Theodor Plievier

Das gefrorene Herz

Erzählungen

Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans-Harald Müller

Kurzübersicht

Inhaltsverzeichnis

Über Theodor Plievier

Theodor Plievier wurde 1892 als Sohn eines Arbeiters in Berlin geboren. Mit 17 Jahren Flucht aus dem Elternhaus. 1914–1918 in der Kriegsmarine, Teilnahme am Matrosenaufstand. Anarchistisches Engagement als »Volksredner, Publizist, Verleger linksgerichteter Schriften«. 1929 erste Buchveröffentlichungen, 1933 Emigration. 1934–1945 Exil in der damaligen UdSSR, 1945 Rückkehr in die sowjetische, 1947 Flucht in die amerikanische Besatzungszone. Plievier starb 1955 in der Schweiz.

Über dieses Buch

Plieviers Erzählungen zeigen das Spektrum einer ungewöhnlichen Entwicklung: von den anarchistischen Anfängen über die dramatische Exotik der Südamerika-Stories (die ihm die Bezeichnung eines »deutschen Jack London« einbrachten) bis zur Meisterschaft der aufs äußerste verknappten, ironisch-lakonischen Kriegserzählung.

Impressum

Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.

 

Erschienen bei KiWi Bibliothek

© 2018 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

 

Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

 

Impressum der Reprint Vorlage

ISBN (eBook) 978-3-462-41179-9

Proletariers Ende

Kein Platz mehr? Verzweifelt kehrt er wieder um. Einsam stampft er durch die beschneite Straße. Der eisige Nachtwind schneidet ihm ins Gesicht. Ach, jetzt ein warmes Stübchen. Aber nein! Wo soll er diese Nacht verbringen? Die Asyle sind überfüllt. Auf einer Bodentreppe nächtigen? Die Häuser sind verschlossen. Draußen ist es kalt, bitter kalt. Er schüttelt sich vor Frost. Ach, warum muß er in kalter Nacht auf der Straße umherirren? Hat er Schuld, daß er keine Arbeit bekommt? Drei Monate sucht er nun schon, und noch keine Aussicht. Überall der gleiche Bescheid; Achselzucken, oder ein hochmütiges »Wir bedauern«. Warum sprechen sie nicht die Wahrheit? Warum sagen sie ihm nicht, »Sie sind zu alt«? Warum schreien sie ihm nicht entgegen, »verbraucht«? Ja, verbraucht. Seine Kraft ist dahin. Dreißig Jahre Proletarierleben, Not und Entbehrung, sie brechen den Körper und Geist. Was nun? Wie weiter? Soll er dem elenden Leben ein Ende machen? Ein Ende! Nur einen Augenblick dachte er daran. Nein und tausendmal Nein, Nie. Seine trotzige Widerstandskraft siegte. Stumm vor sich hinbrütend eilt er die lange Straße hinunter. Straße auf Straße, entlang an der grauen Häusermasse. Einförmig knirschen seine Schritte in dem frisch gefallenen Schnee. Von ferne hört er die Elektrische sausen. Ein Omnibus holpert schwer übers Pflaster. Seine müden Füße tragen ihn weiter. Weiter! Jetzt ist er an einer der Hauptstraßen angelangt. Blendende Lichterfülle. Zwei Reihen elektrischer, lichtfunkelnder Sterne schweben oben in der Luft. Unten auf dem feuchten, schlüpfrigen Asphalt sausen Automobile, galoppieren leichte Kutschen dahin. Ein bunter Menschenstrom wogt auf und ab. Er wird mit fortgerissen. Herren und Damen in eleganter Kleidung, Offiziere in funkelnden Uniformen, Damen in seidenen Gewändern, mit geschminkten Wangen und sorgfältigen Frisuren. Lachend und scherzend gehen sie ihren Vergnügungen nach. Ihn beachten sie nicht; ihn, in den einfachen, dürftigen Kleidern. Aber er fühlt ihre Blicke auf sich brennen, hört das Kichern der Damen. Voll Bitterkeit drückt er sich in den Schatten eines Hausflures. Den Hut drückt er tiefer ins Gesicht. Finsteren Blickes läßt er das Nachtleben vorüberfluten. Ach, wie ihn friert! Hat er nicht sein ganzes Leben gearbeitet! Und doch muß er darben, muß hungern und frieren. Und da, die anderen, warm schmiegen sich die Damen in ihre Pelzmäntel, hüllen sich in weiche Boas. Ihre Begleiter schlagen die Kragen hoch, stecken ihre wohlgepflegten Hände in warme Handschuhe. Und drüben, hinter den blinkenden Scheiben des Cafés, weiche Sessel, gedeckte Tische und eine angenehme Wärme. Schrecklicher denn je fühlt er sein elendes Los. Arbeiten und entbehren! Arbeiten und dann, wenn es nicht mehr recht geht, dann stößt man ihn grausam auf die Straße. Womit hatte er das verdient? Womit? Ach, es war auch das Los so vieler anderer. Tausenden geht es ebenso. Übermäßig arbeiten! Für wen? Für die anderen mit schaffen, daß diese im Überfluß, in Fülle leben, den Gewinn mit geschminkten Dämchen durchbringen. Er ballt die Finger krampfhaft zusammen. Zornig funkelt sein Blick. Doch im nächsten Augenblick sinkt er kraftlos in sich zurück: Gebeugt, mit einem bitteren Lächeln um den Mund steht er da. Ohnmächtig! Ohnmächtige Wut! Er stürzt hervor, dringt durch die geputzte Menschenmenge, die breite Straße entlang hinter das alte, gewaltige Tor, die riesigen Säulen. Da geht er zwischen durch, er, der winzige, bedeutungslose Mensch. Quer über den freien, erleuchteten Platz. Hinein in den schneeig funkelnden Tiergarten. Weit fort von dem glänzenden, blendenden Leben, von dem Leben des Scheins, des Trugs. Dort die hohen Bäume, die Bank. Erschöpft läßt er sich nieder. Schwer hebt sich seine Brust. Die Glieder zittern vor Kälte und Hunger. Der Wind singt oben in den kahlen Baumästen, fegt ihm den frischen Schnee ins Gesicht. Müdigkeit will ihn übermannen. Er kämpft dagegen, doch bleiern senken sich seine Augenlider. Sein Kopf sinkt vornüber, der Hut fällt zur Erde. Das Brausen der Straßen, der Atem der nahen Großstadt, den der Wind herüberträgt, es klingt ihm wie aus weiter Ferne. Er fühlt die Kälte nicht mehr, fühlt sein Blut nicht in den Adern erstarren. Er schlummert in Ruhe und Frieden. Seine Gesichtszüge hellen sich auf, um seinen Mund breitet sich ein glückliches Lächeln. Er träumt! In Jugendkraft sitzt er auf dem Bettrand bei seinem jungen Weibe. Nebenbei sein Töchterchen. Sein Atem geht schwerer. Von der Allee tönt das Tut, Tut der Automobile. Von ferne das gellende Pfeifen einer sausenden Lokomotive. Umher Totenstille. Ein einsamer Schläfer! Jetzt hallen Schritte durch die Dunkelheit. Eine Schutzmannspatrouille nähert sich. – »Donnerwetter der Kerl!« »Mensch, wachen Sie auf!« Der Schläfer rührt sich nicht. Zwei Männer tragen eine leblose Gestalt durch die nächtliche Straße.

