Lama Ole Nydahl
Von Tod und Wiedergeburt
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Lama Ole Nydahl ist einer der bekanntesten Buddhisten des Westens und wurde 1972 vom Karmapa, dem Oberhaupt der tibetischen Karma-Kagyü-Schule, als buddhistischer Lehrer nach Europa geschickt. Nur wenige Jahre später wurde er zum Lama ernannt. Seitdem bereist er die Welt, um Vorträge zu halten, Meditationskurse zu leiten und Zentren zu gründen – mittlerweile über 600 in Europa, Amerika und Australien; davon über 150 allein im deutschsprachigen Raum.
eBook-Ausgabe 2012
Knaur eBook
© 2011 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion, Recherche, Konzeption und Sprache: Catrin Hartung, Maike und Pit Weigelt, Michael Fuchs
Erstellung der Abbildungen und Graphiken: Mika Blauensteiner
Glossar: Manfred Seegers, Jim Rheingans, Burkhart Scherer
Sämtliche graphischen Illustrationen und Fotos:
Buddhismus-Stiftung der Karma-Kagyü-Linie
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Ifa
ISBN 978-3-426-41503-0
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Wir freuen uns auf Sie!
Doidge, N.: Neustart im Kopf. Wie sich unser Gehirn selbst repariert, 2008
Das »Leib-Seele-Problem« ist ein europäisches, die philosophischen Traditionen in Asien zum Beispiel halten diese Trennung in Geist und Körper für illusionär oder bedeutungslos.
Der Kardiologe Pim van Lommel befragte an zehn niederländischen Kliniken 344 Patienten, die nach einem Herzstillstand klinisch tot waren und erfolgreich wiederbelebt werden konnten. Van Lommel kommt zu dem Schluss, dass a) klares Bewusstsein auch in Phasen eines Herzstillstandes und vollständigen Erliegens der Gehirndurchblutung möglich ist, b) Bewusstsein nicht als Resultat der Gehirntätigkeit betrachtet werden kann. Vgl. van Lommel, P.: Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung, 2009, S. 170ff.
Das wohl einfachste Beispiel für die nicht duale, auf dem Sowohl-als-auch beruhende Quantenlogik ist der Welle-Teilchen-Dualismus: Das Licht kann je nach Betrachtung als Welle oder als Teilchen gesehen werden. Die spannendste Eigenschaft der Quantenfeldtheorie zeigt sich im Casimir-Effekt: Selbst in einem Vakuum brodelt es von virtuellen Teilchen, die aus dem Raum entstehen, für kurze Zeit bestehen und in den Raum zurück verschwinden.
Rosenkranz, Z.; Wolff, B.: Albert Einstein: The Persistent Illusion of Transience, 2007
Sheldrake, R.: Journal of the Society for Psychical Research 68, 168–172, 2004
»Ich glaube, wir müssen uns von der Idee lösen, dass Masse oder Energie das Primäre sind. Es könnte durchaus sein, dass das Primäre eben die Information ist.« Vgl. u.a. Zeilinger, A.: Einsteins Schleier – Die neue Welt der Quantenphysik, 2003; Einsteins Spuk – Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik, 2005
So erhielten 2007 Abert Fert (geb. 1938 in Frankreich) und Peter Grünberg (geb. 1939 in Deutschland) gemeinsam den Nobelpreis für Physik. Unabhängig voneinander entdeckten sie nahezu zeitgleich 1987/88 den Riesenmagnetowiderstand beziehungsweise GMR-Effekt (engl.: giant magnetoresistance).
A. Zeilinger in einem persönlichen Gespräch mit mir am 3. April 2006: »Es scheint, dass Information etwas ist, was über Zeit und Raum hinausgeht.«
Tsele Natsok Rangdröl: Wegweiser durch die vier Bardos, 2009; Tenga Rinpoche: Übergang und Befreiung, 1996
Nydahl, O.: Wie die Dinge sind, 2004
Dschetsün Gampopa: Der Kostbare Schmuck der Befreiung, 1996
Siehe Meditationen im Anhang
Vgl.: Nydahl, O.: Die Vier Grundübungen, Sulzberg, 2000
Eine Übungsreihe von vier verschiedenen Meditationen, die den Geist auf tiefer gehende Meditationen vorbereitet, vgl.: Nydahl, O.: Die Vier Grundübungen, Sulzberg, 2000
Manibhadra zählt zu den 84 Mahasiddhas. Diese großen Verwirklichten des alten Indien, Männer wie Frauen aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, verbanden auf einzigartige Weise ihre buddhistische Praxis mit ihrem Alltagsleben und sind daher wichtige Vorbilder für alle Laien und Verwirklicher bis heute.
