Raphael Honigstein
Harder, better, faster, stronger
Die geheime Geschichte des englischen Fußballs
Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Raphael Honigstein, geboren 1973 in München, lebt seit 1993 in London und berichtet als Fußballkorrespondent der Süddeutschen Zeitung über die aufregendste Liga der Welt.
Die globale Strahlkraft der englischen Premier League stellt alle anderen Fußball-Ligen in den Schatten. Italiener und Spanier behaupten, dass ihr Fußball besser sei; in Deutschland mag man die Bundesliga für die stärkste auf dem Globus halten und immer neue Zuschauerrekorde bejubeln. Aber die Welt liebt vor allem die unvergleichliche Härte, das irrwitzige Tempo des englischen Fußballs und die Leidenschaft in den Stadien.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei KiWi Bibliothek
© 2017 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Impressum der Reprint Vorlage
ISBN (eBook) 978-3-462-41033-4
Für Ronnie und Elinor
Es war ein dumpfer, pochender Schmerz, der nicht zur Wunde passte. Über dem fingerkuppengroßen Loch hing noch immer schlaff ein Fetzen Haut, den man leicht beiseite schieben konnte. Tief in der roten Mulde war etwas strahlend Weißes zu sehen, es musste das Schienbein sein. Nach vier Stunden Wartezeit in der hellblauen Notaufnahme kam ein etwa 50-jähriger Mann mit Halbglatze und gezwirbeltem Schnurrbart. Über der Brusttasche seines grünen Kittels trug er eine Art Orden, er schien also ein Spezialist zu sein. Keine Ahnung, für was. »Alright«, sagte er mit fester Stimme, »wir brauchen das nicht zu nähen, wir kleben das.« Er nahm zwei kleine Streifen Pflaster aus einem Kästchen und drückte mit ihnen den Hautfetzen über das Loch in meinem rechten Bein. Ein Klaps auf die Schulter, dann war ich entlassen.
Zwei Wochen später war die Verletzung immer noch nicht verheilt. Der Hautfetzen hing weiter lustlos darüber, unter ihm quoll alle paar Tage gelber Eiter hervor. Ich fuhr mit einem Freund aus München nach Norwich, um den FC Bayern dort spielen zu sehen. Es war ein Glück, dass wir das Bed & Breakfast-Zimmer im Voraus zahlen mussten. Denn am Morgen nach Bayerns Ausscheiden war die Hälfte des Bettlakens voller Blut. Die Wunde war wieder aufgebrochen.
Ich weiß nicht mehr, ob es in meinem zweiten oder dritten Spiel für die zweite Mannschaft vom University College London passiert war. Auch an den Gegner kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es könnte die Dritte von King’s College oder die zweite Elf von Imperial gewesen sein. Auf alle Fälle war es ein Heimspiel, auf einem Platz im Norden Londons, wo Arsenal damals trainierte.
Es war ein für England normaler Zweikampf gewesen. Das heißt, mein Gegenspieler hatte mir den Eisenstollen ohne böse Absicht einen Zentimeter tief ins Fleisch gerammt, als der Schoner von der Wucht des Aufpralls zur Seite geschoben worden war. Das viele Blut sah auf den blauen Stutzen gut aus, fand ich. Leider tat es verdammt weh. War es ein Foul? Ich glaube nicht, denn hier gab es keine Fouls. Der Schiedsrichter pfiff im gesamten Match keine drei Mal.
Als »offensiver Mittelfeldspieler« war meine Rolle von unserem Kapitän Duncan kurz vor Anpfiff festgelegt worden. In der Praxis bedeutete das, dem Ball von einer bestimmten Stelle des Feldes hinterherrennen zu dürfen. Die Jungs waren nicht nur zehnmal härter, sondern leider auch fitter als in Deutschland. Man konnte keinen Ball annehmen, ohne dass einem sofort von zwei Seiten die gestreckten Beine entgegenflogen.
Bis zur Winterpause hatte ich nur noch ein paar Einsätze. Auf der Weihnachtsfeier enttäuschte ich meine Mitspieler, weil ich beim »Boatrace«, einer Art Staffeltrinken, für mein Pint mehr als 10 Sekunden brauchte. »Du kommst doch aus Deutschland«, sagte Duncan mit einem abfälligen Kopfschütteln. Er hatte seine Freundin zu der Party mitgebracht. Bald grölten die Jungs »Get your tits out for the lads!« (Zeig uns deine Titten!) in Richtung des Mädchens. Das war etwas ironisch gemeint, aber auch sehr ernst. Sie kam der Bitte nicht nach. Duncan lächelte vergnügt.