Stienka Rasin

Die Welt wollte er unter die Füße nehmen, die ganze runde Welt, weniger nicht!

 

Es dampft die Stadt. Auf den Dächern flattern die Fahnen. Von der Kirche ist das Kreuz heruntergerissen – der Pope liegt irgendwo im Schnee mit steifgefrorenem Antlitz. Volk steht dicht gedrängt, steht wie gefrorenes Meer. Auf umgestürztem Wagen steht der Redner.

– »Towarishtschi!« –

Auf dem Platz ist Stille. Eine tragende Stimme geht über die Menge, geigt wie Wind über das Eis.

Towarishtsch Alexander spricht. Gestern noch lag er in Ketten und Mauern im dunklen Verlies der Festung. Heute steht er im hellen Mittag und spricht. Hoch aufgerichtet, Bart und Haar in Höhen, in tiefliegenden Augen loderndes Feuer, wirkt er die Geschichte eines Menschen, eines Volkes, das Geschick der Welt.

Die Holzhäuser, die den Platz einsäumen, sind wie Gehäuse großer Geigen. In mächtigen Sätzen springen Anklagen, schwellen Forderungen, erheben sich Verheißungen über zwanzigtausend, über dreißigtausend Menschen. Wuchtige Worte steigen in den Himmel wie magische Bälle, stürzen schwer auf die stehende Masse.

Es bricht das Eis. Rufe schallen: »Es lebe die Freiheit!« Ein altes Mütterchen ruft ekstatisch: »Ich habe nicht verstanden, ich habe nicht verstanden, was der Mann gesagt hat; aber er hat recht.«

»Towarishtsch Alexander lebe!«

Pelzmützen werden in die Luft geworfen; in der Sonne blitzen Waffen. Blusen bewegen sich. Das Volk marschiert.

Alexander marschiert an der Spitze lebendiger Flut, die in Straßenbreite durch die Stadt rollt. Was sich in den Weg stellt, wird unter die Füße genommen. An den Flanken splittert Holz, beißt Dynamit in granitene Fassaden. Im Kielwasser der Woge liegen Straßenbahnwagen, Automobile, das Unterste zuoberst. Kaiserbilder aus Marmor liegen im Kot, neben zertrampelten Leichen in Uniformen.

»Es lebe die Freiheit!«

Dreimal mannshohe Eisengitter werden gemäht wie Stroh. Hundertjährige Kerkertore öffnen sich, das Licht scheint in die Finsternis.

