In stürmischer Nacht

Cover

Inhaltsverzeichnis

A. C. Doyle, »His Last Bow«

Es waren die Tiere, die zuerst reagierten.

Die Kühe wirkten bereits morgens bei der Fütterung unruhig; sie stießen einander, scharrten im Stroh, schlugen nervös mit den Schwänzen. Der Hund jaulte gegen Mittag ohne ersichtlichen Grund. Die Katze ließ sich gar nicht blicken, ihr Futternapf stand unberührt in der Scheune. Dass sich ein Sturm zusammenbraute, begriff der Bauer erst, als es Abend wurde. Den ganzen Tag über war es beinahe windstill gewesen, die Spitzen der hohen Fichten hatten sich kaum bewegt, und über den Wäldern und Weiden hatte eine unwirkliche Ruhe gelegen. Doch nun wurde der Himmel sehr schnell dunkel und darauf wieder hell, Wolkenfetzen jagten vorbei, dann brach die Dämmerung herein, plötzlicher als sonst in diesem milden Winter. Der Bauer machte Feierabend und zog sich ins Haus zurück. Draußen begann es zuerst zu rauschen, dann zu pfeifen, schließlich heulte es. Eine halbe Stunde später sah er den vor

So fing es an.

Kurz darauf wurde es schlimmer: Die Ziegel auf dem Dach klapperten, zuerst vereinzelt, dann im Tremolo. Woge um Woge drückte der Wind gegen das Haus, griff es, schüttelte es, verschlang es und spie es wieder aus. Der Bauer hörte, wie die Bäume am Waldrand umknickten; die Fichten brachen ächzend und klagend. Da draußen wütete ein Wahnsinniger, ein irrer Riese, eine Urgewalt. Der Himmel regnete Asche und sprühte Funken, atmete Feuer und sprengte Gestein. Jedenfalls hörte es sich drinnen so an. Die ganze Familie versammelte sich in der Küche, zündete Kerzen an und legte neue Batterien ins Radio. Dort war jetzt von einem Orkan die Rede. Etwas klatschte gegen das Fenster, ein Vogel, aber die Scheibe blieb ganz. Als die Böen gegen Mitternacht nachließen, als sie endlich ein wenig nachließen, gingen sie gemeinsam hinaus.

Sie standen in völliger Finsternis. Das Erste, was dem Bauern auffiel, war der Geruch von frisch gerodetem Wald. Der schwere Harzgeruch, der ihn bis dahin auf eine unbestimmte und archaische Art glücklich gemacht hatte, ließ ihn nun das Schlimmste ahnen. Er schaltete eine Taschenlampe ein. Ihr Schein tastete sich bis an den Waldrand vor. Nur, dass es keinen Waldrand mehr gab. Es war, als hätte sich der Horizont verschoben, als wäre er nach unten abgesackt. So weit der Lichtkegel der Lampe reichte, lagen die Bäume am Boden. Siebzig, achtzig Jahre alte Tannen und Fichten, die bereits sein Urgroßvater gepflanzt hatte. Er versuchte, den Schaden zu ermessen; sich vorzustellen, was er verloren hatte. Sein Erbe, sein Leben, seine Existenz? Panik würgte ihn. Die Tiere waren verängstigt, eine entwurzelte Tanne lag in der Hofeinfahrt, und die Straße vor dem Haus war von unzähligen umgekippten Bäumen blockiert. Weitere Taschenlampen warfen hektisch Kegel in die Dunkelheit, alle rannten durcheinander. Beinahe wäre er über

Ein Opfer?

Aber wofür?

Er wusste es nicht. Er fühlte überhaupt nichts mehr. Er war wie betäubt. Trotzdem arbeitete er wie eine Maschine. Er begriff bald, dass das Schicksal, dass der Sturm nicht nur ihn getroffen hatte. Ein Orkan über Südschweden, hatte es im Radio geheißen. Deshalb galt es vor allen Dingen, die Straße wieder frei zu bekommen und an ein funktionierendes Telefon zu gelangen. Ein Wettlauf gegen die Zeit: Die Waldbesitzer, die die Forstunternehmen und Sägewerke zuerst erreichten, würden ihr Holz bergen und verkaufen können; die anderen mussten sich hinten anstellen; wochenlang, monatelang, womöglich jahrelang würden die umgeknickten Bäume der Witterung, der Fäulnis, den Schädlingen ausgesetzt sein. Holz ohne Würde, Holz ohne Wert. Also kämpften er und seine Brüder sich im Licht der Traktorscheinwerfer Stunde um Stunde mit der Motorsäge durch die Stämme und Äste, die den Weg blockierten. Seine Arme, sein Kreuz schmerzten. Trotzdem machte er selbst dann noch weiter, als die anderen erschöpft aufgaben. Wieder und wieder fraß sich die Säge in das frische Holz, Mal um Mal füllte er den Tank mit neuem Benzin. Am Nachthimmel blitzte es, ein Gewitter mitten im Januar. Dumpf bebte der Donner hinter der Anhöhe, begleitet vom Geräusch weiterer Motorsägen aus Richtung der Nachbarhöfe. Auch die anderen versuchten sich freizukämpfen. Seine Hände zitterten, aber er nahm es kaum wahr. Es ging nur noch darum, weiterzumachen, immer weiter.

