Majken versteht die Welt nicht mehr. Plötzlich haben sie und ihre beste Freundin Tessa nichts mehr, worüber sie reden können, denn Majken macht sich nichts aus Jungs. Tessa umso mehr – und sie scheint nur noch mit Dexter und der tussigen Belinda Zeit verbringen zu wollen. Doch als Majken Ivan kennenlernt, hat sie eine geniale Idee: ein Deal mit Ivan. Und wenn alles klappt, sind Tessa und Majken wieder beste Freundinnen – oder?
Johanna Lindbäck erzählt eine schwungvolle Geschichte über Freundschaft und Verliebtsein, wie sie Zwölfjährigen aus dem Herzen sprechen muss, und schafft mit Majken eine großartige Identifikationsfigur.
»Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für alle Mädchen auf der Schwelle ins Teenie-Alter sein … Lindbäck hat die verlässliche Fähigkeit, den Finger auf das wirklich Relevante zu setzen.«
Uppsala Nya Tidning
Aus dem Schwedischen
von Angela Beuerle
Kein bisschen verliebt?
Ava ist ein guter Name.
Und Ella.
Oder Lea.
Zoë! Das ist supercool. Oder Zoey, wenn man es so schreiben möchte. Wenn man eine Zoë/Zoey ist, hat man auf jeden Fall coole Kleider und eine richtige Persönlichkeit, das hört man schon.
Etwas Besonderes ist Hudson. Fast wie ein Nachname, nur als Vorname. Richtig stark.
Aber Majken? Hallo? Wie klingt denn das auf Englisch? Vielleicht Mike, oder Mikey, wie meine Freundinnen manchmal sagen. Hääässlich.
Mein Bruder heißt Pontus, weil Papa einen besten Freund hatte, der mit fünfzehn bei einem Autounfall starb. Und dieser Junge hieß Pontus. Wie Papa sagt, war dieser beste Freund nett, lustig, mutig und so ungefähr alles, was man sein möchte. Es ist also eine Art kleine Ehrung, dass mein Bruder so genannt wurde. Aber dass sie mich Majken getauft haben? Das kann keiner von ihnen erklären, außer mit so lahmen Sachen wie »aber das ist doch so hübsch« und »Majken ist ein supersüßer Name« und »das haben wir gleich entschieden, als wir wussten, dass du unterwegs warst«.
Aber was, wenn man nicht davon träumt, ›supersüß‹ zu sein und mit einer Rüschenschürze vor dem Bauch in irgendeiner Küche zu stehen und Muffins zu backen? So klingt ›Majken‹ nämlich. Was, wenn man eher cool sein will? In Jeans? Und irgendwo in einer Großstadt in einem schönen Café sitzen und schlaue Zeitungsartikel oder richtig tolle Bücher schreiben will? Soll ich sagen, was ›Majken‹ dann ist? Nicht gut. Ein Desaster.
Der allercoolste Name, den ich kenne, die Nummer eins auf der Hitliste forever, ist Izzy. Und jetzt war es sieben Minuten vor vier und ich saß in einem leeren Flur und wartete genau auf sie.
Aus einem Raum etwas weiter rechts war Gitarrenmusik zu hören, aber kein Mensch war zu sehen.
Normalerweise ist das hier meine Schule. Also, natürlich auch jetzt, zumindest das Gebäude. Aber inzwischen waren beinahe alle normalen Schüler nach Hause gegangen und ich war wieder hier, weil ich Musikunterricht hatte. Geige.
Ja, es ist albern, Geige zu spielen. Sehr albern. Das ist mir voll und ganz bewusst. Und nein, ich habe nicht vor, klassische Musikerin zu werden oder es ganz ernsthaft zu betreiben. Und ich weiß, es wäre damals, als ich mir ein Instrument aussuchte, viel schlauer gewesen, mit Gitarre anzufangen. Tessa sagte es jedes Mal, wenn sie meine Geige sah. »Stell dir vor, du hättest stattdessen mit Gitarre angefangen. Wie wahnsinnig gut du jetzt wärst. Du hättest in einer Band spielen können. Und du hättest Songs schreiben können!«
Als ob man nicht auch mit einer Geige wahnsinnig gut sein oder Songs schreiben könnte?
