Selbstachtung

Inhaltsübersicht

Fußnoten

  1. siehe «Race», Writing and Difference, Henry Louis Gates (Hg.), Chicago, 1986

  2. Ein Beispiel von vielen: Ivan Van Sertima: They Came Before Columbus – The African Presence in Ancient America, New York, 1976, XVIXVII

  3. Tzvetan Todorov, «‹Race›, Writing, and Culture», in Gates, «Race», Writing, and Difference, S. 370–80

  4. Terrence Rafferty: «Articles of Faith», New Yorker, 16. Mai 1988, S. 110–18

  5. Martin Bernal: Schwarze Athene – Die afrikanischen Wurzeln der griechischen Antike, München, 1992, S. 33

  6. Ibid., S. 459

  7. Ibid., S. 496

  8. Michael Paul Rogin: Subversive Genealogy: The Politics and Art of Herman Melville, Berkeley, 1985, S. 15

  9. Anmerkung der Autorin: Das ältere Amerika unterscheidet sich nicht immer vom kindlichen. Wir mögen dem Edgar Allen Poe von 1843 verzeihen, aber Kenneth Lynn hätte 1986 vielleicht der Gedanke kommen können, dass eine junge Indianerin seine Hemingway-Biographie lesen und sich darin von diesem angesehenen Wissenschaftler als «Squaw» bezeichnet finden könnte oder dass es so manchen jungen Mann vielleicht kalt überläuft, wenn er auf die Worte «buck» (Bock, junger Mann) und «half-breed» (Halbblut) stößt, die der Autor in seinen gelehrten Erörterungen so beiläufig verwendet.

  10. Michael Paul Rogin: Subversive Genealogy, S. 107 und S. 142

  11. Ibid., S. 112

Autoritäre Regime, Diktatoren, Despoten sind oft, wenn auch nicht immer, dumm. Aber nie sind sie so dumm, wachsamen Autoren aus dem gegnerischen Lager den Freiraum zu gewähren, den diese für die Veröffentlichung ihrer Meinung und das Ausleben ihrer kreativen Impulse benötigen. Sie wissen um das Risiko. Sie sind nicht so dumm, die Kontrolle über die Medien, sei sie offen oder verhüllt, aufzugeben. Ihre Methoden umfassen die Überwachung, die Zensur, die Verhaftung und sogar die Liquidierung der Autoren, die die Öffentlichkeit informieren und wachrütteln – Autoren, die Unruhe stiften, die Fragen stellen, die genauer hinschauen. Schreibende – ob Journalisten, Essayisten, Blogger, Dichter oder Dramatiker – können die gesellschaftliche Schweigespirale durchbrechen, die die Menschen in das Wachkoma versetzt, das die Despoten «inneren Frieden» nennen, und sie stillen den Blutstrom des Krieges, an dem sich die Falken und Gewinnler erregen.

Das ist es, was die Despoten fürchten.

Was wir zu fürchten haben, ist von anderer Dimension.

Wie öde, wie unerträglich, wie unlebbar wird das Leben, wenn ihm die Dimension der Kunst entzogen wird. So dringlich es ist, das Leben und das Werk von Autoren zu schützen, die in Gefahr sind, so wenig dürfen wir vergessen, dass ihr Verschwinden, das Ersticken ihrer Stimme, die gnadenlose

Wir alle kennen Länder, deren entscheidendes Merkmal darin besteht, dass ihre Autoren ihnen den Rücken kehren. Es sind Regime, deren Angst vor unzensiertem Schreiben berechtigt ist, weil die Wahrheit Ärger bedeutet. Ärger für den Kriegstreiber, den Folterer, den Wirtschaftskriminellen, den rückgratlosen Journalisten, die korrupte Justiz und auch die komatöse Öffentlichkeit. Autoren, die nicht verfolgt, nicht eingesperrt, nicht bedroht werden, bedeuten Ärger für den ignoranten Machthaber, den verschlagenen Rassisten und die Raubtiere, die sich an den Ressourcen unserer Welt vergreifen.

