Ally Taylor

Make it count – Dreisam

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Ally Taylor

Ally Taylor liebt Filme und Serien, braucht Musik wie der Fisch das Wasser, trinkt ihren Espresso schwarz und bitter (so wie das Leben) und ist mit einem Mann zusammen, der sie filmreif liebt und ihr jeden Abend die Füße massiert. Sarkasmus ist ihr zweiter Name, und Klischees sind nur Teil ihrer fiktionalen Welt. Oder aber sie ist nur die amerikanische Identität der deutschen Autorin Anne Freytag.

Impressum

© 2016 der eBook-Ausgabe Knaur eBook

© 2016 Knaur Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Ilse Wagner

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Getty Images/Stockbyte

ISBN 978-3-426-43541-0

 

Für meinen Bruder

(weil es ohne ihn kein Ende gäbe)

 

&

 

für meine Schwester

(weil sie diese Geschichte so sehr liebt)

 

Julie

Stille. Als hätte man die Welt ausgeschaltet. Ich höre nur meinen Puls und ein dumpfes Rauschen. Das Wasser umhüllt mich, nimmt mich in die Arme, lässt nichts zwischen uns kommen. Wie eine zweite Haut. Es ist seltsam. Ich müsste nur einatmen. Ein tiefer Atemzug. Dann wäre alles vorbei. Ich öffne die Lippen einen Spalt, und das Wasser dringt in meinen Mund. Immer tiefer. Bis in den Rachen. Es schmiegt sich an die Schleimhäute. Nur der Geschmack von Chlor ist falsch.

Die Welt ist verschwommen. So als würde sie sich zurücknehmen. Als wären die Regeln plötzlich andere. Ich bin noch immer ein Teil von ihr, aber eben schwerelos schwebend in dieser perfekten Temperatur, zwischen kalt und erfrischend. Alles pulsiert, ist unscharf und weit weg, während das Wasser mich verschluckt. Meine Lunge rebelliert. Sie sucht nach Luft, findet aber keine. Meine Arme und Beine von mir gestreckt, liege ich da und starre von unten zur Wasseroberfläche hinauf, die inzwischen fast glatt geworden ist. Alles ist friedlich. Ich bin allein in der Stille. Niemand kann mich ansprechen. Niemand findet in diese Welt. Sie gehört mir, und es gibt keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle. Freier. An dem ich mich lebendiger fühle. Diesen einen Atemzug vom Tod entfernt. Mein langes Haar treibt in Richtung Oberfläche. Wie braune Flammen, die in Zeitlupe neben mir hochsteigen. Jeden Augenblick muss ich Luft holen. Alles in mir will atmen. Die Panik setzt ein. Langsam. Schleichend. Ich brenne von innen, während das Wasser mich angenehm kühlt. Meine Muskeln zucken, so als wollten sie mich aufwecken. Als wollten sie mir zeigen, dass das kein Traum ist. Dass ich endlich atmen muss. Luftblasen verlassen meine Lunge und steigen auf. Es waren die letzten. Ich bin leer. Ich schließe einen Moment die Augen und genieße die Stille.

Ein dumpfes Geräusch lässt mich unvermittelt hochschauen. Das Wasser ist aufgewühlt, voll winziger Bläschen, ein Umriss, Hände, die nach mir greifen, dunkle Augen, die mich ansehen, starke Arme, die mich packen, sich eng um mich legen. Ich spüre Muskeln, die sich anspannen, spüre, wie mich jemand festhält, dann stößt er sich vom Boden ab. Der Luft entgegen. Und mit ihr dem Lärm und dem Leben.

Mein Kopf stößt durch die Wasseroberfläche. Alles dreht sich. Die Welt pulsiert, während ich nach Luft ringe. Ich habe die Orientierung verloren. Vielleicht habe ich es dieses Mal übertrieben. Alles in mir brennt. Jeder Atemzug. Vielleicht war das zu viel. Die Welt dreht sich schneller, als meine Augen ihr folgen können. Bis sie etwas finden, das sie unwiderstehlich anzieht. Einen Fixpunkt. Ich gehe ins Netz, als wäre er ein Köder. Als wäre ich die Nadel und er der Norden.

»Fuck! Alles okay?«, fragt er atemlos.

Ich schaue in dunkle Augen. In ein Gesicht, das mich trifft wie ein Kinnhaken. Sein Körper presst meinen gegen die Pool-Wand, seine Arme legen sich um mich wie ein Schutzschild, während ich einfach nur versuche zu atmen. Ich erliege dem Ausdruck in seinen Augen wie einem Giftpfeil, der mich aus dem Nichts zwischen die Schultern trifft. Diesem fremden Gefühl. Der Gänsehaut, die sich um meinen Körper spannt. Dem plötzlichen Krampf in meinem Magen, der sich rumorend ausbreitet. Ich atme flach, aber ich atme. Ich spüre, wie sich meine Eingeweide bei seinem Anblick abrupt zusammenziehen. So als würden sie von zwei Händen tief in meinem Inneren ausgewrungen. Wie Teig, der geknetet wird. Sein Herz schlägt gegen meines.