Aus dem Dunkel trat eine bekannte Gestalt. Sie hatte eine brennende Partyfackel in der Hand. Wie auf dem Grillfest im vergangenen

»Du«, rief er über den Lärm der Säge und das Tuckern des Traktors im Leerlauf hinweg. »Steck die Fackel in den Boden und fass mit an!«

Die Gestalt kam näher und tat wie ihr geheißen, steckte die Fackel in die feuchte Erde neben der Straße. Doch dann griff sie nicht die zweite Säge, die in der Traktorschaufel lag, sondern den Benzinkanister, der ein Stück weiter auf dem feucht glänzenden Asphalt stand.

»Nimm dir die andere Säge! Treibstoff brauche ich jetzt nicht!«, rief der Bauer. »Ich habe meine vorhin erst aufgefüllt.« Wie lange war das her? Wirklich erst einige Minuten? Wie seltsam sich die Zeit doch bog und zog in dieser Nacht ohne Ende! Er wandte sich wieder seinem Baumstamm zu und setzte die Säge erneut an. Den großen, kalten Schwall Benzin auf seinem Rücken roch er, bevor er ihn spürte. Verwundert drehte er sich um. Was um alles in der Welt …?

Die zweite und dritte Ladung klatschten ihm auf die Brust und auf den Bauch. Der beißende Geruch nahm ihm den Atem. Sein Arbeitsoverall sog die Flüssigkeit auf wie ein Schwamm.

Warum zum Teufel …?

Die Augen unter der Kapuze musterten ihn kühl. Der Wind zupfte beinahe zärtlich an der blaufransigen Flamme der Fackel. Sein Gehirn verknüpfte die Informationen seines Geruchssinns erst in dem Augenblick mit der kleinen, fauchenden Flamme vor seiner Nase, als es bereits zu spät war.

Die Hand mit der Fackel stieß nach ihm.

Der Bauer fing Feuer.

Er brannte, als wäre er aus Papier.

Jetzt war er die Fackel.

Zuerst schrie er noch, brüllte seinen Schmerz in die letzten Böen hinein, doch bald schon wurden seine Schreie leiser, und auch der Wind ließ allmählich nach. Irgendwo jenseits der Straße, dort, wo einmal

Dann folgte die lange Stille.

1

Hauptkommissarin Ingrid Nyström schwitzte in dem kühlen, engen Raum, als ginge es um ihr Leben. Und das tat es ja auch. Das Gerät zwängte ihren groß gewachsenen Körper in eine unnatürliche Haltung. Ihr Kopf wurde zur Seite gedreht, so weit, dass es wehtat, ihre Wange klebte an einer Kunststoffplatte, und ihre rechte Brust wurde von einer schraubstockartigen Apparatur zusammengedrückt. Nyström biss sich auf die Unterlippe und presste ihre feuchte Hand auf die freie Brust. Die Maschine brummte, dann klackte es mehrmals. Ein unheimliches Geräusch. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Endlich war die Krankenschwester bei ihr und befreite sie mit energischen Handgriffen.

»Das wäre geschafft. Du kannst dich jetzt wieder anziehen und im Nebenzimmer Platz nehmen. Die Ärztin ist dann gleich bei dir, und ihr besprecht die Ergebnisse.«

Nyström

Leben oder Tod.

Sie zog den BH an, das Unterhemd, ihre gute Bluse. Der Gürtel schloss ein Loch weiter als sonst. In den Tagen vor der Nachuntersuchung hatte sie kaum Appetit. Nyström sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Ihr Gesicht wirkte schmal. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es war noch überwiegend braun, aber es hatte im Lauf der vergangenen Jahre graue Strähnen bekommen. Sie war fünfundfünfzig Jahre alt. Ihre gleichaltrigen Freundinnen hatten Angst vor dem Älterwerden. Nyström hatte Angst vor dem Tod. Davor, dass der Krebs zurückkehrte. Als sie ihre Kurzhaarfrisur zurechtwuschelte, konnte sie ihren eigenen Schweiß riechen. Sie wünschte, dass sie an einen Deoroller gedacht hätte. Aber in solchen Dingen war sie alles andere als gut. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die immer einen passenden Lippenstift in der Handtasche hatten. Ehrlich gesagt hatte sie noch nicht mal eine richtige Handtasche, sondern einen verschlissenen Lederbeutel, den man sich über die Schulter hängen konnte. Etwas Praktisches, in dem sie ihre Akten und Butterbrotdosen transportierte.

Die Stimme der Ärztin riss sie aus ihren Gedanken. Die Frau bat sie in das Besprechungszimmer. Nyström nahm vor dem Schreibtisch Platz. Die Ärztin lächelte. Aber das musste nichts heißen. Im Krankenhaus schienen immer alle zu lächeln. Vielleicht ist das eine natürliche Reaktion, wenn man täglich mit dem Schlimmsten zu tun hat, dachte Nyström. Auf einem Leuchtkasten an der Wand hingen die Röntgenbilder ihrer Brüste. Unwirkliche weiße Schlieren auf schwarzem Grund. Die

Die Milchstraße.

