Die letzten Männer des Westens

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Inhaltsübersicht

Fußnoten

  1. Max Pütz und Oli Flesch, die beiden hart-rechten Busenfreunde, habe ich auch getroffen. Auf Mallorca, wo sie beide als gute deutsche Patrioten leben. Ich war mit ihnen essen und trinken, rauchte mit Flesch einen Frühstücksjoint auf dem Balkon seiner Wohnung in Cala Rajada, lauschte Max’ Plädoyer gegen das Frauenwahlrecht und ertrug Olis Phantasien eines Völkermords an «den Musels». Und wie gerne würde ich über diese skurrilen und widerwärtigen Macker schreiben! Über Pütz’ wahnhaften Verschwörungsglauben und Fleschs Testosteronspritzen, über ihre Kontakte zur AfD und der Neuen Rechten, über ihre kruden Männlichkeitskonstruktionen.

    Aber die Welt des antifeministischen Männerwahns ist einfach zu groß. Es gibt zu viele Geschichten. Ich werde mein mallorquinisches Abenteuer wann anders erzählen müssen.

  2. Die letzten Westen der Männer! (Sorry)

Welche Gesellschaft wollen wir?!

Nach seinem Report über Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker («Die Reise ins Reich») hat sich Tobias Ginsburg nun erneut in die Abgründe gewaltig männlicher Welterretter begeben und über ein Jahr lang Gruppen radikaler Antifeministen gesucht, gefunden und beweiskräftig überzeugend dokumentiert. Ob in Burschenschaften, in der Rap-Szene, bei Männer-Coaches, in der «Neuen Rechten», in einflussreichen Juristenkreisen oder unter gewaltaffinen Trump-Anhängern: Diese Männer (und auch einige Frauen) sehen «Männlichkeit» in Gefahr und sind der Ansicht, das gesellschaftliche Gefüge werde durch den Feminismus und selbstbewusste, gleichberechtigte Frauen zerstört. Sie rufen zum heiligen Krieg auf, mit unbändigem Hass und, wenn es sein muss, auch mit Waffengewalt.

Ginsburg konstatiert, dass sich diese Männlichkeitsideologie ausbreitet als Antwort auf globale Verunsicherungen, soziale Ängste und männlichen Herrschaftsverlust. Sie propagiert als Gegenentwurf die Oberhoheit starker Männer, die herkömmlich-patriarchalische Familienstruktur, die strikte Geschlechtertrennung und die Unterdrückung jeglicher sexuellen Diversität.

Starke Männer. Das bedeutet gleichzeitig: keine starken Frauen. Die stille und laute Propaganda für diese Geschlechterzuweisung ist der stärkste Klebstoff in rechtsradikalen und rechtskonservativen Netzwerken. Sie ist der wichtigste gemeinsame Nenner von Menschen, vorwiegend von Männern, deren Ideal eine Gesellschaft der Hierarchisierungen, der Ober- und Unterordnungen und der Ausgrenzungen ist. «Die Freiheit,

Dennoch wird diese Männlichkeitspropaganda bis heute unterschätzt.

Wer das Buch von Tobias Ginsburg gelesen hat, wird diesen Fehler nicht mehr machen. Denn Ginsburg führt uns so hautnah an die «toxische Männlichkeit» heran, er nähert sich derart schmerzhaft den verbalen Ausbrüchen, den Phantastereien und der aufgeladenen Gewaltbereitschaft ihrer Protagonisten, dass ihre Gefährlichkeit nicht mehr kleingeredet werden kann.

Schon vor diesem Buch gab es wissenschaftliche Untersuchungen dieser «toxischen Männlichkeit», Studien, Analysen, nicht nur aus feministischer Sicht. Ginsburg jedoch geht weiter: Er setzt sich ganz persönlich und ungeschützt den Männern aus, die von ihrer einzigartigen männlichen Stärke überzeugt sind, die eine Führungsrolle beanspruchen, die nur ihnen zukäme, weil sie Männer sind, die an ihr phantasiertes Recht auf Unterdrückung glauben, an ihre zurechtgesponnene Pflicht zur Unterwerfung anderer – nicht nur des anderen Geschlechts, sondern generell aller Menschen, die nicht sind wie sie.

