einen Kundenkreis aufgebaut, und wenn du ein halbes Jahr oder länger für einen deiner Auftraggeber verschwindest, dann bist du weg vom Fenster. Ausgetauscht. Du bist auch müde. Wenn du dich entspannst, siehst du traurig aus. Du schaffst es nicht, an die Zeit zu denken, die bald anfangen wird, in der du halbe Tage zu Hause mit Ivan verbringen und den Rest des Tages arbeiten wirst. Ich bin auch gestresst. Sauer. Besorgt. Es läuft mit unserer Familie nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Du sagst, ich hätte schließlich gewusst, worauf ich mich einlasse, als ich beschloss, mit dir Kinder zu

Vor drei Wochen sind wir umgezogen, ein Umzug, den wir eigentlich nicht schaffen konnten, aber trotzdem gestemmt haben. Nachts, während der kurzen Phasen, in denen Ivan allein geschlafen hat, haben wir gepackt. Wir packten schweigend, fanden keine Themen, die nicht wehtaten oder in einen Streit mündeten. Auf dieselbe Art zogen wir um. Inzwischen haben wir fast geschafft, alles auszupacken. Heute müssen wir eine Pause machen, denn unser Auto schwächelt. Wir müssen zu deinen Eltern fahren, damit dein Vater es sich anschaut. Wir packen Ivan in den Babysitz hinten, du sitzt neben ihm, ich fahre. Ich kann nicht anders, ich muss zum hundertsten Mal in einem heiteren Ton, den mir niemand mehr abnimmt, darauf hinweisen, dass es sehr schön wäre, wenn wir beide einen Führerschein besäßen. Du beißt die Zähne zusammen und sagst, dass du es bald angehen wirst. Ich erspare mir die Frage, wann, denn ich kann heute nicht schon wieder streiten. Ich habe schon wegen des Kommentars ein schlechtes Gewissen. Wir schweigen. Ivan ist guter Dinge, und du beschäftigst ihn mit Geräuschen und Spielsachen, damit es dabei bleibt. Ich werde zu einer schlechten Autofahrerin, wenn Ivan weint, und niemand kann ihn so zum Lachen bringen wie du. Als ich euch auf dem Rücksitz spielen höre und wir die Straße erreichen, die uns nach Vendelsö bringt, und wir uns dem Haus deiner Eltern nähern, denke ich, dass ich meine Familie doch wirklich liebe. Wir haben es gerade einfach ein bisschen schwer.

Du hilfst deinem Vater, das Auto zu reparieren. Ich trinke

Dein großer Bruder kommt vor das Haus gefahren. Er hat seinen Besuch nicht angekündigt, und ich sehe durch das Küchenfenster, wie erstaunt ihr beide seid, euch heute zu sehen. Ihr lacht, als ihr euch umarmt. Er schlägt dir mit der Hand auf den Rücken, es sieht aus, als würdest du in seiner Umarmung verschwinden. Er war schon immer so viel umfänglicher als du. Kleiner, aber breiter und stärker. Du strahlst, als er auf dem Weg ins Haus etwas sagt, was dich zum Lachen bringt. Du gehst rasch die Treppe hinauf, du hast es eilig, in die Küche zu kommen, möchtest ihm Ivan zeigen. Dein großer Bruder hat Ivan bisher erst einmal gesehen. Es hat einfach nie gepasst, in der letzten Zeit waren alle so beschäftigt. Er lacht fröhlich und sagt, Ivan sei groß geworden und dir sehr ähnlich. Er nennt dich »kleiner Bruder«. Trinkt seinen Kaffee in großen Schlucken. Du nimmst ein Glas Cola. Dann geht ihr zurück zum Auto und zu eurem Vater. Ich gehe ein Stück mit über den Hof. Ivan sitzt in der Trage vor meinem Bauch, ich fische das Handy aus der Tasche und mache ein Foto von euch, wie ihr da neben unserem Auto steht. Irgendwas ist mit den Scheibenwischern nicht in Ordnung. Es gelingt euch nicht, sie zu reparieren. Auf dem Bild steht ihr zusammen mit dem Rücken zur Kamera, einer von euch kratzt sich am Kopf. Zwei Brüder und ein Vater, die sich zum letzten Mal im Leben sehen, aber das wisst ihr noch nicht.