»Es ist so …«, hob die Ärztin an. Das Metallschildchen auf ihrem mintfarbenen Kittel verriet, dass sie Mona Nordmark hieß. Nyström erinnerte sich, den Namen bereits vor einer halben Stunde während des ersten Teils der Untersuchung gelesen zu haben, als die Ärztin ihre Brüste nach Knoten abgetastet hatte.

»… dass das bildgebende Verfahren den Eindruck bestätigt hat, den ich schon bei der manuellen …«

Sie versuchte den Worten zu folgen, aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren.

»… keine Hinweise auf eine Lymphstauung …«

»… jederzeit die Möglichkeit einer Magnetresonanztomografie …«

»… Restrisiko kann nie vollständig ausgeschlossen werden …«

Nyström kannte die Begrifflichkeiten, denn sie hatte sie viele Male gelesen und gehört, aber dennoch drang die Bedeutung der Sätze, die Mona Nordmarks einfühlsame Stimme formulierte, nicht in ihr Bewusstsein. Immer wieder verlor sich ihr Blick im Wust der weißen Schlieren auf den Röntgenbildern an der Wand. Das war sie, die dort zu sehen war. Wie der Blick vorhin in den Spiegel, nur tiefer. Ein Blick in ihr Inneres. Nyström schloss die Augen, ihr Herz klopfte, die Spiralnebel drehten sich. Sie dachte an ihren Mann, Anders. An ihre drei erwachsenen Töchter, Anna, Marie und Sophie. Die fünf Enkel. An ihre alte Mutter …

Nein, entschied sie. Nein. Nicht jetzt. Nicht heute und auch nicht morgen. Es war zu früh. Es war noch viel zu früh, um zu gehen.

Oder?

Sie öffnete die Augen wieder. Mona Nordmark lächelte erneut. Immer dieses Lächeln. Die junge Ärztin streckte ihr über den Schreibtisch hinweg die Hand entgegen.

»… 

Nyström griff Nordmarks Hand und drückte sie kraftlos.

»… und noch etwas, Ingrid.«

»Ja?«

»Vergiss zwischendurch nicht zu leben!«

»Zu leben?«

»Das Leben anzunehmen! Zu genießen!«

Nordmark strahlte, als hoffte sie, Nyström mit ihrem Optimismus anstecken zu können. Sie hätte wunderbar in eine Zahncremewerbung gepasst, dachte Nyström.

»Ich werde mir Mühe geben.«

»Wir bieten hier Selbsthilfegruppen an, weißt du?«

»Danke, ich … aber …«

»Ja?«

»Ich bin bereits in einer Selbsthilfegruppe«, presste sie hervor.

Einerseits stimmte das. Andererseits wusste Nyström, dass es nicht das war, was die Ärztin meinte. Es gab in der Tat eine Therapiegruppe, die Nyström seit einem knappen Jahr besuchte. Besuchen musste. Aber diese regelmäßigen, von einem Psychologen geleiteten Treffen hatten nichts mit ihrer überstandenen Brustkrebserkrankung zu tun, sondern damit, dass sie vor elf Monaten im Einsatz einen Mann erschossen hatte. Eine Selbsthilfegruppe für Polizisten, die im Dienst getötet hatten. Eine zweite Therapiegruppe, die sich mit dem Tod beschäftigte, glaubte sie nicht verkraften zu können.

»Es geht darum, den Weg zurück ins Leben zu finden«, sagte Mona Nordmark. Sie reichte Nyström eine Broschüre.

»Ja, ich weiß«, sagte Nyström und rang sich ein Lächeln ab. In einem Krankenhaus gehörte sich das anscheinend so. »Ich gebe mein Bestes.«

Als sie die langen Flure entlang zum Ausgang ging, hätten ihre Schritte leicht und beschwingt sein sollen. Die Ergebnisse der Nachuntersuchung waren gut, nichts deutete darauf hin, dass

2

Kommissarin Stina Forss hockte in ihrem Gemüsebeet und drosch mit einem Grubber auf das Unkraut ein. Während der drei Wochen Urlaub, von denen sie zwei auf Mallorca und eine in Berlin verbracht hatte, hatten Quecken, Giersch und Scharfer Hahnenfuß das Beet in einen Miniatururwald verwandelt und den Blattsalat sowie den Spinat unter sich begraben. Die Schnecken waren über den kümmerlichen Rest hergefallen. Das Einzige, was sie noch halbwegs retten konnte, waren eine Handvoll Zwiebeln und eine Reihe Mangold mit schlaff herabhängenden Blättern. Nach einem Sommer voller verkümmertem und wurmstichigem Gemüse waren der Salat und der Spinat, die Zwiebeln und der Mangold ihre letzte Hoffnung gewesen. Sie schleuderte den Grubber quer über den Rasen Richtung Waldrand, wo er irgendwo in den kniehohen Brennnesseln verschwand. Apropos Brennnesseln: Das war noch so ein Problem, dessen sie sich dringend annehmen musste. Bei ihrem

