Karen Rose
Nie wirst du
entkommen /
Heiß glüht
mein Hass
Zwei Thriller in einem Band
Knaur e-books
Karen Rose studierte an der Universität von Maryland, Washington, D.C. Ihre hochspannenden Thriller sind preisgekrönte internationale Topseller, die in viele verschiedene Sprachen übersetzt worden sind. Auch in Deutschland feierte die Bestsellerautorin große Erfolge. »Todesstoß« stand auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Wenn Karen Rose nicht gerade Thriller schreibt oder auf Weltreise ist, lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Florida.
Mehr Infos über die Autorin und ihre Bücher finden Sie auf ihrer Website: www.karenrosebooks.com
Nie wirst du entkommen:
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel
»You Can’t Hide« bei Warner Books, Inc., New York.
Dieser Titel erschien bereits als Knaur eBook unter der Nummer 41394
Heiß glüht mein Hass:
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel
»Count To Ten« bei Warner Books, Inc., New York.
Copyright © 2006 by Cristy Carrington für das Gedicht »Us«.
Dieser Titel erschien bereits als Knaur eBook unter der Nummer 41395
eBook-Sonderausgabe 2014
Knaur eBook
Nie wirst du entkommen:
Copyright © 2006 by Karen Rose Hafer
Copyright © 2007 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch.
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.
Heiß glüht mein Hass:
Copyright © 2007 by Karen Rose Hafer
Copyright © 2008 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch.
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
This edition published by arrangement with Warner Books,
a division of Hachette Book Group USA Inc., New York, NY, USA.
All rights reserved.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück,
30827 Garbsen.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Antje Nissen
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic®, München
ISBN 978-3-426-42872-6
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Für Martin, der mich genau so liebt, wie ich bin,
und der mir immer dann M&Ms kauft,
wenn ich sie am nötigsten habe. Ich liebe dich.
Für meine Kinder, die Verständnis zeigen,
wenn ich mich zum Schreiben
in mein Arbeitszimmer einschließe,
und die selbst schon unglaubliche Geschichten erfinden.
Ich bin euch dankbar und sehr, sehr stolz auf euch beide.
Für Karen Koszolnyik und Karen Solem,
die immer noch all meine Träume wahrmachen,
obwohl ich dachte,
dass bereits alle wahrgemacht worden wären.
Chicago
Cynthia.«
Es war bloß ein Flüstern, unendlich leise, aber sie hörte es dennoch.
Nein. Cynthia Adams kniff die Augen zusammen und drückte ihren Hinterkopf ins Kissen, dessen Weichheit ihren erstarrten Körper zu verspotten schien. Ihre Finger gruben sich in das Laken und krallten sich so fest in den Stoff, dass es schmerzte. Nicht schon wieder. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, unkontrolliert und verzweifelt. »Geh weg«, flüsterte sie heiser. »Geh weg. Bitte lass mich in Frieden.«
Aber sie wusste, dass sie ins Leere sprach. Wenn sie die Augen öffnete, würde sie nur ins Dunkel ihres Schlafzimmers starren. Hier war niemand. Und dennoch quälte sie das furchtbare Flüstern bereits seit Wochen. Jede Nacht lag sie voller Furcht im Bett und wartete. Wartete auf die Stimme aus ihrem schlimmsten Alptraum. Manchmal hörte sie sie. Manchmal lag sie nur wach, steif wie ein Brett, und wartete. Es war der Wind. Und es waren Schatten. Es war gar nichts.
Aber es war real. Sie wusste es.
»Cynthia? Hilf mir doch!« Die Stimme eines kleinen Mädchens, das mitten in der Nacht Trost brauchte. Ein verängstigtes kleines Mädchen. Ein totes kleines Mädchen.
Sie ist tot. Ich weiß, dass sie tot ist. Jeden Sonntag legte sie Lilien auf Melanies Grab. Melanie war tot.
Aber sie war trotzdem hier. Und sie will mich zu sich holen. Blind griff sie nach der Flasche auf ihrem Nachttisch und schluckte zwei Tabletten. Geh weg. Bitte geh doch weg.
