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Erweiterte Ausgabe
© Piper Verlag GmbH, München 2011
Covergestaltung: Cornelia Niere
Covermotiv: Tymonko Galyna/Shutterstock.com
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Als wir uns vor einigen Jahren daran machten, nach einigen sprachkritischen Büchern endlich einmal die Schönheit unserer alten und lebendigen deutschen Sprache zu besingen, hätten wir nicht gedacht, dass unser »Lexikon der schönen Wörter« über Jahre eine so große Leserschaft finden würde. Immer wieder musste das Buch neu aufgelegt werden. Aber es enthielt natürlich längst nicht alle schönen Wörter, die uns einfielen oder die uns von Liebhabern unserer Sprache genannt wurden, nachdem wir das Buch geschrieben hatten. »Wie konntet Ihr nur das Wort sanft übersehen?«, fragte uns beispielsweise vorwurfsvoll eine engagierte Leserin. Recht hatte sie. Zwar hatten wir »sacht« aufgenommen, aber in der Tat: »sanft« nicht. Dabei gehörte es in unser Lexikon unbedingt hinein. Denn es benennt ein Wesen, auch eine Wesensart, die »Sanftmut«, die unsere raue Welt etwas schöner macht. Und schön ist der Klang des Wortes auch. Das schöne Wort »sanft« musste in unser Lexikon aufgenommen werden! Und so ging es mit vielen anderen schönen Wörtern.
Deshalb schlug uns der Piper Verlag eine Neuausgabe vor. Wir öffneten unsere Schatztruhen und trugen unsere Ausbeute zusammen. Sie enthält achtzig neu aufgenommene Wörter mit Zitaten und Worterklärungen. Viele halb vergessene Wörter haben wir wieder ausgegraben wie »Anbeginn« oder »abhandenkommen«. Unsere Wahl fiel auch auf lautmalerische Wörter wie die »Siebensachen« oder das ausdrucksstarke »nigelnagelneu«.
Was glauben Sie, wie viele Wörter die deutsche Sprache zählt? Die meisten Deutschsprachigen meinen, es seien zwischen 50 000 und 250 000 Wörter. In Wahrheit sind es aber etwa fünf Millionen. Das kommt durch die Leichtigkeit, mit der wir im Deutschen neue Wörter bilden können. Und so werden täglich neue deutsche Wörter erfunden. Zum Beispiel das geniale »fremdschämen«. Bis dato musste man etwas umständlich (wenn auch nobel) formulieren, man habe »sich eines anderen geschämt«. Aber die leichte Wortbildung des Deutschen macht es möglich, diesen Ausdruck in einem neuen Verb zu bündeln und alles Wichtige gleichzeitig auszudrücken, eben »fremdschämen«. Eine neue Worterfindung ist auch die »Gunststunde«, ein Wort, das eine findige Studentin als Ersatz für die »happy Hour« ersann. Wir wünschen dem Wort auch deshalb viel Erfolg, weil es zeigt, dass nicht alles Neue auf Englisch bezeichnet werden muss, sondern dass das Deutsche im Grunde jede Neuerung auch benennen kann, und das sogar mit schönen Wörtern.
Wir haben uns auch bei jungen Familien umgehört, und so ist eine Wortkombination wie »voll schön« in unsere Sammlung gelangt. Wenn nämlich ein Kind vor den Auslagen der Spielwaren auf einen großen Stoffbären zeigt und ausruft: »Mama, das ist voll schön!«, dann ist das ein Ausruf aus der Tiefe des Herzens, der einfach in unser Lexikon hineingehört.
Auch unsere deutschsprachigen Nachbarn, die Schweizer und die Österreicher (um nur die größten Sprachgemeinschaften außerhalb Deutschlands zu nennen), sind findige Wortschöpfer. Sie haben schöne Wörter erfunden, die auch in Deutschland bekannt werden sollten, wie zum Beispiel der »Anwert«, der dem Ansehen entspricht, oder der »Kehrwisch«, der auf genial einfache Weise das bezeichnet, was man in Deutschland den Handbesen oder auch den Besen in »Schippe und Besen« nennt – nur eben genauer; oder auch das »Schleckzeug«, das eine echte Alternative zu den Süßigkeiten ist (wobei wir auch darauf nicht verzichten wollen).
Unser Dank gilt all jenen Sprachliebhabern, die uns wertvolle Hinweise gegeben haben. Er gilt den Buchhändlern, die unser Lexikon immer wieder für die Nacht- oder Ferienlektüre empfohlen haben. Und er gilt dem Piper Verlag, der diese Neuausgabe angeregt hat.
