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Bildnachweis:

Archiv 1. FC Nürnberg: 10, 61, 67, 68, 72, 107, 134, 145, 154/155

Imago: Cover, 3, 119, 121, Cover-Rückseite

Sammlung Autoren „FCN-Chronik“: 63, 115, 123, 142

Kurt Schmidtpeter / Roland Fengler: 151

Verlag Die Werkstatt: 113

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen

ISBN 978-3-7307-0622-0

INHALT

GÄHNENDE LEERE 1977

GEISTER AUF DEM TIVOLI 2003

DER VORHANG FÄLLT 1945

RAKETEN IM RONHOF 1973

EIN DERBY KOMMT SELTEN ALLEIN 1917

DAS KREUZOTTERNEST 1960

AUF DER RASTSTÄTTE NACHTS UM HALB EINS 2015

ERST FÄLLT DIE MAUER, DANN BAYERN 1989

BRENNENDE FAHNEN 1963

ALLE GEGEN LOTHAR 2005

JUNGE WILDE 1961

DAS ZIEL KNAPP VERFEHLT 1969

NICHTS IST FÜR EWIG 1984

OFFENSIV IN DEN ABGRUND 2014

DOPPELSTOPPER UND BETON 1965

SIEBEN WORTE 1984

GESCHWÄTZ VON GESTERN 2016

FLUCHT NACH WIEN 1932

ÖSTERREICH LIEGT NICHT IN DEUTSCHLAND 1995

BÖHMISCHE DÖRFER 1996

DAS OFENLOCH 1920

DAS LETZTE HURRA 1992

KNAPP DANEBEN IST AUCH EIN TOR 1994

SIEBEN HUNDERTSTEL 1951

INS BILD GESCHLICHEN 2007

DER DEUTSCHE HERKULES 1906

SO NAH AM FINALE 1963

LUST AUF MEHR 2007

EISHOCKEY UND FUSSBALL 1962

DAS GROSSE ABENTEUER 1963

DAS WUNDER DES TAGES 1935

SIEBEN KLEINE NÜRNBERGER 1922

6:6 NACH 180 MINUTEN 2020

VERWELKTER LORBEER 1934

HINTERHÄLTIGES SCHAUSPIEL 1982

EIN GIFTIGER PFEIL 1912

NUR DIE NUMMER ZWEI 1939

AN NÜRNBERG VORBEI 1971

BLÜTENWEISSE WESTE 2009

DER GEÖFFNETE SARG 2020

AN DER ARMUTSGRENZE 2012

UND NOCH EIN TIEFSCHLAG 1993

DUELL VOM PUNKT 1992

GOTT IM TOR 1916

VIEL LÄRM UM NICHTS 1987

DER ENTZAUBERTE WELTMEISTER 1979

DAS ERSTE UND DAS LETZTE SPIEL 2012

ZWEIMAL UND NIE WIEDER 1973

DIE HELDEN VON STADE 1974

WIE EIN WIRBELWIND 1943

DIE WENDE VON BERN 1954

DIE OMINÖSE 13 2016

DER FRÜHE VOGEL 1925

EIN TOLLES TRIO 1977

LANGSAM UND GESCHEIT 1928

GOLDFÜSSCHEN 1968

DER REKORDMANN 1969

EIN TOR, DAS DOPPELT ZÄHLT 1974

KAMPF UM DIE KANONE 2005

SLOWAKISCHE RAKETE 2006

DAS ERFOLGSREZEPT 2011

EINHUNDERT PROZENT 1966

TITELHUNGER 1947

WASSERSUPPE UND SPIEGELEIER 1946

GESCHÜTTELT ODER GERÜHRT 1992

DER SCHUHKARTON 1979

JUBILÄUM ZUR UNZEIT 2000

ROTH RUTSCHT AUS 2003

MÜLL UND LEPRA 2001

UNSCHULDIGE SKANDALNUDEL 1971

DAS FALSCHE TOR 1990

WIE IM TRAINING 1956

ROSTIGE NÄGEL 1990

WILDE HACKEREI 1900

DIE SCHLACHT VON NÜRNBERG 2006

PELÉ GEHT LEER AUS 1959

DER AMERIKANISCHE TRAUM 1953

ELF SPIELER MÜSST IHR SEIN 1924

ZWEI LAMAS 2010

DER LAPSUS VON LEVERKUSEN 1968

GÄHNENDE LEERE

1977

Schon wieder eine Saison zum Vergessen. Wie in all den Jahren seit dem Bundesliga-Abstieg 1969 versuchte sich der 1. FC Nürnberg auch 1976/77 vergeblich am Wiederaufstieg. Vom ersten Spieltag an, der eine 0:2-Niederlage beim Absteiger Kickers Offenbach brachte, hechelte der Club in der 2. Bundesliga Süd dem Führungstrio VfB Stuttgart, 1860 München und eben Offenbach hinterher – trotz einer Serie von 18 Spielen ohne Niederlage. Insgesamt 13 Unentschieden bremsten die Aufholjagd erheblich. Am Ende musste sich die von Horst Buhtz trainierte Mannschaft mit 49:27 Punkten und Platz fünf begnügen.

