Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

Der volle Wortlaut ist im dokumentarischen Anhang dieses Buches wiedergegeben

Shawcross mochte in gutem Glauben gesprochen haben, denn die britisch-französischen Invasionspläne wurden erst durch ein Weißbuch der britischen Regierung im Jahre 1952 bekannt.

Foto: Bundesarchiv

1   Die Bank der Angeklagten in Nürnberg.

Vordere Reihe von links: Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk und Hjalmar Schacht

Dieses Buch erfüllt eine doppelte Aufgabe.

Es unterrichtet zum einen über den folgenschwersten Abschnitt der neueren deutschen Geschichte, den Nationalsozialismus. Das geschieht auf eine einzigartige Weise: im Berichtrahmen des Prozesses, der die zwölf Jahre »Drittes Reich« gerichtlich abschloss. Was sonst Jahrzehnte, zuweilen erst Jahrhunderte nachher die Geschichtswissenschaft zu leisten hat, ist hier in gewaltiger Szene mit einem ungeheuren Apparat als selbst politischer Akt von weltgeschichtlicher Tragweite sofort erfolgt: Dokumentation der Taten und Beurteilung der Akteure. Eine Million Personen haben die alliierten Mächte, die Hitler und seine Organisationen in einer Gewaltauseinandersetzung ohnegleichen besiegten, aufgrund der Fahndungslisten, die für die Stunde der Kapitulation zusammengestellt waren, gesucht, 21 von ihnen saßen schließlich als die Hauptbeschuldigten, nachdem einige sich dem Prozess durch Selbsthinrichtung hatten entziehen können oder sonst wie nicht mehr zur Verfügung standen, vor den internationalen Richtern.

Man erfährt im ausführlichen und doch zusammengefassten Bericht vom Wesentlichen das Wesentlichste: die Vorgeschichte, die fürchterlichen Abläufe, das Ende. Ich kenne kein Werk, das den jüngeren Deutschen, die lediglich durch den Zusammenhang der nationalen Geschichte beteiligt sind, es aber nicht unmittelbar sein konnten, weder als Opfer noch als Täter, kein Werk, das geeignet wäre, jenes Stück unserer Zeitgeschichte, die nun über dreißig Jahre hinter uns liegt und doch natürlich noch weiterwirkt, lebendiger und eindringlicher zugleich zur Kenntnis und zu Bewusstsein zu bringen. Die Distanz, die die Jüngeren zum Geschehen von damals haben, erlaubt es ihnen, seine Abenteuerlichkeit und in vielem Absonderlichkeit als das politische und moralische Lehrstück aufzunehmen, zu dem es jetzt ja geworden ist. An ihm sieht man, was sonst unglaublich erscheinen müsste: wohin wir geraten können, wenn wir auf die Anfänge nicht achten.

Eine doppelte Aufgabe, sagte ich. Die zweite, die das Buch erfüllt, ist der Beitrag, den es zu der Erkenntnis leistet, dass der

Der historisch gewordene Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg hatte zunächst den Zweck, die Hauptschuldigen einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Aber der Sinn und die Ausstrahlungen des Prozesses und der darauf folgenden zwölf Nachfolgeprozesse waren viel weitgehender.

Das düstere Panorama des Dritten Reiches wurde durch Tausende amtliche deutsche Dokumente enthüllt: Die Befehle zum Überfall auf fremde Nationen, zur Ermordung Kriegsgefangener, abgesprungener Flieger, Juden, katholischer Priester, slawischer »Untermenschen«, »nutzloser Esser«, »Minderrassiger« und der wirklichen und angeblichen Gegner des NS-Regimes konnten Deutschland und der Welt präsentiert werden. Das vorliegende Werk gibt dafür zahlreiche Beispiele. Mit diesen Befehlen und Anordnungen, teilweise auch ihren eigenen Tagebüchern – wie zum Beispiel das des Polengouverneurs Hans Frank – hatten sich die Angeklagten ihre eigene Anklage geschrieben.

Die Durchführung des Prozesses zeigte gleichzeitig der Weltöffentlichkeit, wer außer Hitler, Goebbels, Himmler und anderen, die bei Eintritt der Katastrophe Selbstmord begingen, die Hauptschuldigen waren. 199 Angeklagte, von denen 38 in Nürnberg freigesprochen worden waren, hatten in dreizehn Prozessen die Anklagebank gedrückt – der beste Beweis dafür, dass die Alliierten in Nürnberg nicht von einer Kollektivschuld des deutschen Volkes ausgingen. Durch die Bestrafung dieser Angeklagten wurde gleichzeitig den neuen deutschen Parteiführern und Politikern der Rücken von Elementen freigemacht, die sich trotz verbrecherischer Betätigung während des Naziregimes wieder in das politische Leben hineinzuschleichen versucht hatten.

