Was mach ich hier eigentlich?
So 'ne Art Chinareiseroadmoviebildertagebuch
Comedyqueen Martina Hill hat seit Jahren eine große Fangemeinde – auch in China. Sie selbst erfährt allerdings erst davon, als sie nach Peking eingeladen wird, um in einer chinesischen Comedyserie mitzuspielen. Plötzlich steht sie vor dem größten Abenteuer ihres Lebens, denn die Sache hat einen Haken: Martina leidet unter extremer Flugangst und hatte bisher mit China – abgesehen von «Die 71 süß-sauer, aber bitte mit Tofu!» – nicht besonders viel zu tun. Todesmutig und vollkommen ahnungslos macht sie sich dennoch auf den Weg ins Land des Lächelns …
Ein China-Trip der etwas anderen Art: urkomisch und mit vielen Bildern und lustigen Geschichten aus Martinas Leben.
Martina Hill, 1974 geboren, studierte Schauspiel in Berlin. Bekannt wurde sie durch die Comedyserie «Switch reloaded». Aktuell ist sie in der «heute-show» und in ihrer eigenen Sketch-Comedy «Knallerfrauen» zu sehen. Hill wurde mehrfach mit dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Köln.
Marco Musienko, 1977 geboren, ist als Fernsehregisseur für Formate wie die «heute-show» verantwortlich. Unter seiner Regie entstanden die ersten vier Staffeln «Switch reloaded» und die Sketch-Comedy «Knallerfrauen». Er wurde ebenfalls mehrfach mit dem deutschen Comedypreis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Die folgenden Geschichten und Ereignisse geschehen und ereignen sich zum größten Teil in der Hauptstadt der Volksrepublik China , in Beijing – oder wie der Kölner sagt: «Peking».
Alle Informationen in diesem Buch entstammen – wie ich finde – sorgfältigster Recherche nach Google, Wikipedia, anderem Internet, dem Hörensagen und dem Prospekt eines Chinarestaurants, den ich kürzlich im Briefkasten hatte. Dann hab ich einige Informationen auch aus Reiseführern und dem, was ich so vor Ort aufgeschnappt und erlebt habe.
Manches habe ich allerdings auch geträumt, und bei manchem bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich es nicht vielleicht auch nur geträumt habe.
Sagen Sie, kennen Sie das nicht auch, wenn man manchmal im Leben an so ’n Punkt kommt, an dem man kurz innehält, sich umguckt und sich einfach nur fragt:
«Was mach ich hier eigentlich?»
Jedenfalls ging’s mir erst letztens wieder so. Da stand ich gerade nachts um kurz vor eins mit einer Strumpfhose überm Kopf mitten in Peking und war kurz davor, einen Getränkeladen zu überfallen. Und da … da kam mir plötzlich wie aus dem Nichts diese Frage in den Sinn: Was mach ich hier eigentlich?
Dabei fing alles ganz harmlos an …
Ich bin gerade aufgewacht. Mein Mund ist ganz trocken, und meine Augen brennen. Wo bin ich?
Ich schaue an mir herunter. Ich liege in zerwühlten Laken mit dem Kopf am Fußende eines Hotelbetts irgendwo in Peking. Ich versuche aufzustehen, aber eine unsichtbare chinesische Kraft zieht mich immer wieder magisch in die Matratze zurück …
Heute Nacht habe ich im Traum Kurt Cobain, dem Sänger von Nirvana, das Leben gerettet. Wie genau, weiß ich nicht mehr, aber ich konnte ihn irgendwie davon überzeugen, dass «sich mit der Schrotflinte das Gesicht wegwämmsen» langfristig gesehen kosmetisch keine besonders gute Lösung sei – und er habe doch so ’n hübsches. Hat er dann auch gleich eingesehen und es bleibenlassen. Jetzt vermietet er Strandkörbe auf Norderney. Er ernährt sich seit neuestem «vegan for fun» nach Attila Hildmann und hat das Duckface-Selfie für sich entdeckt.
Gott, bin ich müde. Kein Wunder, es ist ja auch erst vier Uhr nachts. Also in Köln. Hier in Peking is schon elf Uhr vormittags.
An den Rest des Traums erinnere ich mich nicht mehr. Nur noch an das Ende. Wir standen am Strand, und Kurt hat sich mehrfach recht herzlich bei mir bedankt und fröhlich kopfschüttelnd abgewinkt, das mit der Flinte sei aber auch ’ne Schnapsidee gewesen, die er nachher sicherlich bereut hätte. Freudestrahlend drückt er mir zum Abschied noch seine aktuelle Lieblings-CD in die Hand. Ich schaue auf das Cover. Es ist Farbenspiel von Helene Fischer. Als ich wieder aufschaue, ist er bereits dabei, den nächsten Strandkorb zu entsanden. Dabei pfeift er «Atemlos».