Vgl. Lyubomirsky, S.: Glücklich sein: Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben, 2008
Graphik: Malte von Tiesenhausen
»Dead, but a brain wave lingers on«, New Scientist, 12.2.2011
Deutsches Statistisches Bundesamt, Erhebung von 2007
Siehe Kapitel »Die Wege zum Glück«
Hodge, S., u.a.: Das illustrierte Tibetische Totenbuch, 2000
In Belgien ist dies zum Beispiel folgendermaßen geregelt: Ein Gesetz von 2002 sieht eine Ausnahme im Strafgesetzbuch vom dort festgeschriebenen Verbot des Tötens vor. Danach soll aktive Sterbehilfe dann straffrei sein, wenn der Wunsch nach lebensbeendenden Maßnahmen von einem unheilbar kranken, volljährigen und bei Bewusstsein befindlichen Patienten mehrfach und freiwillig schriftlich oder vor Zeugen geäußert wird. Zwischen dem Wunsch nach Sterbehilfe und lebensbeendenden Maßnahmen muss ein Monat vergehen.
Informationsstelle Transplantation und Organspende (nur Totspenden, also keine Niere usw. von Lebenden entnommen) – letzte Statistik 2009
Deutsche Stiftung Organtransplantation – letzte Statistik 2009
Gewebespenden umfassen unter anderem Augenhornhaut und Knochen.
Pearsall, P.: The Heart’s Code, 1999
Vgl. die Wiedergeburt in den Daseinsbereichen im Kapitel »Die Wiedergeburt«
Foto: Thomas L. Kelly
Lopön Tsechu Rinpoche: Die Zwischenzustände, Teil 3, BUDDHISMUS HEUTE Nr. 31, 1992
Vgl. Kapitel »Die Vorbereitung auf den Tod«
Nydahl, O.: Über alle Grenzen, 2005, und Kapitel »Das Bewusste Sterben«
Vgl. Kapitel »Das Bewusste Sterben«
Sie wurden bereits 800 n. Chr. von den Schamanen zerstört.
Ausführliche Erklärungen sind bei meinem Lehrer Tenga Rinpoche zu finden, von dem ich selbst unter anderem mehrmals die Shitro-Einweihung erhalten habe: Tenga Rinpoche: Übergang und Befreiung, 1996
Der genaue zeitliche Ablauf hängt vom persönlichen Karma ab und kann auch wesentlich kürzer ausfallen.
Vgl. Kapitel »Der entscheidende Augenblick«
Milarepa, einer der bekanntesten tibetischen Verwirklicher und Hauptschüler Marpas, Lehrer Gampopas. Aufgrund seines unerschütterlichen Vertrauens in seinen Lehrer und seines Willens, selbst unter den schwierigsten Bedingungen zu meditieren, erlangte er die volle Verwirklichung in einem Leben.
Foto: Ginger Neumann
Vgl. Abb.: Günstige Zeitpunkte für »Phowa für andere«
Stand 2010
Vgl. Kapitel »Die Wege zum Glück«, Abschnitt Die Zuflucht
Foto: David Bauke
Quelle: Presseagentur RUFO, 6.12.2004
In meinen Büchern Die Buddhas vom Dach der Welt und Über alle Grenzen wird die Bedeutung Kalu Rinpoches für den Westen sehr deutlich.
Ein sogenannter Ku-Dung
Wir haben den folgenden Bericht seines betreuenden Arztes Dr. Mitchell Levy von mehreren tibetischen Freunden bestätigt bekommen. Vgl. Ray, R.: Secret of the Vajra World, 2001, S. 465–480.
Vgl. Kapitel »Der entscheidende Augenblick«
Ich möchte allen danken, mit deren Hilfe dieses Buch entstanden ist. Peter Speier sammelte meine Vorträge zum Thema und überreichte mir schon 1991 ein vollständiges Manuskript. Astrid Poier aus Graz gelang eine kürzere Zusammenstellung der Belehrungen 1993. Erst nach 2005 war aber die Zeit gekommen, sich auf dieses Buch einzustellen. Die vielen Fragen bei meinen Phowa-Kursen, die Erfahrungen mit Schülern beim Sterben und mein eigener Fallschirmunfall vertieften die Belehrungen.
Meine Caty – wie überall, wo Erfolg ist – begleitete das Entstehen dieses Buches die letzten zwei Jahrzehnte; Michael Fuchs und Pit und Maike Weigelt unterstützten uns die letzten fünf Jahre. Mika Blauensteiner verdanken wir die professionellen Fotos und Graphiken. Das umfangreiche Glossar erstellten wieder mit großer Sorgfalt Manfred Seegers, Jim Rheingans und Burkhard Scherer.