Für einen Rekord freilich war der Club selbst in dieser Saison des sportlichen Trübsinns gut. Weil nach einer happigen 0:4-Heimniederlage gegen den späteren Meister aus Stuttgart am 34. Spieltag vor 36.000 Besuchern auch das letzte kleine Fünkchen Aufstiegshoffnung erloschen war, herrschte während der letzten beiden Heimspiele gähnende Leere im Städtischen Stadion. Nur noch 3000 Unentwegte wollten am 36. Spieltag das 2:2 gegen Röchling Völklingen sehen, und am 21. Mai 1977 erlebten sogar nur noch 1743 Zuschauer, wie sich der Club zu einem 3:3 gegen Bayern Hof quälte. Dieter Lieberwirth bewahrte den FCN mit zwei Toren vor der achten Saisonniederlage. „Selbst notorische Schwarzseher hätten keinen tristeren Saisonausklang voraussagen können“, schrieb die Vereinszeitung, und der kicker sah den „ärmlichen Abschluss eines verkorksten Jahres“.

Seit jenem trostlosen Frühlingssamstag vor 45 Jahren hat der Club diverse neue Negativrekorde aufgestellt. 1743 Zuschauer bei einem Heimspiel aber blieben bis zum kompletten Fanausschluss in den Coronajahren 2020, 2021 und 2022 der absolute Tiefstwert der Vereinsgeschichte.

GEISTER AUF DEM TIVOLI

2003

Wer die Hauptrolle im ersten Geisterspiel in der Geschichte des deutschen Profifußballs spielte? Was für eine Frage, der 1. FC Nürnberg natürlich, und dazu bedurfte es weder einer Viruspandemie noch irgendwelcher anderer Naturgewalten.

Am 24. November 2003 wurde Trainer Wolfgang Wolf in der 73. Minute des Zweitligaduells bei Alemannia Aachen von einem Wurfgeschoss getroffen, mit einer Platzwunde am Kopf brach er zusammen. Vorausgegangen waren Zuschauertumulte nach einer Gelb-Roten Karte für Alemannia-Stürmer Erik Meijer, der FCN-Torhüter Raphael Schäfer rücksichtslos attackiert hatte. Die Club-Spieler verließen geschlossen den Platz, dabei hatte man sich wenige Wochen zuvor in der Vorbereitung mit den Aachenern noch ein Hotel in der Türkei geteilt.

Wolf, der über Sehstörungen und Unwohlsein klagte, wurde an einen Tropf angeschlossen und konnte seine Mannschaft bis zum Abpfiff der nach zehnminütiger Unterbrechung wieder aufgenommenen Partie nicht mehr betreuen. Der FCN legte Protest gegen die 0:1-Niederlage ein – und hatte Erfolg. Der DFB-Kontrollausschuss unter Vorsitz von Horst Hilpert setzte wegen eines „nicht ausreichenden Ordnungsdienstes und mangelnden Schutzes des Gegners“ ein Wiederholungsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit an und verurteilte die Alemannia zu einer Geldstrafe von 50.000 Euro.

So kam es am 26. Januar 2004 auf dem von 500 Sicherheitskräften abgeriegelten Aachener Tivoli zu einer Partie ohne Zuschauer. Lediglich 40 Personen pro Verein (inklusive Spieler) waren zugelassen, dazu die Schiedsrichter, ausgewählte Medienvertreter, Sanitätsdienst, Stadionsprecher, Techniker, zwei Würstchenverkäufer, die Bratwürste – keine Nürnberger! – grillten und gratis verteilten, Toilettenpersonal und ein einziger Fan: Der in Aachen wohnende 78-jährige DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun. Und wer sich hinter dem Kostüm des Gespensts versteckte, das während der 90 Minuten über die Tribüne geisterte, blieb ungeklärt.

