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Impressum

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel «Everything in Its Place. First Loves and Last Tales» bei Alfred A. Knopf, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Everything in Its Place» Copyright © 2019 by the Oliver Sacks Foundation

All rights reserved

Redaktion Uwe Naumann

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München, nach dem Original von Penguin Random House

Coverabbildung Umschlagfoto: Bill Hayes

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-05771-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-05771-5

Fußnoten

Dazu gehörte eine wundervolle Schilderung der Auswirkungen von Stickoxid – «Lachgas» –, wenn es eingeatmet wird – ein Text, der in seinem psychologischen Scharfblick an William James erinnert und dessen Bericht über den gleichen Selbstversuch, ein Jahrhundert später. Davy liefert damit womöglich die erste Beschreibung einer psychedelischen Erfahrung in der westlichen Literatur:

Augenblicklich verspürte ich ein Prickeln, das sich von der Brust bis zu den Gliedmaßen ausbreitete … Meine visuellen Wahrnehmungen wurden überwältigend und scheinbar vergrößert; überdeutlich hörte ich jeden Laut im Zimmer … Mit der Verstärkung der angenehmen Empfindungen verlor ich alle Verbindung mit äußeren Dingen; eine Kette lebhafter Vorstellungsbilder spulte sich vor meinem geistigen Auge ab und verband sich dergestalt mit Worten, dass vollkommen neue Wahrnehmungen entstanden. Ich befand mich in einer Welt ungewohnt verknüpfter und ungewohnt veränderter Ideen. So entwickelte ich Theorien und bildete mir ein, Entdeckungen zu machen.

Davy entdeckte auch, dass Stickoxid ein Narkosemittel ist, und empfahl seine Verwendung bei chirurgischen Eingriffen. Aber er verfolgte die Idee nicht weiter, und so wurde die Vollnarkose erst nach seinem Tod in den 1840er Jahren eingeführt. (Ähnlich sorglos ging Freud in den 1880er Jahren mit der Erkenntnis um, dass Kokain ein Lokalanästhetikum ist – daher wurde anderen das Verdienst an dieser Entdeckung zugeschrieben.)

In Coleridges Worten:

Wasser und Flamme, der Diamant, die Holzkohle … werden durch die Theorie des Chemikers beschworen und verbrüdert … Es ist das Empfinden für ein Prinzip des Zusammenhangs, das der Verstand liefert und die Natur durch Entsprechung gutheißt … wenn bei Shakespeare die Natur zur Poesie idealisiert wird, durch die schöpferische Kraft einer tiefen und zugleich genau beobachtenden Meditation, so entdecken wir dank Davys meditativer Beobachtung … wie die Poesie in der Natur gewissermaßen verkörpert und verwirklicht wird; ja, die Natur selbst offenbart sich uns … als Dichter und Gedicht zugleich!

Coleridge war nicht der einzige Dichter, der seine Metaphern aus der Chemie entlehnte. Der chemische Ausdruck «Wahlverwandtschaften» erhielt von Goethe eine erotische Konnotation; «Energie» wurde für Blake «ewiges Entzücken»; Keats, der eine medizinische Ausbildung erhalten hatte, schwelgte in chemischen Metaphern. Eliot bedient sich in seinem Essay «Literarische Tradition und individuelles Talent» von Anfang bis Ende chemischer Metaphern: «Der Vergleich mit dem Katalysator bietet sich an. Der Geist des Dichters ist das Stückchen Platin.» Ob Eliot wusste, dass seine zentrale Metapher, der Katalysator, 1816 von Humphry Davy entdeckt wurde?

Davy war so verblüfft über die Entflammbarkeit von Natrium und Kalium und über ihre Fähigkeit, auf dem Wasser zu schwimmen, dass er sich fragte, ob es nicht Lagerstätten dieser Elemente unter der Erdkruste gebe, die beim Zusammentreffen mit Wasser für Vulkanausbrüche verantwortlich seien.

Bis zu diesem Zeitpunkt wollte Davy nicht glauben, dass Diamant und Kohle tatsächlich ein und dasselbe Element seien; das verstoße «gegen die Analogien der Natur», fand er. Vielleicht war es seine Schwäche und Stärke zugleich, dass er manchmal dazu neigte, die chemische Welt nach konkreten und nicht formalen Eigenschaften zu klassifizieren. (Meistens entsprechen die konkreten Aspekte den formalen, etwa bei den Alkalimetallen und den Halogenen; es kommt ziemlich selten vor, dass Elemente eine Reihe ganz verschiedener materieller Erscheinungsformen besitzen.)

Davy setzte seine Untersuchungen von Flammen fort und veröffentlichte ein Jahr nach Fertigstellung der Sicherheitslampen den Aufsatz «Some New Researches on Flame». Mehr als vierzig Jahre später kam Faraday auf das Thema zurück, als er 1861 seine berühmte Vortragsreihe The Chemical History of a Candle hielt.