Vor einem Dreivierteljahr war sie eingezogen. Das Haus lag abgelegen, nicht weit von der kleinen Ortschaft Väckelsång, etwa fünfunddreißig Kilometer südlich von Växjö. Nachbarn gab es keine. Dass ein Haus im Grünen jedoch nicht nur ein reines Idyll war, hatte Forss auf die harte Tour lernen müssen. Der Frost im November hatte bald gezeigt, dass die kleinen elektrischen Heizungen zu leistungsschwach waren, um das Holzhaus im Winter warm zu halten. Für viel Geld hatte sie eine moderne Heizungsanlage einbauen lassen müssen. Im Januar war wegen der Winterstürme und der umgekippten Bäume, die auf die Oberleitungen gefallen waren, mehrmals für einen oder zwei Tage der Strom ausgefallen, woraufhin der Zulauf zur Wasserpumpe eingefroren und geplatzt war. Nach dem Tauwetter im März hatte der Keller unter Wasser gestanden. Wenigstens hatte sie viel gelernt: über Erdwärmeanlagen und Pelletsbrennöfen, über Dieselgeneratoren und Klärgruben, über Grundwasserpumpen und Thermoverglasung. Im April war es warm genug gewesen, um die alten Fenster gegen eine Doppelverglasung auszutauschen. Danach beliefen sich ihre Schulden auf sechshunderttausend Kronen.

Aber es hatte auch die schönen Momente gegeben: Sie hatte von ihrem Schlafzimmerfenster aus eine Elchkuh mit ihren zwei Jungen beobachtet, die im Morgennebel am Seeufer getrunken hatten. Einen Waldkauz entdeckt, der in der toten Espe am Waldrand brütete. Ein Gartenfest mit den Kollegen veranstaltet. Das Haus ihres Vaters war ihr ans Herz gewachsen. Es war ein Vermächtnis, das sie annehmen konnte. Trotz der Narben auf ihrem Hals und des hängenden Augenlids, beides Zeugnisse jener Nacht vor knapp dreißig Jahren, in der ihr Vater seine Selbstkontrolle und Güte verloren hatte.

Sie beschloss, das Gemüsebeet für diese Saison aufzugeben. Drei Wochen Pflegeentzug waren nicht wieder aufzuholen. Einige

Ein Stück neben ihr im Wasser platschte es.

Ein Fisch.

Ein Geräusch.

Ein Déjà-vu?

Die Erinnerung kam unvermittelt. Trotz des innigen Gefühls der Geborgenheit war da gestern etwas gewesen, als sie wieder nach Hause gekommen war, eine leichte Irritation, ein Jucken am Rande ihres Bewusstseins, ein Zucken wie der Schlag einer Schwanzflosse im Wasser. Sie hatte es auf ihre Müdigkeit geschoben, auf die Strapazen der langen Zugfahrt, auf die Nachwirkungen

Aber warum kehrte die Empfindung jetzt und hier zurück?

Als Echo?

Als Ahnung?

Als machte ihr Gehirn einen Salto rückwärts und dann wieder nach vorn. Sie trieb mit geschlossenen Augen im Wasser und erinnerte sich, sah die Bilder klar und deutlich vor sich: Das Muster des Staubs auf ihrem Nachttisch. Die Anordnung der Sockenpaare in ihrer Kleiderschrankschublade. Die Richtung, in die der Kaffeelöffelstiel gewiesen hatte. Ein Hauch Rasierwasser in der Luft.

Als wäre jemand während ihrer Abwesenheit in ihrem Haus gewesen.

Sofort fröstelte sie, das Wasser erschien mit einem Mal kalt. In der Tasche ihres Jeansrocks, den sie auf einen Gartenstuhl gelegt hatte, klingelte ihr Handy.

3

Hauptkommissarin Ingrid Nyström bog mit ihrem kleinen Toyota von der L23 ab und folgte der einspurigen Straße etwa fünfzehn Kilometer. Sie verlief in engen Kurven zwischen dichten Fichtenwäldern, niedrigen Birkenhainen, Seen und Sümpfen. Ihr Kollege Hugo Delgado hatte ihr den Weg am Telefon beschrieben. An einem umgekippten Jagdstand lenkte sie den Wagen rechts auf einen schmalen Schotterweg. Sie passierte hohe Kiefern, Wälle aus wilden Himbeerbüschen, Tannen und mächtige Steinbrocken, die seit der Eiszeit dort lagen. Die Schotterpiste hob und senkte sich, wand sich in scharfen Kurven,