In unserem Europa-Zentrum, auf Sardinien und in Graz wurden wir wie immer liebevoll von unseren Freunden versorgt und konnten jeden Augenblick zum Schreiben nutzen.
Ich denke, viele werden ihnen allen mit mir danken.
Als meine Frau Hannah erfuhr, dass sie Lungenkrebs hatte, waren wir erschüttert, aber innerlich gefasst. Wir wussten, was uns und vor allem sie erwartete. Ihr Geist blieb weit, trotz unserer starken Liebe zueinander. Sie nutzte die letzten Monate ihres Lebens, so gut es ging, um ihre Arbeit abzuschließen, und verabschiedete sich dann einen Tag bevor sie ihre Sprache verlor bewusst von allen Freunden. Sie starb würdevoll mit einem Lächeln auf den Lippen.
Seit uns 1968 in Nepal Buddhas Lehre begeisterte, waren wir durch unsere tüchtigen Lehrer auf das Helfen anderer und den eigenen Tod vorbereitet worden. Meine Frau brauchte keine weiteren Belehrungen und wandte die entsprechenden Meditationen voller Vertrauen an. Ihre Umgebung konnte sich bestens auf ihre Bedürfnisse einstellen, denn auch sie wusste, was nun wichtig war, und so wurde sie liebevoll beim Sterben begleitet und unterstützt.
Auch die Trauerzeit um Hannah sah anders aus als üblich. Ich arbeitete nach einer kurzen Zurückziehung weiter, denn ich wusste, dass es ihr in dem jetzigen Zustand viel besser ging als in ihrem kranken Körper, und weil ich sicher war, dass wir in zukünftigen Leben freudvoll unser Wirken gemeinsam fortsetzen würden.
Dem Wunsch unserer Lamas und ihrer Übertragung entsprechend geschult, wurde ich über die Jahre zum Lehrer für diesen entscheidenden Augenblick im Leben. Mit steigender Freude kann ich immer wieder beobachten, welch heilsame Wirkung Buddhas Belehrungen auf verunsicherte Menschen haben, die nicht wissen, was sie am Lebensende erwartet.
Allen Schülern, die die Belehrungen zum zeitlosen Geist, zum Sterben, zum Tod sowie zur Wiedergeburt und vor allem die Übung des Bewussten Sterbens (Phowa) kennen, ist eine Sache gemein: Sie schauen unerschrocken in die Zukunft, denken an andere und sind Kraftspender für ihr Umfeld. Sie sind das stille Zentrum des Sturms, der angesichts eines bevorstehenden Todes meist über die Familie hereinbricht.
Mag dieses Buch vielen die Angst vor dem Sterben nehmen und ihnen helfen, schon jetzt die Samen für großes künftiges Glück zu legen!
Mit Blick über den See und die Berge im Europa-Zentrum im Juli 2010, im Segensfeld der Schützerin Weißer Schirm, am Tag von Schwarzer Mantel.
Euer Lama Ole
Alles fängt mit dem Zusammenschluss der größten und der kleinsten Zelle des Menschen an: der Eizelle der Frau und dem Spermium des Mannes. Aus dieser Verschmelzung entstehen innerhalb von neun Monaten Billionen von Zellen in 200 verschiedenen Ausprägungen. Nach einem Monat hat sich ein etwa sechs Millimeter großes Wesen gebildet, und vier Wochen später zeigen sich die Arme, Beine, Hände und Füße. Dabei ist die Entwicklung des Embryos nicht nur von Zellwachstum geprägt, sondern auch durch den Verfall von eben erst gebildeten Zellen. Damit die Hände später nicht wie kleine Paddel aussehen, müssen die Zellen der Schwimmhäute zwischen den Fingern sterben, denn erst dadurch werden die einzelnen Finger beweglich. Auch die Augäpfel könnten ohne gezieltes Absterben nicht vollständig ausgebildet werden, denn die Augen entwickeln sich aus einer einfachen Einstülpung der Haut zu einem komplexen Sinnesorgan. Ohne das Auflösen der Zellkerne in der ausgebildeten Linse wäre unser Blick im wahrsten Sinne des Wortes getrübt.