Für die Uni spielte ich im Anschluss nicht mehr viel. Ich fand bald heraus, dass man hier selbst beim Sonntagskick im Regent’s Park bedingungslos abgegrätscht wurde. Während auf den Nebenplätzen Kurden, Saudis und Brasilianer locker den Ball laufen ließen, rannten sich die Engländer gegenseitig in Grund und Boden, dazu hauten sie sich mit Wonne auf die Knochen. Es war für sie die Essenz des Spiels. Merkwürdigerweise wurde bei den Ausländern mehr gestritten, immer wieder musste das Spiel wegen Meinungsverschiedenheiten oder kleineren Raufereien gestoppt werden. Bei den Engländern ging es weiter, immer weiter.
Härter. Besser. Schneller. Stärker. Die ganze Welt liebt den englischen Fußball dafür. Aber wieso finden die Engländer das beautiful game erst so richtig schön, wenn es ein Kampf auf Leben und Tod ist? Woher kommt diese ungeheure Aggressivität auf dem Platz und auf den Rängen? Warum der Fußball auf der Insel so ist – so anders, so eigen, so brachial und so ungemein attraktiv für Spieler, Stadionbesucher und Fernsehzuschauer –, will dieses Buch ergründen. Es ist aber kein Geschichtsbuch. Die »geheime Geschichte«, die auf den nachfolgenden Seiten beschrieben wird, ist eine, die der englische Fußball erzählt, ohne selber davon zu wissen. In ihr scheint das Erbgut des Sports durch: uralte Mythen, protestantische Werte, sexuelle Repression und die Männlichkeitsideale des viktorianischen Zeitalters. Damals wurde das Spiel von bibelstrengen Direktoren als Beschäftigungstherapie für frustrierte Internatsschüler eingeführt. Seit die working class den Sport vor hundert Jahren für sich eroberte, bestimmen zwei konträre, sich aber gleichzeitig ergänzende Phänotypen den Rasen – bis heute. Einerseits gibt es den noblen Ritter, der Haltung und Fairplay vorlebt und für die Werte der Oberschicht einsteht. Auf der anderen Seite wird die bodenständigere Figur des wagemutigen Kriegers verehrt. Künstler oder Techniker dagegen haben es traditionell schwer.
Ich sprach mit den Fußball-Akademikern John Williams (Leicester) und John Sugden (Bournemouth) über die mimetischen Kriegsspiele der Fans, über den Einfluss von Mode und Popmusik, und mit englischen Journalisten über die effizienteste, Furcht erregendste Skandalpresse auf der Welt. Ich war im Old Trafford, im Highbury, an der Stamford Bridge. Im St James’ Park in Newcastle und in Birminghams Villa Park. Mit dem FC Liverpool und tausenden Scousern erlebte ich das Champions-League-Finale in Istanbul und begleitete die englische Nationalmannschaft bei der EM in Portugal. Premier-League-gestählte Kicker wie Thomas Hitzlsperger, Didi Hamann und Robert Huth erzählten mir in Pubs, Golfklubs und Teamhotel-Lobbys von der unvergleichlichen Härte, dem irrwitzigen Tempo auf dem Rasen und dass Schwalben nicht gerne gesehen sind. In Genf geriet ich in einen Bus voller betrunkener Engländer, die »There are ten German bombers in the sky, and the RAF from England shot them down« sangen, bis die Scheiben beschlagen waren. Zwei junge Schweizer mussten sich fragen lassen, warum sie im Krieg nicht gegen die Krauts gekämpft hatten. Ich flog zum bedeutendsten Derby Thailands – Liverpool gegen Manchester United – und sah, wie 7000 Thais in einer in Fanblöcke getrennten Sporthalle nervös aufschrien, wenn sich 10000 km weiter westlich ein junger Rabauke namens Wayne Rooney des Balls bemächtigte. »In Italien ist die taktische Liga, in Spanien die technische«, sagte mir Chelseas Trainer José Mourinho, »und in England regiert die Leidenschaft«. Doch wie lange noch? Die Welt, die auf den folgenden Seiten beschrieben wird, ist bereits im Verschwinden begriffen.
Weltweit unerreichte Einnahmen aus Kartenverkauf, Merchandising und Fernsehrechten sowie Vereinsstrukturen, die es ausländischen Investoren einfach machen, haben aus der Premier League die reichste Liga der Welt gemacht und – zumindest was die Spitzenvereine angeht – den Fußball konsequenter globalisiert als in anderen Ländern. Nicht nur die Top-Spieler kommen mittlerweile mehrheitlich aus dem Ausland, sondern auch die Trainer – und bald auch die Eigentümer. Schon sorgt man sich, dass die dem englischen Fußball ureigenen Leitmotive Härte und Tempo von kontinentaler sophistication verdrängt werden.
Das beunruhigt die Engländer. Denn die sind spätestens seit dem Verlust des Empire Nostalgie-Junkies; gestreckt wird der Stoff, aus dem die Träume sind, mit einer heftigen Dosis Amnesie. Die guten alten Zeiten hat es natürlich nie gegeben, auch nicht im Fußball. Gerade das aber macht die Beschwörung des Unverfälschten und Ursprünglichen so wichtig und verlockend. Sogar die BBC verkauft eine DVD mit Fußball-Highlights aus den siebziger Jahren als Rückblick auf football’s golden era. Das Jahrzehnt war so golden, dass England sich zweimal hintereinander nicht für Weltmeisterschaften qualifizieren konnte.