Diese Männer zelebrieren ihre Ideologie wie eine Religion, sie geilen sich an diesem Glauben auf, stählen ihre Körper, um den Worten Taten folgen zu lassen, verbrüdern sich, um zu erobern, zuzuschlagen, zu herrschen.

Sie feiern in ihren Kreisen die Attentäter, die aus der gleichen frauenfeindlichen Motivation wie sie zu Mördern geworden sind. 2011 hatte Anders Behring Breivik, der in Norwegen 77 Menschen ermordete, in seiner Bekenntnisschrift erklärt, der Feminismus bedeute das Ende der Männlichkeit. Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen

Der Autor hat sich in eine bekennend frauenfeindliche Parallelgesellschaft hineingewagt, hat sich eine Identität zugelegt, die dort akzeptiert wurde, und hat mitgespielt. Er musste zu diesem Zweck in die Privatsphäre dieser Männer eindringen, denn es geht bei allen politischen Folgen toxischer Männlichkeit zuerst einmal um die sehr persönliche, individuelle Entscheidung, sich als Antifeminist zu bekennen. Ginsburg musste diesen Schritt gehen, auch wenn er zu einer Gratwanderung führt. Sonst hätte er dieses Buch nicht schreiben können.

Manches wirkt skurril, absurd und bedrohlich im Biotop der bekennenden Männlichkeit. Sich damit zu konfrontieren, dazuzugehören, mitzuphantasieren, geht an die Grenzen von Ginsburgs eigener Identität. Er fühlt sich beschmutzt und verletzt. Ginsburg fragt sich während seiner Recherche immer wieder, wie lange er diese hassgeschwängerte Verbrüderung noch aushalten kann. Als er sich nach Wochen der Selbstzweifel und des Rückzugs wieder auf ein Treffen einlässt, reagiert einer der Männer, ein durchtrainierter Schlägertyp: «Du musst wissen: So V-Leute, die versucht haben, sich hier so unterschwellig einzufädeln, die sind alle verschwunden.» Wäre er enttarnt worden, hätte er das unter Umständen mit seiner Gesundheit, am Ende sogar mit seinem Leben bezahlt.

Der Bericht von Ginsburg ist erschütternd, er macht Angst. Das noch immer anzutreffende Schulterzucken, diese Männer seien halt nur ewiggestrige, beleidigte Typen, die den Anschluss verloren hätten, weshalb die Geschichte über sie hinweggehen werde, wird durch die Lektüre seines Buches ad absurdum geführt.

Netzwerker, Hintermänner

Ginsburg zeigt uns nicht nur das Ausmaß des Frauenhasses in den oft klandestinen Männerbünden. Er zeigt uns auch das Ausmaß der Vernetzung, die diese Männer knüpfen, wenn sie ihre Herrschaftsallüren in Politik umsetzen. Die Vernetzung

Ginsburg konzentriert sich bei seinen Recherchen auf Männer in der rechtsradikalen Szene. Sehr unterschiedliche Männer. Verklemmte, Selbstbewusste, Macher, Agitatoren. Wir sind dabei, wie er sie kennenlernt und wie sie nach und nach oder auch recht schnell ihren Hass offenbaren oder ihn einzubinden versuchen. Es gibt eine wachsende Zahl von Männern, die ihre Probleme dadurch lösen wollen, dass sie sich zu Herrschern aufschwingen wollen, nachdem sie sich zuvor generell zu Opfern von Gleichberechtigung und Pluralismus stilisiert haben. Das genau beabsichtigen und praktizieren die Propagandisten der gewaltaffinen Männerherrschaft. Hier liegt ihre gesellschaftliche Gefahr, hier liegt ihr kollektives zerstörerisches Potenzial.

