Andreas Franz
Der Jäger
Julia Durant ermittelt
Knaur e-books
Andreas Franz’ große Leidenschaft war von jeher das Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman »Jung, blond, tot« gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor machten. Seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen ist die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken.
Andreas Franz starb im März 2011. Er war verheiratet und Vater von fünf Kindern.
eBook-Ausgabe 2010
Knaur eBook
© 2001 Knaur Taschenbuch
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Dr. Gisela Menza
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Getty Images / Manuel Gutjahr
ISBN 978-3-426-40727-1
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Für Inge und Lucia,
die schon vor fünfzehn Jahren an mich geglaubt haben,
und für all jene,
die nicht Gleiches mit Gleichem vergelten
Der Regen hatte schon am frühen Morgen eingesetzt und wurde jetzt von heftigen Sturmböen gegen die Windschutzscheibe seines Wagens gepeitscht. Die Scheibenwischer bewegten sich in monotonem Rhythmus, er hatte eine CD eingelegt mit Musik von Brahms. Der Tag war nichts weiter als eine stundenlange Dämmerung gewesen, und obwohl es erst kurz nach halb fünf am Nachmittag war, so würde es doch noch etwas über zwei Stunden dauern, bis die seit dem Morgen anhaltende Dämmerung in vollkommene Dunkelheit übergehen würde. Alles wirkte grau und trist, die Menschen auf eine seltsame Weise traurig und melancholisch, und wie immer bei diesem stürmischen, regnerischen Herbstwetter kam der Verkehr nur zäh und stockend voran. Trotz des Regens hatte er sich vorgenommen, das Grab seiner Eltern zu besuchen, die vor mehr als zwanzig Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, als sie im dichten Nebel von einem unaufmerksamen LKW-Fahrer gerammt worden waren und im sofort in Flammen aufgehenden Wagen bei lebendigem Leib verbrannten. Noch heute meinte er bisweilen, ihre verzweifelten Schreie zu hören, auch wenn er nie erfahren hatte, was sich damals wirklich abgespielt hatte.
Als er am Friedhof anlangte, stieg er aus, spannte den Schirm auf und stemmte sich dem Wind entgegen. Mit schnellen Schritten bewegte er sich über den aufgeweichten Boden, bis er vor dem Grab stand. Er verharrte einen Moment, sah auf die jetzt verwelkten Pflanzen und nahm sich vor, innerhalb der nächsten zwei oder drei Wochen das Grab zu säubern und mit Tannenzweigen zu belegen, bevor der erste Frost einsetzte. Nach fünf Minuten drehte er sich wieder um, diesmal hielt er den Schirm hinter seinen Kopf. Er lenkte seinen Wagen aus der Parklücke, fuhr die Straße weiter geradeaus, bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und gleich danach wieder rechts in eine schmale Gasse, wo sich zu beiden Seiten schmucke Einfamilienhäuser aneinander reihten, nur am Ende der Straße stand ein vierstöckiger Neubau, in dem sich mehrere Eigentumswohnungen befanden. Er hielt davor und stellte den Motor ab. Er sah hinauf, hinter ihrem Fenster brannte kein Licht. Er ging auf die Haustür zu, klingelte. Als sich auch nach dem zweiten Klingeln nichts rührte, holte er den Schlüssel aus seiner Tasche, schloss auf und betrat das Haus. Er fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock, klingelte erneut. Kein Geräusch war in der Wohnung zu hören. Er steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn zweimal, machte die Tür auf. Er drückte den Lichtschalter und kniff die Augen zusammen. Mit langsamen Schritten ging er über den Flur ins Wohnzimmer, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, verharrte regungslos. Nichts war mehr da, kein Stuhl, kein Tisch, kein Schrank, kein Fernseher. Selbst die Vorhänge hatte sie mitgenommen. Auf dem marmornen Fensterbrett vor dem Balkon lag ein Briefumschlag, auf dem sein Name stand. Er nahm ihn in die Hand, öffnete ihn, holte den Brief heraus, las.
Hallo,
wie Du siehst, bin ich weg. Ich will auch nicht viele Worte machen, es ist einfach aus. Weißt Du, es ist nicht leicht für eine Frau wie mich, mit einem Mann wie Dir zusammen zu sein. Ich bin noch jung und will das Leben genießen und meine Jugend nicht an einen Mann verschwenden, der nur ab und zu in der Lage ist, meine Bedürfnisse zu befriedigen, Du weißt schon, was ich meine. Du wirst damit leben müssen, ich will es nicht. Es tut mir Leid, es Dir so sagen zu müssen, aber es ist für mich das Beste.
Versuche bitte nicht, mich zu finden, es wäre schlecht für Dich und Deine Karriere. Mir steht die Welt noch offen, während sie für Dich anscheinend verschlossen ist.
Ach, übrigens, Deine Geschenke habe ich behalten, ich denke, ich habe sie mir verdient, für die Engelsgeduld, die ich für Dich aufgebracht habe.
Ich werde Dich vergessen haben, sobald ich diese Wohnung verlassen habe. Tu mir also einen Gefallen, halte Dich fern von mir. Ich kenne Deine Frau zwar nicht, aber Du willst doch sicher nicht, dass sie erfährt, was in den vergangenen zwei Jahren zwischen uns war.
Leb wohl, ich werde es tun.
P. S.: Solltest Du jemals ernsthaft geglaubt haben, ich hätte etwas für Dich empfunden oder Dich sogar geliebt, so muss ich Dich leider enttäuschen. Alles, was ich für Dich empfunden habe, war Mitleid, weil Du im Grunde genommen einfach nur erbärmlich bist. Aber welche Frau könnte sich schon Deiner Großzügigkeit entziehen?!
Keine Unterschrift. Er faltete den Brief wieder zusammen, steckte ihn in den Umschlag und blieb eine Weile am Fenster stehen. Der Regen hatte nachgelassen. Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war ein miserabler Tag gewesen, und er hatte inständig gehofft, der Abend würde besser werden. Zwei Jahre! Zwei Jahre hatte sie ihm vorgegaukelt, ihn zu lieben, auch wenn er diese Liebe eigentlich gar nicht wollte und genau wusste, dass es eine Lüge war, eine Lüge, die er ihr aber gerne verzieh. Zwei Jahre hatte sie immer wieder betont, er sei der einzige Mann in ihrem Leben, obgleich es ihm egal gewesen wäre, wenn es noch jemand anderen gegeben hätte und mit Sicherheit auch hatte. Zwei Jahre hatte er alles für sie getan, hatte ihr sogar diese Wohnung überlassen und alles, was sich darin bis vor wenigen Stunden noch befunden hatte, gekauft. Das verlorene Geld war es aber nicht, was ihn schmerzte, es war vielmehr die Demütigung, die aus ihren Zeilen sprach.
