Antoine Leiris

Danach, das Leben

Aus dem Französischen von Doris Heinemann

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Antoine Leiris

Antoine Leiris, geboren 1981, war Journalist beim Radiosender »France Info«. 2014 kündigte er, weil er sich auf das Schreiben eines Romans konzentrieren wollte. 2015 wurde seine Frau im Bataclan ermordet – statt des Romans entstand »Meinen Hass bekommt ihr nicht«, ein Buch über seine Trauer, das zum internationalen Bestseller wurde. Er erhielt dafür den Prix littéraire des Rotary Club. Seit 2018 arbeitet er als Redenschreiber für die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo.

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Sie war die Liebe seines Lebens. 2015 wird Hélène beim Anschlag auf das Pariser Bataclan ermordet. Antoine Leiris bleibt mit dem gemeinsamen Sohn Melvil zurück, der erst 17 Monate alt ist. Zehntausende haben »Meinen Hass bekommt ihr nicht« gelesen, das Buch, in dem Antoine Leiris kurz nach Hélènes Tod über seinen Schmerz schreibt und über den Willen, sich nicht von Hass zermürben zu lassen. Fünf Jahre später erzählt er in »Danach, das Leben«, wie er seine Trauer Schritt für Schritt bewältigte. Für seinen Sohn und gemeinsam mit ihm.

Eines Morgens, ein Jahr danach: Antoine packt die Schätze, die ihm von Hélène geblieben sind, in schwarze Säcke. Zusammen mit dem kleinen Melvil trägt er sie nach unten, um sie den Müllmännern zu übergeben. Keine Tränen – Melvil ist stolz, seinem Vater zu helfen. Für Antoine ein Akt der Befreiung, des Loslassens, ein Schritt zurück ins Leben. Einer von vielen.

So zieht sich der Schmerz Stück für Stück zurück, mit jedem Jahr, das vergeht. Doch obwohl die Trauer verblasst, wird Hélène ihn nie verlassen. Sie bleibt wie ein guter Geist, die Erinnerung an eine einzigartige Liebe.

Er aber ist ein anderer geworden. Ein liebender Vater, der wieder gelernt hat, unbeschwert mit seinem Sohn zu lachen. Gemeinsam sind sie stark, besiegen die Dunkelheit.

Impressum

Deutsche Erstausgabe

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die französische Originalausgabe erschien 2019

unter dem Titel »La vie, après«

bei Éditions Robert Laffont, Paris

© Éditions Robert Laffont, S.A.S., Paris, 2019

 

Covergestaltung: KOSMOS - Büro für visuelle Kommunikation

Coverabbildung: Mayte Torres/Getty Images

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491286-8

 

Marguerite Yourcenar, Alexis oder der vergebliche Kampf

 

 

»Wer sich erinnern will, muß sich dem Vergessen anvertrauen, diesem Risiko des absoluten Vergessens und diesem schönen Glücksfall, zu dem das Erinnern dann wird.«

 

Maurice Blanchot, Le livre à venir

Mein erstes Buch habe ich im brutalsten und elementarsten Augenblick meines Lebens geschrieben. Ich hatte gerade bei den Anschlägen vom 13. November 2015 auf das Bataclan meine Frau Hélène verloren.

In Meinen Hass bekommt ihr nicht habe ich von den Tagen danach erzählt, den Tagen unmittelbar nach ihrem Tod, die ich mit unserem damals siebzehn Monate alten Sohn Melvil durchlebte.

Seither habe ich es mehrmals mit dem Schreiben versucht. Erst habe ich etwas Fiktionales zu schreiben versucht, eine Geschichte, die nichts mit mir zu tun hatte. Ich wollte Menschen und Orte erfinden, einen echten Roman schreiben. Ich verbrachte Monate mit diesem Versuch, bis ich mich damit abfand, dass ich nicht dazu fähig war. Meine Phantasie war ganz und gar auf die Erfindung unseres neuen Lebens gerichtet. Jenseits dieser Notwendigkeit, uns zu retten, Räume zu erschließen und uns in unserem Leben einzurichten, konnte ich nichts erschaffen.