Abends schwillt Gesang an allen Enden der Stadt. Ein brennender Scheiterhaufen wird gefüttert mit Bündeln von Grundbuchblättern und Strafakten. Alle Schuld ist gelöscht. Brennende Kerker und Paläste stehen in der Nacht wie riesige Fackeln.

Das war die erste Posaune.

 

Sieben Jahre ist das her. Sieben Jahre, die Alexander durchtost und zernagt haben, mehr als sein Leben vorher, das Stunde um Stunde in Kerker und Verbannung getropft war.

Die Wasser waren entfesselt. Sturm war geblasen. Alexander wollte über die Welt gehen. Fleisch und Blut gewordner Traum fiebernder Gefängnisnächte. Aber da waren Männer, die nicht auf wilden Wassern reiten konnten, und sie waren die Meister des Tages. Brausende Volkskraft bogen sie in feste Form.

Alexander grub sich in die Erde. Mit seinen Getreuen unterwühlte und unterminierte er die neuerstehenden Festen. Immer kleiner, immer verzweifelter wurde die Schar. Sie kämpften unterirdisch wie Dämonen, bis die Macht, die Faust der neuerstandenen Macht sie aus ihren Löchern herauszerrte. Eingesargt in Eisenbahnwaggons, wurden sie durch das Land gefahren, über die Steppe, über Felder, durch schneezertoste Räume. Endloser Schienenstrang und endlos rollende Räder sangen das Lied.

Der Tod hatte Alexander gezeichnet. Gesicht nach Gesicht war an seiner Seite erloschen. Er blieb stehen. Der Tod ließ ihn stehen. Nach sieben Jahren spuckt er ihn aus – tausend Kilometer nach Westen!

Alexander steht in der fremden Stadt. Das eiserne Donnern von Brücken, das Tosen der rollenden Räder des Verkehrs brandet um seine Stirn. Über die Dächer schieben sich Schlangen elektrischen Lichtes, rot, grün, chlorweiß: »Tom Mix in Söhne der Wildnis«, »Jazz-Band, Tag und Nacht geöffnet«, »Raucht Tutenchamon, Qualitätszigarette«.

Auf der Straße liegt zertrampelter, schmutziger Schnee. Autobusse, Wagen, Straßenbahnen fahren vorbei. Männer in Mänteln und Hüten kommen und gehen. Frauen raffen den Saum ihrer Kleider hoch. Zeitungshändler brüllen Sensationen in die Nacht. Um eine Rotunde gehen junge Burschen herum. Sie saugen die Vorbeigehenden an mit Blicken, wie die Frauen.

Alexander ist nicht mehr Alexander. Sein Haar hat der Hunger gefressen. Seine Augen blicken kalt. – Ein Arm ist geblieben in der blutigen Faust der Steppe, verscharrt im Massengrab mit gestorbenen Kameraden.

Er geht. Gesicht grau. Kleider verwischt. Stiefel zerrissen. Bei ihm ist ein Mädchen, das nennt ihn Sascha.

Nacht steht vor dem Fenster; der Tag wischt grau vorbei und wieder ist Nacht. Sascha liegt hingestreckt auf dürftigem Lager. Über ihn hingebreitet sind Frauenkleider. Das Mädchen schläft nicht mehr; ihre Hände sind über dem Fiebernden; seine wilden Bewegungen dämpft sie mit ihren Brüsten. Wenn er schläft, stiehlt sie sich hinaus.

Sie steht im Licht der Gasflammen und singt.

Sascha hebt seine Augenlider auf, sieht zwei geweitete Augen im brennenden Gesicht; das Mädchen ist angezogen. Hut. Mantel – unter dem Arm hat sie eine Gitarre.

Jäh richtet er sich auf. Er geht mit ihr den Weg in die Nacht.

Gasflammen brennen. Glatzen sitzen am runden Stammtisch, über Spielkarten gebeugt. Auf Seitentischen stehen Likörgläser, Männer pressen heiße Frauenschenkel.

Da stehen zwei Gestalten, stehen wie durch die Wand gestoßen. Klavier und Geige auf dem Podium geben Raum. Die beiden singen.

In den Adern des Mannes brennt kaltes Fieber. Hände voll Brand schleudert er in die Höhe. Melodien werden lebendig, die aus Tiefen quellen, die aufreißen; durch Tabakwolken bahnt sich Breites.

»Ach ti Wolga, mathj rodnaja …«

Glatzen ertrinken. Schenkel pressen nicht mehr. Es ächzt die Wolga, stöhnt Beladenes. Wilde Wolkenreiter kommen über das Meer, wuchten über die Erde. Reißen den Bauch an starren Hängen der Berge. Stürzen, wälzen Wasser, wälzen wogende Wucht der Wasser in das Land.