Eine Demütigung, die er sicher irgendwie verkraften würde, wie alles in seinem Leben. Irgendwie und irgendwann. Auch wenn er in seinem tiefsten Innern schon lange gespürt hatte, dass das Ende ihrer Beziehung nur noch eine Frage der Zeit war, sie immer öfter Ausreden erfand, warum sie ihn nicht sehen konnte. Und jetzt war sie weg, wo, das wusste wohl nur sie allein.
Er hatte sie geliebt, ihre Art, ihr Lachen, ihre Unbekümmertheit. Ihren Körper, den Duft ihres feurigroten Haares. Ihre Hände, wenn sie ihn streichelten, ihre Lippen, wenn sie ihn küssten. Nichts davon würde er jemals mehr erleben dürfen. Er war gescheitert wie schon so oft.
Er drehte sich um, löschte das Licht, schloss hinter sich ab. Diesmal nahm er die Treppe, stieg in seinen Wagen, wendete und fuhr nach Hause in die riesige Villa mit dem ausgedehnten Grundstück und dem nierenförmigen Swimming-Pool, den sie im Sommer nutzten. Allerdings hatten sie auch noch einen etwas kleineren im Untergeschoss des Hauses für die kühleren Tage. Er wurde von vielen um diesen Besitz beneidet, doch im Grunde bedeutete er ihm nicht viel. Das, wonach er sich sehnte, war mit keinem Geld der Welt zu kaufen.
Es war niemand da, das Hausmädchen hatte heute seinen freien Tag, kalter Rauch hing noch in der Luft. Ein Zettel lag auf dem Wohnzimmertisch, auf dem stand: »Liebling, ich bin mit Anna unterwegs. Es könnte etwas später werden. Ich liebe dich.« Er lächelte versonnen, knüllte den Zettel zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Er ahnte, nein, er wusste, dass sie nicht mit ihrer Freundin unterwegs war, dass sie diesen Abend woanders verbrachte; er konnte es ihr nicht verdenken. Er zog seinen Mantel aus, hängte ihn auf einen Bügel, setzte sich in den Sessel, legte den Kopf in den Nacken und spürte das Pochen des Blutes in seinen Schläfen. Er versuchte an nichts zu denken, abzuschalten, diesen Tag einfach aus seinem Gedächtnis zu streichen. Es gelang ihm nicht.
Nach einigen Minuten stand er wieder auf, ging an das Barfach, holte sich eine Flasche Whiskey heraus und ein Glas und schenkte es halb voll ein. Er schüttete den Inhalt in einem Zug hinunter und schenkte gleich wieder nach. Das Telefon klingelte, er sah hin, ließ es klingeln, bis der Anrufbeantworter sich einschaltete. Er hörte die Stimme seiner Schwester, die ihn bat zurückzurufen. Er war müde und erschöpft. Eine große, tiefe Leere war in ihm, eine Leere, die er so gut kannte, die schon so oft sein Begleiter gewesen war. Eine Leere, die ihn nicht mehr klar denken ließ.
Er trank die Flasche halb aus und schaltete den Fernseher ein. Irgendwann würde vielleicht auch einmal seine Zeit kommen. Nur wann?
Erika Müller parkte den Mercedes vor dem Neubau mit den Eigentumswohnungen. Es regnete seit dem Nachmittag, ein kühler Nordwestwind trieb den Regen vor sich her, der Asphalt glänzte im Licht der Laternen. Sie hatte das Radio eingeschaltet, die Lautstärke gedämpft. Nur wenige Fußgänger kamen während der paar Minuten, die sie wartete, an ihr vorbei, die meisten zogen es vor, bei diesem Wetter zu Hause zu bleiben. Links von ihr erstreckte sich der Grüneburgpark, vor allem im Sommer ein Erholungsgebiet inmitten der hektischen Großstadt, wenn nicht gerade ein Open-Air-Konzert stattfand. Es war kurz nach neun, als ein Porsche neben ihr hielt. Sie stieg aus, schloss ihr Auto ab und setzte sich in den Sportwagen. Nach etwa zwanzig Minuten gelangten sie an ein altes, um die Jahrhundertwende errichtetes dreistöckiges Haus, das trotz der Dunkelheit und nur vom matten Schein der Laternen angeleuchtet ehrwürdig und erhaben wirkte. Sie fuhren durch ein schmales Tor in den Hof, die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet. Hinter keinem der Fenster brannte Licht, worüber sie sich in diesem Moment jedoch keine Gedanken machte. Während der Fahrt hatten sie ein paar Belanglosigkeiten ausgetauscht, gelacht, hatten sich ihre Hände einige Male berührt. Sie stiegen aus, betraten die Wohnung im Erdgeschoss. Sie war luxuriös eingerichtet, dicke Teppiche, in denen man fast versank, kostbare Bilder an den Wänden, teure Möbel; alles hier roch nach Geld, Reichtum, Macht und Besitz.
»Mach’s dir bequem, ich hol uns nur schnell was zu trinken. Wir haben einen ganzen Abend lang Zeit. Und dein Mann wird bestimmt nicht misstrauisch?«
»Nein, der schläft mit Sicherheit schon«, antwortete Erika Müller und setzte sich in einen der butterweichen roten Ledersessel. Sie strich mit einer Hand über die Lehne. Wie aus dem Nichts erklang mit einem Mal leise Musik aus unsichtbaren Lautsprechern, eine Musik, die zu dem gedämpften, warmen Licht passte. Sie sah sich um, dachte nur, sie würde sich nie eine solche Wohnung leisten können, solche Möbel, solch wertvolle Bilder, allein die Teppiche mussten ein Vermögen gekostet haben.
»Gut, ich bin gleich zurück.«
Nach wenigen Augenblicken standen eine Flasche Dom Perignon und zwei bereits gefüllte Gläser auf dem Tisch mit der Platte aus naturbelassenem Carrara-Marmor.
»Lass uns anstoßen auf den Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Und auf unsere Freundschaft. Dein Kleid gefällt mir übrigens. Neu?«
»Ja«, erwiderte Erika Müller, verlegen wie ein pubertierendes Mädchen lächelnd. Sie hob das Glas, trank es zur Hälfte leer, fühlte sich von einem Moment zum andern fast schwerelos, weil sie Alkohol nicht gewohnt war.
»Soll ich dir das Schlafzimmer zeigen?«
»Ich bin schon ganz gespannt darauf«, sagte Erika Müller, die das Gefühl hatte, von Sekunde zu Sekunde schwereloser zu werden, als würde ihre Seele Flügel bekommen. Alles in ihr kribbelte, ihr war ein wenig schwindlig wegen der Aufregung, wegen diesem ersten Mal, da sie ihren Mann betrog. Sie stand auf und folgte ins Schlafzimmer, einem Traum aus Blau und Rosé, mit dem riesigen Bett, den flauschigen Teppichen. Indirektes Licht verlieh diesem Raum etwas Romantisches, es lud förmlich ein, sich gehen und treiben zu lassen.