 

Über diese Erkenntnisse hinaus ist »Nürnberg« auch zu einem Meilenstein auf dem dornigen Wege des Völkerrechts und ein Menetekel für Staatsmänner und Politiker der ganzen Welt geworden. Die Konventionen über die Menschenrechte sowie gegen den Völkermord sind ein beredtes Beispiel für die Ausstrahlungen von

Das vorliegende Werk, sachlich und objektiv geschrieben, ist gerade im Hinblick auf die heutige Bedeutung des Hauptkriegsverbrecherprozesses für Politik und Völkerrecht wichtig und lehrreich, besonders auch für die Generation, die das Dritte Reich und die Zeit der Nürnberger Prozesse nicht selbst erlebt hat. Sie kann sich nachträglich – und das ist wichtig – durch die Schilderung der beiden Verfasser ein Bild der damaligen Vorgänge machen.

 

Die Nürnberger Prinzipien sollten, wie das der amerikanische Hauptankläger Robert H. Jackson und sein Nachfolger General Telford Taylor im Gerichtssaal hervorgehoben haben, für alle Kriegsverbrecher gelten, nicht etwa nur für Deutschland. Gewiss sind seit dem Ende der Nürnberger Prozesse andere Kriegsverbrechen begangen worden; wenn auch niemals in solchem Umfange und so geplant und dokumentiert wie die des Dritten Reiches. So tritt die Frage auf, ob das Völkerstrafrecht einen wirklichen Wert hat – ebenso wie das gewöhnliche Strafrecht, das auch nur eine beschränkte Zahl von Verbrechern fassen kann. In Nürnberg hat General Telford Taylor (im Fall 6) dazu Folgendes ausgeführt:

»So traurig und entmutigend die heutigen Zustände auch sein mögen, so beweisen sie doch nicht die Schwäche des Rechts, sondern die Mängel seiner Durchführung. Das ist nichts Neues in der Rechtsgeschichte. Der Landfriede war niemals leicht herzustellen. Durch Jahrhunderte hindurch haben die Raubritter in ihren Schlössern den reisenden Kaufleuten aufgelauert, um sie zu berauben und zu ermorden, spielten mit dem Leben und dem Glück

Dieses vorliegende lehrreiche Buch über den weltgeschichtlichen Nürnberger Prozess sollte in weiter Verbreitung dazu beitragen, dass die Idee der internationalen Strafverfolgung durch die Schaffung eines Internationalen Straftribunals und einer internationalen Polizeiexekutive gefördert wird. Die Verletzung der Menschenrechte muss ebenfalls stärker als bisher international bekämpft werden. In der Zeit der Satelliten, der internationalen Kommunikation, des internationalen Handels ist das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten fremder Staaten längst veraltet. Die Schaffung einer energischen internationalen Exekutive zum Schutz der Menschenrechte ist dringend geboten.

 

Dr. Robert M.W. Kempner

fr. Mitglied des Anklagestabes des US-Hauptanklägers Robert H. Jackson

»Wir möchten klarstellen, dass wir nicht beabsichtigen, das deutsche Volk zu beschuldigen. Wenn die breite Masse des deutschen Volkes das nationalsozialistische Parteiprogramm willig angenommen hätte, wäre die SA nicht nötig gewesen, und man hätte auch keine Konzentrationslager und keine Gestapo gebraucht.«

Diese Worte sprach der amerikanische Hauptankläger Robert H. Jackson bei der Eröffnung des Prozesses vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg 1945. Die Verfasser folgen ihm in diesem Punkt. Das vorliegende Buch ist ein Versuch, das Material des Nürnberger Prozesses im Querschnitt und in verständlicher Form einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allein das wörtliche Protokoll des Gerichtsverfahrens umfasst 42 Bände; dazu kommen Zehntausende von Manuskript- und Druckseiten weiterer Berichte, die während der Verhandlung noch nicht geschrieben oder noch nicht greifbar waren, die aber heute berücksichtigt werden mussten, wenn eine objektive Darstellung der Vorgänge entworfen werden sollte. Schließlich waren die Verfasser bemüht, auch die damalige Zeit und die allgemeinen Zusammenhänge dem Leser lebendig zu machen – besonders für die jüngere Generation, die keine eigene Kenntnis mehr damit verbindet – sowie die Vorgeschichte des Prozesses aufzurollen, die in Deutschland so gut wie unbekannt war.

Die Verfasser glauben, mit dem vorliegenden Werk eine beträchtliche Lücke zu schließen, da hier der Versuch unternommen wird, das Prozessgeschehen selbst anhand der Dokumente, Zeugenaussagen, Protokolle und der geschichtlichen Chronologie in seiner ganzen Vielschichtigkeit darzubieten. Dass dies bisher von anderer Seite nicht geschehen ist, mag tiefer liegende Gründe haben: Der Nürnberger Prozess dräut im Bewusstsein oder Unterbewusstsein des deutschen Volkes vielfach noch als eine unklare, nebelhafte, auf jeden Fall aber unbehagliche Vorstellung. Statt klärend zu wirken, ist er zusammen mit der unliebsamen Vergangenheit verdrängt worden. Dazu haben die äußeren Umstände gewiss viel beigetragen: Zur Zeit des Prozesses bestand in Deutschland eine erhebliche Papierknappheit; die Zeitungen konnten