In diesem Zusammenhang hörte ich als Kind zum ersten Mal von Humphry Davy, als meine Mutter mich ins Londoner Science Museum mitnahm und nach oben führte, wo es einen sehr realistischen Nachbau einer Kohlegrube des 19. Jahrhunderts gab. Sie zeigte mir die Davy-Lampe und erklärte, warum die Arbeit in Kohleminen dadurch sicherer geworden war; dann wies sie auf eine andere Sicherheitslampe, die Landau-Lampe. «Die hat mein Vater, dein Großvater 1869 als junger Mann erfunden», sagte sie. «Sie war sogar noch sicherer als die ursprüngliche Erfindung und ersetzte die Davy-Lampe.» Ich verspürte eine starke Identifikation. Mich überkam das – kindische, aber sehr lebhafte – Empfinden, dass die Wissenschaft eine zutiefst menschliche Betätigung sei: Einflüsse, Zwiegespräche, über alle Altersgrenzen hinweg.

Das Thema der Ich-Ideale und unser universelles Bedürfnis nach ihnen behandelt Leonard Shengold ausführlich im ersten Kapitel («Making Great Men Ours») seines Buches The Boy Will Come to Nothing! Freud’s Ego Ideal and Freud as Ego Ideal.

Dieses und die folgenden Zitate stammen aus: Frigyes Karinthy, Reise um meinen Schädel, Hildesheim 1993, hier S. 16f.

In einem anderen Fall glaubte ein Mann mit Tourette, er habe häufig «tourettische» Träume – Träume von besonders wilder und ausgelassener Art, voller unerwarteter Wendungen, plötzlichen Beschleunigungen und Abschweifungen. Das veränderte sich, als ihm Haloperidol verschrieben wurde, ein sehr starkes Beruhigungsmittel; daraufhin berichtete er, seine Träume hätten sich auf «schlichte Wunscherfüllung» reduziert, «ohne die Ausschmückungen und Extravaganzen von Tourette».

Thomas Hobbes, Leviathan, Hamburg 1996, S. 565.

Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt am Main 1984, § 1.

Ausführlich habe ich ekstatische Anfälle und Nahtoderfahrungen in meinem Buch Drachen, Doppelgänger und Dämonen. Über Menschen mit Halluzinationen geschildert.

Reinbek 2008, S. 19f.

Schluckauf kann bei Föten schon im achten Schwangerschaftsmonat auftreten, lässt aber in den späteren Stadien der Schwangerschaft nach. Da der Schluckauf nach der Geburt keine erkennbare Funktion besitzt, ist er vielleicht ein Überbleibsel der Kiemenbewegungen unserer Fisch-Vorfahren. Ähnliche Schlüsse liegen nahe, wenn man bei Patienten mit bestimmten Hirnstammläsionen synchrone Bewegungen beobachtet, die Muskeln im Nacken, im Gaumen und im Mittelohr betreffen. Diese Muskeln scheinen wenig miteinander gemein zu haben, bis einem klarwird, dass sie alle Rudimente der Kiemenmuskulatur von Fischen sind – daher sprechen angelsächsische Neurologen auch von einem branchial myoclonus. (Viele ähnliche anatomische wie funktionale Beispiele erörtert Neil Shubin in seinem Buch Der Fisch in uns.)

Das entspricht vielleicht dem Auftreten von «Zwangslachen» oder «Zwangsweinen» in einigen Fällen von multipler Sklerose, ALS, Alzheimer, Schlaganfällen und bei einigen Patienten mit Epilepsie, die unter sogenannten dakrystischen (mit Weinen verbundenen) oder gelastischen (mit Lachen verbundenen) Anfällen leiden.

In Der einarmige Pianist beschreibe ich einen expiratorischen/phonatorischen Tic, der sich bei einem Patienten mit Spätdyskinesie ganz ähnlich entwickelt und schließlich die Form einer regelrechten Inkantation annimmt («Unwillkürliches Beten»).

Bei einer anderen Gelegenheit befanden wir uns in einem Geschäft voller Uhren. Lowell war beunruhigt, als er all die Pendel hin- und herschwingen sah. «Wir können nicht hierbleiben», sagte er. «Die hypnotisieren mich.»

Eine solche «polymorphe Perversion» (wie Freud sie nennt) kann in verschiedenen Zuständen mit hohen Dopaminspiegeln im Gehirn auftreten. Sie entwickelte sich bei einigen meiner postenzephalitischen Patienten, die von L-Dopa «aufgeweckt» worden waren, und kann sich auch in Verbindung mit Tourette beziehungsweise mit chronischem Amphetamin- oder Kokainmissbrauch zeigen.

So verhielt sich das auch mit vielen meiner Awakenings-Patienten, bei denen verschiedene zerebrale Triebsysteme geschädigt waren. Beispielsweise war Leonard L., wie er später sagte, ein «Kastrat» ohne die geringste Libido, bevor er L-Dopa bekam. Als er es dann aber nahm, entwickelte er einen unbändigen Sexualtrieb, woraufhin er vorschlug, im Krankenhaus einen Bordellservice für Patienten auf L-Dopa einzurichten. Als seine Pläne abgelehnt wurden, masturbierte er stundenlang und häufig in aller Öffentlichkeit.

Erst in den 1970 er Jahren wurde es möglich, B 12 zu synthetisieren, eine Großtat der synthetischen Chemie.

