[1]
Unter diesen Anthologien ist die Sammlung von SELLIN hervorzuheben: Der besondere Wert dieser Quelle liegt in ihrem Erscheinen unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches (1946) begründet, während andere Flüsterwitzsammlungen eine solche zeitliche Nähe zum historischen Gegenstand vermissen lassen.
[2]
Vgl. WÖHLERT, S. 7f.
[3]
Vgl. LANDMANN, S. 12
[4]
Vgl. WÖHLERT, S.15
[5]
Vgl. FEST, S. 356
[6]
Zit. n. FOCKE/STROCKA, S. 15
[7]
Vgl. WIENER, S. 85
[8]
Vgl. ALLERT, S. 25
[9]
Vgl. ALLERT, S. 87
[10]
Vgl. STEINERT, S. 264
[11]
KLEMPERER, Bd. 1, S. 8
[12]
Die Gebrüder Sass waren die Anführer einer berüchtigten Verbrecherbande.
[13]
FOCKE/STROCKA, S. 143
[14]
Zit. n. KÜHN, S. 102
[15]
Vgl. KÜHN, S. 336
[16]
HANFSTAENGL, S. 14f.
[17]
HANFSTAENGL, S. 110
[18]
HANFSTAENGL, S. 32
[19]
Vgl. E.O. PLAUEN, S. 43
[20]
Vgl. KÜHN, S. 79
[21]
SELLIN, S. 19
[22]
Vgl. WÖHLERT, S. 95 ff.
[23]
FINCK (2), S. 75
[24]
FINCK, S. 69
[25]
Vgl. KÜHN, S. 80
[26]
Vgl. KÜHN, S. 280
[27]
Anmerkung des Autors: Hier sind die KZs gemeint.
[28]
Ibid.: Dies vernuschelte Finck gerne bei seinen Auftritten, sodass es sich anhörte wie »Nur nicht dies Reich«.
[29]
Ibid.: Die Maße korrespondieren mit den Daten der Revolutionsunruhen 1918/19 und der Machtergreifung 1933. Erst steht der Kunde mit Kommunistengruß da, dann streckt er die Hand wie beim »Deutschen Gruß« aus.
[30]
Vgl. FEST, S. 636
[31]
Vgl. WIENER, S. 131
[32]
Vgl. FEST, S. 577
[33]
Anm. des Autors: Wer eine jüdische Urgroßmutter und sonst »arische« Vorfahren hatte, war von den Rassegesetzen nicht betroffen.
[34]
Vgl. hierzu das Interview mit Magda Schneider in dem Film Prisoners of Paradise, USA, CAN, USA, D, 2002
[35]
Zit. n. HIPPEN, S. 18
[36]
Zit. n. HIPPEN, S. 26f.
[37]
Vgl. HIPPEN, S. 23
[38]
Vgl. KÜHN, S. 55f.
[39]
Vgl. HIPPEN, S. 14
[40]
Vgl. FEST, S. 64
[41]
Vgl. HAHN, S. 225
[42]
Anm. d. Autors: Hermann Göring war Reichsminister für Luftfahrt.
[43]
Vgl. STEINERT, S. 327
[44]
Vgl. KÜHN, S. 81
[45]
Vgl. WIENER, S. 37f.
[46]
WIENER, S. 36
[47]
Zit. n. KLEINHANS, S. 6
[48]
RÜHMANN, S. 149
[49]
Anm. d. Autors: Die UFA hatte ihn lange vor der Machtergreifung fest unter Vertrag genommen, was bei Komikern sonst so gut wie nie geschah.
[50]
Vgl. KREIMEIER, S. 2
[51]
KREIMEIER, S. 5
[52]
DANIMANN, S. 58
[53]
Vgl. FINCK, S. 111
[54]
Vgl. WIENER, S. 105
[55]
Vgl. SHIRER, S. 1099
[56]
Vgl. FYNE, S. 18
[57]
Zit. n. SCHNELLE, S. 92
[58]
Zit. n. SCHNELLE, S. 95
[59]
MILLS, S. 186 (Übers. d. Autors)
[60]
Vgl. SPAICH, S. 358
[61]
Vgl. FYNE, S. 75: In diesem Buch aus dem Jahr 1994 wird die Schlusssequenz von Sein oder Nichtsein als »geschmacklos« bezeichnet.
[62]
Vgl. SPAICH, S. 358
[63]
Vgl. SPAICH, S. 361
[64]
LUCAS, S. 157ff.
[65]
Vgl. KÜHN, S. 360
[66]
Reichsgesetzblatt 1, 1939
[67]
§5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17. August 1938
[68]
Vgl. WÖHLERT, S. 97
[69]
MULIAR, S. 58
[70]
Vgl. MULIAR, S. 60f.