»Möchtest du dich nicht ausziehen? Du bist sehr schön.«
Sie lächelte verschämt, es war eine Ewigkeit her, seit ihr jemand zuletzt gesagt hatte, sie sei schön. Eigentlich hatte es noch nie jemand gesagt, hübsch ja, aber schön … Schön waren andere, eine Claudia Schiffer, eine Cindy Crawford, Madonna, Naomi Campbell … Aber eine Erika Müller? So farblos wie ihr Name war, so farblos hatte sie sich zeit ihres Lebens gefühlt. Unattraktiv, nicht begehrenswert, bedeutungslos. Und jetzt auf einmal wurde ihr gesagt, sie sei schön, sehr schön. Sie floss dahin, meinte zu schweben.
»Warte, ich hole die Flasche und die Gläser. Und dann machen wir es uns gemütlich. Setz dich ruhig auf das Bett, es ist ein Traum. Fühl, wie weich es ist.«
Erika Müller setzte sich – es war tatsächlich ein Traum. Sie ließ sich rücklings auf das Bett fallen, streckte die Arme aus, sagte, während sie noch allein war, leise zu sich selbst: »Ich bin schön, ich bin schön.« Sie hätte schreien können vor Glück, auch wenn das Gefühl der Ungewissheit und der Schuld, ihren Mann zu betrügen, mit kleinen, spitzen Zähnen an ihr nagte.
»Komm, trink noch einen Schluck.«
Sie nahm das Glas, trank es aus und stellte es auf den kleinen Tisch neben dem Bett.
»Und jetzt, meine Liebe, lass uns den Abend genießen.«
Erika Müller zog sich bis auf die Unterwäsche aus, die sie sich extra für diesen Abend gekauft hatte. Ein schwarzer Spitzen-BH, der ihren üppigen Busen kaum verhüllte, einen dazu passenden, wie für sie gemachten Slip, der die kleinen Speckröllchen an den Hüften und am Bauch praktisch unsichtbar werden ließ. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich wie ein junges, unschuldiges Schulmädchen, schüchtern und ein wenig ängstlich vor dem ersten Mal. Es war ein herrliches, ein prickelndes Gefühl.
»Du bist wirklich sehr schön, schöner, als ich gedacht habe.«
»Und du, willst du etwa angezogen bleiben?«, fragte Erika Müller und sah ihr Gegenüber an.
»Nein, das hatte ich ganz sicher nicht vor. Aber ich möchte dich verwöhnen, wie du noch nie im Leben verwöhnt worden bist. Und du kannst es in Zukunft so oft haben, wie du möchtest. Leg dich aufs Bett, in die Mitte, und vertrau mir. Es wird eine unvergessliche Nacht werden. Möchtest du vorher noch ein Glas trinken? Erst nach zwei Gläsern Dom Perignon kann man das, was wir gleich machen, richtig genießen, glaub mir. Und hinterher wirst du nie wieder etwas anderes wollen. Ich sage dir gleich, es macht süchtig. Und dabei ist nicht einmal Rauschgift im Spiel.«
Erika Müller legte sich wie geheißen in die Mitte des Bettes. Die ihr noch fremden, aber mit einem Mal doch so vertrauten Hände streichelten über ihren Körper, mal sanft, mal wieder etwas fester, die Finger massierten ihre Schenkel, ihre Scham, ihre Brüste.
»Ich will dich ganz nackt sehen, damit du alles spürst.«
»Ich spüre jetzt schon alles«, flüsterte Erika Müller.
»Das denkst du nur, weil du das Spiel noch nicht kennst.«
Sie war nackt, sie war schön, ihre Brustwarzen waren erigiert von den Liebkosungen.
»Entspann dich, und schließ die Augen, und lass dich einfach treiben. Denk an das warme Meer und die Wellen und treibe.«
Erika Müller folgte der Aufforderung gerne, schloss die Augen und stellte sich das Meer vor, das sie bis jetzt nur einmal gesehen hatte, auf ihrer Hochzeitsreise, die sie auf den Kanarischen Inseln verbracht hatte.
»Rutsch ein kleines Stück weiter nach oben, nur ein kleines Stück, und streck die Arme aus.«
Erika Müller tat wie ihr geheißen. Sie spürte kaum, wie die Handschellen um ihre Handgelenke schnappten, wie sie wehrlos dalag, aber es machte ihr nichts aus, sie fühlte sich sicher und geborgen und wollte an nichts denken als an den unendlichen Ozean, auf dem sie, von einem warmen Wind umfächelt, getrieben wurde, an blauen Himmel und wärmenden Sonnenschein. Sie genoss die Küsse von den weichen, sanften Lippen, das Gleiten durch eine andere, schönere Welt.
Sie glitt und glitt und glitt – bis der heftige Schlag in den Bauch ihr die Luft raubte, sie schreien wollte, doch kein Laut aus ihrem Mund kam. Sie riss die Augen vor Entsetzen und Schmerz auf, bis der nächste Schlag ihre Brust traf. Sie sah den kalten, unbarmherzigen Blick, sie zerrte an den Handschellen, ein weiterer Fausthieb zertrümmerte fast ihren Oberarm. Sie wollte raus hier, zurück nach Hause, zu ihrem Mann, den Kindern. Sie war doch hergekommen, um zu lieben und geliebt zu werden, und nicht, um geschlagen zu werden.
»Bitte, lass mich gehen«, wimmerte sie mit Tränen in den Augen. »Bitte, ich habe dir doch nichts getan. Warum tust du das mit mir? Lass mich gehen, und ich verspreche dir, niemandem ein Wort darüber zu verraten. Ehrenwort.« Sie sah ihr Gegenüber an. Für einen kurzen Augenblick herrschte Schweigen.
»Sei nicht albern, sondern einfach nur still.«
»Ich will noch nicht sterben, bitte!«
»Woher weißt du das?«
Ein Stück Klebeband wurde auf ihren Mund gedrückt, Fesseln um ihre Beine gelegt, ein weißes Seidentuch, das ihre Augen bedeckte, im Nacken zusammengebunden.