Der bedeutende Psychoanalytiker Sándor Ferenczi begann Anfang der 1930er Jahre einige ungewöhnliche Ideen zu entwickeln – dass sich beispielsweise der Analytiker neben seine Patienten auf die Couch legen sollte. Diese Einfälle klangen zwar etwas ketzerisch, wurden aber zunächst als Ausdruck seiner bemerkenswerten geistigen Originalität aufgenommen. Doch als sie zunehmend abstruser wurden, erkannte man, dass Ferenczi an einer organischen Psychose litt, die, wie sich herausstellte, mit perniziöser Anämie einherging.

Die Pflege eines Menschen, besonders wenn dieser Mensch dement ist und sein geistiger Verfall unaufhaltsam fortschreitet, kann eine strapaziöse körperliche Anstrengung bedeuten und zugleich eine konstante, fast telepathische Empfänglichkeit für die Vorgänge in einem Bewusstsein vermitteln, das die Fähigkeit, seine Gedanken mitzuteilen, immer mehr verliert, ja, das die Fähigkeit, klare Gedanken zu haben, immer mehr verliert. Menschen mit Demenz können schrecklich verwirrt und desorientiert werden. Eine solche Belastung kann zur Erkrankung der Pflegeperson führen. Als Arzt sehe ich das allzu häufig – manchmal opfern ältere Ehepartner ihre Gesundheit und sterben noch vor dem Kranken, den sie pflegen; deshalb ist Hilfe von außen von entscheidender Bedeutung.

Nach Jacksons Ansicht trat diese Auflösung sehr klar in Prozessen wie Traum, Delirium und Wahnsinn zutage. Sein langer Artikel «The Factors of Insanities» aus dem Jahr 1894 liefert in dieser Hinsicht viele faszinierende Beobachtungen und Einsichten.

Als Henry James an Lungenentzündung und hohem Fieber starb, delirierte er – und es heißt, obwohl der Meister phantasiert habe, sei sein Stil, wie ich in Doppelgänger, Drachen und Dämonen schrieb, «reiner James» und sogar «später James» gewesen.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, ebook Suhrkamp, Berlin 2010.

Mayr, Das ist Biologie, Heidelberg 2000, S. 74.

Prionen wurden zunächst als Slow-Viren angesehen, dann als «unkonventionelle» Viren, doch wenn wir sie als «Viren» oder «lebendig» klassifizieren, müssen wir radikal neu definieren, was wir unter jedem dieser beiden Begriffe verstehen wollen, denn sie scheinen in vielerlei Hinsicht zu einer rein kristallinen Welt zu gehören. (Gajdusek gab tatsächlich einem seiner frühen Artikel den Titel «Fantasy of a ‹Virus› from the Inorganic World». [Phantasie über einen Virus aus der anorganischen Welt])

Dieses und alle folgenden Zitate sind entnommen: Michael Greenberg, Der Tag, an dem meine Tochter verrückt wurde, München, dtv digital, 2010.

Dieses und die folgenden Zitate sind entnommen: John Custance, Weisheit und Wahn, Zürich 1954; hier: S. 23.

Hier und im Folgenden zitiert aus: Kay Redfield Jamison, Meine ruhelose Seele. Die Geschichte einer bipolaren Störung, München, Münchner Verlagsgruppe, 2014, E-Book.

Elyn Saks, die seit ihrer Kindheit mit Schizophrenie lebt, ist Stipendiatin der MacArthur Foundation und Professorin an der Gould Law School der University of Southern California, wo sie sich auf rechtliche Aspekte psychischer Erkrankungen spezialisiert hat.

Roosens und Van de Walle sind selbst Mitglieder dieser Gemeinde, Teil des sozialen Gefüges in Geel. Daher sind sie in der Lage, neunzehn detaillierte Porträts der Familien und ihrer Gäste vorzulegen, von denen Roosens einige über einen Zeitraum von Jahrzehnten beobachtet hat. Diese Familien und ihre Gäste stellen ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Situationen dar, von glücklichen Verhältnissen, in denen Wirtsfamilien und Gäste eine sehr liebevolle und fürsorgliche Beziehung zueinander haben, bis hin zu Situationen, in denen die Gäste «schwierig» sind (die Geeler sprechen von «guten» Gästen oder, weit seltener, von «schwierigen», aber nie von «schlechten» oder «verrückten» Gästen) – so schwierig, dass das Pflegeverhältnis zerbricht. Selbst bei sehr schwierigen psychiatrischen Problemen, schreibt Roosens, seien Pflegeeltern, «wenn gegenseitige Zuneigung herrscht [was gewöhnlich der Fall ist] durchaus bereit, sich große Mühe zu geben, um auf ihre Gäste einzugehen».

Diese neunzehn Fallstudien sind vorbildlich in ihrer Vielfalt und Detailgenauigkeit und stellen ein Primärmaterial von enormem Wert dar. Zusammen mit dem Rest des Buchs sind sie eine schlüssige Widerlegung der Auffassung, psychische Erkrankungen seien ein unbarmherzig voranschreitendes und sich verschlimmerndes Leiden. Vielmehr zeigen sie, dass dort, wo eine echte Integration in Familie und Gemeinschaftsleben stattfindet (abgesichert, wenn erforderlich, durch ein Netzwerk von Krankenhausversorgung, Fachleuten und Medikation), selbst Menschen, die psychisch unheilbar krank zu sein scheinen, die Möglichkeit haben, ein unbeeinträchtigtes, würdevolles, liebevolles und sicheres Leben zu führen.