Komischer Traum. Jetzt hab ich ’n Ohrwurm.
Was mach ich hier eigentlich? In China?
Buddeln, bis der Chinese kommt.
Das Erste, was ich in meinem Leben über China und seine Bewohner wusste, habe ich im Kindergarten gelernt. Seitdem weiß ich, dass der Chinese an sich sehr musikalisch ist, außerordentlich kommunikativ und sehr gerne mit einem Streichinstrument – bevorzugt einem Kontrabass – auf der Straße sitzt, um sich was zu erzählen. Am liebsten zu dritt. Und zwar so lange, bis die Polizei kommt. Die allerdings nicht wirklich etwas unternimmt, sondern lediglich fragt, was das denn sei. Um sich dann mit der lapidaren Antwort – «Na, drei Chinesen mit dem Kontrabass, du Eumel» – recht schnell zufriedenzugeben.
Ähnlich verhält es sich übrigens auch mit den Chunusen, die allerdings mit einem Kuntrubuss uf dur Strußu sutzun. Ich hab das damals nicht hinterfragt.
Aber fleißig, wie ich war, hab ich sorgfältig mitgeschrieben. Beziehungsweise mitgemalt, schreiben konnt ich ja im Kindergarten noch nicht. Das sind meine Aufzeichnungen von damals:
Hier kann man sehr schön den überforderten Polizisten erkennen, wie er der Situation ratlos gegenübersteht. Leider hatte ich mit fünf Jahren noch keine rechte Ahnung von Perspektive und hab den Polizeiwagen dummerweise VOR die Chinesencombo gemalt.
Ganz nebenbei hab ich auf dem Bild auch noch Batman erfunden (rechts unten).
Ich hab sowieso viel gemalt damals. Das nächste Bild zum Beispiel trägt den Titel «Beim Bäcker».
Wie gesagt, Perspektive war noch nicht so mein Thema. Dass es sich hierbei um ein Brot und einen Tisch beim Bäcker handelt, kann selbst ich heute nur dank meiner Kindergärtnerin Frau Schnelle erkennen, die sich am 18. 4. 1980 erbarmt hat, meine Interpretation schriftlich festzuhalten. Was die anderen Kinder zu dem Thema «Beim Bäcker» gemalt haben, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich einen Bäcker. Aber ich habe damals schon weiter- – und vor allem ökonomisch – gedacht. Dieses Bild lässt sich nämlich auch prima für viele verschiedene Anlässe verwenden, wie zum Beispiel «Beim Frühstück», «Beim Abendessen», «Beim Geburtstag», «Beim Besuch von Tante Erna» – halt überall da, wo Brot auf den Tisch kommt.
Zurück zum Thema. Wie gesagt, die Geschichte mit den drei Chinesen war so ziemlich das Einzige, was ich lange Zeit über China wusste.
Als Kind hab ich auch gedacht, dass, wenn man ein Loch durch die Erde buddelt, dass man dann in China wieder rauskommt. Leider konnte ich diese Theorie nie endgültig überprüfen, dafür war die Sandkastenpause immer zu kurz.
Jetzt liege ich hier, 35 Jahre später, quasi am anderen Ende des Tunnels – hätten die mich damals mal in Ruhe zu Ende buddeln lassen. Aber wie bin ich nur hier hingekommen?
Alles begann mit einer E-Mail aus Peking. Darin wurde ich von einer chinesischen Produktionsfirma eingeladen, bei einer Comedysendung als Gast mitzuspielen.
Wie jetzt?
Ich?
In China?
Watt?
Bzw.:
?
Wie kommen die denn auf mich?
Das kam so:
Eines Tages war ich in Köln unterwegs zu einer großen mintfarbenen Drogeriekette – die Augencreme war alle. Und wie ich da so zielstrebig und angefaltet in der Einkaufsstraße meinen Anti-Aging-Produkten entgegensteuerte, wurde ich von einer Gruppe junger chinesischer Touristen angesprochen. Ich konnte nicht alles verstehen, aber offensichtlich wollten sie unbedingt, dass ich ein Foto von ihnen mache.
«Ja klar, kein Problem, die Falten können warten.» Doch anscheinend hatte ich da irgendetwas falsch verstanden – denn sie wollten mir die Kamera partout nicht geben.
«Die sind aber misstrauisch, so gefährlich sehe ich doch gar nicht aus», dachte ich so bei mir. Bis ich dann begriffen hatte, dass ich nicht ein Foto VON ihnen machen sollte, sondern eines MIT ihnen. O. k.! «Cheeeese!» Klick!
«We know you from China!», erklärte mir freudig die Besitzerin der Kamera.