Die Trauer ist eine Abfolge von Verwandlungen. Nach und nach häutet man sich, in unablässiger Veränderung. So macht es die Zeit mit allen Menschen, das ist normal. Doch in diesem speziellen Fall folgen die Veränderungen rascher aufeinander.

Vier Jahre danach kann ich sagen: Ich bin nicht mehr derselbe Mensch. Melvil auch nicht. Er ist kein Baby mehr, er ist ein kleiner Mann und topfit.

Während dieser Jahre ist er vom Schweigen und Brabbeln zu den Wörtern und zur Sprache übergegangen. Er ist so schnell groß geworden.

 

Erst als ich wusste, dass wir stabil genug waren, fing ich wieder an zu schreiben. Und versuchte, diese Häutungen, diese Gischt der Veränderung, vom Verlust sämtlicher Fixpunkte bis zu dem Augenblick, in dem die Wolken fast schlagartig aufreißen, in Worte zu fassen.

In diesem Augenblick beginnt »Danach, das Leben«.

 

Es sind also nicht wieder zehn Tage, sondern vier lange Jahre, in denen ich viel gelernt habe. In diesem Buch habe ich versucht, die Routinen und die Momentaufnahmen in Worte zu fassen, zu erzählen, wie ich gelernt habe, Vater zu werden, mit den

Heute sind wir glücklich und frei. Von unserer Geschichte befreit und durch sie gestärkt.

Melvil und ich haben das »Salz des Lebens« wiedergefunden. Von da an wollte ich wieder schreiben, aber einzig und allein darüber. Ganz einfach schreiben. In der ersten Person.

Über mich. Antoine Leiris. Den Sohn. Den Bruder. Den Vater. Und über dieses ganz besondere Wir, das mein Sohn und ich bilden.

Juli 2016

Es ist im Jahr danach, im Juli. Ich gebe ihn bei seiner Großmutter ab, damit er mir nicht im Weg ist. Ich küsse ihn, wie man Marshmallows isst – man kann nicht aufhören, man hat den Mund voll, und der Bauch ist ganz verklebt.

Ich verlasse ihn, aber ich möchte ihn bei mir behalten. Dieser Kuss legt sich mir auf den Magen

 

In der ersten Zeile habe ich geschrieben: »Das Jahr danach«. Beim Lesen dieser Worte wird mir bewusst, dass sich meine Sprache verändert hat. Ab jetzt sage ich »davor« und »danach«, wie man vor oder nach dem Fall der Berliner Mauer sagt, vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg, vor oder nach der Erfindung des Buchdrucks, vor oder nach Jesus Christus. Es ist der Wendepunkt unserer Geschichte.

Ich habe nie gesagt: »Hélènes Tod«. Ich sage es nicht, und selbst beim Schreiben klingt es falsch. Ich begnüge mich damit, die Dinge vage in die Zeit

Mir ist klar, wie hart und vereinfachend das ist. Meine Weise, das Hindernis zu umgehen und dabei einzusehen, dass es unmöglich ist.

 

Es ist also im Jahr danach, im Juli. Ich habe vor, es wie ein Einbrecher leise und im Dunkeln zu tun. Keine Musik, kein Licht, in diesem Augenblick gibt es nichts, was sich überhöhen ließe.

In meiner, in unserer Wohnung warte ich darauf, dass es völlig dunkel wird. Ich schaue aus dem Fenster: Staub fällt auf die Straße unten. Wie ein Körper, der sich aufdrängt und entblößt, aufreizend und quälend, beginnt dichte Feuchtigkeit vom glühend heißen Asphalt aufzusteigen.

Bald ist es so weit.

Ich entkorke eine Flasche Rully – der Weißwein enthält ausreichend Sulfite, damit ich den vor mir liegenden Abend anschließend werde vergessen können – und setze mich mit meinem Glas auf den Boden.

 

Ich habe mir eine Nacht gegeben, um zu versuchen, die Dinge »gut« zu machen. Wieder weiche ich dem Hindernis aus.

