Hallo Gerechtigkeitsfan,
schön, dass du diese Zeilen liest! Denn das ist zumindest ein starkes Indiz dafür, dass du dich für eines der interessantesten und wichtigsten Felder unserer Gesellschaft erwärmen kannst: das Recht.
Vorab eine kleine Erklärung, was dich hier erwartet: Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, ein juristisches Studium zu begleiten, geschweige denn, es zu ersetzen. Aber es kann dazu führen, dass du ein besseres Gefühl dafür bekommst, was es mit dem Recht in Deutschland auf sich hat – und möglicherweise kann es dir dabei helfen, Begeisterung für das Fach zu entwickeln.
Als ich 13 Jahre alt war – und ein nicht ganz so gesetzesliebender Mensch wie heute –, war ich bekannt dafür, auch mal Regeln zu brechen. Dies brachte mir unter anderem die ein oder andere Rüge in der Schule ein. Auf ganz besonderem Kriegsfuß stand ich dabei mit der Sportlehrerin, die sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hatte, jegliches Spiel und den Spaß am Sportunterricht zu unterbinden: Als nämlich eines Tages eine Konferenz stattfand, in der man sich aussprechen konnte, erklärte die Lehrerin: «Sport muss keinen Spaß machen.» Jemand antwortete: «Aber er darf Spaß machen.»
Es gibt kaum Worte, die mich so nachhaltig geprägt haben, wie diese an jenem Tag. Denn nicht nur sollten wir zumindest versuchen, dem Leben mit Freude zu begegnen, sondern ich bin auch zutiefst davon überzeugt, dass wir erst, wenn wir eine Leidenschaft für etwas entwickeln können, wirklich in der Lage sind, besser die entsprechende Disziplin zu lernen und sie zu unserer Berufung zu machen.
Unter uns: Das Studium der Rechte (Jurastudium) ist ein zähes und hartes Brot. Es gibt schöne Momente und Tage, an denen man als Student das Gefühl hat, wirklich praktische Dinge zu lernen. Ein Großteil der Studierenden sitzt aber die meiste Zeit in einer Bibliothek oder am Schreibtisch und liest Bücher, löst Fälle oder fertigt sich (virtuelle) Karteikarten und Mindmaps an.
Die Abschlussprüfungen verlangen oft nach handfestem, abrufbarem Wissen. Das Leuchten in den Augen und die Begeisterung der Studierenden hat sich dann oft zu einem müden Tunnelblick in Hinsicht auf die Abschlussprüfungen – genannt Staatsexamen – verwandelt.
Dieses Leuchten in den Augen junger Menschen möchte ich wieder hervorbringen. Deshalb habe ich Ende 2016 meinen YouTube-Kanal für Studierende und Ende 2019 meinen TikTok-Kanal hauptsächlich für jüngere Menschen erstellt.
Und so möchte ich es auch in diesem Buch halten. Es geht mir nicht darum, die Ausnahme der Ausnahme von der Ausnahme darzustellen mit Fällen, die in deiner Lebensrealität keine Rolle spielen. Es geht mir auch nicht darum, in dir eine komplette juristische Denkweise zu etablieren. Vielmehr geht es mir darum, dich dort abzuholen, wo du stehst: bei deinen Interessen. Bei deinen Alltagsproblemen. Sodass du langsam ein Gefühl dafür entwickeln kannst, welche Vorteile uns das Recht bringt, aber auch, welche Pflichten es uns auferlegt.
Dieses Gefühl dafür, was recht und was unrecht sein könnte, reicht meist aus, um die entsprechenden Nachforschungen darüber anstellen zu können, was in unserer Gesellschaft als Recht und Unrecht gilt. Und wenn dir das besonderen Spaß bereitet, dann kannst du dir überlegen, später einmal Jurist oder Juristin zu werden.
Bedenke aber auf dem Weg dahin immer, dass du – auch wenn es mal schwere Tage gibt – nie den Spaß am Thema verlieren darfst. Denn das ist auch später im Beruf wichtiger als die Aussicht auf ein prall gefülltes Bankkonto. Wenn du reich werden willst, dann ist die Juristerei ohnehin kein Garant dafür.
Merke dir immer: Wie du dein Geld verdienst, ist wichtiger, als wie viel Geld du verdienst. Das hat ein amerikanischer Unternehmer einst gesagt. Und recht hat er.