Mark Twain klagte einst über die »schreckliche deutsche Sprache«, und gern machte er sarkastische Bemerkungen über die komplizierte deutsche Grammatik.
Das ist die eine Seite. Deutsch ist grammatikalisch schwer, zumindest für all jene, die es als Fremdsprache lernen. Aber seine Wörter sind oft leicht zu erlernen. Denn hier kommt eine der besonderen Fähigkeiten der deutschen Sprache ins Spiel, nämlich die Leichtigkeit, mit der sie Wörter oder Silben aus verschiedenen Wörtern kombiniert und daraus neue Wörter schafft. Aus »Kind« und »Arzt« macht sie den kinderleicht verständlichen »Kinderarzt« (während das Französische mit dem schwer verständlichen Wort »pédiatre« auf das Griechische zurückgreift). Aus den drei Silben »un«, »nah« und »bar« bildet sie das Wort »unnahbar«. Aus »sehnen« und »Sucht« macht sie »Sehnsucht«. Es sind Wörter mit einer tiefen Bedeutung, die in unseren Ohren einen schönen Klang haben. In ihrer Wortbildung bietet die deutsche Sprache viele Möglichkeiten des Wortschöpfens, auch des Erfindens schöner Wörter – und eine gute Verständlichkeit dazu. Das hätten wir Mark Twain gern entgegnet.
Das ist die andere Seite, und um die geht es uns in diesem Buch. Nachdem wir zuvor Wörter und Wendungen gesammelt haben, mit denen die deutsche Sprache verhunzt wird (Walter Krämer und Roland Kaehlbrandt: »Plastikdeutsch«, Piper 2009), spüren wir jetzt den schönen, den besonderen, den festlichen Wörtern der deutschen Sprache nach. Wir haben dafür keine Jury gebildet, kein Jüngstes Sprachgericht berufen. Als Liebhaber des Deutschen haben wir in uns selbst hineingehorcht und mit vielen Menschen gesprochen, denen so wie uns das Herz aufgeht, wenn sie Sätze hören oder lesen wie »der Mond ist aufgegangen«.
Für sprachliche Schönheit gibt es keine objektiven Wertmaßstäbe. Zwischen dem Klang oder der Lautfolge, die wir für einen Gegenstand wählen (besser gesagt für das geistige Bild, das wir von diesem Gegenstand haben), und dem Gegenstand selbst besteht keine direkte Beziehung. Dass wir »Himmel« sagen, der Franzose aber »ciel«, führt uns diese Tatsache vor Augen. Noch deutlicher wird unsere willkürliche Wahl von Lautfolgen, wenn wir an Dinge denken und sie bezeichnen, die es gar nicht als greifbare Gegenstände gibt: »Liebe«, »Trauer«, »Andacht«. Und trotzdem: Wir nehmen die Wörter unserer Sprache als natürliche Klangfolgen wahr, und deshalb empfinden wir auch manche von ihnen als schön. Das ist unser gutes Recht, denn immerhin verbinden wir die Wörter mit Tausenden von Erinnerungen und Prägungen. Und außerdem sind sie nicht einfach immer schon da gewesen oder uns von der Natur eingegeben – sondern sie sind gemacht, ersonnen, geschaffen, erfunden. Sie sind Menschenwerk, und manche von ihnen sind regelrechte Kunstwerke. »Wehmut« und »Sehnsucht« sind solche Glanzstücke, aus bestehenden Wörtern zusammengesetzt, aber so, dass sie ineinander übergehen und eine wunderbare Verbindung, ja Verschmelzung eingehen, die man nicht missen möchte. Gewiss bleibt das Urteil darüber subjektiv, ob »Sehnsucht« und »Wehmut« schöne Wörter sind, und es mag durchaus Menschen geben, die ein Wort wie »knarzen« oder »knarren« schöner finden. Aber es werden doch deutlich weniger sein als jene, die den Klang und die Vorstellung mögen, welche zum Beispiel das Wort »anschmiegsam« auslöst. Man kann übrigens bezweifeln, dass uns eine solche besondere Berührung, wie wir sie mit »anschmiegsam« beschreiben, überhaupt bewusst wäre, wenn unsere Vorfahren dieses Wort nicht erfunden hätten.