Es ist der 30. April 2009 und ich fahre heute Abend zu einem Walpurgisfest in einem alten Schulgebäude auf Adelsö, das einige meiner Freunde gemietet und zu ihrem Sommerparadies umfunktioniert haben. Ihre Feste sind immer lustig. Sie laden mehrere Hundert Leute ein, und wem es gelingt, sich rechtzeitig ein Ticket zu sichern, der bekommt noch die Busfahrt dazu. In der nach Holz duftenden Aula der Schule mit hoher Decke und knarrendem Fußboden verkaufen sie Bier und Wein zum Selbstkostenpreis. Weil es Musiker und Kulturmenschen sind, gibt es auf den Festen meist Liveauftritte von Bands, die ich mag. Es ist das vierte oder fünfte Mal, dass ich zu einem Fest dorthin fahren werde. Ich freue mich.

Ich bin 30 Jahre alt und habe immer noch keine Ordnung in mein Liebesleben gebracht. Vor einigen Tagen habe ich eine kurze Affäre mit einem Mann aus Norrland beendet, von dem ich eine Weile dachte, er könnte der Richtige sein, aber schnell erkennen musste, dass er das nicht war. Ich habe es so gemacht wie immer. Habe mich schriftlich herausgeschlängelt, eine Mail, die sagte, dass es absolut nicht sein Fehler sei, sondern dass ich gerade einfach nicht an der richtigen Stelle im Leben wäre. Ich weiß nicht, warum es mir immer so schwerfällt, Nein zu sagen. Der Gedanke, jemanden zu verletzen, versetzt mich in Panik, und ich bilde mir ein, dass ich dem Betroffenen nicht nur ein paar Tage oder Wochen verderbe, sondern ihm auch sein

Diesmal lief es ziemlich gut. Vermutlich, weil wir uns erst ein paar Wochen kannten, und vielleicht, weil auch er nicht sonderlich in mich verliebt war. Es lief tatsächlich so gut, dass er beschloss, sein Ticket zum Fest, das er nur gekauft hatte, weil ich unbedingt wollte, dass er mich begleitet, zu behalten und trotzdem hinzufahren. Mit mir als einer Freundin. Als ein Freund.

Es belastet mich, als ich ihn im Bus sehe, aber ich begrüße und umarme ihn und tue so, als wäre alles normal. Als fühlte ich mich nicht schuldig. Eine freie Frau, die weiß, was sie will. Die Wahrheit ist natürlich, dass ich das überhaupt nicht weiß. Schon lange nicht. Der diffuse Wunsch, nicht weiter rumzulungern und stattdessen mal jemanden zu finden, mit dem es sich richtig anfühlt, hat in der Praxis bisher nicht zum Erfolg geführt. In dieser Hinsicht herrscht jetzt schon einige Jahre Chaos. Aber das muss der Norrländer nicht mehr erfahren. Wir werden sowieso nicht zusammenleben. Im Bus trinke ich Wein, und je leerer das Glas wird und je mehr Kilometer zwischen mir und Stockholm liegen, desto besser fühlt es sich an. Alles ist zumindest ungefähr so, wie es sein sollte.

Ich tanze und tanze, und die Füße wollen nicht aufhören. Der Mund will nicht aufhören, Wein zu trinken. Ich klettere auf die Fensterbank in der alten Volksschulaula, stehe dort allein und tanze und genieße, unnahbar zu sein, während

 

Und dann, plötzlich, stehst du da. Ich habe dich bisher noch nicht gesehen, du kannst nicht im selben Bus wie ich hierhergekommen sein. Dein Freund, ein Bekannter von mir, sagt, er wolle mich jemandem vorstellen, der »mich liebt«. Und da stehst du. Und grinst. Lang und klapprig bist du, mit einem dreieckigen Lächeln. Wie ein Cowboy in einem alten Film lächelst du. Schräg und schief und breit und unverstellt. Es erstreckt sich über dein ganzes Gesicht. Ich denke, du könntest eine superschöne Karikatur abgeben, eine, die einen fröhlich macht. Du trägst eine Mütze. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um dich anzusehen. Du hast nicht gehört, mit welchen Worten unser gemeinsamer Freund dich vorgestellt hat, aber das macht nichts. Du wirkst nicht so, als hätte dich das gestört.