Ertrunken ist das Lied der Trendler im Sand der Ufer. Dunkles Segel bläht sich über scharfbauchigem Boot. Aus Dunst und Qualm wächst wilde Gestalt – steht Fleisch und Blut – zwischen Schnapsgläsern und ertrinkenden Bierfäßern, mit lodernden Augen Stienka Rasin.

Ein Mann mit kahlem Schädel und Stoppelkinn und ein hochgewachsenes Mädchen mit schwindsüchtigen Wangen – Stienka Rasin und seine persische Fürstin.

Und die Kneipe ist keine Kneipe mehr. Die Männer sind keine Verworfenen und keine Feiglinge mehr – die Welt ist offen!

Dunkles Segel bläht sich über scharfbauchigem Boot. Auf dem Deck steht die Piratenmannschaft, klar zum Gefecht!

»Wolga, Wolga, mathj rodnaja …«

Stahlblaues Licht liegt auf schiefergedeckten Dächern, dampft über trägem Fluß, umfängt die Zinnen des Palastes.

Verlassen liegt der Platz. Ein Reiterstandbild ragt in Stille. Düster und trutzig wachsen Mauern in den Morgen. Sie stehen noch, die alten Mauern stehen noch.

Ein Mann geht die Straße; in ihm schwingt ein letzter Akkord: Sascha. Über hochgeschwungene Brücke geht langsamen Schrittes Towarishtsch Alexander.

Tutapa

1

Unser Boot hatte uns an Land gesetzt.

Und was Land ist, wie unsre Schuhe auf die Mole aufklappten, wie steif und stoßend es dabei in unseren Gelenken war, das wissen nur die, die einmal wie wir hundertundzehn Tage Fahrt hinter sich hatten von ihrem letzten Hafen her.

Und nur die und jene noch, die aus langer Gefangenschaft gekommen sind und zum erstenmal wieder durch die Straßen einer Stadt gehen, nur die können wissen, welche Offenbarung Gottes jeder schmutzige Straßenjunge uns war, jedes Weib, das mit seinem Kind vor der Haustür saß, und jeder Kerl, der eben aus einer Kneipe ausgespien wurde.

Peter Lindnaes, der an Bord mit harten finnischen Fäusten seine Headmanschaft verteidigt hat, umarmte einen vollgefressenen Schnapswirt und küßte ihn, daß ihm der Atem ausging.

»Bruder«, sagte er, »unser Käpt’n ist der verfluchte Sohn einer Hure. Aber du bist ein Gentleman!«

»Schenk die Gläser voll!« schrie Hannes Hansen.

»Schnaps! Das Faß auf den Tisch!«

»Gesundheit für die schwarze Jenny in Newcastle!«

»Gesundheit auf unsern dicken Wirt!«

»Gesundheit auf unsern Methusalem!«

Methusalem aber war ich, denn ich war der Jüngste an Bord.

In der Kneipe wurde die Lampe angesteckt. Mitten unter der Decke hing sie mit einem radgroßen gewölbten Tellerschirm. An den Wänden hockten Schatten, manche bewegten sich und kamen an den Schanktisch heran. Kerle, hager wie Peitschenstöcke, nur einer war dick und weich wie der Wirt. Gordito nannten ihn die andern.

Hannes Hansen hatte schon zwei oder drei Reisen an die Küste gemacht. Er bestellte Schnaps um Schnaps für die ganze Tischrunde und unterhielt sich mit dem Dicken.

»Ich kann sprechen wie ein Dego!« brüstete er sich. »Paßt mal auf, wenn ich erst richtig drin bin!«

Gordito glaubte auch eine fremde Sprache zu reden. Aber sie radebrechten beide das Küstengemisch, zusammengesetzt aus Schifferjargons und den Sprachen rund um den Stillen Ozean.

»Tchau-tschau« bedeutet Essen.

»Drinke-drinke« heißt Trinken.

»Tricke-tracke« ist das andere.

»Sailorman tricke-tracke?« erkundigte Gordito sich.

»Tricke-tracke!« bestätigte Hannes Hansen.

Peter Lindnaes, das gefüllte Glas am Mund, nickte beifällig mit dem Kopf. Sein Gesicht, das er an Bord mit Schmierseife gewaschen hatte und das noch röter als sonst war, leuchtete dabei.

»Auf ins Fandangohaus!«

Gordito übernahm die Führung.

Straßen im Mondschein, mit ihren niedrigen Baracken angeklebt an die Steilküste des Felsengebirges! Verlassen brennende Laternen, herrenlose Hunde, einsam durch den Abend pendelnde Polizisten! Kneipen mit weit offenen Türen, leer die eine, in der anderen saßen eine Handvoll brauner Gesellen um ein Faß herum, in noch einer anderen ein paar zerlumpte Weiber – diese schlecht beleuchteten Tavernen trieben an uns vorbei wie trübe Feuer einer vergessenen Flußauffahrt.

Dann fanden wir das Fandangohaus.

