© Barbara Polch
Für Karl-Heinz Pütz
Schnee im August
Der Deal mit den Höhnern
Straßenköter und Familienvater: über Pitter
Finanzminister, Studiochef und Mr. Melody: die Band-Kommune
12. Januar 2001. Wir stehen auf der Bühne vom Gürzenich und dünsten Angstschweiß aus. In den ersten Reihen sitzt das Bürgertum der Stadt: Uniformträger, Firmenbosse, Politiker, Ärzte, Verbandsobere. Peter greift zum Mikro und röhrt los: »Maach noch ens die Tüt an, he is noch lang nit Schluss.« Wie reagieren die Stadthoheiten? Bleiben sie stumm? Laufen sie raus? Nein! Sie grölen mit! Unsere Unterarmhärchen stellen sich stramm, innerer Jubel bricht aus. Kapieren die nicht, was wir singen? Oder sind die Alphatiere da vorne einfach viel cooler, als wir dachten? Harry kreiselt immer schneller, Peter singt vom »Schnee im August«. Der Saal mit. Es funktioniert. Wir sind angekommen im Karneval. Die Kapelle ist gerettet. Oder?
Wir trauten unseren Augen und Ohren nicht, als wir in der Karnevalssession 2000/01 mit Superjeilezick in den Sälen aufkreuzten und die Leute abgingen wie Schmitz’ Katze. Es hatte sich schnell rumgesprochen, dass mit der »Tüt« ein Joint gemeint ist und wir in dem Song vom Feiern und Vögeln singen. Oder spielte der Text keine Rolle und alle hatten nur »Ne wat wor dat früher en superjeile Zick« verstanden – die ja jeder irgendwann mal gehabt hat? Wir wissen es bis heute nicht so genau. Peter meint, viele hätten den Text anfangs nicht verstanden. Dafür spricht, dass ein paar Uniformträger irgendwann nicht mehr mitsangen oder sogar rausgingen. Auch der Präsident der Karnevalsgesellschaft unseres ersten Gürzenich-Gigs gehörte zu dieser Fraktion: Der stand auf der Bühne und sagte uns ins Gesicht: »Dat jeiht unter die Jürtellinie. Dat is ni mi minge Fastelovend.« Aber Leute wie er waren klar in der Unterzahl. Ging Peters Text unter die Gürtellinie? Kommt ganz auf die Betrachtung an.
Maach noch ens die Tüt an
he is noch lang nit Schluss
un uch noch en Fläsch op
ich will noch nit noh Huus
Ich kenn en paar Schüss
die han jenau wie mer
Bock op en Party, sag dat jeit doch hier
Kumm, maach keine Ärjer
maach uns keine Stress
Mer sin uch janz leis un maache keine Dress
A bessje jet rauche, jet suffe un dann
loore ob mer mit dä Schüss jet danze kann
Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick
mit Träne in de Auge loor ich manchmol zurück
Bin ich hück op d’r Roll nur noch half su doll
doch hück Naach weiß ich nit wo dat enden soll
…
Et weed immer späder
drusse weed et hell
Mer sitze noch zesamme
bei Biercher un Verzäll
Et is fast wie fröher
un ich muss noh Huus
do fängt et an ze schneie
medden im August
Et is mir dressejal wenn ich hück umfall
ob ich schwade
oder nur noch lall
Erwachse weede kann ich uch morje noch
Langsam weed et he jemötlich
denn die Schüss, die laufe op
Stephan sagt, der Text sei absolut entscheidend gewesen für den Erfolg von Superjeilezick, und zwar vor allem die ersten sechs Wörter. Solche Zeilen seien einfach an der Zeit gewesen. Der Karneval habe sozusagen nach so was gerufen, nach zeitgemäßen Geschichten, die auch die jungen Leute ansprechen. Und zu denen man ein bisschen rocken kann. Vielleicht war das aber auch nur unser Eindruck, als Grünschnäbel in den Sitzungssälen, die sich vorkamen wie Astronauten auf einem neuen Planeten: Wir waren es ja gewöhnt, vor Teenagern zu spielen, die tanzten und ihre Mähnen im Takt unserer Lieder schüttelten – jetzt spielten wir vor Menschen, die im Schnitt deutlich älter waren. Und von denen sich ein paar die Ohren zuhielten und rausliefen, wenn wir loslegten. Zum Glück war das nur eine kleine Minderheit. Aber denen waren wir so fremd wie der Karneval uns.
Trotzdem: Wir hatten zumindest den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Wenn es mitten im August anfängt zu schneien, ist das so, als würde im Dreigestirn plötzlich eine Frau auftauchen. Man macht mal wieder die Augen und Ohren auf. Total egal, wie man das interpretiert, aber vielleicht erinnert es einen daran, dass die Uniformen im Karneval ursprünglich übergestreift wurden, um sich über die Preußen und Franzosen lustig zu machen. Es ging mal um Spaß, um Verarsche. Und darum ging es uns auch.
Das Lied hat uns den Allerwertesten gerettet. Hätte Peter den Song nicht geschrieben, würde es uns heute wahrscheinlich nicht mehr geben. Auf jeden Fall nicht im Karneval. Wir hätten nie vor 48000 Fans unseren 20. Geburtstag im Stadion gefeiert. Wir hätten nie eine 15-köpfige Crew von unserer Mucke ernähren können. Wir hätten nicht den Frust, die Panik und die Depressionen erlebt, die eine Karnevalssession mit 230 Gigs mit sich bringen kann, nicht die Euphorie, den Spaß, die Anerkennung. Wir würden jetzt nicht unsere Geschichte erzählen, die nicht immer supergeil gewesen ist, aber immer mal wieder. Weil wir keinen Verlag gefunden hätten, der die Story einer Rockband druckt, die sich nach zehn Jahren und ein paar Erfolgen langsam, aber sicher in Luft auflöst.