Der englische Fußball wird in den kommenden Jahren trotzdem der weltweit erfolgreichste bleiben, allein schon wegen der Einschaltquoten. Kaum ein Unterhaltungsprodukt bietet so viel ehrliche, authentische Emotionen sowie Bezugspunkte zu einem Klassenbewusstsein, das sich bei uns schon vor Jahrzehnten überlebt hat. Der Blick nach England ist also immer auch der Blick auf eine unverfälschte, mit den eigenen sozialen Wurzeln verbundene Version des Spiels. Zumindest in der Vorstellung des Betrachters.
Und es kann gut sein, dass die Welt den englischen Fußball auch so liebt, weil sie in ihm ihr großes Ideal erkennt. Raum und Zeit sind denkbar knapp, der Wettbewerb hart, die allgemeine Beschleunigung raubt dir den Atem – doch das ritterliche Prinzip der Fairness wacht darüber, dass niemand die Regeln bricht und nur der am Ende gewinnt, der es auch verdient.
In diesem Sinne: game on.
Es fing natürlich im Pub an. Am 26. Oktober 1863 trafen sich Vertreter von sieben Fußballmannschaften in der Londoner Freemasons Tavern in der Great Queen Street, um einen Verband ins Leben zu rufen und die Regeln zu vereinheitlichen. Nach sechs Versammlungen, zahllosen Bieren, kleineren Handgreiflichkeiten und einer erfolglosen Revolte verabschiedete die neu gegründete Football Associaton (FA) am 8. Dezember 1863 die von nun an verbindlichen Regeln. Der Sport, bei dem das Runde ins Eckige muss, eroberte fortan das ganze Land und gelangte »auf den Flügeln des British Empire«, wie der Soziologe John Sugden schreibt, in alle Winkel der Welt.
So weit, so bekannt. Wenn es um England geht, müssen sich die ewig nach Synonymen suchenden Sportreporter nicht groß verrenken: Man schreibt »Mutterland des Fußballs« oder »Wiege des Fußballs«, und jeder weiß Bescheid. Allerdings nicht so richtig. Die Standard-Bezeichnungen passen nämlich nur auf den ersten Blick. England hat zwar viel mit der Geschichte des Fußballs zu tun, aber das Spiel stammt von woanders her. Fußball, besser gesagt« Tsu-Chu« (»Tsu« heißt treten, »Chu« der Ball), wurde bereits im dritten Jahrhundert v. Chr. von Soldaten der Tsin-Dynastie in China gespielt. Geboren, wie es die Wörter »Mutter« und »Wiege« nahe legen, wurde der Fußball also sicher nicht auf der Insel. Aber er wurde hier aufgezogen und er ging hier zur Schule. Um genauer zu sein: in die strenge public school. Erst sie machte aus ihm, was er heute ist.
Eine public school ist das Gegenteil von dem, als das sie sich ausgibt: kein öffentliches, vom Staat finanziertes Lerninstitut, sondern eine Privatschule, ein Internat für die Sprösslinge der Oberschicht. Eton, die berühmteste aller public schools, verlangt derzeit umgerechnet knapp 12000 Euro für die Erziehung – pro Trimester, versteht sich. Public schools sind nichts für die breite Öffentlichkeit. Der Begriff gefällt den Internaten aber, weil er die wahren Gegebenheiten elegant verschleiert; wenn es in England um das etwas indiskrete Thema Klassenunterschiede geht, sind derartige Wortspiele sehr beliebt. Die Elite übt sich diesbezüglich in vornehmem understatement. Die Mittel- und Arbeiterschicht reklamiert allerdings in ihrem Bestreben, Adelige zu imitieren, aristokratische Begriffe mit Wonne für sich. Schnöde Wohntürme aus der Nachkriegszeit heißen deswegen courts, Höfe. Die viktorianischen mansions sind eben keine Villen am Stadtrand, sondern Apartmentblocks. Und die plebejische Herkunft des Fußballs offenbart sich auch in der gezielten Begriffsverwirrung, die er betreibt: Die zweite Liga wird hier großspurig als »Championship« angepriesen, die dritte ist die »First« und die vierte die »Second Division«.
Bei der Entstehung des Spiels lief es jedoch ausnahmsweise andersherum: Die oberen Zehntausend machten es Mitte des 19. Jahrhunderts plötzlich dem Pöbel nach und entdeckten das runde Leder für sich. Fußball war auf der Insel bis dahin kein Sport, sondern eher ein guter Vorwand für Besäufnisse, Massenprügeleien, gezielte Sachbeschädigung und die blutige Begleichung alter Fehden gewesen. Mehrere Könige hatten vergeblich versucht, die zwischen Dörfern und Städten in Wäldern und auf Wiesen ausgetragenen Kämpfe mit Ball zu unterbinden.