»Bist du okay?«, flüstert er, und ich nicke, weil ich nicht sprechen kann. Er wischt sich das Haar aus der Stirn. Es ist so dunkel wie seine Augen. Ein Ton wie Zartbitterschokolade. An seinen langen Wimpern sammeln sich Wassertropfen und laufen über seine Wangen. Sein Brustkorb drängt sich an meine Brust. Sein Becken berührt meines.

»Sicher?«

»Es geht mir gut …« Tut es das? Geht es mir gut?

Meine Augen gleiten über seine Lippen. Über diesen Mund, auf dessen Winkel sich ein schiefes Lächeln legt, während seine Augen mich festhalten. Ich spüre sie wie Hände auf meinem Gesicht. Aber eigentlich ist es nur ein Moment, den unsere Augen teilen. Ein Blick wie eine Berührung, wie ein Kuss, wie ein Traum.

»Du … du kannst mich jetzt loslassen …« Habe ich das gerade gesagt? Und wenn ja, warum?

»Okay«, flüstert er, bewegt sich aber nicht. Bei jedem Atemzug presst sich seine Brust gegen meine. Außer unserem flachen Atem und dem Plätschern des Wassers ist alles still. Weit entfernt brechen die Wellen und donnern an Land. Meine Welt ist stehengeblieben. Sie ist eingefroren. Sie besteht nur noch aus diesem Anblick. Meine Augen baden in seinem Gesicht. Versinken in seinen maskulinen Zügen, den dichten Brauen und dem Dreitagebart. Das Problem ist, er weiß, wie gut er aussieht. Und außerdem gibt es da noch die Sache mit Kyle. Bei diesem Gedanken wird das Rauschen der Wellen plötzlich lauter.

Mein Körper will den Moment noch behalten, aber es macht keinen Sinn. Typen wie er sind das Zeug, aus dem Alpträume gemacht sind. Verdammt reich und genauso sexy. Das sind die, die denken, sie können alles haben. Aber da ist etwas hinter der Bad-Boy-Fassade in teuren Klamotten. Verborgen hinter diesem Lächeln, das ich als Pochen in meinem Bauch spüre, erkenne ich einen klitzekleinen Hauch Peter Pan. Er versteckt sich ganz tief in diesen schwarzen Augen, die ein Spiel mit mir spielen.

»Wie heißt du?«, flüstert er, und ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut.

»Julie … Julie Donovan …«

»Ich bin Jake Baker …«

Seine Lippen sind nur noch ein paar Zentimeter von meinen entfernt. Unser Atem vermischt sich, und der Kuss schwebt wie eine Phantasie zwischen unseren Lippen. O mein Gott, ich wollte noch nie jemanden so dringend küssen wie ihn. Ich bin benommen und betäubt. Wie im Rausch. Dann weicht er ein Stück zurück und sieht mir ein letztes Mal tief in die Augen. Da ist kein Lächeln. Nur dieser fordernde Blick, der mein Gehirn in vier Zügen schachmatt setzt, und dieser undurchdringliche Abgrund dahinter. Jake lässt mich los, aber seine Arme hinterlassen warme, kribbelnde Abdrücke auf meiner Haut. Er schaut ein letztes Mal zu mir, dann stößt er sich ab und stemmt sich aus dem Wasser.

Jake

Ich ziehe sie aus dem Wasser und halte sie fest, weil ich nicht anders kann. Meine Hände suchen ihre Nähe. Und nicht nur sie.

Die Jeans klebt kalt an meinen Beinen, das Shirt auf meiner Haut. Ich höre, wie mir das Blut durch die Adern rauscht. Mein Herz rast und meine Finger kribbeln. Wassertropfen laufen über mein Gesicht. Aber das ist es nicht. Das ist alles egal. Fuck. Ich atme tief ein und sehe sie an. Ertrinke in ihren türkisblauen Augen. Und diesem Ausdruck in ihren Tiefen, der sich wie eine Faust um mein Herz legt. Was ist los mit mir?

»Ich.« Sie sieht an sich hinunter, und ich folge ihrem Blick. »Ich muss mich umziehen …«

Ihr flacher Atem hebt und senkt ihre Brüste, das lange braune Haar klebt strähnig auf ihrer Haut, ihre nackten Beine schimmern, Wassertropfen zeichnen ihre Konturen nach. Sie sieht mich an. Ihre Augen sprechen mit mir, flüstern mir etwas zu. Etwas, das ich nicht verstehe. Ich spüre ihren Atem auf meiner Haut. Ihre Lippen locken mich an. Sie schluckt hart und lässt meine Hand los.

»Ich mich auch«, sage ich schließlich und weiche einen Schritt zurück.

Julie streicht sich eine Strähne hinters Ohr und sieht mich an. Unschuldig. Zerbrechlich.

Ich sehe ihr zu, wie sie ihre Tasche aufhebt und in Richtung Strand verschwindet. Sie dreht sich ein letztes Mal um und lächelt mich an, und dieses Lächeln läuft als Schauer über meine Haut. Das ist nicht gut. Aber es fühlt sich phantastisch an.

Ich parke den Wagen und laufe in Richtung Haus, und da steht Denise.