»Du hast Angst, nicht?«, fragte die eben noch so sanfte und warme Stimme, die auf einmal so hart und erbarmungslos klang. »Ich habe dir doch gesagt, du würdest etwas Einmaliges erleben. Du erlebst es gerade. Es tut mir Leid, dir wehtun zu müssen, aber ich habe keine andere Wahl. Nur wenn ich dir wehtue, wirst du erkennen, wie wertvoll das Leben ist. Was seid ihr nur für Frauen? Ihr sucht den Kick, und ich gebe ihn euch. Ihr sucht Lust, und ihr bekommt sie. Aber am Ende steht immer das Abschiednehmen, der Tod. Doch der Tod ist nicht das Ende, er ist ein Anfang, der Anfang eines neuen, besseren Lebens. Du wirst das Glück haben, dieses neue Leben bald kennen lernen zu dürfen. Und ich helfe dir dabei. Ach ja, selbst wenn es dir gelingen würde, zu schreien, es würde dich keiner hören, dieses Haus ist zwar groß, aber außer mir wohnt hier keiner. Eigentlich wohne ich überhaupt nicht hier, das Haus gehört mir nur. Irgendwann in der nächsten Zeit wird es komplett renoviert. Doch was rede ich da, es interessiert dich bestimmt nicht, du Hure. Du hässliche, alte Hure!«
Erika Müller hörte kaum die Worte, die an ihr Ohr drangen, sie versuchte zu atmen, doch ihr Atem ging nur oberflächlich, der Schmerz in ihrem Magen war zu heftig. Sie spürte, wie eiskaltes Wasser auf ihre Brust geträufelt wurde. Ihre Brustwarzen waren erigiert, Zunge und Zähne spielten mit ihnen, bis der furchtbarste Schmerz, den sie je erlebt hatte, sie fast ohnmächtig werden ließ. Dort, wo vor wenigen Sekunden noch ihre Brustwarzen waren, floss jetzt Blut aus zwei kleinen Wunden. Sie betete zu Gott, flehte, wimmerte, riss an den Handschellen. Sie spürte, wie Nadeln immer und immer wieder in ihren Körper gestochen wurden, und doch ebbte der große Schmerz allmählich ab.
Sie schwebte wieder, schloss erneut die Augen, Nadelstiche und ab und zu Schläge. Aber es machte ihr nichts mehr aus. Irgendwann, war es nach Minuten oder Stunden – sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren –, wurde ihr die Augenbinde abgenommen. Im schwachen Licht des Zimmers blickte sie in Augen, die sie voller Mitleid ansahen. Mitleid, aus dem innerhalb weniger Sekunden Kälte und schließlich glühender Hass wurden. Ohne die Bewegung zu gewahren, verspürte sie einen weiteren kräftigen Schlag gegen das Kinn, der ihr die Sinne nahm.
Als sie am nächsten Morgen oder Mittag wie betäubt in dem verdunkelten Zimmer erwachte, wusste sie nicht, wie spät es war und wo sie sich befand. Ihre Arme waren noch immer an das Bett gefesselt, das Klebeband machte das Sprechen unmöglich, das Atmen wurde zu einer Qual, weil sie unter einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung litt und die Schleimhäute angeschwollen waren. Sie fürchtete, ersticken zu müssen, wenn sie nicht bald Nasentropfen bekam.
Sie war allein in dem Raum. In ihren Eingeweiden rumorte es, ihre Brust war ein einziger Schmerz. Sie hatte in das Bett uriniert, sie hatte Hunger und Durst, ihre Zunge fühlte sich geschwollen an, ihr Hals war wie ausgetrocknet. Sie wusste, sie würde sterben, doch sie wusste nicht, wann und wie. Aber eigentlich wollte sie sterben, wollte hinüber in das andere Leben. Lieber tot sein, als noch länger diese Qualen erleiden. Vor zwei Jahren wollte sie sich sogar schon einmal umbringen, hatte dann aber nicht den Mut dazu. Nun erledigte diese Aufgabe jemand anderes für sie. Jemand, den sie kaum kannte und zu dem sie von Anfang doch so viel Vertrauen gehabt hatte. Jemand, von dem sie nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen vermutet hätte, getötet zu werden. Jemand, den sie vor einem Jahr auf einer Party kennen gelernt hatte, zu der sie von einer etwas flippigen und reichen Bekannten mitgenommen worden war und wo sich alle nur mit Vornamen angeredet hatten. Wo sie allein hingegangen war, ohne ihren Mann, der geglaubt hatte, sie sei bei ihrem üblichen Freitagabendtreffen. Eigentlich hatte sie gar nicht mitgehen wollen, aber ihre Bekannte hatte darauf bestanden, hatte gemeint, es wäre endlich an der Zeit, sich aus der Abhängigkeit von einem schwachen Mann zu befreien und ein eigenes Leben zu führen. Es waren einige Leute dort, von denen sie in ihrem Leben nicht geglaubt hätte, ihnen jemals von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Sänger und Sängerinnen und andere Persönlichkeiten. Es war ein riesiges Fest, mit einem Büfett, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte, höchstens im Film. Es wurde gelacht und getrunken, und obgleich all die Prominenz zum Greifen nah war, hatte sie sich nicht getraut, auch bloß einen von ihnen anzusprechen. Sie hatte nur dagestanden, ein Glas Champagner in der Hand, und hatte das Treiben aus angemessener Distanz beobachtet. Schließlich wurde sie angesprochen und einigen Männern und Frauen vorgestellt. Angefangen hatte es mit Smalltalk, später am Abend verschob sich alles auf eine intimere Ebene, es wurde über Sex geredet, viele der Damen hatten sich abgesondert und verführerische Dessous gezeigt und gesagt, dies sei genau das, was Männer anmache. Allein der Anblick einiger dieser Dessous hatte ihr damals die Schamesröte ins Gesicht getrieben und gleichzeitig einen ihr bis dahin unbekannten Trieb geweckt.
An diesem Abend hatten sie sich zum ersten Mal gesehen, und sie war fasziniert gewesen von dieser Person, die so selbstsicher und so einfühlsam gewesen war. Sie hatten sich über Gott und die Welt unterhalten, über Astrologie und andere esoterische Dinge, sie hatte sich eine Adresse geben und schon ein paar Tage später ein Horoskop erstellen lassen. Sie hatte zweihundertfünfzig Mark dafür bezahlt, aber es hatte sich gelohnt. Zum ersten Mal wusste sie, wer sie war, und vor allem wie sie war. Vor einigen Jahren hatte ihr einmal eine Zigeunerin, die ihr unbedingt einen Teppich verkaufen wollte, aus der Hand gelesen und sie davor gewarnt, sich mit fremden Menschen einzulassen, auch wenn sie ihr vertraut erschienen, es könnte ihr Tod sein, und sie hatte sogar ein Jahr genannt – neunzehnhundertneunundneunzig. Die alte Frau hatte damals gesagt, jenes Jahr sei das Jahr, in dem sich ihr weiteres Leben oder ihr Tod entscheiden würde. Sie hatte es als Spinnerei abgetan, als Angstmacherei, weil sie sich geweigert hatte, einen Teppich zu kaufen, und die Alte sich auf diese Weise rächen wollte. Jetzt auf einmal kehrte die Erinnerung an diese Zigeunerin zurück, an ihre brennenden, warnenden, besorgten Augen, deren Bedeutung sie nun viel zu spät erkannte. Sie hatte vorher nie an Astrologie oder Handlesen geglaubt, es entzog sich ihrer Vorstellungskraft zu glauben, das Schicksal eines Menschen stünde in den Sternen oder in den Handlinien.