Vielleicht wäre Christian jetzt Schlagzeuglehrer, Stephan Arbeiter in einer Chemiefabrik, Kai Keyboarder bei Papa Tommy, Harry Klampfenverkäufer und Peter im Knast oder längst tot. Natürlich hätte man uns nie als Karnevalskapelle abgestempelt, für die wir uns bis heute nicht halten. Hätte, wäre, wenn und aber. Um Konjunktive ist es uns nie gegangen. Es geht darum, was passiert ist. Und warum.
Im Sommer 2000 waren wir ziemlich am Ende. Schon drei Jahre zuvor hatte unsere Plattenfirma, die EMI, uns rausgeworfen. Wir waren zwar bei der BMG untergekommen, aber mit einem deutlich schlechteren Vertrag. Bei unserem Album Knapp, einem der Vorgänger von Superjeilezick, war der Name Programm: Wir taumelten am Abgrund. Der Knapp-Vorgänger Glaube, Liebe, Hoffnung, auf Drängen der EMI mit hochdeutschen Texten, hatte sich eher schlecht verkauft und an unserer Glaubwürdigkeit gekratzt. In Köln füllten wir zwar nach wie vor das E-Werk und den Tanzbrunnen, aber jenseits der Kölschgrenze sah es mau aus. Auftritte wie die bei Rock am Ring oder im Müngersdorfer Stadion als Vorband der Simple Minds waren lang her. In Stuttgart, Hamburg, München und Berlin hatten wir zwar treue Fans, manchmal zogen wir da bis zu 1000 Leute an, aber wenn die Straßen im Hinterland enger wurden, sah es nicht gerade danach aus, als würden die Stones durchs Land rollen. Meistens waren die Bürgersteige hochgeklappt, und außer unseren an einer Hand abzuzählenden Edelfans ließ man uns ein bisschen zu sehr in Ruhe. Es gab logischerweise auch immer mehr Geistergigs mit »Sitting Ovations« (Wortkreation unseres Posaunisten Schnucki). Und Peter war dabei abzudriften. Er tauchte ständig bei seinen Kumpels in Mülheim ab und war tagelang nicht auffindbar.
Songs hat Peter trotzdem geschrieben. Im Dachgeschoss seiner verräucherten Bude ist ihm dann Superjeilezick eingefallen. Das Lied sollte eigentlich nur ein Geburtstagsständchen zu unserem Zehnjährigen werden. Eine melancholische Erinnerung an wilde, alte Zeiten. »Polka« stand auf der Kassette, die Peter eines Tages mit in unseren Probenkeller am Großmarkt brachte. Mit akustischer Klampfe hat er uns das Lied vorgespielt: Wir fanden es ganz nett, »befriedigend«, drei plus vielleicht, mehr aber auch nicht. Unsere Kapelle hat damals in einem alten Bananenreifekeller auf zehn Quadratmetern geprobt. Kellerasseln, Spinnen, ab und an auch ein paar Ratten haben uns da zugehört. Es war dunkel, feucht, kalt und muffig – also ungefähr so, wie wir uns damals gefühlt haben. Aufgenommen haben wir das Album Superjeilezick dann bei unserem damaligen Tontechniker Rainer Assmann in seinem Wohnzimmer – in Düsseldorf. Nur für die Single sind wir ins Studio unseres Kumpels Dirk Baldringer gegangen. Wir hatten halt keine Kohle.
Stefan Fingerhut und Walter Pütz von der BMG haben Superjeilezick gehört und wie aus einem Mund gesagt: Das ist ein Karnevalshit. Jungs, damit müsst ihr in den Fastelovend. »Dann bring ich mich lieber um«, hat Harry geantwortet und seinen größten Finger ausgetreckt. »Wir sind eine Rockkapelle. Was wollen wir da?« Er hat schnell wieder aufgehört rumzumotzen. Denn, lieber Harry: Es gab keine Alternative. Unser kleiner Klampfer hatte damals schon zwei Kinder, Peter und Stephan auch, Kai einen Sohn. Und für die großen Bühnen wurden wir nur noch in Köln gebucht. Der Karneval sollte ja auch nur ein Testlauf werden. Wir wollten schließlich weiter von unserer Mucke leben. Und gefeiert haben wir auch alle ganz gern. Warum also nicht mal im Gürzenich spielen und bei der Mädchensitzung in Vettweiß bei Düren? Was konnten wir verlieren?
Christian und Stephan sind also mit dem Lied zu Janus Fröhlich von den Höhnern. Als der gesagt hat: »Ist ganz ok, aber so toll ist das Lied nicht, gebt es doch uns, ihr seid doch gar nicht im Karneval«, war uns klar: Das Lied ist richtig gut. »Wir sind am Ende, verarsch uns jetzt bitte nicht«, hat Stephan zum Janus gesagt. »Wir würden es gern mit dem Lied im Karneval versuchen. Könnt ihr was für uns machen?« Die Höhner haben uns schließlich geholfen, wir haben einen Deal gemacht: Sie haben die Verlagsrechte für Superjeilezick bekommen und uns dafür mitgenommen auf die Bühnen der Karnevalsgesellschaften. In der Session 2000/01 haben uns die Höhner immer angekündigt, wir haben unser Lied auf ihren Instrumenten gespielt, und das war’s. Das heißt: Das war’s eben nicht so ganz. Superjeilezick, die melancholische Motte aus Peters Dachgeschosshöhle, hat sich nämlich ziemlich schnell als Hit entpuppt, der nicht mehr einzufangen war. Das gibt es ja manchmal: Viva Colonia von den Höhnern ist so ein Lied. Als wir das zum ersten Mal hörten, war uns klar: Mist, da geht in diesem Jahr nichts drüber. Oder Du bes Kölle von Tommy Engel, ein urkölscher Mitsingsong. Wenn solche Nummern laufen, haben es die anderen ganz schwer.