Der Wert des Nürnberger Prozesses bestand nicht zuletzt darin, dass er in einer Zeit mäßigend wirkte, als der Rachegedanke bei den Siegern noch stark vorherrschte. Wer kann es auch den alliierten Soldaten und Reportern, die bei der Befreiung von Auschwitz oder Mauthausen unfassbare Gräuel gesehen hatten, verdenken, dass sie ihrem ohnmächtigen Zorn Luft zu machen versuchten. Der Nürnberger Prozess beschwichtigte diese antideutsche Stimmung; er war eben nicht, wie mancher Autor der letzten Zeit ebenso publikumswirksam wie mühsam zu beweisen versucht, ein »Tribunal der Sieger«. Die Richter boten einen fairen Prozess, den wir Deutsche damals wohl nicht hätten garantieren können. Auch wenn es Fehlurteile gab und einige (Schacht und Papen) zu milde, andere (Sauckel, Rosenberg) zu hart bestraft wurden. Sie vermieden es, die Nazi-Organisation pauschal zu verurteilen und ersparten damit Millionen von deutschen Mitläufern die Verurteilung. Schließlich hüteten sie sich davor, den Begriff der vier Anklagepunkte ausufern zu lassen. Aggressionskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit konnten durch das Urteil von Nürnberg nicht vermieden werden, aber sie wurden klarer definiert und damit leichter erkennbar. So hat der Nürnberger Prozess der Welt und den Deutschen einen unschätzbaren Dienst erwiesen.

Die Verfasser haben bei diesem Bericht nichts der Fantasie oder ihrer Vermutung überlassen, sie haben sich streng von allen romanhaften Ausschmückungen und Zutaten ferngehalten. So ist alles in dieser Darstellung historisch belegt, selbst jede äußerliche Regung der vorkommenden Personen von Augenzeugen überliefert, jeder Umstand nachprüfbar, jedes zitierte Wort tatsächlich gesagt worden. Um diese Genauigkeit und dokumentarische Treue zu erzielen, haben die Verfasser neben dem Studium des Prozessmaterials und der einschlägigen Literatur zahlreiche Reisen im In- und Ausland zu den weit verstreuten Quellen und Archiven unternommen, sie haben Prozessteilnehmer aufgesucht – Anwälte, Zeugen, Gerichts- und Gefängnispersonal –, um Einzelheiten zu erforschen, sie haben alte Tonbänder mit den Stimmen aus der Gerichtsverhandlung aufgetrieben und bisher unveröffentlichte Vernehmungsakten für ihre Arbeit erschlossen. Außerdem konnte einer von ihnen, Heydecker, seine persönlichen Erfahrungen und Milieukenntnisse mitverwerten, da er während der ganzen zehn Monate des Prozesses als Zeitungs- und Rundfunkreporter im Gerichtssaal anwesend war. Neueste Erkenntnisse (Reichstagsbrand und die geheimen Besprechungen der Richter für die Urteilssprüche) wurden berücksichtigt. So sind die Verfasser überzeugt, dass sie alles getan haben, was einer leidenschaftslosen

 

Joe J. Heydecker und Johannes Leeb

Darf Adolf Hitler erschossen werden?

»Hätte ein britischer Soldat, der Hitler antrifft, die Pflicht ihn zu erschießen oder ihn lebend zu fangen?« Diese Frage wird am 28. März 1945 im britischen Unterhaus von dem Labour-Abgeordneten Ivor Thomas aus Keighley gestellt.

Wenige Minuten vorher hat der damalige Außenminister Anthony Eden bekannt gegeben, dass Adolf Hitler von den Alliierten als Hauptkriegsverbrecher betrachtet wird. Er steht an der Spitze einer Liste, die von der Londoner Kommission für Kriegsverbrechen zusammengestellt worden ist.

»Ich bin absolut geneigt«, beantwortet Eden die Anfrage, »diese Entscheidung völlig dem betreffenden britischen Soldaten zu überlassen.«

Gelächter und Beifall.

Im britischen Unterhaus, in England und auf der ganzen Welt weiß man, dass Deutschlands letzte Stunde geschlagen hat. Der Vormarsch amerikanischer, britischer und sowjetischer Truppen ist nicht mehr aufzuhalten. Mit ihnen rücken die Spezialisten des Geheimdienstes ein, deren Aufgabe es ist, nach den Big Nazis zu suchen und sie dingfest zu machen.

Eine Million Deutsche hat die Kommission für Kriegsverbrechen auf ihre Suchliste gesetzt. Jeder Ruinenkeller, jeder Bauernhof, jedes Gefangenenlager, jeder Flüchtlingszug auf den Landstraßen soll durchkämmt werden.

»Die größte Menschenjagd der Geschichte ist im Gange von Norwegen bis zu den bayerischen Alpen«, verkündet Eden im Unterhaus.