Zwei Dinge sind gewiss: Wir werden geboren, und wir müssen in die Schule.
Für die einen ein Ort der Verdammnis, für die anderen ein Quell ewiger Freude und umfassenden Wissens. So oder so: Neben Mathe, Deutsch und Erdkunde hat die Schule auch rechtlich einiges zu bieten.
Manche Schüler, aber auch Lehrer, fallen aus allen Wolken, wenn sie erfahren, welche Rechte und Pflichten in der Schule gelten. Das hat einen einfachen Grund: Diese Rechte und Pflichten werden den Beteiligten entweder gar nicht oder nur lückenhaft beigebracht. Du kannst ja selbst mal testen, ob du bei den folgenden Fragen immer den richtigen Riecher hattest.
Jamoo konnte leider seit einigen Wochen nicht zum Friseur gehen. Entweder fehlte ihm das Geld oder schlichtweg die Zeit. Aus Angst, dass man ihn wegen seiner ausufernden Lockenpracht auslacht, versteckt er seine Wolle unter einer schwarzen Basecap und setzt sich damit in den Unterricht. Seinem Lehrer Herr Börsch gefällt das jedoch gar nicht. Kurz und knapp weist er ihn darauf hin, dass er doch gefälligst die Kappe im Unterricht abnehmen solle.
Widerstrebend kommt Jamoo dieser Aufforderung schließlich nach, was bei einigen Mitschülern zu Erstaunen führt und bei anderen großes Gelächter auslöst.
Jamoo ist peinlich berührt und wird rot. Plötzlich stößt ihm jemand in die Seite: «Mach dir nichts draus, ich finde es eigentlich ganz süß», flüstert ihm seine Mitschülerin Addisona zu und grinst ihn frech an.
Jamoo ist erleichtert, fragt sich aber trotzdem: Durfte Herr Börsch überhaupt von ihm verlangen, seine Cap abzusetzen?
Grundsätzlich spricht das sogenannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht erst einmal dafür, dass man sich hierzulande so kleiden kann, wie man möchte. In Deutschland existiert auch kein allumfassendes Gesetz, das festlegt, ob man in der Schule die Kappe aufbehalten darf oder nicht.
Es kommt deshalb, wie so oft innerhalb des Rechts, darauf an: Ob man im Unterricht eine Mütze tragen darf, ergibt sich entweder aus der Schulordnung der jeweiligen Schule oder den darin enthaltenen Berechtigungen für den Lehrkörper, die festschreiben, was er tun darf, um den Unterricht störungsfrei durchzuführen. Mittlerweile befindet sich nicht selten in den Schulordnungen ein solcher Passus, der das Tragen von Mützen oder Kappen verbietet.
Als Schüler, aber auch als Lehrer sollte man sich diese Schulordnung ruhig mal genauer ansehen. Steht dort nicht ausdrücklich, dass Caps und Mützen verboten sind, könnte sie der Schüler streng genommen mit dem Verweis auf sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht aufsetzen. Ob man sich aber deswegen wirklich auf einen Streit mit dem Lehrer einlassen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es könnte außerdem gut sein, dass nach einem solchen Streit die Schulordnung entsprechend ergänzt wird – insofern wäre der Sieg nur ein kurzfristiger Erfolg. Vielleicht sollte man sich auch einfach darüber freuen, dass man, im Gegensatz zum Autor dieser Zeilen, noch alle seine Haare hat.
Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Jeder Mensch hat die Möglichkeit zur persönlichen Lebensführung sowie Entwicklung und Wahrung seiner persönlichen Individualität.
Daniel ist eher ein ruhiger und nachdenklicher Zeitgenosse. Anstatt sich mit dem Unterrichtsstoff zu beschäftigen, ist er in Gedanken meist schon wieder bei seinem neuesten TikTok. Auch jetzt gerade starrt er aus dem Fenster und überlegt, wie er bloß den Übergang für sein neues Video hinbekommen soll. «Daniel!» Der Ruf des Lehrers reißt ihn aus seinen Gedanken. «Du kannst uns doch sicher sagen, wen man den ‹Eisernen Kanzler› genannt hat.»
Da Daniel aber weder gerade, noch in den letzten Stunden aufgepasst hat, kennt er die Antwort natürlich nicht und kassiert daraufhin einen missbilligen Blick des Lehrers.