Hier war ein Knäuel von Farben und eine dunkle Musik, trommelnd und pulsierend wie das Blut in jungen Leibern. Frauenhände auf den Saiten von Gitarren, Frauenhände auf kleinen hölzernen Pauken! Und alles drehte sich, schwarzhaarige Gaunervisagen, Matrosen in Blusen, Antlitze von Königinnen der Kordillere … Beine, Schultern, Brüste, übergossen von Streifen fließenden Tuches, ein Wirbel von bebendem Fleisch und lohenden Farben! Und in der Mitte der Zambacueca, inmitten üppiger Frauen, die Brüste entfesselten, Lenden wie Fanale des Rausches trugen und zu einem Schrei rasender Lust wurden – Tutapa!

»Tutapa!« grüßten die Frauen.

»Tutapa!« warben die Männer.

Ein schlankes bronzefarbenes Mädchen, zarter als die andern, karger und weniger hoch gewachsen als die andern; aber sie war eine Flamme, die alle überlohte, die die Wolken dichten Tabakqualmes und das Bretterdach der elenden Fandangobude durchstieß.

Der Zimmermann eines in der Bucht ankernden Schiffes, der groß und breit war wie ein Bär und tappig und gebückt um sie herum tanzte, schien nur bis an ihre Knie zu reichen. Die Rufe eines besoffenen englischen Steuermannes »paloma mia … schick sie zum Teufel! In die Hölle die andern, drei Pfund gebe ich dir, drei Pfund Sterling, eine halbe Monatsheuer!« – die Rufe prallten an ihr ab und wurden unter die Füße getanzt.

Den Kopf hintenüber geworfen, die Augen geschlossen, trank sie mit halboffenen Lippen die entfesselte Sinnlichkeit der schwankenden Baracke voller Männer in sich hinein. Und sie genügten nicht, sie alle nicht. Opferten sie auch ihr Geld, ihre Schiffe, ihre Ehre …, ihre Frauen, die an den Küsten der Ostsee, auf Irland und in Norwegen Kinder von ihnen haben, das alles genügte nicht.

Sie tanzte, unter ihren Schenkeln bebte die Erde. Ihre Stirn schwamm in Höhen.

»Cientocinquenta pesos

me han ofrecido, ay si,

para poner el goro

a mi marido ay si, ay si, si!«

»Hundertfünfzig Peso

hat man mir geboten, o ja,

die Mütze über die Augen zu ziehen

meinem Ehegespusi, o ja, o ja, ja!«

Sie kauerten am Boden, Männer und Frauen, klappten die Hände im Rhythmus ihres Gesanges. In mir lösten sich Verschüttungen von Jahren. Hunger im Kohlenhafen an der Tyne, Prügel auf seeuntüchtigem Dreimaster, neuntausend Meilen durch Westwind, Sturzseen und Tropensonne bekamen Sinn. Und der Sinn war bronzefarben, hatte einen schlanken elfenbeinharten Leib und eine Hand, welche Finger wie Strahlen hatte, die in meine hineinglühten.

Tutapa setzte sich zu mir an den Tisch:

»Leche de mis noches, sangre de mis venas, salud!«

Ich stieß an mit ihr und antwortete: »Salud!«

Wein trank ich aus dem Glase, das ich nicht bestellt hatte und nie bezahlen konnte. Ich erzitterte unter der Fracht einer Seele, die ich nie getragen und nie gehütet hatte. Und die Sprache, die ich nicht verstand, wandelte sich in meinem Blute zu Musik.

Was um mich her geschah, jagte kaleidoskopisch an mir vorbei und berührte mich kaum. Da war Peter Lindnaes, der eine Schnapsflasche am Tisch zerschmetterte und die zackigen Reste dem Schweden durch Gesicht und Brust riß. Tische stürzten. Gläser, Flaschen, Menschen auf dem Boden! Gordito war ganz naß von verschüttetem Wein und fließendem Blut. Ein altes hakennasiges Weib, das aussah wie ein hundertjähriger Papagei, kreischte wie eine Besessene.

»Rudolfo! Don Rudolfo!«

Dann kam das Pferdegesicht, Muskeln und Knochen, schlägt und boxt. Und wieder Lachen, Tanzen und Wein!

Das Kaleidoskop rollt weiter, Fressen und Saufen. Der Polizeioberst des Städtchens stapft in die Bude, umgeben von Galgengesichtern. Er bestellt Bier und säuft ohne zu bezahlen.

Drinke-drinke!

Tschau-tschau!

Tricke-tracke!

»Tutapa!« rufe ich.

Und Tutapa hört! Im Wirbel der Zambacueca dreht sie ihren Leib aus dem Fandangotuch heraus und läßt es in meine Hände flattern. Der englische Steuermann schaut stier vor sich hin: »Drei Pfund Sterling, eine halbe Monatsheuer …«

Und ich hatte keinen einzigen Peso in der Tasche.