Viele public schools hatten zu dieser Zeit große Schwierigkeiten mit der Disziplin. Es gab wenig Geld, die Jungs rebellierten ständig und schlugen sich gegenseitig die Köpfe ein. Harrow, eines der angesehensten Internate, hatte 1844 daher nur noch 69 Schüler. Eine Reihe von jungen, strenggläubigen Direktoren erkannte das Problem und verschrieb ihren Schützlingen körperliche Ertüchtigung in allen Spielarten. Die Kleriker verstanden sich als muscular Christians – Muskelchristen. Sie sagten der traditionellen Anti-Körperlichkeit der Kirche ab und bestanden darauf, dass die geistige und geistliche Erziehung eng mit Leibesertüchtigung einherging. Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ließ Dr. Thomas Arnold, Schuldirektor in Rugby, seine Schüler eine Art von Fußball spielen. Der Legende nach fing William Webb Ellis, ein Junge aus Manchester, 1823 während einer Partie den Ball und lief entgegen aller Konventionen mit ihm unter dem Arm über die gegnerische Ziellinie. So entstand rugby football, von dem noch die Rede sein wird.
Arnold war einer der einflussreichsten Erzieher des viktorianischen Zeitalters. Für die Entwicklung und nachhaltige Prägung des Spiels waren jedoch die Gebrüder Thring die Schlüsselpersonen. Rev. Edward Thring, der ältere, machte das relativ obskure Uppingham-Internat nach seinem Amtsantritt 1853 zu einem der populärsten Institute der Insel: Es wurde unter seiner revolutionären Leitung zu der führenden Sportschule. Uppingham bekam als erste public school eine eigene Sporthalle und kaufte Land für Sportplätze. Fußball und Cricket wurden zu organisierten Pflichtfächern. Thring selber spielte enthusiastisch mit. Der Muskelchrist war überzeugt, dass Sport »aus Schwächlingen Männer« machen würde – und die pubertierenden Jungs darüber hinaus von »asozialen oder gar ekelhaften, persönlichen Aktivitäten« fernhalten könnte, wie Hunter Davies in »Boots, Balls and Haircuts« schreibt. Unter ekelhaften, persönlichen Aktivitäten verstanden die Viktorianer vor allem eines: Masturbation.
Thring schwor, diese »abscheuliche Sünde« zu bekämpfen, war er sich doch sicher, dass sie schnurstracks in ein »frühes und unehrenhaftes Grab« führte. Um die Reinheit der Anstalt zu gewähren, ermutigte Thring die Jungs, sich gegenseitig zu bespitzeln. »Self-abuse« (Selbstmissbrauch) zog einen automatischen Verweis von der Schule nach sich.
In dem brillanten Buch »Those Feet«, einer Reise zu den kulturellen Eigenheiten des englischen Fußballs, zeigt David Winner, dass Thrings verquere Ängste damals von der Gesellschaft geteilt wurden. »Das viktorianische England wurde von vielen sexuellen Schrecken heimgesucht. Prostitution, Syphilis und Homosexualität wurden als große moralische und soziale Übel angesehen. Aber von Masturbation nahm man an, dass sie der eigentliche Grund (aller Übel) war.« Sport wurde zum wichtigsten Vehikel zur Vermeidung autosexueller Handlungen und zu einer Gesellschaftsdoktrin, die junge Engländer zu Männlichkeit, Konformität und zum Militarismus anhielt. Die neue Ära des Imperialismus konnte solche gestandenen Burschen bestens gebrauchen. »Die Panik, was Masturbation anbelangte, war so verbreitet, dass alleine zu sein, Abgeschiedenheit und Individualität problematisiert wurden«, schreibt die Historikerin Katy Mullin. »Mannschaftssportarten, besonders Fußball, wurden als Gegenmittel verschrieben. Alles, um den Solipsismus zu verhindern«.
J.C. Thring, zur selben Zeit Student in Cambridge, machten ganz andere Probleme zu schaffen. Er hatte im Shrewsbury-Internat Fußball gespielt, konnte nun aber selten Matches organisieren, weil die Jungen aus ihren verschiedenen public schools gänzlich eigene Regeln gewöhnt waren. Der jüngere Thring-Bruder verfasste deswegen 1862 »The Simplest Game«, ein Flugblatt mit zehn einfachen Grundsätzen. Diese wurden rund um Parker’s Piece, den Sportplatz von Cambridge, aufgehängt. Im Norden Englands, wo 1857 mit Sheffield FC der erste Fußballverein überhaupt gegründet worden war, nahm man davon zunächst wenig Kenntnis. Das Bedürfnis, Fußball ein für alle Mal zu kodifizieren, wuchs jedoch beständig und führte zum schon erwähnten Treffen in der Freemasons Tavern im Londoner Stadtteil Covent Garden. Eton, Harrow, Winchester, Rugby und Westminster boykottierten die Versammlung. Man verbat sich jegliche Einmischung.