Dieses Gewaltkonzept wird nicht allein von sexuell frustrierten Einzelkämpfern umgesetzt. Für die Bundestagsfraktion der AfD sind zum Beispiel 36 Mitglieder stramm rechter Burschenschaften tätig, deren Männlichkeitswahn Programm ist, wie Ginsburg uns stellvertretend miterleben lässt, als er in einige dieser Burschenschaften eindringt und von ihrer Verachtung und ihrem Hass auf Frauen berichtet, in dem sie sich bei ihren Besäufnissen kollektiv suhlen.

Noch wesentlicher sind die internationalen Netzwerke, in denen sie sich alle wiederfinden: rechtsradikale Parteien Europas in der Opposition und an der Regierung, Institutionen der fundamentalistisch-katholischen und evangelikalen Kirchen und ihre Beauftragten, Männerbünde und -verbände.

Für sie sind die Haudrauf-Frauenhasser nur Instrumente, um ihre Macht zu festigen und auszuweiten. Trump ist dafür ein Beispiel, dessen Einpeitscher Steve Bannon mit seinem Online-Portal Breitbart die Organisierung und Radikalisierung

Auch die PiS-Partei in Polen weiß diese Leute, die sich um ihre Männlichkeit betrogen fühlen, für sich einzusetzen. Der Ausstieg aus dem Istanbul-Abkommen, einer völkerrechtlich bindenden Übereinkunft zum Schutz gegen Gewalt an Frauen, wird von der PiS vorbereitet; vom selbstherrlichen türkischen Autokraten und Frauenfeind Erdoğan und vom Männerbündler Orbán in Ungarn ist dieser Austritt bereits vollzogen worden.

Ginsburg hat sich in Polen als rechtsradikaler AfDler ausgegeben und wurde vom Netzwerk Ordo Iuris, dem «Institut für Rechtskultur», mit offenen Armen empfangen. Ein juristischer Thinkthank, ultrarechts, christlich-fundamentalistisch, dessen Leute bereits in den polnischen Ministerien, Gerichten und Kommunalverwaltungen sitzen. Für ihn arbeiten neben den festen Mitarbeitern Dutzende einflussreiche «Berater» und kooperierende Anwaltskanzleien. Ordo Iuris verfügt über beste Kontakte zu gleichgesinnten Institutionen in aller Welt. Der Präsident der Stiftung, die die «christlichen Werte verteidigen» will, zählt nach Ansicht des US-Magazins Politico zu den 30 Menschen in Europa, die die europäische Politik und ihre Regeln im Jahr 2021 prägen werden.

Ordo Iuris arbeitet erfolgreich an der europäischen und sogar weltweiten Vernetzung von Männerbündlern, zum Beispiel durch den WCF, den World Congress of Families, ein Projekt der religiösen Rechten aus den USA und aus Russland, das in den 1990er Jahren aufgebaut wurde. Jährlich stattfindende Großveranstaltungen in Mexico City, Sydney, Budapest oder Verona versammeln Tausende Antifeministen aus zahlreichen Ländern. Politiker und Regierungsmitglieder aus Frankreich, Ungarn, Russland, Kroatien, Uganda und Brasilien haben auf diesen Versammlungen gesprochen, der damalige italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini war Stargast in Verona.

Keine guten Nachrichten für Gleichberechtigung, Diversität und für Demokratie. Dank Tobias Ginsburg können wir die Gefahren erkennen, die von Frauenhassern und ihren Organisationen ausgehen. In einer Zeit, in der sich die Fronten in einer polarisierenden Gesellschaft ständig verhärten, wagt Tobias Ginsburg einen Höllengang in ein Finsterreich des Männlichkeitswahns und klärt auf: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!

Der dicke Junge hasst Frauen.

