Sie nannten ihn Cid

Mac P. Lorne

Sie nannten ihn Cid

Eine spanische Legende

Roman

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Inhaltsübersicht

Über Mac P. Lorne

Mac P. Lorne wurde 1957 in der ehemaligen DDR geboren. Seinen ersten Roman schrieb er bereits mit 18 Jahren.

Er interessierte sich von Jugend an für Geschichte und Literatur, studierte aber aus politischen Gründen dann doch lieber Veterinärmedizin und später Pferdezucht und -sport. Im Frühjahr 1988 gelang ihm die Flucht in die Bundesrepublik.

Heute lebt er zu Füßen einer mittelalterlichen Burg in einem der größten Waldgebiete Europas.

Im Knaur Taschenbuch erschien im Juli 2016 Der Pirat, sein großer Roman um Sir Francis Drake. Ihm folgten Der Herr der Bogenschützen sowie die fünfbändige Löwen-Reihe um Robin Hood, Der Herzog von Aquitanien und Der englische Löwe.

Für meine drei Frauen Inga, Jette und Svea

Personenregister

Historische Personen, denen der Leser im Laufe des Romans begegnen wird:

Rodrigo Díaz de Vivar – genannt el Campeador, später el Cid

 

Jimena Díaz – seine Frau

 

Cristina, Diego und Maria – ihre drei Kinder

 

Minaya, Bermudez und Ramón – Gefährten und entfernte Verwandte des Cid, ihre Existenz ist nicht eindeutig belegt, sie werden aber explizit im Cantar de mio Cid genannt

 

Ferdinand I. – König von León, Kastilien und Galicien, genannt der Große

 

Sancha von León – seine Gemahlin

 

Sancho – Ferdinands ältester Sohn und Nachfolger als König von Kastilien

 

Alfonso – sein zweitgeborener Sohn und Nachfolger als König von Léon

 

García – sein jüngster Sohn und Nachfolger als König von Galicien

 

Urraca – seine Tochter, Herrin über Zamora und Verbündete von Alfonso

 

Ramiro I. – Ferdinands Halbbruder und Widersacher, König von Aragón

 

García Ordóñez – zuerst ein Feind, dann ein Freund des Cid

 

Vellido Dolfos – Ritter aus Zamora, ein Verräter und Mörder

 

Álvar Fáñez – ein kastilischer Feldherr und Freund des Cid

 

Yahya al-Mamun – Emir von Toledo

 

Yahya al-Qadir – sein Nachfolger, später Emir von Valencia

 

Ahmad I. al-Muqtadir – Emir von Saragossa

 

Yusuf al-Mutaman – sein Sohn und Nachfolger

 

Ahmad II. al-Musta’in – dessen Sohn und Thronfolger

 

Muhammad al-Mu’tamid – Emir von Sevilla

 

Yusuf ibn Taschfin – Herrscher über die strenggläubigen Almoraviden

Prolog
Königshof von Burgos, 1058

Selbst in den entfernten Gemächern des Palas hörte man, dass im Innenhof der Burg ein Kampf im Gange war, der sehr heftig sein musste und dadurch nach und nach zahlreiche Zuschauer anlockte. Auch Ferdinand I., König von León, Kastilien und Galicien, gesellte sich mit seinem Besucher, der sein Halbbruder und zudem der König von Aragón war, zu den Schaulustigen. Von einem Bogenfenster des Palastes aus beobachteten die beiden Männer das Gefecht, das sich bereits seinem Ende zu nähern schien.