Trotz zweimaliger Führung durch Marek Mintal und Lawrence Aidoo unterlag der Club auch in diesem Wiederholungsspiel mit 2:3 und bescherte den Aachenern 39 Tage nach Ende der Hinrunde nachträglich die Herbstmeisterschaft. Am Saisonende durfte einer der beiden Hauptdarsteller im ersten Geisterspiel den Aufstieg in die Bundesliga bejubeln – nein, nicht die Alemannia.

Für Wolf blieb es übrigens nicht das einzige Geisterspiel. 2011 arbeitete er als Trainer bei Hansa Rostock, als das Ost-Duell gegen Dynamo Dresden unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt wurde. Stürmer bei Hansa damals: FCN-Legende Marek Mintal – noch ein Phantom.

DER VORHANG FÄLLT

1945

„Endspiel trotz allem“, titelte der Kicker*. Längst standen alliierte Streitkräfte tief im deutschen Reichsgebiet, als am 18. Juni 1944 in Berlin noch einmal ein Endspiel um die deutsche Meisterschaft ausgetragen wurde. Vor 70.000 Zuschauern verteidigte der mit Nationalspielern wie dem späteren Bundestrainer Helmut Schön gespickte Dresdner SC seinen Vorjahrestitel nach einem 3:1 im Halbfinale gegen den 1. FC Nürnberg durch ein klares 4:0 gegen den Luftwaffen-Sportverein Hamburg erfolgreich.

Sechs Wochen später, am 1. August 1944, wurden alle überregionalen Sportveranstaltungen eingestellt. Trotz der wachsenden Furcht vor den Bombenangriffen, die in immer kürzeren Abständen Nürnberg heimsuchten, nahm am 1. Oktober eine „Gauliga Bayern, Sportbereich Mittelfranken“ mit neun Mannschaften den Spielbetrieb auf. Dabei traf der Club auf die SpVgg Fürth, Post/Reichsbahn Nürnberg-Fürth, die KSG TV/SC Zirndorf, den FC Stein sowie die vier Lokalrivalen SS-SG, KSG Wacker/Pfeil-Viktoria, Eintracht Franken und VfL.

Die Runde begann mit einer deftigen 0:6-Schlappe gegen die SS-SG, wobei der Club ohne Torhüter auflief. Die Ergebnisse wurden ohnehin mehr und mehr zur Nebensache. Es wagten sich kaum noch Zuschauer auf die Sportplätze, erst recht, nachdem der verheerende Luftangriff der Alliierten am 2. Januar 1945 die Nürnberger Altstadt in Schutt und Asche gelegt hatte.

Nach jener Bombennacht trug der FCN nur noch ein einziges Spiel aus: Das 149. Derby am 18. Februar 1945 vor immerhin 4000 Zuschauern im Ronhof. Nach einem 0:0 zur Halbzeit brachte Simon Winkler die Fürther kurz nach der Pause in Führung. Der Ausgleichstreffer durch Klemens Wientjes in der 52. Minute ging in die Geschichte als letztes Club-Tor vor Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Gegen nur noch zehn Nürnberger – Wientjes schied kurz nach seinem Tor verletzt aus – schaffte die SpVgg noch den Siegtreffer zum 2:1 und festigte ihre Tabellenführung. Wenige Tage später kam der Spielbetrieb in Mittelfranken endgültig zum Erliegen. Auch über den Zabo fiel der Vorhang.

*Bis 1964 wurde der Kicker großgeschrieben; seither, auch nach der Vereinigung mit dem Sportmagazin 1968, schreibt die bedeutendste deutsche Sportzeitschrift ihren Namen klein.

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Das Zabo-Gelände mit Bombenkrater, 1944/45

RAKETEN IM RONHOF

1973

Ein mit mehr als 22.000 Zuschauern restlos ausverkauftes Haus, der Auftritt einer Prinzengarde vor Spielbeginn, kaltes, sonniges Winterwetter: Ein rauschendes Fußballfest schien sich anzukündigen, als der Club am 20. Januar 1973 zum Regionalligaderby im Ronhof auflief.