Oder?
Okay, ich bin nicht wahnsinnig gut. Aber ich hätte es sein können, wenn ich mich von vornherein angestrengt hätte. Ich bin nur mittelgut. Und habe auch nie ›Songs‹ geschrieben. – Wobei, eine Zeit lang habe ich in einem Orchester gespielt. Also fast wie in einer Band. Nur, dass wir nicht auf der Bühne gestanden, gesungen, moves gemacht und toll ausgesehen haben. Zum hysterischen Jubel des Publikums. Nein, wir haben uns ruhig hingesetzt, vor unsere Notenpulte, und haben gespielt … so eine Art ›Kleine Nachtmusik‹. Für unsere Familien. Die engsten Angehörigen. Die höflich und anständig geklatscht haben, ohne jegliches Anzeichen von Hysterie.
Aber das Orchester war ehrlich gesagt kein bisschen cool, und ich habe dort aufgehört. Es war tatsächlich langweilig. Da hatte Tessa recht. Jetzt habe ich nur noch meinen Unterricht.
Tessa hat nichts gesagt, aber ich habe genau verstanden, was ihr Gesichtsausdruck bedeutete, als sie heute fragte, was ich nach der Schule mache, und ich sagte, dass ich Geige spielen würde. Also wirklich, wie lange …? (werde ich noch weitermachen.) Und auch dieses Schuljahr?!
Ja. Auch dieses Schuljahr.
Die Tür ganz hinten im Flur öffnete sich. Ein Junge kam herein. Er trug einen Gitarrenkoffer und ging ganz langsam, schaute bei jeder Tür auf die Nummer.
»Hier ist es«, hätte ich sagen und zu der Tür nicken können, aus der man die Gitarre hörte. Es war schließlich nicht schwer herauszufinden, wo er hinwollte.
Aber ich zögerte eine Sekunde, und dann sagte ich nichts, sondern zog nur den Geigenkasten auf der Bank etwas näher zu mir. Falls er sich hinsetzen wollte. Oder als Zeichen. Hier.
Als er näher kam, hörte er die Musik, denn er sah nicht mehr auf die Zimmernummern, sondern ging einfach weiter. Bei der Tür mit der Gitarrenmusik schaute er nach. Genau, da. Schräg vor mir blieb er stehen.
Es gab noch eine Bank, aber die war fünfzehn Meter entfernt. Er sah dorthin und schaute dann kurz zu mir. Ich saß ganz auf der einen Seite, es gab also genügend Platz. Aber er stellte die Gitarre auf den Boden und entschied sich, stehen zu bleiben. Pustete seine Haare aus dem Gesicht, dass sie hochflogen. Sie waren blond. Etwas rausgewachsen, vorne ziemlich lang. Blaue Augen. Ein weißes Rolling-Stones-T-Shirt (mit diesem roten Mund), das etwas zu groß und ziemlich ausgeleiert war. Es sah aus, als hätte er es von einem seiner Eltern geerbt oder so.
Statt mich anzusehen, lehnte er sich an die Wand.
Auf einmal erkannte ich ihn wieder. Es war der Neue aus der 6b.
»Mensch, Evve, schau mal da! Ist das der von den Piteå Summer Games?!«, hatte Tessa ausgerufen, an einem Tag letzte Woche, als wir beim Essen saßen. Aufgeregt hatte sie Evelina am Arm gezogen. »Wie hieß er? Jeppe? Du weißt schon, der, der in derselben Mannschaft war wie Wille und Amir.«
Sofort drehte Evelina sich um und inspizierte diesen Jungen, der gerade dabei war, sich Essen zu nehmen.
»Nein«, entschied sie dann. »Obwohl er ihm ähnlich sieht.«
»Voll ähnlich«, sagte Tessa. »Was, wenn er hierhergezogen ist?«
Sie und Evve schauten zu ihm und sahen sich dann an.
Dann fingen sie an zu kichern.
»Waren das die, von denen du die Bilder gezeigt hast?«, fragte Molly, und Evve nickte.