»Jake, da bist du ja endlich«, sagt sie und schaut mich gespielt beleidigt an. »Ich warte schon seit einer halben Stunde.« Fuck. Wie konnte ich das vergessen? Ich atme tief ein und schaue sie an, während meine Gedanken wieder zu Julie driften. Zu der Art, wie sie mich angesehen hat. Ihrem Körper an meinem. Ich schlucke hart. »Was ist passiert?« Denise sieht an mir hinunter und legt ihre Hand knapp neben meinen Schritt. »Warum bist du so nass?«

Normalerweise würde das reichen. Ich weiß, dass es reichen würde. Ich würde sie jetzt küssen, und in ein paar Minuten würde ich sie ficken. Und es wäre gut. Vielleicht nicht gerade weltklasse, aber gut. Ich wünschte, ich hätte Julie nie gesehen. Sie und diese Augen, die mich verfolgen. Die mich nicht loslassen. Das Adrenalin jagt durch meinen Körper, und mein Brustkorb zieht sich zusammen. Los, konzentrier dich, Jake. Auf Denise. Auf ihre Wahnsinnstitten. Sie lächelt mich an. Ich könnte sie flachlegen. Jetzt. Ganz ohne das beschissene Date, auf das ich ohnehin keine Lust hatte. Sie rückt näher an mich heran. Ihr warmer Körper drängt sich an meinen. Komm schon, werd endlich hart.

»Wir sollten dich aus den nassen Klamotten rausholen«, flüstert sie, und ich spüre ihren Atem auf meiner Wange. »Es hat ganz schön abgekühlt …« Ich drücke sie von mir weg und sehe ihr in die Augen. Schaue auf ihren Mund. Sie sieht mich von unten an und befeuchtet sich die Lippen. »Komm schon, lass uns reingehen …«

Okay. Du kriegst das hin. Ich atme tief ein, und die Luft dehnt meinen Brustkorb. Du willst sie. Sie ist heiß. Ja, sie ist heiß. Aber ich will sie nicht mehr. Fuck.

»Denise … ich …«

Der dünne Stoff von ihrem weißen Kleid ist nach unserer Umarmung feucht und durchsichtig. Ihre Brustwarzen ziehen sich zusammen und zeichnen sich darunter ab. Mein Atem geht schneller. Aber mein Kopf macht nicht mit. Er will Julie. Und allein beim Gedanken an diesen Ausdruck in ihren Augen und ihre kleinen festen Brüste werde ich hart.

»Gib mir fünf Minuten«, sage ich und zwinge mich dazu, zu lächeln. »Ich ziehe mich schnell um.«

Ich laufe nach oben, werfe die nassen Sachen ins Bad und renne nackt ins Schlafzimmer zurück. Ich greife gerade nach dem Handtuch, das ich vorhin nach dem Duschen aufs Bett geworfen habe, und trockne mich oberflächlich ab, da höre ich, wie unten die Tür aufgeht.

»Jake?«

»Ich bin gleich da!«, rufe ich und ziehe frische Kleidung aus meiner Reisetasche. Und bei jedem Handgriff sehe ich Julie und diesen Blick, der mich für einen Moment alles andere vergessen lässt. Da sind nur ihre großen, beinahe kindlichen Augen und diese zweideutige Aufforderung, die die Unschuld durchbricht. Sie lauert hinter der Fassade.

Ich habe nur ein paar Minuten mit ihr verbracht. Ein paar Minuten. Ich kenne sie nicht. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist, aber etwas an ihr zieht mich unwiderstehlich an. So, als wäre zwischen uns ein unsichtbares Band, über das sie die Kontrolle hat. Und damit auch über mich.

Ich habe in meinem Leben wirklich schon viele attraktive Frauen gesehen. Frauen, die so schön waren, dass ich sogar kurz an Gott geglaubt habe. Aber Julie ist so viel mehr als nur schön. Sie ist unnahbar und provokant, zerbrechlich und zart, aber gleichzeitig so verdammt sexy, dass ich ihr am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte.

Ich greife nach den Boxershorts und der Jeans und ignoriere die Tatsache, dass allein der Gedanke an diesen Ausdruck in ihren Augen gereicht hat, dass ich hart werde. Diese unbeschreiblichen Augen, die mir etwas vormachen. Die mich täuschen und mit mir spielen. Die mir etwas versprechen und gleichzeitig so tun, als wäre sie zurückhaltend und schüchtern. Ein Teil von mir will sie beschützen, der andere über sie herfallen, und das in derselben Sekunde.

»Jake?«

»Ich bin gleich so weit. Einen Moment …«

Aber sie wartet nicht. Sie geht einfach die Stufen hoch und öffnet die Tür. Ihr Blick fällt auf meinen steifen Schwanz, und sie lächelt.

»Einen Augenblick dachte ich wirklich, du willst nicht …« Sie kommt näher und streift sich die Träger über die Schultern. Ich stehe nur da, das Handtuch in der Hand. Ich will etwas sagen, aber ich weiß nicht, was. »Ich brauche kein Date«, haucht sie und lässt das Kleid zu Boden fallen. Fuck. Beim Anblick dieser Titten pulsiert mein Schwanz, und sie grinst.