Die Gründerväter ließen sich von den Eigenbrötlern nicht aus der Ruhe bringen. Hitzig wurden die Diskussionen erst, als es um die kontroverse Frage des hacking ging, des gezielten Tritts gegen das Schienbein. Die Fronten waren schnell geklärt. Football ohne hacking war für Mr F.W. Campbell, den Repräsentanten des Blackheath Fußballklubs, »eine Sache für weiche Männer, die ihre Pfeife, ihren Grog und Schnaps lieber mögen als das mannhafte Spiel«. Diesen Vorwurf konnte J.C. Thring nicht auf sich sitzen lassen. »Fußball ist von Natur aus rau und hart und kann gar nicht verweiblicht werden«, sagte er. Der gezielte Tritt sei jedoch weder fair noch männlich, sondern »durch und durch barbarisch und unenglisch«. Im Gegenteil, insistierte Campbell, der passionierte Eisenfuß: »Wenn Sie hacking abschaffen, nehmen Sie all die Courage und den Mut aus dem Spiel. Dann werde ich gezwungen sein, eine Ladung Franzosen einzuschiffen, die Sie nach nur einer Woche Training besiegen werden«. Die Beleidigung saß, konnte den Streit jedoch nicht mehr für Campbell entscheiden. Er verlor die Abstimmung. Als die neue FA auch noch das Laufen mit dem Ball unter dem Arm untersagte, trat Blackheath unter Protest aus dem Verband aus. Von nun an gab es zwei Fußballlager: Association football – umgangssprachlich: soccer – und Rugby football. Sehr zum Bedauern von Mr. Campbell wurde hacking allerdings auch in den 1871 verabschiedeten Rugby-Regeln verboten.
Die hacking-Affäre ist mehr als eine amüsante Anekdote, stellt sie doch die zentrale, alles überlagernde Frage des englischen Fußballs: Bist du hart genug? Oder doch nur ein Schnaps trinkender, Pfeife rauchender Franzose? Jedes Match wird im langen Schatten dieser Grundsatzdebatte ausgetragen. Jeder Spieler, der den Rasen betritt, muss sich gegen die uralte Anklage verteidigen, zu weich zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass der Fußball seit seiner Geburt in dieser Hinsicht in der Defensive ist, die Erzrivalen vom Rugby sind ja ganz offensichtlich die härteren, männlicheren Sportler. Dementsprechend wird die Vorgabe übererfüllt. So sehr sich das Spiel auf der Insel seit dem Massenimport von ausländischen Kickern und Trainern in den vergangenen zehn Jahren auch verändert haben mag, was das Härte-Gen angeht, hat sich die DNS des englischen Fußballs als äußerst resistent erwiesen. Die ruppige Gangart ist nach wie vor ihr definierendes Merkmal.
Für die meisten Ausländer sind die ersten Wochen in der Premier League ein Kulturschock. Der Franzose Robert Pires (Arsenal FC) brauchte nach seinem Wechsel von Marseille im Jahr 2000 sechs Monate, um sich an die »rugbyartigen tackles« (Grätschen) zu gewöhnen. Fünf Jahre später sieht man ihn immer noch ab und zu den Kopf schüttelnd über den Platz traben, wenn er gerade wieder einem gemeingefährlichen Angriff im Mittelkreis entkommen ist – natürlich hat der Schiedsrichter weiterspielen lassen. Die Regeln werden in England anders interpretiert, selbst die böswilligste Attacke ist entschuldbar, wenn sie nicht allzu weit vom Ball entfernt verübt wird. Dem Verteidiger werden dann nämlich großzügig beste Absichten unterstellt. »Er wollte ja den Ball spielen«, sagen Schiedsrichter und Kommentatoren und nicken zustimmend mit dem Kopf.