Vielleicht ist dick nicht das richtige Wort, er ist eher pummelig. Ein weiches Kind, noch keine zwanzig Jahre alt. Aufgeregt hält er sich am schweren Bierkrug fest, schaut mit unsicherem Blick durchs Brillenglas, dann verkündet er, dass er Frauen hasst. Anfangs glaube ich noch, der dicke Junge sei nur betrunken oder frustriert vom Dicke-Jungen-Dasein oder agitiert von dem ganzen langen Abend aus Geschrei und Grausamkeit. Aber je länger er spricht, desto klarer wird, dass er es auch wirklich so meint. Er hat sich Gedanken über das Thema gemacht, hat dazu Texte gelesen und Statistiken studiert, seinen Hass unterfüttert. Der dicke Junge hasst Frauen aus Überzeugung. Und der Kerl neben ihm, ein breiter Bursche mit vernarbtem Gesicht und akkurater Frisur, lacht lang und laut und schlägt dem Jungen mit der flachen Hand so fest auf den weichen Rücken, dass der fast vornüberfällt: «So sieht’s aus, Kamerad», dröhnt der Vernarbte, «du hast es begriffen!»

Die Tirade des Jungen war bei weitem nicht das Schlimmste, was ich an diesem Abend zu hören und zu sehen bekam. Aber das Bedrückendste. Es gab mir den Rest. Ich war in eine albtraumhafte Welt aus Hass und Alkohol geraten, und beides war ich in diesen rauen Mengen nicht gewohnt. Und vor allem hatte ich vorher nie diese Qualität von Hass erlebt. Sicher, man muss nicht in eine rechtsextreme Studentenverbindung gehen, um Rassismus und Frauenverachtung, Judenhass und Homophobie zu erfahren. Das findet man zur Genüge auch anderswo, das

Es war das erste Mal, dass ich mich bei Menschen einschlich, von denen man sich tunlichst fernhalten sollte. Mein erster Besuch bei wirklichen Faschisten, und schon begegneten mir ein entfesselter Männlichkeitswahn und Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit. Kein Wunder, denn diese Dinge gehören zusammen. Sie sind integrale Bestandteile rechtsextremer Ideologie, unauflösbar miteinander verknüpft. Aber das begriff ich erst sehr viel später. Und leider gibt es noch immer sehr viele Menschen, die es nicht begreifen.

«Silentium!»

Das Kommando wird in den lärmenden Saal geschleudert, ein Säbel schmettert krachend auf den Tisch. Auf den Schlag verstummen die vierzig oder fünfzig Männer (in meiner Erinnerung sind es mehr), und diese vielen hundert Mann stellen ihre tausend Bierkrüge ab und erheben sich. Sie haben Studentenmützen auf dem Kopf und Narben im Gesicht, tragen dunkle Anzüge und Couleur, die Bänder in Verbindungsfarben quer über die Brust: Weiß-Lindgrün-Rosenrot. Sie stehen stramm und schauen bedeutsam. Es ist der Oktober 2009, und in ihrer Prunkvilla im Münchner Nobelviertel Bogenhausen feiert die Burschenschaft Danubia ihre Semesterantrittskneipe. Es ist eine ernste Angelegenheit, ein altes Ritual von Gehorsam, Gebrüll und Alkoholismus.

Der «Chargierte», ein weichgesichtiger Lehramtsstudent mit Segelohren, leitet mit Befehlston und Säbelhieben durch den ersten, den offiziellen Teil des Abends. Wie albern waren er und die beiden anderen Vorsitzenden mir eben noch vorgekommen, verkleidet in ihren Vollwichs, dieser nostalgiedurchtränkten Aufmachung: goldverzierte Uniformröcke und Stulpenstiefel

Das ist eben traditionelle Männlichkeit: durstig, gierig, diszipliniert. Und hierarchisch strukturiert bis in die Sitzordnung! Auf der einen Seite die alten Herren, die ihre Studentenzeit schon hinter sich haben und ihren aktiven Brüdern das Leben in der Villa finanzieren. Auf der anderen Seite die Füchse, die Neuzugänge, die herumkommandiert werden, bevor sie endgültig in den lebenslangen Männerbund aufgenommen werden. Und ganz am äußeren Tischende, da kauern nervös die Anwärter, die Spefüchse. Rohes Männermaterial, das gründlich auf seine Tauglichkeit geprüft wird – politisch, menschlich, ethnisch. Heute sind zwei Kandidaten geladen: der dicke Junge, der Frauen hasst, und ich, Tobias Günzburg. Mir war am Telefon auf die Schnelle kein besserer Name eingefallen.