Die Besorgnis, die Unruhe, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller auslösen, ist heilsam, weil sie offen und empfindlich macht; weil sie, wenn nicht von den Autoritäten eingehegt, als bedrohlich erlebt wird. Deshalb ist die Unterdrückung von Schriftstellern von jeher das erste Warnzeichen für die bald darauf folgende Erosion von Freiheiten und Bürgerrechten. Die Geschichte der verfolgten Autoren reicht so weit zurück wie die Literaturgeschichte selbst. Und die Versuche, uns zu zensieren, uns auszuhungern, uns in unserer Handlungsfreiheit einzuschränken und zu vernichten, sind untrügliche Zeichen, dass etwas Gravierendes geschehen ist. Gesellschaftliche und politische Kräfte können jegliche Kunst hinwegfegen, die nicht «sicher», nicht staatlich abgesegnet ist.

Ich habe mir sagen lassen, es gebe zwei menschliche Reaktionen auf die Erfahrung von Chaos: Benennung und Gewalt. Ist Chaos schlicht nur das Unbekannte, ergibt sich die

Gewisse Wunden, die Bevölkerungsgruppen zugefügt werden, sind so tief, so grausam, dass nicht Geld und nicht Vergeltung und nicht einmal Gerechtigkeit und Sühne oder menschliche Güte, sondern nur die Werke von Schriftstellern das Trauma übersetzen und dem Leiden einen Sinn abgewinnen, das moralische Empfinden schärfen können.

Leben und Werk der Autoren sind kein Geschenk an die Menschheit; sie sind eine Notwendigkeit.

Die Heimat des Fremden

Manche haben das Wort Gottes, andere Lieder des Trostes für die Hinterbliebenen. Ich möchte, wenn ich den Mut dazu aufbringe, direkt zu den Toten sprechen – den Septembertoten. Zu den Kindern von Ahnen, die aus allen Kontinenten des Planeten stammen, aus Asien, Europa, Afrika, den beiden Amerikas; Kindern von Vorfahren, die Kilts, Kimonos oder Saris trugen, Turbane, Strohhüte oder Kippas, Ziegenleder oder Holzschuhe, Federn oder Kopftücher auf ihren Häuptern. Aber ich möchte kein Wort sagen, ehe ich nicht alles vergessen habe, was ich über Nationen, Kriege, Regierende und Regierte und die Unregierbaren weiß oder zu wissen glaube; und was ich argwöhne über Panzer und Gedärm. Erst möchte ich meine Zunge säubern von Sätzen, die gebildet wurden, um das Böse zu verstehen – ob mutwillig oder absichtsvoll, ob explosiv oder von stillem Grauen, ob aus Übersättigung oder Hunger geboren, aus Rache oder dem schlichten Drang, sich zu erheben, ehe man fällt. Ich möchte meine Sprache reinigen von Übertreibungen, von ihrem Eifer, die Stadien der Verworfenheit zu analysieren, sie abzustufen, einen höheren oder niedrigeren Rang unter ihresgleichen zu bestimmen.

Zu den Zerschmetterten und Toten zu sprechen, ist zu schwierig für einen Mund voller Blut. Ein zu heiliger Akt für unreine Gedanken. Denn die Toten sind frei, sind absolut. Sind nicht verführbar durch Feuer.

Und ich habe auch nichts zu geben – außer dieser Geste, diesem Faden, der gespannt ist zwischen eurem Menschsein und meinem: Ich will euch in meinen Armen halten, und so wie eure Seele, gesprengt aus ihrem Fleischgehäuse, will ich mit euch den Geist der Ewigkeit verstehen: sein Geschenk befreiender Erlösung, die das Dunkel des Totengeläuts durchdringt.