[71]
Aus der Urteilsbegründung des Volksgerichtshofs
[72]
Vgl. KOCH, S. 217
[73]
Vgl. KOCH, S. 222
[74]
Vgl. LIEBE, S. 21
[75]
Vgl. LIEBE, S. 27
[76]
Vgl. WÖHLERT, S. 137
[77]
Vgl. SCHARF-WREDE, S. 6
[78]
Vgl. SCHARF-WREDE, S. 11
[79]
Vgl. SCHARF-WREDE, S. 18
[80]
Vgl. SCHARF-WREDE, S. 16
[81]
Vgl. MÜLLER, S. 21
[82]
Vgl. KOCH, S. 231
[83]
MÜLLER, S. 25
[84]
Vgl. SHIRER, S. 1413
[85]
Vgl. SHIRER, S. 1409
[86]
Vgl. WIENER S. 113
[87]
Anm. d. Autors: Damit waren die Sandsäcke gemeint, die als Splitterschutz vor den Fenstern lagen.
[88]
ANONYMA, S. 28
[89]
Vgl. SHIRER, S. 1424
[90]
Vgl. KOGON, S. 137
[91]
BOLLE, S. 103
[92]
BOLLE, S. 144
[93]
Vgl. BOLLE, S. 218
[94]
Vgl. TROLLER, S. 258
[95]
Vgl. LIEBE, S. 122
[96]
Vgl. MARGRY S. 340
[97]
Vgl. LIEBE, S. 216
[98]
Vgl. KLÜGER, S. 62f.
[99]
Vgl. LASTER/STEINERT, S. 184f.
[100]
Vgl. LASTER/STEINERT, S. 186f.
[101]
Vgl. LASTER/STEINERT, S. 183
[102]
Vgl. LASTER/STEINERT, S. 190
Darf man über Hitler lachen? Regelmäßig taucht diese Frage in der öffentlichen Diskussion wie ein Irrlicht auf. Keine Frage: Angesichts der Dimension des Schreckens, des Holocaust, fällt es schwer, einen satirischen Blick auf das Dritte Reich zu werfen. Schnell bringt man sich in den Verdacht, zu verniedlichen und zu verharmlosen. Doch haben sich immer wieder Humoristen an das heikle Thema herangetraut. Seine stärkste Wirkung entfaltet der Anti-Nazi-Humor, wenn er entlarvend und lakonisch wirkt. Ist es also legitim, sich Auschwitz auch mit den Mitteln der Satire anzunähern? Oder wird das eigentlich Unaussprechliche auf diese Weise trivialisiert? Tatsache ist jedenfalls, dass über Hitler gelacht wurde, und zwar auch während der zwölf Jahre des Dritten Reichs. Politische Witze gab es während der Diktatur sogar wie Sand am Meer. Manche sind heute noch gut, andere wirken banal, schlecht, harmlos. Ihre Gemeinsamkeit liegt vor allem darin, dass sie einen Einblick in die wahre Befindlichkeit der Hitler’schen »Volksgemeinschaft« geben. Sarkastische, spöttische Bemerkungen galten meist Dingen, die dem Volk wirklich auf den Nägeln brannten. Auch Komiker bedienten sich während der Nazizeit des politischen Humors; dazu gehörten linke Oppositionelle, aber auch solche, welche den braunen Machthabern durch ihre Späße Schützenhilfe gaben. Durch die Analyse politischer Witze kommt man ungewöhnlich nah heran an das, was die Menschen des untergegangenen »Tausendjährigen Reichs« wirklich dachten, was sie ärgerte, was sie zum Lachen brachte; auch an das, was sie wussten und was sie geflissentlich ausblendeten. Zugleich verrät die Reaktion der Staatsmacht, die sich durch Komiker und Witzemacher immer wieder herausgefordert sah, welche Witze die Machthaber fürchteten. So soll dieses Buch eine Reise in eine vermeintlich humorlose Zeit sein – nicht, um den Leser zum Lachen zu bringen, sondern um die deutsche Gesellschaft jener schrecklichen Jahre aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die Moraldiskussion der Nachkriegszeit wird dabei nicht unterschlagen, doch steht sie nicht im Zentrum der Betrachtung.