Ebenso entsteht im Gehirn zuerst ein Überschuss an Zellen, im weiteren Verlauf formen sich die Hirnareale durch die Rückbildung einzelner Zellen immer weiter aus. Doch die Erneuerung endet nicht – ganz entgegen der Annahme der Neurologie und Hirnforschung in den 90er Jahren, die das Gehirn bei Erwachsenen für nicht entwicklungsfähig hielten. Heute weiß man, dass es bis ins hohe Alter wandlungsfähig bleibt und selbst der Wegfall einer Hirnhälfte kompensiert werden kann.[1]
In der modernen Wissenschaft verabschiedet man sich zunehmend davon, den Menschen nur als eine Biochemiefabrik zu betrachten. Die ursprüngliche Annahme, dass das Gehirn den Geist »herstellt«, lag nahe, da sie sich gut in die materialistische Denkweise und europäische Geistesgeschichte einfügte.[2] Es wurde als eine wissensverarbeitende Maschinerie angesehen und das Bewusstsein auf eine dazugehörige Kontrollinstanz begrenzt. Dies ließ aber viele Bereiche ungeklärt, und hinzu kam das grundsätzliche Problem, dass der Geist Eigenschaften besitzt, die kein materieller Gegenstand aufweist.
In den letzten Jahren löst sich jedoch die Gehirnforschung zunehmend von dieser rein dinglichen Sichtweise und erweitert den Erfahrungshorizont über das neurobiologisch Erfassbare hinaus. Nicht nur, weil man hirnbiologisch viele Beobachtungen so nicht erklären kann, sondern vor allem, weil in der Nahtodforschung vermehrt nachgewiesen wurde, dass klare Erfahrungen unabhängig vom Gehirn möglich sind. Gewahrsein lässt sich also nicht darauf begrenzen – es ist eher ermöglichend als herstellend. In Befragungen von Menschen mit Nahtoderlebnissen berichten diese übereinstimmend von einem Gefühl der Ruhe und des Friedens (ca. 90 Prozent), von Lichtwahrnehmungen (ca. 77 Prozent) oder außerkörperlichen Wahrnehmungen.[3]
Ebenso wie die Quantenphysik entfernt sich auch die Gehirnforschung heute in großen Schritten von der Sichtweise, dass es nur die Wirklichkeit gibt, die man messen oder durch die Sinne wahrnehmen kann. In zunehmendem Maße gehen die Hirnforscher inzwischen davon aus, dass menschliche Wahrnehmung zu großen Teilen das Ergebnis einer geistigen Gestaltung ist. So ist zum Beispiel die Gehirnaktivität, abgesehen von der Aktivierung der Sinnesorgane, nahezu gleich, ob man einen Sonnenaufgang am Meer tatsächlich sieht oder sich mit geschlossenen Augen nur vorstellt. Es gibt zudem vielfache Hinweise darauf, dass das Bewusstsein nicht vom Gehirn hergestellt wird, sondern zeitlich, räumlich und örtlich unbegrenzt ist.
Insbesondere, wo Neurowissenschaften und Quantenphysik zusammenkommen, wird es aus buddhistischer Sicht spannend. Hier ergänzen viele Ansätze und Sichtweisen Buddhas 2500 Jahre alte Belehrungen. Während die klassische Physik von einer objektiven Wirklichkeit ausgeht, brechen sowohl die Quantenmechanik als auch die Relativitätstheorie mit dieser Vorstellung.[4] Ähnlich wie im Buddhismus geht man hier immer mehr davon aus, dass es keine Welt unabhängig vom Betrachter gibt, oder wie es Einstein einmal ausdrückte: »Realität ist eine Illusion, aber eine sehr hartnäckige.«[5]
Sowohl die Quantenphysik als auch der Buddhismus gehen über die dualistische Sichtweise hinaus, vermeiden die Extreme des Entweder-oder und bevorzugen stattdessen das Sowohl-als-auch. Vor 1200 Jahren drückte der Verwirklicher Saraha im Norden Indiens es lebensnah so aus: »Wer glaubt, die Welt sei wirklich, ist dumm wie ein Ochse. Wer glaubt, sie sei nicht wirklich, ist noch dümmer« (weil es auf bedingter Ebene gegen das Gesetz von Ursache und Wirkung – Karma – arbeitet).