Während sich Wells in Die ersten Menschen auf dem Mond den Beginn des Lebens ausmalte, beschrieb er dessen Ende im Krieg der Welten, wo die Marsianer, auf dem eigenen Planeten von zunehmender Austrocknung und dem Verlust der Atmosphäre bedroht, einen verzweifelten Versuch zur Eroberung der Erde unternehmen (dann aber an Infektionen durch irdische Bakterien zugrunde gehen). Wells, der Biologie studiert hatte, war sich der Zähigkeit des Lebens wie seiner Verwundbarkeit nur allzu bewusst.

Spät im November, in einer einzigen Nacht,

nicht einmal nahe des Frosts, warfen die Ginkgobäume,

die den Weg säumten, all ihre Blätter ab,

wie auf Verabredung, weder dem Regen noch dem Wind geschuldet,

sondern als wär’s die Zeit allein: die goldenen und die grünen

Blätter übersäen heute den Rasen, die gestern noch

ihre flatternden Lichtfächer nach oben streckten.

Hamburg 2016, E-Book, Hoffmann und Campe. (Alle Zitate sind aus dieser Ausgabe entnommen.)

Wir waren alle Wasserbabys, meine drei Brüder und ich. Mein Vater, der ein Schwimm-Champ war (er hat die drei Meilen vor der Isle of Wight drei Jahre hintereinander gewonnen) und für sein Leben gern schwamm, machte uns schon mit dem Wasser vertraut, als wir kaum eine Woche alt waren. In diesem Alter schwimmt man instinktiv, daher habe ich, ob es mir recht war oder nicht, niemals schwimmen «gelernt».

Daran musste ich denken, als ich die Karolinen in Mikronesien besuchte, wo ich sah, wie Kleinkinder furchtlos in den Lagunen tauchten und schwammen, wobei sie meist wie Hunde paddelten. «Nicht schwimmen können» gibt es dort nicht; die Insulaner sind hervorragende Schwimmer. Magellan und andere Seefahrer, die im 16. Jahrhundert Mikronesien anliefen, waren begeistert, als sie die Insulaner schwimmen und tauchen sahen, und konnten nicht umhin, sie mit Delfinen zu vergleichen, als sie beobachteten, wie sie von Welle zu Welle sprangen. Vor allem die Kinder fühlten sich so heimisch im Wasser, dass sie einem Entdeckungsreisenden «eher wie Fische als wie Menschen» erschienen. (Anfang des 20. Jahrhunderts lernten Westler von den Pazifikinsulanern den Kraulstil, diesen eleganten, kraftvollen Armzug, den sie perfekt beherrschten und der dem menschlichen Körperbau so viel besser entspricht als das froschartige Brustschwimmen, das damals im Westen vorherrschte.)

Die Pubertät war eine schlimme Zeit. Ich bekam eine eigenartige Hauterkrankung: «Erythema annulare centrifugum», meinte ein Facharzt, «Erythema gyratum perstans», ein anderer – prächtige, volltönende, pompöse Wörter, aber keiner der Experten vermochte etwas dagegen auszurichten, und ich war mit nässenden Ekzemen bedeckt. Da ich aussah wie ein Leprakranker, oder es zumindest glaubte, wagte ich nicht, mich im Schwimmbad oder am Strand auszuziehen, und hatte nur gelegentlich das Glück, einen einsamen See oder Tümpel zu finden.

In Oxford wurde meine Haut plötzlich wieder rein, woraufhin meine Erleichterung so groß war, dass ich nackt schwimmen wollte, um zu fühlen, wie das Wasser ungehindert über jeden Teil meines

In Oxford wurde das Schwimmen für mich zu einer unwiderstehlichen Leidenschaft, und danach gab es keinen Weg zurück. Als ich Mitte der 1960er Jahre nach New York kam, begann ich, am Orchard Beach in der Bronx zu schwimmen; manchmal umrundete ich City Island – eine Schwimmstrecke, für die ich mehrere Stunden brauchte. So fand ich übrigens auch das Haus, in dem ich zwanzig Jahre lang lebte: Auf halbem Wege hatte ich haltgemacht, um mir einen entzückenden Pavillon am Ufer anzuschauen, war an Land gestiegen und die Straße entlanggeschlendert, als ich ein kleines rotes Haus erblickte, das zum Verkauf stand, hatte mich (immer noch tropfnass) von den verdutzten Eigentümern herumführen lassen, war zur Immobilienmaklerin gegangen, hatte sie davon überzeugt, dass ich es ernst meinte (sie war nicht an Kunden in Badehose gewöhnt), war auf der anderen Seite der Insel wieder ins Wasser gestiegen und zum Orchard Beach zurückgeschwommen. So hatte ich mir während des Schwimmens ein Haus gekauft.