Zu den schönen Wörtern zählen wir auch jene, die in unserer Sicht vor allem würzig sind. Sie wecken vielleicht nicht immer nur schöne Empfindungen, dafür aber bringen sie elementare Erlebnisse und Erfahrungen kraftvoll zum Ausdruck. »Wirr« und »Wucht« gehören zum Beispiel dazu.
Und schließlich gehören alte oder schon untergehende Wörtern dazu. Solche, die uns aus Liedern oder Gedichten aufscheinen und die wir nicht vergessen wollen, weil sie eine vergangene Zeit zurück in unsere Vorstellungswelt bringen und uns im hektischen Alltag eine gewisse Ruhe schenken. Zum Beispiel ein Wort, das die Großeltern zu dummen Jungen sagten: »Sei doch nicht töricht!« »Töricht« ist eindeutig schöner als »bescheuert«. Es vermittelt Gelassenheit und Abstand, gleichzeitig aber auch eine Milde, die begütigend und besänftigend wirkt – und ein bisschen beschämend. Sehr wirkungsvoll! Vielen Wörtern dieser Art liegt eine Geisteshaltung zugrunde, die wir heute leicht als altmodisch empfinden. Langsamkeit, Bedächtigkeit, Sorgfalt und auch ein gewisser Autoritarismus schwingen bei manchen von ihnen mit. Andererseits sind sie eben sehr genau in ihren Nuancen – und sie sind eindeutig erfunden worden, sind also Sprachkunstwerke im Kleinen.
Dennoch: Sprachliche Schönheit ist nicht leicht zu definieren. Was an ihr ist sprachlich, was ist eher mit der Vorstellung des Gegenstandes selbst verbunden? Weckt bei »Wehmut« der Klang des Wortes oder das damit verbundene Gefühl unser Schönheitsempfinden? Das ist nicht endgültig zu beantworten. Vielleicht ist ja auch die Frage falsch gestellt. Schließlich gehört die Bedeutung zum Wort wie der Klang. Und das ganz bestimmte Gefühl der Wehmut gibt es wohl nur für den, der das Wort kennt, jedenfalls in seiner genauen Bedeutung (zum Beispiel im Unterschied zur Sehnsucht). Schöne Wörter sind also schwer zu bestimmen. Aber wenn man sie sucht, sind sie nicht schwer zu finden.
Die Sprache bleibt ein reiner Himmelsrauch Empfunden nur von stillen Erdensöhnen.
Die Forscher fanden dort außerdem eine Maske von Marcus Antonius und 22 Münzen mit einem Abbild Kleopatras.
Ein Abbild wünschen wir von einem Menschen, den wir schätzen oder lieben, es ist sein Sendbote, sein Stellvertreter: »Also wandelst du, Geliebte, / Still und sicher, und es zittert / Nur dein Abbild mir im Herzen, / Weil mein eignes Herz erschüttert« (Heinrich Heine, »Wie des Mondes Abbild zittert«). Würde man auch dann von einem Abbild sprechen, wäre auf der Münze, von der die »Süddeutsche Zeitung« berichtet, Nero statt Kleopatra zu sehen?
Er soll dir abbitten, fuhr Frau von G... fort.
Die Abbitte zeigt, wie die deutsche Sprache durch das Anfügen kleinster Bausteine feinste Nuancen hervorbringen kann. Mag der so erzeugte Abstand zur Bitte auch nicht allzu groß sein, so ist er doch wesentlich, weil die Abbitte eine besondere Bitte ist, die ein Anerkenntnis von Schuld einschließt; bis ins 19. Jahrhundert zählte sie zu den sogenannten Ehrenstrafen. Es war eine feierliche, in Gegenwart von Zeugen abzustattende Entschuldigung. Und noch heute findet man abbitten in ebendiesem Sinn: »Uli Hoeneß erwartet gar eine Abbitte der Medien, weil sie Sosa, der im Sommer 2007 für zehn Millionen Euro nach München kam, in der Vergangenheit so verkannt hätten« (»Die Welt«).
Auf, Gesellen, schöpfet Wasser / Teilt euch in das Abendbrot
Abend und Brot wecken schon für sich genommen elementare Empfindungen. Ihre Wortschönheit entfalten sie aber erst im Zusammenklang. Schön ist auch die schweizerdeutsche Wortschöpfung des Nachtessens.
Gewaltig bist du dunkler Mund Im Innern, aus Herbstgewölk Geformte Gestalt, Goldner Abendstille.
