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WUNDERKIND ERJAN

Hamid Ismailov

Aus dem Russischen
von Andreas Tretner

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Von 1949 bis 1989 wurden auf dem Atomwaffentestgelände von Semipalatinsk insgesamt 468 Kernexplosionen ausgelöst, davon 125 atmosphärische und 343 unterirdische. In der Summe übertraf die Sprengkraft allein der überirdisch in besiedelter Landschaft gezündeten Kernwaffen die der 1945 auf Hiroshima abgeworfenen Bombe um das 2500fache.

Aus einer Anhörung
im Kasachischen Parlament
vom 24. Juni 2005

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Inhalt

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Anmerkungen

Die Geschichte nahm einen durchaus prosaischen Anfang. Ich fuhr mit dem Zug durch die endlosen Weiten der kasachischen Steppe. Schon die vierte Nacht klopften Streckenwärter an einsamen Haltestationen mit ihren Hämmern gegen die Räder und fluchten etwas Kasachisches vor sich hin, während ich insgeheim stolz darauf war, diese Sprache zu verstehen. Auch tagsüber schwirrten immer wieder kasachische Frauen- und Kinderstimmen durch die Gänge und Einstiegsbereiche: An jeder Station stiegen neue Händlerinnen zu, die Kamelwolle oder Dörrfisch oder auch Qurt – getrockneten Quark in Kugelform – feilboten.

Das ist übrigens schon eine Weile her, kann sein, dass es heute anders ist, aber ich denke, es ist immer noch so.

Ich stand also im Gang und schaute hinaus in die Steppe, seit vier Tagen der gleiche öde Anblick, da nahte vom anderen Ende des Wagens her ein zehn-, zwölfjähriger Junge mit einer Geige in der Hand – auf der er plötzlich zu spielen anfing, und das so forsch und versiert, dass augenblicklich alle Türen aufgingen und verschlafene Passagiere die Köpfe aus den Abteilen streckten. Und es war keine Zigeunermusik oder sonst etwas Hiesiges, was er zum Besten gab, nein, er spielte einen Ungarischen Tanz von Brahms, er spielte ihn im Gehen, während er langsam durch den Gang auf mich zukam. Dann aber, als der ganze Waggon ihn offenen Mundes anstarrte, brach er sein Spiel unversehens ab, schulterte die Geige wie eine Flinte und brüllte mit satter, ganz und gar unkindlicher Stimme: »Originalgetränk aus der Region – garantiert bio!« Dabei ließ er einen Baumwollbeutel von der anderen Schulter rutschen und zog eine große Plastikflasche Ayran oder Kumys aus ihm hervor. Im Augenblick, noch ohne mir im Klaren zu sein, wozu, eilte ich zu ihm hin.

»Was soll dein Kumys kosten, mein Junge?«

»Erstens ist der Kumys nicht von mir, sondern von der Stute, zweitens ist es kein Kumys, sondern Ayran, und drittens bin ich kein Junge!«, erwiderte der Junge in akzentfreiem Russisch und herausforderndem Tonfall, mit satter, männlicher Stimme.

»Na, ein Mädchen wirst du doch nicht sein?«, versuchte ich die Situation mit einem Scherz zu retten.

»Ich bin kein Weib, sondern ein Mann. Zieh den Arsch blank, wenn du’s nicht glaubst!«, polterte der Knabe, dass der ganze Wagen es hörte.

Ich war unsicher, ob ich mich gegen seine Grobheiten verwahren oder ihn doch lieber besänftigen sollte, um dahinterzukommen, was ihn so fuchsig machte; immerhin war er in dieser Gegend zu Hause und durfte den Ton vorgeben. Ich lenkte also ein:

»Wenn ich dich gekränkt habe, entschuldige bitte! Brahms spielst du jedenfalls wie ein junger Gott …«

»Gekränkt, ach was. Mich kränkst du nicht so leicht. Lieber teile ich aus … Ich bin jedenfalls kein Kind. Vergiss meine Größe, ich bin 27. Kapiert?« Das Letzte raunte er nun schon.

Nun war ich wirklich baff.

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So also fing die Geschichte an. Dem Anschein nach ein ganz normaler Junge von zehn, zwölf Jahren, keinerlei Anomalien, die auf Kleinwüchsigkeit hindeuteten – keine auffällig verkürzten Extremitäten, kindlich faltenloses Gesicht, und dann dies:

» … ich bin 27. Kapiert?«

Natürlich glaubte ich ihm erst einmal nicht, was mir wohl anzusehen war.

»Hier, guck dir meinen Ausweis an.« Mit routinierter Bewegung zog er ihn aus der Innentasche.

Während er den verzückten Tanten (»Wo hast du denn so schön spielen gelernt?« – »Kannst du auch ›Schwarze Augen‹ spielen?« – »Und ›Katjuscha‹?«) seinen Ayran verkaufte, glotzte ich wie ein Idiot abwechselnd in das Büchlein und ihm ins Gesicht. Vollkommene Übereinstimmung: Vom Passfoto schaute mich das unschuldige Kindergesicht des Ausweisinhabers an.

»Wie heißen Sie?«, fragte ich konsterniert und hilflos, als die Verkaufsaktion für einen Moment ins Stocken kam.

»Erjan«, erwiderte er lässig und tippte mit dem Zeigefinger in den Ausweis.

»Ja, dann sollte ich vielleicht auch … eine Flasche von deinem … also vom Ayran …«, stammelte ich blöd, es sollte wie eine Entschuldigung klingen. Er steckte den Ausweis wieder ein und hielt mir eine Flasche hin.