»Cynthia?« Es war echt. So echt. Bitte, lieber Gott, hilf mir. Ich verliere den Verstand. »Warum hast du das getan?« Das Flüstern verebbte, kehrte dann jedoch lauter zurück. »Ich muss es wissen. Warum?«
Warum? Sie wusste nicht, warum. Verdammt, sie wusste doch nicht, warum. Sie drehte sich auf die Seite, vergrub ihr Gesicht im Kissen und machte sich so klein wie möglich. Hielt den Atem an. Wartete.
Es war still. Melanie war fort. Cynthia holte vorsichtig Atem und fuhr entsetzt hoch, als der Duft in ihre Nase drang. Lilien! »Nein.« Hastig floh sie aus dem Bett und wich zurück, ohne den Blick von dem Kissen nehmen zu können, unter dem die Spitze einer einzelnen Lilie zu sehen war.
»Du hättest dort sein müssen, Cynthia.« Das Flüstern war nun scharf, verbittert. »Ich hätte Lilien auf dein Grab legen müssen.«
Cynthia sog bebend die Luft ein. Sie zwang sich zu wiederholen, was die Psychiaterin ihr zu sagen geraten hatte. »Das ist nicht echt. Das ist nicht echt.«
»Es ist echt, Cynthia. Ich bin echt.« Melanie war nicht länger ein Kind, ihre Stimme klang wie die einer verärgerten Erwachsenen. Cynthia schauderte. Melanie hatte ein Recht darauf, wütend zu sein. Ich bin ein Feigling gewesen. »Du bist einmal weggelaufen, Cyn. Du hast dich versteckt. Dieses Mal kannst du dich nicht mehr verstecken. Du wirst mich nie wieder im Stich lassen!«
Cynthia wich langsam zurück, bis sie an ihre Zimmertür stieß. Sie schloss die Augen, während sie hinter sich nach dem kalten, tröstenden Griff tastete. »Du bist nicht echt. Du bist nicht echt.«
»Du hättest an meiner Stelle sein sollen. Warum hast du mich verlassen? Wieso hast du mich bei ihm gelassen? Wie konntest du das nur tun? Du hast gesagt, du liebst mich. Aber du hast mich im Stich gelassen. Mit ihm. Du hast mich nie geliebt.« Ein Schluchzen brach durch Melanies Stimme, und in Cynthias Augen brannten Tränen.
»Das ist nicht wahr. Ich habe dich geliebt«, flüsterte sie verzweifelt. »So sehr.«
»Du hast mich nie geliebt.« Melanie war wieder das Kind. Das unschuldige Kind. »Er hat mir wehgetan, Cyn. Und du hast es zugelassen. Du hast zugelassen, dass er mir wehgetan hat … immer wieder. Wieso?«
Cynthia riss die Tür auf und taumelte rückwärts in den Flur, wo eine einzelne Lampe brannte. Sie erstarrte. Noch mehr Lilien. Überall. Sie wandte sich langsam um und starrte fassungslos auf die Blumen. Sie verspotteten sie. Verspotteten ihren Verstand.
»Komm zu mir, Cyn.« Melanies Stimme klang lockend. »Komm. Es ist gar nicht so schlecht hier. Wir können zusammen sein. Du kannst für mich sorgen. Wie du es versprochen hast.«
»Nein.« Sie presste sich die Hände auf die Ohren und rannte zur Tür. »Nein!«
»Du kannst dich nicht verstecken, Cyn. Komm zu mir. Du willst es doch.« Sie klang jetzt so lieb, so süß. Melanie war so süß gewesen. Damals. Nun war sie tot. Und ich bin schuld.
Cynthia riss die Wohnungstür auf. Und unterdrückte einen Schrei. Dann bückte sie sich langsam und hob das Bild auf, das auf der Fußmatte lag. Entsetzt starrte sie auf die leblose Gestalt, die an einem Seil baumelte, und die Erinnerungen an den Tag, an dem sie sie gefunden hatte, stürmten in ihr Bewusstsein. Melanie hatte am Seil gebaumelt, sich sachte bewegt …
»Du hast mich dazu getrieben«, sagte Melanie, die Stimme nun kalt wie Eis. »Du verdienst dein Leben nicht.«
Die Hände, die das Foto hielten, zitterten heftig. »Das ist wahr«, flüsterte sie.