Vor Spielbeginn musste die Polizei, unterstützt von den beiden Trainern Tschik Čajkovski und Heinz Elzner sowie Club-Kapitän Dieter Nüssing, erst einmal die aufs Spielfeld geströmten Nürnberger Anhänger zurückdrängen. Dann pfiff der Augsburger Schiedsrichter Karl Riegg an, und von der ersten Minute an bestimmten die Fürther auf tiefem, seifigem Boden das Geschehen. Vier Tore fielen in den ersten 50 Minuten – allesamt für die SpVgg. Mit seinen Angriffsbemühungen scheiterte der Club immer wieder an Torhüter Peter Löwer, der in der 38. Minute sogar einen von Slobodan Petrovic getretenen Handelfmeter parierte.

Als Čajkovski taktisch grundlegend umstellte und Albert Bittlmayer sowie Rudi Sturz einwechselte, bahnte sich eine Wende an. Binnen 180 Sekunden verkürzte der Club durch einen von Nüssing verwandelten Foulelfmeter und einen Sturz-Treffer auf 2:4. Kurz darauf aber, in der 63. Minute, schickte Schiedsrichter Riegg die beiden Mannschaften vorzeitig in die Kabine – eine von mehreren offenbar aus dem Nürnberger Fanblock abgefeuerten Raketen war direkt neben einem Spieler gelandet. Wo in anderen deutschen Stadien bei vergleichbaren Vorfällen nach kurzer Unterbrechung weitergespielt worden war, ließ sich Riegg nicht mehr umstimmen. „Die Spieler waren höchst gefährdet“, gab er zu Protokoll. „In solchen Fällen haben wir die Anweisung abzubrechen.“

Zunächst wirkten alle Beteiligten untröstlich. Die Fürther, die eine Annullierung der Partie befürchteten, und die Nürnberger, die sich um die Chance gebracht sahen, eine der spektakulärsten Aufholjagden der deutschen Fußballgeschichte zu vollenden.

Am Ende jubelte die SpVgg ein fünftes Mal. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes wertete die Partie mit 2:0 Punkten und 2:0 Toren für sie und bestrafte nicht den Heimverein, dem die Verantwortung für die Sicherheit im Stadion obliegt, für die Ausschreitungen, sondern den 1. FC Nürnberg, dessen Anhänger zumindest die letzte Rakete abgeschossen hatten. Dieser erste Spielabbruch in der Geschichte des deutschen Profifußballs stellte den traurigen Höhepunkt jener Spielzeit dar. Der Club erreichte 1972/73 nur Rang fünf und verpasste erneut den Wiederaufstieg in die Bundesliga.

EIN DERBY KOMMT SELTEN ALLEIN

1917

Im Jahr 1916 gewann der auch „Ostkreismeister“ genannte bayerische Meister 1. FC Nürnberg durch ein 4:1 gegen Pfalz Ludwigshafen den „Eisernen Fußball“, den in diesen Zeiten, da in Europa der Erste Weltkrieg tobte, höchsten Titel des deutschen Fußballs. In der Gauliga Mittelfranken 1916/17 musste sich der Club nur mit vier Gegnern auseinandersetzen: Dem TV Fürth 1860, dem VfB Nürnberg, dem BSC Nürnberg und dem letzten deutschen Meister vor Kriegsbeginn 1914 – der SpVgg Fürth. Auch, weil in jenen unübersichtlichen, von der Versorgungskrise im Reich geprägten Jahren Proteste gegen die Wertung eines Spiels – wegen des Einsatzes nicht spielberechtigter Akteure etwa oder auch eines falsch ausgeführten Elfmeters – an der Tagesordnung waren und schon mal zu einer Spielwiederholung führten, trugen der FCN und die SpVgg 1917 die nie zuvor und nie danach erreichte Zahl von acht (!) Derbys innerhalb eines Jahres aus.