Sie wusste nicht, wie spät es war, sie hatte die Augen geschlossen, ihr Atem ging schwer, sie befand sich in einem Dämmerschlaf, als sie einen zarten Kuss auf ihrem Bauch fühlte. Sie sah die Person über sich, die Nasentropfen, die Pipette, die langsam in ihre Nase geschoben wurde, und die Flüssigkeit erleichterte allmählich das Atmen. Danach ein paar Küsse. Was war das nur für ein Spiel, war dies das Gleiten und Schweben, von dem sie gesprochen hatten? Auf die Küsse folgten wieder brutale Schläge und Nadelstiche. Und dann war sie erneut allein. Sie dachte an ihren Mann und die Kinder, wusste jetzt mit Bestimmtheit, dass sie sie nie wiedersehen würde. Am meisten schmerzte sie der Gedanke an ihre Kinder. Sie waren doch noch so klein, und sie brauchten doch noch eine Mutter. Warum um alles in der Welt hatte sie das gemacht? Warum hatte sie nicht auf ihre innere Stimme gehört, die ihr gesagt hatte, nicht zu diesem Treffen zu gehen? Sie hörte doch sonst immer auf diese Stimme! Warum diesmal nicht? Sie fand keine Antwort darauf. Vielleicht war der Grund, dass sie einmal in ihrem Leben diesen Kick ausprobieren wollte, einmal ausbrechen aus der Eintönigkeit des Alltags. Dass es ein Ausflug in den Tod werden würde, daran hätte sie im Traum nicht gedacht.
Eine weitere Nacht und ein weiterer Tag vergingen, die sie, von unsäglichen Schmerzen gepeinigt, teils wach, teils in oberflächlichem Schlaf verbrachte. Am Abend wieder Küsse, Schläge und Stiche. Die Fesseln an ihren Füßen wurden entfernt, ihre Beine gespreizt. Sie sah den Rasierapparat, mit dem ihre Schamhaare entfernt wurden, schließlich die goldene Nadel, die durch ihre Schamlippen gestochen wurde. Sie fühlte nicht einmal Schmerz. Sie hatte aber keine Kraft mehr, sich zu wehren. Als ihre Augen wie von selbst zufielen, spürte sie kaum noch, wie die Drahtschlinge um ihren Hals gelegt und mit einem kräftigen Ruck zugezogen wurde. Erika Müller war tot.
Julia Durant hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Unruhig und beschissen wie das ganze Wochenende, das aus nichts bestanden hatte, als die Wohnung einigermaßen auf Vordermann zu bringen, Wäsche zu waschen, zu bügeln und fernzusehen. Die einzige Abwechslung war ein Telefonat mit ihrer Freundin Susanne Tomlin gewesen, die beschlossen hatte, eine Buchhandlung in ihrer Wahlheimat Südfrankreich zu eröffnen. Und natürlich hatte sie gefragt, wann sie sich denn wiedersehen würden.
In der Nacht war sie, wie so oft in den vergangenen Wochen, von unerklärlichen Albträumen geplagt worden, von denen ihr einer fest im Gedächtnis haften geblieben war. Sie war mit ihrem Corsa in eine Tiefgarage gefahren, doch als sie die Garage verlassen wollte, gab es plötzlich keinen Ausgang mehr. Sie hatte bemerkt, dass sie sich vollkommen allein darin befand, kein Mensch, kein anderes Auto. Sie hatte verzweifelt versucht, einen Ausgang zu finden, doch da war nichts als ein kleines Fenster im Dach, das über eine in die Wand eingelassene Leiter zu erreichen war. Sie war die Leiter hinaufgestiegen, musste oben aber feststellen, dass eine quer unter dem Fenster angebrachte Eisenstange ihr den Ausstieg verwehrte. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, ihrem Gefängnis zu entfliehen, erwachte sie um halb sieben. Sie setzte sich auf, die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen, den Kopf auf die Knie gelegt. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, leichte Stiche in der linken Schläfe, ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie griff zu der Flasche Wasser, die neben ihrem Bett stand, schraubte den Verschluss ab und trank einen Schluck.
Nachdem sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, stand sie auf, erledigte ihre Morgentoilette, zog sich an und frühstückte einen Teller Cornflakes mit Milch und Zucker, trank zwei Tassen Kaffee und rauchte danach eine Gauloise. Um kurz nach halb acht verließ sie die Wohnung, um ins Präsidium zu fahren. Auf dem Weg dorthin hörte sie die Nachrichten, in denen das Topthema ein libyscher Terrorist war, der seit einem Monat in Frankfurt unter dem Verdacht des mehrfachen Mordes in Untersuchungshaft saß und dessen Prozess am kommenden Donnerstag beginnen sollte. Die Libyer forderten seine Freilassung, da er im Auftrag der Regierung angeblich als Kaufmann unterwegs war, doch gab es mittlerweile hieb- und stichfeste Beweise für seine Schuld. Die Bundesregierung verweigerte eine Abschiebung. Libysche und andere arabische Terrorgruppen drohten mit Anschlägen, sollte er nicht umgehend freikommen. Julia Durant zuckte die Schultern und sagte zu sich selbst: »Warum habt ihr Idioten ihn überhaupt erst festgenommen und nicht gleich abgeknallt?« Die weiteren Meldungen waren eher belanglos, der Verkehrsbericht umfangreich wie jeden Montagmorgen, den Wetterbericht bekam sie nicht mehr mit.
Als sie ihr Büro im zweiten Stock des Polizeipräsidiums betrat, waren bereits ihre Kollegen Hellmer und Kullmer sowie ihr Chef Berger da.
»Morgen«, murmelte sie und hängte ihre Tasche über die Stuhllehne.
»Guten Morgen, Frau Durant«, erwiderte Berger mit ernstem Blick und in merkwürdigem Ton. Sie kannte diesen Blick seit einigen Jahren und wusste, dass der Begrüßung gleich etwas Unangenehmes folgen würde.
»Hallo, Julia«, sagte Hellmer mit ebenfalls ernster Stimme und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, »wie war dein Wochenende?«
»Abgehakt«, antwortete sie nur und setzte sich. »Was gibt’s Neues?«
»Hier.« Berger reichte ihr eine Akte über den Tisch. »Lesen Sie selbst.«
Sie las schweigend, wölbte die Lippen, sah erst Berger, dann Hellmer an.
»Verdammte Schweinerei«, sagte sie leise und schaute erneut auf das Papier. Schließlich betrachtete sie eingehend die Fotos, die vom Opfer aus allen erdenklichen Positionen gemacht worden waren. Es war immer wieder ein makabrer, schrecklicher Anblick, die Bilder von gewaltsam zu Tode Gekommenen anzusehen. Dieses Opfer war erdrosselt worden. Sie war bekleidet, ein Arm an den Körper gelegt, der andere nach oben gestreckt, die Beine angewinkelt. Blond, etwas füllige Figur. »Gefunden heute Nacht um Viertel vor zwei im Grüneburgpark. Wer ist diese Erika Müller, und wer hat sie gefunden?«, fragte sie und steckte sich eine Zigarette an. Es gab Morde, die sie nur am Rande berührten, zum Beispiel, wenn irgendwelche Banden sich bekriegten und dabei jemand bei einer Schießerei oder Messerstecherei ums Leben kam. Und es gab welche, da schnürte sich ihr die Kehle zu. Da fühlte sie mit den Opfern, meinte zu spüren, was sie in der Zeit vor ihrem Tod durchgemacht hatten. Dies war wieder so ein Fall. Obgleich die Frau vollständig bekleidet war, wusste sie sofort, dass dies kein gewöhnlicher Mordfall war. Und irgendwie kam ihr das alles bekannt vor, nur vermochte sie im Augenblick keinen Zusammenhang mit einem anderen Mord zu erkennen.