Peter Lindnaes ist zusammengesunken. Sein letzter Gedanke ist ihm im Schädel stehen geblieben: «Marguerita, kleine Marguerita!« Und er kommt zu seiner kleinen Marguerita, denn auch sein Pfund Sterling wiegt. Das Pferdegesicht schleppt ihn in eine Schlafkammer, und weil die Weiber knapp und Männer viel sind in dieser Nacht, legt der hundertjährige Papagei sich zu ihm nieder.

Die Polizei räumt die Bude. Wer kein Bett hat, wird mitgenommen und in den Calabuso abgeführt. Hannes Hansen hat für mich zwei Peso auf den Tisch gelegt. Dafür darf ich oben im Gang auf einem Liegestuhl übernachten.

Tutapa hat eine Kerze in der Hand und kommt die Treppe hoch. Der Steuermann und der schwedische Zimmermann sind bei ihr. An einer Tür angelangt, winkt sie mir und nimmt auch mich mit in ihr Zimmer.

Vier Gläser Wein!

Tutapa gießt ein.

Nicht am Tisch, wo wir um die Kerze herum sitzen, hinten an der Wand, wo die Schatten brauen, hantiert sie mit der Flasche. Sie schiebt jedem ein Glas zu, jedem ein besonderes. Und ihre Hände beben nicht, als sie anstößt.

Dunkel tönt ihre Stimme:

»Salud, caballeros!«

»Drei Pfund, mia paloma!« schnauft der Engländer.

»Tricke-tracke!« lallt der schwedische Zimmermann.

Über dem Rand des Glases sehe ich Tutapa – Stirn, lange Wimpern, große, glänzende Augen.

Wie mit schweren Pulsschlägen rinnt die Zeit. Zwei Minuten, dann war es geschehen! Die Hand des Schweden glitt schlaff von ihrem Schenkel; sein Kopf sank auf die Tischplatte. Der Engländer hing am Stuhl wie ein ausgezogener Anzug. Den einen legten wir nieder und wickelten ihn in den Teppich. Den andern, den Drei-Pfund-Mann, packten wir ohne Stiefel und Jacke in ihr Bett.

Dann gingen wir. Sie führte mich an der Hand, den langen Gang entlang, öffnete eine Tür und deckte das Bett auf.

Das Fandangohaus stand am Strand, auf Pfählen über das Meer gebaut. Wir hörten den Pacifico mit seinen langen Wogen und mit der Wucht von viertausend Seemeilen unter uns verrauschen: ein sonnengebräunter Kontinent und ein Ozean, in dem versunkene Inseln und gestürzte Erdteile schwelten, schäumten ineinander.

»Arequipa!« sagte Tutapa.

»Arequipa!« antwortete ich.

Arequipa am Fuß des Misti, wo indianische Arme in verfallenen fensterlosen Palästen wohnen und nachts offene Feuer auf den Höfen brennen! Von dieser alten Stadt, die schon ein halbes Jahrtausend gegen das stolze Lima rebelliert, hatte ich gehört.

Dort ist sie geboren.

»Mi padre Arriero!«

Der Vater Arriero!

»Was ist das, Arriero?«

Aus der Ferne schallt das Brüllen eines Maultieres. Tutapa hebt ihre Hände und zeichnet Striche in die Luft. Und wieder verstand ich. Der Vater ist Maultiertreiber.

So berichteten wir einander von unserem Leben. Jedes Wort eine geballte Welt und wie ein Stern, der plötzlich am Himmel steht!

»Atlantik! Pacifico!« Das bezeichnete die lange Fahrt, meinen Weg rings um die Erde herum.

»Tutapa!«

»Methusalem!«

Ihr Haar riecht wie frisches Heu; ihre Hände sind wie Vögel, dunkle fremdartige Vögel mit laut klopfenden Herzen.

»Noche nuestra!«

»Unsere Nacht!«

Ganz still ist das Haus geworden. Alle Papageien, Bären und Polizeiobersten schlafen lange schon und liegen gefangen in ihren Nebeln. Nur die Engel halten Wache. Der schönste und strahlendste von ihnen sitzt auf der Bettstatt Tutapas und nestelt mit kühlen sterngewebten Händen ihr blauschwarzes Haar in das meine.

 

Das Brüllen von Maultieren weckte uns auf. Vor den Fenstern stand der Tag. Ein weiches Licht nahm den Dingen in der Kammer ihre Tiefe und rauschende Unwirklichkeit. Die Wände entschleierten sich, zerrissene Tapeten, Tisch, Waschbecken, Wasserkrug. Auf dem Stuhl vor unserem Bett lag leblos das Gewand Tutapas.

Noch einmal spürte ich den Atem der Nacht über mich hingehen, noch einmal berührte das Haar Tutapas meine Stirn. Ihr Gesicht und ihre Hände waren jetzt weiß, als ob der Tag das Blut ihrer Adern getrunken hätte.

»Adios, amigo! Adios, noche nuestra!«

Dann blieb ich allein.