Wenn es ging, schwamm ich von April bis November draußen – damals war ich abgehärteter –, im Winter ging ich in die örtliche YMCA-Schwimmhalle. 1976/77 errang ich den Titel des besten Langstreckenschwimmers des Mount Vernon YMCA in Westchester: Ich schwamm fünfhundert Bahnen – zehn Kilometer – in dem Wettbewerb und hätte weitergemacht, hätten die Kampfrichter nicht gesagt: «Es reicht! Bitte gehen Sie nach Hause.»

Im 13. Jahrhundert nannte es Duns Scotus condelectari sibi – den Wunsch, sich an der eigenen Tätigkeit zu erfreuen, und in unseren Tagen spricht Mihály Csikszentmihályi vom Flow. Schwimmen hat etwas inhärent Stimmiges, so wie alle fließenden und gewissermaßen musikalischen Tätigkeiten. Und dann ist da noch das Wunder des Auftriebs, des Schwebens in diesem dichten, transparenten Medium, das uns trägt und umfängt. Wir können uns in einer Weise im Wasser bewegen und mit ihm spielen, für die es in der Luft nichts Vergleichbares gibt. Wir sind in der Lage, in jeder beliebigen Richtung seine Dynamik und seinem Fluss zu erkunden; wir können unsere Hände wie Propeller bewegen oder wie kleine Ruder einsetzen, uns in kleine Wasserflugzeuge oder U-Boote verwandeln, die Strömungsphysik mit dem eigenen Körper erforschen.

Und zu alldem kommt noch die ganze Symbolik des Schwimmens – seine imaginativen Resonanzen, seine mythenbildenden Kräfte.

Mein Vater nannte Schwimmen das «Lebenselixier», und auf ihn traf das wohl wirklich zu: Er schwamm jeden Tag und wurde mit der Zeit nur ein wenig langsamer. Ich hoffe, ich kann es ihm nachtun und schwimmen, bis ich sterbe.

Solange ich zurückdenken kann, habe ich Museen geliebt. Immer haben sie eine zentrale Rolle in meinem Leben gespielt, indem sie meine Phantasie anregten und mir die Ordnung der Welt in lebhafter, konkreter Weise vor Augen führten, wenn auch in verkleinertem Maßstab, en miniature. Aus dem gleichen Grund schätze ich Botanische Gärten und Zoos: Sie zeigen einem die Natur, aber eine klassifizierte Natur, die Taxonomie des Lebens. Bücher sind nicht real in diesem Sinn, sie sind nur Wörter. Museen präsentieren reale Exemplare der Natur in sinnreicher Anordnung.

Die vier großen South-Kensington-Museen – alle auf demselben Stück Land gelegen und im gleichen hochviktorianischen Barock erbaut – wurden als eine Einheit mit vielen Aspekten konzipiert, als Versuch, Naturgeschichte, Naturwissenschaft und Kulturgeschichte öffentlich und für jedermann zugänglich zu machen.

Die South-Ken-Museen waren (zusammen mit der Royal Institution und ihren beliebten Weihnachtsvorträgen) eine einzigartige viktorianische Bildungseinrichtung, die für mich heute noch, wie in meiner Kindheit, der Inbegriff des Museums sind.

Es gab das Natural History Museum, das Geology Museum, das Science Museum und das Victoria and Albert Museum, das der Kulturgeschichte gewidmet war. Da ich der naturwissenschaftliche Typ war, ging ich nie ins V&A, aber die anderen drei waren für mich

Ich hatte viele Freunde im Natural History Museum – Cacops und Eryops, riesige fossile Amphibien, in deren Schädel sich ein Loch für ein drittes Auge befand, das Scheitelauge; die Würfelqualle Charybdea, die niederste Tierart mit Nervenganglien und Augen; die herrlichen Braunglasmodelle von Strahlentierchen und Sonnentierchen – aber meine tiefste Liebe, meine besondere Leidenschaft gehörte den Kopffüßern, von denen es dort eine prachtvolle Sammlung gab.

Stundenlang konnte ich mich in den Anblick der Tintenfische vertiefen: von Sthenoteuthis caroli, 1925 an der Küste Yorkshires gestrandet, oder des exotischen pechschwarzen Vampirtintenfischs (leider nur als Wachsmodell vertreten), eine seltene Tiefseeart mit schirmartigen Häuten zwischen den Armen, in deren Falten glänzende Sterne leuchteten. Und natürlich: Architeuthis, der Riesenkalamar, der Herrscher aller Tintenfische, in tödlicher Umarmung mit einem Wal.

Doch meine Aufmerksamkeit galt nicht in erster Linie den riesigen oder exotischen Exemplaren. Meine besondere Vorliebe gehörte den Ausstellungen der Insekten und Mollusken, der Möglichkeit,

Als die Museumsangestellten mich kannten, wurde ich durch eine verschlossene, massive Tür in die der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Räume des neuen Spirit Building gelassen, wo man Exemplare aus der ganzen Welt in Empfang nahm, sie untersuchte, sezierte, neue Arten identifizierte – und sie gelegentlich für Sonderausstellungen präparierte. (Eines war ein Quastenflosser, der gerade entdeckte «letzte noch lebende fossile Fisch» Latimeria, ein Geschöpf, von dem man geglaubt hatte, es sei seit der Kreidezeit ausgestorben.) Bevor ich nach Oxford ging, verbrachte ich endlose Tage im Spirit Building; mein Freund Eric Korn hielt sich dort ein ganzes Jahr lang auf. Damals waren wir alle vernarrt in die Taxonomie – waschechte viktorianische Naturforscher.