»Hausfrau, verheiratet, zwei Kinder. Der Ehemann steht unter Schock, wir haben ihn bisher nicht vernehmen können. Ich denke aber, dass Sie trotzdem gleich mal zu ihm fahren sollten. Hier ist die Adresse. Ein junges Ehepaar hat sie gefunden, als sie mit dem Hund noch mal raus mussten, der dann auch die Witterung aufgenommen hat. Sie wurde von ihrem Mann am Samstagvormittag als vermisst gemeldet, nachdem sie am frühen Freitagabend das Haus verlassen hat, um sich mit ein paar Freundinnen zu treffen. Sie wollte angeblich spätestens um elf wieder zurück sein. Als sie nicht kam, ist er ins Bett gegangen, und als er am Morgen aufwachte, war sie noch immer nicht da. Dann ist er aufs sechzehnte Revier gefahren und hat die Vermisstenmeldung aufgegeben, was ich auch schon überprüft habe. Viel mehr haben wir bis jetzt nicht aus ihm herausbekommen können. Fahren Sie am besten gleich hin, und versuchen Sie was aus ihm rauszukriegen. Ach ja, ihre Handtasche fehlt. Das Einzige, was der Täter bei der Leiche gelassen hat, war ihr Personalausweis.«
»Was sagen unsere Leichenfledderer?«, fragte sie mit ruhiger Stimme, auch wenn es in ihr vibrierte.
»Ich warte noch auf den Befund. Ich denke, ich bekomme den Bericht im Laufe des Vormittags auf den Tisch.«
»Irgendwelche andere Spuren?«, fragte sie und nahm einen tiefen Zug an der Zigarette.
»Auch darauf warte ich noch«, antwortete Berger zögernd, ohne die Kommissarin anzusehen.
»Sie ist nicht am Fundort getötet worden«, bemerkte Durant leise.
»Und wie kommen Sie darauf?«, fragte Berger, der scheinbar gelangweilt einen Stift zwischen seinen Fingern drehte.
»Sie ist dorthin gebracht worden. Außerdem hätte man sie in diesem Park schon früher gefunden.«
»Es hat seit vorgestern bis heute Nacht fast die ganze Zeit geregnet, und es war ziemlich kalt und windig«, bemerkte Hellmer und steckte sich eine Marlboro an. »Wer hält sich bei diesem Mistwetter schon im Park auf?«
»Egal. Der Fundort ist gut einsehbar, man kann womöglich sogar mit dem Auto dorthin fahren. Tatort und Fundort sind nicht identisch. Meiner Meinung nach … Aber hören wir uns erst mal an, was ihr Mann uns zu erzählen hat. Frank«, sagte sie und warf ihm einen Blick zu, »du kommst mit. Ich will das nicht allein machen.« Sie drückte ihre Zigarette aus und nahm ihre Tasche. »So hab ich mir den Wochenbeginn immer vorgestellt«, seufzte sie.
»Ach ja«, rief Berger ihnen hinterher, bevor Durant und Hellmer das Büro verließen, ohne die Kommissare anzusehen, »da ist noch eine Kleinigkeit, die ich vielleicht erwähnen sollte. Ein kleines Detail nur – in ihren Schamlippen steckte eine goldene Nadel.«
»Was?«, fragte Durant mit hochgezogenen Augenbrauen und kam zurück. »Ist das auf den Fotos zu sehen?«
»Nein. Da der Boden stark aufgeweicht und sie vollständig bekleidet war, wurde sie gleich in die Rechtsmedizin gebracht. Erst dort hat man das festgestellt. Ich wollte es nur erwähnen.«
»Scheiße«, entfuhr es der Kommissarin leise, »das ist doch … wie vor einem Jahr! Wann war es noch mal? Oktober und November?«
»28. Oktober und 13. November. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Und Sie haben sicher Recht.«
»Das Gleiche wie bei Albertz und Weidmann. Und wir dachten, der Täter hätte …« Sie rollte mit den Augen und setzte sich wieder. »Wieso rücken Sie erst jetzt mit der Sprache raus?«, fragte sie wütend.
»Tut mir Leid, ehrlich. Ich wollte es Ihnen eigentlich schonend beibringen, aber …«
»Ob schonend oder nicht, es macht keinen Unterschied! Diese gottverdammte Drecksau fängt wieder an! Und wie! Und wir haben bis heute nicht den Hauch einer Spur, wer die beiden vom letzten Jahr auf dem Gewissen hat! Seit einem Jahr kümmert sich eine Soko um die Sache, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er noch einmal zuschlägt. So kann man sich irren.« Sie zündete sich eine Gauloise an und inhalierte tief. Ihre Augen gingen von Berger zu Hellmer und Kullmer. »Und ich hatte also Recht, sie ist dorthin gebracht worden. Denn auch die Albertz und die Weidmann wurden an Orten gefunden, die weit weg von ihrem Zuhause lagen. Ich bin echt mal auf den Autopsiebericht gespannt.« Sie hielt inne, sah Berger mit gefährlich funkelnden Augen durchdringend an, stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch und zischte: »Und wenn Sie tausendmal mein Chef sind, ich will, dass Sie mir in Zukunft von Anfang an alles sagen. Oder haben Sie etwa Angst vor mir?«
»Ich hab doch schon gesagt, es tut mir Leid.«
»Schön, und jetzt kennen Sie meinen Standpunkt. Wir haben bis heute nicht herausfinden können, ob Albertz und Weidmann je miteinander zu tun hatten. Es gibt nicht einen einzigen Hinweis auf eine Verbindung. Und jede Spur, die zu einem Täter führen könnte, endet bis jetzt im Nichts. Und nun haben wir Opfer Nummer drei. Die Sache wird für uns alle allmählich brenzlig. Wenn der Kerl weitermacht …«
»Das wissen wir doch noch gar nicht«, versuchte Berger sie zu beschwichtigen. »Und ich kann Ihre Wut verstehen, ehrlich.«
»Das glaub ich kaum! Wenn Sie sie verstehen würden, würden Sie nicht so ruhig dasitzen! Ich möchte nur zu gerne wissen, was hinter der ganzen Sache steckt. Und was machen wir jetzt?«
»Wir fahren erst mal zu dem Mann von der Müller. Alles Weitere besprechen wir nachher. Komm, Julia, nimm’s nicht so schwer. Du hast doch schon mehr Morde erlebt«, sagte Hellmer und fasste Durant bei der Schulter.