14. August 2005, Highbury. Eine typische Szene. Newcastle Uniteds Jermaine Jenas, ein nicht gerade als Rohling berüchtigter Spieler, grätscht in Nähe der Mittellinie Gilberto Silva vom FC Arsenal von hinten um. Jenas’ linkes Bein berührt dabei leicht den Ball, doch er zieht auch sein rechtes Bein mit voller Wucht nach; der Brasilianer wird fast zweigeteilt. Schiedsrichter Steve Bennett steht nur wenige Meter entfernt und zückt die rote Karte wegen excesssive force, übertriebener Härte. Andy Gray, Co-Kommentator von Sky und der angesehenste Experte des Landes, versteht die Welt nicht mehr: »Er hat doch klar den Ball gespielt! Eine fürchterliche Entscheidung, eine Schande«. Uniteds Trainer Graeme Souness hat auch nur ein »starkes tackle« gesehen, und tags darauf weht ein Sturm der Entrüstung durch den Blätterwald. Selbst der liberale Guardian meint, eine Verwarnung hätte es hier auch getan. Bennett überfallen ob des Medienechos Zweifel an seiner Entscheidung. Obwohl die Zeitlupe seine ursprüngliche Einschätzung bestätigt, bittet er den englischen Fußballverband am Tag nach dem Match, die rote Karte in eine gelbe umzuwandeln. »Steve Bennett hat einen Brief an Graeme Souness, Jermaine Jenas und den Rest der Mannschaft geschrieben, um sich für seine irrtümliche Entscheidung im Spiel gegen Arsenal zu entschuldigen«, verkündet ein Newcastle-Sprecher. Der Verband kommt der Bitte nach. Fußball ist weiter ein Männersport, alle sind zufrieden. Nur Arsène Wenger nicht. Aber der Arsenal-Trainer ist ja Franzose.
Seine Gunners sind das Paradebeispiel dafür, wie sehr sich der Sport auf der Insel gewandelt hat – und den Ansprüchen an sich selbst doch treu geblieben ist. Das Spiel von Wengers multinationaler Technikertruppe hat an guten Tagen kaum mehr etwas mit englischem Fußball zu tun, vom unglaublichen Tempo einmal abgesehen. Wie ein gefeierter Star-Künstler, der auf dem Höhepunkt seines Schaffens alle Selbstzweifel überwunden hat und sich der Größe seiner Kunst ganz und gar bewusst ist, kann sich Arsenal darauf verlassen, dass die schönen Eingebungen irgendwann kommen. Der Rasen im Highbury (und demnächst im Emirates Stadium) wird dann zur Leinwand, auf der geometrische Linien in komplizierten Mustern zu avantgardistischen Meisterwerken werden. Die rätselhaften Laufwege und fließenden Direktpässe überfordern die Gegner, dabei kommt das Spiel der Londoner völlig ohne Flanken und weite Bälle aus. In der Meistersaison 2003/04 blieben sie mit diesem Zauberfußball ungeschlagen, doch obwohl sich die Zeitungen in ihren Lobeshymnen auf »die Unbesiegbaren« überschlugen, war den Engländern der Erfolg dieser Elf irgendwie unheimlich. Wer mit so viel Hirn spielt, so lautete der unausgesprochene Verdacht, dem fehlt wahrscheinlich nur der Mut zum ehrlichen Kampf.
Dieses krude Vorurteil schien sich in den vergangenen Spielzeiten immer dann zu bestätigen, wenn es für Arsenal gegen die Konkurrenten von Manchester United ging. Alex Fergusons Mannschaft ließ sich wohlweislich nie auf einen Ideenwettbewerb ein, sondern bekämpfte die Londoner mit urenglischer, nahe an der Grenze zur Brutalität angesiedelter Härte. Im Oktober 2004 ging ausgerechnet in Old Trafford Arsenals Serie von 49 Spielen ohne Niederlage zu Ende, nachdem die Feingeister aus Nordlondon von Uniteds Straßenkämpfern regelrecht vom Platz getreten worden waren. Der Elsässer beschwerte sich über mangelnden Schutz durch den Schiedsrichter und wurde dafür als whinger hingestellt, als Jammerlappen.
Mr. Campbell, der Advokat des hacking, hätte sicher Gefallen daran gefunden, dass der ehemalige United-Spieler Phil Neville, nun in den Diensten des FC Everton, im September 2005 Robert Pires einen gezielten Pferdekuss verpassen konnte, ohne dafür vom Schiedsrichter belangt zu werden. Der Ball, genau, war nicht weit weg gewesen. »Der Angriff galt mir, und er hat mich getroffen«, sagte der Franzose, der nach der Aktion ausgewechselt werden musste. Neville antwortete typisch englisch: »Pires ist ein absolut fantastischer Spieler, der viele unglaubliche Spiele abgeliefert hat, seit er in dieses Land gekommen ist. Aber im englischen Fußball muss man grätschen. Manchmal, wenn du gegen diese Art von Spielern spielst, scheint es, als ob sie eine Klausel in ihrem Vertrag haben, dass sie nicht attackiert werden dürfen. Nun, die Stärke von Everton und die Stärke von mir ist das tackling. Diese Art zu spielen mag (ihnen zu) britisch sein«.
Der Ehrenplatz, den anderswo geniale Ballzauberer oder Super-Techniker einnehmen, ist folglich in der englischen Fußball-Mythologie für die hard men reserviert: defensive Mittelfeldspieler oder Verteidiger, die ihre Gegenspieler in Grund und Boden grätschen. Laut einer 2004 durchgeführten Umfrage ist Roy Keane, Manchester Uniteds irischer Heißsporn, der härteste der harten Jungs. Er trat im April 2001 dem Norweger Alf Inge Haaland (Manchester City) gegen die Kniescheibe – mit voller Absicht. »Ich wartete bis fünf Minuten vor Schluss«, schreibt er in seiner Biographie. »Ich gab’s ihm fucking heftig. Ich glaube, der Ball war in der Nähe. Nimm das, du Fotze!« Charmant, der Mann.