»Dann komm zu mir, Cyn. Bitte komm.«
Cynthia wich wieder zurück, hinein in die Wohnung, ihre Hand tastete nach dem Telefon. »Ruf Dr. Chick an. Los«, murmelte sie. Sie wird mir sagen, dass ich nicht wahnsinnig geworden bin. Aber in diesem Moment klingelte das Telefon, und sie zuckte erschreckt zurück. Starrte auf den Hörer, als sei er ein lebendes Wesen. Als könne er im nächsten Moment zischeln und zubeißen. Aber der Apparat klingelte nur.
»Geh ran, Cynthia«, sagte Melanie ruhig. »Mach schon.«
Mit bebenden Händen griff Cynthia nach dem Telefon. »H-hallo?«
»Cynthia? Hier ist Dr. Ciccotelli.«
Die Erleichterung war so groß, dass Cynthia die Knie nachgaben. Diese feste, vertraute, lebendige Stimme. Cynthia schluchzte auf. »Ich höre sie, Dr. Chick. Melanie. Sie ist hier. Ich höre sie.«
»Natürlich hören Sie sie. Sie ruft Sie zu sich. Und genau das ist es, was Sie verdienen. Gehen Sie zu ihr. Machen Sie dem ein Ende. Jetzt gleich.«
»Aber …« Tränen rannen Cynthia über die Wangen.
»Aber …«
»Tun Sie es, Cynthia. Sie ist tot, und das haben Sie zu verantworten. Gehen Sie zu ihr. Tun Sie, was Sie schon vor Jahren hätten tun müssen. Kümmern Sie sich um sie.«
»Komm zu mir«, befahl Melanie, ihre Stimme nun wieder die einer Erwachsenen. »Komm.«
Cynthia ließ den Hörer fallen und wich zurück. Ich bin so müde. So furchtbar müde. »Lass mich schlafen«, flüsterte sie. »Ich möchte nur schlafen.«
»Komm zu mir«, sagte Melanie ebenso leise. »Dann lass ich dich schlafen.«
Das hatte Melanie ihr schon so oft versprochen. In so vielen Nächten. Cynthia wandte sich um und blickte zum Fenster. Hinter der Scheibe lag das Dunkel der Nacht. Und was noch? Schlaf. Frieden.
Frieden.
Das Wohnzimmer war leer. Cynthia Adams war nicht länger in Reichweite der Kamera. Der Bildschirm des Laptops zeigte die panische Frau nicht mehr. Sie würde es tun. Die Spannung stieg. Nach vier Wochen würde Cynthia Adams es nun endlich tun. Nach vier Wochen intensiver »Pflege« stand sie nun am Rand des Wahnsinns. Nur noch ein kleiner Schubs, und sie würde in den Abgrund stürzen. Und das hoffentlich buchstäblich.
»Sie ist am Fenster.« Die Frau auf dem Beifahrersitz war bleich. Ihre Stimme zitterte, als sie das Mikrofon behutsam in den Schoß legte. »Ich kann das nicht mehr.«
»Du machst das, solange ich es dir sage.«
Sie zog den Kopf ein. »Sie will springen. Bitte, ich muss ihr sagen, dass sie das nicht darf.«
Nicht darf?Das Mädchen war so irre wie Cynthia Adams. »Sag ihr, dass sie kommen soll.« Sie rührte sich nicht. Die Wut kochte augenblicklich hoch. »Sag es ihr, oder dein Bruder stirbt. Du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht bluffe. Sag ihr, sie soll kommen, du würdest sie brauchen, sie schulde es dir. Sag ihr, dass alles gut wird, wenn ihr zusammen seid. Mach schon. Und tu es mit Gefühl.« Aber sie regte sich immer noch nicht. »Mach schon!«
Endlich nahm sie das Mikrofon. »Cyn«, flüsterte sie. »Ich brauche dich. Ich habe Angst.« Und das war die Wahrheit. Nichts steigerte die Dramatik effektiver als die Wirklichkeit. »Bitte, komm.« Ihre Stimme brach. »Dann wird alles wieder gut. Bitte.« Ihr Flüstern wurde flehend.
Der Blick auf Adams’ Fenster vom Fahrersitz aus war großartig. Die Schiebetür glitt langsam zur Seite, und Cynthia Adams erschien. Ihr Nachthemd wehte im kalten Märzwind.