Ihr erster Eindruck: Es schneite. Aber das konnte natürlich nicht sein. Die Sonne schien, es war Spätsommer. Dann begriff sie: Was da langsam zu Boden rieselte und auf der Windschutzscheibe ihres Autos landete, war kein Schnee, sondern feine weiße Asche. Sie stellte das Auto ab und stieg aus. Vor ihr standen drei mächtige Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, die einen schwarzen, feuchten Trümmerhaufen flankierten, aus dem Rauchfahnen emporstiegen. Daneben hielten ein Streifenwagen der Polizei, der VW-Transporter der Spurensicherung und einige zivile Fahrzeuge. Ein Stück abseits der umhereilenden Feuerwehrmänner entdeckte sie ihre Mitarbeiter Hugo Delgado, Lars »Lasse« Knutsson, Stina Forss und den neuen Kollegen, Kent Vargen, der sich durch seinen schicken Zweiteiler deutlich von allen anderen Anwesenden abhob. Wie sehr sich ihre Abteilung in den vergangenen Jahren doch verändert hatte, dachte sie flüchtig. Sie war Chefermittlerin, seit ihr ehemaliger Vorgesetzter wegen eines Unfalls in Frühpension gegangen war. Nyström hatte seinen Posten übernommen und war zur Hauptkommissarin befördert worden. Kurz danach war Stina Forss zur Gruppe gestoßen. Im vergangenen Monat hatte sich der talentierte Ermittler Göran Lindholm überraschend auf eine Stelle in Nordschweden beworben und um Versetzung gebeten. Wenigstens hatte die Behörde in Stockholm für einen sofortigen Ersatz gesorgt und einen erfahrenen Mitarbeiter aus der Hauptstadt geschickt. Kent Vargen würde bis auf Weiteres ihr Team verstärken. Zeitgleich war Nyströms langjährige Kollegin Anette Hultin in Mutterschutz gegangen. Deswegen hatte die Hauptkommissarin, nachdem sie von dem Verdacht auf ein tödliches Gewaltverbrechen erfahren hatte, Stina Forss kurz entschlossen

»Wie war es auf Ibiza?«, fragte sie die Deutschschwedin.

»Mallorca.«

»Ach ja.«

»Danke, gut. Superwetter.«

»Und hier schneit’s«, versuchte sich Nyström an einem Scherz und zupfte sich eine Ascheflocke aus dem Haar. »Danke, dass du deinen Urlaub so plötzlich abgebrochen hast.«

»Keine Ursache.«

Forss lächelte schief.

»Fertig mit dem Small Talk?«, drängte Delgado. »Ich fürchte nämlich, wir haben einiges zu tun.« Er trat von einem Bein aufs andere, ein sicheres Zeichen dafür, dass er angespannt war. »Heute Nacht gegen 4.30 Uhr haben die Nachbarn den Brand bemerkt und die Feuerwehr alarmiert.«

»Nachbarn? Hier draußen?«

»Die nächsten wohnen etwa zwei-, dreihundert Meter von hier, drüben, hinter der Hügelkuppe.«

»Ein Bauernhof«, warf Kent Vargen ein. Er schaute auf seinen Notizblock. »Die Familie heißt Karmfalk. Sie sind von einem lauten Knall geweckt worden und haben dann den Schein der Flammen gesehen. Das Feuer muss meterhoch gebrannt haben.«

»Über die Zeugen können wir später noch reden«, unterbrach ihn Delgado. »Wichtig ist doch erst einmal, was überhaupt passiert ist.«

»Was ist denn überhaupt passiert?«, beeilte sich Nyström zu fragen. Delgado war seit einiger Zeit auffallend gereizt. Genau genommen

»Ein Mord, das ist passiert!«, schnaufte Lasse Knutsson. Wie so oft war der beleibte, große Mann kurzatmig. Das warme Spätsommerwetter machte ihm sichtlich zu schaffen, sein bärtiges Gesicht glänzte vor Schweiß. »Die Leiche liegt dort drüben zwischen den Trümmern.«

Er stapfte durch das hohe Gras zum Fundort, die anderen folgten ihm. Nyström nahm erst jetzt die Dimensionen der rauchenden Ruine wahr. Das Haus musste eine stattliche Größe gehabt haben. Wie das Herrenhaus eines ehemaligen Gehöfts.

»Warum geht ihr davon aus, dass es sich hier um ein Tötungsdelikt handelt?«, fragte sie. »So ein Brand kann doch viele mögliche Ursachen haben. Was spricht gegen einen Unfall?«

»Schau es dir an«, sagte Delgado.

Sie gingen einige Schritte weiter, dann sah sie, was Delgado meinte.

Der Leichnam hatte kaum noch etwas Menschliches an sich, dennoch war unverkennbar, dass der schwarze, deformierte Körper mit dem fratzenhaften Kopf einmal ein Mensch gewesen war. Nyström musste an die ausgemergelten Skulpturen des Bildhauers Giacometti denken. Nur, dass dies hier kein Kunstwerk war. Im Unterleib des verkohlten Leichnams steckte der dreizinkige Metallaufsatz einer Mistgabel. Die rußigen Zinken steckten tief in dem verbrannten Fleisch, vom Holzschaft war nichts mehr zu sehen, er war verbrannt.

»Oh«, entfuhr es ihr.

»Nicht

Knutsson schüttelte wortlos den schweren Kopf.

»Wem gehörte das Haus?«, fragte Nyström.

Vargen blätterte in seinem Block.

»Einem Ehepaar, Leif und Kristina Asker. Norweger.«

»Also war es ein Ferienhaus?«

»Ganz schön groß für ein Ferienhaus, aber die Nachbarn sagen Ja. Die Askers haben den ehemaligen Hof vor etwa anderthalb Jahren gekauft, waren aber wohl nur selten hier.«

»Und gestern?«

Vargen schüttelte den Kopf.