Die Quellen, auf die dieses Buch zurückgreift, sind die Aussagen von 20 Zeitzeugen aus verschiedenen Städten, die im Rahmen eines parallel entstandenen Filmprojekts befragt wurden. Dazu zählten etwa die Weggefährten eines von den Nazis ermordeten Pfarrers, der Sohn eines berühmten Affendresseurs und der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Eine wichtige Rolle spielten außerdem die Biografien bekannter Komiker und die sogenannten »Flüsterwitzsammlungen« der Nachkriegszeit[1]: Nach dem Krieg erschienen gut ein halbes Dutzend Bücher mit politischen Witzen aus den Jahren der NS-Diktatur. Wer im stillen Kämmerlein über Hitler lachte, so wollten die Herausgeber dieser Scherz-Kompilationen glauben machen, der war im Grunde ein Nazigegner, wenn nicht sogar ein Widerständler. Erst die jüngere Forschung hat diese zwar schöne, aber auf Wunschdenken basierende Vorstellung als Legende entlarvt.[2] Politische Witze waren keine Form aktiven Widerstands, sondern Ventile für aufgestauten Volkszorn. Sie wurden am Stammtisch erzählt, in der Kneipe, auf der Straße – um wenigstens für einen Augenblick, in der Befreiung des Lachens, Dampf abzulassen. Dies konnte dem Naziregime, das sich zutiefst humorlos gab, nur recht sein. Zwar waren sich viele Deutsche der Schattenseiten der NS-Gesellschaft bewusst, zwar ärgerten sie sich über die Zwangsmaßnahmen, die »Bonzen« und die staatliche Willkür, doch aufgemuckt wurde deswegen nicht. Um es überspitzt zu formulieren: Wer seinem Ärger durch bissige Scherze Luft machte, der ging nicht auf die Straße oder forderte die Obrigkeit auf andere Weise heraus. Bezeichnenderweise hat man die große Mehrheit der Witzeerzähler, die tatsächlich denunziert und vor Sondergerichte gezerrt wurden, eher milde bestraft, ja, sie manchmal nur mit einer Abmahnung laufen lassen. Die sogenannten »Flüsterwitze« waren keine Manifestation von Zivilcourage, sondern ihr Surrogat. Auch die Aussagen der zu diesem Thema befragten Zeitzeugen widersprechen der Auffassung, politische Witze habe man in der NS-Zeit nur flüsternd und heimlich erzählen können. In der vergifteten Atmosphäre der letzten Kriegsjahre kam es allerdings vereinzelt zu drakonischen Urteilen, von denen noch die Rede sein wird. In dieser Schlussphase, während der sich das NS-System gegen das unabwendbare Schicksal seines Untergangs aufbäumte, kursierten auffällig viele »scharfe« Witze. Wie weit sie verbreitet waren, kann man freilich nicht genau beziffern.
Die große Mehrheit der politischen Scherze aus den Hitlerjahren war aber im Kern unkritisch und eher auf die menschlichen Schwächen der Machthaber gemünzt als auf ihre Verbrechen. Zahlreiche Witze gab es beispielsweise über Hermann Göring, dessen barockes Äußeres und dessen Vorliebe für Prunk und Orden die Fantasie der Menschen beflügelte. Nicht harte Kritik, sondern kindlich anmutende Zuneigung spricht aus vielen dieser Scherze:
Göring hat neuerdings quer über seine Ordensschnalle einen Pfeil als Richtungsanzeiger: »Fortsetzung auf dem Rücken«.
Dass Göring ein Sadist war, der zum Massenmörder wurde, dies war kein Thema des politischen Humors. Meist begegnet uns Göring im satirischen Kontext als eitler, aber liebenswerter Fettsack. Gerade seine demonstrativ nach außen gekehrten menschlichen Schwächen machten den zweiten Mann im Nazistaat bei der Bevölkerung beliebt. Dass er kaltblütig, zynisch und menschenverachtend handelte, schmälerte nicht die Sympathie, die für ihn bis zu seinem Selbstmord empfunden wurde.
