Die Wedding-Planerin
Um es vorwegzunehmen: Es ist meine letzte Hochzeit – meine allerletzte. Auf allen folgenden Feiern werde ich nur noch Gast sein, essen, feiern und Spaß haben. Ich werde keine Kleider aussuchen, keine aufgeregten Mütter mit Aufgaben betrauen, damit sie sich einbezogen fühlen, und keine Spiele mehr abblocken. Und auf gar keinen Fall werde ich noch eine einzige Hochzeitstorte backen.
Begonnen hat alles vor fünf Jahren: Ein befreundetes Paar bat mich, ihre Brautführerin1 zu werden. Ihre Ansage klang locker: «Nichts Schlimmes, wir erwarten gar nichts von dir, keine Spiele oder Überraschungen, nur ein bisschen Hilfe.» Alles klar, das sollte zu schaffen sein. Nach der Hochzeit kannte ich jeden Brautmodenladen zwischen Elbe und Weser samt Kollektionen aus Paris, London und Mailand, war zur Diplomatin ausgebildet und hätte mit meiner selbstgebackenen Hochzeitstorte glatt die Meisterprüfung als Konditorin ablegen können: ein Traum in unschuldigem Weiß, gefüllt mit fettiger Buttercreme in drei Geschmacksrichtungen – für jede Etage eine andere –, garniert mit gezuckerten Rosen. Seither bin ich für meine Freunde das, was Frank für Sarah und Marc in Love war: Wedding-Planer. Nur weniger medienwirksam. Selbst wenn ich keine offizielle Funktion habe, dekoriere ich plötzlich die Kirche, organisiere den Transport der Gäste vom Saal zum Hotel und plane Überraschungen.
Niemand außer dem Brautpaar selbst und vielleicht einigen sehr guten Freunden können diesen wichtigen Tag vorbereiten und mit Leben füllen. Daher ist es mir bisher auch schwergefallen, ein echtes Nein zu finden – die Arbeit hat durchaus ihren Reiz und macht sehr viel Spaß. Und daher sage ich noch ein einziges Mal ja. Zu meiner besten Freundin Lena. Ja, ich werde deine Trauzeugin. Ja, ich werde dir neun Monate während der Vorbereitungen zur Seite stehen und dich auf den Weg zum Traualtar begleiten.
Und zu allen anderen sage ich laut und deutlich: Nein, ich werde nie wieder Trauzeugin oder Brautführerin sein, fragt jemand anderen. Danke.
Stimmung: überrascht
Sound: Kneipe
Thema des Tages: Ja-Sagen
Lena hat mir gerade erzählt, dass sie heiraten wird. Das ist keine echte Überraschung. Sie und Karl sind immerhin seit zehn Jahren zusammen. Dennoch war der Moment ergreifend. Sie erzählte von ihrem Urlaub und dem dort gemeinsam gefassten Beschluss, sich das Jawort zu geben. Ich kann es trotzdem kaum fassen, dass sie es nun tun und sich im wahrsten Sinn des Wortes trauen werden. In meiner Aufregung brabbele ich vor mich hin und merke kaum, dass Lena etwas sagen will. Ich halte mal lieber meine Klappe, das hier ist ihr Film, nicht meiner.
«Na ja, ich wollte dich fragen», setzt sie an und fährt fort «also nur, wenn das geht … vorausgesetzt, du hast wirklich Lust dazu», tiefes Einatmen, «wirst du meine Trauzeugin?»
Ich pruste den gerade genommenen Schluck Bier über den Tisch und muss husten. Gedanken rasen durch meinen Kopf, während ich versuche, eine passende Antwort zu formulieren. Lena, meine beste Freundin, nur 27 Tage jünger als ich und immer an meiner Seite, wird heiraten, und ich soll ihre Ehe bezeugen.
Lena sitzt vor mir und sieht mich erwartungsvoll an. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht loszuheulen. Noch steht sie nicht vor dem Traualtar, und ich kann schließlich nicht ab jetzt bei jeder Gelegenheit weinen, wenn es um das Thema geht. Nach einem weiteren Schluck Bier kann ich ihr die einzig richtige Antwort geben: «Ja, Lena, natürlich werde ich deine Trauzeugin.» Darauf stoßen wir an und trinken auf eine tolle Zeit.
Diese Frage überwältigt mich jedes Mal wieder. Alle Bedenken und alle Coolness in Bezug aufs Heiraten verschwinden. Ich gebe es ja zu: Es rührt mich und schmeichelt mir. Den schönsten Tag im Leben zweier mir lieben Menschen so nah mitzuerleben und mitgestalten zu dürfen, ist eine Ehre und ein Vertrauensbeweis. Ich werde immer ganz aufgeregt, und in meinem Kopf sammeln sich die ersten Ideen und Bilder. Lena und Karl im Standesamt, dann vor dem Altar, sich die Ringe überstreifend, dann küssen sie sich und … STOPP! Erst anhören, was die Braut dazu zu sagen hat, bevor man die eigenen Träume und Vorstellungen, die Hollywood-Phantasien aus den vielen Filmen, anderen überstreift – das habe ich in den letzten vier Jahren gelernt.
Die Braut bleibt sich in diesem Fall selbst treu, freut sich, dass ich zugesagt habe, und meint, dass das Thema damit auch erst einmal genug besprochen sei. Sehr zu meinem Leidwesen. Zu gern würde ich jetzt ein bisschen rumspinnen, wo und wie man die Feier machen kann, hören, was Lena sich wünscht und was Karl sich vorstellt. Allerdings halte ich die Füße still, denn ich kenne sie lange genug, um zu wissen, dass sie wirklich keine Lust dazu hat, das Thema zu diesem Zeitpunkt zu vertiefen.