Er weiß, was er sagt. Noch niemals sind eine Million Menschen gleichzeitig gesucht und gejagt worden. Trotzdem werden die Männer, die später auf der Anklagebank von Nürnberg sitzen werden, vorläufig nicht gefunden. Im Chaos des deutschen Zusammenbruchs können sich auch die Kriminalisten in den Stäben General Eisenhowers und Feldmarschall Montgomerys kein klares Bild machen. Niemand weiß im Augenblick, was aus Hitler, Goebbels, Ribbentrop, Bormann oder Göring geworden ist.

Innenminister Wilhelm Frick wird ›aufgepickt‹ – Rundfunkkommentator Hans Fritzsche bietet die Kapitulation Berlins an – Nicht auf der Anklagebank: Dr. Josef Goebbels

Wilhelm Frick, der einstige Reichsinnenminister, ist in der Nähe von München von Offizieren der amerikanischen 7. Armee ›aufgepickt‹ worden, wie es in der ersten Meldung darüber heißt. Von den anderen Gesuchten fehlt jede Spur.

Wie ist die Lage in Berlin?

Um elf Uhr vormittags, am 21. April 1945, fröstelt die Stadt unter einer eisgrauen Wolkendecke aus Trümmerstaub, Qualm und klebrigem Nebel. In den Straßen irren verzweifelte Menschen umher, zehntausend, hunderttausend Flüchtlinge. Der blutige Besen der heranrückenden Russen schiebt sie nach Westen.

Hitlerjungen, Frauen und alte Männer bauen Straßensperren. Drohender Donner kündigt die Front an. Rauch steigt aus den Resten niedergewalzter Stadtteile. Der schwelende, beißende Geruch des Untergangs hängt über Berlin.

Durch die Ritzen der vernagelten Fenster zieht ein kühler Aprilwind in den privaten Filmsalon des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda in der Hermann-Göring-Straße. Durch die Erschütterungen naher Einschläge ist da und dort der Verputz von Decke und Wänden gebröckelt. Die kostbaren Sessel machen einen verstaubten, zerschlissenen Eindruck.

Im Zwielicht des trostlosen Raumes haben sich gut zwei Dutzend Männer versammelt. Fünf Kerzenstümpfe werfen einen flackernden Schein auf die ernsten, eingefallenen Gesichter der Anwesenden; es gibt hier keinen elektrischen Strom mehr.

Das ist die äußere Kulisse der letzten Konferenz, die Dr. Josef Goebbels mit seinen Mitarbeitern abhält. Jede Einzelheit, jedes Wort, das hier gesprochen wurde, ist uns von einem Augenzeugen überliefert worden – von dem späteren Nürnberger Angeklagten Hans Fritzsche.

Der Minister trägt einen peinlich korrekten dunklen Anzug, der blütenweiße Kragen schimmert im Dämmerlicht, und der Rundfunkkommentator Fritzsche empfindet dies als schreienden

Was er sagt, ist weit davon entfernt, Gegenstand einer Mitarbeiterbesprechung zu sein. Er redet eigentlich zu einem anderen Publikum. Er spricht ein Verdammungsurteil über das ganze deutsche Volk, spricht von Verrat, Reaktion, Feigheit.

»Das deutsche Volk hat versagt«, bricht es aus Goebbels hervor. »Im Osten läuft es davon, im Westen hindert es die Soldaten am Kampf und empfängt den Feind mit weißen Fahnen.« Seine Stimme gellt, als spräche er im Sportpalast: »Was fange ich mit einem Volk an, dessen Männer nicht einmal mehr kämpfen, wenn ihre Frauen vergewaltigt werden?«

Dann wird er wieder kühl. Ein ironisches Zucken spielt um seine Mundwinkel. »Nun«, sagt er leise, »das deutsche Volk hat sich dieses Schicksal ja selbst gewählt. Denken Sie an die Volksabstimmung vom November 1933 über Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund. Damals hat sich das deutsche Volk in freier Wahl gegen eine Politik der Unterwerfung und für eine solche des kühnen Wagnisses entschieden.« Mit einer leichten Handbewegung setzt er hinzu: »Dieses Wagnis ist nun eben missglückt.«

Ein, zwei Mitarbeiter springen auf, wollen Goebbels ins Wort fallen. Der Minister übergeht sie mit eisigem Blick. Ohne auf ihre Demonstration zu achten, fährt er in seiner Rede fort: »Ja, das mag für manche Leute eine Überraschung sein, auch für meine Mitarbeiter. Aber ich habe ja niemanden gezwungen, mein Mitarbeiter zu sein, so wie wir auch das deutsche Volk nicht gezwungen haben. Es hat uns ja selbst beauftragt. Warum haben Sie mit mir gearbeitet? Jetzt wird Ihnen das Hälschen durchgeschnitten.«

Goebbels erhebt sich. Er lächelt unmerklich über die Röte oder Blässe, die seine letzten, zynischen Worte in die Gesichter der Anwesenden getrieben haben. Er hinkt zu der hohen, rotgoldenen Flügeltür des Filmsalons, dreht sich noch einmal um und sagt pathetisch: »Aber wenn wir abtreten, dann soll der Erdkreis erzittern!«

Vorläufig erzittert nur die Tür, die er hinter sich zuwirft. Die Versammelten sind aufgestanden. Niemand sagt etwas. Alle sehen

Die russische Artillerie belegt das Regierungsviertel mit schweren Brocken. Fritzsche springt geduckt an den Ruinenwänden entlang, arbeitet sich durch Trümmer und Seitenstraßen vorwärts. Er ist jetzt wie aus einem Traum erwacht. Er hastet durch Berlin, sucht nach irgendwelchen Menschen, die ihm genauen Aufschluss über die Lage geben könnten, kehrt schließlich ratlos zur Villa von Dr. Goebbels zurück.