Stunden später fuhr ich zurück auf unser Schiff. Sonne und Meer und über meinem Kopf, hineingezackt in das harte Blau des Himmels, das Dreieck unseres Bootsegels! Schweigsam saß ich auf der Ducht. Verborgen in meinen Händen hielt ich ein Tuch, das Fandangotuch Tutapas, das im Wirbel der Zambacueca ihren Leib umlodert hatte.

Das Tuch war getränkt mit dem Duft von Frauenhaar und Nacht, und es war rot wie Blut.

2

Wir schippen Kohlen!

Tage schon wühlen wir uns in den Bauch unseres Schiffes hinein, und wir sehen aus wie ein Rudel gefangener Gorillas. An Land hat unser Schiffer uns nicht mehr gehen lassen. Mehr Vorschuß auf die Heuer, die erst im Heimathafen auszuzahlen ist, wollte er nicht riskieren, denn ohne Geld im Schiff stecken zu haben, wäre hier im Lande der Sonne kein Mann an Bord geblieben.

Also ließ er alle Boote an Deck holen und festmachen. Und wir schuften von morgens sechs bis abends sechs.

Vier oder fünf Körbe werden vollgeschaufelt, zusammen an ein Tau gehängt, hochgewunden und von Deck aus in einen Kahn geschüttet. Manchmal läßt sich einer zugleich mit den Körben hochziehen. Der sitzt dann, geblendet von der Lichtfülle, an Deck und schaut mit zusammengekniffenen Augen über die Flut nach dem Land hinüber.

Eine mächtige Wand, zweitausend Meter in die Wolken aufsteigend! Das Leben von fünftausend Seelen klebt mit seinen Hütten und Blechbauten auf der schmalen Küstenschwelle, sonst ist alles steil anstrebende graue Wüste. Die riesenhafte Reklame einer Bierbrauerei, die haushohe Buchstaben in die Bergwand hineingekratzt hat, macht alles noch trostloser.

Dennoch ist in dieser Barackenstadt und in dem grauen Lande etwas, das uns lockt. Die kahlen Felsen, die an Stellen in giftigem Grün brennen, bergen Metalle, und an den unwegsamen Hängen der Kordillere wird Gold gefunden. In diesem Lande wächst kein Baum, kein Gras, ist Hunger und Durst, aber da ist Gold. In der Stadt stehen keine Paläste, kein einziges Haus ist aus Stein gebaut, alles ist zusammengeklebt aus Brettern und Pappe und sieht aus, als ob der nächste Wind es ins Meer hineinwerfen und auswischen könnte. Aber in den Wellblech- und Bretterbuden leben Frauen; und wenn sie auch in Lumpen gekleidet gehen, wir haben durch die Fetzen hindurchgeschaut, haben schlanke Leiber und im Brand der Tropen erblühte Brüste gesehen.

Da war Land und Wein und blühte Frauenschoß. Und hier saßen wir und schaufelten Kohlen.

»Bei Jingo …«, stöhnte Peter Lindnaes.

Das war sein Ausdruck, wenn ihm etwas ernst war. Er trieb seine Schaufel mit solcher Wucht in die Kohlen, daß der Berg ins Rutschen kam, alles in dichte Staubwolken hüllte und einen Sprühregen schwarzer Funken über uns schüttete. »Bei Jingo! Ich stehle dem Schiffer ein Boot und fahre an das Land hinüber!«

Nachts, wenn der vom Meer wehende Passat aussetzte, wenn der Landwind aufsprang und den warmen Atem der Küste bis zu dem Schiff herübertrug, war es am schlimmsten. Stundenlang konnten wir an der Reling stehen und in den dampfenden Mondschein starren.

Eine Stelle wußte ich, an der man ohne Gefahr landen konnte. Eine Strecke flachen Sandstrandes breitet sich dort zwischen den Klippen. Mit Hannes Hansen hatte ich die Richtung ausgepeilt und genau gemerkt.

Hansen hatte eine Krausköpfige an Land, ein Mischblut, die ihm im Kopf rumging.

»Morgen fahren wir schon, dann ist es zu spät!« drängte ich.

»Die Bucht liegt achtzehn Grad Süd! Die Fischer haben Haifische gesichtet!« meinte Hannes. Jetzt, wo es drauf ankam, zögerte er.

»Gut, dann schwimme ich allein!«

Hannes ging. Ich blieb unter dem Großwant sitzen und wartete. Im Mannschaftslogis dudelte eine Ziehharmonika. Einmal kam Peter Lindnaes heraus, barfuß und mit bloßem Kopf. An der Reling blieb er stehen und schaute nach drüben, wo unter der Felswand die Stadt hängt. Eine kleine Weile, dann ging er wieder hinein.