Lena und ich kennen uns schon immer. Aufgewachsen sind wir in einem kleinen Dorf, unsere Elternhäuser sind keine zehn Schritte voneinander entfernt. Wir haben uns jeden Tag gesehen, zusammen gespielt und alle wichtigen Dinge im Leben gemeinsam erlebt: Kindergarten, Grundschule, dann das Abi, das wir sogar mit dem gleichen Notendurchschnitt bestanden haben. Danach ist Lena durch die Welt gebummelt, während ich in Deutschland blieb. Eine ungewohnt lange und weite Entfernung.
In dieser Phase ihres Lebens hat sie sich in Karl verliebt. Er ging mit uns zur Schule und war in meinen Augen ein sonderbarer Kerl. Keiner von den ganz Coolen und keiner von den streberhaften Außenseitern, aber mit seinem Faible für Filme und Technik eher das, was man heute als Nerd bezeichnet. Die beiden waren schon eine ganze Weile miteinander befreundet, verliebt haben sie sich aber erst, als sie sich auf Lenas Trip durch die Welt zufällig in Venedig trafen, wo Karl gerade einen Sprachkurs machte. Wie im Film liefen sie sich auf dem Markusplatz über den Weg, tranken ob des ungewöhnlichen Wiedersehens einen Kaffee zusammen und redeten die kommenden Stunden ununterbrochen miteinander. Irgendwann war den beiden dann klar, dass sie damit nie wieder aufhören wollten, und sie kehrten als Paar nach Deutschland zurück. Kurz danach zogen Lena und ich zusammen nach Hamburg
Wir kennen jede Macke, jeden Spleen der anderen: Ich weiß zum Beispiel, dass sie sich oft für andere Menschen schämt. Schnell sind ihr Dinge, die andere Leute sagen oder tun, peinlich. Und das passiert ziemlich oft. Lena wird schon rot, wenn in der U-Bahn jemand zu laut spricht. Außerdem hat sie ein echtes Zeitproblem. Es ist eine Mischung aus Vergesslichkeit (Wir waren heute verabredet?) und Lethargie (In zwei Wochen? Können wir da nochmal drüber sprechen? Ich kann das jetzt nicht planen). Zum Glück weiß ich aber auch, dass man auf sie zählen kann, wenn man sie braucht, dass sie immer ein offenes Ohr hat und im Zweifel auch einen Schlafplatz auf unbegrenzte Zeit zur Verfügung stellt.
Unsere Freundschaft war nie eine, wie man sie in vielen Frauenromanen beschrieben findet: Weder sind wir als Teenager händchenhaltend durch die Stadt gelaufen, noch haben wir uns Männer geteilt; und wenn wir ein Wochenende zusammen wegfahren, machen wir keine Wellness-Anwendungen, sondern laufen drei Stunden am Strand spazieren, schlagen uns die Bäuche mit gutem Essen voll und gucken amerikanische Arzt-Serien, bis wir viereckige Augen haben.
Uns eint die gemeinsame Kindheit, eine ähnliche Erziehung mit bodenständigen Werten. Wir sind Kinder vom Land, die in der Stadt gelandet sind. Wir mögen es immer noch, uns die Hände beim Bepflanzen unserer Balkone dreckig zu machen, bei einem Umzug richtig anzupacken und den Kuchen selbst zu backen.
Es gilt also, eine authentische Hochzeit auszurichten. Eine, bei der gelacht und getanzt, gegessen und getrunken wird. Eine, von der das Brautpaar noch seinen Enkeln erzählen wird.
Stimmung: suchend
Sound: «Everybody’s Changing» von Keane
Thema des Tages: Ist Trauzeugin ein Schicksal?
Ich befinde mich gerade in einer für meine Person extrem misslichen Lage: Vor einer Woche hat Lena mich gefragt, ob ich ihre Trauzeugin sein möchte; ich habe zugesagt, und nun darf ich weder der ganzen Welt davon erzählen, noch kann ich jetzt – ein Dreivierteljahr vor der Hochzeit – etwas organisieren. Lena und Karl haben bisher weder Familie noch Freunde über ihre Hochzeitspläne informiert, und natürlich darf ich das nicht vor ihnen tun. Aber ich würde so gern nur ein ganz kleines bisschen drüber reden. Also rein theoretisch und auch ganz, ganz leise und mit jemand anderem als Lena. Doch die Gute hat mir einen Maulkorb verpasst, bis die beiden mit ihren Eltern gesprochen haben. Im Gegensatz zu anderen Bräuten brennt sie zwar nicht darauf, die frohe Kunde selbst in die Welt zu tragen. Dennoch würde sie gern vermeiden, dass ihre Eltern und zukünftigen Schwiegereltern die Nachricht über den Dorffunk zugetragen bekommen. Das kann ich verstehen und halte daher still.
Also bleibt für mein Redebedürfnis derzeit nur einer: mein Freund Andreas. Dem habe ich direkt nach dem Treffen mit Lena, nachts um halb eins und mitten in der Woche, eine SMS geschrieben: «Andreas, tolle Neuigkeiten – bleib wach, bin gleich da.» Kaum zu Hause angekommen, sprudelten die Informationen nur so aus mir raus – in der Hektik schaffte ich es nicht ganz, alles in der richtigen Reihenfolge von meinem Hirn über meinen Mund zu meinem verdatterten Freund zu transportieren.