Zwei Knappen, beide mit Schwert und Schild ausgerüstet und zusätzlich durch Gambesons und Nasalhelme geschützt, kämpften mit einer Verbissenheit gegeneinander, als ob sie sich auf einem Schlachtfeld befänden und es wirklich um Leben und Tod ginge. Der Waffenmeister, der sie gewöhnlich anleitete und trainierte, war zur Seite gewichen und beobachtete seine beiden Schützlinge ebenso aufmerksam wie die beiden königlichen Prinzen Sancho und Alfonso. Die Söhne Ferdinands standen allerdings nicht beieinander, sondern jeder in gebührendem Abstand hinter einem der beiden Streiter, den sie mit lauten Zurufen anfeuerten. Offenbar trugen hier zwei ihrer Knappen einen Zweikampf aus, der mehr war als nur ein Übungsgefecht. Wohl eher ein Stellvertreterkrieg, wie ihn im Ernstfall die Bannerträger für ihre Könige führten. Es war am Hofe nämlich allgemein bekannt, dass die beiden königlichen Sprösslinge einander keineswegs in brüderlicher Liebe zugetan waren, sondern in ständiger Rivalität zueinander standen, die durchaus über bloße Wortgefechte hinausging und zu Handgreiflichkeiten führen konnte.

Hier nun allerdings vor vielen Zuschauern schien Sanchos Streiter mittlerweile die Oberhand zu gewinnen. Sein Hieb mit der abgestumpften Übungswaffe auf den Schild seines Gegners war so heftig, dass dieser sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, strauchelte und zu Boden ging. Sofort war sein Kontrahent über ihm, trat dem Unterlegenen das Schwert aus der Hand und setzte ihm sein eigenes an die Kehle.

Der Kampf war nur kurz gewesen und sein Ausgang eindeutig. In einem richtigen Gefecht wäre der im Staub Liegende jetzt tot gewesen, aber da es sich nur um ein Übungsgefecht unter Knappen gehandelt hatte, kam der Unterlegene mit dem Schrecken davon. Der Sieger des Zweikampfes streckte seinem Gegner die Hand entgegen, um ihm auf die Beine zu helfen, doch dieser schlug sie wütend zur Seite. Ächzend erhob er sich und blickte sich nach seinem Dienstherrn Alfonso um, doch dieser hatte den Kampfplatz bereits ohne ein aufmunterndes Wort an seinen Knappen verlassen.

Ganz anders Sancho, der seinem Streiter anerkennend auf die Schulter klopfte und dem jungen Mann offensichtlich freundschaftlich zugetan war, denn das Lächeln und die Freundlichkeit seiner Worte gingen weit über das normale Maß zwischen Knappen und Dienstherren hinaus.

»Wer ist das?«, wollte Ramiro von seinem Halbbruder wissen und wies mit der Hand in den Burghof hinab auf den siegreichen Streiter.

»Das ist Rodrigo Díaz de Vivar, den sie schon jetzt el Campeador, den Kämpfer, nennen«, klärte Ferdinand seinen Gast auf. »Bereits heute ist er in Zweikämpfen mit jedweder Waffe nahezu unbesiegbar und dabei noch nicht einmal zum Ritter geschlagen worden! Ich glaube ganz fest, dass der Junge aus dem Holz gemacht ist, aus dem auch die legendären Recken in alten Zeiten geschnitzt waren.«

Ramiro nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Wohl wahr. Dabei ist er nicht einmal übermäßig breitschultrig und auch kein Hüne von Gestalt. Aber selten habe ich jemanden gesehen, der das Schwert einerseits so meisterlich, andererseits aber auch so gnadenlos führt wie er. Wer sind denn seine Eltern, und wie ist er an deinen Hof gekommen?«

»Sein Vater war Diego Laínez, einer meiner besten Ritter, der bedauerlicherweise vor Kurzem in einem Gefecht gegen die Streifscharen meines Neffen Sancho von Navarra gefallen ist«, gab Ferdinand bereitwillig Auskunft. »Deshalb fühlte ich mich auch verpflichtet, seinen Sohn hierher an den Hof zu holen, und lasse ihm nun eine angemessene Ausbildung angedeihen. Seine Mutter, Teresa Rodríguez, stammt aus altem, kastilischem Adel und führt ihre Abstammung bis auf den Helden Pelayo zurück, der als Erster aus den Bergen Asturiens heraus vor mehr als dreihundert Jahren den Kampf gegen die Mauren aufgenommen hat. Ihr Vater verwaltet für mich mehrere Burgen im Grenzgebiet zu den Taifa-Königreichen im Osten und ist mir treu ergeben. Je stärker ich diese einflussreiche Familie an mich binden kann, desto besser«, meinte der König, und ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen.