Sie schubst mich, und ich stolpere einen Schritt rückwärts, bis ich die Bettkante in den Kniekehlen spüre. Denise drückt mich in die Matratze und kniet sich zwischen meine Beine. Sie schiebt sich lächelnd ihr Haar aus dem Gesicht und gleitet langsam nach unten. Hör auf zu denken. Hör einfach auf. Vor einer Stunde wäre das der Hammer gewesen. Genau das wollte ich von diesem Date. Ich wollte sie ficken. Und jetzt? Ihre Lippen öffnen sich und legen sich eng um meinen Schwanz. Fuck. Ihre Zunge fährt den Schaft entlang, während sie den Kopf auf und ab bewegt. Ich schließe die Augen und atme scharf ein. Alles in mir spannt sich an. Jeder Muskel verkrampft sich. Ja, sie kann blasen.

Julie

Der laue Abendwind streift meine Haut und lässt mich erschauern, während ich zu den Angestellten-Unterkünften gehe. Ich bemerke nur am Rande, wie stark meine Unterlippe zittert. Dafür bin ich viel zu abgelenkt von den zitternden Muskeln in meinen Armen und Beinen. Und von meinen Brustwarzen, die sich in diesem Augenblick zusammenziehen und gegen den dünnen Stoff des BHs reiben. Von der Gänsehaut, die jedes noch so kleine Haar an meinem Körper wie in Zeitlupe aufrichtet. Und von diesem rasenden Herzschlag, der jeden meiner Schritte begleitet wie ein aufgeregter kleiner Wachhund. Ich rede mir ein, dass ich friere, aber die Wahrheit ist, nur meine Unterlippe friert. Der Rest ist Jake.

Die nasse Kleidung klebt bleiern an meinem Körper. Beinahe wie die Gedanken, die ich nicht abschütteln kann. Zwischen den zugegebenermaßen kläglichen Ablenkungsversuchen meines Gehirns bleibe ich immer wieder an Jake Bakers kantigem Gesicht hängen. An seinem Lächeln. Und diesem Blick. Und diesem Kinn.

Ich steige die Stufen zu unserem Apartment hinauf, während meine Gedanken weiterhin wie eine Klette an diesen dunklen Augen hängen, in denen ich beinahe ertrunken wäre. Ich will gerade die Tür aufschließen, als mich ein hysterisches Kreischen fast zu Tode erschreckt.

»Ah, Süße, da bist du ja!!!«

»Verdammt, Caroline, willst du mich umbringen?«

Mein Herz stolpert gegen meinen Brustkorb, und das Adrenalin rauscht durch meinen Körper. Und dieses Mal ist es nicht nur Jake. Sie ignoriert meine vor Wut zusammengekniffenen Augen und mustert mich.

»Will ich wissen, warum du klatschnass bist?«

»Nein …«

»Okay, dachte ich mir … Du hast echt ’nen Knall, Jules.«

»Da redet die Richtige«, flüstere ich grinsend. »Wie lang bist du schon da?«

»Vielleicht zehn Sekunden«, sagt sie und lächelt mich an.

»Dann gebe ich dir eine Führung.« Ich halte die Karte an die Tür, und sie springt auf. »Komm schon, ich zeige dir alles.«

Ich nehme sie bei der Hand und ziehe sie hinter mir her. »Das ist die Küche.« Sie ist sehr rudimentär eingerichtet mit ihren vier Kochplatten, dem ziemlich verlebten Kühlschrank und den abgenutzten Hängeschränken. In der Mitte stehen ein weißer Plastiktisch und vier passende Stühle. Und an der Wand direkt neben der Eingangstür ein improvisiertes Regal mit ein paar kümmerlichen Vorräten. »Und hier« – ich zerre sie in einen winzigen Flur – »ist das Bad. Es ist klein, aber es ist sauber.«

»Machst du Witze?«, fragt sie und schüttelt den Kopf. »Wir haben unser eigenes Bad!«

»Jep, so ist es …«

Sie steckt den Kopf hinein und schaut sich um. Hellblaue quadratische Pool-Fliesen, die vielleicht bei einem Bauprojekt übrig geblieben sind, ein kleines Waschbecken mit Spiegel und Ablage, ein Fenster so groß wie ein Schuhkarton und eine winzige Dusche mit einem ziemlich abgenutzten Plastikvorhang, der irgendwann einmal vermutlich weiß war und nun eher in Richtung sandfarben geht. Im Vergleich zu den Sammelduschen ist das aber trotzdem der Himmel auf Erden.

»Und das hier« – ich ziehe sie hinter mir her – »ist dein Zimmer.« Ich stoße eine Tür auf. »Meins ist direkt gegenüber.« Ich beobachte sie, während sie sich umsieht. Zugegeben, wenn man es genau nimmt, erinnern die Zimmer eher an zwei begehbare Wandschränke, aber wir schlafen hier ja nur.

»Jeder sein eigenes Zimmer und ein Bad?!«, sagt Caroline grinsend.