Der Raum wird als an sich leer von eigenen Eigenschaften gesehen und dennoch als alles verbindend, alles Wissen enthaltend und von allem ungetrennt. An der Universität von Cambridge ließ Rupert Sheldrake im Herbst 2004 eine Gruppe von Menschen erraten, wer sie unter vier möglichen und ihnen bekannten Teilnehmern gerade angerufen hatte. Die Übereinstimmungen gingen weit über die statistisch zu erwartenden 25 Prozent von Versuch und Irrtum hinaus, sondern lagen bei 42 Prozent.[6]
Der Quantenphysiker Anton Zeilinger von der Universität Wien versteht die Quantenmechanik als eine Informationstheorie und hat zum Beispiel durch Versuche mit »verschränkten Teilchen« (Photonen) bewiesen, dass im Raum im selben Augenblick an unterschiedlichen Stellen ohne physische Übertragungswege dasselbe Wissen erscheinen kann.[7] So müssen Forscher häufig ihre Nobelpreise teilen, weil sie zwar zeitgleich, aber unabhängig voneinander in unterschiedlichen Ländern ihre Einsichten gewinnen.[8]
Dass unser Universum letztlich aus Information besteht, erschüttert die stark materiell geprägte Wissenschaft bis in die Grundfesten und bestätigt gleichzeitig die Belehrungen Buddhas, dass der alles umgebende Raum eher ein Behälter als etwas Trennendes ist, also kein schwarzes Loch, sondern vielmehr etwas, was die Wesen umfasst und verbindet.[9]
Verlässt man das bis jetzt gelehrte Weltverständnis und folgt den neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik, Neurowissenschaft und Nahtodforschung, ist Wiedergeburt einsichtig. Es ist vergleichbar mit einem Radio: Auch wenn das Gerät kaputt ist, spielen die Radioprogramme weiter. Wenn der Empfänger, das Gehirn, allmählich zerfällt, was beim Sterben der Fall ist, und immer weniger Programme abspielen kann, verschwindet nicht der gesamte Mensch, sondern nur seine materielle Erscheinung, alle seine Eigenschaften bleiben erhalten. Das, was man hat, vergeht, das, was man ist – der Erleber aller Dinge –, lebt weiter, jenseits von Raum und Zeit. Der Tod ist ebenso wie die Geburt nur ein Übergang in einen anderen Bewusstseinszustand. Der Erleber aller Dinge verbindet sich nach einem Zwischenzustand (sanskr.: antarabhava, tib.: bardo), in dem die am stärksten gespeicherten Eindrücke hochkommen, mit einem dazu passenden neuen Körper und in einer seinem Inhalt entsprechenden Welt.
Unser Gewahrsein – das, was jetzt durch unsere Augen schaut, durch die Ohren hört, durch die Haut spürt und an gestern oder morgen denkt, unser Geist, der dies alles kann, ist in seinem wahren Wesen sowohl zeitlos als auch unbegrenzt. Er ist wie ein Spiegel, in dem die Bilder kommen und gehen, er selbst verändert sich aber nicht. Er ist wie das Meer, in dem die Wellen entstehen und verschwinden, während das Meer jedoch beständig bleibt. Das bedeutet, dass unser Gewahrsein, dem alles entspringt, niemals hergestellt wurde und deswegen auch nicht auseinanderfallen kann. Weil der Erleber nicht geboren wurde, kann er auch nicht sterben. Nur unsere Körper werden, weil bedingt, vergehen.
Der Geist ist das, was alles erkennt, aber er bleibt von nichts begrenzt oder eingeengt. Er ist wie der Raum. Daher ist alles, was geschieht, sein freies Spiel. Ob Dinge entstehen oder sich auflösen, ob sie kommen oder gehen, alles zeigt den Reichtum des Geistes. Das Letztendliche ist zu allen Zeiten und überall vorhanden. Ständig spielt der Geist mit sich selbst, lässt Welten, Zustände, Neigungen und innere Erlebnisse voller Gedanken und Gefühle in und aus sich heraus geschehen. Erscheint äußerlich oder innerlich nichts, zeigt dies den Raum des Geistes, seine innewohnende Möglichkeit. Wird etwas erlebt oder geschieht etwas, zeigt dies dessen Klarheit und Fähigkeit zum freien Spiel. Dass beides zugleich vorhanden sein kann, verweist auf seine Unbegrenztheit.
Je mehr man versteht, dass der Geist an sich unzerstörbar ist, desto eher lösen sich Erwartungen und Befürchtungen auf, und man kann frei im Augenblick verweilen oder handeln. Man bleibt auf diese Weise immer seltener in seiner Vorstellungswelt von Vergangenheit und Zukunft hängen oder denkt, etwas beweisen oder entschuldigen zu müssen. Nach und nach entsteht eine Sichtweise, mit der alles spannend ist, bloß weil es geschieht und es die Möglichkeiten des Geistes ausdrückt. Statt Hoffnungen und Befürchtungen erlebt man plötzlich Raum und Freiheit außen wie innen und erfährt mit Wonne, wie viel Überschuss und Kraft die Wesen besitzen und weitergeben können und wie viel Reichtum sich entfalten kann. Ob etwas zusammenkommt durch Jugend, Kraft und Liebe oder sich durch Alter, Krankheit und Tod auflöst, beides zeigt das uferlose Spiel des Geistes, ist Ausdruck seiner unbegrenzten, ihm innewohnenden Möglichkeiten.