Ramiro sah es wohl und wusste es auch zu deuten, bekämpften sich in ihrer Familie doch die Brüder, Schwestern, Neffen und Schwager seit Jahrzehnten untereinander bis aufs Messer, weil jeder Einzelne, der mit dem verstorbenen König Sancho III., genannt der Große, verwandt war, nach der Vorherrschaft über die anderen christlichen Königreiche im Norden der Iberischen Halbinsel strebte. Das galt für ihn selbst ebenso wie für den jüngeren Ferdinand, der den jahrelangen Kampf gegen seine legitimen Brüder mittlerweile gewonnen und aus der ihm von seinem Vater vererbten, eher unbedeutenden Grafschaft Kastilien ein mächtiges Königreich geformt hatte. Zumindest vorläufig, dachte Ramiro, denn noch war nicht aller Tage Abend und er nach Burgos gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe, die Vorherrschaft Kastiliens zu brechen oder zumindest zurückzudrängen. Und was zeigte ihm sein Bruder als Erstes? El Campeador, einen Kämpfer, den er wohl bald zusammen mit seinen anderen Streitern auf ihn hetzen würde, um sich nach Teilen von Navarra, León und Galicien auch noch Aragón unter den Nagel zu reißen.

Aber vielleicht wollte Ferdinand ihm ja auch nur zu verstehen geben, dass es besser war, sich freiwillig seiner Oberherrschaft zu beugen, doch dazu war der Ältere, wenn auch unehelich Geborene, keineswegs bereit. Ramiro versuchte bereits, Bündnisse mit den Emiren der Taifa-Reiche zu schmieden, die sich nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba vor etwas mehr als fünfzig Jahren gebildet hatten. Diese bekämpften sich mit ähnlicher Inbrunst untereinander wie die christlichen Könige, ein Umstand, der es wiederum leicht machte, ständig wechselnde Allianzen zu bilden. Was dabei letztlich überhaupt keine Rolle spielte, war der jeweilige Glaube, mochten die Priester und Bischöfe auf der einen und die Mullahs und Imame auf der anderen Seite noch so sehr gegen den Pakt mit den jeweils als Ungläubige Bezeichneten wetterten. Doch das wusste auch Ferdinand, der sich die Schwäche der muslimischen Fürsten ebenso zunutze machte wie Ramiro und sich seinen Schutz durch reichliche Tribute vergelten ließ.

»Was sind denn nun deine weiteren Pläne, nachdem du unseren Bruder García in der Schlacht von Atapuerca besiegt und getötet hast?«, fragte Ramiro lauernd. »Oder willst du darüber vielleicht lieber nicht sprechen? Steht Aragón womöglich als Nächstes auf deiner Wunschliste, und muss ich mir ernsthafte Sorgen machen, vielleicht bald einem von dir befehligten Heer gegenüberzustehen?«

»Solange du mir nicht mein Seniorat über die christlichen Königreiche streitig machst, Ramiro, hast du von mir nichts zu befürchten«, entgegnete Ferdinand süffisant. »Genau das hat García nämlich getan, und es ist ihm nicht gut bekommen. Also hüte dich besser, es ihm gleichzutun.«

»Aber er war immerhin der Älteste von uns und hatte damit Anspruch auf die Vorherrschaft. Meinst du nicht auch?«

»Nein, hatte er nicht, denn durch meine Heirat mit Sancha herrsche ich nun neben Kastilien auch über León und Galicien, er hingegen nannte nur Navarra sein Eigen. So wie du Aragón das deine. Also lass dir das Schicksal unseres Bruders eine Lehre sein und strebe nicht nach für dich unerreichbaren Früchten, kann ich dir nur raten.«

Ferdinands Stimme war schneidend geworden, und Ramiro konnte nicht anders, als den Blick zu senken, damit seine Augen nicht verrieten, was er dachte.

»Warum hast du dir dann die Krone von Navarra nicht gleich auch noch genommen, wenn du sie García schon vom Kopf schlagen musstest?«, wollte der König von Aragón wissen und harrte gespannt der Antwort.