»Aber nicht solche! Das hier ist etwas ganz Besonderes.«
Als Julia Durant und Frank Hellmer über den langen, düster wirkenden Gang liefen und ihre Schritte von den Wänden widerhallten, sagte Hellmer: »Ich weiß, was du jetzt denkst.«
»Quatsch! Du kannst überhaupt nicht wissen, was ich denke. Und außerdem bin ich sauer auf Berger.«
»Vergiss Berger. Aber ich kenne dich lange und gut genug. Du denkst, das letztes Jahr war nur der Anfang, die Ouvertüre. Und nun geht es erst richtig los. Hab ich Recht?«
»Keine Ahnung, vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich hoffe, ich irre mich. Ich hoffe es inständig. Wäre es nur das Erdrosseln gewesen, wir hätten nicht unbedingt einen Zusammenhang erkennen müssen. Aber eine Nadel durch die Schamlippen … Was hat das bloß zu bedeuten?« Und nach einem tiefen Atemzug: »Diese verdammte Drecksau hat wieder angefangen! Ich bin einfach nur wütend, wütend über dieses Schwein, das diesen Frauen das antut.«
Hellmer zuckte nur die Schultern, drückte die Tür auf, und sie traten ins Freie. Sie nahmen den Lancia, fuhren aus dem Präsidiumshof, stoppten kurz an der Ampel und bogen rechts ab in die Mainzer Landstraße. An der Galluswarte überquerten sie die Straßenbahnschienen, fuhren die Kleyerstraße entlang bis nach Griesheim. Sie kamen über die Omegabrücke, am Bahnhof vorbei. Durant rauchte ihre Zigarette zu Ende und warf sie aus dem Fenster.
Da sind wir. Am Gemeindegarten 5«, sagte Hellmer, als er den Lancia vor dem Haus stoppte. Unter der Brücke war ein kleiner, rundum vergitterter Bolzplatz angelegt, ein paar Meter weiter stand ein gelb angestrichener Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg.
»Hübsches Haus. Wär mir allerdings zu laut. Die Eisenbahn direkt vor der Nase und dazu noch die Brücke. Nein, danke.«
»Du sollst ja auch nicht hier wohnen. Bringen wir’s hinter uns.«
Bernd Müllers Wohnung war im zweiten Stock, direkt unter dem Dach. Sie warteten nach dem Klingeln einige Sekunden, bis der Türsummer ertönte. Es war ein altes, in den zwanziger Jahren gebautes, sehr gepflegtes Haus, in dem es jetzt nach Zwiebeln, Knoblauch und fremdländischen Gewürzen roch. Im Erdgeschoss wohnten zwei türkische Familien, im ersten Stock Italiener. Die frisch gebohnerten Stufen knarrten bei jedem Schritt. Müller stand in der Wohnungstür, die dunklen Haare zerzaust, die Schultern nach vorne gedrückt, als läge eine unsägliche Last auf ihnen, die Augen waren gerötet. Er trug Jeans und ein Karohemd. Ein kleiner Junge im Pyjama von vielleicht sechs Jahren steckte seinen Kopf nach draußen.
»Geh in dein Zimmer«, sagte Müller mit schwerer Stimme. »Geh und mach die Tür hinter dir zu. Ich kümmere mich gleich wieder um euch.«
»Durant von der Kripo, und das ist mein Kollege Hellmer. Können wir uns ungestört unterhalten?«
»Natürlich, kommen Sie rein.« Er trat zurück, ließ die Beamten an sich vorbeigehen. Durant schätzte seine Größe auf etwa einsfünfundachtzig. »Bitte, dort hinten rechts ist das Wohnzimmer. Suchen Sie sich einen Platz aus.«
Das Wohnzimmer war ein kleiner, aber gemütlich und stilvoll eingerichteter Raum, der jetzt unaufgeräumt war. Ein überquellender Aschenbecher auf dem Tisch, eine fast leere Flasche Remy Martin sowie einige Flaschen Bier daneben. Müller, der wegen des mangelnden Schlafs der vergangenen Tage dunkle Ringe unter den Augen hatte und sehr nervös wirkte, stellte sich ans Fenster, eine Hand in der Hosentasche, mit der andern fuhr er sich durchs Haar.
»Warum sie?«, fragte er und schüttelte den Kopf. »Warum ausgerechnet sie? Sie hat doch weiß Gott keiner Menschenseele etwas zu Leide getan. Sie hätten sie kennen sollen, sie … sie war irgendwie nicht von dieser Welt. Sie war einfach etwas Besonderes. Sie war die Frau, die ich mir immer gewünscht habe, die Frau, mit der ich alt werden wollte. Ich wollte mit ihr zusammen unsere Kinder aufwachsen sehen, wollte mit ihr irgendwann unsere Enkelkinder verwöhnen, am liebsten wäre ich auch mit ihr zusammen gestorben. Und jetzt? Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Es ist auf einmal alles so sinnlos geworden. Es gibt keine Zukunft mehr, wir werden nie mehr gemeinsam einschlafen, nie mehr zusammen frühstücken, nichts wird mehr sein, wie es noch vor drei Tagen war. Welches gottverdammte Schwein hat ihr das bloß angetan?« Er drehte sich um und sah Durant und Hellmer Hilfe suchend an. Er hatte keine Tränen mehr, er hatte sie alle in der vergangenen Nacht geweint. Julia Durant kannte das – weinen, trinken, rauchen, versuchen zu vergessen, zumindest war es bei vielen Angehörigen so, die sie im Laufe der Jahre kennen gelernt hatte.
»Herr Müller, wir sind hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Meinen Sie, Sie sind dazu in der Lage?«
Er nickte kaum merklich, setzte sich in einen der beiden Ledersessel, zündete sich eine Zigarette an. Seine Finger zitterten, seine Augen wanderten unruhig von Durant zu Hellmer. Die Wohnzimmertür ging mit einem leichten Knarren auf, ein kleines Mädchen stand da, den Blick neugierig auf die Kommissare gerichtet. Sie hatte lange rote Haare, grüne, aufgeweckte Augen, ihre Hände nestelten an dem Bändel des dunkelblauen Sweaters.
»Nicht jetzt, Julia, geh zu deinem Bruder«, sagte Müller.
»Es ist langweilig. Wann kommt Mutti wieder?«, fragte sie.
»Weiß nicht«, antwortete Müller mit einem versuchten Lächeln, »irgendwann. Und jetzt geh.«
Julia Durant fühlte sich unwohl. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie sich mit der Kleinen unterhalten, hätte ihr gesagt, dass sie auch Julia heißt. Aber nicht jetzt.
»Wie alt sind Ihre Kinder?«, fragte sie.