Wenn ich betrunken bin, habe ich die schlechte Angewohnheit, das Kommando zu übernehmen. Wie eine Art Schutz vor der Gefahr, abgelehnt zu werden, ergreife ich

Auf dem Hof werden aus einem Häuschen, das einmal ein Schweinestall war, Würstchen verkauft. Wir stellen uns in die Schlange, und du hältst meine Hand fest umschlossen. Siehst aus, als würdest du mich auf Kommando küssen. Ich halte mich zurück. Frage, wie alt du bist, und du sagst, 28. Ich bin erleichtert, dachte schon, du wärest viel jünger. Ich frage, was du arbeitest, und du sagst, Medien. Ich bereite mich darauf vor, deine Reaktion zu analysieren, wenn ich sage, dass ich in der Musikbranche arbeite, mit großen Musikevents, aber du fragst nicht. Du scheinst dich weder für mein Alter noch für meinen Beruf zu interessieren. Du siehst aus, als würdest du gern mit mir knutschen, und dein Lächeln ist ansteckend, und ich beschließe, dass das genügt. Ich ziehe dich aus der Würstchenschlange weg, wir gehen hinter das Schulgebäude und kommen zu einer Birke auf einer kleinen Wiese. Vor nur einer Stunde habe ich in der Nähe gepinkelt. Im Gebäude hinter uns dröhnen die Bässe der Musik. Ich küsse dich. Oder du küsst mich.

Ich küsse dich und du küsst mich und deine Hände halten mein Gesicht und ich liebe es. Ich liebe es, wie du küsst, und ich liebe deine Hände und ich liebe, dass du groß bist, und

Ich sage zu dir, dass wir damit weitermachen sollten, aber vielleicht nicht zwischen all den Menschen. Ich sage, dass es da jemanden gibt, der traurig ist, und ich weiß nicht, ob ich das sage, um anzugeben, oder weil ich rücksichtsvoll bin oder weil ich in deinen Augen rücksichtsvoll erscheinen möchte. Alles ist verschwommen, geschieht impulsiv. Wir verbringen den Abend damit, mit unseren Freunden zu tanzen und dann rauszurennen und uns bei der Birke zu treffen und zu knutschen. Immer intensiver, je länger der Abend geht. Bei einer Gelegenheit tauschen wir Telefonnummern aus. Das vereinfacht den Prozess der Entscheidung, wann es an der Zeit für ein neuerliches Treffen an der Birke ist.

Um ein Uhr ist das Fest zu Ende, und zwei Busse karren alle Gäste wieder nach Hause nach Stockholm. Wir sitzen ganz vorn in einem von ihnen, ich habe mich vergewissert, dass Hundeblick im anderen sitzt, und kann mir deshalb erlauben, dich in der Dunkelheit hemmungslos zu küssen. Weiter hinten albern Menschen herum. Zwischen den Küssen zwingst du mich, in einem deiner Kopfhörer AC/DC zu hören. Ich sage, dass ich die nicht besonders gut finde, und erwähne in möglichst blasiertem Ton, dass ich ein paarmal mit ihnen gearbeitet habe. Die Information scheint dich nicht zu beeindrucken, und du sagst, doch, hör mal dies und

 

Als der Bus eine Stunde später am Medborgarplatsen ankommt, habe ich auf Kinn und Wangen rote Flecken von deinen Bartstoppeln. Es ist lange her, dass ich so rumgeknutscht habe. Wir steigen aus dem Bus, und du willst mit zu mir nach Hause. Das darfst du nicht. Du fragst noch mal und bekommst noch ein Nein. Du schlägst vor, dass ich stattdessen mit zu dir nach Hause gehe. Hör auf, sagst du, ich will mit dir die Nacht verbringen. Nein, sage ich, ich will alleine schlafen. Ich glaube, ich möchte nicht als eine Person erscheinen, die gleich am ersten Abend mit jemandem schläft. Wenn wir zusammen nach Hause gegangen wären, dann wäre das passiert. Ich will nicht, dass es passiert. Ich will, dass es passiert. Ich will, dass es eine Fortsetzung gibt. Wir trennen uns. Ich sehe, wie dein Kopf im Takt der Musik wippt, während dein Rücken die Folkungagatan hinauf verschwindet. Ehe ich einschlafe, kriege ich eine SMS von dir. Du sagst, ich sei hübsch, und du willst mich wiedersehen.

Es ist halb sieben Uhr, als ich neben Ivan aufwache und feststelle, dass wir ziemlich gut geschlafen haben. Alles ist relativ, aber in unserer Welt ist das ziemlich gut. Ivan, der bald neun Monate alt wird und ein eigenes Zimmer bekommen hat, als wir vor drei Wochen in die neue Wohnung eingezogen sind, hat so etwas wie Angst vor der Nacht entwickelt. Und will jede Nacht zwischen drei- und sechsmal trinken. Also endet es meist so, dass ich auf einer Matratze in seinem Zimmer schlafe, obwohl die Idee natürlich war, dass wir, du und ich, unsere Nächte wieder für uns haben. Nachdem ich ihn gestern zwischen zehn und elf beruhigt und versucht habe, ihn zu trösten, um dann mit dem Stillen anzufangen, was kein Ende nehmen wollte, habe ich dir, der in der Küche saß und gearbeitet hat, eine SMS geschrieben. Ich habe geschrieben, dass ich diesen Abend wieder bei Ivan bleiben würde, und du hast Okay und Gute Nacht geantwortet. Nicht viel später habe ich gehört, wie du zwischen Badezimmer und Wohnzimmer unterwegs warst. Du hast alle Lichter ausgemacht, dir die Zähne geputzt und bist dann auch ins Bett gegangen.