Meine Unaufrichtigkeit springt mir ins Auge: Die

Ich muss in wenigen Stunden leisten, was ich seit Monaten vor mir herschiebe: an ihrer Stelle ihre Sachen aussuchen, sortieren und wegräumen, mich der realen Seite der Trauer stellen. Die Wohnung scheint von ihr überschwemmt zu sein. Wasser, ein flüssiger, grenzenloser Körper, der sich ergießt, die Ritzen füllt und sich auf der Oberfläche ausbreitet.

 

Unsere Wohnung ist intakt; genau wie im Davor. Seit einem Jahr ist alles an seinem Platz geblieben.

 

Als Jugendliche spielten wir oft dieses Spiel: »Wenn du nur drei Filme auf eine einsame Insel mitnehmen dürftest, welche wären es?« Früher hätte ich ohne zu zögern geantwortet: 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick, um endlich die letzte Szene zu verstehen; The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit wegen Paul Newman; Unter falschem Verdacht, um noch einmal die trockene, raue Stimme von Louis Jouvet zu hören.

 

»Wenn du nur drei Gegenstände als Erinnerung an dieses Leben mitnehmen dürftest, welche wären es?«

»Wenn du nur drei Gegenstände mitnehmen dürftest, damit dein Sohn später verstehen kann, wie dieses Leben war, welche wären es?«

 

Erwachsen sein. Für Melvil und für mich denken. Radikale Entscheidungen trifft man im Allgemeinen für sich allein, nicht für zwei.

Ich wünschte, jemand würde mich beraten und mir sagen: In zehn Jahren wird dein Sohn froh sein, wenn er noch dies da besitzt. In zwanzig Jahren wirst du dieses brauchen, in fünfzig wirst du jenen Gegenstand mit Freude betrachten.

 

Und doch muss ich allein handeln. Und hinterher zu meinen Entscheidungen stehen.

 

Die Liebe eines ganzen Lebens in dem Augenblick anhalten, in dem sie zerbrochen ist. Sie dann in Bilder und Momente aufteilen. Sie ordnen und sortieren, damit sie in kleine Schachteln passt, und sie dann darin wieder leben lassen.

Einen anderen Raum für sie alle schaffen, für sie allein, ihn sich ganz vorstellen, durchatmet von dem,

 

Ich hänge nicht an den Dingen, sie sind mir lästig, wie Besitz mir überhaupt gleichgültig ist. Seit jeher sind mir Sammeln und Anhäufen fremd, ich baue kein Erbe auf; ich versuche eine Geschichte zu schreiben.

Von meinen früheren Leben habe ich nie etwas behalten. Ich bin aus einer dieser Familien, die sich weder in Stein meißeln noch in die Zeit prägen. Ich weiß noch, dass ich als Kind diejenigen beneidete, die sich auf eine Abstammung, eine vergangene Kultur berufen konnten. Die einen Akzent, eine Farbe, eine Geographie hatten, etwas, was sie von den anderen unterschied und was sie unwillkürlich mit sich trugen.

Wir hatten nichts dergleichen, daher erschien mir noch das geringste Detail außergewöhnlich.

Mir wurde von Aufenthalten auf dem Land erzählt, im Haus der Großeltern, von Spaziergängen am Meer, von Bootstouren, und ich malte mir epische Abenteuer aus, exotische Erzählungen, ein vollkommenes Glück.

 

Meine einprägsamste Ferienerinnerung hat mit den Bergen zu tun, ein damaliger Freund hatte mich eingeladen, im Sommer für eine Woche mit ins Chalet

Ich hatte direkt aus dem Fluss getrunken. Ich hatte mein Brot mit einem Opinel-Messer geschnitten. Ich hatte mich zu dieser Geschichte zugehörig gefühlt. Ich war ein Gebirgler, ich hatte es seit Generationen im Blut.

 

Später habe ich dennoch das typische Verhalten meiner Familie wiederholt, ich habe nichts oder fast nichts aufgehoben.