Als wir mit der Single Superjeilezick von Kneipe zu Kneipe zogen und die Scheibe, auf der ein Marihuana-Blatt schimmerte, den Wirten anboten, sah es allerdings noch nicht nach Hit aus. Die meisten wollten das Ding nicht geschenkt haben. Was wollt ihr Verstrahlten hier? Geht mal schön zurück in euren Bananenkeller. So in dem Stil ging es oft ab. Nur Jürgen Walter, ein bekannter Kölner Gastronom, sagte spontan: »Dazu werden die Leute jahrzehntelang auf den Tischen tanzen. Glückwunsch, Pitter.«
Einen Vorgeschmack auf das, was uns erwarten sollte, bekamen wir im Oktober 2000 auf der Mädchensitzung der Karnevalsgesellschaft Neppeser Naaksühle im Nippeser Tälchen. Natürlich im Schlepptau der Höhner. Die Mädels haben gekreischt und denen Richtung Hosenlatz gegrabscht, ein paar haben ihre größten Vorteile ausgepackt und wollten Autogramme da drauf. Wir dachten, wir sehen nicht richtig: In welchem Film waren wir denn jetzt gelandet? Inzwischen kennen wir den Streifen relativ gut. Wenn wild gewordene Ehefrauen dir ohne Vorankündigung die Zunge in den Hals stecken und dir unter die Gürtellinie greifen, ist das nicht unbedingt immer lustig. Wenn an einem normalen Abend im Karneval zigmal an dir rumgerissen wird, du nackte Körper siehst, die du nicht sehen willst, und gekreischt wird »Ich will ein Kind von dir«, kann das anstrengend sein. Andererseits fühlt man sich manchmal so, wie sich Mick Jagger und Paul McCartney früher ständig gefühlt haben müssen. »Wenn Frauen mir das Gefühl geben, noch mit 50 sexy zu sein und vielleicht sogar ein kleiner Musikheld, schmeichelt mir das irgendwie«, sagt Peter. Wir wollen uns also nicht allzu sehr beschweren. Wir sind keine Helden, aber ab und zu das Gefühl zu bekommen, welche zu sein, ist ganz okay.
Irritierend für die Höhner war möglicherweise, dass es bei unseren Auftritten manchmal lauter wurde als bei ihren eigenen. Da nehmen wir netterweise eine Rockband mit und die macht uns jetzt richtig Konkurrenz, haben die vielleicht irgendwann gedacht. Bis zum Ende der gemeinsamen Auftritte hat es nicht mehr lange gedauert. In der nächsten Session haben uns netterweise die Paveier mitgenommen. Die Verlagsrechte für die Single hatten die Höhner, die Verlagsrechte für den Rest der Platte bekamen die Paveier. So war der Deal. Für die Paveier und die Höhner kein schlechtes Geschäft, im Nachhinein. Die Scheibe hat sich blendend verkauft.
Den Songtext von Superjeilzick kannten inzwischen offensichtlich wirklich alle. Und es war beruhigend, dass einige jetzt doch entsetzt waren. Zum Beispiel Hans-Horst Engels (Gott hab ihn selig), seinerzeit Präsident des Festkomitees: Der saß in jedem Sitzungssaal in der ersten Reihe. Wenn wir auf die Bühne kamen, ist er demonstrativ aufgestanden, hat seine Frau an die Hand genommen und ist mit ihr raus. Manchmal mit ein paar Getreuen im Schlepptau. Engels konnte mit unserer Musik einfach nichts anfangen. Man muss dem Mann attestieren, dass er konsequent war: Er hat die Nummer bei jeder Sitzung durchgezogen, das hatte nach ein paar Wochen Dinner-for-one-Charakter: Der halbe Saal hat geschmunzelt, wenn Engels und seine Gattin das Weite suchten.
Superjeilezick war unser Statement beim Einstieg in den Karneval. Da kommen so komische langhaarige »Bombenleger«, singen vom Kiffen, Saufen und Poppen, und das Gürzenich-Volk singt mit – da ist der Karneval doch endlich mal wieder so unernst, wie er sein sollte. Das Lied ist keine Hymne auf Alkohol und Drogen, liebe Kinder, Eltern und Großeltern. Der Text hat einfach an Peters damaliges Leben angedockt: Unser Pitter hat es bis Ende 30 ziemlich doll getrieben, und er hat darüber geschrieben. Eines der besten Beispiele ist das Lied Op d’r wiesse Ling: Da schreibt er über einen Typen, der sich vollgedröhnt hat, mit einem Mädchen durch die Kneipen zieht, aufs Klo geht, seine Braut nicht wiederfindet und einfach die nächste mitnimmt. Der Typ, der da durch die Nacht irrt, könnte was von dem Typ haben, der das Lied geschrieben hat. Ein bisschen ähnlich lief Peters Leben damals ab, und darauf ist er heute nicht stolz. Wobei Peter Wert legt auf das »ähnlich«. Er sagt: »Man kann viel von sich erzählen, ohne ganz die Hosen runterzulassen.« Also übernehmen wir das jetzt mal für ihn.
Unser Freund und erster Manager, der leider viel zu früh verstorbene Karl-Heinz Pütz, hat mal gesagt: »Brings hat die Klischees des Rock ’n’ Roll ausgelebt wie wenige andere.« Er hat damit wohl in erster Linie Peter gemeint. Peter ist unser Straßenköter. Einer, dem das bürgerliche Leben oft zu langweilig war, den das Milieu angezogen hat, wie es Falter zum Licht zieht. Ein ziemlich extremer Typ: sensibel und gefühlvoll, begeisterungsfähig, kreativ, energiegeladen, aber auch labil, reizbar, immer ein bisschen auf der Flucht. Es ging ihm wie dem Typen aus dem Lied Leider nur ein Vakuum von Peters Helden Udo Lindenberg: Der steckt sich freitagsabends 100 Mark und ne Zahnbürste ein, zieht seine Stiefel an, rennt bis Montagmorgen rum und probiert fremde Betten aus.