Nun gab es wie gesagt auch andere Witze, aus denen blanker Hass und Ablehnung sprach. Es war jene Kategorie, die laut einem Berliner Zeitzeugen »sichere Witze« genannt wurden – nicht etwa, weil diese Scherze die Menschen sicher zum Lachen bringen konnten, sondern weil sie den Witzbold »sicher ins KZ« bringen würden. Doch gibt es Argumente, dass selbst die kritischsten Witze der Nazizeit systemstabilisierend wirkten. Für diese These spricht vor allem deren Ton, ihr lähmender Fatalismus. Auch wenn diese Witze offen regimekritisch waren, schwang meist mit, man könne ja doch nichts gegen die Missstände unternehmen. So wurde beispielsweise die Parole »Führer befiel, wir folgen« verballhornt; nun sagte man: »Führer befiel, die Folgen tragen wir«, ganz so, als könne man am von oben befohlenen Unglück ohnehin nichts ändern. Ähnlich im Ton ist auch folgender Witz, der in Wien erzählt wurde:
Plakat des Winterhilfswerkes im Winter 1943/44: »Keiner darf hungern, keiner darf frieren.« Sagt ein Arbeiter zum anderen: »Ach, das dürfen wir auch nicht?«
Eine solche resignative Haltung, die sich auch im Humor niederschlägt, findet allerdings nicht nur im »deutschen« Witz Ausdruck. Sie gilt auch als typisches Kennzeichen des jüdischen Humors, der allerdings drastischer, kompromissloser und selbstironischer klingt:
Nazi-Deutschland. Ein Schweizer besucht einen jüdischen Freund: »Wie kommst du dir vor unter den Nazis?« »Wie ein Bandwurm: Ich schlängle mich Tag für Tag durch die braunen Massen und warte, dass ich abgeführt werde.«
Der grundlegende Unterschied der zwei Witzarten liegt weniger in ihrem Ton oder ihrer Schärfe als in ihrer Funktion. Während der politische Flüsterwitz vor allem ein Ventil für die aufgestaute Frustration der Bevölkerung bot, kann man den jüdischen Witz als eine Form des Sich-Mutmachens interpretieren, oder, wie Salcia Landmann pointiert formuliert, als einen Ausdruck des Überlebenswillens der Juden, trotz aller Widrigkeiten weiterzuleben.[3] In ihm wird der täglich erfahrene Schrecken aufgearbeitet. So spricht selbst aus dem schwärzesten jüdischen Humor immer noch ein trotziger Wille, als wolle der Witzeerzähler sagen: Ich lache, also lebe ich. Ich stehe zwar mit dem Rücken zur Wand, meinen Humor werde ich aber nicht verlieren. In folgendem Beispiel aus den letzten Kriegsjahren wurde dies auf die makabere Spitze getrieben:
Zwei Juden sollen erschossen werden. Da heißt es auf einmal, sie sollen doch erhängt werden. Da sagt der eine zum anderen: »Siehst du, jetzt haben sie noch nicht einmal mehr Patronen!«
Zwar ist die Situation für die zwei Juden in diesem Witz aussichtslos, doch für das jüdische Volk gibt es die Hoffnung, dass das Nazireich kurz vor dem Zusammenbruch steht. So lakonisch, düster und abgeklärt zugleich erlebt man nur den jüdischen Humor. Dass das zitierte Beispiel sich in seiner Aussage und in seinem Ton so klar von dem erwähnten Göring-Gag unterscheidet, zeigt auch, wie unterschiedlich das Dritte Reich innerhalb der deutschen Gesellschaft wahrgenommen wurde und wie scharf sich die Perspektive von Opfern und Mitläufern unterschieden.
Doch Humor ist nicht allein an die Gruppenzugehörigkeit der Erzähler und Zuhörer gebunden, er ist auch in seiner Gesamtheit nur aus dem gesellschaftlichen Kontext der Zeit heraus verständlich. Viele der Scherze, gerade die der professionellen Spaßmacher und Komiker der Nazizeit, sind aus heutiger Perspektive kaum noch als solche zu erkennen. Manchmal ist es geradezu unvorstellbar, dass sich die Menschen über Witzchen königlich amüsierten, die auf den heutigen Betrachter schal, platt und behäbig wirken. Sie zu betrachten und zu interpretieren ist dennoch von Nutzen, spiegelt sich doch im Witz, was die Menschen wirklich beschäftigte, amüsierte und ärgerte. Die Innenansicht des Dritten Reichs, die sich damit eröffnet, besitzt eine Authentizität, die man bei der Betrachtung anderer zeitgeschichtlicher Dokumente meist vermisst.
Unsere Wahrnehmung der Hitlerjahre gründet, auch wenn wir uns das nicht gerne eingestehen, zu einem großen Teil auf den Propagandafilmen der Zeit. Dabei sind die Wochenschauen, die Riefenstahl-Filme, die immer wieder in historischen Dokumentationen zitiert werden, bekanntermaßen von ihren Machern durchinszeniert und ideologisch vergiftet. Sie sind nie Abbild der Realität, nie Ausdruck dessen, was wirklich in diesem System vorging. Noch heute entfalten sie eine trügerische Wirkung, eine Macht der Bilder, die sich selbst durch die vorsichtigste Kommentierung nicht vollkommen zurückdrängen lässt.