«Mai … Lena … weiß noch keiner … was ich wohl anziehen soll … und ob wir ein Dings für sie finden? … zu Hause … auf jeden Fall hier.» Andreas guckte wie ein Auto und verstand offenbar nur Bahnhof.
«Liebste, jetzt mal der Reihe nach – wer, was, wann, wie, wo und warum?»
Oh, immer diese Journalisten!
«Ich will dir kein Interview geben, ich will dir erzählen, dass Lena heiratet. Und ich Trauzeugin werde und ganz aufgeregt bin, und ich eine tolle Hochzeit organisieren muss. Wo bekomme ich denn hier in Hamburg einen guten Floristen her? Die Torte muss ich nicht backen, aber gut aussehen, und wir wollen die Party ihres Lebens feiern», brachte ich meinen Freund auf den aktuellen Stand der Dinge.
Und wie reagierte der? «Schön», und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Schön? Schön ist die kleine Schwester von «Lass mich in Ruhe». Kann ja wohl nicht wahr sein! Mit der Fernbedienung bewaffnet, drohte ich ihm: «Andreas, stell sofort Fragen!» Seufzend wandte er sich mir zu – er kennt das schon: Wenn ich Mitteilungsdrang habe, lasse ich ihn sowieso nicht in Ruhe, bis alle Gedanken gedacht und alle Worte verbraucht sind. «O. k., schieß los.»
Aufgeregt begann ich, ihm den Abend und unser Gespräch detailliert wiederzugeben. Dass er morgen nicht mehr ein Wort davon wissen würde, war mir egal – hier ging es um meine Nachtruhe. Ich kann erst schlafen, wenn ich alles einmal laut ausgesprochen habe.
Etwa eine Stunde lang redete und plante ich so vor mich hin. Andreas riet mir davon ab, jetzt sofort mitten in der Nacht eine Google-Recherche über die aktuelle Brautmode zu starten. Auch nicht, um mich nur ganz kurz auf den aktuellen Stand zu bringen (immerhin ist mein Stand der Dinge bereits ein Jahr alt – in der Zeit wird viel Neues entworfen und produziert). Auch wollte er mich nicht zur Nachttankstelle einen Stadtteil weiter begleiten, um mal kurz nachzusehen, ob die Hochzeits-Hochglanzmagazine verkaufen. Meine Idee, gleich morgen mal einen Termin zum Probefrisieren bei dem tollen neuen Friseur zu vereinbaren, empfand er darüber hinaus als verfrüht. Überhaupt hatte er trotz einiger Hochzeitserfahrungen an meiner Seite noch nicht ganz verstanden, warum es notwendig sein sollte, sich fast ein Jahr vor dem Termin mit der Sache zu beschäftigen. Geduldig setzte ich ihm auseinander, dass Entscheidungen – vor allem so lebenswichtige, wie die rund ums Heiraten – Zeit zum Reifen brauchen, dass zudem Gastronome und Brautmodenverkäuferinnen einen nur milde belächeln, wenn man später als sieben Monate vor dem Termin ihre Dienste anfragt.
Schließlich und endlich konnte auch ich nicht mehr. Am nächsten Tag musste ich immerhin arbeiten. Ich träumte wirres Zeug und wachte am nächsten Morgen mit dem Gedanken auf, dass etwas Schönes auf uns zukam. Beim Frühstück fragte mich Andreas, warum eigentlich immer ich diejenige sein müsse, die Hochzeiten organisiert. In diesem Fall würde er die Nähe zu Lena durchaus verstehen und die Entscheidung unterstützen, aber er würde außer mir niemanden kennen, der jedes Jahr so viele Feiern auf dem Zettel hätte.
Diese Ansage brachte mich ins Grübeln: Was ist es, das mich immer wieder ein Amt übernehmen lässt? Die Frage schleppte ich ein paar Tage mit mir herum. Wenn man den psychologischen Wissenschaften glauben kann, werden bereits im frühen Kindesalter die Weichen für unser Verhalten als Erwachsene gestellt. Diese Annahme könnte erklären, warum ich immer wieder mit Freude Ämter für Hochzeiten annehme. Lange war es in meinem Unterbewusstsein verschüttet, doch spülte der folgende trübe Sonntagnachmittag die Erinnerungen an die Oberfläche zurück und öffnete mir die Augen.
Draußen regnete es, und Andreas hatte sich hinter seinem neuerworbenen Rechner verschanzt, sodass ich beschloss, mein Gerümpelregal endlich mal aufzuräumen. Während der Regen unsere Fenster putzte, machte ich mich ans Werk. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis mir ein blaues, mit Bärchenmotiven verziertes Kunstlederalbum in die Hände fiel. Da ich nicht aufräumen kann, ohne Schätze zu sichten, ließ ich mich auf dem Dielenboden nieder und begann zu blättern. Meine Eltern haben in diesem Buch die Entwicklung meiner ersten Lebensjahre bildlich festgehalten. Neben den üblichen Babyfotos, der ersten Haarsträhne und der Geburtsanzeige ist vor allem mein Kindergartenaufenthalt dort dokumentiert. Ein Bild stach mir ins Auge. Jauchzend sprang ich auf und hielt Andreas meine Kindheit unter die Nase: «Guck mal», versuchte ich seine Aufmerksamkeit zu erregen, «ich war schon mal verheiratet.»