Im Grunde war ich bloß zufällig, während der Recherche zu einem Theaterstück, auf diese Burschen gestoßen – auf sie und auf ein ganzes Netzwerk rechtsextremer Burschenschaften,

«Wo kommt denn der interessante Nachname her? Woher die Familie? Aha, und die Großeltern? Und politisch?» Während der Pausen werde ich von den Burschen belagert und ausgehorcht, aber meine Antworten scheinen zu gefallen. Nur von den Fotografien an den holzvertäfelten Wänden blicken die Danuben vergangener Zeiten grimmig auf mich herab. Ganz so, als hätten sie mich durchschaut.

Und dann ist da der Bursche aus Aachen. Ein Gast aus einer befreundeten Verbindung, ein riesiger Kerl, in meiner Erinnerung zwei Meter oder noch größer, vielleicht sogar zweieinhalb – nein das kann nicht sein … Die Details verschwimmen nach all den Jahren, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Aber was er sagte, das habe ich noch immer ganz genau im Ohr: «Meine Herren, wir haben heute Abend einen Juden unter uns!»

Ich will an meiner Zigarette ziehen, aber kriege keine Luft. Das war’s, denk ich mir. Hier komm ich nicht mehr raus. Aus. Vorbei. Kaputtgehauen in einer Naziburschenschaft … Aber der Aachener Riese fletscht die Zähne zu einem breiten Grinsen und deutet auf den Chargierten: «Also, wenn das mal keine Judenohren sind, was?»

In meinem ganzen Leben habe ich nie wieder so sehr über einen Witz gelacht. Hoffentlich werde ich es auch nie mehr tun. Was für ein wunderbarer Witz! Judenohren! Ohren, so groß wie die von einem Juden! Spefuchs Günzburg ist entzückt – und

Irgendwann ist der offizielle Teil überstanden, nach anderthalb oder zwei oder zwanzig Stunden, was weiß ich. Und nun begann das ungezwungene Beisammensein, nun quoll die wahre Gesinnung aus der kostümierten Burschenherrlichkeit. Erst sind es vereinzelte Widerlichkeiten. Ätzende Kommentare und pointenlose Witze über Schwarze Bundesligaspieler und Homosexuelle und den Islam, bald wird über die Geburtenraten von Migrant*innen gefeixt, dann auch schon der Holocaust geleugnet. Man hat sich jede Zurückhaltung weggesoffen. Ein gedrungener Bursche setzt sich neben mich und erklärt mir, dass es da draußen doch ohnehin bergab ginge. «Diese ganze bundesrepublikanische Gesellschaft ist längst verweichlicht», tönt er und raunt vom Kreuzzug des Kulturmarxismus.

Dieser Begriff und sein Kreuzzug sind mir neu, aber der Gedrungene klärt mich gerne auf. Er berichtet mir von einem Komplott: «Im Grunde ist das der neue Kommunismus, aber auf Umwegen!» Die globale Linke wolle Nationen und Sitten auslöschen, die Werte von Familie und Männlichkeit. Und genau deswegen werde der Westen auch mit dieser ganzen linken Propaganda geflutet: Mit politischer Korrektheit und «Homolobby» und Feminismus. «In Wahrheit ist das alles nur Kulturmarxismus, ein Krieg gegen den Mann, die Familie, das Volk!» Auch daher sei die Burschenschaft, der wehrhafte Männerbund, eine der letzten Bastionen des Widerstands, erklärt er, und da wird auch schon das Gästebuch voll grotesker Judenkarikaturen herumgereicht, und irgendwer schreit irgendwas von Verschwulung. Es ist schwer erträglich, aber zum Glück ist da der dicke Junge.

