Die schwedische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel «Amy, Aron och anden» bei Bonnier Carlsen Bokförlag, Stockholm.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2018
Copyright für die deutsche Übersetzung © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Amy, Aron och anden» Copyright © 2017 by Bonnier Carlsen Bokförlag, Stockholm
Text: Ulf Stark, Illustration: Per Gustavsson
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Lektorat Kristina Knöchel
Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt, nach der Originalausgabe von Bonnier Carlsen Bokförlag, Stockholm
Umschlagillustration Copyright © 2017 by Per Gustavsson
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
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ISBN Printausgabe 978-3-499-21805-7 (1. Auflage 2018)
ISBN E-Book 978-3-644-40398-7
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-40398-7
Amy und ich standen am Bahndamm, wie immer um diese Zeit.
Der Himmel war so blau wie Papas Sonntagsschal. Den hatte ich Papa geschenkt, als er letzten Winter erkältet war. Übrigens war der Himmel auch so blau wie Amys Schuhe.
«Hörst du das?», sagte ich. «Jetzt kommt er!»
Wir hörten es alle beide: ein erwartungsvolles Singen in den Schienen.
«Welcher Zug?», fragte Amy. Das fragte sie jedes Mal, und ich antwortete wie immer:
«Der Wünsche-Zug! Was wünschst du dir?»
«Friede auf Erden und eine schwarze Katze. Und du, Aron?»
«Dass Papa die Lok fährt.»
Das war mein Wunsch. Aber es war nicht Papa, der die Lok fuhr. Das wusste ich. Dann hätte er nämlich schon dreimal gehupt, bevor die Lok hinter den Birken in der Kurve auftauchte. Dann hätte er die Geschwindigkeit gedrosselt, obwohl das gegen die Vorschriften war, und ein Geschenk oder eine Münze hinausgeworfen.
Dieser Zug hingegen sauste einfach an uns vorbei. Ich stand nur da, mit meiner Kappe in der Hand. Die Kappe hatte niemanden, dem sie zuwinken konnte.
«Dann hoffen wir eben trotzdem auf die Katze und den Frieden», sagte ich.
«Ja», sagte Amy. «Hoffen kann man ja immer.»
Ich wusste, was «Friede auf Erden» eigentlich bedeutete. Es bedeutete, dass Sture und seine Kumpels Amy in Ruhe lassen sollten. Die verspotteten Amy nämlich, weil sie hinkte. Amy hinkte nur ein kleines bisschen. Doch das genügte.
«Hey, da kommt sie angewackelt, die Ente!», hatte Sture ihr einmal im Sportunterricht entgegengeschrien.
Und dann war er wie eine Ente durch die Turnhalle gewackelt.
Da hatte Amy einen ihrer Turnschuhe ausgezogen und ihn Sture ins Gesicht gepfeffert, dass er Nasenbluten bekam.
Seither war er superfies zu ihr.
Den ganzenSommer hatte Amy sich von Sture und seiner Bande erholt. Aber jetzt fing die Schule bald wieder an. Und das machte ihr Sorgen.
«Komm, wir spielen irgendwas», sagte ich. «Aber was?»
«Wir spielen, dass wir ein Weißnichtwas suchen», schlug Amy vor.
«Okay!»
Das war eines unserer Lieblingsspiele. Niemand konnte es so gut spielen wie Amy und ich. Und der allerbeste Platz für dieses Spiel war der Schrottplatz.
Auf dem Schrottplatz gab es Millionen von weggeworfenen Sachen: verbeulte Autoteile, Küchenherde, rostige Kühlschränke, Uhren, die nicht mehr gingen, Wasserhähne, Staubsauger und komisches Zeug, von dem man nicht wusste, was es war.
Einen alten Wohnwagen ohne Räder gab es dort auch. In den verzogen wir uns bei schlechtem Wetter oder wenn wir ungestört sein wollten. Ich hatte ein Schild mit einem Totenkopf gemalt. Wenn das an der Tür hing, wusste jeder, dass Eintritt verboten war.
Nicht einmal Amys Vater durfte dann hereinkommen. Und das, obwohl es ja sein Schrottplatz war.
Jetzt gerade saß Amys Vater vor seinem Büro-Schuppen in einem Liegestuhl, der fast gar nicht kaputt war, und hörte Jazzmusik. Er hatte sich ein Taschentuch um den Kopf gebunden und sah aus, als hätte ihn jemand dort abgekippt.
«Wohin des Wegs?», erkundigte er sich, als wir vorbeikamen.
«Wir suchen etwas, von dem wir nicht wissen, dass wir es suchen», erklärte Amy.
«Aha. Aber verzeiht eine einfältige Frage: Woher wisst ihr dann, wann ihr es gefunden habt?»
«Das haben wir im Gefühl», sagte ich.
«Alles klar. Genau so hab ich ja meine Frau gefunden!» Er lächelte und kratzte sich am unrasierten Kinn. «Na, dann sucht mal schön. Und passt auf, dass ihr nicht stolpert und euch an irgendwas Scharfem schneidet. Wenn ihr zurückkommt, können wir Würstchen grillen, gestern hab ich nämlich einen funktionierenden Kugelgrill aufgestöbert.»
Dann lehnte er sich im Liegestuhl zurück und schloss die Augen. Er behauptete immer, mit geschlossenen Augen könne man besonders gut Musik hören. Aber ich wusste, wenn ich mich nach einer Weile umdrehte, würde er mit diesem Armes-kleines-Ding-Blick hinter Amy herschauen, den sie hasste.
Wir zogen weiter durch die Welt der weggeworfenen Sachen, Amy hinkte voraus. Ich ging lieber hinter ihr her, weil ich sehen wollte, wie ihre dunklen Haare flatterten. Das gefiel mir.
Es roch nach Öl, Schmierfett und Gummi. Dazu der herbe Duft des Rainfarns, der zwischen den Metallteilen wuchs.
«Was hältst du von einer kleinen Spritztour?», fragte Amy. «Ich fahre.»