Andreas brummte und warf einen kurzen Blick auf das Bild. «Die Braut da bist aber nicht du», stellte er fest und widmete sich wieder der Installation seines Mailprogramms.
«Hä? Woher willst du denn wissen, wie ich als Kind aussah?», gab ich beleidigt zurück.
«Das weiß ich in der Tat nicht sicher», gab er zu. «Aber das Kind, das die Braut ist, hat Locken. Die hast du nie gehabt, soweit ich weiß», argumentierte er mich ins Aus.
Ich sah mir das Foto näher an. Es stimmte – das Kind auf dem Foto war gelockt, während meine Haare schon immer ganz glatt waren. Aber es sah mir sonst zum Verwechseln ähnlich – immerhin bin ich noch nicht so verwirrt, dass ich mich selbst nicht erkennen würde. Es half nichts, ich musste das klären, sonst könnte ich nicht weiter aufräumen. Ein Anruf bei meiner Mutter, der ich Bild, Aufnahmedatum (toll, bei Abzügen wurde damals immer ein Aufkleber mit der Jahreszahl draufgeklebt, viel netter als ein Dateiname) und noch etwa ein Dutzend weitere Details erklärte, brachte Licht ins Dunkel. Bei dem Mädchen handelte es sich offenbar um meine damals aktuelle Freundin (warum erinnere ich mich nicht an sie?), die im Kindergarten den, eigentlich von mir begehrten, Sebastian heiraten durfte. Ich stand – verdeckt durch das traute Paar – im Hintergrund. Und ja, bei Licht und mit der Leselupe meiner Oma betrachtet, konnte ich mich erkennen. Mir hing eine rosa Stola um den Hals.
Nach und nach kehrte die Erinnerung an diesen Tag zurück: Im Kindergarten gab es eine geheimnisvolle Kiste, die nur die Erzieherinnen öffnen durften. In ihr lagerten die Kostüme für eine perfekte Kinderhochzeit: ein kleiner schwarzer Anzug für einen Jungen, jede Menge Schals und Boas für die Mädchen und das absolute Highlight, ein Brautkleid, gefertigt aus weißer Spitze, wie wir glaubten. Eigentlich handelte es sich dabei um eine alte Gardine, die eine freundliche Mutter irgendwann vom Vor- zum Umhang genäht hatte, doch das tat der Faszination keinerlei Abbruch. Täglich belagerten wir unsere Erzieherinnen, doch bitte, bitte endlich Hochzeit mit uns zu feiern. Aber das Procedere war schwierig – es musste sich erst ein Paar finden, das zu heiraten bereit war. Das waren die Mädchen nur zu sehr, allerdings weigerten sich – wie so oft im Leben – die Jungen.
Jungen, die Mädchenspiele wie Heiraten mitmachten, gehörten eher zu den Weicheiern und wurden sehr schnell zu Außenseitern, das wollte natürlich niemand riskieren. Zudem folgten die Damen, denen unsere Aufsicht oblag, ästhetischen Gesichtspunkten – das Paar sollte hübsch zusammen aussehen und sich nicht die Augen auskratzen. Einfacher gesagt als getan, zu einer Zeit, in der die Mädchen in der Regel größer sind als die gleichaltrigen Jungen und Jungs nicht mit Mädchen spielen können, weil sie die Welt entdecken müssen.
Wir wären keine richtigen Mädchen gewesen, wenn wir nicht eine Lösung parat gehabt hätten: Heiraten wir einfach unter uns Mädels. Wen wir ehelichen könnten, war uns egal, wir wollten uns verkleiden und erwachsene Dinge nachspielen. Ein Vorschlag, mit dem das Personal der evangelischen Einrichtung nicht so richtig konform ging – gleichgeschlechtliche Beziehungen hatten zu Beginn der achtziger Jahre keinen Stellenwert in der Kirche. Also wurde der kleinste und schwächste Junge als Bräutigam rekrutiert, der von mir, laut Aussagen meiner Mutter, sehr verehrte Sebastian (auch hier leide ich an Amnesie – in den soll ich verliebt gewesen sein?). Ich weiß nicht, wie die Erzieherinnen ihn bestachen, aber offenbar wurde er reich entlohnt, denn immerhin lacht er auf dem Bild über das ganze Gesicht.
Ich erinnere mich dunkel an die Schmach, dass ich natürlich die Braut sein wollte, mir dieser Wunsch aber aus ästhetischen Gründen verwehrt wurde. Bereits im Kindergarten war ich sehr viel größer als der Rest der Kinder – das hätte nicht gut ausgesehen, so die Meinung der Erzieherinnen. Da meine damalige Freundin selbstverständlich auch auf die Pole-Position scharf war, tat sie alles, um durchstarten zu können, und bezirzte die Erzieherinnen mit Hilfe von Engelslocken und Hundeblick (mich würde interessieren, ob sie das auch für das spätere Leben gelernt hat). Offenbar war ich so verärgert, dass eine der Damen auf die glorreiche Idee kam, mich zur Trauzeugin zu machen, damit ich endlich aufhörte zu brüllen. So bekam ich einfach das zweitschönste Kostüm, durfte mit einem Blumenkranz auf den Haaren hinter dem Paar herlaufen und den Kassettenrekorder bedienen.
Ich verstehe dennoch nicht, warum meine Freunde immer wieder mich fragen. Ganz ehrlich: Ich würde mich selbst nicht zu meiner Trauzeugin oder Brautführerin machen, denn ich bin die am wenigsten geeignete Person, die man sich für so ein Vorhaben aussuchen kann.