Seine Anwesenheit beruhigt mich! Um uns herum werden Härte und Hass zelebriert – aber der Junge sitzt einfach nur

Aber dann wacht er auf.

Gerade hat irgendein Bursche angefangen, über «die Weiber» zu lallen, die es wagten, mit nicht-arischen Männern zu schlafen – «Diese Kanakenweibchen!» – und dieser selten ekelhafte Ausdruck ist das Stichwort für den Jungen. Er blinzelt ein paarmal, dann legt er los. Er verkündet seinen Hass. Erklärt, dass Frauen biologisch dazu prädestiniert wären, mit den stärksten Männern zu schlafen und deswegen auch prädestiniert, ihr Land zu verraten. Er spricht vom Ende der traditionellen Familie, unterteilt Männer in Alphas und Betas, benutzt Wörter wie Hypergamie und Staatsfeminismus … Und ich verstehe nicht. Nicht ihn und kaum ein Wort, das er sagt. Ich sehe nur diese unermessliche Wut in seinem Blick und höre das einvernehmliche Lachen eines Burschen, vieler Burschen, das Lachen der vielen hundert Männer mit den tausend zerschnittenen Gesichtern …

Torkelnd fliehe ich aus dieser holzvertäfelten Parallelgesellschaft. Ich kann nicht mehr. Was für ein Wahnsinn, was für ein hasserfüllter Dreck! Ich bin zittrig, und ich schäme mich. Wie kann man nur in diesem Land leben, ohne zu wissen, wie heftig es unter der Oberfläche brodelt?

Nein, kein Grund zu Panik, beruhigte ich mich: Ich war bei Faschisten gewesen, beim Bodensatz der rechtsextremen Studentenverbindungen! In einem Haus, in dem Fascho-Prominenz ein und aus ging. In dem 2001 ein junger Neonazi untertauchen konnte, nachdem er einen Griechen um ein Haar totgeprügelt hatte. In einem Haus, das 1938 von den Nazis arisiert wurde – geraubt von einer jüdischen Familie, die sich ein paar Jahre später das Leben nahm, um der Deportation zu entgehen. Sicher, in

Das dachte ich wirklich. Damit beruhigte ich mich und wankte durch die prachtvolle Münchner Villengegend. Damals. In einer Oktobernacht im Jahr 2009. Kurz bevor völkische Untergangsphantasien wieder Mainstream wurden, die extreme Rechte weltweit erstarkte und der militante Antifeminismus eine neue Qualität erreichte.

«Das Erstarken des Feminismus bedeutet das Ende der Nation und das Ende des Westens.»

Anders Bering Breivik, Mörder und Rechtsterrorist, 2011

 

 

«Die Männer des Westens müssen wieder Männer werden.»

Brenton Tarrant, Mörder und Rechtsterrorist, 2019

 

 

«Ich glaube, der Holocaust hat nie stattgefunden, der Feminismus ist an der sinkenden Geburtenrate im Westen schuld, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.»

Stephan Balliet. Mörder und Rechtsterrorist, 2019

Im Spätsommer 2019 begann ich meine Recherche. Ich kleidete mich neu ein, legte mir eine Auswahl an Webseiten und Profilen in allerhand sozialen Netzwerken zu und verpasste mir einen neuen Namen – diesmal einen deutlich besseren. Das nagelneue Diktiergerät steckte ich mir dezent in die Hosentasche. Dann machte ich mich auf. Weit über ein Jahr und eine Pandemie hinweg jagte ich politischem Antifeminismus und rechtem Männlichkeitswahn hinterher und ganz besonders jener unheimlichen Vorstellung, die ich in der albtraumfarbenen Nacht vor zehn Jahren das erste Mal zu hören bekam. Die Vorstellung, der westliche, der wahre Mann werde unterdrückt, verweiblicht, oder gleich komplett vernichtet. Wie fremd und fern, wie unsagbar krude und extrem war mir das damals vorgekommen!