Ich habe mein Leben lang alles fortgeworfen und neu angefangen. Ich habe Häuser verlassen, um andere zu bewohnen, mit der Leere als Erbe und als Verheißung der Erneuerung.

Dennoch gleicht unsere Wohnung einem Museum. Ich denke an Pablo Nerudas Hütte in Isla Negra westlich von Santiago de Chile, an der Pazifikküste, wo er mit Matilde begraben liegt.

Das Haus, eine Zuflucht aus Holz und Stein, sieht noch genauso aus wie damals, als sie dort zusammen wohnten, alles – maritime Stücke, das Holzpferd – ist noch an seinem Platz.

Im Arbeitszimmer des Dichters ist es ganz wie »früher«. Aus Beschreibungen kennt man dieses riesige Arbeitszimmer mit Blick auf die See, das voll ist

 

Die Gegenstände der Toten werden umgehend zu heiligen Gegenständen. Zu Reliquien, zum Beweis dafür, dass jene, die da waren, es nicht mehr sind und dass sie ein eigenes Leben hatten. Dass Hélène ein eigenes Leben hatte. Dass sie ihre Geheimnisse und Ängste hatte, dass sie ihre Schlüssel immer in der Hosentasche mit sich trug, dass sie diese Halskette getragen oder die Bänder jenes Paars Sandalen um die Knöchel geknotet hatte.

Sie sind Bindestriche zwischen dem Hier und dem Anderswo, wo das Lebendige noch ein wenig bleibt. In Details, in Spuren, wie man sie von vergangenen Kulturen findet.

Ich fühle mich nicht im Gleichgewicht. Ich tue, was ich immer getan habe, jetzt jedoch mit dem Gefühl, innere Grenzen zu überschreiten.

Ich bin zugleich der Wächter und der Dieb. Der, der erhält, und der, der zerstört. Der Schänder und der Geschändete.

 

Vor dem Schrank, auf dem ein schon seit mindestens einem Jahr nicht mehr eingeschalteter Fernseher thront, steht ein Karton mit Ladegeräten aller Größen und Formen, von denen ich mich nie habe trennen können.

Es ist fast das Einzige, was mich von der Vorstadtwohnung, die ich mit zwanzig als WG-Mitglied bewohnte, bis hierher in die Zweizimmerwohnung im fünfzehnten Arrondissement von Paris begleitet hat, die wir erst kurz davor bezogen hatten. Es war praktisch. Es gab Kinderkrippen und Parks. Und dann fühlten wir uns wohl hier.

Dabei ist es das tristeste Viertel von Paris. Es ist weder jung noch schön, es schläft um neun Uhr abends ein und wird von den Schulklingeln wieder geweckt. Es wird geprägt von den nach dem Krieg wieder aufgebauten großen Mietshäusern mit ihrer Architektur und dem dazugehörigen Lebensstil. Man wohnt hier, man kauft hier ein, man geht sonntags spazieren, man macht Kinder, man wird alt, man stirbt, und das war’s.

 

Unsere Vergangenheit im Achtzehnten trage ich in mir wie eine Schneekugel. Man braucht nur durch das Glas zu sehen, um sich zu erinnern: das Leben,

Melvils erste Monate mit uns im Schlafzimmer. Die kurzen Nächte und die Sommersonne. Am Tag des Umzugs habe ich einen seiner Schnuller unter der Badewanne versteckt. Zum Zeichen, dass wir hier gewesen waren, und um etwas von uns zu hinterlassen.

 

Der Rully hilft nicht. Jeder Handgriff grenzt an ein Sakrileg. Ich zittere, als ich auf ihre Schulhefte stoße. Mit dem Finger berühre ich ihre Schrift. Eine Mädchenschrift, schön und ordentlich.

Die Schlingen ihrer L sind vollkommen. Die i-Punkte kreisrund.

 

In einer anderen Schachtel finde ich Fotos von ihr. Eins von ihrem nackten Körper, das ich in den ersten Wochen nach unserer Begegnung aufgenommen habe. Er ist mit Schwalben bemalt. Ich erinnere mich an ihre Brust in meiner Hand, an die vollkommene Form und die sanften Rundungen.