Und das hat drei Gründe:
Erstens bin ich selbst glücklich und ziemlich überzeugt nicht verheiratet und binde das auch ungefragt jedem auf die Nase.
Zweitens finde ich heiratende Menschen in dem Jahr der Vorbereitungen unerträglich: Die einen nerven ihre Umwelt mit Seligkeit und können gar nicht aufhören, jedes Detail mit jedem Menschen inklusive der Supermarktkassiererin zu besprechen. Die anderen streiten ständig und gehen ihren Freunden mit einem dauernden Hin und Her auf den Keks: Ja, wir heiraten, er soll aber einen Smoking tragen und will das nicht, sie will so kitschigen Tischschmuck, ach, und die Einladungen bekommen wir nie fertig etc. Ich schaffe es leider nie, die Streitereien unkommentiert zu lassen oder nette Worte zu finden. Als Brautpaar würde es mich nerven, wenn meine Trauzeugin mir dauernd erzählen würde, wie ätzend ich gerade bin. Das will man doch nicht hören.
Drittens finde ich Hochzeiten meistens langweilig und peinlich. Wenn man das Paar nur so am Rande kennt, langweilt man sich zwischen Familie und unbekannten Freunden bei, im besten Fall, gutem Essen. Wenn man das Paar kennt, muss man in 90 Prozent aller Fälle vor Fremdscham sterben, weil man plötzlich Dinge auch an langjährigen Freunden entdeckt, die man lieber als weißen Fleck auf der Landkarte der Freundschaft erhalten hätte: ihre Begeisterung für Baiser-Brautkleider oder seine selbstgetextete Liebeslyrik etwa. Leute, macht das zu Hause unter vier Augen aus!
Jede verheiratete oder bald heiratende Frau wird mir das im besten Fall als Neid und im schlechtesten als Bitterkeit auslegen, weil, so der häufig gezogene küchenpsychologische Rückschluss, mich noch niemand gefragt hat. Falsch. Zu meinem 21. Geburtstag hat Malte einen Ring unter meinem Frühstücksei versteckt und mich gefragt, ob ich seine Frau werden will. Das wollte ich. Etwa zwei Jahre lang waren wir verlobt, dann habe ich ihn verlassen.
Dieses Erlebnis hat mich aber nicht so traumatisiert, dass ich Heiraten überflüssig, die Ehe überholt und weiße Kleider grauenvoll finde. Im Gegenteil – es gibt wenige Dinge im Leben, die wichtiger und mutiger, romantischer und gefühlvoller sind als zwei Menschen, die sich entschließen, ihr Leben miteinander zu verbringen. Eigentlich bin also auch ich nicht nur durch und durch ein Mädchen, sondern finde das Heiraten und vor allem die Ehe sinnvoll und gut, und das, obwohl ich eben gerade gesagt habe, dass ich überzeugt nicht verheiratet bin. Immer und immer wieder muss ich bei der Hochzeitsszene in Tatsächlich Liebe weinen, und natürlich will auch ich einmal im Leben die schönste Frau des Abends sein, ein tolles Kleid tragen und wundervolle Reden über mein zauberhaftes Wesen und meinen gottgleichen Mann hören.
Mir geht lediglich zu viel eigene Lebenszeit auf der Hochzeit anderer Menschen, die ich nur flüchtig kenne, drauf. Heiraten ist eine sehr private und intime Angelegenheit, die viel Fingerspitzengefühl und Diplomatie erfordert. Das Paar soll im Mittelpunkt stehen. Es geht nicht um die Gästeliste und welche Erwartungen das Paar meint erfüllen zu müssen, nicht um den persönlichen Tränenrekord, die meisten Spiele oder Gäste. Es geht darum, einen authentischen und persönlichen Weg zu einem «Ja» vor dem Standesbeamten und/oder Traualtar zu finden, sich dabei wohlzufühlen und dies auszustrahlen.
Stimmung: so trüb wie das Wetter
Sound: das Rauschen des Regens
Thema des Tages: Der richtige Antrag
Es regnet mal wieder beziehungsweise immer noch – was für ein Sommer! Ich habe mich aufs Sofa zurückgezogen und gucke Fernsehen. Unterirdisches Angebot, das die Sender mir da machen.
Der Reflex meines Hirns steuert meinen Finger an der Fernbedienung, und plötzlich geht es nicht mehr weiter. Der Grund: Auf dem Bildschirm vor mir macht ein Kerl seiner Freundin gleich einen Heiratsantrag. Da der Beitrag so plump aufgemacht ist, kann man das schon sehen, bevor es so weit ist. Einen richtigen, aber peinlichen Antrag – doch bin ich offenbar bereits so auf Hochzeit programmiert, dass ich nicht wegschalten kann. Also ergebe ich mich in mein Schicksal und gucke mir an, wie die zukünftige Braut mit ihrer Freundin durch einen Freizeitpark läuft, nichtsahnend, so wird es dem Zuschauer suggeriert. Aber wie hat das Kamerateam dann diese Nahaufnahmen gedreht und wie ist das Interview entstanden, das sie gibt? Nun steigt sie ins Riesenrad und fährt los. Als sie oben ist, bleibt das Karussell stehen, das Licht geht an, die Dämmerung setzt genau zum richtigen Zeitpunkt ein (wo ist ihre Freundin geblieben?). Sie guckt passend verblüfft – fragt sich halblaut, ob es wohl ein technisches Problem gibt und sie den Zwischenfall lebend überstehen wird. Schließlich taucht über ihrem Kopf ein ganzer Strauß roter Herzluftballons auf, sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht, ist überrascht. In der Nachbargondel taucht der aufgeregte Jüngling auf: Mit zittriger Stimme trägt er einen selbstgereimten Vers vor, in dem er seine ewige Liebe und Treue verspricht, kurz anreißt, dass sie bereits «durch dick und dünn» gegangen seien. Weitere Herzen steigen über den beiden auf, und endlich fragt er: «Willst du mich heiraten?» Sie antwortet mit Tränen in den Augen: «Ja!» Applaus aller Zuschauer auf dem Boden, das Riesenrad dreht sich wieder und lädt die beiden zwecks medienwirksamer Umarmung auf dem Boden ab, Schnitt – Werbung – Ende.
Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel und wundere mich über mich selbst: Das war die so ziemlich kitschigste Art und Weise, um die Hand seiner Liebsten anzuhalten. Normalerweise hätte mich das eher ein müdes Lächeln und einen bösen Spruch denn eine Träne gekostet. Ich scheine aber derzeit etwas näher am Wasser gebaut zu sein. Das, was ich jetzt brauche, ist ein ordentliches Abendessen.
Während ich Nudeln koche und das Glas Pesto öffne, Parmesan reibe und mir einen kühlen Weißwein einschenke, denke ich über Heiratsanträge nach. In meinem Freundeskreis ist der klassische Heiratsantrag etwas aus der Mode gekommen. Keine meiner Freundinnen kann von einem vor ihr knienden Mann mit roten Rosen und einem Brillanten, so groß wie ein Hühnerei, berichten. Klar kenne ich die Geschichten von Freunden, deren Freunde vom Antrag an die Schwester des Cousins erzählen. Da gibt es eine, die unter einem Vorwand an die Landungsbrücken gelockt wurde, eine Barkasse erblickte und ihren Lieblingssong hörte. Und er trat im Anzug vor sie, reichte ihr die Hand, sie schipperten auf der Elbe entlang, aßen Köstlichkeiten, tanzten zu dem selbstgesampelten Soundtrack ihrer Beziehung, bis er schließlich auf die Knie sank und um ihre Hand anhielt. Das sind Geschichten, die mir eine Gänsehaut über den Körper schicken und die Tränen in die Augen treiben – schade nur, dass um mich herum der moderne Heiratsbeschluss Einzug gehalten hat. So wie auch Karl und Lena einfach, aber demokratisch beschlossen haben zu heiraten. Die beiden stellten schlicht fest, dass sie genug Leben miteinander geteilt haben, um sich festzulegen, und der Trauschein für sie beide dazugehören soll.
Das ausschlaggebende Argument für eine große und klassische Hochzeit führte dann Karl ins Feld: Der sonst eher zurückhaltende und nicht eben als Partyhengst bekannte Mann verkündete, dass er das Fest seines Lebens feiern wolle, eins, auf dem alle Gäste sich wohlfühlen würden und wo es richtig gutes Essen geben und getanzt werden sollte bis morgens um fünf. Ich glaube, dass diese Ansage Lena mehr überrascht hat als die Tatsache, dass sie heiraten würden.
Ich bedauerte den fehlenden Antrag, doch Lena winkte ab. Ihr war dieses Detail komplett unwichtig. Wir diskutierten eine Weile darüber. Ich bin ganz klar für einen Antrag – den natürlich der Mann macht. Ja, ich will gefragt werden. Von diesen Heiratsbeschlüssen in beiderseitigem Einvernehmen halte ich gar nichts. Er soll eine gute Idee haben – irgendetwas Romantisches, das einen Kniefall, Blumen und einen Ring beinhaltet und auf keinen Fall von Kai Pflaume arrangiert wurde. Lenas Verständnis für meine Vorstellungen hält sich in Grenzen. Ihr Argument: Warum sollte der Mann den Antrag machen, wenn auch genauso gut die Frau das machen kann? Meiner Meinung nach gehört es sich so – der Mann muss zum Ausdruck bringen, dass er die Frau haben will. Lena zuckte zusammen und schimpfte mit mir, sie meint, dass man das Argument auch genauso gut umdrehen könne. Vielleicht hat sie sogar recht.
Ohne Antrag sind auch meine Freunde Ralf und Susanne ausgekommen. Abends auf dem Balkon bei Wein und der ersten Grillwurst des Jahres beschlossen sie zu heiraten. Auch sie waren bereits lange zusammen, seit sechs Jahren verlobt, und auch ihnen erschien es logisch, dass sie nun heiraten würden. Also legten sie einen Termin fest, und es ging los. Keine Spur von Knien, Kitsch und Klunkern.