Nur ein Beispiel: Auf unserer ersten Tour hat Peter nach dem Gig in Berlin eine Frau kennengelernt und ist mit der nach Hause. Am nächsten Morgen ist er aufgewacht, und eine Etage tiefer im Hochbett lag noch ein Mädel. »Wer ist das denn?«, hat Peter seine Nachtbekanntschaft gefragt. »Meine Tochter«, hat die Unbekannte neben ihm ganz trocken erklärt. Peter hat sich in Höchstgeschwindigkeit die Klamotten übergestülpt und ist raus aus der Tür. Da stand er dann in Ostberlin und wusste nicht, wo er ist. Ein Handy gab’s damals noch nicht, und wir waren für 10.00 Uhr am Hotel verabredet, um zum nächsten Gig nach Hamburg zu fahren. Es war aber schon 12.00 Uhr. Peter ist mit dem Zug nach Hamburg gekommen, wir haben ihm im Club, in dem wir gespielt haben, an der Bar angetroffen.
Peter war immer ein Spieler. Einer, der ohne Anker im Meer rumtrieb. Talentiert, aber immer mit einem Bein in der Gosse, in der er auch die Geschichten für seine Lieder suchte. Euphorie und Depression im permanenten Wechsel. Mit Peter stiegen und fielen jahrelang die Brings-Aktien, vor allem wegen Peter dachten wir oft an Konkurs. Besser gesagt: Wir hatten nicht nur Angst, dass unsere Band zerbricht. Wir hatten auch Angst um ihn.
Peter wollte sich mitteilen, er wollte, dass die Leute ihm zuhören, er wollte geliebt werden. Und das ging nur über die Bühne. Es gab keine Alternative: Auf Schule hatte er keinen Bock und ging kaum hin, nach der neunten Klasse Montessori-Hauptschule musste man ihn quasi rausschmeißen, weil er eh fast nie da war. Ein Stechuhr-Job ging aber erst recht nicht.
Peter wusste schon, bevor die Haare an den entscheidenden Stellen richtig sprossen: Ich will Musik machen, um reich und ein bisschen berühmt zu werden. Und wenn die Bühne und ein manchmal eher mickriger Applaus nicht ausreichten, mussten eben andere Adrenalinverstärker her.
© Martin Becker/EMI/Universal
Peter 1992
Peter sah mit seinen langen Haaren und dem drahtigen, ausgemergelten Körper ein bisschen androgyn aus, er trug am liebsten enge Jeans oder Lederhosen, den Oberkörper hat er sich während der Konzerte fast immer frei gemacht. Eine Musikzeitschrift hat ihn mal zum »schönsten Sänger des Jahres« gewählt, haha. Wir würden das so nicht unterschreiben. Aber er konnte Mädels haben und musste wenig dafür tun. Na ja, das heißt: Wenn er sich auf der Bühne nicht immer die Kleider vom Leib gerissen hätte, wären wahrscheinlich auch nicht so viele Mädels auf ihn aufmerksam geworden. Manchmal haben sie ja schon kurz nach dem Gig an ihm geklebt, und er hat es genossen. So oder so: Es gab immer Leute, die mit ihm den Alltag vergessen wollten. Und er hat sich meist nicht zweimal bitten lassen, obwohl das nicht unbedingt wahre Liebe gewesen ist. Heute ist Peter sich nicht sicher, ob der Erfolg ihm damals gutgetan hat.
Nach den Platten »Zwei Zoote Minsche« und »Kasalla« dachte ich: Geil, ich habe geschafft, was ich immer wollte. Musiker sein, ein bisschen Geld haben, auf der Straße erkannt werden, und alle finden einen cool! Einen, der keinen Schulabschluss hat und sonst zum Arbeitsamt gerannt wäre! Ich fand es super, dass ich ständig eingeladen wurde, egal, um was es ging. Ich habe die Nächte durchgefeiert, ein paar Stunden gepennt und bin zu den Gigs gefahren, total egal, was morgen wird. Zu brennen wie eine Wunderkerze, immer alles rauszuholen, mich letztlich völlig auszubeuten, das gehörte für mich zum Selbstverständnis: Ein Musiker muss kämpfen und brennen und feiern, sonst ist er kein Künstler. Zum Glück ging es mit dem Erfolg nicht immer weiter. Wären wir damals so erfolgreich gewesen wie heute, wäre ich längst tot.
In den Jahren vor Superjeilezick verschwand unser Sänger oft einfach in irgendwelchen Kellerhöhlen oder Clubs. Er war dann mit seinen Mülheimer Kumpels unterwegs und kaum auffindbar. Einmal haben Chris und Stephan ihn vor einem Gig in einem Wohnzimmer gefunden. Um ihn auszunüchtern, haben sie ihn eingesperrt. Ein andermal war er vor einem Vorweihnachtskonzert in Bad Godesberg wie vom Erdboden verschluckt. Der Soundcheck war für 19.00 Uhr angesetzt, das Konzert für 20.00 Uhr. Um zehn nach acht kam Peter mit einem schrägen Kumpel gut gelaunt und zumindest halbvoll getankt in einer alten S-Klasse vorgefahren und hat uns ein »Na Jungs, alles klar?« zugeraunt. Wir hatten einen Riesenhals. Chris ist ausgerastet, hat Peter angebrüllt und hätte ihn fast verprügelt. Zehn Minuten später standen wir zusammen auf der Bühne und haben ordentlich abgeliefert. Chris und Peter haben anschließend ein paar Bier zusammen getrunken. So ähnlich ging es oft.