«Och, das tut mir jetzt aber leid, da muss es sich um eine Verwechslung handeln. Ich war nämlich in meinem ganzen Leben noch nie in China. Aber trotzdem noch viel Spaß in Köln», winkte ich der Truppe nach und setzte meinen Weg Richtung zeitlose Schönheit fort. Weil ich es mir wert bin und damit ich auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. Mit der Kraft der zwei Herzen. Jeff! Ich heiße Jeff!
…
Falls Sie irgendwo einen roten Faden sehen – das ist meiner! Den muss ich hier gerade irgendwie verloren haben.
Weiter im Text:
Also, ich winkte damals der chinesischen Reisegruppe nach und setzte meinen Weg Richtung zeitlose Schönheit fort. Witzig. Da hab ich also, wie es scheint, eine Doppelgängerin in China. Wer hätte das gedacht? Eine Chinesin, die aussieht wie ich! … Wie die wohl aussieht?
Von da an häuften sich die Gruppenfotos mit chinesischen Reisegruppen und chinesischen Studenten und auch mit chinesischen Studentenreisegruppen. Und als sich herausstellte, dass meine Doppelgängerin in China anscheinend auch noch genauso heißt wie ich, machte mich das stutzig.
Meine Theorie mit der chinesischen Doppelgängerin begann fortan zu bröckeln.
Kurz darauf erklärte mir dann ein chinesischer Redakteur bei einem Interview mit der Deutschen Welle China, was es mit dem plötzlichen Trubel auf sich hatte: Offensichtlich hatten sich Sketche und teilweise ganze Folgen der Sat.1-Comedy-Serie Knallerfrauen, in der ich seit einigen Jahren mein Unwesen treibe, über das Internet bis nach China durchgeschlagen und dort die Runde durch die sozialen Netzwerke gemacht.
Einige Knallerfrauen-Folgen liefen dort angeblich sogar untertitelt im Fernsehen und in Linienbussen, während ich davon nichts ahnend in Köln auf dem Sofa Germany’s Next Topmodel geguckt habe.
Das erklärte natürlich einiges!
Zum einen die vielen Gruppenfotos mit Chinesen in der Kölner Innenstadt und zum anderen die Einladung nach Peking.
Krasse Sache. Ich in China! Wer hätte das gedacht?!
Also ich schon mal am allerwenigsten. Ich hatte nämlich bisher mit China – abgesehen von «Die 71 süßsauer – aber mit Tofu!» ehrlich gesagt nicht besonders viel zu tun.
Außerdem bin ich vom Sternzeichen her eher so der häusliche Typ: Krebs, Aszendent Couchpotato. Selbst im Urlaub bin ich bis dato noch nie über die Grenzen Europas hinausgekommen. Und schuld daran war nicht allein mangelnde Reiselust, sondern vor allem eine nicht ganz unwesentliche Einschränkung, was Fernreisen betrifft. Ich habe nämlich Flugangst. Und zwar so richtig.
Da mach ich auch kein Geheimnis draus, weil, spätestens auf dem Rollfeld weiß es eh das ganze Flugzeug.
Meine Freundin Jenny hat mir deswegen vor einigen Jahren zum Geburtstag einen Gutschein für einen Fallschirm-Tandemsprung geschenkt. «Damit wirst du deine Flugangst besiegen. Ich schwör’s dir!», meinte sie.
Spitzenidee! Ich fasse noch mal kurz zusammen: Ich habe FlugANGST. Und Höhenangst übrigens auch. Und Insektenphobie, was in diesem Fall eher nebensächlich ist … Und Jenny glaubt allen Ernstes, dass ich freiwillig in viertausend Meter Höhe aus einem Flugzeug rausspringe und danach geheilt bin? Hmmmm? Andererseits: Wenn Jenny das sagt, dann muss da was dran sein. Jenny kennt mich ja schon seit einer halben Ewigkeit und ist selbst sensibler Krebs. Außerdem bin ich eh schon lange auf der Suche nach einem coolen Hobby.
Also, was soll’s?! Zwei «Fliegen» mit einer Klappe. Yeah!
Ich also rein in die kleine Propellerkiste, geschnallt an einen attraktiven, braun gebrannten Fallschirmsprunglehrer (man hätte mich in dem Zustand allerdings auch an eine tiefgefrorene Schweinehälfte schnallen können, ich hätte den Unterschied nicht gemerkt), um dann aus dem Flugzeug «gesprungen zu werden», im freien Fall kopfüber durch die Luft zu wirbeln und zu guter Letzt mit einem Affenzahn auf ’nen alten Stoppelacker irgendwo im Osten zuzuschießen!
Ich weiß nich … so ’n Hobby soll doch auch entspannen …
Dass mir durch den Adrenalinschock nicht direkt alle Haare ausgefallen sind, grenzt an ein Wunder.
Liebste Jenny, falls du das hier liest – danke noch mal für eines der zumindest unvergesslichsten Erlebnisse meines Lebens. Ich weiß, du hast es gut gemeint.