»Boah, wie die drauf waren«, lächelte sie dann begeistert.
Sehr begeistert.
»Wie denn?«, fragte ich.
»Ja, also, witzig und so was«, sagte sie. »Du weißt schon.«
Nein, ich wusste überhaupt nichts. Ich hatte keine Ahnung, wer Wille, Amir oder Jeppe von den Piteå Summer Games waren, und ich hatte keine Bilder gesehen oder auch nur ein Wort davon gehört, wie sie drauf waren. Als Tessa und Evve von diesem Fußballturnier heimkamen, hatten sie nur erzählt, dass es für ihre Mannschaft nicht so sonderlich gut gelaufen, aber trotzdem ziemlich lustig gewesen war. Was mit ›ziemlich lustig‹ gemeint war, haben sie nie erklärt. Oder besser gesagt, Tessa hatte mir nichts erklärt, aber Evelina Molly offenbar schon.
»Ihr habt keine Telefonnummern ausgetauscht, oder?«, fragte Tessa, und Evve schüttelte den Kopf. »Schade.«
»Mm«, machte Evve.
»Was habt ihr denn mit ihnen gemacht?«, fragte ich und sah Tessa an.
»Äh, so halt, einfach abhängen«, antwortete sie abweisend. »Nichts Besonderes. Sie kamen aus Arvidsjaur.«
Es war während des ganzen Mittagessens ungefähr das Erste, was ich zu ihr gesagt hatte, und ich hatte auch vorher noch nie nach irgendwelchen Jungs aus Arvidsjaur gefragt. Dennoch klang sie, als ob ich sie jetzt seit einer Viertelstunde mit nervigen Fragen bombardiert hätte und sie es bald nicht mehr aushielt, jetzt sollte ich mal aufhören.
Ich verstand es nicht. Molly wusste doch Bescheid, also war es kein Geheimnis. Und wenn Evelina es ihr erzählte, warum konnte Tessa es nicht mir erzählen? So haben wir es immer gemacht. Tessa war meine beste Freundin, Molly die von Evve. Seit Ewigkeiten war das so. Oft waren wir zu viert zusammen, aber wir wussten sozusagen alle, wie die Aufteilung unter uns war.
Das Dumme war, dass Tessa in den vergangenen Wochen mehrmals so zickig zu mir war. Ganz ohne Grund. Ich sagte etwas, sie fauchte, und ich nur: what, Entschuldigung? Aber wenn ich fragte, was los war, seufzte sie nur und antwortete »nichts« und klang genauso müde wie vorhin.
Evelina und Molly fauchten sich nicht an.
Auch Belinda, die neben Tessa saß, folgte dem Mensa-Jungen mit dem Blick und machte eine Art anerkennendes Mhm-Geräusch.
Märta, unsere Lehrerin, sagt immer, dass man nicht alle mögen muss, aber dass das keine Entschuldigung dafür ist, jemanden zu mobben oder mit ihm herumzustreiten. Vom ersten Moment an, als Belinda in der vierten Klasse zu uns kam, merkte ich, dass ich sie nicht mochte. Ich fand sie nervig und anstrengend. Und so wahnsinnig rosa von Kopf bis Fuß. Ungefähr fünf Sekunden nachdem sie der Klasse vorgestellt worden war, fing sie außerdem an, ängstlich zu quieken, weil in der Nähe eine Wespe herumflog. Es war deutlich, dass sie übertrieb, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Als Jocke aufstand und versuchte, die Wespe wegzuscheuchen, war sie zufrieden.
Ich verstehe nicht, dass die Leute auf so etwas hereinfallen! Die Jungen scheinen sie alle zu mögen. Und am nächsten Tag, als sie mit einem rosa Oberteil voller Pailletten ankam und aussah, als würde sie auf eine Party gehen, so übertrieben war es, da fanden Sofia und einige andere sie superschick.
Ich habe nicht so viel Rosa in meinem Kleiderschrank. Definitiv keine Pailletten. Das ist nicht sonderlich Ava, Zoey oder Hudson, finde ich. Rosa ist eher ›Majken mit Schürze‹.