Es sind nicht nur die filmischen Dokumente, die unsere Perspektive verzerren, auch unser eigener Standpunkt spielt eine Rolle. Wir betreiben Rückschau, wohl wissend, wo der Weg dieses teuflischen Systems mündete. Die Schrecken des Holocaust und des Vernichtungskrieges sind im heutigen Bewusstsein so präsent, dass die Jahre, die dorthin führten, in den Hintergrund gerückt sind. Die tausend Schraubendrehungen, die erst den Rechtsstaat und schließlich beinahe jede Form humanen Handelns erstickten, geraten dabei aus dem Blick. Richtig fest im Sattel saßen die braunen Machthaber anfangs nicht. Zunächst kam die Phase der ideologischen »Gleichschaltung«, in der die Nationalsozialisten Gegner aus dem Weg räumten, indem sie sie mundtot machten oder ermordeten. Trotz aller Brutalität vollzog sich dabei die Umformung der Weimarer Gesellschaft zur nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« nicht von heute auf morgen. Über die Stimmung in der Bevölkerung während der frühen Jahre der NS-Herrschaft geben uns die Witze dieser Zeit, auch die der professionellen Komiker, auf besondere Weise Auskunft. Sie kommentierten und persiflierten das politische Geschehen und stellten einzelne Vorgänge in ein grelles Scheinwerferlicht, während andere, die aus heutiger Sicht ungleich bedeutungsvoller erscheinen, selten oder gar nicht zur Sprache kamen. Insgesamt, so wollen es die Berichte des Geheimdiensts SD, stand die Bevölkerung in den Vorkriegsjahren trotz der harten Linie der Machthaber hinter Hitler. Zwar konnte von überschäumender Begeisterung, wie sie in den Wochenschauen suggeriert wurde, nur bedingt die Rede sein. Doch die Deutschen waren mehrheitlich zufrieden mit ihrer politischen Führung, der außenpolitisch so viel zu glücken schien. Dies schlug sich natürlich auch in den politischen Witzen nieder, die, wie bereits ausgeführt, meist eher harmlos-albern wirken. Erst mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begann die Stimmung in der Bevölkerung zu schwanken. Spätestens mit der Niederlage von Stalingrad und den ersten Wellen des Bombenkrieges gegen deutsche Städte wurde der politische Humor zum Galgenhumor, wich Albernheit blankem Sarkasmus.
So soll dieses Buch, in dem es beschreibt, wie und warum unter Hitler gelacht wurde, einen Blick auf die vielen Veränderungen unterworfene Befindlichkeit der Deutschen während der zwölf Jahre der Nazidiktatur werfen. Dabei wird nicht zuletzt deutlich werden: Das Dritte Reich war nicht so monolithisch, wie es sich gerne in den Wochenschauen gab; die NS-Gesellschaft blieb heterogen, geprägt von sehr unterschiedlichen Interessen, Frustrationen, Sorgen und Ängsten, die sich im Humor der Zeit niederschlugen.
Die meisten politischen Witze sind Angriffe auf die Machthaber oder auf die vorherrschenden politischen Verhältnisse mit humoristischen Mitteln. Der Staat und seine Repräsentanten werden durch Überzeichnung und Komik der Lächerlichkeit preisgegeben. Dies kann bei manchen Scherzen spielerisch und augenzwinkernd geschehen, bei anderen spürt man förmlich die dahinterstehende Verbitterung. Wie eingangs aufgezeigt wurde, heißt dies noch lange nicht, dass sich die Witzeerzähler gegen das System auflehnen möchten. Politischer Humor ist nicht zwangsläufig eine Form des Widerstandes.
Der politische Humor ist als neuzeitliches Phänomen gedeutet worden. In vergangenen Zeitaltern, so hat man argumentiert, war die Staatsmacht nicht vom Volk, sondern durch Gott legitimiert. Jede Kritik an den Machthabern war gotteslästerlich und somit zu verdammen. Politischer Witz könne folglich nur in der modernen, säkularen Welt entstehen.[4] An dieser Theorie ist richtig, dass sich die politische Form des Humors erst in der Neuzeit voll entfalten konnte. Dies liegt allerdings weniger in der Säkularisierung der westlichen Welt begründet, sondern ist vor allem auf eine Komplizierung der Machtverhältnisse zurückzuführen, denn seit der Französischen Revolution sind die Beziehungen zwischen den Völkern und ihren Repräsentanten vielschichtiger geworden. Die Angriffsfläche für Satire hat sich damit vergrößert und zugleich haben sich die Möglichkeiten der Bürger zur Äußerung von Kritik vermehrt. Dies bedeutet nicht, dass es in einem durch Gott legitimierten Staat keinen politischen Witz geben kann. Moderne Theokratien, etwa der Iran, geben davon ebenso ein Beispiel wie die Staaten der Antike. Wer das Gegenteil behauptet, der leugnet die allgemein-menschliche Komponente des politischen Humors, welche wenig mit dem Idealbild zu tun hat, das jedes durch Gott legitimierte System vorgaukeln will. Gern lachen die Menschen über die Herrschenden, das ist gewiss immer so gewesen und wird immer so sein. Ob es erlaubt ist oder nicht, ob es als »Majestätsbeleidigung« gilt oder gotteslästerlich ist, das spielt dabei keine Rolle.