Ich bin nicht sofort eingeschlafen, sondern habe noch auf dem Handy im Internet Informationen über »Angst vor der Nacht bei Babys« gesucht und den Kinderarztratgeber, Zeitungsartikel und Threads in einschlägigen Foren überflogen. Nachdem ich eine Reihe Artikel gelesen und gründlich darüber nachgegrübelt habe, ob Ivan denn überhaupt

Als wir wach werden, fühle ich mich fast ausgeruht. Die Katze hat nicht vor Ivans Zimmertür gejault, wie sie es manchmal tut, und Ivan hat nach dem Ausbruch vor Mitternacht nur zweimal getrunken. Er ist gut drauf und auf bestem Wege, von unserer Matratze auf dem Fußboden zur Tür zu krabbeln, um sich auf Abenteuertour durch die Wohnung zu begeben. Ich nehme ihn hoch und sage, jetzt gehen wir und wecken Papa. Als wir die Tür aufmachen, begegnet uns die Katze und lässt sich ein Weilchen streicheln, sie wirkt auch verpennt, und dann gehen wir weiter zum Schlafzimmer, wo du liegst.

Ich setze Ivan aufs Bett, damit er zu dir krabbeln kann und er das Erste ist, was du siehst, wenn du die Augen aufschlägst. Guten Morgen, Papa, sage ich in diesem Ton, den ich benutze, wenn ich mit Ivan rede, aber meine Worte eigentlich an einen anderen Erwachsenen richte. Meist an dich. Ivan will gerade loskrabbeln, als ich sehe, dass etwas nicht stimmt. Du liegst auf eine Weise da, wie du es sonst nie tust, wenn du schläfst. Verdreht und krumm, in vorgekippter Seitenlage, dein Gesicht ins Kissen gedrückt.

Ich wage kaum, deinen Knöchel zu berühren, der am Fußende, wo ich stehe, unter der Decke herausragt. Ich tue es trotzdem. Er ist kühl. Hell. Stumm an meinen Fingern. Es fließt kein Blut darin. Du bist nicht mehr da. Du bist tot.

 

Jetzt geschieht alles im Reflex. Ich nehme Ivan hoch und halte ihn mit dem einen Arm, während mein Kopf sich gleichzeitig aus allen Gefühlen auskoppelt und ich anfange, rational zu agieren, so wie nie zuvor. Ich wähle die Nummer der Notrufzentrale, und als eine Frau rangeht, erkläre ich in einem Atemzug, was passiert ist, wie ich heiße, wie du heißt, wo wir wohnen und wie der Code für die Haustür unten lautet. Sie müssen schnell kommen, sofort, ich kann nicht länger hierbleiben, sage ich schließlich. Ivan streckt sich zum Bett, und ich halte ihn fest, ein bisschen zu fest, auf meiner Hüfte.

Die Frau am Telefon bittet mich, langsamer zu reden und deinen Puls am Hals zu fühlen, und ich sage, das sei nicht nötig, mache es aber trotzdem. Mit Ivan auf der Hüfte und dem Telefon zwischen Schulter und Ohr suche ich mit meiner freien Hand nach dem Puls an deinem Hals. Er ist kühl. Er lebt nicht. Ich sage der Frau in der Leitung noch einmal, dass es nicht geht, da ist nichts, er lebt nicht.

Ich weiß nicht, warum, aber ich greife nach deiner Schulter. Drehe deinen Körper herum, obwohl ich weiß, dass du tot bist. Du bist schwer, und ich verliere fast das Gleichgewicht und falle auf dich, als ich dein Gesicht nach oben drehe. Deine linke Wange hebt sich vom Kissen, und deine Haut ist hellgelb und verschrumpelt von dem Stoff, auf dem du gelegen hast. Dein eines Auge, das, was auf dem Kissen

Das sage ich der Frau in der Notrufzentrale, und dann lege ich auf. Lege eine Decke über Ivan und nehme die Trage mit, stecke ihn hinein, werfe mir eine Strickjacke über die Schultern. Ehe ich gehe, schließe ich die Katze im Badezimmer ein, stelle ihr Futter und Wasser dazu. Sie darf nicht abhauen. Ich weiß, dass ich nicht die nächste Person sein werde, die diese Wohnung betritt.