»Was will man mehr?«

»Später noch auf einen Sprung zur Strandparty? Und davor vielleicht noch ein kaltes Bier?«

Ich muss lachen. »Bier ist im Kühlschrank, und was die Party angeht …« Ich will gerade einen Grund dagegen finden, als mir der Gedanke durch den Kopf schießt, dass Jake auch dort sein könnte, und ich höre mich sagen: »Warum eigentlich nicht?«

»Aber ich treffe Lucas dort«, sagt sie vorsichtig. »Ist das blöd für dich?«

»Überhaupt nicht …«

»Oh, Jules, ich freue mich so auf den Sommer!«

»Nur noch mal kurz wegen den Zimmern …« Ich zeige auf die Tür rechts neben mir. »Du kannst gerne auch dieses hier haben, aber da kann man von der Terrasse aus reinschauen. Ich dachte, Luke und du braucht die Privatsphäre dringender als ich.«

»Du bist die Beste! Genau deswegen liebe ich dich!« Sie strahlt mich an. »Ach, Jules, wir haben einen ganzen Sommer, der noch vor uns liegt, einen echt gut bezahlten Job, Leute, die uns in Ruhe lassen, und einen Haufen heißer Typen …« Sie wirft ihre Handtasche aufs Bett, nimmt sich den Rucksack von den Schultern und stellt ihn ab. »Apropos heiße Typen …«, sagt sie lächelnd, und ich denke natürlich sofort wieder an Jake. »Du hast Kyle gerade verpasst.«

»Verpasst?«, frage ich und fühle mich auf eine seltsame Art ertappt. »Warum?«

»Hat ’ne Nachtschicht«, antwortet sie.

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch, die haben wohl irgendwas durcheinandergebracht. Er hatte nur noch Zeit, zu duschen, und musste sofort weiter … armer Kerl.«

»Und in welchem Apartment wohnt er?«

»In 7a.«

Jake

Sie bebt unter mir. Ihr Atmen wird zum Stöhnen, und dieser Klang vibriert überall. Das Raunen bin ich, und der Film in meinem Kopf macht mich fertig. Julie liegt unter mir. Ihr Körper umschließt meinen. Und ich bekomme nicht genug davon. Will tiefer. Immer noch tiefer. Mit geschlossenen Augen genieße ich die Bilder mit dem Gefühl von weicher Haut unter meinen Händen. Den Geruch von Schweiß. Nicht mal das Kondom stört mich. Alles ist perfekt. Ich schiebe mich in sie hinein. So tief, dass mein Schwanz komplett in ihr verschwindet. Fuck, sie ist feucht. Ihr heißer Atem trifft mein Gesicht, ihre Hände halten mich, klammern sich an mir fest. Ihr Körper zuckt unter meinem, und die Anspannung steigt immer weiter. Ihre Muskeln zittern. Ich spüre es. Gleich wird sie kommen. Sie stöhnt ungeduldig, flehend. Sie muss kommen. Sie muss, weil ich es nicht mehr lange halten kann. Julie atmet ein letztes Mal scharf ein und schließt die Augen. Ihr Mund ist zu einem stummen Schrei geformt. Sie hält die Luft an und erstarrt unter mir. Bohrt ihre Finger in mein Fleisch. Und dann kommt es. Das Pulsieren. O fuck. Fuck! Ihr Körper massiert meinen Schwanz. Ich bewege mich schneller. Okay. Gleich. Jeden Moment. Dann öffne ich die Augen und sehe in das falsche Gesicht. Das war ein Fehler.

»Mein Gott, Jake«, flüstert sie atemlos, »das war …« Denise liegt auf dem Rücken, ihre Brust hebt und senkt sich hektisch. Sie versucht das zu beschreiben, was eben zwischen uns passiert ist, nur dass es eben nicht zwischen uns passiert ist. Mein Kopf hat mit Julie geschlafen, und zur Strafe bin ich nicht gekommen. Die Wut flutet meinen Körper. Sie brennt bis in meinen Magen. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so scharf gewesen zu sein wie in diesem Moment. Und trotzdem muss ich meinem beschissenen Schwanz dabei zusehen, wie er in sich zusammenfällt. Denise dreht sich zu mir und stützt den Kopf auf die Hand. »Ich habe keine Worte dafür«, flüstert sie. »Im Ernst, Jake, das war unbeschreiblich.«

Ich steige in meine Boxershorts und zwinge mich zu einem Lächeln. »Ja, es war … ziemlich gut.« Bis ich dich gesehen habe. Ja, das ist scheiße, und es ist unfair, aber es fühlt sich an, als hätte ich mich beim Kommen verschluckt. Wie ein Niesreiz, der in dem Bruchteil einer Sekunde vor dem Niesen dann doch noch einen Rückzieher macht.

»Machst du Witze?«, fragt sie und legt ihre Hand auf meine. »Das war der beste Sex, den ich je hatte.«

»Der beste Sex, den du je hattest, hu?«, frage ich grinsend. Ich bücke mich nach der Jeans, die ich vorhin aus meiner Reisetasche gezogen habe, und ziehe sie an.

»Wo willst du hin?«, fragt sie, als ich ihr das Kleid hinwerfe.

»Ich habe noch eine Verabredung.«

»Wie meinst du das, eine Verabredung?«, fragt sie und schaut beleidigt.

»Na, eine Verabredung eben«, sage ich, ziehe mir das dunkelblaue Shirt über den Kopf und greife nach meinem Handy, aus dem noch immer Wasser tropft. Das Teil kann ich vergessen. Na ja, was soll’s, dann muss ich mich eben durchfragen. Ich werfe es aufs Bett zurück.