Gerade die Bildnisse der Römerzeit lehren uns, dass man in der Antike sogar sehr offensiv mit den Schwächen der Machthaber umging. Die Büsten der Mächtigen strotzen vor schonungslosem Realismus, der Kaiser hat einen Kropf, der Senator ein Doppelkinn. Nichts ist an diesen Menschen ideal, im Gegenteil, all ihre Fehlerhaftigkeit und ihre Schwächen sind dort in Marmor verewigt. Anders als die Griechen hatten die Römer eine auffällige Obsession für körperliche Defekte, die sich auch in der Namensgebung niederschlug. Hatte der unglückliche Barbus einen Rauschebart? Gerne hängte man den Menschen ihr Hinkebein, die Glatze oder die Hasenscharte als Etikett an; der Fantasie schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Ebenso kreativ gingen die Römer mit Schmähungen aller Art um, sie hatten bekanntlicherweise eine Vorliebe fürs Zotige. Die Politiker beschimpften sich untereinander, und das Volk steuerte gerne schlüpfrige Anekdoten bei. Die Machthaber trugen es meist mit Fassung, wie folgende Anekdote, die für den Witzbold folgenlos blieb, beweist:
Irgendwo im Imperium hatte man einen Menschen ausfindig gemacht, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit [Kaiser Augustus] hatte. Man stellt ihn dem Kaiser vor, der, überrascht über den Doppelgänger, fragt: »Hör mal, ist deine Mutter einmal in Rom gewesen?« – »Meine Mutter nie, aber mein Vater sehr oft«, war die Antwort.
Der politische Witz setzt damals wie heute an, wo sich eine offene Flanke bietet. Er funktioniert immer dann besonders gut, wenn die Staatsmänner auf einem hohen Sockel stehen. Der Kaiser, Diktator, Zampano, der aus luftiger Höhe herrscht und sich dabei auf allerlei hehre Grundsätze stützt, hat eine enorme Fallhöhe aufgebaut und wird schnell zur Zielscheibe für beißenden Spott. Freilich gilt für den Herrschenden, der Ideale vertritt, dass er sich an den eigenen Ansprüchen messen lassen muss. Nun ist dies nicht immer einfach, denn kein Mensch ist ohne Fehler. Wenn eine zu große Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit besteht, dann hat der Machthaber die Latte zu hoch gelegt und dem Humor Tür und Tor geöffnet. So wird aus dem gottgleichen Kaiser der Geck mit der zweifelhaften Abstammung und aus dem Volkstribun ein Greis mit Adlernase. Diese Art des Spotts findet man in der Antike genauso wie im Mittelalter und in der Moderne.
Dass eine Flüsterwitzsammlung zu den ersten Büchern gehörte, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedruckt wurden, ist bezeichnend. Dahinter steckte nicht nur Rechtfertigungseifer, sondern auch ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Der Mechanismus, traumatische Erlebnisse durch Lachen zu verarbeiten, ist weder erstaunlich noch neu. Er ist in der Geschichte x-fach belegbar, auch mit Blick auf Deutschland. Lange graben muss man nicht, um Beispiele zu finden.
Geradezu idealtypisch begegnet dem Leser dieses Phänomen in der Frühen Neuzeit. Nach dem 30-jährigen Krieg lag Europa in Trümmern, ganze Landstriche waren entvölkert. In Süddeutschland, dem am schwersten verwüsteten Gebiet, hatte kaum ein Drittel der Bevölkerung überlebt. Wer nicht durch Kriegshandlungen gestorben war, der ging an Hunger und Seuchen elendiglich zugrunde. Nichts regte sich in den ersten Jahren nach diesem bis dahin beispiellosen Vernichtungsfuror, der über den Kontinent hinweggefegt war. Doch dann, im Jahr 1669, war plötzlich wieder eine Stimme zu hören – die des Dichters Grimmelshausen, der den ersten bedeutenden Abenteuerroman der Deutschen schuf. Schon das absurde Pseudonym »German Schleifheim von Sulsfort«, unter dem der Autor auftrat, gibt einen Vorgeschmack auf den Inhalt. Das erste große literarische Werk nach der Apokalypse – ein Witzbuch!