Ich liebte das altmodische Glas-und-Mahagoni-Ambiente des Museums und war empört, als man dem Haus während meines Studiums in den 1950er Jahren ein modernes, aufdringliches Outfit verpasste und dort trendige Ausstellungen veranstaltete. (Am Ende wurden sie sogar interaktiv.) Jonathan Miller, ein anderer Freund, teilte meinen Widerwillen und meine Nostalgie. «Ich sehne mich nach dieser sepiafarbenen Epoche zurück», schrieb er mir einmal. «Was gäbe ich drum, wenn dieser Ort plötzlich wieder in die körnige Einfarbigkeit von 1876 getaucht würde.»

Das Natural History Museum lag in einem wunderhübschen Garten, der beherrscht wurde von Sigillaria-Stämmen, einer lange ausgestorbenen fossilen Baumart, und einer Sammlung von

Von dem jurassischen Fossiliengarten des Natural History Museum waren es knapp hundert Meter zum Geology Museum, in das sich, soweit ich sehen konnte, praktisch nie Besucher verirrten. (Leider gibt es das Museum nicht mehr; seine Sammlung ist dem Natural History Museum einverleibt worden.) Für das kundige, geduldige Auge war es voller außergewöhnlicher Schätze und stiller Freuden. Da gab es einen riesigen Kristall, einen Stibnit (Antimonsulfid) aus Japan. Er war einen Meter achtzig hoch, ein kristalliner Phallus, ein Totem, das mich auf eine besondere, fast ehrfurchteinflößende Weise faszinierte. Ein Phonolith, ein Klangstein, stammte vom Devils Tower in Wyoming; als die Museumswärter mich kannten, durfte ich ihn mit der Handfläche anschlagen, er gab einen dumpfen, aber gongartigen, widerhallenden Ton von sich, als hätte man gegen den Resonanzboden eines Klaviers geschlagen.

Mir gefiel die Atmosphäre dieser unbelebten Welt – die Schönheit der Kristalle, die Vorstellung ihrer Vollkommenheit, ihres Aufbaus aus identischen Atomgittern. Aber auch wenn sie vollkommen waren, gestaltgewordene Mathematik, so erregten sie mich doch mit ihrer sinnlichen Schönheit. Stundenlang starrte ich versunken auf die blassgelben Schwefelkristalle und lilafarbenen Fluoritkristalle – verschachtelt, kostbar, wie eine Meskalin-Vision – und, das andere Extrem, die seltsamen «organischen» Formen des Blutsteins, die so sehr wie die Nieren von Riesentieren aussahen, dass ich mich einen Augenblick lang fragte, ich welchem Museum ich sei.

Aber die eigentliche Offenbarung im Science Museum wurde mir zuteil, als ich zehn war: Oben im fünften Stock entdeckte ich das Periodensystem – keine dieser modernen Spiralen, dieser hässlichen, kleinen Dinger, sondern ein stabiles Rechteck, das eine ganze Wand einnahm, mit einem eigenen Kästchen für jedes Element und, wenn möglich, einer Probe des Elements: Chlor, grün-gelb; waberndes braunes Brom; pechschwarze (aber violett verdampfende) Jodkristalle; schwere, sehr schwere Urankugeln und in Öl schwimmende Lithium-Pillen. Sie hatten sogar Proben von den Inertgasen (oder «Edelgasen», zu edel, um sich mit anderen zu verbinden): Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon (aber kein Radon – ich vermute, weil es zu gefährlich war). In ihren versiegelten Glasröhrchen waren sie natürlich unsichtbar, aber man wusste, dass sie da waren.

Die tatsächliche Anwesenheit der Elemente verstärkte den Eindruck, dass es sich tatsächlich um die Bausteine des Universums handelte, das das ganze Universum da sei, im Mikrokosmos, in

Dieses Empfinden für die Größe, die Unwandelbarkeit der Naturgesetze und die Gewissheit, dass wir sie entdecken können, wenn wir lange und hartnäckig genug nach ihnen suchen, offenbarte sich mir mit überwältigender Klarheit, als ich ein Junge von zehn Jahren war und vor dem Periodensystem des Science Museums in South Kensington stand. Dieses Gefühl hat mich nie verlassen; heute, fünfzig Jahre später, ist es noch genauso stark und lebendig wie damals. Dieser Augenblick entschied über meinen Glauben und mein Leben; ein Museum wurde mein Pisga und mein Sinai.