Ich gehe aus der Tür. Nehme den Fahrstuhl zum Erdgeschoss, gehe auf den Hof hinaus, setze mich dort auf eine Bank. Warte auf die Ambulanz. Draußen wird es hell.

 

Es dauert sicher eine halbe Stunde, ehe sie kommen. Jetzt lüge ich. Es dauert ein paar Minuten, bis sie kommen, aber es fühlt sich wie eine halbe Stunde an. Die Nachbarn, die auf dem Weg zur Arbeit oder zum Kindergarten mit ihren Kindern vorbeikommen, sehen uns an, wie wir auf dem Hof sitzen, ich in Schlafanzug und Strickjacke, Ivan in der Trage mit Decke. Einer wendet den Blick ab, ein anderer nickt uns einen Gruß zu. Ich erwidere den Gruß. Mir wird klar, dass ich jemanden anrufen sollte. Ich weiß nicht, wen. Ich rufe deinen großen Bruder an. Jetzt kommt die Ambulanz.

Ich werde dich niemals betrügen, sagst du und schaust mich aus zehn Zentimetern Entfernung im Bett an. Ich überlege, ob du speziell mich meinst oder ob du gerade einen allgemeinen moralischen Kompass eichst. Das ist nicht klar. So ist es oft bei dir. Du sagst etwas ohne Umschweife, eine Feststellung, die einfach klingt, aber bei mir Folgefragen auslöst, die ich nicht zu stellen wage. Ich finde das spannend. Du bist eine seltsame Person, und ich mag dich. Sehr.

Wir liegen nackt im Bett in deiner schlichten, kaum möblierten Wohnung auf der Långholmsgatan in Hornstull. Es ist entsetzlich heiß, die Fenster zeigen alle in eine Richtung, es gibt keine Möglichkeit, Durchzug zu schaffen. Keine Schatten spendenden Gardinen, fast den ganzen Tag steht die Sonne auf den Fenstern. Aber wir sind bei dir, weil du dich hier am wohlsten fühlst. Und ich bin da nicht so wählerisch. Wir sind jetzt oft hier. In deiner Wohnung, in deinem Bett, nackt.

Am Tag nach dem ersten Abend landeten wir hier nach einem weiteren Fest, das wir auch ineinander verschlungen verbrachten, diesmal unter einer Decke, auf einem Sofa, in einem Gartenlokal. Es fühlte sich unmöglich an, noch so weiterzumachen, ein Tag reichte mir, um zu beweisen, was auch immer ich beweisen wollte, und es reichte dir offensichtlich auch. Jetzt liegen wir hier, und du sagst, dass du mich niemals betrügen wirst. Ich murmele, aha, wie gut, und denke an die Male, wenn ich selbst jemanden betrogen

 

Das erste Mal, als ich in deiner Wohnung war, habe ich dich gefragt, ob du gerade erst eingezogen seist. Da waren so wenig Möbel. Ein leerer Flur, ein Wohnzimmer mit Sofa, Fernseher und einem kleinen Schreibtisch in einer Ecke. Auf dem Schreibtisch dein Computer, mit dem du arbeitest, und Post-it-Zettel mit kleinen Notizen drauf. Deine Handschrift ist schön, die Buchstaben klein, sogar die Versalien sind klein. Damals habe ich das nicht begriffen, aber die Namen auf den Zetteln gehören zu den Produktionsfirmen, die deine Kunden sind. »Backup Callboy« stand da. »Annelies Mail reparieren«. »Server Camp David«. Auf einem Post-it stand schlicht »NIE WIEDER«. Als ich fragte, was das bedeutete, antwortetest du, dass es eine Erinnerung an dich selbst sei, dir nie wieder so viel Arbeit aufzuhalsen, wie du es im Jahr zuvor getan hättest. Du hast erzählt, dass du damals fast untergegangen wärst. Rund um die Uhr gearbeitet und massenhaft an Gewicht verloren. Dem würdest du dich nie wieder aussetzen. Ich antwortete, ich weiß, wie es ist, viel zu arbeiten, und erwähnte, dass es in meinem Job oft um Abende und Nächte gehe. Darauf hast du geantwortet, dann hör auf damit, als wäre das die einfachste Sache der Welt. Als würde dich mein Job überhaupt nicht beeindrucken. Ich glaube, da habe ich mich besonders in dich verliebt.