Im abenteuerlichen Simplicissimus stolpert ein Viehhirte mitten durch den 30-jährigen Krieg, mal als Quacksalber, mal als Narr im Kalbsgewand. Alles, was ihn umgibt, das Brandschatzen, Morden und Vergewaltigen, ist gleichsam Kulisse für seine Schelmenstücke. Durch die Augen des Toren, der wie ein wildes Tier aufgewachsen ist, sehen wir die Realität als bizarres Zerrbild. Furchtbares Leid widerfährt dem jungen Simplicissimus, doch seine Schilderung der Schrecken, die er am eigenen Leibe zu spüren bekommt, ist launig, von entwaffnender Ironie: Selbst als ein versprengter Soldatentrupp das Heim des jungen Helden überfällt und er von seinen Pflegeeltern jäh getrennt wird, bleibt die Erzählung grotesk-lakonisch:
Das erste, das diese Reuter taten, war, dass sie ihre Pferd einstellten, hernach hatte jeglicher seine sonderbare Arbeit zu verrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte, denn obzwar etliche anfingen zu metzgen, zu sieden und zu braten, dass es sah, als sollte ein lustig Bankett gehalten werden, so waren hingegen andere, die durchstürmten das Haus unten und oben, ja das heimlich Gemach war nicht sicher, gleichsam ob wäre das gülden Fell von Kolchis darinnen verborgen […].
Grimmelshausen hatte selbst am 30-jährigen Krieg teilgenommen, und sein Roman trägt autobiografische Züge. Aus dem furchtbaren Gemetzel, das der Autor überlebt hatte, wird im Simplicissimus eine riesengroße Narretei. Ein Schelmenroman über ein Jahrzehnte währendes Blutbad? Seltsam erscheint dieser Gedanke auf den ersten Blick. Warum schrieb Grimmelshausen nicht einfach eine Chronik? Die Antwort liegt eben in dem angesprochenen allgemeinmenschlichen Bedürfnis, in der Hoffnung, ein Trauma zu überwinden. Angst und Schrecken, so lehrt uns der Simplicissimus, sind nur halb so groß, wenn man ihnen ins Gesicht lacht.
Folglich steht am Anfang des deutschen Romans genau das, was noch heute im Kontext der Hitler-Komödie für Diskussionsstoff sorgt. Das Furchtbare scheint Komik geradezu herauszufordern, ja, sie ist im Rückblick auf eine Katastrophe oft das einzig wirksame Gegengift gegen das Grauen. Dass gerade die tiefsten Abgründe zum Lachen reizen, ist durch Dutzende Beispiele belegbar. Dahinter steht eine Disposition, die man bei Grimmelshausen genauso findet wie beim jüdischen Humor.
So wie die Idealisierung der antiken Kaiser den Spott herausgefordert hatte, so wurden die Herrschenden des Nazireichs in endloser Variation mit dem von ihnen eingeforderten Arier-Ideal verglichen: »Lieber Gott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find«, lautete einer der beliebten Sprüche. Ob es sich bei dem zitierten Stoßgebet um eine defätistische Äußerung oder um einen harmlosen Scherz handelt, sei dahingestellt. Auffällig ist jedenfalls, dass der politische Humor besonders in totalitären Systemen blüht, in offenen, freien und demokratischen Gesellschaften hingegen kaum zum Zuge kommt. Weder in der Weimarer Zeit noch in der Gegenwart gibt es annähernd so viele Witze über die Mächtigen wie im Dritten Reich und in der DDR. Freilich gibt es in unserer heutigen Gesellschaft unzählige Kabarettisten, die die Politiker aufs Korn nehmen, doch ist dies mit den im Volk kursierenden, spontan entstehenden Witzen aus der Zeit der beiden deutschen Diktaturen nicht vergleichbar.
Im Rückblick nimmt das wilhelminische Kaiserreich eine Zwischenstellung ein. Wenig politische Witze sind verbrieft, was wohl eher mit einem Desinteresse der Forschung zu tun hat, als mit einer vollkommenen Abwesenheit herrschaftskritischer Satire. Ralph Wiener hat einige wenige Beispiele aufgezeichnet, nette, humorige Repliken und Anekdötchen, die so umständlich sind wie die verzopfte Monarchie, in der sie entstanden. Absurd und bissig sind diese Witze nur, wenn sie das unselige Koppelschlosswesen der Zeit aufgreifen. Der Kadavergehorsam in der preußischen Armee, der wuchernde Bürokratismus, die Herzlosigkeit der Behörden und Militärs, das waren die dankbarsten Themen für die Spaßvögel der Zeit. Folgendes Beispiel gehört noch zu den gelungeneren Exemplaren:
Während der Eingeborenenaufstände in Deutsch-Ostafrika erlässt das Kaiserliche Ministerium in Berlin folgende Anweisung an die zuständigen Stellen: »Die Eingeborenen sind dahingehend zu instruieren, dass sie unter Androhung schwerer Strafen jeden Aufstand sechs Wochen vor Ausbruch schriftlich anzumelden haben!«
Der Witz ist zwar aus unserer Sicht nur mäßig komisch, doch er greift gleich mehrere zeitspezifische Phänomene auf. Da ist zum einen das weltfremd-brutale Vorgehen der verspäteten Kolonialmacht, zum anderen das staubige, mäandernde Amtsdeutsch der kaiserlichen Behörden, von dem nicht einmal die Eingeborenen des Schwarzen Kontinents verschont blieben. Für den Bürger des wilhelminischen Reichs mag die Pointe einen schnodderigen Charme entfaltet haben – eine Wirkung, die man heute nur noch erahnen kann, da wir zu viele Generationen von Alltag und Selbstverständnis des Kaiserreichs entfernt sind.