»Aber ich dachte …«

»Süße, glaub mir, ich bin kein Typ für mehr«, sage ich trocken. Sie schaut mich von unten an. »Ich dachte, das war klar.«

»Können wir uns trotzdem wiedersehen?«

»Sicher«, antworte ich. »Aber jetzt muss ich los.«

Meine Augen sind abgerichtet. Ich suche in einem Meer aus Gesichtern nach diesem einen. Diesen Augen und diesem Blick, der mich in nur ein paar Sekunden um den Finger gewickelt hat. Ich schaue mich weiter um. Warum ich dachte, dass sie hier sein wird, weiß ich auch nicht. Hoffnung, vermutlich.

»Jake?«

Ich drehe mich um.

»Andrew?! Hey!«

»Wusste ich es doch, dass du es bist!«, sagt er nickend. »Was führt dich nach Oceanside?«

Ich zucke mit den Schultern. »Familie …«

»Moment, war die nicht in Clearwater?«

»Doch«, antworte ich und ignoriere den Stich in meinem Herzen, den die Erinnerungen dort hinterlassen.

»Aber?« Andrews Stimme dringt zu den Gedanken in meinem Kopf.

»Mein Bruder arbeitet den Sommer über hier.«

»Ah, okay.« Er grinst dieses schiefe Grinsen. »Ist echt schön, dich zu sehen. Mensch, wie lang ist das jetzt her?«

»Puh … bestimmt vier, fünf Jahre …«

»Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.« Andrew sieht knapp an mir vorbei und verdreht die Augen. »Oh, nicht doch«, flucht er leise.

»Was ist?«

»Dahinten ist mein Dad.«

»Was macht er hier?«

»Vermutlich überreicht er irgendeinen Scheck.«

»Mr. MacDougall, der alte Wohltäter«, antworte ich grinsend.

»Pff … ja, genau!«

»Es ist also nicht besser geworden?«

»Im Gegenteil«, antwortet Andrew und zeigt in Richtung Bar. »Ich brauche ein Bier … Auch eins?«

Wir lassen das Geld, die gemachten Titten und das aufgesetzte Lächeln hinter uns und gehen an den Strand. Das Bier kühlt meinen Kopf. Der Alkohol betäubt mein Gehirn und damit die Gedanken, die sich nicht von Julie verabschieden wollen, während die Wellen auf den Sand donnern und sich dann langsam wieder zurückziehen.

»Ist alles okay bei dir?«, fragt Andrew, als er sich neben mich setzt. »Du bist ungewohnt still.«

»Ich … doch, ja, alles bestens …« Ich nehme einen großen Schluck Bier, dann frage ich: »Wenn es mit deinem Dad so beschissen ist, was machst du dann hier? Ich meine, du könntest den Sommer doch auch in Boston verbringen?«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich war länger nicht dort …«

»Was ist mit der Uni?«

»Geschmissen …« Eine Weile schweigen wir, dann schließlich sagt er: »Und zu deiner Frage, warum ich hier bin … vermutlich, weil ich nicht genau weiß, wo ich sonst hin soll.«

So kenne ich Andrew nicht. So nachdenklich und ernst. Der Andrew von früher hat zu viel gesoffen, die Nächte durchgefeiert und andauernd gekifft, weil er damals dachte, dass das zum Erwachsenwerden dazugehört. Woher ich das weiß? Weil ich dabei war. Bei jedem Bier, jedem Joint und jeder Nacht. Wir waren zusammen im Internat. Und die besten Freunde. Halbstarke Milchgesichter, die alles gevögelt haben, was sie kriegen konnten. Wir haben sogar Wetten abgeschlossen, wer es wohl zuerst schafft, ein bestimmtes Mädchen flachzulegen. Ich denke, wir hatten zu viel Geld und zu viel Langeweile. Und irgendwie trotzdem eine tolle Zeit.

»Warte mal, hattet ihr nicht dieses Strandhaus in Clearwater?«

»Doch.« Die Erinnerungen an meine Kindheit wollen mein Gehirn fluten, aber ich lasse sie nicht. »Da wohne ich zurzeit auch.«

»Wo warst du davor?«

»Ich hab nach dem College für eine Weile in der Firma meines Vaters gearbeitet, und dann bin ich nach Europa gegangen … ich war die letzten drei Jahre dort.«

»Wow«, sagt Andrew und nickt. »Klingt gut.«

»Das war es.« Mehr als das. Vielleicht sollte ich einfach wieder dorthin gehen.

»Warum bist du zurückgekommen?«

»Keine Ahnung«, antworte ich seufzend. »Es war irgendwie an der Zeit …«

Das ist eine Lüge. Ich drifte in Gedanken zum wahren Grund. Er bohrt sich schmerzhaft in meine Lunge.

»Kennst du die Kleine da?«, reißt mich Andrews Stimme in die Realität zurück. Er nickt mit dem Kinn zum Steg hinüber. »Sie starrt schon die ganze Zeit hier rüber.«

Eine Sekunde lang habe ich Hoffnung, aber es ist nicht Julie. »Nein, keine Ahnung, wer das ist.«

»Sie scheint Interesse zu haben.«

»Ich aber nicht«, entgegne ich abschätzig.