Romantischer hielten es nur Andrea und Michael. Beide sind bekannt für ihren Hang zum Kitsch – aber eben auch zur Romantik, die man sonst nur aus Filmen kennt. Sie kannten sich bereits einige Jahre, bevor sie sich ineinander verliebten, den ersten Kuss tauschten sie beim gemeinsamen DVD-Abend – Frühstück bei Tiffany ist seither ihre Passion. In ihrer Wohnung trifft man Audrey Hepburn sogar auf dem Klo, in Form eines Aufklebers auf dem Toilettendeckel. Ihr Traum war es, nach New York zu fahren und auf den Spuren des Films die Stadt zu entdecken. Zu Weihnachten vor ein paar Jahren flogen sie schließlich in die Metropole und kamen grinsend und mit Ringen an den Fingern zurück. Michael hatte um Andreas Hand angehalten. Bei einem Abendessen in einem wirklich teuren Restaurant fädelte er seine Überraschung ein: Plötzlich erklang im Hintergrund leise «Moon River» – der Titelsong ihres geliebten Films –, die anwesenden Gäste verstummten, ein Kellner brachte ein eindeutig als Schmuckbehältnis auszumachendes Kästchen an den Tisch, Michael sank auf die Knie und stellte die Frage aller Fragen – auf Deutsch und Englisch, schließlich sollten auch die Amerikaner verstehen, was gerade vor sich ging (als ob das nicht allzu offensichtlich gewesen wäre). Sie sagte ja, die anwesenden Gäste klatschten gerührt Beifall, der Kellner brachte Champagner auf Kosten des Hauses. Habe ich schon den hochkarätigen Stein im Ring erwähnt? Kurzum: Laut ihrer Erzählungen schien es perfekt gewesen zu sein – kein Regisseur hätte diesen Antrag besser inszenieren können.
In der Generation meiner Eltern war der Heiratsantrag eine klare Sache: Er fragt ihre Eltern um Erlaubnis, dann fragt er sie, und sie hat mit Ja zu antworten. Ziemlich geregelt. Bis auf die Tatsache, dass ich mir meinen Vater nur sehr schwer als knapp 20-Jährigen bei meinem Großvater zur Audienz vorstellen kann. Aber meine Eltern beteuern bis heute, dass es sich gehörte, den Brautvater zu fragen und sie sich an diese Regel gehalten haben. So war der Antrag für meine Mutter auch eine große Sache – das hatte der Mann zu machen und damit zu vermitteln: Ich will dich so sehr, dass ich für dich kämpfe, ich akzeptiere deine Familie, indem ich deinen Vater um deine Hand bitte, und ich bin bereit, für dich vor dir auf die Knie zu fallen und dich zu lieben und zu ehren. Entsprechend zuckt heute ihre linke Augenbraue empört in die Höhe, wenn sie von Heiratsbeschlüssen hört oder – in ihrem Universum noch viel unvorstellbarer – einem Antrag, den die Frau macht. Das kam auch schon vor – allerdings hat der männliche Teil des Paares diesen etwa dreimal vereitelt, indem er jede Gelegenheit, die sie ergreifen wollte, ihn zu fragen, torpedierte: In den Urlaub lud er Freunde ein; das von ihr anberaumte Abendessen in romantischer Atmosphäre fand durch seinen Genuss nicht mehr ganz frischer Meeresfrüchte und einer direkt einsetzenden Lebensmittelvergiftung inklusive aller bekannten Symptome ein jähes Ende; einen Wochenendtrip der beiden musste er vorzeitig abbrechen, weil er seinen Dienstplan falsch gelesen hatte und seine Kollegen ihn zurückbeorderten. Auf der Heimfahrt war sie auffallend wortkarg. Er hakte nach, was denn eigentlich los sei, und sie antwortete: «Ich bin enttäuscht, eigentlich wollte ich dich schon mehrmals fragen, ob du mich heiraten willst.» Überrascht, wie er war, steuerte er das Auto fast in den Straßengraben – nur ihr beherztes Eingreifen ins Lenkrad verhinderte ein jähes und tragisches Ende der Geschichte. Auf einem Rastplatz in der Nähe fielen die beiden sich schließlich in die Arme und traten ein halbes Jahr später vor den Altar.
Offenbar reicht es in modernen Beziehungen zu wissen, dass man niemand anderen möchte, und man kann in beiderseitigem Einvernehmen beschließen zu heiraten. Vielleicht ist die Vorstellung meiner Eltern aber auch die richtigere – immerhin sind sie seit 35 Jahren zusammen. Im Gegensatz dazu wird heute jede dritte Ehe geschieden. Vielleicht weiß meine Mutter in auch noch so schwierigen Situationen, dass mein Vater für sie kämpfen wird, während meine Generation sich dieses Versprechen jeden Tag neu abringen muss? Vielleicht will man zwar heiraten, aber den Antrag auslassen, weil er so mit Erwartungen überfrachtet ist, dass man es sowieso nicht richtig machen kann? Vielleicht aber wollen Frauen heute auch gar nicht mehr erobert und hinter ihrem Rücken gefragt werden, sondern mitbestimmen und beschließen.
Mir schwirrt der Kopf, und beim Blick auf den Fernseher stelle ich fest, dass ein Programm doch Mitleid mit mir hat – der Tatort beginnt: Auf einer Hochzeitsfeier wird ein Gast ermordet.
Stimmung: nachdenklich
Sound: «Still wird das Echo sein» von Element of Crime
Thema des Tages: Sein lassen
Es gibt, trotz meiner Überzeugung, dass man zu einem hochzeitlichen Amt kaum nein sagen kann, durchaus die ein oder andere Hochzeit, die ich hätte sein lassen sollen. Mit gerade mal 20 Jahren wurde ich das erste richtige Mal Brautführerin. Der Bruder meines damaligen Freundes wollte heiraten. Das Problem: Seine zukünftige Frau bestand darauf, dass es sich bei den Brautführern um «echte Paare», also Menschen, die auch wirklich zusammen waren, handeln sollte. Davon gab es in ihrem Umfeld wenige. Also wurden Malte und ich rekrutiert. Mit uns sollte die Cousine der Braut samt Freund den Abend vorbereiten.