Über die Welt, das Leben, den Tod und das Danach machen sich die Menschen seit Jahrtausenden Gedanken, und es wurden unzählige Annahmen und Ansichten dazu entwickelt. Die Vorstellung, dass es einen Anfang und ein Ende der Welt gäbe, ist dabei weit verbreitet. Sie findet sich bei Wikingern ebenso wie im griechischen Denken oder in den drei großen Glaubensreligionen des Mittleren Ostens, in denen Gottesvölker mit oft schwierigen Göttern sie auf dem Weg zu einem gelobten Land erfahren. Während in Glaubensreligionen ein persönlicher Gott der Verursacher und Endzweck ihrer Welt ist, gehen der Buddhismus und andere Erfahrungsreligionen wie Hinduismus und Taoismus von einem beständigen Kreislauf des Werdens und Vergehens (Kreislauf des Lebens) aus.
Die Welt ist nicht die Schöpfung einer höheren Macht oder etwas objektives Äußeres, sondern wird durch Wahrnehmung und Handlungen laufend geschaffen, weswegen man sich durch die Entwicklung einer überpersönlichen Einsicht befreien kann. Statt nach einem Sündenfall oder einem Schuldigen für die Widerwärtigkeiten des Lebens zu suchen und auf etwas Jenseitiges zu hoffen, schaut man auf die gegebenen Umstände und Wirkungen und zielt auf die Entwicklung von dem, was ist, sowohl im Leben als auch darüber hinaus. Dementsprechend findet man handfesten Rat zum Meistern des Lebens und des Sterbens und zu einer glücklichen Wiedergeburt im Allgemeinen in den Erfahrungsreligionen und hier im Besonderen im tibetischen Buddhismus.
Um das Verständnis für die verschiedenen Zustände und Verhaltensweisen des Geistes zu erleichtern, unterteilen die buddhistischen Belehrungen den Kreislauf des Lebens. Er besteht zwar aus einer beständigen Kette von aneinanderhängenden Augenblicken, lässt sich aber in Zwischenzustände gliedern. Solche Zwischenzustände von einem bestimmten Anfangspunkt bis zu einem bestimmten Endpunkt werden mit dem Begriff »Bardo« bezeichnet. Wörtlich übersetzt bedeutet er »Lücke« oder »zwischen«. Es gibt unendlich viele solcher Bardos, denn alles verändert sich ständig. So gesehen, befindet man sich – bis zur Erleuchtung – stets im Übergang von einem Zustand zum anderen. Allgemein verstanden bezeichnet Bardo den Zwischenzustand zwischen dem jetzigen Leben und der Wiedergeburt in das darauffolgende Leben. Nur der Zustand, in dem der Wissende seine eigene Zeitlosigkeit erkennt – Befreiung oder Erleuchtung –, ist kein Bardo.
Im Tibetischen Totenbuch spricht man an manchen Stellen von nur zwei Bardos: dem des Lebens und dem des Todes; an anderen Stellen aber auch von vier: dem des Lebens, des Sterbens, der Soheit und des Werdens. Bei noch genaueren Erklärungen werden im Zwischenzustand des Lebens noch zwei weitere unterschieden, so dass man insgesamt von sechs Bardos spricht: dem Bardo des Wachzustands, des Traumes, der Meditation, des Sterbens, der letztendlichen Natur und des Werdens.[10]
Die sechs Bardos entsprechen drei immer wiederkehrenden Bewusstseinszuständen von der Geburt bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Sterbeprozess unwiderruflich eingesetzt hat, und drei aufeinanderfolgenden Zwischenzuständen, die sich zwischen dem Sterben und dem nächsten Leben abspielen.
Abb. 1 Kreislauf des Lebens
Bardo des Lebens (sanskr.: jatyantarabhava, tib.: rangzin bardo): Im Wachzustand arbeitet jeder mit der gemeinsam erfahrenen Sinneswelt durch Körper, Rede und Geist. Man ist bewusst, kann denken und überlegt handeln. Die Welt wird als fest und logisch erlebt. Während des Tages wird eine gemeinsame, wenn auch von der eigenen Einstellung gefärbte Welt erfahren. Das Geteilte ist, was die Reichweite unserer Sinne und die Offenheit der jeweiligen Kultur an Erfahrungen zulassen, und das Eigene ist der »Dreh«, den man ihr durch eigene Wünsche und Erwartungen gibt. In dieser Zeit kann man bewusst sein Leben verändern, steuern und mit seinem Geist arbeiten (vgl. die Kapitel »Die Wege zum Glück« und »Die Wiedergeburt«). Mit Hilfe buddhistischer Mittel kann man sich hier am besten für die Zukunft und somit auf alle anderen Zwischenzustände vorbereiten.