Hier findet er nur noch fluchende SS-Leute, ein paar verstörte Sekretärinnen, leere Zimmer, durchwühlte Schreibtische und Schränke, zurückgelassene Koffer. Der Leiter des Ministeramtes, Curt Hammel, steht verloren in Hut und Mantel herum. Als er Fritzsche sieht, sagt er tonlos: »Goebbels ist in den Führerbunker gefahren. ›Es ist aus‹, waren seine letzten Worte. Die Russen stehen am Alexanderplatz. Ich versuche jetzt, nach Hamburg durchzukommen. Wollen Sie mit? Ich habe einen Platz im Wagen frei.«

Fritzsche lehnt ab. Er will in Berlin bleiben. Er eilt ins Propagandaministerium und löst die Rundfunkabteilung auf, entlässt seine Mitarbeiter. Dann holt er seinen BMW aus der Garage und fährt zum Alexanderplatz, um nachzusehen, ob die Russen wirklich schon dort sind. Artilleriefeuer und ein Panzergefecht zwischen Danziger Straße und Ringbahn veranlassen ihn zur Umkehr. Im Rundfunkhaus erfährt er, dass die Verteidigung Berlins fortgesetzt werden soll.

Ein paar Tage noch hält sich der Kern der Stadt. Dann hört Fritzsche, das Ohr an einen verglimmenden Batterieempfänger gepresst, über den Sender Hamburg die Nachricht von Hitlers Tod. Mit Staatssekretär Werner Naumann vom Propagandaministerium rennt er hinüber zur Reichskanzlei. Er hat einen festen Plan. Berlin muss sofort kapitulieren. Aber er hütet sich vorerst noch, diesen Gedanken Martin Bormann zu unterbreiten. Fritzsche will von Bormann nur erreichen, dass sinnlose Aktionen unterbleiben. Er spielt mit seinem Kopf, aber es gelingt ihm, Hitlers mächtigsten Gefolgsmann umzustimmen.

Im Garten vor dem Führerbunker, zwischen rauchgeschwärzten Mauern, zwischen Benzinfässern und verbrennenden Geheimakten – oder was ist es sonst? – ruft Bormann einige SS-Leute

Fritzsche stolpert ins Propagandaministerium zurück. Um 21 Uhr wollen alle, die noch im Bunker der Reichskanzlei sitzen, einen Ausbruchsversuch machen. Danach wird Fritzsche als Ministerialdirektor der letzte hohe Regierungsbeamte sein, der in der Hauptstadt des Deutschen Reiches zurückbleibt. In dieser Eigenschaft will er Marschall Georgi Schukow die Kapitulation Berlins anbieten.

Er verständigt einige Lazarette von seinem Entschluss, einige Befehlsbunker und Wehrmachtseinheiten. Dann schreibt er dem Sowjetmarschall einen Brief. Der Dolmetscher Junius vom Deutschen Nachrichten-Büro übersetzt das Schreiben ins Russische.

Da wird die Tür aufgerissen.

General Wilhelm Burgdorf, Hitlers letzter Adjutant, stürzt mit flackernden Augen in das Kellergelass. »Sie wollen kapitulieren?«, herrscht er Fritzsche an.

»Ja«, antwortet der Ministerialdirektor trocken.

»Dann muss ich Sie niederschießen!«, schreit Burgdorf. »Der Führer hat in seinem Testament jede Kapitulation verboten. Es muss bis zum letzten Mann gekämpft werden!«

»Auch bis zur letzten Frau?«, fragt Fritzsche.

Der General zieht seine Pistole. Doch Fritzsche und ein Rundfunktechniker sind schneller. Sie stürzen sich auf Burgdorf. Der Schuss kracht, sirrt als Querschläger von der Decke zurück. Mit vereinten Kräften bugsieren sie den Adjutanten zur Tür hinaus.

Burgdorf versucht noch, zur Reichskanzlei zurückzukehren. Auf dem Weg dorthin richtet er jedoch die Waffe gegen sich selbst und setzt seinem Leben ein Ende.

Fritzsches Brief gelangt tatsächlich durch die Kampflinie auf die russische Seite. Im Morgengrauen des 2. Mai erscheinen die Parlamentäre im Propagandaministerium: ein sowjetischer Oberstleutnant, mehrere andere russische Offiziere und ein deutscher Oberst als Lotse. Marschall Schukow lässt Fritzsche auffordern, zu ihm zu kommen.