Die Abendstille erinnert an die Zeiten vor der sogenannten Erlebnisgesellschaft. Eine schöne Erinnerung, die man heute nur mit Mühe wiederbeleben kann – aber sollte. Das Wort lädt uns dazu ein.
Also hatte König Hulderich mit seinen Allobrogern ihren Tod für ein Glücke zu halten; nicht nur / weil von ihnen diß / was sie dem Vaterlande und der Natur schuldig waren / abgegolten / sondern auch weder der Untergang ihres Reiches / noch die Schmach der Dienstbarkeit erlebet ward.
Abgelten hat etwas Feierlich-Endgültiges an sich: »Zwanzig Jahre nach der Wende behauptet die Kanzlerin, die Milliarden-Kosten für die Wiedervereinigung seien abgegolten« (»Die Welt«). Abgelten duldet kein Nachkarten, keine versteckten Vorwürfe, keine Missgunst, keine Schuldgefühle.
Berühmte Männer, welche ihren Ruhm nötig haben, wie zum Beispiel alle Politiker, wählen ihre Verbündeten und Freunde nie mehr ohne Hintergedanken: von diesem wollen sie ein Stück Glanz und Abglanz seiner Tugend, von jenem das Furchteinflößende gewisser bedenklicher Eigenschaften, die jedermann an ihm kennt, einem andern stehlen sie den Ruf seines Müßigganges, seines In-der-Sonne-liegens, weil es ihren eignen Zwecken frommt, zeitweilig für unachtsam und träge zu gelten.
Das sprachliche Kunstwerk zeigt sich hier in der feinen Abtönung des Glanzes durch die Zugabe der Silbe »ab«. Der Abglanz ist der Widerschein oder der abnehmende oder auch vergangene Glanz. »Ich genieße recht glückliche Stunden in dem Abglanz Ihrer Werke« (Johann Wolfgang von Goethe an Carl Friedrich Zelter, 1810). »Das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenüber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages« (Thomas Mann: »Der Tod in Venedig«).
Inzwischen zur Theaterwissenschaft übergewechselt, las er zum ersten Mal das Büchner-Werk – während er mit der Straßenbahn zu seinem frisch entdeckten literarischen Abgott Heiner Müller fuhr.
Ein Abgott ist heute ein besonders einflussreiches Vorbild, auch eine aus anderen Gründen verehrte oder zu verehrende Person: »Sechs Fuß hoch aufgeschossen / Ein Kriegsgott anzuschaun / Der Liebling der Genossen / Der Abgott schöner Fraun« (Theodor Fontane: »Prinz Louis Ferdinand«). Der ursprüngliche Abgott dagegen war ein zu Unrecht als Gott verehrtes Wesen und wie der Abgott Moloch in der Bibel eher abzulehnen.
O Schelm Judas, was thust? fürchtest dann nicht, daß der Erdboden dich lebendig verschlucke? sorgst dann nit, dast dich tausend Donnerkeul in den Abgrund erschlagen?
Der Abgrund als ein »rhetorischer Grundbestandteil beschwörend warnender Rede« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«) löst Furcht aus. Er lässt uns zittern, aber auch innehalten. Im übertragenen Sinne bietet er uns eine letzte Möglichkeit, die Folgen unseres geplanten Tuns zu überdenken. Wie viele andere Hochwertwörter ist auch der Abgrund durch inflationären Gebrauch entwertet. »Die Eigentümer und die Geschäftsleitung haben mit ihrer Hochrisikostrategie das bislang kerngesunde Unternehmen an den Abgrund manövriert« (»Süddeutsche Zeitung«).
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man kann sagen, sie kannten sich gut)
Kam ihre Liebe plötzlich abhanden
Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.
Mit dem Abhandenkommen hat es seine Bewandtnis. Es sind die unmerklichen Verluste: Erinnerungen, die verschwimmen, Gegenstände, die wir verlegen und deren Verlust wir erst später bemerken, Freundschaften und Liebschaften, die wir aus den Augen verlieren und dabei schließlich ganz verlieren. Unmerklich und doch auch am Ende unabänderlich entgleiten uns die Dinge. Etwas wehmütig und ratlos bleiben wir zurück und gehen dann wieder unserer Wege. Denn nicht alles können wir auf unserer Reise mitnehmen.
Das Mittel, worauf wir gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicher zu werden als das Übel, dem es abhelfen sollte.