Ich mag Schwarz. Nicht weil ich Emo oder Goth bin, ich finde Schwarz einfach schön. »Herzliches Beileid«, sagte Großvater früher oft scherzhaft zu mir, aber jetzt hat er sich daran gewöhnt. Im letzten Frühjahr, als ich eine neue Brille brauchte, habe ich mir auch ein schwarzes Gestell ausgesucht. Der Optiker sagte bestimmt fünf Mal, dass diese Farbe bei einem Kinderbrillengestell ungewöhnlich sei, aber dass es mir sehr gut stehen würde. Meine frühere Brille fiel nicht auf, aber diese neue jetzt bemerkt man. Sie ist so ›distinkt‹, wie der Optiker sagte. Und man ist ja wohl sehr viel lieber ›distinkt‹ als süß, oder?
Als ich sie das erste Mal in der Schule anhatte, riefen alle so: »Wow! Neue Brille!«, als sie mich sahen. Es war ein sehr gutes ›Wow!‹. Alle, außer Belinda. Sie würde sicher nie auf die Idee kommen, sich so eine zu kaufen. Vor allem würde sie es wohl als eine mittlere Katastrophe ansehen, wenn sie eine Brille tragen müsste.
Wie wird eigentlich festgelegt, wer beliebt ist? Von wem? Und warum haben Tessa, Molly und Evelina nicht Scharen von Jungs um sich? Sie sind viel klüger als Belinda und mindestens ebenso hübsch. Zum Beispiel Molly, sie ist aus Korea adoptiert. Ihre Haare sind so glänzend und lang und wunderschön. Meine Haare sind tatsächlich auch schön. Objektiv. Das habe ich gesagt bekommen, seit ich klein war. Sie sind dick, lockig und lang, und es gibt sozusagen sehr viele davon. Als ich klein war, kamen fremde Tanten und haben mich John-Bauer-Prinzessin oder so ähnlich genannt. Und auch ich sehe übrigens ziemlich okay aus. Viele von uns sehen sehr okay aus, und doch schwärmen alle für die anstrengende Nerv-Belinda. Das ist völlig unverständlich! Beliebt sein ist etwas, das einfach so passiert. Plötzlich wissen irgendwie alle, dass die und die Person es ist, aber niemand kann erklären, warum.
Im Frühling war Belinda eine Zeit lang mit einem Jungen zusammen. Er geht jetzt in die achte Klasse. »Ein älterer Herr!«, haben Tessa und ich oft gekichert. Seitdem glaubt Belinda, dass alle Jungs auf sie stehen und dass sie die Wahl hat. Wenn sie mit jemandem zusammen sein will, dann will diese Person garantiert mit ihr zusammen sein.
Okay, manchmal ist es ja auch so, denn die meisten mögen sie. Aber nicht alle.
Erst nachdem der Arvidsjaur-Junge den anderen aus seiner Klasse hinterhergegangen war und sich an einen Tisch gesetzt hatte, wandte Belinda sich wieder um. Dabei wechselten sie und Tessa einen geheimnisvollen Blick, und dann lächelte Tessa ein wenig.
Hallo, was war los? Belinda war schließlich auch nicht in Piteå gewesen und hatte Fußball gespielt, warum bekam sie dann nicht genauso wie ich eine Abfuhr? Schließlich bin ich Tessas Freundin!
Aber mir war schon klar, es war besser, in dem Moment nicht davon anzufangen.
Doch was, wenn ich die Chance nutzen würde, jetzt, wo der gleiche Junge nur wenige Meter von mir entfernt mit einem Gitarrenkoffer zu Füßen im Schulkorridor stand? Wenn ich ihn mit Fragen bombardieren würde: Hallo, wer bist du? Kommst du aus Arvidsjaur? Weißt du, dass du einen Doppelgänger hast, der Jeppe heißt? Wie heißt du? Hast du eine Freundin? Willst du eine haben? Was sind deine Hobbys? Fußball spielen? Das nächste Mal, wenn wir ihn sehen würden, könnte ich dann alle Fakten aufzählen. Das wäre eine Überraschung. Tessa und Evelina wären vielleicht beeindruckt. Auf jeden Fall verwundert, dass ich …
Der Junge schaute zum Fenster hinaus auf die ganze action, die draußen vor sich ging. Will sagen, keine. Genauso wenig wie hier drinnen. Bloß ich, die auf der Bank saß und an einer verkrusteten Mückenstichwunde herumpulte. Aber er schien ja noch nicht einmal daran interessiert, Hallo zu sagen, also …
Tatsächlich sah er in erster Linie ein bisschen hochnäsig aus.