Sie würde eine attraktive Leiche abgeben. Ganz Gloria Swanson. Boulevard der Dämmerung … ein toller Film. Heutzutage brachte Hollywood so etwas nicht mehr zustande. Ja, damit würde sich dieses Ereignis wunderbar feiern lassen: Popcorn und ein alter Film. Nur gäbe es nichts zu feiern, wenn Cynthia Adams nur auf dem Balkon herumstand. Spring schon, du dumme Kuh.
»Sag ihr, dass sie kommen soll. Sie soll springen. Gib alles, Herzchen.«
Sie schluckte bei diesem sarkastischen Kosenamen, gehorchte aber. »Cynthia, nur noch einen Schritt. Einen kleinen Schritt. Ich warte auf dich.«
»Jetzt wie ein Kind. Wie ein kleines Mädchen.«
»Bitte, Cynthia. Ich habe solche Angst.« Das Mädchen konnte wirklich gut mit der Stimme umgehen. Es konnte problemlos von einer Erwachsenen zu einem Kind, von der toten Melanie zu der Psychiaterin Ciccotelli überwechseln. »Bitte komm.« Sie holte tief Luft und stieß sie bebend wieder aus. »Ich brauche dich.«
Und dann war es geschafft. Das Mädchen stieß einen entsetzten Schrei aus, als Adams fiel. Zweiundzwanzig Stockwerke. Sogar im Auto hörten sie den Aufschlag des Körpers. Tja, vielleicht war sie als Leiche doch nicht mehr so attraktiv. Aber Schönheit lag im Auge des Betrachters, und Adams’ Anblick, wie sie mit zerschmetterten Gliedern halb auf dem Gehweg lag, war … atemberaubend. Das Mädchen auf dem Beifahrersitz schluchzte hysterisch.
»Reiß dich zusammen. Du musst noch einen Anruf erledigen.«
»O Gott, o Gott!« Sie wandte sich vom Beifahrerfenster ab, als der Wagen an Adams’ Leiche vorbeifuhr. »Ich kann nicht glauben, dass … Gott, mir wird schlecht.«
»Aber nicht in meinem Auto! Nimm das Telefon. Los!«
Schaudernd griff sie nach dem Telefon. »Ich … ich kann nicht.«
»O doch. Drück auf die Kurzwahl eins. Das ist die Privatnummer von Ciccotelli. Wenn sie drangeht, sagst du ihr, dass du eine besorgte Nachbarin von Cynthia Adams bist. Sie würde auf der Brüstung stehen und springen wollen.«
Sie wählte und wartete. »Es geht keiner ran. Sie schläft bestimmt.«
»Dann ruf noch einmal an. Lass es klingeln, bis die Prinzessin drangeht. Und mach den Lautsprecher an. Ich will das hören.«
Beim dritten Versuch war es so weit. »Hallo?«
Sie hatte tatsächlich geschlafen. Am Samstagabend allein zu Hause. Es war sehr befriedigend zu wissen, dass selbst Ciccotellis Privatleben eine bekannte und kontrollierbare Größe war. Ein Stoß veranlasste das Mädchen, ihren Text aufzusagen. »Dr. Ciccotelli? Dr. Tess Ciccotelli?«
»Ja. Wer ist da?«
»Eine … eine Nachbarin von einer Ihrer Patientinnen. Cynthia Adams. Da stimmt etwas nicht. Sie steht am Balkongeländer. Sie sagt, sie will springen.« Mit geschlossenen Augen beendete das Mädchen den Anruf und ließ das Handy in den Schoß fallen. »Mir reicht’s.«
»Für heute Abend schon.«
»Aber …« Sie fuhr herum, den Mund geöffnet. »Aber Sie haben doch gesagt …«
»Dass dein Bruder am Leben bleibt, wenn du mir hilfst. Und ich brauche deine Hilfe noch länger. Übe weiter an Ciccotellis Stimme. Du musst sie in ein paar Tagen noch einmal spielen. Für heute Abend sind wir fertig. Ein Wort darüber, und dein Bruder stirbt.«
Ciccotelli war im Anmarsch. Mögen die Spiele beginnen.