»Bemerkt haben die Karmfalks in den letzten Tagen und Wochen niemanden. Sie sagen, dass sie die Askers zum letzten Mal im Juli gesehen haben.«

»Das muss allerdings nichts heißen«, wandte Forss ein. »Direkten Sichtkontakt gibt es nicht. Und der Karte nach geht der Weg auf der anderen Seite des Hügels weiter und führt in einem Bogen zurück zur Landstraße. Die Karmfalks kommen also aus der Siedlung weg, ohne dass sie am Haus der Askers vorbeimüssen.«

»Und umgekehrt«, bemerkte Delgado.

»Jedenfalls hat hier schon lange niemand mehr den Rasen gemäht«, stellte Knutsson fest und köpfte mit einem Tritt eine wild wachsende Margerite.

»Gibt es noch andere Nachbarn?«, fragte Nyström.

»Der Knecht der Karmfalks wohnt hier in der Nähe. Ola Danlid«, las Vargen aus seinem Notizblock vor. »Wie soll ich sagen … ein sehr wortkarger Kerl.«

Knutsson grinste und drehte zur Bekräftigung eine imaginäre Schraube an seiner Schläfe.

»Ein Einfaltspinsel.«

Nyström sah Knutsson mahnend an, und zu Vargen gewandt sagte sie: »Ich glaube, man sagt heute nicht mehr Knecht, sondern landwirtschaftlicher Betriebshelfer.«

Knutsson

»Jedenfalls wusste der Betriebshelfer von nichts. Die Askers kannte Danlid kaum«, beeilte sich Vargen zu sagen. »Es gibt noch mehrere Häuser in der Umgebung, aber dort haben wir noch niemanden befragt.«

»Danke«, sagte Nyström. »Das war bis hierhin ordentliche Arbeit.«

»Wo warst du überhaupt den ganzen Vormittag?«, fragte Delgado.

»Termine«, antwortete Nyström schnell. Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder und spürte den warmen Wind in ihrem Gesicht. Er zupfte an den Blättern der jungen Birken. Es roch nach Asche und Grillfleisch. Ihr Magen tat einen Satz. Sie konnte sich gerade noch umdrehen und drei schnelle Schritte gehen, dann erbrach sie die Reste ihres Frühstücks in einen Hagebuttenbusch.

4

Stina Forss verweilte einen Moment länger als die anderen bei dem Opfer. Sie brauchte das. Sie mochte das. An einem Tatort allein zu sein. Die Umgebung, die Atmosphäre mit allen Sinnen aufzunehmen, zu spüren. Sie kniete sich neben den verbrannten Leichnam. Neben das, was von dem Menschen übrig geblieben war. Forss sog den kaum zu ertragenden Geruch von feuchter Asche und versengtem Fleisch ein. Sie zog einen Gummihandschuh über und legte vorsichtig die Hand auf den Leichnam. Dorthin, wo vor wenigen Stunden noch das Herz eines Menschen geschlagen hatte. Das Herz gab es nicht mehr, genauso wenig den Menschen. Dies hier war nur noch ein großes Stück

Ein Mensch tötet einen anderen Menschen mit einer Mistgabel, dachte sie. Er spießt ihn auf, durchbohrt ihn. Kraftvoll. Wütend. Hasserfüllt. Danach verbrennt er ihn. Will er ihn nicht mehr sehen? Hält er dem Anblick nicht stand? Oder will er seine Tat verbergen? Aber warum zieht er dann nicht die verräterische Waffe aus dem Körper seines Opfers? Oder möchte er dem Toten eine besondere Ehre erweisen? Eine Art Ritual, eine Feuerbestattung? Verrate es mir, wisperte sie, verrate mir, was dir geschehen ist. Doch natürlich bekam sie keine Antwort. Sie hörte nur das Stimmengewirr der anderen und das Zwitschern der Vögel im nahen Wald. Sie richtete sich aus der Hocke auf. Kurz war ihr schwindelig, und in ihren Ohren rauschte es. Ich bin völlig außer Form, dachte sie. Drei Wochen ohne Joggen und das Boxtraining, das sie im Frühjahr begonnen hatte, stattdessen jeden Urlaubsabend Longdrinks. Der attraktive Kellner aus Mallorca hatte außerdem immer ein bisschen Gras dabeigehabt. Und dann war da ja noch die Technonacht auf Ecstasy gewesen. Definitiv zu viel Chemie in ihrem Körper. Sie betrachtete den Ruß auf ihrem Handschuh. Dies war die Chemie des Todes.

5

Ingrid Nyström hatte sich in einer der Kabinen der Damentoilette im obersten Stock des Präsidiums eingeschlossen. Mit den Handballen massierte sie ihre Schläfen. Kopfschmerzen konnte

Nyström wühlte in den Untiefen ihres Beutels nach einem Bonbon. Sie hatte noch immer einen unangenehmen Geschmack im Rachen. Ein beiläufiger Blick auf das Handy zeigte ihr, dass sie mehrere SMS von ihren Töchtern bekommen hatte. Natürlich wollten sie wissen, wie die Nachuntersuchung gelaufen war. Dennoch spürte Nyström Wut in sich aufsteigen. So etwas fragte man doch nicht per SMS! Sie drückte die Meldungen ungelesen weg und steckte das Handy zurück in den Beutel. Ihre Suchaktion förderte endlich ein klebriges Zitronenbonbon zutage. Dankbar wickelte sie es aus und steckte es sich in den Mund.