Schweigend marschiert die Gruppe durch ein Berlin, das keine Ähnlichkeit mehr hat mit der einstigen Hauptstadt.

Wie sieht es auf der anderen Seite aus, dort, wo die Rote Armee schon eingezogen ist?

»In zwei Weltkriegen habe ich viele Bilder des Kampfes gesehen«, sagt Fritzsche selbst darüber. »Keines ist auch nur in irgendeiner Beziehung dem Bilde vergleichbar, das sich mir auf dem kurzen Weg vom Wilhelmplatz bis Tempelhof bot, der mehrere Stunden in Anspruch nahm. Welche Szenen sich bei der Übergabe einzelner Bunker und Häuser abspielten, vermag ich nicht zu sagen. Ich bin auch nicht in der Lage, die Tragödie einiger Frauen zu schildern, die sich mit ihren Kindern durch einen Sprung aus dem Fenster vor dem Zugriff der Hände hinter ihnen retteten. Aus Trümmern und Bränden, aus Reihen von Leichen und in Gesichtern einzelner Toter sah ich, was sich abgespielt hatte. Übermächtig wurde in mir der Wunsch, eine der vielen noch einschlagenden Granaten möge mich von diesem qualvollen Anblick befreien.«

Gegenüber dem Eingang zum Flughafen Tempelhof wird Fritzsche in eine Villa geführt, in der ein sowjetischer Stab untergebracht ist. Dort erfährt der Ministerialdirektor, dass sich inzwischen auch einer der letzten Kampfkommandanten Berlins, General Helmut Weidling, hier eingefunden hat, um die Stadt zur Kapitulation aufzufordern: »Am 30. April 1945 hat der Führer uns, die wir ihm die Treue geschworen hatten, im Stich gelassen. Auf Befehl des Führers glaubt ihr noch immer, um Berlin kämpfen zu müssen, obwohl der Mangel an schweren Waffen, an Munition und die Gesamtlage den Kampf als sinnlos erscheinen lassen. Jede Stunde, die ihr weiterkämpft, verlängert entsetzlich die Leiden der Zivilbevölkerung und unserer Verwundeten. Im Einvernehmen mit dem Oberkommando der Sowjettruppen fordere ich euch daher auf, sofort den Kampf einzustellen.«

Fritzsches selbst gewählte Mission ist mit diesem Schritt Weidlings erledigt. Die Russen wollten jetzt auch ganz andere Dinge von ihm. Am 4. Mai machen sie eine Autofahrt mit ihm. Ziel ist eine kleine Siedlung zwischen Berlin und Bernau. Fritzsche wird

Hans Fritzsche weiß und erkennt, wer hier vor ihm liegt: Dr. Josef Goebbels und seine Kinder. Er ist so verstört von dem Anblick, so verbittert über den billigen Ausweg seines Chefs, dass er in der Verwirrung gar nicht den siebten Leichnam bemerkt, eine Frau – wahrscheinlich Magda Goebbels.

Die Sowjets sind mit der Identifizierung zufrieden. Fritzsche wird wieder ins Freie gebracht – aber nicht in die Freiheit. In einem Keller in Friedrichshagen bleibt er zusammen mit anderen Deutschen gefangen. Es ist ein merkwürdiger Schwebezustand, der erst Tage später in eine juristische Form gebracht wird: Ein sowjetischer Unteroffizier sucht Fritzsche auf, zieht einen zerknitterten Zettel aus der Tasche und liest davon mühsam drei deutsche Wörter ab: »Sie sind verhaftet.«

Es wird lange dauern, bis Fritzsche die Freiheit wiederfindet. Sein Weg führt nach Moskau ins Lubjanka-Gefängnis und dann weiter auf die Anklagebank von Nürnberg.

Reichsmarschall Hermann Göring, Angeklagter Nr. 1, entrinnt dem Tode und begibt sich in alliierte Gefangenschaft

Die große Menschenjagd läuft auf vollen Touren. In den bayerischen Alpen ist sie besonders intensiv. Auf den Landkarten der alliierten Suchgruppen zeichnen sich zwei Hauptgebiete ab: im Norden der Raum zwischen Hamburg und Flensburg, im Süden die Gegend von München bis Berchtesgaden. Aus dem untergehenden Berlin hat ein Teil der führenden Leute versucht, sich zu Großadmiral Dönitz durchzuschlagen: Himmler, Ribbentrop, Rosenberg und Bormann scheinen zu dieser Gruppe zu gehören. Die anderen werden in Bayern vermutet.

Bei der 36. Division der amerikanischen 7. Armee ist es trotz dieser Erkenntnis eine Überraschung, dass sich bei einem vorgeschobenen Posten am Morgen des 9. Mai ein deutscher Oberst meldet. Man weiß zwar, dass es hier in den Alpen noch von deutschen Truppen wimmelt, die auf eigene Faust operieren wollen, bis sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage einsehen und sich ergeben. In diesem Fall liegen die Dinge aber anders.