Mit seinem alten Zuhälter-Mercedes war Peter auch noch unterwegs, als er seine heutige Frau Birgit kennenlernte. Den Wagen hat er damals regelmäßig für Saufgelage missbraucht, man kann sich das vorstellen wie im Film Pulp Fiction. Besonders angetan waren Pitter und seine verstrahlten Freunde von diesen kleinen Kümmerlingpüllchen, Sonderanfertigungen für den diskreten Alkoholiker. Als er Birgit zum ersten Mal auf eine Spritztour einlud, hat er leider kurz nicht aufgepasst und musste auf die Bremse treten. Blöd bloß, dass unter den Sitzen noch ungefähr 50 Kümmerlingpullen lagen, die wie aus dem Nichts alle in den Fußraum kullerten. Ja, ja, Peter war schon ein echter Gentleman. Aber Birgit hat sich nicht irritieren lassen und tapfer gelacht. War möglicherweise eine entscheidende Szene, dass das klappen könnte mit den beiden. Wer vor Dutzenden Schnapsflaschen und einem pervers stinkenden Auto, dessen Ausdünstungen nur von einem Duftbaum übertüncht werden, nicht zurückschreckt, muss hartgesotten sein – oder es ist wahre Liebe im Spiel.
Ganz so charmant lief es natürlich nicht immer ab. Einmal hat Peter ein Konzert abgebrochen, weil er sich durch das Licht gestört fühlte und der Verantwortliche die Lichterketten trotz mehrmaliger Bitte nicht ausknipste. Es war ein fetter Gig mit Radioübertragung in Koblenz. »F… den Hausmeister!«, hat er den pfeifenden Leuten gesagt, bevor er von der Bühne marschiert ist. Wir sind erst mal wie angeknockt auf der Bühne stehen geblieben, irgendwann aber hinterhergetrottet. Das Licht war wirklich eine Frechheit – Peters Verhalten aber auch. Keiner von uns konnte ihn überreden zurückzukommen. An die Umstände des Desasters können wir uns nicht mehr im Detail erinnern, verdrängt vielleicht. Nur noch daran, dass es megamies fürs Image war – Radio RPR saß bei dem Konzert mit im Boot, die hatten uns vorher hofiert. Und spielten unsere Lieder jetzt erst mal gar nicht mehr.
Als Peter nach einem Gig wegen irgendeiner Lappalie, vor allem aber, weil er besoffen war, eine Garderobe in ihre Bestandteile zerlegt hat, haben wir ihm die Pistole vor die Brust gesetzt: Keinen Schritt weiter, sonst ist es vorbei mit unserer schönen Kapelle. Und das solltest du dir gut überlegen, denn damit zerstörst du deine eigene Existenz und die von uns und unseren Familien gleich mit. Das wollten wir nicht so gern, schließlich konnten wir nix anderes und hatten uns ganz hübsch was aufgebaut. Und das wollte Peter letztlich auch nicht. Er hatte zwar keinen Bock auf einen Therapeuten oder eine Selbsthilfegruppe. »Wat soll ich bei den Psychos?«, hat er geschnauzt. Ist aber dann doch zu den Anonymen Alkoholikern gegangen. Mehrere Jahre lang. Und es hat ihm geholfen.
Es ist nicht so, dass Peter sofort ganz trocken war. Er ist hin und wieder noch hacke gewesen. Aber die haben ihm in der Gruppe klargemacht, was er sich und seinen Mitmenschen antut, wenn er ständig säuft. Dass er sein Leben extrem verkürzt und das Leben seiner Familie kaputt macht dabei. Er musste sich auch Geschichten anhören über Leute, die mit 28 an Leberzirrhose gestorben sind oder bis heute in der Klapse sitzen. Dass er sich ruiniert, war ihm irgendwie halbwegs klar. Verschwende deine Jugend, lebe jeden Tag, als wäre es dein Letzter – solche James-Dean-Sprüche fand er tendenziell cool. Das Leben war doch da, um es aufs Spiel zu setzen! Und es gelang ihm doch trotzdem immer, den Leuten im Club einen schönen Abend zu bescheren, auch wenn es ihm selbst innerlich beschissen ging auf der Bühne! Als ihm aber klar wurde, dass er auch seine Familie fertigmacht mit seinen Abstürzen, hat sich Pitters schlechtes Gewissen geregt. »Was wird dann aus deinen Kindern?« Die Frage hat noch in seinen dunkelsten Dämmerzeiten was ausgelöst. Stephan hat ihm oft ins Gewissen geredet. Aber die beiden sind wie Feuer und Wasser: Wenn Stephan löschen will, zischt Peter zwar, brennt dann aber weiter. Die Frage nach der Zukunft der Kinder hat ihn dann trotzdem beschäftigt. Denn Stephan war immer eine Instanz für ihn.
© Privat
Die drei Brings-Pänz: Stephan, Peter und Maria
Als Kind war Peter zu Hause der Anführer. Wenn Nachbarskinder an der Haustür standen, haben sie gefragt: »Ist der Peter da?« War Peter nicht da, haben sie gefragt: »Ist der Stephan da?« Für Stephan war das ganz normal. Peter hat – im Gegensatz zu Stephan – früh rebelliert: auswärts gepennt, gefeiert, Schule geschwänzt, Mädchen mit nach Hause gebracht.