Meine Recherche führte mich quer durch Deutschland und das Internet, in die USA und nach Polen. Ich traf auf Maskulisten und Frauenhasser, auf Online-Trolle und Offline-Schläger, auf Incels, Identitäre und Neonazis – und schließlich auf ein international agierendes Netzwerk antifeministischer Fundamentalisten. Ich wollte herausfinden, wo all der Hass und die Ängste herrühren, wollte selbst erleben, wie sie geschürt werden, wer von ihnen profitiert, wer von ihnen kaputtgemacht wird Und ich kam diesen Menschen nah. Manchmal ein wenig zu nah.

Dabei sind es sehr unterschiedliche Personen, von denen ich hier erzähle – und beileibe nicht alle sind rechts oder rechtsradikal. Antifeminismus ist eine gesamtgesellschaftliche Ideologie und Männlichkeitswahn nicht nur Mainstream, sondern, wie ich bald herausfinden sollte, eine ausgesprochene Industrie. Aber gerade deshalb sind diese Ideen so gefährlich. Die Wut auf Feminismus, sexuelle Minderheiten und «Genderideologie» ist nicht bloß ein Klebstoff, der die verschiedenen Milieus der radikalen Rechten zusammenhält – er macht die Szene auch anschlussfähig. Das antifeministische Klebstoffschnüffeln wird zur Einstiegsdroge für viele wütende Männer – und natürlich auch für einige wütende Frauen.

 

Im ersten Teil des Buches erzähle ich von meiner Reise zu den Bewohner*innen der Manosphere, der «Sphäre des Mannes». Hinter diesem merkwürdigen Begriff verbirgt sich zunächst ein

Diese Auflistung mag zunächst wahnsinnig heterogen klingen. Aber die ideologischen und personellen Überschneidungen und Verquickungen innerhalb der Manosphere sind immens, die Argumentationsmuster oft identisch. Und so führte mich der Besuch einer bürgerlichen Männerrechtsgruppe wütender und wirrer FDP-Mitglieder auf direktem Wege zur größten maskulistischen Veranstaltung Deutschlands. Und ich lernte Vertreter all dieser verschiedenen Bewegungen persönlich kennen und musste erleben, wie leicht sich die Maskulisten (die nebenbei die Bezeichnung «Maskulinisten» ablehnen) für rechte und rechtsradikale Ideen begeistern können.

Dass sich die Manosphere zusehends radikalisiert, ist kein Zufall. Es waren besonders die US-amerikanischen Rechtsextremen der Alt-Right, die Ideen und Sprache der gekränkten Männer instrumentalisierten. 2014 begannen sie mit einer großangelegten Kampagne, vornehmlich junge Männer aus dieser Welt zu rekrutieren. Also flog ich nach Boston und schleuste mich bei Alt-Right-Aktivist*innen ein, die dort unter dem

Aber auch die extreme Rechte in Deutschland hat das Thema für sich neu entdeckt. Im zweiten Teil des Buches beschreibe ich, wie gerade durch das Erstarken der sogenannten Neuen Rechten männerbündische Formationen ihr Comeback feierten. Burschen, Identitäre und Neonazis rekrutieren mit maskulistischer Sprache und dem Versprechen «wahrer Männlichkeit» ihren Nachwuchs. Monatelang durchstreifte ich ihr finsteres Netzwerk, kehrte widerwillig zurück in die Burschenschaftshäuser, besuchte rechtsextreme Konferenzen und Konzerte. Und bald schloss ich mich selbst einem rechten Männerbund an, zumindest ein bisschen: Über ein halbes Jahr begleitete ich eine Gruppe rechtsextremer Rapper (ja, wirklich), die mit Propaganda, hartem Bizeps und schlechter Musik die verweichlichte deutsche Jugend zu germanischen Kriegern stählen wollen. Mit Hass und Hypermaskulinität bereitet man sich auf den Tag X vor, auf die groß antizipierte Entscheidungsschlacht.