Der deutsche Oberst nennt seinen Namen: Bernd von Brauchitsch. Dann fügt er hinzu: »Ich komme als Unterhändler im Auftrag des Reichsmarschalls Hermann Göring.«

Die amerikanischen Posten werden nach dieser Erklärung sofort tätig. Es ist ihnen klar, dass ihrer Division nun der Ruhm vorbehalten sein soll, einen der größten Fische zu fangen. Oberst von Brauchitsch wird in einen Jeep verfrachtet und zum Divisionsstab gebracht.

Dort hat ein Telefongespräch schon die Ankunft des deutschen Parlamentärs gemeldet. Es gibt kein Warten, keine Verzögerung. Der Divisionskommandeur, Generalmajor John E. Dahlquist, und dessen Vertreter, Brigadegeneral Robert J. Stack, stehen augenblicklich zur Verfügung.

Bernd von Brauchitsch erklärt den amerikanischen Generalen, dass er von Hermann Göring beauftragt ist, dessen Übergabe anzubieten. Der Reichsmarschall, so sagt der Oberst, befinde sich in der Nähe von Radstadt bei Zell am See.

»Mein Führer«, hatte Göring wenige Tage zuvor in die belagerte Reichskanzlei gefunkt, »sind Sie einverstanden, dass ich nach Ihrem Entschluss, in der Festung Berlin auszuharren, aufgrund des Gesetzes von 29. Juni 1941 nunmehr die Gesamtführung des Reiches mit allen Vollmachten nach innen und außen übernehme? Wenn ich bis 22 Uhr keine Antwort erhalte, nehme ich an, dass Sie Ihrer Handlungsfreiheit beraubt sind, und werde die Bedingungen des Gesetzes als gegeben betrachten.«

Die Antwort traf vor 22 Uhr ein, allerdings bei einem anderen Empfänger. Sie lautete: »Göring ist aus allen Ämtern einschließlich der Nachfolge Hitlers entlassen und sofort wegen Hochverrats zu verhaften.« Ferner wurde befohlen, den »Verräter des 23. April 1945 beim Ableben des Führers zu liquidieren«.

Später erklärte der letzte Generalstabschef der Luftwaffe, General Karl Koller: »Die SS hat sich aber offenbar gescheut, Gewalt gegen den Reichsmarschall anzuwenden.«

»Ich wurde in ein Zimmer gebracht, in dem ein Offizier war«, sagte Göring bei einer Vernehmung in Nürnberg. »Vor der Tür stand eine SS-Wache. Dann nahm man mich mit meiner Familie am 4. oder 5. Mai nach dem Luftangriff auf Berchtesgaden mit nach Österreich. Fliegertruppen marschierten durch die Stadt – sie hieß Mauterndorf – und befreiten mich von der SS

General Koller, unter dessen Obhut Göring dann stand, kannte Hitlers Erschießungsbefehl.

»Ich bin aber gegen einen Mord gewesen«, sagte er dem Nürnberger Verteidiger Werner Bross, »wie ich immer gegen die Ermordung politischer Gegner eingestellt gewesen bin. Es ist dann auch nicht zu einer Ausführung dieses Befehls gekommen.«

Der deutsche Luftwaffenfeldwebel Anton Kohnle, der vor dem Mauterndorfer Jagdschloss Wache stand, wo Göring mit Frau, Tochter, Kammerdiener, Zofe und Leibkoch festsaß, bekam den Reichsmarschall bald zu sehen. Er berichtet: »Ich machte ihm Meldung, worauf er erstaunt stehen blieb und mich musterte. Er fragte

Kohnle fährt fort: »Als sich Göring nach dieser Unterhaltung etwa zwanzig Schritt von mir entfernt hatte, stürzte er plötzlich zu Boden. Es bedurfte großer Mühe, diesen Koloss wieder auf die Beine zu stellen. Göring war morphiumsüchtig, und ich nehme an, dass sein Unwohlsein darauf zurückzuführen war, dass ihm die SS dieses Gift während seiner Gefangenschaft vorenthalten hatte.«

So also stellt sich die Verhaftung und Befreiung Görings in den nüchternen Worten der Beteiligten dar. Immerhin kann der Reichsmarschall zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen, wie sich die Dinge weiterentwickeln werden. Kann die SS nicht doch noch zurückschlagen und ihn erneut festnehmen? Unter diesen Umständen schien es wirklich besser, sich in den Schutz der Alliierten zu begeben.

Jetzt ist es so weit. Brigadegeneral Stack fährt persönlich zu dem Treffpunkt, den Oberst von Brauchitsch benannt hat. An der Biegung einer schmalen Landstraße begegnen sich der Jeep des Amerikaners und der kugelsichere Mercedes Görings.