Bräsig und selbstgefällig war das Herrschaftssystem jener Zeit; wer oben war, und wer »Untertan«, das war im Kosmos dieser Welt fest vorgegeben. Allgegenwärtig war der Amtsschimmel, der mal nachsichtig, mal penetrant-bürokratisch in das Leben der Menschen hineinregierte. Die Deutschen hatten sich mit ihrem Leben in der verkrusteten wilhelminischen Gesellschaftsordnung arrangiert. Aus luftiger Höhe lenkte unterdes jener Kaiser den Staat, der wie in Ehrfurcht vor der eigenen Größe erstarrt zu sein schien. Dem Irdischen entrückt wirkte Wilhelm II. mit dem gewichsten Schnauzbart eher wie ein Denkmal seiner selbst als wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Dem Volk entging die Pose seines Herrschers nicht, und so wurde auch in den politischen Witzen der Zeit das Weltfremde und Selbstverliebte, das den Kaiser umwehte, gern karikiert. Doch blieben die humoristischen Attacken blutleer und ohne verletzenden Ton. Selbst folgender Witz, der den Personenkult um Wilhelm II. aufs Korn nimmt, wirkt aus heutiger Sicht kraftlos:
Ein Kunde betritt die Kunstabteilung eines großen Warenhauses, um ein Andenken zu kaufen, sieht aber nichts als Kaiserbüsten, Kaiserbüsten und nochmals Kaiserbüsten. Alle sind aus Gips, eine sieht aus wie die andere. Ratlos steht der Kunde vor diesem erdrückenden Angebot.
Ein Verkäufer tritt auf ihn zu, hüstelt und fragt höflich: »Haben Sie schon gewählt?«
Wenig Reibung ist hier zu spüren. Die Pointe ist brav, auch mit viel Fantasie nicht komisch, beißend oder offen systemkritisch. Die Allgegenwart des zum Denkmal gewordenen Kaisers wird zwar bemängelt, doch mehr als den Zuhörer zum Schmunzeln anregen soll dieser Witz bestimmt nicht. Ähnlich harmlos, wenngleich schon ein bisschen frecher, ist die erste Veröffentlichung eines Schülers namens Kurt Tucholsky, der im Jahr 1907 wegen mangelnder Leistungen im deutschen Aufsatz sitzen geblieben war. Am 22. November 1907 veröffentlichte der Schriftsteller, damals kaum siebzehnjährig, im Satireheftchen Ulk die Glosse mit dem Titel »Märchen«:
Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermesslich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder
In Tucholskys Text wird der hausbackene Kunstgeschmack des Monarchen vorgeführt; Wilhelm II. interessiert sich weder für die Figürchen Constantin Meuniers noch für den Rilke-Freund Emil Orlik. Alles Neue, Moderne, das den Siebzehnjährigen so fasziniert, prallt an dem in der Vergangenheit gefangenen Kaiser ab. Regelrecht betriebsblind ist der Herrscher aus der Märchenglosse, er ahnt nichts von der Fülle großer Talente, die in seinem Reich schlummert.
Dass der spröde Herrscher die Deutschen in einen fürchterlichen Weltkrieg führte, dessen Dimension er wohl selbst am wenigsten erahnte, wurde hingegen kein Thema des politischen Witzes. Zu naiv war anfangs die Begeisterung, die patriotische Gefühlsduselei, und zu jäh folgte darauf die Ernüchterung. Keinen »Spaziergang nach Paris« bescherte Wilhelm den Deutschen, sondern einen quälend langen und außerordentlich brutalen Stellungskrieg, an dessem Ende die Niederlage des Reiches stand. Erst in der Nachkriegszeit entdeckten Satiriker das Thema – so auch Kurt Tucholsky, dessen journalistische Karriere durch den langjährigen Fronteinsatz unterbrochen worden war.