»Weil ich kein Thronräuber bin«, fuhr Ferdinand seinen Halbbruder wütend an. »Begreif das endlich! Garcías Sohn kann ruhig über Navarra herrschen, solange er mein Seniorat anerkennt. Auch du solltest dich besser damit abfinden, Ramiro, dass ich jetzt das Oberhaupt der Familie und der Jiménez-Dynastie bin. Fällt es dir denn so schwer, dich den Realitäten zu beugen? Muss ich wirklich erst nach Aragón kommen, um dir die Sachlage zu verdeutlichen?«

»Als Gast bist du mir jederzeit herzlich willkommen, Bruder«, entgegnete der Angesprochene liebedienerisch. »Aber lass deine Streiter lieber zu Hause. Sie sind die weiten Hochebenen Kastiliens gewohnt und würden sich in unseren Bergen nur unwohl fühlen.«

»Mein Augenmerk gilt eher dem Süden als dem Norden, wie du wissen solltest, Ramiro«, versuchte Ferdinand zu beschwichtigen. »Im vergangenen Jahr habe ich die Grafschaft Portucale von den Mauren zurückerobert und gedenke, demnächst an den Duero vorzustoßen und vielleicht sogar das Tal des Mondego zu besetzen. Wir sollten uns die gegenwärtige Schwäche der Mauren zunutze machen, so wie sie sich vor mehr als dreihundert Jahren die unserer Vorfahren, um die ganze Iberische Halbinsel zu unterwerfen. Stoße mit deinen Streitern zu mir, Ramiro, und habe Teil am Ruhm und der Beute, die unser sein wird! Überleg es dir. Ich biete dir an, an meiner Seite als gleichberechtigter Heerführer zu reiten. Was willst du mehr?«

»Dein Angebot ehrt mich, Ferdinand. Doch du weißt, wie es an meinen Grenzen bestellt ist. Der Graf von Barcelona bedrängt mich ebenso wie der Emir von Saragossa. Nein, in dieser Situation kann ich mich dir nicht anschließen. Außerdem, ist es nicht besser, ich halte dir den Rücken frei? Wer sagt dir denn, dass die Mauren nicht in Kastilien einfallen, während du dich nach Süden wendest?«

»Das lass nur meine Sorge sein, für die Sicherheit meiner Reiche besteht keine Gefahr. Komm da besser auf keine dummen Gedanken, hörst du?«

»Nichts liegt mir ferner«, log Ramiro, ohne rot zu werden, der schon lange mit dem Gedanken spielte, sich bei passender Gelegenheit zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach sowieso zustand. Doch solange sein Bruder so stark war wie gegenwärtig, war dies wohl nicht mehr als reines Wunschdenken. Aber vielleicht fiel Ferdinand ja auf einem seiner vielen Feldzüge oder wurde von einer in den Lagern grassierenden Seuche dahingerafft. Mit dessen untereinander zerstrittenen Welpen würde er dann schon fertigwerden, das konnte kein großes Problem sein. Eines Tages wollte jedenfalls er das Seniorat über alle christlichen Königreiche im Norden der Iberischen Halbinsel übernehmen und sie unter seiner Krone vereinen. Dann würde auch sein Neffe in Navarra die seine und zudem vielleicht gleich noch sein Leben verlieren. Ebenso wie die Nachkommen Ferdinands, denn von dessen Brut durfte keiner zurückbleiben, der Rache nehmen konnte. Doch bis dahin galt es, die Füße stillzuhalten und geduldig zu warten, bis Gott der Herr es fügen würde.

»Nun, wenn du mit solchen Streitern wie diesem el Campeador in den Kampf ziehst, kann ja nichts schiefgehen, und der Sieg wird ganz sicher der deine sein«, biederte Ramiro sich an. »Wie war doch gleich noch einmal sein richtiger Name?«

»Rodrigo Díaz de Vivar. Merke ihn dir besser, Ramiro, denn ich bin mir sicher, du wirst ihn noch des Öfteren hören.«