Vom Höhepunkt des Sklavenhandels im neunzehnten Jahrhundert abgesehen, ist die Wanderungsbewegung der Völker in der zweiten Hälfte des zwanzigsten und zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts größer als jemals zuvor. Es ist eine Wanderung von Arbeitern und Intellektuellen, von Flüchtlingen und Migranten, quer über Ozeane oder durch Kontinente, an Bord zerbrechlicher Boote oder in den Amtsstuben von Einwanderungsbehörden. Sie spricht in vielen Sprachen von Handel und politischer Intervention, von Verfolgung, Exil, Gewalt und Armut. Kein Zweifel, dass diese weltweite Umverteilung von Menschen (teils freiwillig, teils unfreiwillig) weit oben steht auf den Tagesordnungen der Regierungsämter und Vorstandsbüros, dass sie das Gespräch auf der Straße bestimmt, im eigenen Viertel und zu Hause. Politische Maßnahmen zur Eindämmung der Ströme beschränken sich keineswegs darauf, die Entwurzelten zu überwachen. Vieles an diesem Exodus kann als Wanderung der Kolonisierten in die Länder der Kolonialherren (die Sklaven verlassen die Plantage und ziehen in das Herrenhaus) und, häufiger noch, als Flucht von Kriegsopfern beschrieben werden, während die Versetzungen der Diplomaten und der Management-Eliten an immer neue Außenposten der Globalisierung und die mit der Errichtung neuer Militärbasen einhergehende Stationierung frischen Truppenmaterials für die Regierungen eine

Das Schauspiel der Massenmigration lenkt den Blick unweigerlich auf die Grenzen, jene porösen und verletzlichen Membranen, an denen das Konzept der Heimat als von Fremden bedroht erlebt wird. Ein großer Teil der Alarmstimmung, die dort herrscht, wird meines Erachtens von zwei Faktoren angefacht: 1.) dem Globalismus, sowohl als Bedrohung wie als Chance; und 2.) einer heiklen Beziehung zu unserem eigenen Fremdsein, unserem immer rascher erodierenden Gefühl von Zugehörigkeit.

Lassen Sie mich mit der Globalisierung beginnen. Nach unserem derzeitigen Verständnis ist Globalisierung etwas grundlegend anderes als eine neue Version weltwirtschaftlicher Hegemonie nach dem Muster Großbritanniens im neunzehnten Jahrhundert – auch wenn postkoloniale Unruhen noch heute von der Dominanz künden, die eine Nation, Großbritannien, damals über die meisten anderen ausübte. Der Begriff «Globalisierung» zielt auch auf etwas durchaus anderes als den alten Vereinigungstraum des proletarischen Internationalismus – auch wenn der Präsident des Gewerkschafts-Dachverbands AFL-CIO auf einer Tagung von Gewerkschaftsführern ausdrücklich den Begriff «Internationalismus» gebrauchte. Natürlich hat diese Globalisierung auch nichts mit der Sehnsucht der Nachkriegszeit nach einer vereinten Welt zu tun, jener Rhetorik, die die fünfziger Jahre umtrieb und die UNO hervorbrachte. Und sie entspricht auch nicht dem «Universalismus» der sechziger und siebziger Jahre – sei es als Forderung nach dem Weltfrieden oder als Beharren auf kultureller Vorherrschaft. «Weltreich» oder «Vereinigung der Nationen», «Internationalismus» oder

Mit ähnlicher Begeisterung begrüßt wie einst die Vorstellung vom amerikanischen Erwähltsein oder wie der Internationalismus, spielt die Globalisierung in unserem Denken eine geradezu majestätische Rolle. Denn bei all ihren Versprechungen von Freiheit und Gleichheit spendet sie ihre Segnungen mit herrschaftlicher Willkür. Sie kann viel geben und

Weitere Gefahren, die der Globalismus mit sich bringt, sind die Verzerrung unseres Begriffs von Öffentlichkeit und die Zerstörung des Privaten. Was als öffentlich zu gelten hat, übernehmen wir zum größten Teil, wenn auch nicht ausschließlich, von den Medien. Vieles von dem, was einst privat war, verlangen uns die Datensammler aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und neuerdings auch der Sicherheitsdienste ab. Die Verunsicherung, die die poröse Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten umgibt, hat eine ihrer

Ich glaube, dass es diese Unschärfe ist, die den zweiten Punkt bedingt: unser Unbehagen angesichts unserer Empfindung von Fremdheit, unser sich rasant zersetzendes Gefühl von Zugehörigkeit. Wem schulden wir die größte Loyalität? Unserer Familie, unserer Kultur, unserem Land, den

Ich möchte auf einen Roman zurückgreifen, der in den fünfziger Jahren von einem Autor aus Ghana verfasst wurde, um dieses Dilemma näher zu beschreiben – diese Unschärfe rund um Innen und Außen, die jede Form von Grenze, ob politisch, metaphorisch oder psychologisch, umgeben kann und unsere Suche nach Zugehörigkeit, unseren Umgang mit Begriffen wie Nation und Nationalismus, Rasse, Ideologie und dem sogenannten Kampf der Kulturen so sehr erschwert.