Der relative Erfolg der testosteronbesoffenen Rechtsradikalen kommt allerdings nicht von ungefähr. Denn musikalisch, ästhetisch wie inhaltlich konnten sich die Rassistenrapper bei ihren Vorbildern aus dem Mainstream bedienen. Ganz besonders bei Kollegah, dem extrem erfolgreichen Gangsta-Rapper, Männer-Coach, Muskelliebhaber, Sexisten, Antisemiten und Fitnessguru, der den soldatischen Männlichkeitswahn zu seiner Marke gemacht hat. Als sich mir also die Gelegenheit für ein persönliches Kennenlernen bot, konnte ich nicht anders – ich reiste dem muskelbepackten Popstar hinterher. Faschistische Männlichkeit ist kein Nischenprodukt.

Maskulisten, Trolle, Nazis und rechte Rapper, die zum Erhalt wahrer Männlichkeit mobil machen – ja, trotz allen Blutvergießens mag vieles zunächst skurril klingen. Aber der Krieg gegen Feminismus und «Genderismus» ist in vielen Ländern bereits Teil der Staatsräson. Auch in Polen, wo queere und

 

Selbst jetzt, nach dieser langen Zeit, die ich in diesen stockfinsteren Welten zugebracht habe, fühle ich mich manchmal noch wie in der Oktobernacht 2009. Ungläubig stand ich auf der Straße und wollte glauben, dass dieser Hass nichts mit unserer, nichts mit meiner Welt zu tun habe. Aber das stimmt nicht. Und der Hass rückt immer näher.

Von der Blase der Manosphere über die extreme Rechte bis in das Netz des religiösen Fundamentalismus: Die stockfinsteren Welten mögen vielfältig sein, aber ihre Narrative und Feindbilder haben sich angeglichen, einander beeinflusst und befeuert. Der Angriff auf Demokratie und offene Gesellschaften richtet sich nicht zufällig so oft zunächst gegen Feminismus, Frauen und sexuelle Minderheiten. Mit dieser Agitation lassen sich gekränkte Männer zu Kriegern formen. Diese Agitation kostet Menschenleben.

Nein, wir können, wir dürfen das alles nicht länger ignorieren, kleinreden oder belächeln.

 

Und hier gleich noch eine Trigger-Warnung hinterher: Ich benutze Begriffe wie Trigger-Warnung. Ich benutze auch inklusive und geschlechtergerechte Sprache. Na gut, zumindest gebe ich mir wirklich Mühe. Nach über einem Jahr in diesen testosteronverkleisterten Netzwerken bin ich mir ganz sicher, dass jeder Versuch, unsere Welt auch nur ein klein wenig besser zu gestalten, unendlich wichtig ist. Also hier die Warnung: Man kann sich gelegentlich den Kopf an einem Gendersternchen stoßen, und ab und an wird es mir auch nicht gelingen. Zum Beispiel, wenn ich von Männern und Frauen schreibe und damit – das ist dem düsteren Diskurs geschuldet, über den ich hier berichte – in der Regel nur cisgeschlechtliche Menschen meine.

An den beschriebenen Begebenheiten habe ich nur das abgeändert, was mir unbedingt notwendig erschien. So wurde mal ein dreistündiges Gespräch aus dramaturgischen Gründen zu drei Sätzen, mal aus drei Gesprächen eines. Generell habe ich die Namen aller Personen verändert, die selbst nicht in der Öffentlichkeit stehen oder sie aktiv suchen. Also habe ich biographische Details und einzelne Umstände verfremdet, um bestimmte Identitäten unkenntlich zu machen. Denn in diesem Buch geht es nicht nur um die einzelnen traurigen, skurrilen und gefährlichen Individuen, die einzelne traurige, skurrile oder gefährliche Sachen sagen. Es geht um Ideen, die um sich greifen. Und die sind überall. Sie sind anschlussfähig. Sie töten.

Die Krieger des Patriarchats rufen zur Schlacht.

Der Krieg des gekränkten Mannes

Frontberichte aus der Manosphere

Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, 1918