Meine erste Freundin hatte ich mit 14. Ich weiß noch genau, wie sie aussah, wie sie roch, wie sie mir die Augen verdreht hat. Sie war 16 und in der Schule total angesagt, jeder wollte was von ihr. Wenn wir auf unserem Zimmer waren, haben wir oft Bob Marley gehört oder die Stones – das waren ihre Bands. Angie von den Stones war unser Lied, das haben wir zum Rumfummeln aufgelegt, das verbinde ich noch heute mit ihr. Es ist einer dieser Songs, die ein Leben lang eine bestimmte Erinnerung wecken. In diesem Fall: meine erste Liebe, mein erster Sex. Als wir uns getrennt haben, nach ein paar Monaten, vielleicht auch nur Wochen, hat mir das das Herz gebrochen.
Mit 14 ist Peter auch schon regelmäßig in Kneipen gestrandet, im La Strada auf dem Ring zum Beispiel, das gibt es heute noch. Als sein Vater erfuhr, dass der Wirt ihm Bier gibt, hat er sich den guten Mann vorgeknöpft. Zu Hause – was abwechselnd und je nach Laune bei Papa oder Mama war – ist Peter mit 17 ausgezogen, hat bei Freundinnen oder im Proberaum geschlafen und alles ausprobiert, was er in die Finger bekam.
Eine Freundin von Rolly vermittelte ihm einen Platz in einem Kibbuz in Israel – dort sollte Peter ein bisschen runter- und zu sich kommen. Die jungen Soldaten konsumierten Koks und Opium wie Wasser und Brot, um ihre Kriegserlebnisse zu verdrängen; die schwer traumatisierten Jungs waren ihm dann doch ein bisschen zu heftig. Als beim Kühemelken in einem Transistorradio über Mittelwelle das Lied »Ich mööch zo Fooß noh Kölle jonn« von Willi Ostermann gespielt wurde, hat er geheult wie ein Schlosshund. Wenig später war er zurück in Ehrenfeld. Schnell Heimweh bekommt Peter bis heute. Wenn er nicht zu Hause ist, muss er zumindest seine Familie um sich haben und hin und wieder den kölschen Dialekt hören, sonst packt ihn irgendwann der Blues.
Peter ist bis heute näher am Wasser gebaut als der Rest der Kapelle. Und zwar nicht, weil er ständig an die supergeile Zeit früher denkt. Das macht jeder mal gern beim Bier mit Freunden oder allein im stillen Kämmerlein, darum geht es auch immer wieder in unseren Liedern. Aber es sollte nicht überhandnehmen: Wer überzeugt ist, dass sein Leben früher besser war, ist vermutlich in der Gegenwart nicht besonders glücklich. Und bei Peter ist eher das Gegenteil der Fall: Es geht ihm heute besser als früher.
Unser Frontmann ist nach wie vor schwankend in seinen Stimmungen, ein Bauchmensch durch und durch eben. Seine Leidenschaft macht ihn wahrscheinlich so charismatisch, aber auch verletzlich. Er hat kein Problem damit, sich zu seiner Verwundbarkeit zu bekennen. »Diese Unsicherheit, ob es richtig ist, was ich mache, treibt mich ja an«, sagt er. »Unsicherheit ist auf jeden Fall ein Motor, um kreativ zu sein.«
Eine tierische Präsenz hatte Peter schon früh auf der Bühne. Er kann Menschen fesseln, und das nicht nur, weil er »Dreck in der Stimme hat«, wie unser Produzent Helmuth Rüssmann meint. Er ist charmant, locker und freut sich, wenn tausend Leute auf ihn gucken und lächeln. Die geborene Rampensau – und insofern auch der natürliche Leader der Kapelle, zumindest auf den Brettern.
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20-jähriges Jubiläum: Konzert im Stadion
Peter stand also immer für die Klischees eines Rockerlebens: ganz der getriebene, lebensgierige einsame Wolf, ständig unterwegs zwischen Himmel und Hölle. Für uns war es zwar schwer, ihn zu bändigen, aber alles in allem auch ein Riesenglück. Schließlich zog er damit tierisch Aufmerksamkeit auf uns. Und er selbst dachte manchmal: »Ich muss das weiterleben, das gehört zu unserem Image. Und dafür stehe als Frontmann vor allem ich.«
Stephan zum Beispiel sieht mit seiner Mähne und seinem drahtigen Body ja auch wie ein Rocker aus, hat sich von Drogen und flüchtigem Sex aber lieber ferngehalten. »Wäre ich statt Peter der Kopf von Brings, wäre das so, als wäre Charlie Watts der Frontmann der Rolling Stones: Watts züchtet Pferde und hat gute Manieren. Mit dem wären die Stones nie so erfolgreich geworden«, sagt unser Bassist.
Wir sind natürlich alle Kinder unserer Zeit. Mitte der 60er-Jahre geboren – mit Ausnahme von Kai: Unser Nesthäkchen ist 71er Baujahr. Unsere frühen Helden hießen Paul McCartney und John Lennon, Mick Jagger, Pete Townshend, Bob Dylan, die Sex Pistols, The Police und Janis Joplin. Dazu kamen deutsche Größen wie Lindenberg, Stoppok oder der zu unseren Jugendzeiten in Köln ziemlich angesagte Jürgen Zeltinger. Fast alle diese Musiker haben die Klischees des Rock ’n’ Roll gelebt, es waren Nachkriegskinder, die gierig auf Leben waren und nicht vorhatten, ihre Zukunft groß zu planen – für uns waren es Vorbilder, wenn auch nicht im engsten Sinne des Wortes. Mit Lou Reed ist im Oktober 2013 einer der letzten dieser richtigen Jugendverschwender gestorben. Bei Reed war dieses Leben genauso in der Stimme zu hören wie bei Peter.