Afrikanische und afroamerikanische Schriftsteller sind nicht die einzigen, die sich dieser Themen annehmen, aber sie können auf eine besonders lange und unmittelbare Geschichte des Betroffenseins verweisen – nicht zu Hause in ihrem Heimatland, Exilanten am Ort ihrer Herkunft.

Ehe ich mich dem Roman als solchem widme, möchte ich etwas erzählen, das meiner Lektüre afrikanischer Literatur weit vorausging, aber bereits damals die Weichen stellte für meine Beschäftigung mit alldem, was unsere aktuellen Definitionen des Fremden so problematisch macht.

Mit Samt bezogene Tabletts wanderten von Hand zu Hand durch die Bankreihen der Kirche bei der sonntäglichen Kollekte. Eines davon, das letzte, war besonders klein und immer in Gefahr, ganz leer zu bleiben. Sein Rang und seine Größe waren typisch für die pflichtschuldigen, aber bescheidenen Erwartungen, die damals, in den dreißiger Jahren, in nahezu

Als ich später begann, Romane zu lesen, die in Afrika spielen, stellte ich fest, dass jede dieser Erzählungen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer wieder den Mythos zum Ausgangspunkt nahm und weiterspann, der jene samtbezogenen Tabletts auf ihren Reisen durch die Kirchenbänke umgeben hatte. Für Joyce Cary, Elspeth Huxley oder H. Rider Haggard war Afrika genau das, was die Missionskollekte stumm vorausgesetzt hatte: ein dunkler Kontinent, verzweifelt bedürftig des Lichts. Des Lichts der Christenheit, der Zivilisation, des Fortschritts. Des Lichts der milden Gaben, angeknipst mit ein wenig Gutherzigkeit. Es war eine Idee von Afrika, in der sich die Ahnung einer komplexen Nähe mit dem Akzeptieren einer nicht mehr aufhebbaren Entfremdung mischte. Diese schwer nachvollziehbare Fremdherrschaft über Grund und

Die Hauptfigur in Camara Layes Roman ist ein Europäer namens Clarence, der aus Gründen, die er selbst nicht recht benennen kann, nach Afrika gekommen ist. Dem Glücksspiel verfallen, häuft er bei seinen weißen Landsleuten hohe Schulden an und versteckt sich nun in einer schmuddeligen Herberge unter den Einheimischen. Aus dem Hotel der Kolonialherren bereits vertrieben und nun auch von seinem afrikanischen Gastwirt mit dem Rauswurf bedroht, sucht Clarence den Ausweg aus seiner Mittellosigkeit, indem er seine Dienste dem König anbieten will. Doch eine undurchdringliche Menge von Dorfbewohnern hindert ihn daran, dem König nahe zu kommen, und seine Absichten erregen Unwillen. Er trifft auf ein Pärchen von zu jeder Schandtat bereiten Halbwüchsigen und einen gerissenen Bettler, die ihm helfen wollen. Von ihnen geführt, macht er sich auf den Weg nach Süden, wo der

Die literarischen Topoi, deren er sich bei der Schilderung Afrikas bedient, entsprechen genau der Wahrnehmung von Fremdheit: 1.) Bedrohung; 2.) moralische Verderbtheit; 3.) Unbegreiflichkeit. Und es ist faszinierend zu beobachten, wie geschickt Camara Laye diese Blickwinkel handhabt.

Bedrohung. Sein Protagonist Clarence ist wie betäubt vor Angst. Er registriert zwar, dass «die Wälder der Herstellung von Beerenwein dienen», dass die Landschaft «kultiviert» wird, dass die dort lebenden Menschen ihm ein «herzliches Willkommen» entbieten, aber er empfindet nur Abschottung und «allgemeine Feindseligkeit». Während die Landschaft aufgeräumt und übersichtlich ist, befindet sich der bedrohliche Dschungel in seinem Kopf.