»Was ist? Sie ist doch ganz niedlich.«

»Nicht mein Typ …«

»Wir haben uns ganz offensichtlich zu lange nicht gesehen«, sagt Andrew lachend. »Der Jake, den ich kannte, hatte keinen Typ. Dem hat die Tatsache gereicht, dass sie Titten hat …«

»Witzig …«

»Nein, im Ernst, seit wann hast du einen Typ?«

Seit drei Stunden, denke ich und spüre den eisigen Schauer, der sich wie in Zeitlupe auf meinem Rücken ausbreitet.

»Also, ich bin nicht interessiert, aber wenn du sie willst, bitte, viel Spaß.« Er sagt nichts, und sein Gesicht wird ernst. »Was ist?!«, frage ich grinsend. »Sag bloß, es gibt eine Frau?«

»Hm«, murmelt er.

»Echt jetzt!? MacDougall, du überraschst mich!«

»Lach ruhig, Jake, aber irgendwann wird dir das auch passieren. Irgendwann kommt eine, mit der ist es anders.« Er wischt sich die Haare aus der Stirn, aber der Wind wirbelt sie sofort wieder in sein Gesicht zurück. »Glaub mir, es wird eine kommen, die willst du nicht nur flachlegen …«

»Sondern?«

»Beschützen.«

»Beschützen«, flüstere ich, während mein Herz mich fast erschlägt. Mir wird plötzlich schwindlig. Ein dünner Schweißfilm legt sich auf meine Haut. Seine Worte verknoten meinen Magen. Sie lassen mich angestrengt atmen und meine Hände zittern. Andrew schaut nachdenklich aufs Wasser und nimmt einen großen Schluck Bier. »Dann hast du also eine Freundin?«, frage ich, um meine Gedanken von Julie zurück in die Realität zu holen.

Andrew schaut mich an und schüttelt den Kopf. »Nein, wir … wir sind nicht zusammen …«

»Warum nicht? Was ist passiert?«

»Nichts ist passiert«, antwortet er und lächelt. »Sie liebt einfach einen anderen.« Und auch wenn er versucht, es zu überspielen, es ist ein trauriges Lächeln. Getränkt von Erinnerungen.

Einen Augenblick schauen wir nur schweigend aufs Meer, dann schließlich sage ich: »Sie muss etwas Besonderes sein …«

»Das kann man so sagen«, flüstert er seufzend.

»Und lass mich raten« – er sieht mich an – »sie ist in Boston …«

»Du kennst mich immer noch zu gut …« Andrew grinst, steht auf und klopft sich den Sand von der Jeans. »Ich hole noch ein Bier. Für dich auch?«

»Warte, ich komme mit …«

Julie

Und sonst? Was gibt’s Neues?«, frage ich und versuche, es möglichst beiläufig klingen zu lassen, was Caroline natürlich sofort durchschaut.

»Warum fragst du nicht, was du eigentlich fragen willst?« Sie grinst.

»Okay«, antworte ich und schlucke. »Wie geht es Kyle?«

»Ich denke, gut …«

»Du denkst?«

»Na ja, er hat sich verändert …«

»Wie meinst du das, verändert?«

Caroline zuckt mit den Schultern. »Ich kann es dir gar nicht so genau sagen, aber seit deiner Abreise hat er nur noch trainiert und gearbeitet … sonst nichts …«

»Scheiße«, flüstere ich und atme tief ein. Dann hat er es also nicht vergessen.

»Jules, das ist nicht deine Schuld …«

Doch, ist es.

»Kyle und du seid nicht eine Person, ihr seid zwei eigenständige Wesen, und du musst deinen Weg gehen.«

»Ja, ich weiß …«

»Hey …« Sie legt ihre Hände auf meine Schultern. »Ich weiß, er ist dir wichtig, aber bitte hör endlich auf, dich schuldig zu fühlen.«

»Das tue ich aber.«

»Jules, du hast nichts falsch gemacht …«

»Und was, wenn doch?«

Ein seltsamer Ausdruck huscht über ihr Gesicht. »Wie meinst du das?«

»Ist egal … vergiss es …«

»Nein, ich vergesse es nicht«, sagt Caroline und schüttelt den Kopf. »Jules?«

»Ich habe Scheiße gebaut …«

»O nein …«, flüstert sie.

»Doch …«

»Aber … aber du hast nicht, ich meine …«

Ich kneife die Augen fest zusammen und presse die Lippen aufeinander, dann hole ich tief Luft und sage: »Ich habe mit ihm geschlafen.«

»Warum?!«

Ich suche nach einer sinnvollen Antwort. Nach einer Antwort, die mich nicht zum Flittchen macht, aber es gibt keine.

»Keine Ahnung …«

»Und wann?«

»An Lucas’ Geburtstag.« Ich sehe mich noch in diesem Gästezimmer liegen, ich spüre Kyles Körper auf mir, spüre die Bewegungen, seine sanften Küsse, die Zärtlichkeit.

»Also an deinem letzten Abend, bevor du an die Columbia gegangen bist …«

»Ja«, seufze ich.

»Verstehe …« Caroline lächelt mich an. »Vielleicht musste das passieren …«

»Was?«

»Na ja, ich meine, du und Kyle, ihr … ihr seid viel mehr als nur die besten Freunde … ihr seid so was wie … Seelenverwandte …«

»O Gott, ich hätte das nicht tun dürfen.«

»Jules, es war eigentlich nur eine Frage der Zeit.«

»Eine Frage der Zeit?«, frage ich gereizt.