Im Januar 1946, als ich zwölfeinhalb war, wechselte ich von meiner Prep School The Hall in Hampstead zu der sehr viel größeren Schule St. Paul’s in Hammersmith. Dort, in der Walker Library, begegnete ich Jonathan Miller zum ersten Mal. Ich saß versteckt in einer Ecke und las ein Buch aus den 19. Jahrhundert über eine Gasentladungsröhre, die ihrer Form wegen Electric Egg hieß – als ein Schatten auf die Seite fiel. Ich blickte auf und sah einen erstaunlich großen, schlaksigen Jungen mit sehr beweglichen Gesichtszügen, glänzenden, verschmitzten Augen und einem ungebärdigen rötlichen Haarschopf. Wir kamen ins Gespräch und sind seither enge Freunde. Bis dahin hatte ich nur einen wirklichen Freund gehabt, Eric Korn, den ich fast seit meiner Geburt kannte. Ein Jahr später folgte mir Eric von The Hall nach St. Paul’s, und jetzt bildeten er, Jonathan und ich ein unzertrennliches Dreigespann, das nicht nur durch persönliche, sondern auch durch familiäre Bande zusammengehalten wurde (unsere Väter hatten vor dreißig Jahren zusammen Medizin studiert, und unsere Familien waren eng befreundet). Eigentlich teilten Jonathan und Eric meine Leidenschaft für die Chemie nicht – obwohl sie sich ein oder zwei Jahre zuvor an einem spektakulären chemischen Experiment von mir beteiligt hatten: Wir hatten in einen Highgate-Teich der Hampstead Heath einen riesigen Klumpen metallisches Natrium geworfen und aufgeregt

Pask war ein phantastischer Lehrer. Er war auch engstirnig, bigott, mit grässlichem Stottern geschlagen (das wir endlos nachahmten) und keineswegs ungewöhnlich intelligent. Doch durch Überredung, Ironie, Spott oder Gewalt machte er uns alle anderen Tätigkeiten abspenstig – Sport und Sex, Religion und Familie sowie alle anderen Schulfächer. Er verlangte von uns, dass wir ebenso ausschließlich waren wie er.

Die Mehrheit seiner Schüler fand, dass er ein unglaublich anspruchsvoller und strenger Zuchtmeister war. Sie taten alles, um sich seiner, wie sie fanden, kleinlichen Tyrannei zu entziehen. Dieser Kampf zog sich eine Zeitlang hin, dann war der Widerstand plötzlich gebrochen – sie waren frei. Pask nörgelte nicht mehr an ihnen herum, stellte keine lächerlich übertriebenen Anforderungen mehr an ihre Zeit und Energie.

Doch ein paar von uns nahmen jedes Jahr Pasks Herausforderung an. Dafür gab er uns alles, was er zu geben hatte – seine Zeit und seine Leidenschaft für die Biologie. Bis spätabends blieben wir mit ihm im Natural History Museum. Jedes Wochenende gingen wir mit ihm auf Pflanzensuche. An bitterkalten Wintertagen standen wir in der Morgendämmerung für seinen Süßwasserkurs im Januar auf. Und einmal im Jahr – noch heute überkommt mich eine süße, fast unerträgliche Wehmut bei der Erinnerung – fuhren wir für drei Wochen nach Millport, um meeresbiologische Studien zu betreiben.

Millport, vor der Westküste Schottlands gelegen, hatte eine wunderbar ausgestattete Station für Meeresbiologie, wo wir immer freundlich aufgenommen wurden und bei allen unseren Experimenten Unterstützung fanden. (Damals wurden dort

Jeder fand Gefallen an bestimmten zoologischen Gruppen: Eric entwickelte eine besondere Vorliebe für Seegurken, Holothurien; Jonathan für schimmernde Vielborster, Polychaeta; und ich für Tintenfische, Sepien und Oktopoden, alle Kopffüßer – die intelligentesten und, für mein Empfinden, schönsten wirbellosen Tiere.

Einmal fuhren wir alle drei an die See nach Hythe in Kent, wo Jonathans Eltern ein Sommerhaus gemietet hatten. Eines Tages fuhren wir mit einem Fischtrawler hinaus. Normalerweise warfen die Fischer die Tintenfische, die in ihrem Netz landeten, wieder ins Meer zurück (damals mochte man in England keinen Tintenfisch). Doch ich bat sie flehentlich, sie für mich aufzubewahren, sodass wohl Dutzende an Deck lagen, als wir wieder in den Hafen liefen. In Eimern und Kübeln brachten wir alle Tintenfische nach Hause, füllten sie im Keller in Gläser und gaben ein wenig Alkohol hinzu, um sie zu konservieren. Jonathans Eltern waren nicht da, daher konnten wir ungehindert zu Werke gehen. Den ganzen Fang Tintenfische wollten

Etwas später, an dem Tag, an dem Jonathans Eltern zurückkommen wollten, hörten wir ein dumpfes Knallen aus dem Keller. Als wir nachsehen gingen, bot sich uns ein grotesker Anblick: Die unzureichend konservierten Tintenfische waren verfault und hatten gegoren, durch die Gase, die sich gebildet hatten, waren die Gläser explodiert, sodass große Klumpen Tintenfisch an die Wände und den Fußboden gespritzt waren; einige Fetzen klebten sogar an der Decke. Der durchdringende Fäulnisgeruch war unvorstellbar ekelhaft. Wir gaben uns größte Mühe, die Wände abzukratzen und die explodierten, festsitzenden Tintenfischreste zu entfernen. Mit unserem Brechreiz kämpfend, spritzten wir den Keller mit einem Schlauch ab, aber der Gestank ließ sich nicht vertreiben, und als wir Fenster und Türen aufrissen, um den Keller zu lüften, breitete sich der unerträgliche Geruch auch draußen wie ein Pesthauch aus – 50 Meter nach allen Seiten.