6

Als sich alle im Besprechungszimmer des Präsidiums zusammensetzten, war der Nachmittag bereits weit fortgeschritten. Irgendjemand hatte aus der Kantine einen Teller trockener Zimtschnecken mitgebracht, doch bis auf Knutsson, der beherzt zugriff, blieben alle bei Kaffee.

»Mmmh,

Anette Hultin hätte ihm Kontra gegeben, dachte Stina Forss, sie hätte wahrscheinlich gleich einen ganzen Vortrag über die wunderbare Backtradition der schwedischen Küche gehalten. Aber Hultin war nicht da, genauso wenig wie Göran Lindholm, den es zu seiner Freundin nach Umeå verschlagen hatte. Was man nicht alles für die Liebe zu tun bereit war. Växjö war in ihren Augen ja schon am Rand der Welt. Aber Umeå …? Schade, sie hatte den lustigen, jungen Kerl mit der Streberbrille immer gemocht. Sein Nachfolger Kent Vargen war etwa vierzig, hatte ein kluges, offenes Gesicht, eine tiefe Stimme und dunkles, struppiges Haar. Für einen Mann war er nicht besonders groß, aber immer noch größer als sie mit Pumps. Was allerdings auch nicht viel heißen mochte, denn sie selbst war gerade mal eins sechzig. Er wirkte freundlich, aber es hatte auch etwas Arrogantes, wie er da in seinem Anzug saß, das Jackett leger geöffnet, das Schulterholster auf amerikanische Art über dem weißen Hemd tragend, weit im Stuhl zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Allein schon die Tatsache, dass er als Polizist einen Anzug trug. Als wären wir hier in einem Kinofilm, dachte sie. Mein lieber Freund, du wirst schon schnell genug dahinterkommen, dass wir hier nicht in New York sind, sondern in Fucking Växjö City.

FVC statt NYPD.

Bo Örkenrud, der Chef der Spurensicherung, sprach als Erster. Er hatte Rußspuren im Gesicht.

»Wie ihr euch denken könnt, ist die Spurenlage am Tatort ein Albtraum. Dem wenigen, was nicht verbrannt ist, haben die Löschmittel der Feuerwehr den Rest gegeben. Das ist zumindest unser erster Eindruck, und ich bin nicht besonders optimistisch, dass sich das noch ändern wird.« Der ehemalige Eishockeyspieler rieb sich die Wange, was den Ruß noch weiter in seinem Gesicht verteilte. »Der einzige konkrete Hinweis auf die

»Brandstiftung?«, fragte Nyström.

Örkenrud nickte.

»Es wurden mehrere ausgebrannte Metallkanister sichergestellt. Außerdem muss an den Wänden des Hauses eine große Menge Brennholz gestapelt gewesen sein. Dreißig Kubikmeter, hat Wiman geschätzt. Er habe so etwas vorher noch nie bei einem Hausbrand gesehen, hat er gesagt. Diese Menge an heller Asche erinnere ihn an den Brand des Holzlagers in der Nähe von Alvesta vor einigen Jahren.«

»Dreißig Kubikmeter?«, fragte Knutsson ungläubig. »Das reicht ja für Jahre zum Heizen.«

»Genau das hat Wiman auch gesagt. Die Hitzeentwicklung war so immens, dass sogar einige Heizkörper geschmolzen sind.«

»Wahnsinn«, sagte Knutsson leise.

»Warum macht man denn so etwas?« Delgado rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.

Vielleicht weil man seine Spuren verwischen will, dachte Forss.

»Weil man seine Spuren verwischen will«, sagte Vargen.

»Oder es war ein Scheiterhaufen oder so etwas in der Art!«, schlug Knutsson vor.

»Ja klar, Lasse. Die småländische Inquisition, oder was?«, feixte Delgado.

Vargen lachte, Knutsson wurde rot. Zum dritten Mal an diesem Tag. Delgado zwinkerte Vargen zu. Da haben sich ja zwei gefunden, dachte Forss.

»Können wir bitte sachlich bleiben?«, fragte Nyström genervt. Mit einer Handbewegung forderte sie Örkenrud auf, mit seinen Erläuterungen weiterzumachen.

»Wir

Jetzt war es Knutsson, der dröhnend lachte.

»Ich kannte mal einen Norweger, der einen Lachs fangen wollte …«, begann er, aber Nyström fiel ihm ins Wort.

»Sag Wiman, er soll das mit den Fotos gern versuchen. Ich bin für alles dankbar, was uns weiterhelfen könnte. Weiß Ann-Vivika schon etwas über die Leiche?«

»Ich habe eben mit der Pathologie telefoniert. Sie arbeitet noch dran. Besonders zuversichtlich klang sie allerdings nicht. So wie der Körper verbrannt war … Wahrscheinlich müssen wir auf die DNA-Ergebnisse aus Linköping warten, um wenigstens das Geschlecht des Toten zu erfahren«, sagte Örkenrud.

»Was ist mit den Zähnen?«, fragte Knutsson, während er von der zweiten oder dritten Zimtschnecke abbiss. »Man kann jemanden doch anhand der Zähne identifizieren. Wie in dem Estonia-Fall im vergangenen Jahr.«

»Ann-Vivika sagt, dass wir damit wahrscheinlich kein Glück haben werden, weil …« Örkenrud zögerte.