Einen Augenblick lang spüre ich ihr Gewicht, ihre Leichtigkeit, ihre Fülle, und ich umfange sie. Sich an dieses tief vergrabene Gefühl erinnern: ihre Brust, der Ort, an dem sich unsere Haut berührte. Die Begegnung meines Begehrens und ihres Verlangens.

Ich behalte vor allem das, was sie täglich benutzte. Ihr Handy – das ich nie eingeschaltet habe, aus Angst, mich in ihre Geheimnisse zu drängen, den Beweis für eine Untreue, für einen Überdruss zu finden, es gehörte ihr, nicht mir.

 

Die Schmuckstücke, die sie trug, habe ich in die Schachtel gelegt, in der ich meinen Ehering aufbewahre. Ich habe den Inhalt ihres Nachtschränkchens behalten und ein Bild von uns, auf dem unsere Gesichter von der Londoner Kälte gerötet sind.

Dann denke ich über die Logistik nach, über alle möglichen Ordnungskonzepte: Ich könnte ihre Reliquien nach den Schränken sortieren, in denen sie aufbewahrt worden waren, nach ihren Lebensabschnitten, nach der Nützlichkeit oder dem Wert. Ich könnte es ordentlich machen, organisiert und überlegt.

Stattdessen räume ich alles nur aufs Geratewohl in Kartons und verschließe sie. Als die Sachen gut weggepackt sind, beschrifte ich die Kartons mit einem dicken schwarzen Filzstift: »Hélène«. Als hätte

 

Die Sonne geht auf. Ich habe knapp drei Stunden geschlafen. Ich habe mein feuchtes Haar zurückgekämmt und mir ein Handtuch um die Taille gebunden. Ich komme aus der Dusche.

Der graue Schleier über Paris lässt die Stadt apokalyptisch wirken. Das Licht dringt nicht durch, der Horizont scheint es einzuschließen und festzuhalten; bald wird es in orange getönten Strahlen durchbrechen.

Mein Bruder holt die Sachen ab. Es muss schnell gehen. Damit ich keine Wahl mehr habe. Alles ohne Sinn und Verstand in den Lieferwagen räumen. Durch das Treppenhaus hoch- und runterlaufen. Schuften, damit das Kopfweh aufhört. Nicht mehr denken. Weggehen.

 

In der neuen Wohnung packe ich alles in Windeseile aus. Als Erstes räume ich Melvils Zimmer ein, dann das Wohnzimmer und mein Schlafzimmer.

Ich will, dass alles für seine Ankunft bereit ist, dass es lebendig wirkt. Es muss dem gerecht werden, was ich ihm in Aussicht gestellt habe: ein Abenteuer.

Ich male ihm alles wie ein Abenteuer aus. Wir sind wie diese Findelkinder aus den Geschichten auf

Wir verbringen unsere Tage damit, den Sambesi hinaufzuschippern oder den Himalaya zu besteigen. Wenn wir meine Schwester besuchen, ist das wie die legendäre »Expedition Seidenstraße«, auf eigene Gefahr reisen wir durch unbekannte Länder.

Dort fürchten wir uns vor den Eingeborenen, die andere Sitten haben als wir. Wir stellen uns Tieren, die nur dem Namen nach Haustiere sind, Meuten von Hunden mit Tennisbällen im Maul, Raubkatzen, die auf Fensterbrettern hingegossen auf ihre Beute warten, riesigen Insekten, die womöglich schreckliche Krankheiten übertragen.

Wir wagen uns in die Außenwelt, bieten uns dem Draußen schutzlos dar.

 

Unsere neue Wohnung im sechsten Stock eines modernen Gebäudes ist jetzt also dieses noch unerforschte Gebiet. Das nächste Abenteuer beginnt unten, mitten auf dieser schnurgeraden anorganischen Straße.

Es gibt kein einziges Geschäft und sehr wenige Passanten. Eine Schule sorgt morgens, mittags und nach Schulschluss für Leben. Einige Minuten zwitschert es, und dann hört man, wie sich die Stille wieder ausbreitet.