Auf Platz zwei: Ron »Chopper« (Holzfäller) Harris, in den sechziger und siebziger Jahren Kapitän und übler Schurke im Dress des FC Chelsea. Im Wiederholungsspiel des Pokalfinales 1970 gegen Leeds United rauschte Harris nach wenigen Minuten mit gestrecktem Bein in das Becken von Eddie Gray. Vorsätzliche Körperverletzung? Play on, keine gelbe Karte. Harris’ Karatetritt hat Geschichte geschrieben, es war das berühmteste Foul im schmutzigsten Spiel aller Zeiten. Leeds hatte damals mit Johnny Giles, Billy Bremner und Norman »Bite Yer legs« (Wadenbeißer) Hunter ein großes Kontingent von Kloppern in seinen Reihen. Überall auf dem Platz flogen die Fäuste. Am Ende gewann Chelsea trotzdem mit 2:1 und zum ersten Mal den Pokal. Ende der 90er sah sich Premier-League-Schiedsrichter David Elleray noch einmal das Videoband dieses Finales an. Er kam zu der Erkenntnis, dass es – nach der heutigen Regelauslegung – zwanzig gelbe Karten und sechs Platzverweise hätte geben müssen.
Dritter in der Umfrage wurde Vinnie Jones, der seine Rolle als Bösewicht so sorgfältig kultivierte, dass er sie nach seinem Karriereende in Hollywoodfilmen wie »Gone in Sixty Seconds« und »Swordfish« weiterspielen durfte. Der Waliser hatte als Kapitän des FC Wimbledon in den späten Achtzigern Angst und Schrecken verbreitet. Die Bilanz: dreizehn rote Karten. Zu seinen Opfern zählten unter anderem Tottenhams Paul Gascoigne (Griff in den Unterleib, die berüchtigte »Hochzeitsgrätsche«) und Kenny Dalglish (FC Liverpool). Jones hatte dem Schotten vor dem FA-Pokalfinale 1988 gedroht, ihm das Ohr abzureißen und »in das Loch« zu spucken. Die Londoner Kick-and-Rush-Combo siegte völlig überraschend mit 1:0.
Vier Jahre später brachte Jones das Video »Soccer’s Hard Men« heraus, das die gröbsten Regelverstöße von Bremner und Co. glorifizierte und praktische Tipps zur Nachahmung gab. »Am besten, du trittst ihm auf die Achillesferse«, informierte Jones den Zuschauer unter anderem, »wenn du dich geschickt anstellst, sieht es der Schiri nicht«. Der Verband war empört. Jones wurde zu 20000 Pfund Strafe verdonnert, weil er »den Fußball in Misskredit gebracht« hatte.
Englands Bewunderung für die ganz schlimmen Finger ist meist ironisch gebrochen. Hard men werden gerne auch als hard nuts (wörtlich »harte Nüsse«, im übertragenen Sinne: Verrückte) tituliert. Sie sind Anti-Helden und gehören zu dem Schlag Jungs, der auf dem Pausenhof jüngere Schüler drangsaliert. Es sind Typen, vor denen Mütter ihre Töchter warnen. Sie verstoßen eine Spur zu offensichtlich gegen den Fairplay-Kodex, um wirkliche Vorbilder zu sein. Man findet sie faszinierend, ist aber doch ganz froh, selber vergleichsweise normal zu sein.
Austeilen kann im Prinzip jeder. Aber letztlich ist es eine andere Art von Gewalt, die der englische Fußball von seinen Protagonisten verlangt. Auf dem Platz gilt: Nehmen ist seliger als Geben. Take it like a man, heißt die Losung. Das hört sich wie ein Widerspruch an, ist aber für die Engländer keiner: Ein echter Mann zu sein heißt vor allem, einstecken zu können.
Leidensfähigkeit war und ist das traditionell entscheidende Kriterium der englischen Oberschicht. In den public schools galt die Devise, dass erst eine anständige Tracht Prügel aus jungen Männern echte Gentlemen macht. Am härtesten wurde in Eton zugelangt. Reverend Dr. John Keate züchtigte im Durchschnitt etwa zehn Jungs am Tag, nur sonntags ruhte er sich aus. Am 30. Juni 1832 übertraf er sich selbst: 80 Jungs bekamen den Hintern versohlt. Als der Direktor sein Werk vollbracht hatte, applaudierten ihm die Kinder für seine Ausdauer.