Die Abhilfe ist eine Hilfe, aber sie ist auch mehr als das: nämlich die Hilfe, die wirkt – was man nicht von jeder Hilfe sagen kann. Die Abhilfe beseitigt das Übel zwar nicht vollends, aber sie dämmt es ein. Sie verschafft für einen Augenblick Luft, sodass nach weiteren Lösungen gesucht werden kann. Wer Abhilfe schafft, hilft wirkungsvoll.
Abseits der roten Teppiche ermöglichen seine Bilder einen Blick auf die Charaktere.
Abseits, jenseits, diesseits – diese Verhältniswörter (Präpositionen) verlangen den Genitiv und sind allein schon deshalb etwas Besonderes. Hinter dem Haus, aber abseits der Straße. So werden sie ohne eigenes Zutun zu seltenen schönen Wörtern, denn wie mühsam kommt heute der Genitiv so manchem Sprecher deutscher Zunge über ebendiese.
Nächst der Küche lag das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte.
Erstaunlicherweise bedeutet allenfalls, dass etwas nur in einem besonderen Falle gilt, nicht etwa aber unter allen Fällen – wie man meinen könnte. Sondern unter allen Fällen gibt es nur den einen, bei dessen Eintreten das gilt, was wir mit allenfalls bezeichnen. - Die Schweizer haben dem Wort eine andere Bedeutung verliehen. »Hätten Sie allenfalls Zeit?« bedeutet bei den Eidgenossen dasselbe wir in Deutschland gegebenenfalls. Eine hübsche Variante.
Allenthalben beklagen die Vertreter bayerischer Kommunen, sie hätten keine Handhabe gegen die boomenden Raucherclubs.
Allenthalben gehört gewiss zu den Wörtern deutscher Sprache, die man als Ausländer als Letztes lernt. Und auch Inländern kommt das Wort kaum jemals über die Lippen. Man kann es auch mit »immer und überall« übersetzen, aber warum eigentlich, wo es doch beide Bedeutungen in einem Wort enthält?
Um Kasimir öfters als alle vierzehn Tage nur einmal zu sehen, musste Therese zu allerlei Ausreden ihre Zuflucht nehmen.
Ein »allerlei« verleiht Texten Flügel. Wie bleiern hätten sich Thereses »alle möglichen Ausreden« dagegen ausgenommen. Und auch Zustimmung schwingt mit: Recht hat sie, scheint Schnitzler hier zu sagen, wo die Liebe hinfällt, hat die Konvention zu schweigen.
In einem Glossar zur Krise werden wir von heute an Wörter aus dem Strom des Geredes fischen, die allesamt mehr und deshalb etwas anderes bedeuten, als ihnen zugetraut wird.
So wie »allenthalben« ist auch »allesamt« eine Perle, die man vor allem in der geschriebenen und weniger in der gesprochenen Sprache findet und die eigentlich ein kleiner Luxus ist. Denn auch ohne »allesamt« würde sich an der Aussage des Zitats kaum etwas ändern. »Allesamt« unterstreicht zusätzlich die Gesamtheit der bezeichneten Menge, eine Gesamtheit, der nichts entgeht, die alles vollständig umfasst. »Samt und sonders« sagen wir auch dazu. Es sind eher rhetorische Wendungen, die an der tatsächlichen Bedeutung kaum etwas ändern, aber diese eben hervorheben und sie damit stärker in unser Bewusstsein rücken.
Das ist wörtlich der Satz, mit dem der Vortragende lächelnd allfälliges Grausen seiner Hörerschaft beseitigt.
Schade, dass dieses so schön klingende Wort in Deutschland kaum verwendet wird, aber wie gut, dass es in Österreich und der Schweiz nach wie vor gebräuchlich ist. Es wird in der Bedeutung von etwaig verwendet. Im Geschäftsleben ist »Allfälliges« eine wohlklingende Alternative zum meist langweiligen Tagesordnungspunkt »Sonstiges«. Man darf auch einmal bei den südlichen Nachbarn der Deutschen abgucken. Es muss nicht immer der englische Import sein.
Wenn du aber Almosen gibst / So las deine lincke hand nicht wissen / was die rechte thut / Auff das dein Almosen verborgen sey / vnd dein Vater / der in das verborgen sihet / wird dirs vergelten öffentlich.
Almosen werden heute eher abwertend gebraucht: »Sollen doch die Arbeitgeber ihre Almosen behalten.« Dabei standen sie lange Zeit für wahres Christentum, für das Teilen mit dem Nächsten, für Nächstenliebe überhaupt.
Die Sehnsucht der Maid im Alpenglühen.