Es gibt natürlich auch eine andere Seite von Peter. Den Peter, der mal Tierpfleger werden wollte, mit seinem Opa oft im Zoo war, noch heute eine oft genutzte Jahreskarte für den Tierpark hat und gern Tierdokumentationen guckt. Den Peter, der zum Soundcheck kommt, erst mal mit jedem aus der Crew quatscht und fragt, wie es ihm geht. Er ist nämlich auch ein Harmonietyp, der sich schnell mit jemandem versteht – oder eben nicht. Er hört konsequent auf seinen Instinkt, deswegen ist er auch gelegentlich etwas ungemütlich. Kann auch mal cholerisch werden – aber die Wut ebbt meistens so schnell wieder ab, wie sie gekommen ist. Sollte man also nicht ganz so ernst nehmen.
Trotzdem kann man – wenn man ihn ein paar Jährchen kennt – das Gefühl kriegen, dass Peter mit ein paar Tausend Menschen auf der Bühne besser umgehen kann als mit einem oder zwei. Vor dem Mikro ist er immer ganz da. Wenn die Lichter aus sind, ist er öfter mal zerstreut. Klar, dass Peter nicht unsere Geschäfte führt. Das macht Chris, der lässt seinen Bauch beim Verhandeln zu Hause.
Es ist noch gar nicht lang her, da parkte Pedro, ein junger portugiesischer Filmemacher auf Arbeitssuche, seinen VW-Bus bei Peter in Neuehrenfeld vor der Haustür. Peter hat da gerade Rasen gemäht, die zwei sind ins Gespräch gekommen, und Peter hat Pedro sofort Strom und sein Internet-Passwort gegeben. An den nächsten Tagen hat der Junge mit der Familie Brings zu Abend gegessen. Unser Sänger wusste da schon lange, dass man nicht gleich einen Freund kriegt, wenn man sein Herz verschenkt. Aber er wusste auch, dass Pedro ihn nicht verarscht und erst recht nicht bescheißt. Trotzdem erstaunlich, wie offen Peter geblieben ist, bei den ganzen zwielichtigen Typen, die ihm und uns immer wieder über den Weg laufen. Wie ein Kind, das jede neue Erfahrung erst mal super findet. Damit ist er auch einige Male tierisch auf die Fresse gefallen. Manchmal wundern wir uns, wie schnell Peter seine Handynummer auch heute noch rausrückt. Und sich dann auch gern mal ärgert, weil einer nur sein Freund sein will, weil er der Sänger von Brings ist.
Unser Straßenköter ist also eigentlich ein lieber Ehrenfelder Schnauzer, ein Hund für die ganze Familie, mit leichten Macken. Wenn wir eine Besprechung haben, sitzt er keine fünf Minuten auf seinem Platz, sondern tigert umher. »Wäre das damals schon in Mode gewesen, hätte man mir garantiert ADHS diagnostiziert«, sagt er. Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Meistens münzt er seine überschüssige Energie in Kreativität um. Wenn er sich allerdings mit Stephan zofft, sollte man in Deckung gehen und sich nicht einmischen. Wie das abläuft? Es beginnt meist mit einer Lappalie: ein Gig in Holland, bei dem die Leute nicht auf den Tischen getanzt haben, Bammel vor der Weihnachtsshow, weil Peter bei der Generalprobe den Text vergessen hat, ein PR-Termin, auf den er keine Lust hatte, um dann ein bisschen übellaunig da aufzukreuzen, so was in der Richtung.
Die Brüder kommen sich dann schon mal so nah, dass sie Spucke austauschen. Sind halt Brüder. So ein Gewitter brauchen sie hin und wieder, danach ist die Luft wieder klar. »Ich steig aus, ich hab keinen Bock mehr«, gehört übrigens zu Peters Lieblingssätzen. »Na Pitter, steigste mal wieder aus?«, sagt Harry dann gern. »Ich kenn ein paar gute Sänger, die können sofort übernehmen …«
© Natalia Kepesz Photography (nataliakepesz@hotmail.com)
Wie wird aus zwei Ehrenfelder Arbeiterkindern, einem Ministersohn, einem Hausmeistersprössling und einem Jungen aus einer kölschen Musikerdynastie eine Band, die es ein Vierteljahrhundert zusammen aushält? Um das zu erzählen, werden wir ein bisschen in unserer Vergangenheit graben. Wobei sich die Frage auch ganz einfach beantworten lässt: Wir sind extrem unterschiedlich, und unsere gegensätzlichen Charaktere passen wie durch ein Wunder ziemlich gut zusammen. Es soll ja Kapellen geben, die sich hinter der Bühne eisern anschweigen – bei uns ist das Gegenteil der Fall. Sobald wir im Bandbus hocken, verwandeln wir uns in pubertierende Teenager. Harry zupft dann auf seiner Ukulele, Kai und Peter singen, wir schießen uns Handybilder zu und klären die Frage: Wer hat den dreckigsten Witz auf Lager? Harry und Kai gewinnen oft, aber Christian ist sportlich: Er kennt die meisten und versucht immer zu kontern. Da wird kein Thema ausgelassen; und wenn mal wieder einer ein besonders peinliches Ding rausgeblasen hat, sagt Peter gern: Geil, den bring ich gleich auf der Bühne. Und dann heißt es abwarten, was unsere Rampensau später ins Publikum grunzt. Manchmal macht er seine Drohung dann zum Entsetzen aller wahr. Wir sind ja seit unserem Einstieg in den Karneval eine Familienband, und wenn da Acht- bis Achtzigjährige im Publikum stehen und Pitter vom Kiffen in jungen Jahren mit einem Mädel erzählt, das anschließend kotzend unterm Tisch lag, ist das möglicherweise ein bisschen drüber. Ein paar auf Kölsch ins Mikro geschnodderte Sätze verflüchtigen sich zum Glück oft schnell im Bierdunst der Festzelte. Und wir laden schließlich auch nicht zum Kindergeburtstag ein.