Verderbtheit. Clarence ist es auch, der der Lasterhaftigkeit verfällt, als er sich dem ganzen Horror dessen hingibt, was man sich im Westen unter «Leben wie ein Eingeborener» vorstellt – jene «unreine und räudige Schwäche», die der Fluch aller Männlichkeit ist. Die unverhüllte Freude und geradezu weibliche Willfährigkeit, mit der er in endloser Folge den Geschlechtsakt ausübt, spiegeln seine Vorliebe und seine bewusste Ignoranz wider. Als im Lauf der Zeit immer mehr Mischlingskinder das Dorf bevölkern, wundert sich Clarence, der einzige Weiße weit und breit, immer noch, wo sie wohl alle herkommen. Er weigert sich, das Offensichtliche zu glauben – dass er verkauft worden ist als Zuchthengst für den Harem.

Unbegreiflichkeit. Camara Layes Afrika ist nicht finster – es

Der Roman legt die verkrüppelten Diskurse des Fremdlings, der einem die Heimat raubt, der Delegitimierung der Indigenen, der Verkehrung des Anspruchs auf Zugehörigkeit offen und erschließt uns die Erfahrungswelt eines Weißen, der allein, ohne einen Broterwerb, ohne soziale Geltung, ohne eigene Mittel, ja sogar ohne einen Familiennamen nach Afrika auswandert. Aber er verfügt über einen Aktivposten, der in Ländern der Dritten Welt immer funktioniert (und nur dort funktionieren kann): Er ist weiß, was er auch betont, und deshalb ohne weitere Begründung fähig, als Ratgeber einem König zu dienen, den er niemals gesehen hat – in einem Land, das er nicht kennt, und unter Einheimischen, die er weder versteht noch verstehen will. Was als Streben nach gesellschaftlichem Rang, als Flucht vor der Verachtung durch seine weißen Landsleute beginnt, wird zu einem vernichtenden Prozess der Umerziehung. Im Denken dieser Afrikaner kommt es nicht auf das Vorurteil, sondern auf die Nuance an, auf die Fähigkeit und den Willen, zu sehen und zu erspüren. Die Weigerung des Europäers, sich umfassend auf irgendeinen Umstand einzulassen, der nichts mit seinem persönlichen Wohlergehen zu tun hat, gereicht ihm zum Verhängnis. Als ihm dies endlich zu dämmern beginnt, fühlt er sich förmlich

Es ist eine verstörende Begegnung, die uns vielleicht im Umgang mit dem Druck und den destabilisierenden Kräften der transglobalen Völkerwanderung von Nutzen sein kann – dem Druck, der uns verführen könnte, uns an unsere eigenen Kulturen und Sprachen zu klammern und die anderen auszugrenzen; der unsere moralischen Maßstäbe dem täglich Opportunen unterwerfen könnte; der uns legalistisches Denken nahelegt, uns zu Vertreibung, Konformitätszwang, Säuberungen verleitet und uns bei Phantasiegebilden und Gespenstern Zuflucht suchen lässt. Vor allem aber kann dieser Druck dazu führen, dass wir den Fremden in uns selbst verleugnen und uns von der Idee einer gleichberechtigten Gemeinschaft aller Menschen verabschieden.

Nach vielen Prüfungen beginnt Camara Layes Europäer allmählich zu begreifen. Der Wunsch, den König zu treffen, wird Clarence erfüllt. Doch inzwischen haben er und seine Absichten sich gewandelt. Gegen den Rat der Dorfbewohner kriecht Clarence nackt vor den Thron. Als er den König, der sich als ein mit Gold behängter Knabe entpuppt, endlich zu Gesicht bekommt, fällt die «schreckliche Leere in ihm», die

Wir dürfen nicht vergessen, dass es, ehe es zu einer Endlösung kommt, eine erste Lösung geben muss, eine zweite, sogar eine dritte. Der Weg zu einer Endlösung ist kein Sprung. Es braucht einen ersten Schritt und noch einen und noch einen. Eine Folge, etwa wie diese:

  1. Konstruiere ein Feindbild, sowohl als Ziel wie zur Ablenkung.

  2. Isoliere und dämonisiere diesen Feind, indem du offene und verhüllte Schmähungen in Umlauf bringst und für deren Weiterverbreitung sorgst. Nutze persönliche Angriffe als legitime Mittel im Kampf gegen den Feind.