Durch Stengen und Rahen geht ein Wind. Irgendwo schlägt ein Block, eine Leine. Gleichmäßig wiegt das Schiff sich von Bord zu Bord. Endlich wird die Lampe im Logis gelöscht, die letzte auf dem Schiff. Nichts regt sich, nur noch das Meer, die Endlosigkeit seiner anrollenden Wogen.

Meine Kleider habe ich abgeworfen und in ein halb abgeschnittenes Salzfleischfaß gelegt. Ich lasse das Faß hinunter und klettere an der Ankerkette hinterher. Mit gelbem Schein umleckt die Flut meinen Leib.

Als ich nach ein paar Stößen zurückblicke, liegt das Schiff hinter mir im Mondschein wie ein gespenstisches Seeungetüm. Noch eine Woge gleite ich hoch und hinunter und noch eine, dann kann ich das Schiff nicht mehr sehen.

Stoß um Stoß schnelle ich durch das Wasser. Das Faß quirlt vor mir her, und zu meiner Linken stehen die Lichter des Hafens wie eine Kette weißer Perlen. Wenn ich eine Woge hinuntergleite, sinken die Lichter in die Tiefe. Wenn die nächste mich hebt, stehen sie wieder wie aufgehende Sterne über dem Meere.

Stoß um Stoß und Stoß um Stoß! Auf und nieder in langem, gleichmäßigem Rhythmus! Mit dem Steigen und Stürzen seiner schweren Rücken gleicht das Meer einer unendlichen Herde vorweltlicher Tiere, die das Land anrennen.

Welche volle und tönende Stimme Tutapa hat! Aus Arequipa ist sie, die Tochter von einem Maultiertreiber.

Den heißen Atem des Landes kann ich nicht mehr spüren. Der Salzgeruch schlägt ihn nieder. Die rauschenden, stampfenden Wogen, wann steigt endlich das Land auf …

Plötzlich ist Furcht in mir. Die Hafenlichter sind verschwunden. Die Woge trägt mich hoch, da sind sie wieder. Doch den Bruchteil einer Sekunde nur, und ganz niedrig stehen sie. Auf dem nächsten Wogenkamm stößt jähes Entsetzen meinen Kopf aus dem Wasser – ich sehe die Lichter ertrinken. Nur noch eins, das höchste, grinst mich an.

Ich schwimme wie eine Maschine, zähle die Stöße. Sechzig Stoß sind eine Minute. Ich sichte noch immer nicht die Stelle, an der ich zu landen dachte. Dann stürzt das letzte Licht in die Tiefe und taucht nicht wieder auf.

Aus den Höhen stößt ein Schatten nieder und wuchtet schwer auf meinen Schultern. Die dunklen, glänzenden Wasserberge laufen in anderer Richtung. Eine Strömung, von der ich nicht gewußt, hat mich erfaßt und trägt mich nach draußen. Meine Glieder werden kalt. Die Sterne sind nicht mehr so unermeßlich fern.

Warum schleppe ich das Faß mit Schuhen und Kleidern und dem roten Tuch Tutapas noch mit mir! Das ewige, nasse Rauschen peitscht meinen Schädel. Unaufhaltsam treibe ich nach draußen. Wie stark und tragend die Seen geworden sind. Wie ein Korken schwimme ich an der Oberfläche; ich brauche nur leicht zu fächern mit den Händen, manchmal auch mit den Beinen. Es muß sehr tief sein – das Meer muß hier sehr tief sein.

Die Bucht liegt achtzehn Grad Süd, und die Fischer haben Haifische gesichtet! Hannes Hansen ist vorsichtig gewesen und an Bord geblieben. Tutapa in ihrem weiß überzogenen Bett! Und hier, in dieses blaue, wogende Getümmel!

Haben Haifische gesichtet! Ein Zacken steigt aus dem Meer, wild und dreikant, übergroß! Und noch einer!

Aber es sind Felsklippen. Durch Schaum und fließendes Feuer sehe ich eine dunkle Schlange Land sich hinausschieben. Das ist die Punta de Piedras, die letzte Landzunge, vor der die Fischer die schönsten und schwersten Rockfische holen. Aber sie hüten sich, den Klippen nahe zu kommen.

Die Brandung hat mich erfaßt. Schaum! Gicht! Ich gurgle in Finsternis und bin wie eingeschlossen in einem Riesenrad. Weiß nicht mehr, wo mein Kopf, wo meine Füße hängen.

Ein schwerer Stoß von unten … jähe Helle zuckt um meine Stirn; ich höre das Rauschen abfließender Wasser. Ich bin gelandet, sitze hoch und trocken auf einem Felsblock.

Einen Schuh spült das Meer an, das rote Tuch Tutapas, dann noch eine Unterhose, weiter nichts.

Ich mache mich auf den Weg durch die Klippen. Vor der Stadt, an einer Stelle, an der die Bewohner ihren Müll und Unrat ablagern, begegne ich ein paar herrenlosen Hunden. Die kläffen mich an, springen dann mit langen, lautlosen Sätzen hinaus in die Mondnacht.