Schlecht gelaunt senkt er den Kopf. Immer wieder wird er einfach so drangenommen, obwohl er einfach nur seine Ruhe haben möchte!
Da stellt sich doch die Frage: Darf ihn der Lehrer überhaupt drannehmen, obwohl er sich nicht gemeldet hat?
Die Schule dient der Wissensvermittlung und Wissensüberprüfung. Der Lehrer muss daher ein objektives Bild über den Leistungsstand seiner Schüler bekommen. Hierfür muss er deren Können auch aufgrund der mündlichen Beteiligung bewerten. Dies fällt natürlich schwer, wenn sich einige Schüler nicht von sich aus am Unterricht beteiligen.
Gerade schüchterne oder introvertierte Schüler sollten von den Lehrern jedoch ermutigt werden, etwas zum Unterricht beizutragen. Der Lehrer darf daher Schüler einfach drannehmen, um zu überprüfen, ob der von ihm gelehrte Stoff auch sitzt und/oder verstanden worden ist. Er muss am Ende eines jeden Halbjahres auch eine mündliche Note vergeben und kann die gegebene Antwort als Teil der Bewertung einfließen lassen.
Wenn du ein eher ruhigerer Zeitgenosse bist, solltest du zusehen, dass du dich trotzdem bei allen Fragen meldest, auf die du eine Antwort weißt. Auch wenn die Frage noch so plump ist, genügt es einigen Lehrern bereits zu sehen, dass du aktiv am Unterricht teilnimmst. Ansonsten ist die Gefahr groß, bei Fragen drangenommen zu werden, auf die du nicht direkt eine Antwort hast.
Kleiner Tipp: Melde dich am Anfang der Stunde, wenn es darum geht, die Hausaufgaben vorzutragen, dann hast du oft den Rest der Stunde deine Ruhe. Zwar dürfen Hausaufgaben in den meisten Bundesländern offiziell nicht bewertet werden, beim Lehrer bleibt aber trotzdem der Eindruck eines ordentlichen Schülers. Und als ordentlicher Schüler weiß man: Der «Eiserne Kanzler» war Otto von Bismarck.
Exemplarisch:
§ 48 II Schulgesetz NRW Grundsätze der Leistungsbewertung
Die Leistungsbewertung bezieht sich auf die im Unterricht vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Grundlage der Leistungsbewertung sind alle von der Schülerin oder dem Schüler im Beurteilungsbereich «Schriftliche Arbeiten» und im Beurteilungsbereich «Sonstige Leistungen im Unterricht» erbrachten Leistungen. Beide Beurteilungsbereiche werden bei der Leistungsbewertung angemessen berücksichtigt.
Laura hat Sport noch nie wirklich gemocht. Sie sieht einfach keinen Sinn darin, einem Ball hinterherzujagen oder stumpf um den Sportplatz zu laufen. Wie gut, dass diese unnütze Stunde nun endlich vorbei ist! Zu allem Überfluss haben sich jetzt auch noch Lisa und Tamara in der Umkleide in der Wolle. Es geht wohl wieder darum, wer von beiden in nächster Zeit die meisten Follower auf Instagram bekommt. Lautstark keifen sie sich an. Lisa ruft gerade: «Mit deinen Extensions kriegst du eh keinen ab!», als plötzlich Lehrer Bromm in der Tür steht und beiden eine Ansage macht. Erschrocken von seinem plötzlichen Auftreten, legen die beiden Mädels ihren Streit bei. Auch die anderen Mitschülerinnen sind verstummt und ein wenig verschämt, weil sie mitten beim Umziehen sind.
Durfte Herr Bromm die Mädchenumkleide als Mann überhaupt betreten?
Tatsächlich dürfte der Lehrer in einem solchen Fall noch nicht in die Umkleide der Mädchen gehen. Die Schülerinnen haben ein Recht auf die Wahrung ihrer Intimsphäre. Der Lehrer darf nur in absoluten Ausnahmefällen die Umkleide betreten. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine der Schülerinnen ein erhebliches gesundheitliches Problem hat oder ein sonstiger Notfall vorliegt. Auch bei einer Schlägerei muss ein Lehrer natürlich schützend eingreifen können – ein kleiner verbaler Streit genügt jedoch nicht, um die Umkleide betreten zu dürfen.