  3. Suche und schaffe Quellen und Verbreiter von Gerüchten, die den Prozess der Dämonisierung vorantreiben, weil es sich für sie lohnt, weil es Macht verleiht und weil es funktioniert.

  4. Sichere deine Mittel; überwache, verjage oder diskreditiere alle, die die Prozesse der Dämonisierung oder der Verklärung in Frage stellen oder hintertreiben.

  5. Unterdrücke und verleumde alle Repräsentanten und Sympathisanten deines konstruierten Feindes.

  6. Gewinne Kollaborateure aus den Reihen des Feindes, die den Prozess der Verdrängung unterstützen und als gerechtfertigt erscheinen lassen.

  7. Kriminalisiere den Feind. Dann bereite alles – Geld, Planung, Begründung – für seine Internierung in geeigneten Lagern vor. Das gilt besonders für die Männer und unbedingt für die Kinder.

  8. Belohne Gedankenlosigkeit und Trägheit mit großen Unterhaltungsspektakeln und mit kleinen Freuden, unmerklichen Verführungen: ein paar Minuten im Fernsehen; ein paar Zeilen in der Zeitung; einem kleinen Pseudo-Erfolgserlebnis; der Illusion von Macht und Einfluss; ein wenig Spaß, ein wenig Style, ein wenig Bedeutung.

  9. Bewahre Stillschweigen, um jeden Preis.

1995 mag der Rassismus ein neues Kleid tragen und sich ein paar neue Stiefel kaufen, aber weder er noch sein dämonischer Zwilling Faschismus ist neu oder kann uns mit irgendetwas Neuem überraschen. Er kann nur das Umfeld reproduzieren, das ihn am Leben erhält: Angst, Verweigerung und ein Klima, in dem seine Opfer den Willen zum Widerstand verlieren.

Die Kräfte, die an faschistischen Lösungen nationaler Probleme interessiert sind, lassen sich nicht einer bestimmten politischen Partei oder dem einen oder anderen Flügel irgendeiner Partei zuordnen. Die Demokraten haben keineswegs eine makellose Geschichte des Egalitarismus vorzuweisen. Auch die Liberalen sind nicht frei von Dominanzgelüsten. Die Republikaner hatten sowohl Sklavereigegner wie auch glühende Anhänger der weißen Vorherrschaft in ihren

Man erkennt ihn an seiner Sucht nach Reinheit, an den Strategien, die er bei seinen Säuberungen verfolgt, und an seiner Urangst vor wahrhaft demokratischen Entscheidungsprozessen. Man erkennt ihn an seiner Entschlossenheit, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren und alle gemeinnützigen Institutionen zu profitorientierten zu machen, auf dass der schmale, aber so überaus nützliche Graben zwischen staatlicher Verwaltung und Kommerz verschwinde. Er verwandelt Bürger in Steuerzahler, damit das Individuum auf Investitionen in das Gemeinwohl mit Argwohn reagiert. Er verwandelt Nachbarn in Konsumenten, auf dass nicht unsere Menschlichkeit, unsere Empathie, unser Großmut unseren Wert bestimme, sondern unser Eigentum. Er verwandelt Elternschaft in ein Angstregime, damit wir gegen die Interessen unserer Kinder stimmen, gegen gute Ausbildung, gute Gesundheitsvorsorge und Schutz vor allgegenwärtigen Waffen. Und durch all diese Verwandlungen bringt er den perfekten Kapitalisten hervor, der bereit ist, für ein Produkt (ein paar Sneakers, eine Jacke, ein Auto) einen Menschen zu opfern oder ganze Generationen zu opfern für den Zugriff auf Ressourcen (Öl, Drogen, Agrarprodukte, Gold).

Wenn unsere Ängste alle zu Fernsehserien, unsere Ideen zu Handelsware, unsere Rechte zu Ramsch geworden sind; wenn