Eric, einfallsreich wie immer, schlug vor, den Gestank durch einen noch stärkeren, aber angenehmen Geruch zu überlagern oder zu ersetzen – wir gelangten zu dem Schluss, dass eine Kokosnuss-Essenz den Zweck erfüllen müsste. Wir legten zusammen und kauften eine große Flasche von dem Zeug, tränkten damit den Keller und verteilten den Rest großzügig in den anderen Räumen und auf dem Grundstück.

Eine Stunde später kamen Jonathans Eltern und trafen, als sie sich dem Haus näherten, auf einen überwältigenden Kokosnussduft. Doch ein paar Schritte weiter gerieten sie in eine Zone, in der der Gestank des verfaulten Tintenfischs vorherrschte – die beiden

Vielleicht hatte diese Katastrophe auch eine chemische und biologische Ursache, denn Tintenfische haben (wie viele andere Weich- und Krustentiere) blaues Blut, kein rotes, weil die Evolution sie mit einem völlig anderen System zum Sauerstofftransport ausgestattet hat, als wir es haben. Während unser rotes Atmungspigment, das Hämoglobin, Eisen enthält, befindet sich in ihrem blaugrünen Pigment, dem Hämocyanin, Kupfer. Eisen und Kupfer haben beide zwei unterschiedliche «Oxidationszustände», das heißt, sie können in der Lunge leicht Sauerstoff aufnehmen, ihn in einen höheren Oxidationszustand versetzen und dann in den Geweben abliefern, wo er gebraucht wird. Aber warum Eisen und Kupfer verwenden, wenn es doch ein anderes Metall gibt – das Vanadium, das ihnen im Periodensystem benachbart ist –, das nicht weniger als vier Oxidationszustände hat? Ich fragte mich, ob Vanadiumverbindungen irgendwo als Atmungspigment verwendet wurden, und geriet in helle Aufregung, als ich hörte, dass einige Seescheiden, die dem Unterstamm der Manteltiere angehörten, außerordentlich reich an Element Vanadium waren und spezialisierte Zellen hatten, sogenannte Vanadozyten, die das Element speichern. Warum sich das so verhielt, war ein Rätsel; sie schienen nicht zum Sauerstoff-Transportsystem zu gehören.

Humphry Davy war für mich – wie für die meisten Jungen meiner Generation mit einem Chemiebaukasten oder einem Labor – ein strahlender Held; ein Junge im Jugendalter der Chemie; eine außerordentlich faszinierende Gestalt, so gegenwärtig und lebendig für uns wie jemand aus unserem Freundeskreis. Wir wussten alles über die Experimente, die er im Jugendalter durchgeführt hatte – vom Lachgas (das er entdeckte, beschrieb und in der Pubertät eine Zeitlang als Suchtmittel verwendete) bis zu seinen oft tollkühnen Experimenten mit Alkalimetallen, elektrischen Batterien, elektrischen Fischen, Sprengstoffen. Wir stellten ihn uns als einen jungen Byron vor, mit weit auseinanderstehenden, träumenden Augen.

Zufällig dachte ich gerade an Humphry Davy, als ich auf eine Anzeige für David Knights Biographie aus dem Jahr 1992 stieß – Humphry Davy: Science and Power. Sofort bestellte ich mir ein Exemplar. Ich war in wehmütiger Stimmung, dachte an meine Jugendzeit: an den romantischen Zwölfjährigen, der in tiefer Liebe – womöglich tiefer als jemals danach – zu Natrium und Kalium und Chlor und Brom entbrannt war; zu einem magischen Laden, in dessen dunklen Eingeweiden man chemische Stoffe für sein Labor kaufen konnte; zu dem schweren, enzyklopädischen Werk von Mellor (und, soweit ich sie entziffern konnte, zu den Handbüchern von Gmelin); zu

Wie Knight völlig zu Recht feststellt, ist Davy ein wunderbarer Gegenstand für Biographen, und es hat in den letzten anderthalb Jahrhunderten reichlich Biographien über ihn gegeben. Doch Knight als gelernter Chemiker, als Professor für die Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften an der Durham University und als ehemaliger Herausgeber des British Journal for the History of Science hat hier ein Werk vorgelegt, das sich nicht nur durch seine wissenschaftliche Qualität auszeichnet, sondern auch durch sein menschliches Einsichts- und Einfühlungsvermögen.

1778 wurde Davy in Penzance als ältestes von fünf Kindern eines Kupferstechers und seiner Frau geboren. Er besuchte die örtliche Gelehrtenschule und genoss seine Freiheit. («Ich erachte es für mein Glück, dass ich mir als Kind selbst überlassen blieb und nicht auf einen bestimmten Lehrplan festgelegt wurde», notiert er.) Als er die Schule mit sechzehn verließ, wurde er bei einem Apotheker und Bader in die Lehrer gegeben, doch diese Tätigkeit langweilte ihn, und er strebte nach Höherem. Vor allem die Chemie hatte es ihm angetan: Er las und verstand Lavoisiers Elemente der Chemie