Was folgte, war ein Desaster. Weder war ich alt genug, um ein echtes Interesse an den Vorbereitungen zu haben, noch kannte ich unsere Mitstreiter oder die zukünftige Braut genug, um gute Arbeit zu leisten. Zudem hatten Malte und ich gerade beide angefangen zu studieren und andere Dinge im Kopf, als eine Hochzeit vorzubereiten. Auch der Freundeskreis des Hochzeitspaares war keine große Hilfe: Es handelte sich eher um einzelne Bekanntschaften, die sich untereinander nicht besonders gut leiden konnten. Während wir uns wochenlang den Kopf darüber zerbrachen, wie wir eine schöne Feier gestalten könnten, trennte sich das andere Brautführer-Paar drei Wochen vor dem Fest. Die beiden sprachen nicht mehr miteinander, gemeinsame Vorbereitungen waren so gut wie unmöglich. Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass sie den Abend ohne größere Peinlichkeiten gemeinsam hinter sich brachten und die Brautleute erst eine Woche später über die Trennung informiert wurden. Gelernt habe ich dort die wichtigste Lektion: Nur bei Paaren, die ich richtig gut kenne, kann ich auch eine richtig gute Vorbereitung machen.
Problematisch wird es immer dann, wenn man von guten Freunden um die Übernahme eines Amts gebeten wird, sich damit aber von Anfang an unwohl fühlt. Die Hochzeit meines ehemals besten Freundes Jan ist so ein Fall. Jan und ich kennen uns seit dem Kindergarten, er war immer ein aufgeschlossener, leicht verrückter und äußer- wie auch innerlich attraktiver Kerl. Bis er seine heutige Frau traf. Die Dame seines Herzens hat aus ihm zunächst äußerlich einen Spießer mit beigen Bermudas und Socken in Sandalen gemacht und ihn mittlerweile seiner bis dato bemerkenswerten empathischen Fähigkeiten beraubt. Habe ich ihm früher mein Herz ausgeschüttet und mir mit ihm seitenlange Briefe geschrieben, so sprechen wir heute, wenn wir uns zweimal im Jahr sehen, über den Wärmetauscher seiner neu angeschafften Heizung oder die Vorzüge eines Reihenendhauses im Vergleich zu einem Fertighaus mit eigenem Grundstück. Na ja, eigentlich spricht er, und ich wundere mich, was der Typ mit meinem besten Freund angestellt hat. Wo versteckt sich Jan?
Ich weiß, man kann nur sehr bedingt etwas zur Partnerwahl seiner Freunde sagen. Das ist schon schwierig, wenn zwei Menschen einfach zusammen sind. Wenn ein solches Paar aber verkündet, heiraten zu wollen, und somit die eigenen Hoffnungen auf ein Ende der absurden Beziehung zunichtegemacht werden, sollte man seine Reaktionen im Griff haben. Ich verstehe allerdings bis heute nicht, wie die beiden darauf kamen, mich zu ihrer Brautführerin zu machen. Man, nein, ich kann kaum nein zu so einem Amt sagen – außer man will sich auf einen Schlag all seiner Freunde entledigen, die Feier verderben oder plant seine eigene Auswanderung. In diesem Fall hatte ich die Frage kommen sehen und mich lange damit beschäftigt, wie ich ein Nein diplomatisch verpacken könnte. «Jan, du heiratest die Falsche, und ich werde das nicht auch noch unterstützten», schien sogar mir eine eher undiplomatische Antwort zu sein. Ebenso fielen «Ich habe schon etwas anderes vor», «Ich habe keine Lust» oder «spontane Sturzblutungen» aus. Rettung aus dem Dilemma kam von meiner überaus feinfühligen und mich sehr gut kennenden Mutter. Mit dieser hatte ich die Situation bereits mehrfach besprochen. Als ich eines schönen Abends einen Termin mit dem angehenden Hochzeitspaar nach mehreren Verschiebungen tatsächlich wahrnahm, stand ich kurz vorher verzweifelt in ihrer Küche. Meine Mutter nahm mich in den Arm und meinte: «Mädchen, du kennst Jan so lange, und ihr habt so viel zusammen erlebt. Nun heiratet er in deinen Augen vielleicht die falsche Frau, und ihr habt euch entfremdet – aber dennoch verbindet euch sehr viel. Sei für ihn da, wenn er dich braucht – und jetzt braucht er dich. Sag auf die Frage heute Abend ‹Ja›, zieh es durch, und dann kannst du dir das die kommenden Jahre ansehen. Wahre Freunde überstehen auch eine Durststrecke.»
Ich wurde also doch Jans Brautführerin und die Hochzeit … ganz nett. Gut, einige Dinge gingen gar nicht klar, wie zum Beispiel die Freundinnen der Braut, die etwas zu betrunken mit Sonnenbrillen auf den roten Schnapsnasen andauernd im Kreis zu dem Song «Ein Stern» tanzten. Zu allem Übel hatte Jan sich außerdem vorgenommen, auf seiner eigenen Feier nüchtern zu bleiben, und fand weder die richtigen Worte noch wirklich ins Feiern hinein. Und dann versäumte es das Paar, sich bei seinen Helfern zu bedanken. Erst anderthalb Jahre später flatterte eine allgemeine Danksagung in die Briefkästen der Gäste und Helfer. Die Durststrecke unserer Freundschaft hält an.