Die einmalige Serie begann am 7. Januar, als der Club die punktgleich mit an der Spitze liegenden Kleeblättler zur entscheidenden Partie um die Gaumeisterschaft empfing und mit 1:2 verlor. Diesmal wurde ein Protest des FCN mit der Begründung, er habe zunächst nur zehn Mann auf den Platz gebracht, abgeschmettert. Es folgten ein 6:1-Sieg in einem Freundschaftsspiel im Mai, ein 1:0 in einem Benefizspiel zugunsten der deutschen U-Boot-Spende im Juni, eine 0:2- und eine 0:4-Niederlage in zwei Freundschaftsspielen im August und Anfang September, ein 3:1- und ein 5:0-Sieg in zwei Partien um die mittelfränkische Gaumeisterschaft 1917/18 Ende des Jahres, sowie eine 0:2-Pleite in der zweiten Hauptrunde des Süddeutschen Pokals eine Woche später. Vier Siege, vier Niederlagen, 16:12 Tore, und der erste Wechsel eines Spielers zwischen den beiden Vereinen, vom Club zur Spielvereinigung: Bei acht Derbys im Jahr 1917 ist Leonhard „Loni“ Seiderer bestimmt irgendwann nur durcheinandergekommen und auf der 1835 gebauten ersten Eisenbahnlinie Deutschlands zwischen Nürnberg und Fürth eine Station zu spät ausgestiegen.

DAS KREUZOTTERNEST

1960

Die Geschichte ist fast so alt wie die beiden Vereine selbst. 23 Spieler wechselten im Lauf der Jahre vom 1. FC Nürnberg zur SpVgg Fürth, 16 gingen den umgekehrten Weg – und so gut wie jeder Seitenwechsel wirbelte meterhohe Staubwolken auf.

Man werde es den „Verrätern“ zeigen, tönte es schon im November 1917 im Zabo, als der Club in der mittelfränkischen Gaurunde auf die SpVgg traf, in deren Reihen mit Mittelstürmer Loni Seiderer und dem Halbrechten Walter Lüscher zwei frühere Nürnberger standen. Im Spiel selbst kam es zu den üblichen Nickligkeiten, je einem Platzverweis auf beiden Seiten und – nach drei Toren von Luitpold Popp – zu einem deutlichen 5:0-Sieg des FCN. Knapp drei Jahre später sorgte der Fall Hans Sutor für Aufsehen. Der Linksaußen, der im Meisterschaftsendspiel 1920 noch im Trikot der Kleeblättler stürmte, sah sich kurz nach dem Finale gezwungen, beim Club anzuheuern, weil er in Fürth wegen seiner Heirat mit einer Nürnbergerin übelst beschimpft wurde.

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die SpVgg mit den großen Vereinen nicht mehr Schritt halten, sodass sie regelmäßig ihre besten Spieler ziehen lassen musste. Dies schien auch kein Problem – solange der aufnehmende Verein nicht FCN hieß.

Als etwa Charly Mai, der Weltmeister von Bern, zusammen mit seinem Mannschaftskameraden Klaus Kuhnert 1958 beim FC Bayern anheuerte, wurde dies in Fürth, so beobachtete es zumindest die Nürnberger Vereinszeitung, „mit fröhlicher Gelassenheit“ hingenommen. Als aber Stürmer Reinhold „Bobby“ Gettinger zwei Jahre später verkündete, über die Stadtgrenze ziehen zu wollen, floss böses Blut. In der Vereinszeitung vom Juli 1960 hieß es: „Derzeit hat die Absicht Gettingers, zum Club zu wechseln, Fürth in Weißglut gebracht. Es scheint für die Cluberer ungefährlicher, in ein Kreuzotternest zu greifen, als sich um einen Fürther Spieler zu bemühen.“ Keine Erwähnung fand ein entscheidender Grund für den Aufruhr in der Nachbarstadt: Der FCN hatte die Fürther angeschwärzt und behauptet, Gettinger sei im Ronhof aus einer schwarzen Kasse bezahlt worden, worauf der SpVgg zehn Punkte abgezogen wurden; später wurde die Strafe in eine Geldbuße umgewandelt.

Nach seiner Unterschrift beim FCN musste der torgefährliche Angreifer ein Jahr lang gesperrt zuschauen, ehe sich die beiden Vereine auf ein Stillhalteabkommen einigten: Bis zum Juli 1966 durfte kein Spieler mehr ohne die Zustimmung seiner Vorstandschaft die Seiten wechseln. Gettinger selbst brachte der Trikottausch kein Glück: Nach zwei Oberligajahren mit sieben Toren in 33 Partien zog er sich in der Bundesliga-Premierensaison bei der 0:2-Niederlage im Auswärtsspiel in Braunschweig am 7. Dezember 1963 einen komplizierten Beinbruch zu, der seiner Karriere mit nur 28 Jahren ein Ende setzte – ganz ohne Schlangenbiss.