Der Begriff der »steifen Oberlippe« (stiff upper lip) steht für das ideale Verhaltensmuster, nach dem ein Engländer alles aushalten muss, ohne seine Fassung zu verlieren. Diese stoische Lebenstechnik der Untertanen Ihrer Majestät erklärt wahrscheinlich den katastrophalen Zustand von Gesundheitswesen und U-Bahn-Netz. Lack of temperament dagegen ist unverzeihlich. Damit ist nicht »fehlendes Temperament« gemeint, wie es die wörtliche Übersetzung nahe legt, sondern mangelnde Kontrolle über die eigenen Emotionen. Wer sein Leiden nicht ruhig erträgt und sich zu einer unbedachten Reaktion provozieren lässt, versagt als Engländer und als Mann. In keinem anderen Land wäre David Beckham nach seinem im Grunde harmlosen Revanche-Foul gegen den Argentinier Diego Simeone bei der WM 1998, das eine rote Karte nach sich zog, als widerlicher Vaterlandsverräter hingestellt worden. Vor diesem Hintergrund wird genauso die große Bewunderung verständlich, die Gary Lineker widerfährt, weil er in seiner Karriere nie verwarnt wurde. Nicht als braven Buben schätzt man ihn, sondern als jemanden, der immer einstecken konnte und nie zurückschlug.
Selbstkontrolle ist auch in Glücksmomenten unabdingbar. Bis in die siebziger Jahre hinein hielt sich in der First Division der Brauch, Torschützen mit einem kräftigen Händedruck zu gratulieren. Als die Spieler dem schlechten Beispiel der Ausländer folgten und sich umarmten, ja sogar küssten, war die FA not very amused. »Es bleibt zu hoffen, dass dieses theatralische Getue nur eine vorübergehende Phase ist«, hieß es in einer Verlautbarung aus den späten Siebzigern.
In einer Kultur, die so viel Wert auf Leidensfähigkeit legt, ist die Grenze zwischen Schmerz und Vergnügen nicht immer deutlich markiert. In den wenigen roten Telefonzellen, die man in London noch findet, flattern einem viele bunte Zettel mit Telefonnummern von Frauen entgegen, die ihren Kunden spanking anbieten, Schläge auf den Hintern. Hunderte von erwachsenen Männern treffen sich jedes Wochenende in Schuluniform auf Fetischpartys, um sich von Frauen versohlen zu lassen. Warum? »Wenn mein Vater mich früher schlug, bestand er darauf, dass ich keine Miene verzog und nicht weinte«, erklärt ein Banker und spanking-Fan, »wenn mir das gelang, gratulierte er mir. Die Psychologen sagen, dass ich deswegen Schmerzen mit Liebe und Respekt assoziierte«.
Als der Manchester United-Fan Robbie Williams 2001 »Swing When You’re Winning«, ein Album mit Broadway-Klassikern, veröffentlichte, wurde er in einem Spiegel-Interview gefragt, was er an seinen Vorbildern Frank Sinatra und Dean Martin am meisten bewunderte. »Die Art, wie sie einen Drink hielten«, wurde die Antwort des ehemaligen Take-That-Mitglieds wiedergegeben. Dabei handelte es sich um einen klassischen Übersetzungsfehler. »The way they held a drink« bedeutet »ihre Fähigkeit, sich betrinken zu können«. Den Alkohol im eigenen Körper zu halten gehört zur Kunstgattung des Einsteckenkönnens. Die sprichwörtlichen Besäufnisse auf der Insel sind sozusagen flüssiges spanking – eine innere Marterung. Eine Form des vergnüglichen Leidens und eine Initiation: It separates the men from the boys, es trennt also die Männer von den Jungs.
Ein englischer Fußballer musste trinken können, daran führte kein Weg vorbei. In den sechziger und siebziger Jahren wurden ganze Karrieren versoffen, darunter die von George Best. Als Alex Ferguson 1986 Trainer von Manchester United wurde, fand er dort eine fürstlich entlohnte Kneipenmannschaft, die Jungs um den englischen Spielführer Bobby Robson becherten nach jedem Training. United war ein extremer Fall, aber die Praxis durchaus üblich. »Die ausländischen Spieler gehen nicht mit den anderen Jungs saufen«, beklagte sich West-Ham-Trainer Harry Redknapp noch Mitte der neunziger Jahre.
In der für die Entwicklung des Fußballs so wichtigen working class gelten die gleichen Regeln der toughness, allerdings aus ursprünglich anderen Gründen. Widerstandsfähigkeit und Härte im Nehmen waren für die unter menschenunwürdigen Umständen arbeitenden und wohnenden Männer des 19. Jahrhunderts keine abstrakten Werte, sondern überlebensnotwendige Eigenschaften; nur mit ihnen konnte das Elend bewältigt werden. Diese speziell akzentuierte Version von Maskulinität vermischte sich mit protestantischer Ethik (Arbeit, Entbehrung und Verzicht) zu einer machtvollen Ideologie, die den vermögenden Ständen in die Hände spielte.
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