»Thomas ist sechs, Julia vier. Sie wissen noch nicht, dass ihre Mutter nie …« Er hatte doch noch Tränen, legte den Kopf in die Hände und schluchzte. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, hob er den Kopf, schenkte sich einen weiteren Cognac ein und sah die Kommissare an. »Ich kann es selbst noch nicht begreifen. Was ist bloß passiert?«
»Das möchten wir gerne herausfinden. Und dazu ist es notwendig, dass Sie uns ein paar Fragen beantworten. Sie haben Ihre Frau am Samstagvormittag als vermisst gemeldet.«
»Ja, ich weiß auch nicht genau, was … Sie hat am Freitag so gegen sieben das Haus verlassen, um sich mit zwei Freundinnen zu treffen. Und sie wollte um elf wieder da sein. Aber das habe ich alles schon auf dem Revier erzählt.«
»Erzählen Sie’s noch mal. Bitte. Sagen Sie uns einfach, wie sich der Nachmittag davor abgespielt hat.«
Müller zuckte die Schultern und zündete sich an der fast abgebrannten Zigarette eine neue an. »Ich bin um kurz vor fünf von der Bank gekommen …«
»Sie arbeiten bei einer Bank?«
»Ja, in der Rechtsabteilung. Und freitags machen wir immer schon um Viertel vor vier die Schalter dicht. Na ja, ich bin nach Hause gekommen, sie war im Bad, um sich für den Abend zurechtzumachen. Mein Gott, sie hätte in genau einer Woche Geburtstag gehabt …«
»Erzählen Sie weiter.«
»Ich habe mich ins Wohnzimmer gesetzt und gewartet, bis sie fertig war. Wir haben uns noch ein paar Minuten unterhalten, bis sie um kurz vor sieben die Wohnung verlassen hat. Als sie um elf noch nicht zu Hause war, bin ich ins Bad, um zu duschen, und hab mich dann ins Bett gelegt. Beim Fernsehen bin ich wohl eingeschlafen. Und als ich am Samstagmorgen aufgewacht bin, lag sie nicht neben mir. Ihr Bett war unberührt. Da hatte ich schon so eine komische Ahnung. Ich habe gleich bei Renate und Inge angerufen, aber sie haben beide gesagt, dass Erika um halb elf nach Hause gefahren sei.«
»Sie sagen, sie war mit dem Wagen unterwegs. Wo ist das Auto?«
Müller zuckte resignierend die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht hat das verdammte Schwein sie deswegen umgebracht. Wir haben zwei Autos, einen Mercedes 190 und einen VW Lupo. Entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit hat sie diesmal nicht den VW genommen, sondern den Mercedes. Aber das ist ja egal, das macht sie auch nicht wieder lebendig.«
»Haben Sie der Polizei das mit dem Wagen gesagt?«
»Glaub schon«, erwiderte er nachdenklich. »Doch, es müsste im Protokoll stehen.«
»Wie ist das Kennzeichen?«, fragte Durant. Müller nannte es ihr, sie rief kurz im Präsidium an, bat Berger, eine Suchmeldung nach dem vermissten Mercedes rauszugeben.
»Okay«, sagte sie, nachdem sie das Handy wieder in die Tasche gesteckt hatte. »Können Sie uns die genauen Namen und die Adressen der beiden Freundinnen Ihrer Frau geben?«
»Augenblick, sie stehen in unserem Adressbuch.« Er erhob sich, schlurfte mit wankenden Schritten auf den Flur – Julia Durant verfolgte seine unsicheren Bewegungen nachdenklich – und kehrte wenige Sekunden später zurück. »Renate Schwab, Nieder Kirchweg 13, und Inge Sperling, Hostatostraße 29. Sie werden sie aber jetzt nicht antreffen, sie arbeiten beide, soweit ich weiß. Doch hier sind ihre Telefonnummern. Versuchen Sie’s einfach.«
»Und wo arbeiten sie?«
»Keine Ahnung, sie waren Freundinnen meiner Frau, ich hab sie nur ein paar Mal kurz gesehen.«
»Und woher kannten sie sich?«
Die Antwort kam zögernd, als würde er sich nicht trauen, es auszusprechen. Schließlich sagte er: »Von Al-Anon.«
»Woher?«, fragte die Kommissarin, die Stirn in Falten gezogen.
»Al-Anon. Das ist … das ist … Sie kennen doch die Anonymen Alkoholiker, oder? Al-Anon ist für die Angehörigen von Alkoholikern. Sie haben sich mindestens einmal in der Woche getroffen. Meist freitags.«
»Ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber ist Ihre Frau Ihretwegen …?«
»Nein, wegen ihres Vaters«, antwortete er schnell. »Ich habe eigentlich nie getrunken, höchstens bei Festen mal ein Glas Wein, aber sie war durch ihren Vater geschädigt. Er hat nicht nur einen Großteil ihres Lebens bestimmt und zerstört, er hat auch ihre Mutter zu einem Wrack gemacht. Und dass ich heute Nacht getrunken habe, können Sie sicherlich verstehen. Ihr Vater hat bis zu seinem Tod gesoffen. Dreißig Jahre Saufen haben ihn schließlich umgebracht. Was Besseres hätte ihm und ihr nicht passieren können. Das ist jetzt ein gutes Jahr her. Sie hat die Gruppe schon jahrelang besucht, als wir noch nicht verheiratet waren, und ich hatte nichts dagegen, dass sie auch nach unserer Hochzeit weiter dorthin gegangen ist. Ich denke, es war gut für sie.«
»Wissen Frau Schwab und Frau Sperling schon von dem Tod Ihrer Frau?«
»Nein. Sie haben vorgestern und gestern Nachmittag hier angerufen und sich nach ihr erkundigt. Das ist alles. Sie haben sehr besorgt geklungen. Ich habe sie gefragt, was am Freitag war, aber sie sagten, es sei alles so gewesen wie sonst auch. Erst die Gruppe, dann das so genannte Nachmeeting. Sie sind immer zu einem Italiener oder Griechen gegangen.«
»Und war dreiundzwanzig Uhr in der Regel die Zeit, zu der Ihre Frau nach Hause gekommen ist?«
»Elf, manchmal halb zwölf, und wenn sie besonders viel Spaß hatten, konnte es durchaus auch Mitternacht werden. Deswegen habe ich mir, als sie um elf noch nicht da war, weiter keine Gedanken gemacht. In der Gruppe war sie gut aufgehoben.«
»Gab es in letzter Zeit irgendwelche merkwürdigen Ereignisse, die Sie nicht einordnen können? Seltsame Anrufe, Drohungen oder Ähnliches?«
»Nein.«
»Und Ihre Frau, war sie in den letzten Tagen oder Wochen in irgendeiner Weise verändert? Ich meine, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber hatten Sie vielleicht das Gefühl, dass Ihre Frau …«
Müller blickte Durant ernst und forschend an. Mit einem Mal wurde er kühl und abweisend. »Ich weiß genau, worauf Sie hinauswollen. Vergessen Sie’s! Wir haben uns geliebt, und sie hatte keinen Grund, sich einen anderen Mann zu suchen. Sie können jeden fragen. Es gab außer mir keinen anderen Mann in ihrem Leben.«
»Wie lange sind Sie verheiratet?«