Das Alpenglühen entsteht durch das Streulicht des Sonnenunter- und Sonnenaufgangs, dann nämlich, wenn die Felsen das Licht rot widerspiegeln und der Vordergrund im Dunkeln liegt. Eine herrliche Naturerscheinung – aber auch ein Wort, das genauso schön ist wie die Erscheinung, die es beschreibt.
Als es am Nachmittag schon dämmerte, hielt eine Droschke vor dem Hause, und Mutter und Töchter sahen alsbald vom Fenster aus, wie Friederike nach vergnüglicher Begrüßung mit Leo den kleinen Offizierskoffer vom Kutscherbock nahm und an Agnes Nebelung vorbei – die, weil sie den Leutnant gern sehen wollte, dicht neben dem Trottoir Aufstellung genommen – auf die Haustür zuschritt.
»Alsbald« ist eine heute fast vergessene Sonntagsfassung von Wörtern wie »kurz darauf« oder »danach«. Das etwas Getragene, Feierliche, das dem Wort innewohnt, ist dem heutigen Sprecher verdächtig; deshalb überlebt das Adjektiv heute vor allem als ironisierendes Stilmittel im gehobenen Journalismus: »Alsbald brausten aus Deutschland importierte Gelenkbusse, die bendy buses, durch London, und viele sahen es mit kaltem Grausen« (Die »Süddeutsche Zeitung« zum Beschluss der Londoner Stadtregierung, die alten Doppeldeckerbusse durch moderne Gelenkbusse zu ersetzen). Zusätzlich zu der rein zeitlichen Reihung mittels »danach« oder »kurz darauf« kommt bei »alsbald« die Spur der Notwendigkeit ins Spiel: Es war zu erwarten, dass es so kommen würde.
So täuscht uns alsdann die Zeit unter der Maske des Raumes.
So spricht und schreibt seit Schopenhauer wohl kaum jemand. Das ist schade, denn das »als« vor dem »dann« hebt, obgleich logisch entbehrlich, den folgenden Zeitabschnitt hervor und lädt damit zu einer kleinen Unterbrechung, zu einer Pause ein, sodass das Verstehen erleichtert wird. Auch Goethe bediente sich gern dieses Wortes: »Wollten Sie alsdann die Beschwerlichkeit der Reise und die Verwendung Ihrer kostbaren Zeit gegen das Vergnügen aufrechnen, das Sie allenfalls bey uns genießen möchten; so blieben wir doch nicht in so hohem Grad Ihre Schuldner« (an Carl Friedrich Zelter, 1803). Gewiss kann man auch schlicht »dann« und »darauf« verwenden, aber das »alsdann« ist markanter, auch weil es selten ist. Zur Wiederverwendung empfohlen.
Seine Romane sind, je neuer sie sind, um so altbackner.
Etwas Altbackenes ist uns sehr vertraut, so vertraut, dass es uns leicht langweilt. Wir sollten es aber nicht gering schätzen, denn in einer extrem schnelllebigen Zeit ist das wenige, das vertraut ist und Bestand hat, möglicherweise doch von Wert.
Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.
Wenn wir auf der weiten Skala der zielgerichteten, im Auftrag Dritter ausgeübten menschlichen Tätigkeiten ganz links den Job verorten, so steht ganz rechts das Amt. Der Job wird gemacht, das Amt aber wird bekleidet, getragen oder ausgefüllt. Dieser Unterschied wird im gegenwärtigen politischen Sprachgebrauch allerdings gern ins Gegenteil verkehrt, indem nämlich die Tätigkeit eines Amtsträgers dadurch gelobt wird, dass man ihm bescheinigt, er habe »einen guten Job« gemacht, als sei die Arbeit im Staatsdienst überhaupt nur mit Worten aus dem Bereich flüchtiger Beschäftigung positiv zu beschreiben. Ein Armutszeugnis.
Wie Könige, die schließlich nur noch schreiten fast ohne Ziel, nur um von Zeit zu Zeit sich den Verneigenden auf beiden Seiten zu zeigen in des Mantels Einsamkeit -:
so steigt, allein zwischen den Balustraden, die sich verneigen schon seit Anbeginn die Treppe: langsam und von Gottes Gnaden und auf den Himmel zu nirgends hin.
Der Anbeginn ist reiner Anfang: Der feine Unterschied zwischen Anbeginn und Beginn ist die Verschmelzung von Anfang und Beginn in einem Wort. Sie verleiht dem Anbeginn etwas Würdiges, Absolutes, Nichthintergehbares.