Drei Minuten nach vier öffnete sich die Tür zum Flur wieder, und diesmal war es endlich Izzy.
»Majken!«, rief sie und kam schnell-klappernd auf ihren Holzschuhen. Ihr ist es schnurzegal, dass in unserer Schule Schuhverbot herrscht und eigentlich alle sie genau am Eingang ausziehen sollen. »Hallihallo!«
Izzy ist 173 Zentimeter groß und sechsundzwanzig Jahre alt, hat am 12. Juli Geburtstag, wohnt im Stadtteil Mariehem, hat vorher in London gewohnt und in Stockholm. Jetzt hat sie hier in Umeå eine Wohnung zusammen mit einem Freund, der Gabriel heißt und Gabbe genannt wird. Mit dem sie aber nicht zusammen ist.
Ihre dunkelbraun gefärbten Haare trägt sie in einer ziemlich wilden Pagenfrisur, oder doch etwas anderem, denn es ist sehr wild. Dazwischen hat sie dicke, rotgoldene Strähnen. Das ist sooo hübsch. (Eigentlich, sagt sie, sind ihre Haare langweilig straßenköterblond, aber das glaube ich nicht.)
Heute hat sie ein neues, flatteriges Kleid in Dunkelblau an, das ich noch nie gesehen habe. Und ein grünes Armband. Es ist ihr Lieblingsarmband, sie trägt es immer. Kleine grüne Perlen auf einem steifen Silberdraht. Ein perfektes Armband, wenn man Geige spielt, denn es ist 1) hübsch, 2) klirrt es nicht und macht kein Geräusch, stört also 3) nicht die Musik.
Sie lächelt viel, sehr viel. Jetzt zum Beispiel. Und sie lachte und winkte. »Hallooo!« Und als wir uns umarmten, roch sie so gut. Pfirsich? Ja, ein wenig nach Pfirsich.
»Wie ist es dir ergangen? Was hast du im Sommer gemacht? Wie war Paris? Meine Güte, wie toll! Hast du un croissant gegessen? Und le Big Mac? Oui?«
Sie sagte es mit einem übertriebenen französischen Akzent und kicherte und war sonnengebräunt und fröhlich, und ich bekam weitere zwanzig Fragen gestellt, während sie die Türe zu dem Raum aufschloss, in den wir hineinwollten, und dann machte sie eine einladende Geste mit dem Arm zu mir, »Mademoiselle!«, und ich lachte und bekam Lust, einfach mitzumachen. Merci! Voilà! Izzy! Hallo!
Genau deswegen habe ich mit dem Geigespielen weitergemacht.
Das Letzte, was ich sah, war, wie der neue Junge uns anschaute.
Nachdem Izzy und ich die ganzen Sommerferien und alles, was geschehen war, durchgegangen waren, blieben noch zehn Minuten von der Stunde. Da spielten wir ein bisschen so zum Spaß. Sie sagte, man merke, dass ich Sommerferien gehabt hätte, aber sie lächelte. Es war in Ordnung. Ich bekam etwas auf und versprach, wie verrückt zu üben, mich zusammenzureißen und mich wieder so ernsthaft zu benehmen wie ein russisches Wunderkind.
Als ich aus dem Raum kam, stieß ich beinahe mit dem Gitarrenjungen zusammen. Er musste mit seiner Unterrichtsstunde zwei Sekunden vor mir fertig geworden sein.