»Wenn man es genau nimmt, musstest du es tun.«

»Was?! Was redest du denn da?«

»Komm schon, denk mal drüber nach.«

Ich suche nach Logik, ich versuche, ihr zu folgen, aber ich befürchte, da ist keine. »Und?«

»Ich finde, es macht Sinn …«

»Es macht überhaupt keinen Sinn … ich habe den einen Menschen verletzt, der mir am meisten bedeutet.«

»Jules, du hast ihn ja nicht dazu gezwungen, mit dir zu schlafen«, sagt sie lächelnd. »Ich bin mir sicher, er hatte eine gute Zeit.«

Daran darf ich gar nicht denken. Kyle und Jake verschmelzen in meinem Kopf zu einer Person. »Seit dieser Nacht ist alles anders. Wir sind anders.« Ich verstecke mein Gesicht hinter den Händen. »Ich wünschte, es wäre nie passiert.«

»Komm schon, irgendwann wäre es doch sowieso passiert … jetzt habt ihr es wenigstens hinter euch.«

»Hinter uns?«, frage ich verständnislos. »Hörst du eigentlich, was du da sagst?«

»Zugegeben, es klingt hart …« Ich will gerade Luft holen, da hebt sie abwehrend die Hände. »Ja, mag sein, dass diese Nacht zwischen euch steht, aber was, wenn sie schon immer zwischen euch stand?« Sie seufzt. »Jules, du wolltest wissen, ob es mehr ist … du hast es getan, weil du dachtest, er könnte der Mann deines Lebens sein … du hattest Angst, dass du eines Tages zurückblickst und dann erst begreifst, dass du die Liebe deines Lebens die ganze Zeit über vor der Nase hattest.«

Es stimmt. Deswegen habe ich es getan. Weil ich es mir schuldig war, sicher zu sein, dass er es nicht ist. Weil ich wissen musste, dass meine Liebe zu ihm da aufhört, wo unsere Körper anfangen. Eine Weile stehen wir nur schweigend zwischen den Türen zu unseren Schlafzimmern.

»Du hast recht … es stand immer zwischen uns.«

Sie schaut mich von der Seite an. »War es denn so schlecht?«

»Nein …«, flüstere ich heiser.

»Also war es gut …«

Ich nicke und schlucke.

»Nur gut?«

»Es war ziemlich gut, okay?«

»Aber nicht das, was du dir erhofft hast …«

»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich mir erhofft habe.«

»Aber du liebst ihn nicht«, sagt Caroline und sieht mich fragend an.

Die letzten Monate auf dem College habe ich genau darauf eine Antwort gesucht. Ich habe Kyle schrecklich vermisst. Ihn und uns. Ich habe versucht, mir eine Zukunft mit ihm auszumalen. Und dann eine ohne ihn. Aber es gibt keine Zukunft ohne Kyle. Auf dem Weg nach Oceanside war ich mir sicher, dass ich ihn will. Dass das zwischen uns viel mehr ist als nur Freundschaft. Dafür hat die Nacht zu viel bedeutet. Dafür war es zu intensiv. Ich denke an diesen Kuss, der alles verändert hat. Erst so sanft. So vorsichtig. Und dann so anders. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Kyle so sein könnte. Ja, ich dachte, ich wüsste die Antwort. Aber dann kam Jake.

Jake

Ich lehne an einem der Stehtische und beobachte Andrew, der es einfach nicht zur Bar und zurück schafft, ohne unterwegs mit dreitausend Leuten zu reden. Ganz schön anstrengend, wenn einen jeder mag. Ich war immer eher der Einzelgänger. Bis ich dann Andrew getroffen habe. Und natürlich mochte ich ihn. Weil jeder Andrew mag. Er ist witzig, umgänglich und hat was im Kopf. Er fliegt zwar von jeder Uni, aber das tut er, glaube ich, hauptsächlich, um seinen Vater zu ärgern.

Andrew war mein bester Freund, bis er aus dem Internat geworfen wurde. Eine Weile haben wir den Kontakt noch gehalten, aber irgendwann eben nicht mehr. Wir sind unterschiedliche Wege gegangen. Jeder seinen. Und jetzt kreuzen sie sich wieder. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber so fühlt es sich nicht an. Es ist wie damals. Nur heute. Die Wellenlänge ist geblieben.

Ja, dieser Andrew ist anders, und das nicht nur, weil er erwachsen geworden ist. Er ist weniger unbekümmert. Und weniger neureich – vielleicht rede ich da aber auch von mir. Wir sind älter geworden. Wir wollten etwas erleben, und das haben wir. Vielleicht nicht immer so, wie wir uns das gedacht haben. Vielleicht auch nicht mit den Menschen, die wir eigentlich gern dabeigehabt hätten, aber auf dem Lebensweg muss man Abstriche machen. Manche Erinnerungen sind Narben, und viele Entscheidungen waren falsch. Ich bin nicht der Typ, der bedauert. Auch die Fehler haben ihre Berechtigung. Nur die Sache mit meinem Dad, die bereue ich.

»Hey, tut mir leid, dass das alles so lang gedauert hat«, sagt Andrew und hält mir ein Bier entgegen. »Aber ich habe Jimmy ewig nicht gesehen …«