 

Als ich die Frage stellte, ob du gerade erst eingezogen seist, hast du die überhaupt nicht verstanden. Seit acht Jahren würdest du hier wohnen, hast du geantwortet. Für dich waren es gerade genügend Sachen. Du hast angedeutet, dass du mit zu viel Kram um dich herum aufgewachsen seist, ohne es zu wollen. Sammeln, Kram und Staub würden dich in Panik versetzen. Ich dachte, dass du vielleicht ein bisschen übertreibst, und fragte mich, ob du wohl diese Bankpresse regelmäßig benutzt. Ich fand dich ein bisschen schräg. Ich fand, das macht dich interessant.

Im Moment genügt es, dass das Bett im Prinzip dein einziges Möbelstück ist. Dort verbringen wir die Abende, die Nächte, die Vormittage und Teile der Wochenenden. Wenn wir essen müssen, gehen wir raus, wenn wir rausgehen, wandern wir viel herum. Dann legst du deinen Arm um mich, und ich liebe es, dass du groß bist. Ich fühle mich wohl mit deinem Arm um meine Taille und hoffe insgeheim, dass wir Menschen begegnen, die ich kenne, wenn wir draußen am Årstaviken entlang zwischen Skanstull, wo ich wohne, und Hornstull, wo du wohnst, herumspazieren. Ich will mit dir zusammen gesehen werden. Will, dass meine Freunde und Bekannten uns begegnen. He, wer war denn das?, sollen sie flüstern. Wie gut die beiden zusammen aussehen, sollen sie sagen. Was für ein großer und schöner Mensch, sollen sie denken. Ich bin stolz darauf, zu dir zu gehören, und auch wenn wir noch nicht darüber geredet haben, ist es genau das, was ich tue. Zu dir gehören.

 

Wenn wir uns morgens trennen, möchtest du dich fast nie fürs nächste Mal verabreden. Bis später, sagst du, und ich wage nicht zu fragen, was du damit meinst. Du erkundigst dich nie nach meinen Plänen, und ich fühle mich aufdringlich, wenn ich dir davon erzähle. Deine zwei Gesichter faszinieren mich. Du bist komplex und paradox. Abwesend und anwesend zugleich. Du bist immer abwechselnd so nah und so weit weg. Ich denke fast die ganze Zeit, in der wir uns nicht sehen, an dich. Warte darauf, dass du dich meldest, und finde die Stunden, bis das passiert, unerträglich.

Aber du meldest dich. Du meldest dich immer. Wenn ich ein paar Stunden warte, dann kommst du bald zurück. Langsam lerne ich deinen Takt. Ich lerne, in deiner Welt zu existieren. Ich bin jetzt in dich verliebt. Zwei Wochen hat es gedauert oder zwei Tage, es ist schwer, das exakt zu sagen.

Die Ambulanz ist gekommen, und der freundliche Mann, der ausgestiegen ist, war nur wenige Minuten oben in unserer Wohnung. Ivan und ich warten auf einer Bank im Eingangsbereich, er kommt zu uns hinunter und sagt, dass ich recht hätte, mein Lebensgefährte sei wirklich tot. Er sagt, wenn es irgendwie tröstlich wäre, dann sähe es so aus, als wärest du nicht mit Schmerzen gestorben, sondern friedlich im Schlaf. Es ist kein Trost.

Der Sanitäter möchte, dass ich mit hinauf in die Wohnung komme. Ich weiß, dass ich das tun sollte, ich weiß, dass ich wenigstens Ivans Windel wechseln sollte, doch ich kann mich nicht rühren. Ich will nie wieder da hineingehen.

 

Ich habe deinen Bruder angerufen, und dein Bruder hat deine Eltern angerufen. Ich habe meine Stiefmutter angerufen, und alle sind jetzt auf dem Weg, in rasendem Tempo reisen sie von den Orten an, wo sie bis eben noch einen ganz normalen Montagmorgen begonnen haben. Ich sage zu dem Sanitäter, dass ich im Eingang sitzen und warten möchte, bis jemand, den ich kenne, zu mir kommt. In Ordnung, sagt er. Berichtet, dass die Polizei unterwegs ist, und betont, dass es sich um ein Standardverfahren handelt, wenn junge Menschen überraschend sterben. Ich solle nicht glauben, dass ich verdächtig sei oder dass ein Verbrechen geschehen sei, sondern das sei einfach die Vorschrift. Er sagt noch mehr Sachen, aber sie erreichen mich nicht, denn jetzt

Die Polizisten kommen gleichzeitig mit deinem Bruder an. Ich weiß nicht, wie er das schafft, aber auf irgendeine Weise gelingt es ihm, das Kommando über die Situation zu übernehmen. Führt mich mit einem festen Griff um meine Schultern in die Wohnung hinauf. Ich sage, ich weigere mich, noch einmal ins Schlafzimmer zu gehen. Er sagt, das muss ich auch nicht, ich soll in der Küche bleiben. Die Polizisten möchten mir da ein paar kurze Fragen stellen.