»Bis nächste Woche, sweetie! Tschüss!«, sagte Izzy, und der Junge drehte sich im Gehen zu uns um und antwortete »Tschüss!« Irgendwie verwundert, aber fröhlich dabei. Doch in dem Augenblick, in dem das Wort seinen Mund verließ, verstand er, dass sie nicht mit ihm, sondern mit mir gesprochen hatte. Da wurde er ziemlich verlegen. Errötete und alles.
»Aber ja, dir natürlich auch Tschüss!«, sagte sie zu ihm, aber darauf murmelte er nur etwas und lief schneller.
Amüsiert hob sich eine von Izzys Augenbrauen, und als wir uns ansahen, blubberte ein Kichern in meinem Bauch.
»Tschüss, Majken!«, flüsterte sie lachend, so, dass niemand sonst sie hören konnte. »Bis bald.«
Pontus!« Papa holte Butter, Milch und Ketchup. »Komm jetzt! Es ist so weit.« Er fegte die Zeitung und die Post vom Küchentisch. »Majken, du kannst decken.«
»Mmmm«, sagte ich. »Schon gut. Aber …«
Papa warf mir einen Kein-Aber-Blick zu. »Und du willst decken. Du findest das supertoll.«
Ich seufzte, stand aber auf und begann Besteck, Gläser und Teller hinzustellen.
»Pontus! Hallo! Essen!«, rief Papa wieder, lauter, und dieses Mal war aus dem ersten Stock ein Geräusch zu hören. Dann Schritte die Treppe hinunter.
»Das haben wir doch gestern schon gegessen«, war das Erste, was mein Bruder sagte, als er in die Küche kam und die Wurst in der Pfanne und die Penne im Sieb sah. »Und am Wochenende auch.«
»Ja, und warum ein erfolgreiches Konzept ändern?« Papa schüttelte das Wasser aus den Nudeln.
»Erfolgreich?«, schnaubte Pontus. »Das ist nicht …«
»Aber Menschenskind, Junge, schreib es jemandem, den es interessiert«, unterbrach Papa. »Morgen darfst du kochen, dann wird es etwas, was du magst, aber jetzt kann ich kein Gemecker hören. Iss.«
Unter seufzenden, schnaubenden Protesten lümmelte Pontus sich auf seinen Stuhl.
Eine Dreiviertelstunde später waren sie unterwegs zu ihrem Sport. Pontus spielt Floorball und Papa schwimmt. Übrig geblieben auf dem Esstisch waren noch Ketchupverschmierte Teller, Knäckebrot-Krümel und leer getrunkene Milchgläser. Es bedeutete, dass ich abräumen sollte, denn ich ›finde es ja auch supertoll, abzuräumen.‹ Oder? Aber ich machte es, sonst würde es nur Gemecker geben.
So zwischen halb acht und acht würden sie zurückkommen. Mama hatte Abendschicht, und dann kommt sie erst nach zehn.
Ich hatte also mindestens eine Stunde alleine zu Hause. Das mag ich gern. Manchmal probiere ich Mamas Kleider an und versuche, mich mit ihren Sachen zu schminken. Aber man muss vorsichtig sein, denn wenn sie es merkt, wird sie sauer. Man muss also alles so zurückstellen, dass es genau richtig steht, und sich danach gut abwaschen, damit nichts zu sehen ist. Ihren Nagellack zu leihen, ist erlaubt, aber es ist viel lustiger, Lidschatten und Mascara zu verwenden, und die will sie für sich alleine haben. Kleinlich, finde ich. Sie schminkt sich nur ein mini bisschen, es würde also sowieso mindestens für zehn Jahre reichen.
Heute aber war kein Schminken dran. Heute nahm ich nur ein Glas Saft hoch zum Computer und ging direkt auf die Seite von ›Plan B‹. Plan B ist die Band, die Izzy mit ihrer jüngeren Schwester Madde und zwei anderen Mädchen, Karin und Milla, hat. Izzy am Klavier und Keyboard und an der Geige (sie ist ein Musik-Genie und kann ganz viele Sachen spielen!), Madde singt, Karin ist an der Gitarre und Milla am Bass.