Bardo des Traumes (sanskr.: svapanantarabhava, tib.: milam bardo): Die Traumphasen während des Schlafes werden als zweites Bardo innerhalb des Bardos des Lebens bezeichnet. Dazu gehören auch Rauschzustände durch nicht psychedelische Drogen oder Alkohol. Im Traum werden während dreier nächtlicher Abschnitte drei Arten von Erfahrungen gemacht: Zuerst werden die Eindrücke des Tages verarbeitet, danach können körperliche Erfahrungen während des Tiefschlafes aufkommen, und kurz vor dem Aufwachen ist der Geist mitunter offen für in Kürze erscheinende Geschehnisse, während beim ungestörten Durchschlafen Vorausschauungen auf die in der Ferne liegende Zukunft möglich sind. Er wird als genauso wirklich erlebt wie die Tageswelt, obwohl Dinge völlig frei und unabhängig von Zeit, Ort und Körper geschehen, nicht mit anderen geteilt werden, nur den Geist betreffen und auch nicht in Zeitfolge ablaufen. Im Tiefschlaf, in dem das Bewusstsein in der Körpermitte verweilt und nur von Verwirklichern mit bestimmten Meditationsübungen erfahren wird, herrscht völlige Unwissenheit.
Bardo der Meditation (sanskr.: samadhyantarabhava, tib.: samtan bardo): Ein fortgeschrittener Buddhist meditiert regelmäßig mit der Absicht, seinen Geist zu erkennen. So hält er während der Geschäftigkeit des Alltags eine möglichst reine Sichtweise und überlagert damit den täglichen, meist gewohnheitsmäßigen Erlebnisfluss. Man lernt auf diese Weise, immer weniger auf störende Gefühle einzugehen, verweilt bewusster im Augenblick und kann allmählich die zeitlosen Eigenschaften des Geistes erfahren. Nach Beendigung der sitzenden Vertiefung wird, wenn sich die Aufgaben des Lebens wieder melden, diese Ebene bestmöglich festgehalten. So lernt man mit jeder Meditation nicht nur den Geist besser kennen, sondern das weite Sowohl-als-auch-Gewahrsein lässt einen das Erlebte auch besser überschauen. Man verwendet den Begriff Bardo der Meditation nur dann, wenn ein direktes Erleben der Natur des Geistes tatsächlich stattgefunden hat. Erst dann ist man in der Lage, zwischen Meditation und Nachmeditation zu unterscheiden. So, wie einem der Wechsel von einem Erfahrungsbereich in den nächsten (Schlaf/Meditation) über die Jahre immer vertrauter wird, kann man auch den Sterbeverlauf später, falls es körperlich möglich sein sollte, bewusst durchlaufen und je nach Fähigkeit für die Zukunft bestens nutzen (vgl. die Kapitel »Die Wege zum Glück« und »Das Bewusste Sterben«).
Die täglichen Erfahrungen sind aber nicht die einzigen Zwischenzustände, die durchlebt werden. Fallen die Bedingungen für ein Leben weg, kann der Körper den Geist nicht mehr halten. Seine Energiebewusstheit verlässt ihn dann, und drei weitere Bardos erscheinen mit Kraft.
Bardo des Sterbens (sanskr.: mumursantarabhava, tib.: chikai bardo): Der erste dieser Zwischenzustände, der Bardo des Sterbens, ist der Sterbevorgang selbst, das heißt die Zeit kurz vor, während und kurz nach dem klinischen Tod, den alle seit anfangsloser Zeit immer wieder erlebt haben und bis zur Erleuchtung immer wieder erfahren werden (vgl. Kapitel »Das Bewusste Sterben«).
Bardo der Soheit (sanskr.: dharmatantarabhava, tib.: chönyi bardo): Während des zweiten Zustands, dem Bardo der Soheit, besteht die Möglichkeit, mit dem Klaren Licht des Geistes zu verschmelzen. Auf diese Weise erkennt man das Wesen des Geistes und wird erleuchtet. Bleibt dieser Augenblick ungenutzt, folgen für gutausgebildete Menschen etwa 68 Stunden der Unbewusstheit. Sobald man daraus erwacht, können Buddhisten in den nächsten sieben Tagen ihren Lehrern und den Buddhaformen begegnen, zu denen sie durch Einweihung oder geleitete Meditationen eine Verbindung aufgebaut haben, und in ihre Kraftfelder höchster Freude eintreten (vgl. Kapitel »Der entscheidende Augenblick«).
