Jakob Michael Reinhold Lenz
Die Soldaten
Eine Komödie
Drama/en
FISCHER E-Books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Coverabbildung: Gerd Hartung, »Szenenbild/Zeichnung von Schillers Kabale und Liebe«/akg-images
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010
Unsere Adressen im Internet:
www.fischerverlage.de
www.fischer-klassik.de
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-10-401221-6
WESENER, ein Galanteriehändler in Lille
FRAU WESENER, seine Frau
MARIE, CHARLOTTE, ihre Töchter
STOLZIUS, Tuchhandler in Armentieres
SEINE MUTTER
DESPORTES, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten
DER GRAF VON SPANNHEIM, sein Obrister
PIRZEL, ein Hauptmann
EISENHARDT, Feldprediger
HAUDY, Officier
RAMMLER, Officier
MARY, Officier
DIE GRÄFIN DE LA ROCHE
IHR SOHN
FRAU BISCHOF
IHRE COUSINE und andere
Der Schauplatz ist im französischen Flandern.
In Lille. Marie. Charlotte.
MARIE (mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend)
Schwester, weißt du nicht, wie schreibt man Madame, M a ma, t a m m tamm, m e me.
CHARLOTTE (sitzt und spinnt)
So ’st recht.
MARIE
Hör, ich will dir vorlesen, ob’s so angeht, wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist’s so recht arriviert, a r ar, r i e w wiert?
CHARLOTTE
So ’st recht.
MARIE
»Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur imstand zu sein« – ist so recht?
CHARLOTTE
So lies doch, bis der Verstand aus ist.
MARIE
»Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wiederzuerstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Continuation.«
CHARLOTTE
Bitten wir um fernere.
MARIE
Lass doch sein, was fällst du mir in die Rede.
CHARLOTTE
Wir bitten um fernere Continuation.
MARIE
Ei, was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so. (Macht alles geschwind wieder zu, und will den Brief versiegeln.)
CHARLOTTE
Nu, so les’ Sie doch aus.
MARIE
Das Übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein, als der Papa; letzthin sagte der Papa auch, es wäre nicht höflich, wenn man immer wir schriebe, und ich und so dergleichen. (Siegelt zu.) Da Steffen (gibt ihm Geld) tragt den Brief auf die Post.
CHARLOTTE
Sie wollt mir den Schluss nicht vorlesen, gewiss hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.
MARIE
Das geht dich nichts an.
CHARLOTTE
Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja ebenso gut schreiben können, als du, aber ich habe dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.
MARIE
Hör, Lotte, lass mich zufrieden mit dem Stolzius, ich sag dir’s, doch ich geh gleich herunter, und klag’s dem Papa.
CHARLOTTE
Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch, dass du verliebt in ihn bist, und dass du’s nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.
MARIE
Lotte. (Fängt an zu weinen und läuft herunter.)
In Armentieres. Stolzius und seine Mutter.
STOLZIUS (mit verbundenem Kopf)
Mir ist nicht wohl, Mutter!
MUTTER (steht eine Weile und sieht ihn an)
Nu, ich glaube, Ihm steckt das verzweifelte Mädel im Kopf, darum tut er Ihm so weh. Seit sie weggereist ist, hat Er keine vergnügte Stunde mehr.
STOLZIUS
Aus Ernst, Mutter, mir ist nicht recht.
MUTTER
Nu, wenn du mir gute Worte gibst, so will ich dir das Herz wohl leichter machen. (Zieht einen Brief heraus.)
STOLZIUS (springt auf)
Sie hat Euch geschrieben?
MUTTER
Da, kannst du’s lesen. (Stolzius reißt ihn ihr aus der Hand, und verschlingt den Brief mit den Augen.) Aber hör, der Obriste will das Tuch ausgemessen haben für die Regimenter.
STOLZIUS
Lasst mich den Brief beantworten, Mutter.
MUTTER
Hans Narr, ich rede vom Tuch, das der Obrist bestellt hat für die Regimenter. Kommt denn –
In Lille. Marie. Desportes.
DESPORTES
Was macht Sie denn da, meine göttliche Mademoiselle?
MARIE (die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr)
O nichts, nichts, gnädiger Herr – (Lächelnd.) Ich schreib gar zu gern.
DESPORTES
Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.
MARIE
O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.
DESPORTES
Alles, was von einer solchen Hand kommt, muss schön sein.
MARIE
O Herr Baron, hören Sie auf, ich weiß doch, dass das alles nur Komplimenten sein.
DESPORTES (kniend)
Ich schwöre Ihnen, dass ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeners gesehen habe, als Sie sind.
MARIE (strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen)
Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.
DESPORTES
Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch, wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft habe, und jetzt riskiere, dass, wenn man erfährt, dass ich nicht bei meinen Eltern bin, wie ich vorgab, man mich in Prison wirft, wenn ich wiederkomme, ist das falsch, nur um das Glück zu haben, Sie zu sehen, Vollkommenste?
MARIE (wieder auf ihre Arbeit sehend)
Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren, wo man weder schön noch hässlich ist.