Wenn alle Schülerinnen allerdings bereits angezogen und einverstanden sind, dürfte ein Betreten der Umkleide in Ordnung gehen.
Für Lehrer ist es sicher kein Zuckerschlecken, eine Bande von fast 30 Schülern unter Kontrolle zu halten – gerade im Sportunterricht. Oft gehen die dort ausgefochtenen Streitereien in der Umkleide weiter. Lehrer müssen dann auf der einen Seite ihrer Aufsichtspflicht nachkommen, also darauf achten, dass niemandem etwas passiert, aber auf der anderen Seite auch besonderes Fingerspitzengefühl beweisen, wenn sie die Umkleide des anderen Geschlechts betreten wollen. Für die Lehrer ist es sicherlich nicht immer einfach, in solchen Situationen angemessen zu handeln. Bevor du also dem Lehrer wegen der Verletzung der Intimsphäre Vorwürfe machst, solltest du das mitbedenken und ihn nicht leichtfertig an den Pranger stellen.
Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 GG
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Intimsphäre, die innere Gedanken- und Gefühlswelt und den Sexualbereich.
Marvin folgt schon lange seinem Lieblings-TikToker Nathan. Leider ist er vor der Schule nicht dazu gekommen, sein neuestes Video anzusehen. Aber da ihn Mathe sowieso noch nie sonderlich interessiert hat, beschließt er kurzerhand, sein Handy aus der Tasche zu holen, um Nathans Video heimlich unter dem Tisch anzusehen. Hierbei stellt er sich jedoch so ungeschickt an, dass ihm das Smartphone aus der Hand gleitet und im Gang zwischen den Tischen landet, was dem Lehrer natürlich nicht entgeht. Herr Bastian ist darüber alles andere als erfreut, nimmt das Handy an sich und erklärt Marvin, dass er es sich am Montag gerne wieder abholen könne. Marvin ist entsetzt. Wie soll er bloß drei Tage ohne Handy klarkommen?
Darf Herr Bastian überhaupt das Handy einbehalten? Und wenn ja, wie lange?
Tatsächlich ist das Einkassieren von Handys nicht gänzlich unproblematisch. Immerhin handelt es sich in der Regel um das Eigentum des Schülers. Einige Schulgesetze der Bundesländer sehen daher ganz konkret vor, dass der Lehrer das Handy zum «Zwecke der Aufrechterhaltung eines geordneten Unterrichts» an sich nehmen darf. Das Handy einzukassieren, ist also in Ordnung, sofern damit Störungen unterbunden werden sollen.
Streit entsteht aber dann häufig darüber, für wie lange der Lehrer das Handy einbehalten darf. In den Schulgesetzen steht in dieser Hinsicht meist nur «vorübergehend». Sicherlich dürfte davon zumindest das Ende der Stunde gedeckt sein, denn ansonsten könnte der Schüler den Unterricht weiter stören. Tatsächlich haben sich bereits Gerichte mit der Frage beschäftigt, was «vorübergehend» heißen soll. Das Ergebnis: Haben Lehrer ein Handy über das Wochenende einkassiert, wurde das als unverhältnismäßig angesehen. Einige Gerichte sahen sogar schon ein Problem darin, wenn der Lehrer das Handy erst am nächsten Morgen zurückgegeben hat: Dies kann nämlich unter Umständen zu Problemen führen, wenn der Schüler z.B. nach der Schule mit den Eltern kommunizieren muss, weil er keine Busverbindung nach Hause nehmen kann.
Zwar können Lehrer das Handy einkassieren, sollten es aber nicht länger als bis zum Ende des Schultages einbehalten und dem Schüler vor allem mitteilen, wo er sich das Gerät wieder abholen kann. Ansonsten ist die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Im Regelfall genügt das Einbehalten bis zum Ende der Stunde. Dies vereinfacht auch die Rückgabe.
Ansonsten laufen Lehrer und Schule Gefahr, eine berechtigte Beschwerde der Eltern oder gar Post vom Anwalt zu erhalten.
Exemplarisch (da es in jedem Bundesland eigene Schulgesetze gibt):
Art. 56 V S. 3 BayEUG Rechte und Pflichten
Bei Zuwiderhandlung kann ein Mobiltelefon oder ein sonstiges digitales Speichermedium vorübergehend einbehalten werden.