Abb. 2 Die sechs Zwischenzustände
Bardo des Werdens (sanskr.: bhavantarabhava, tib.: sipä bardo): Hat man die Möglichkeit, einen überpersönlichen Zustand zu erreichen, im vorherigen Bardo nicht nutzen können, gelangt man ab dem zehnten Tag in den nächsten Zwischenzustand, den Bardo des Werdens. Die Eindrücke des Speicherbewusstseins, bestehend aus Neigungen und Karma, bilden hier ein immer festeres Muster, das einen innerhalb der folgenden 39 Tage an ein neues Leben in der bedingten Welt bindet (vgl. Kapitel »Die Wiedergeburt«).
Im Westen sind vor allem die Unterweisungen des Tibetischen Totenbuches (tib.: Bardo Thödröl, dt.: Befreiung durch Hören im Zwischenzustand) sehr bekannt. Sie sind in einer buddhistischen Schrift aus dem 8. Jahrhundert enthalten, die auf den Begründer des tibetischen Buddhismus, Guru Rinpoche, zurückgeht, und genießen unter anderem aufgrund ihrer Ähnlichkeit der geschilderten Lichtphänomene mit den von heutigen Forschern beschriebenen Nahtoderfahrungen eine breite Anerkennung. Das Tibetische Totenbuch enthält Belehrungen über den Sterbeverlauf und die Wiedergeburt und erklärt Möglichkeiten, aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt auszubrechen. In den drei alten Schulen Tibets las man das Buch zu Lebzeiten, damit man sich im Sterben und im Zwischenzustand an die Anweisungen erinnerte und unmittelbar Befreiung erlangen konnte. Auch Verstorbenen im Zwischenzustand wurde aus dem Buch vorgelesen, um sie auf den Weg zu einer besseren Wiedergeburt zu führen.
Gleichwohl sollte auch hier der Verstand nicht abgeschaltet werden, denn in Tibet herrschten bis zur chinesischen Eroberung im Jahre 1959, die noch viel mehr Leiden brachte, mittelalterliche Zustände mit wenig Polizei und Ordnungshütern. Die Behörden – weitgehend die Landbesitzer in Lhasa und die drei umliegenden großen Klöster – versuchten deswegen durch die Erhaltung eines gewissen Angstpegels in der Gesellschaft, die Bevölkerung gefügig zu halten, was bei den friedvollen Bewohnern in der Mitte des Landes auch gelang. Dementsprechend betonte man gerne das Leiden beim Sterben und die Höllen danach. Zieht man gegenwärtige Erkenntnisse der Forschung zur Nahtoderfahrung mit in Betracht, ergeben sich, sicherlich nicht nur aufgrund der guten Schmerzmittel heutzutage und der zivilisierten Gesellschaften westlicher Länder, weit bessere Aussichten. Letztendlich hängen die Eindrücke und die im Geist hochkommenden Bilder nach dem Tod von der Einstellung und Lebensführung ab.
Einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Erfahrungen und Abläufe nach dem Tod bis zur erneuten Wiedergeburt bieten vor allem die buddhistischen Lehrer (tib.: Lamas) der drei »Alten« oder »Rotmützen«-Meditationsschulen Tibets. Ihre großen Meditationsmeister, auch Verwirklicher genannt, bilden dabei die Grundlage der Belehrungen. Da der Geist nicht nur neue Erfahrungen hervorbringt, sondern auch bisherige speichert, erinnern sich diese durch ihre Klarsicht an Erfahrungen aus früheren Leben. Das erklärt vieles und schenkt unerschütterliche Sicherheit.
Belehrungen Buddhas, die Aussagen Guru Rinpoches, Erfahrungen buddhistischer Meister und Einsichten anderer, die vielleicht in früheren Leben buddhistisch meditierten, bestätigen tiefe Hoffnungen: Es gibt zeitlose »überpersönliche« Bewusstseinsebenen höchster Freude und bereits zu Lebzeiten erlernbare Mittel, um im Augenblick des Todes den Geist dauerhaft aus jeder Art von Schmerz zu befreien und – gelingt es, das dann entstehende Klare Licht als das eigene Wesen zu erkennen – sogar die Erleuchtung zu verwirklichen. Diese Körper, Rede und Geist umfassenden Übungen heißen auf Tibetisch Phowa, und die einfachste und für jeden verwendbare wird im Kapitel »Das Bewusste Sterben« beschrieben. Diese Meditation schwächt schon im Leben Todesängste ab und bringt diejenigen, die sie gelernt haben, selbsttätig auf sogenannte »reine«, das heißt befreite und überaus glückliche Bewusstseinsebenen, aus denen es kein Zurückfallen gibt.