Fern von Eitelkeit und innerm Trug,
Nahe dich mit Andacht jedem Buch,
Wo des Herzens stille Wahrheitskraft
Neu die Welt der Liebe sich erschafft.
Andacht umfasst in diesem Vers von Schlegel eine Mischung aus Respekt und innerer Sammlung, aber doch auch wieder ganz anderes. Denn um wie viel gefühlvoller und eindringlicher als der Respekt ist die Andacht. In beiden lebt die Achtung. Achtung ist tief empfunden. Die Andacht auch, nur hat sie nichts von der Einschüchterung, die ein wenig der Achtung anhaftet. Respekt wiederum ist Achtung ohne Liebe, ohne Hingabe. In der Andacht dagegen, in der andächtigen Haltung steht der Mensch aus eigenem Willen einem äußeren Gegenstand gegenüber; und zugleich verwandelt er ihn sich an, ohne ihn dabei seiner Eigenart zu berauben. Wer etwas mit Andacht tut, veredelt das Getane, gibt selbst profanen Dingen eine Weihe.
Wie einsam ich damals mit dem stand, was ich im stillen als meine »Weltanschauung« in mir trug, während meine Gedanken auf Goethe einerseits und Nietzsche andererseits gelenkt waren, das konnte ich auch empfinden an dem Verhältnis zu mancher Persönlichkeit, mit der ich mich freundschaftlich verbunden fühlte, und die doch mein Geistesleben energisch ablehnte.
»Andererseits« kennzeichnet allein schon deshalb eine gehobene Sprache, weil es einen mehr oder weniger großen Vorlauf einbezieht. Dieser Vorlauf kann nur einen Atemzug zuvor mit »einerseits«, aber auch weit zurück in einem Text beginnen. »Einerseits/andererseits« sind Begriffe des Abwägens. Eine gute Eigenschaft, die Dinge abzuwägen und nicht zu voreiligen Schlüssen zu kommen. Dem Abwägen steht in heutigem Sprachgebrauch das Bauchgefühl gegenüber, die Entscheidung aus dem Bauch heraus. Sie überschätzt die Spontaneität und schätzt die Vernunft gering.
Dieser, sowenig er von Bildern verstand, war doch in dem einen ein guter und geschulter Galeriediener, daß er sich die schwere Kunst, »nicht zu stören«, all seiner sonstigen Plauderhaftigkeit zum Trotz angeeignet hatte.
Wer sich etwas aneignet, macht es sich zu eigen, zum Teil seiner selbst. Was wir uns aneignen, das soll bleiben. Das Aneignen ist das Gegenteil einer flüchtigen Inbesitznahme. Es ist ein Ernstfall, der für immer gilt. Oft brauchen wir auch entsprechend lange, um uns etwas anzueignen. Und so hoffen wir, dass das Angeeignete zu unserem Eigentum wird – und dass es bleibt. Wer dagegen nur Besitz ergreift, lässt diesen vielleicht schon morgen wieder los.
Gerade für jene Menschen, welche am hitzigsten nach Macht streben, ist es unbeschreiblich angenehm, sich überwältigt zu fühlen!
Schon der Klang des Wortes angenehm, die Folge des leichten »an« mit dem lang gezogenen »genehm«, wirkt freundlich, schon beim Hören stellt sich deshalb ein angenehmes Gefühl ein. Es ist nicht übertrieben euphorisch oder leidenschaftlich. Angenehm ist ein leichtes, zartes, zugängliches Gefühl. Und so klingt das Wort auch nicht schwer und tief. Es ist ein harmloses Wort für einen leichten Moment, der uns angenehm überrascht. Wir hatten nicht mit ihm gerechnet, und plötzlich stellt er sich so angenehm ein, unerwartet, aber nicht erschütternd oder überwältigend, sondern schlicht wie eine kleine Freude.
Verriet mein blasses Angesicht
Dir nicht mein Liebeswehe?
Und willst du, daß der stolze Mund
Das Bettelwort gestehe?
Warum Angesicht statt Gesicht? Das Angesicht bezieht den anderen ein. Es ist ein Beziehungsbegriff. Der Ausdruck »von Angesicht zu Angesicht« beschreibt diese Gegenseitigkeit treffend. Das ist das Besondere am Angesicht: dass es unser Äußeres nicht für sich allein, sondern im Wechselspiel mit dem anderen sieht.
Alles sey den waltenden Mächten anheim gegeben.