AUF DER RASTSTÄTTE
NACHTS UM HALB EINS

2015

Ein in der Geschichte des deutschen Profifußballs einmaliger Vorfall brachte das Fass zum Überlaufen. Elfeinhalb wechselvolle, turbulente Jahre mit zwei Auf- und zwei Abstiegen sowie als Krönung dem Gewinn des DFB-Pokals 2007 hatte Martin Bader zunächst als Sportdirektor und ab Oktober 2010 als Sportvorstand des 1. FC Nürnberg hinter sich, als sich der Club zum Auftakt der Saison 2015/16 eine deftige 3:6-Klatsche beim SC Freiburg einfing.

Das Saisonziel Wiederaufstieg schien schon nach den ersten 90 Minuten entrückt, da wollten die Club-Ultras nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen. Sie forderten Bader auf, ihnen eine Aussprache mit den Spielern zu ermöglichen. Diesem Ansinnen gab der Sportvorstand nach, und so verließ der Mannschaftsbus auf seine Anweisung hin in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 2015 gegen 0.30 Uhr auf dem Rückweg aus dem Breisgau an der schlecht beleuchteten Raststätte Renchtal-Ost die Autobahn. Kapitän Jan Polak, Torjäger Guido Burgstaller und Torhüter Thorsten Kirschbaum stiegen – alles andere als begeistert – aus dem Bus und diskutierten in gespenstischer Atmosphäre 40 Minuten lang mit gut 200 Ultras, ehe die Mannschaft die Heimfahrt fortsetzen durfte.

Weil Bader schon im September 2014 nach der bitteren 0:3-Niederlage in Karlsruhe nicht eingeschritten war, als die Ultras die Club-Profis zur Übergabe ihrer Trikots nötigten, bliesen seine vereinsinternen Gegner nun zum Frontalangriff auf den Mann, unter dessen umsichtiger Führung der FCN über Jahre hinweg einen steilen Aufschwung auf allen Ebenen hingelegt hatte. Nach dem unerwarteten Abstieg des Jahres 2014 freilich war der studierte Sportökonom – anders als nach dem Abstieg 2008 – mit seiner Politik gescheitert, mit hohem finanziellem Risiko den sofortigen Wiederaufstieg zu erzwingen.

Wie bei Baders Amtsantritt türmten sich plötzlich Schulden in zweistelliger Millionenhöhe auf. Die Opposition um Aufsichtsratsmitglied Günther Koch versuchte mit aller Macht, ihn zu stürzen, und hatte schließlich Erfolg. Im Frühsommer 2015 warf der Sportvorstand, der nicht enden wollenden Anfeindungen gegen seine Person müde, das Handtuch und einigte sich mit dem Verein auf eine Auflösung seines bis 2017 laufenden Vertrags. Am 30. September verließ er den Club, fast auf den Tag genau zwölf Jahre, nachdem er am 5. Oktober 2003 seinen ersten Vertrag im Zabo unterschrieben hatte.

ERST FÄLLT DIE MAUER,
DANN BAYERN

1989

Gut 14 Tage zuvor hatte das ganze Land gejubelt. Der Fall der Mauer nach mehr als 28 Jahren hatte die Deutschen in West und Ost in einen kollektiven Freudentaumel versetzt. Von den sensationellen Ereignissen in Berlin war die Bundesliga allgemein nach dem 16. Spieltag der Saison 1989/90, der Club speziell nach einem 3:3 bei Bayer Uerdingen kurz vor dem Ende einer durchaus erfolgreichen Hinrunde überrascht worden.

Schon zum Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern (0:0), dem ersten nach dem 9. November 1989, fuhren Tausende Fußballfans aus Sachsen und Thüringen mit Bussen oder ihren Trabis nach Nürnberg, um zum ersten Mal überhaupt ein Bundesligaspiel live im Stadion erleben zu können. Für die nächste Partie am 25. November hätte der FCN locker und leicht 100.000 Karten verkaufen können, empfing er doch den deutschen Meister und Tabellenführer, den FC Bayern.