In der Küche haben die Beamten angefangen, unseren Medizinschrank zu durchsuchen. Ich höre die Polizistin zu ihrem Kollegen sagen, hier gäbe es so viele Medikamente, dass man unmöglich wisse, wo man anfangen solle. Sie schaut meine rezeptfreien amerikanischen Schlaftabletten an und fragt, wem sie gehören. Ich sage, mir, und schäme mich, dass ich im Laufe der Jahre so viele Packungen davon angehäuft habe. Dass ich ausgerechnet Pillengläser aus den USA gesammelt habe. Dass ich fast niemals auch nur eine einzige von diesen Pillen genommen habe, aber trotzdem jedes Mal, wenn ich nach New York gereist bin, ein neues Glas gekauft habe. Es klingt total bescheuert, als ich das den

Die Polizistin macht Notizen und leert eine Medikamentenschachtel nach der anderen auf den Küchentisch. Ich frage, wann sie fertig sein werden, und die Frau erwidert mit sanfter Stimme, bald, wir müssen erst das hier machen. Es ist eine Standardprozedur.

 

Jetzt kommt meine Stiefmutter in die Küche. Sie hat sich sofort, nachdem sie vor einer knappen Stunde den Anruf erhalten hat, in Uppsala ins Auto geworfen, um herzukommen. Seit ich sie kenne, und das sind bald schon dreißig Jahre, ist sie eine Frau der Tat. Als sie mich neben den Polizisten am Küchentisch umarmt, weine ich zum ersten Mal heute. Sie weint auch. Ich winde mich aus ihrer festen Umarmung

Du hast morgen Geburtstag, und du willst nicht darüber reden. Sagst, du fändest Geburtstage unwichtig und ich solle auf keinen Fall ein Geschenk kaufen. Erzählst, dass du Angst davor hast, Geburtstag zu haben, weil es dich daran erinnert, wie die Zeit vergeht, und dass du nicht das Gefühl hast, in den letzten Jahren etwas Denkwürdiges geschaffen zu haben. Du sagst, Geburtstage seien in ihrer Eigenschaft als Zeitmarkierungen eine anstrengende Erinnerung an deine Defizite als Mensch. Ich frage, welche Defizite du meinst, aber es ist dir unangenehm und du willst das Gespräch beenden. Sagst, dass du nun schon viel zu viele Jahre dasselbe gearbeitet, in derselben Wohnung gewohnt und so ziemlich dasselbe gemacht hast. Ich sage es nicht, denke aber, dass du komisch bist, denn bei den meisten, die ich kenne, ist das der Fall. Trotzdem feiern sie ihre Geburtstage. Und du hast jetzt schließlich mich kennengelernt. Wir sind doch wohl zusammen, oder? Das ist eine neue Sache, eine große Sache, oder nicht? Ich frage mich, warum du es nicht so siehst.

Wir sehen uns jetzt schon bald vier Wochen, und es macht mir Stress, dass ich nicht weiß, was ich dir zum Geburtstag schenken soll. Es ist doch komisch, eine Beziehung anzufangen, ohne sich etwas zum Geburtstag zu schenken. Ich entscheide, dass du irgendwas kriegen musst, weiß aber nicht, welche Richtung für eine Person die passende ist, die zwar sagt, dass sie nicht gefeiert werden will, die aber trotzdem das Beste ist, was mir in den letzten zehn Jahren

Deine Wohnung verrät so gut wie nichts darüber, was du brauchen könntest oder vielleicht gern hättest. Es scheint dir zu gefallen, so minimalistisch zu leben. Ich wage nicht, dir Kunst zu schenken. Möbel auch nicht, das wäre zu groß nach ein paar gemeinsamen Wochen. Vielleicht ein Küchengerät? Wie unglaublich langweilig. Hallo, hier komme ich mit meiner Liebe und einer … gusseisernen Pfanne. Die Idee kommt nicht infrage. Ich denke über Kleidung nach, habe aber den Verdacht, dass du wählerisch bist und vermutlich alles umtauschen würdest, wenn ich falschliege. Was ich wieder persönlich nehmen und verletzend finden würde. Deine Garderobe ist fast ebenso minimalistisch wie deine Wohnung, während unserer gemeinsamen Zeit habe ich dich immer nur in drei karierten Hemden, ein paar weißen T-Shirts, einem dunkelblauen Kapuzenpullover und vielleicht drei Jeans gesehen. Ich muss oft denken, was für fantastische Jeansbeine du hast. Du hast bestimmt die tollsten Jeansbeine, die ich je gesehen habe. Ich frage mich, warum du mit diesen Beinen nicht Jeansmodel bist. Ich verliere den Faden. Beschließe, mit Kleidung zu warten, bis ich dich besser kenne.