Die Seite ist ungefähr wie ein Blog, aber nicht so wahnsinnig bloggig. Nicht täglich mit neuen Posts, sondern vielleicht jede zweite Woche einen. Leider. Meist sind es nur Sachen wie ›Heute habe ich einen neuen Song geschrieben, juhu!‹, und am häufigsten schreibt Madde. Manchmal ein kurzer Video-Clip von einer Probe oder einem Auftritt.
Es ist schade, dass Izzy nicht häufiger schreibt. Seit ich sie vor einem Jahr als Geigenlehrerin bekam und von der Band und diesem Blog hier erfuhr, habe ich den Wunschtraum, dass ich eines Tages auf die Seite gehe und es einen neuen Post gibt. Zum Beispiel: ›Heute hatte ich meine Geigenschülerin M. Oh, wie lustig und gut sie ist! Wir haben immer so viel Spaß zusammen, die Zeit vergeht wie im Flug. Love her!‹
Dann würde ich sterben.
Aber es ist nie vorgekommen. Bis jetzt. Ich bin noch immer unbekannt und unerwähnt im Plan-B-Blog. Da stand nichts davon, dass wir uns den größten Teil der heutigen Stunde unterhalten haben, weil seit der letzten ein ganzer Sommer vergangen ist, weshalb es soooo viel zu erzählen gab. Ich war in Paris mit Mama und Oma, Izzy zwei Wochen in London. Was sie geliebt hat. Ich war nie in London, aber ich glaube, dass ich es auch lieben würde. Nach dem Urlaub dann hat sie hauptsächlich bei ihrem Konsum-Supermarkt in Vännäs gearbeitet. Also, es ist nicht ihr Konsum-Supermarkt. Sie arbeitet nur dort, Teilzeit. Izzy ist Musiklehrerin, Musik-Genie, Plan-B-Mitglied und Konsum-Kassiererin.
Hallo, Tschuldigung, hallo, hoppla.« Dexter drängelte sich vor Tessa in die Essensschlange, um von der Lasagne zu nehmen, für die auch wir anstanden und darauf warteten, dass die Essensfrauen uns auftun würden. »Hi«, grüßte er fröhlich und sie speziell. »Mochtet ihr denn die Filme neulich?«
»Ja, schon. Wir haben den mit Adam Sandler geschaut. Der war okay«, antwortete sie.
»Okay? Nur? Fandest du nicht, dass der supertoll war?«
Tessa zuckte etwas mit den Achseln. »Naja, vielleicht.«
»Pah«, protestierte er, aber es klang nicht gemein, sondern eher im Gegenteil. Begeistert. Amüsiert. »In dem Fall hast du eben den falschen Geschmack.«
»What?«, protestierte sie genauso begeistert zurück. »Nee du, das glaube ich nicht. Mein Geschmack ist vollkommen perfekt.«
Dexter verdrehte die Augen. »Er ist noch nicht einmal ein kleines bisschen perfekt.«
Sie fuhren fort zu ›pah!‹-en und zu kichern und sich aufzuführen. Erstaunt sah ich ihnen zu. Welche Filme? Welcher Geschmack? Was war das hier? Sie sprach sonst nie mit Dexter. Oder über ihn. Und in dieser Art? Die mir mehr wie Belindas Art vorkam als Tessas.
»Dex«, sagte Belinda prompt von ihrem Platz hinter Tessa in der Essensschlange. Lehnte sich etwas vor, damit er sie wirklich nicht übersehen konnte. »Hallo! Hi, wie geht’s?«, lächelte sie ihn an.
Es war sein Bruder Dennis, mit dem sie früher zusammen gewesen war. Der jetzt in die achte Klasse ging. Dexter ist ein Jahr älter als wir und geht in die siebte Klasse.
Dennis’ und Dexters Vater ist Amerikaner. Er kam als Basketball-Spieler nach Schweden, nach Norrköping, um ein paar Saisons zu bleiben. Aber er traf ein schwedisches Mädchen, und als es mit dem Basketball vorbei war, blieb er in Schweden. Zog mit dem Mädchen hierher nach Umeå, bekam zwei Kinder und begann als Hausmeister an einer Schule zu arbeiten (einer anderen, nicht unserer).