Die Wagen halten in gemessener Entfernung voneinander. Der General springt auf die Straße, Göring klettert etwas mühsamer aus seinem Fahrzeug. Dann hebt er den Marschallstab zur Andeutung eines Grußes und geht dem Amerikaner entgegen. Brigadegeneral Stack legt die Hand an die Mütze und macht ebenfalls einige Schritte. Alles ist überaus korrekt. In der Mitte des Weges treffen die beiden Männer zusammen, stellen sich förmlich vor und geben sich die Hand.

Brigadegeneral Stack wird dieses Händedrucks allerdings nicht froh werden. Die Nachricht darüber löst nämlich überall einen Entrüstungssturm aus: Händeschütteln mit Kriegsverbrechern! Shakehands mit Mördern!

In den Vereinigten Staaten und besonders in Großbritannien steigen die Zeitungen ganz groß in diese Sache ein. Der Lärm wird so laut, dass sich General Eisenhower veranlasst sieht, offiziell seine Missbilligung auszudrücken. Auch die britische Regierung

Brigadegeneral Stack weiß freilich nicht, wie schwer ihm das Leben mit dieser Sache noch gemacht werden wird. Vorläufig glaubt er nur, der Form genügt zu haben. Göring wird zum Divisionsstab gebracht, wo sich Generalmajor Dahlquist selbst des prominenten Gefangenen annimmt. Das Hauptquartier der 7. Armee ist verständigt, und der dortige Abwehrchef, Brigadegeneral William W. Quinn, hat versprochen, gleich zur Division zu kommen und den kostbaren Gefangenen persönlich zu übernehmen.

Inzwischen hat der Kommandeur der 36. Division Zeit, ein wenig mit Göring zu plaudern. John E. Dahlquist ist ein alter Soldat, kampferprobt, offen und politisch völlig arglos. Dennoch überrascht ihn, was er von Göring schon in den ersten Minuten ihres Gesprächs zu hören bekommt.

»Hitler war engstirnig«, sagt der Reichsmarschall, »Rudolf Heß exzentrisch und Ribbentrop ein Schurke. Warum war Ribbentrop Außenminister? Mir ist einmal eine Bemerkung Churchills hinterbracht worden, die ungefähr lautete: ›Warum schickt man mir immer diesen Ribbentrop und nicht einen patenten Jungen wie Göring?‹ Nun bin ich also hier. Wann bringen Sie mich ins Hauptquartier von Eisenhower?«

Dahlquist erfährt, dass Göring wirklich glaubt, als Vertreter Deutschlands mit den Alliierten verhandeln zu können. Wie abwegig dieser Gedanke ist, kommt dem Gefangenen gar nicht in den Sinn. Ist sich dieser einst mächtigste Mann nach Hitler nicht klar über die wirkliche Situation?

In langen Ausführungen spricht er über seine gewaltige Luftwaffe und ahnt nicht, dass zur gleichen Stunde sein Amtsnachfolger, Generalfeldmarschall Robert Ritter von Greim, in Kitzbühel gefangen genommen wird und sich mit den Worten zu erkennen gibt: »Ich bin der Chef der deutschen Luftwaffe – aber ich habe keine Luftwaffe.«

»Wann werde ich von Eisenhower empfangen?«, fragt Göring noch einmal.

»Wir werden sehen«, weicht Dahlquist aus.

Nach diesem Gespräch wendet sich Göring einer Platte mit

Der Abwehroffizier der 7. Armee, Brigadegeneral Quinn, veranlasst nach seinem Eintreffen, dass Göring in einem Privathaus bei Kitzbühel untergebracht wird. Sieben Soldaten aus Texas, alte Haudegen von Salerno und Monte Cassino, führen den Reichsmarschall zu seinem neuen Quartier. Auf dem Weg wendet sich Göring lächelnd an seine Bewachung: »Passt nur gut auf mich auf!«

Er hat es auf Englisch gesagt, aber diese Männer der Kampftruppe verstehen keinen Spaß. »Was sie ihm antworteten, kann nicht überliefert werden«, gesteht ein amerikanischer Reporter, der die Gruppe begleitete.

Natürlich sind die Reporter zur Stelle. Die Nachricht von Görings Gefangennahme hat die Kriegskorrespondenten in weitem Umkreis alarmiert. Nun beeilen sie sich, denn der pressefreundliche Quinn hat ihnen ein Interview mit dem Reichsmarschall versprochen.

Hermann Göring besichtigt inzwischen zufrieden die Räume, die man ihm zur Verfügung gestellt hat. Seine Familie ist ebenfalls eingetroffen. Auch das auf siebzehn Lastwagen verstaute Gepäck wird gebracht. Es ist beinahe wie im Hotel. Der Reichsmarschall nimmt ein ausgedehntes Bad und bekleidet sich anschließend in langwieriger Prozedur mit seiner hellgrauen Lieblingsuniform, deren schwere Goldbesätze es ihm besonders angetan haben.

Wie sehr unterscheidet sich dies alles von den Lagern, in denen zur gleichen Stunde Zehntausende und Hunderttausende deutscher Soldaten zusammengepfercht werden, in Regen und Schlamm, ohne Verpflegung und Trinkwasser, ohne sanitäre Anlagen.