»Warum?«, fragte Knutsson mit vollem Mund.

»Nun ja, ab einem bestimmten Hitzegrad gibt es bei Zähnen den sogenannten Popcorneffekt …«

»Danke«, sagte Nyström, »so genau wollten wir es gar nicht wissen.«

»Aber das ist alles wissenschaftlich belegt«, wehrte sich Örkenrud.

Knutsson

»Was gibt es bis jetzt aus Norwegen?«, fragte Nyström.

»Ich habe mit der Polizei in Gjerdrum telefoniert«, sagte Delgado. »Ein kleiner Ort nicht weit von Oslo. Da sind die Askers gemeldet. Und jetzt passt auf: Vor drei Jahren war die Frau in eine polizeiliche Untersuchung verwickelt und wurde von der Staatsanwaltschaft wegen Versicherungsbetrug angeklagt. Sie ist dann vor Gericht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.«

»Das ist doch schon mal ein Anfang«, meinte Nyström.

»Die norwegischen Kollegen sind so nett und wollen sich in der Nachbarschaft umhören und uns natürlich auch die Akten vom Gerichtsprozess zukommen lassen.«

»Danke.«

Nyström kratzte sich mit einer Stiftkappe gedankenverloren an der Stirn.Versicherungsbetrug? schrieb sie an das Whiteboard, das ansonsten so gut wie leer war. Brandstiftung stand da noch in Nyströms sauberer Mädchenschrift. Daneben: Leif und Kristina Asker.

»Was seht ihr denn für ein Szenario vor euch?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht an einen Versicherungsbetrug. Eher ein Ehedrama«, antwortete Knutsson mit Bestimmtheit.

»Sicher keine Hexenverbrennung?«, frotzelte Delgado.

»Hugo, es reicht jetzt«, ermahnte Nyström ihn.

»Ich glaube ebenfalls, dass es sich bei dem Opfer um einen der Askers handelt«, sagte Vargen. »Eine Beziehungstat liegt auf der Hand. Obwohl das mit dem vielen Brennholz natürlich seltsam ist. Aber Menschen tun manchmal seltsame Dinge. Vor allem nach vielen Ehejahren.«

Delgado lächelte, dann wurde er wieder ernst.

»Wenn jemand ein ganzes Anwesen ansteckt, nur um eine Leiche zu verbrennen, drückt das schon etwas aus, finde ich. Eine

»Weiße Norweger mit Ferienhaus sind nicht gerade eine diskriminierte oder verfolgte Minderheit«, sagte Nyström.

»Wer sagt denn, dass sie weiß sind? Ich bin auch nicht weiß«, entgegnete Delgado, dessen Eltern in den Siebzigerjahren als politische Flüchtlinge aus Chile eingewandert waren.

»Du heißt aber auch Hugo Gonzales Delgado und nicht Leif Asker«, sagte Knutsson.

»Gonzales?«, fragte Vargen. »Im Ernst?«

»Mein Zweitname«, sagte Delgado zerknirscht. »Aber so nennt mich niemand.«

Knutsson grinste triumphierend.

»Wenn man sich die Ruine anschaut, könnte man wirklich an eine Hasstat denken«, sagte Örkenrud. »Das mit der Mistgabel im Bauch geht ja auch in diese Richtung.«

Aber

»In Gjerdrum«, korrigierte Delgado.

»Okay«, sagte Nyström. »Wer kümmert sich darum?«

Forss

»Ladies first«, sagte Vargen mit gespielter Galanterie in der Stimme.

Nyström nickte Forss zu.

»Okay, Stina also. Dann möchte ich, dass hier jemand mit dem Makler spricht, der den Askers das Haus verkauft hat. Wer übernimmt das?«

Wieder meldete sich Vargen.

»In Ordnung, Kent. Außerdem möchte ich ausführliche Gespräche mit allen Nachbarn im Umkreis von drei Kilometern führen.«

»Hier im Revier?«, fragte Knutsson und zog eine Augenbraue hoch. Eine Marotte, die er sich vor einigen Monaten angewöhnt hatte. Forss hatte schon häufiger beobachtet, wie Knutsson vor dem Computer saß und seine Augenbrauen verzweifelt Lindy Hop tanzten. »Na, die werden sich bedanken.«

»Nein, natürlich nicht hier im Revier. Vor Ort. Und wir befragen auch alle Anwohner der Zufahrtsstraßen.«

»Das ist ein ziemlicher Haufen«, stellte Knutsson fest.

»Du bist ein ziemlicher Haufen«, sagte Delgado.

Knutsson schnappte sich eine weitere Zimtschnecke und drohte mit einer ausholenden Geste, sie Delgado an den Kopf zu werfen.

»Erbarmen!«, sagte Delgado.

Knutsson grunzte zufrieden.

»Ihr beide macht das morgen als Team«, sagte Nyström, bevor sie aufstand und sich dem Whiteboard zuwandte.

Wie die Kinder, dachte Forss, und vermisste Anette Hultins trockene Art jetzt schon.