Anheim begegnet uns im Deutschen als Anfangsteil von zusammengesetzten Verben: anheimgeben, anheimstellen, anheimfallen. Juristen pflegen gern die Redewendung: »Ich stelle anheim!« Die Argumente sind ausgetauscht, nun muss die andere Partei zu einer Entscheidung kommen. Die sachliche Strenge des Ausdrucks rührt daher, dass das Objekt nicht erwähnt wird. Der andere findet nur zwischen den Zeilen statt, obgleich er es ist, auf den es jetzt ankommt. Diese Auslassung verfehlt ihre kühle Wirkung nicht.
Vowinkel grüßte sie, sprach, in der Absicht, ihnen Mut zu machen, ein paar freundliche Worte zu jedem und ging dann, nachdem er sich aus seinem Mantel herausgewickelt, auf Eccelius’ Studierstube zu, darin nicht nur der große schwarze Kachelofen, sondern auch der wohlarrangierte Kaffeetisch jeden Eintretenden überaus anheimelnd berühren mußte.
Dem Wort anheimelnd haften von Heim und Heimat all die Gefühle und Erinnerungen an, die wir mit unserer Kindheit in Verbindung bringen: Geborgenheit, Aufgehobensein, Wohlwollen. Anheimelnd jedoch ist gerade nicht an unser eigentliches Zuhause gebunden. Auch andere Orte, selbst bisher unbekannte, können anheimelnd sein. Das macht gerade die Besonderheit des Anheimelnden aus: dass es sich wie eine heimatliche Geborgenheit auch an anderen Orten und mit anderen Menschen einstellen kann. Wir können, mit anderen Worten, Nähe zu Orten und Menschen auch außerhalb unseres Heims erleben und empfinden.
Es ist unstreitig ein reiner Enthusiasmus in mir, denn jeder helle frohe Anklang von außen öffnet alle Schleusen meiner Seele.
Wie sehr sich der Klang vom Geräusch abhebt! Er klingt nach im Ohr und in der eigenen Vorstellungskraft. Eine klangvolle Stimme können wir uns vorstellen, auch wenn wir sie noch nicht kennen. Vom Klang ist es nur ein kurzer lautlicher Schritt zum Anklang. Aber wieder ist es verblüffend, wie wir es mit einer kleinen Silbe vermögen, den Klang in eine ganz andere, besondere Bedeutung zu verwandeln. Anklang finden – das ist etwas Wünschenswertes. Wer Anklang findet, vermag es, bei anderen eine Saite zum Schwingen zu bringen. Nicht, dass es schon die große Begeisterung wäre. Es ist vielmehr die leichte Sympathie, das einfache Gefallen. Dem Anklang geht es nicht um Dauerhaftigkeit. Es ist ein erster schöner Ton, ein zarter erster Klang, der mit jemandem verbunden ist – weil er oder sie etwas gut kann. Oder weil er oder sie etwas ausstrahlt, das auf ein verbreitetes Bedürfnis trifft: Verlass, Geduld, Verantwortung, gern auch Humor und Esprit.
Es ist ein neuer Tenor bey uns angelangt, der eine sehr schöne Stimme hat.
Dieses Kleinod unserer Sprache fällt zunehmend dem schlichten »ankommen« zum Opfer. Aber »anlangen« klingt anders. Es trägt in sich die Erleichterung über das Ende einer beschwerlichen Reise oder die Freude über den Ort, an dem man angelangt ist.
Stets war Anmut der Verleumdung Ziel.
Im Original schrieb Shakespeare: »That thou art blamed shall not be thy defect / For slander’s mark was ever yet the fair.« Vermutlich ist die obige Übersetzung – eine von Dutzenden – näher an Shakespeare als Shakespeare selbst. Denn ein Wort für Anmut gibt es im Englischen nicht. Weder »grace« noch »charm« noch »beauty« noch auch die von Shakespeare gewählte Umschreibung »the fair« trifft diese anrührende Mischung aus (angedeuteter) Schönheit, Liebreiz und angenehmem Auftreten so wie der Begriff der Anmut. Wie schwach zum Beispiel wirkt dagegen die folgende Übersetzung: »Nicht deine Schuld ist’s, wenn die Welt dich schmäht / Da Edles stets als Ziel dem Neide winkt.« Oder diese hier: »Verdacht und Argwohn sind des Schönen Zier.«
Der Kriminalschriftsteller Friedrich Ani ist auf Charaktere abonniert, die, gelinde gesagt, etwas verschroben und unzeitgemäß anmuten.