Ich schaue heimlich in deinen Badezimmerschrank und stelle wenig erstaunt fest, dass er fast leer ist. Deine Flasche Aftershave aber ist voll. Dein Shampoo und die Seifen sind unansehnlich. Ich bleibe in deinem Badezimmer. Hier verbringst du viel Zeit.

Du liebst es zu duschen und tust es mehrmals täglich. Sagst, du könntest beim Duschen so gut denken. Auf Lösungen für Probleme im Job oder auch Existenzielleres

 

Dein Geburtstag ist an einem Donnerstag, Christi Himmelfahrt, ein langes Wochenende. Wir erwachen nach einer alkoholisierten Nacht wie immer eng umschlungen, die Kleidung von gestern auf zerknautschten Haufen am Fußende des Bettes. Gestern war eine der ersten Gelegenheiten, wo wir uns zusammen draußen gezeigt haben, und als ich aufwache, zähle ich im Kopf die Personen zusammen, die uns jetzt gesehen haben. Ich bin stolz darauf, zu dir zu gehören, die Frau zu sein, um die du – nach eigener Aussage ein einsamer Wolf – jetzt in der Öffentlichkeit deinen Arm legst. Die du küsst, mit der du lachst. Ich finde, dass wir zusammenpassen. Lang und mager sind wir beide, im Aussehen

Du schläfst immer noch, als ich in deine Küche schleiche, ein paar Brote schmiere und ein Glas Saft eingieße. Ein Tablett finde ich nicht, das wäre ein gutes Geschenk gewesen, stelle ich fest. Stattdessen habe ich eine Backform gekauft. Irgendwann hast du einmal gesagt, dass du fantastische Apfelkuchen machst und dass ich an dem Tag, wenn du mir einen machst, in Ohnmacht fallen würde. Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen. Ich habe ein Taschenbuch gekauft, eine unterhaltsame Geschichte von Sachen, die man in der Oberstufe wahrscheinlich gelernt, aber dann vergessen hat, und dann die Backform. Meine Geschenke sind mir peinlich, aber jetzt stehen sie hier, neben einem Glas Orangensaft und zwei Broten. Ich gebe alles, um meine Scham zu ignorieren, hole tief Luft, begebe mich zum Schlafzimmer und hebe an zu singen.

Die Polizisten sind weg, und die Sanitäter haben das Staffelholz, das in diesem Fall wir sind, einem Gerichtsmediziner übergeben, der gekommen ist, um die Todesursache zu bestätigen. Zumindest nehme ich an, dass dies seine Aufgabe ist. Ich nehme nur Fragmente der Sätze, die an mich gerichtet werden, wahr, die Wörter fließen irgendwo außerhalb meines Kopfes, und wie sehr ich auch zuzuhören und zu verstehen versuche, gelingt es mir doch nicht. Doch ein Arzt ist vor Ort, ist in dein Zimmer gegangen, wird deinen Körper untersuchen und nachsehen, wann du gestorben bist. Warum du gestorben bist.

Deine Mutter, dein Vater, dein großer Bruder und dein Neffe sind jetzt bei uns. Meine Stiefmutter ist bei Ivan, in der Nähe und ständig bereit, einzuspringen, wenn ich sie brauche. Zwischendrin weint sie immer wieder, sie hat meinen Vater verloren, als meine kleine Schwester so alt war, wie Ivan jetzt ist, und sie erinnert sich, wie das war. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, verhält sie sich jetzt operativ und praktisch. Tut das, was am meisten gebraucht wird. Konzentriert sich auf Ivan. Auf Dinge, die erleichtern. Spielt mit ihm, hält ihn satt und trocken. Überlässt ihn mir, wenn er trinken will. Nimmt ihn dann wieder zurück und setzt ihre stille Arbeit fort.

Dein Vater bricht manchmal in Geheul aus, eine Art abgrundtiefes Weinen. Dazwischen redet er, gebetsmühlenartig, seine Stimme dominiert den Raum, in dem er