© Natalia Kepesz Photography (nataliakepesz@hotmail.com)
Die Bandmitglieder mit ihren Stockpuppenkonterfeis des Hänneschen-Theaters
Teenagerjokes und verschiedene Charaktere reichen natürlich nicht, um eine Combo quasi auf Lebenszeit zusammenzukitten. Zwei Dinge sind da wohl nicht ganz unwichtig. Zum einen haben wir keine Alternative. Oder eben nur so Wahlmöglichkeiten wie Gitarrenlehrer, Gartenbau, kellnern oder stempeln gehen. Und wer einmal als Musiker gearbeitet und seine Kohle verdient hat, will auch nix anderes mehr machen, auf der Bühne zu stehen, ist einfach zu geil. Zumindest geht uns das so.
Zum anderen klappt das noch immer mit uns, weil wir inzwischen eine ziemlich gute Aufgabenverteilung haben. Peter und Stephan schreiben fast alle Texte und konkurrieren immer ein bisschen um das beste Lied. In der Regel werden zuerst die Texte geschrieben, und die Musik kommt danach dazu. Alles basiert auf der Sprache – die Mucke dazu ist das Transportmittel, das Öl, das die Sache geschmeidig macht. Beim Einölen der Texte ist Harry unser Chefmasseur, er produziert die Songs auch, Kai kümmert sich vor allem um die Chöre. Bis ein Lied nach Brings klingt und auf eine Platte kommt, haben immer alle von uns dran rumgeschraubt. Unsere Brüder sprechen sich bei jedem Lied ab, schreiben aber meistens getrennt. Ist ein ganz guter Deal, um sich nicht ständig gegenseitig zu zerfleischen und zu vergleichen, wer den Längeren hat. Das machen sie auch so schon genug. Es ist natürlich nicht ganz leicht für eine Kapelle, zwei dominante Protagonisten zu haben, die dann auch noch unsere Namensgeber sind. Aber Peter und Stephan sind keine Alleinherrscher: Die würden sich selbst wünschen, dass auch wir anderen mehr Texte zuliefern – aber Kai und Chris fühlen sich nicht dazu berufen und Harry nur ganz selten mal.
Dass viele Peter und Stephan als Gesichter von Brings wahrnehmen, liegt wohl daran, dass Peter die Interviewtermine übernimmt und Stephan auch öfter mal in der Zeitung zu sehen ist. Stephan ist so was wie unser heimlicher Chef, auch wenn er das nicht so gern hört: Unser Bassist weiß ähnlich gut wie Kai, wie das rheinische Hätz pocht, und lebt das auch. Deswegen hat Stephan relativ oft das letzte Wort. Zusammen mit Chris war Steff acht Jahre lang der Manager der Band. Mit Christian, weil unsere in der Regel zahme Bulldogge (Peter nennt ihn allerdings Border Collie, er hält ihn für lieb) der geborene Finanzminister ist. Geldeintreiber hört sich ein bisschen nach Milieu an, trifft aber in unserer Branche ziemlich oft zu. Und damit ist Christian auch mehr als nur ein bisschen Cheffe.
Chris und Stephan haben ab 1998 unser Büro geleitet und alle Buchungen und Verhandlungen geführt, dazu mussten sie regelmäßig den Blitzableiter spielen, weil der Rest der Kapelle öfter mal unzufrieden war: mit Gagen, Terminen und so weiter. Irgendwann ging das nicht mehr, weil wir uns zu oft in die Haare gekriegt haben. Die beiden haben tierisch geackert und natürlich auch ständig Ansagen gemacht. Der Ton wurde schärfer. Harry und Peter haben ständig rumgemault, Chris und Stephan haben zurückgekeilt. Manager und Mucker in einem – das passt irgendwie nicht. Das ist, als ob Jogi Löw sich in der Nationalmannschaft selbst als Stürmer aufstellt, weil er denkt: Der Miro Klose ist fast so alt wie ich und der Gomez hat die Haare schön, den find ich blöd.
2006 haben wir mit Anja und Ralph zwei Leute gefunden, deren Fell dick genug ist, um unsere Launen auszuhalten. Sie führen unser Büro und halten uns den Rücken frei. Wenn es um harte Verhandlungen geht, ist aber nach wie vor Chris am Start. Wäre er nicht in die Band gekommen, hätten wir heute wahrscheinlich kein eigenes Studio und nie und nimmer selbst einen Stadiongig auf die Beine gestellt bekommen. Chris hält den Laden zusammen und behält den Überblick.
Chef im Studio ist unser Gitarrengott. Harry hockt oft nächtelang am Mischpult, um neue Melodien und Harmonien zu entwickeln und die Songs zu schleifen. Er hat sich da in den vergangenen Jahren so reingefuchst, dass er unserem Produzenten nur noch wenig Arbeit übrig lässt. Harry ist ein Techniker vor dem Herrn – er kennt sich am besten mit Handys, Computern und Instrumenten aus und frickelt ständig rum. Er war übrigens auch der Erste von uns, der ein Handy hatte – so einen Elefantenknochen, den er Wolfgang Petry abgekauft hat, für 1800 Mark.
Harry treibt die Band außerdem immer wieder an, was neue Einflüsse angeht – er hört ständig Mucke und ist immer auf der Suche nach neuen Horizonten. Fast noch mehr Melodien auf der Pfanne hat Kai, dessen musikalisches Talent höchstwahrscheinlich vom Papa kommt. Tommy ist ja einer der Bläck-Fööss-Gründer und für seine Wahnsinnsstimme bekannt. »Ich kenne keinen, der bessere Chöre schreibt als Kai«, meint unser Posaunist Schnucki (den keiner bei seinem bürgerlichen Namen Michael Theissing-Tegeler nennt). Und Schnucki muss es wissen, weil er selbst so ein Großtalent ist, der eigentlich im Jazz zu Hause ist und eine ziemlich beachtliche Laufbahn hingelegt hat. So ähnlich wie Christoph übrigens, der bei uns die Trompete bläst.