»Da, nimm. Die letzte. Sagtest du Brahms?«

Ich ging in mein Abteil, um das Geld zu holen, und weil der Alte in der Koje gegenüber schlief wie ein Bär, bot ich Erjan an, bis zum Aussteigen bei mir Platz zu nehmen: Stehen mache bekanntlich nicht klüger …

»Sondern?«, kam die Erwiderung, bissig wie zuvor; doch schien sie weniger an mich gerichtet als an den durch die Steppe jagenden Zug, an die auf Erden brutzelnde Steppe, an die zwischen Licht und Finsternis dümpelnde Erde, an die Finsternis …

Erster Teil

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Anmerkungen zu den mit * markierten Stellen sowie Erläuterungen zu Transkription und Aussprache und zu kasachischen Verwandtschaftsbezeichnungen im Anhang des Buches.

Geboren wurde Erjan auf der Bahnstation Qara-Shaǵan der Ostkasachstanischen Eisenbahn in der Familie seines Großvaters Daulet-Temirjol*, der hier Streckenwärter war – einer von denen, die nachts mit Hämmern Radscheiben und Bremsbacken zum Tönen bringen und am Tage hin und wieder einmal – auf den Anruf des Dispatchers hin – vor die Tür treten, um die Weiche umzustellen, wenn nämlich irgendein müde gelaufener Güterzug auf dem Nebengleis stehen und abwarten muss, dass ein Schnellzug ähnlich dem unseren oder ein Sonderzug die Station wie ein Wirbelwind passiert.

Wiewohl also Erjan behütet in der Familie seines Großvaters zur Welt gekommen war, stand in seiner Geburtsurkunde unter »Vater« ein fetter Strich; verzeichnet war nur die Mutter, Qanyshat, Tochter von Daulet-Temirjol, die gleichfalls im Hause lebte – einem von zwei Eisenbahnerhäusern an dieser Station; neben dem Großvater, Erjan und ihr lebten auch noch Großmutter Ulbarsın und ihr Jüngster, Kepek-Naǵashı hier. In dem anderen wohnte die Familie des zweiten Stellwärters, Nurpeyis, Gott hab ihn selig, der von einem außerplanmäßigen Zug überrollt worden war: seine Frau, Tante Sholpan-Sheshe, sowie deren Sohn Shaken und Schwiegertochter Bayshishek, die Städtische, und beider Tochter Aysulu, die ein Jahr jünger war als Erjan.

Damit war die Bevölkerung von Qara-Shaǵan auch schon komplett – abgesehen von einem halben Hundert Schafen, fünf Kühen, drei Eseln, zwei Kamelen und dem Hengst Ayǵır, sämtlich in Gemeinbesitz. Außerdem war da noch der Hund Qaptı, der sich aber meistenteils bei Aysulu aufhielt, weshalb Erjan ihn nicht mitrechnete, ebenso wenig die Schar staubiger Hühner samt ein paar lärmseligen Hähnen, deren Zahl sich so undurchschaubar schnell vermehrte, wie sie auch wieder abnahm, sodass keiner auf der Station genau wusste, wie viele es gerade waren.

Was die Undurchschaubarkeit der Vermehrung anging, so war auch nicht klar, durch wen und auf welche Weise Erjans Mutter Qanyshat mit ihm schwanger geworden war. Verflucht dafür von ihrem Vater, hatte sie in Gegenwart ihres »in Keuschheit empfangenen« Sohnes kein Wort je darüber verloren. Was Erjan von seiner Großmutter Ulbarsın wusste, war, dass Qanyshat einmal im Alter von sechzehn Jahren in die Steppe gerannt sei, ihrem Seidentuch hinterher, dass der Steppenwind davongetragen habe, wie um sie zu foppen, immer tiefer und tiefer in die Steppe hinein, der untergehenden Sonne entgegen. Und was sich dann zugetragen hatte, klang so märchenhaft, dass Erjan sich keinen Reim darauf machen konnte: Die untergehende Sonne sei plötzlich zurück in den Himmel geschnellt, ein Beben sei vom Horizont her durch die Erde gegangen, der brausende Wind mit einem Mal erstorben und im nächsten Moment in die Gegenrichtung zurückgebraust, ihm auf den Fersen ein schwarzer Taifun, der mit unerhörtem Getöse den Staub der Steppe himmelan getrieben – und als Qanyshat, mehr tot als lebendig, bis aufs Blut zerkratzt und zerschunden, sich im Auge des Taifun, am Grunde einer Schlucht wiedergefunden habe, da sei ein Wesen über sie gestiegen wie von einem anderen Stern, in Helm und außerirdischem Anzug.

Kurzum, bei dieser Gelegenheit sei Qanyshat schwanger geworden, und drei Monate später, als die Schwangerschaft offenkundig war, hat Daulet-Aqa sie furchtbar verprügelt und verflucht, und wären nicht Kepek und Shaken gewesen, die den wutschäumenden Alten von der halbtoten Tochter gerissen und zu Sholpan-Sheshe hinübergezerrt, so hätten wohl weder Qanyshat noch ihr Sohn Erjan diesen Tag überlebt …

Von Stund an aber hatte Qanyshat kein Wort mehr gesprochen.

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Kein Wort also von der Mutter, doch die übrigen Frauen, und allen voran Ulbarsın und Sholpan, hielten ihre Zunge nicht im Zaum. Erjan entsann sich an grimmige Winternächte, als es durch alle Ritzen hereinpfiff und er zu Großmutter unter die kamelwollene Decke schlüpfte, damit sie ihm ihre nicht enden wollenden Geschichten erzählte, dabei kratzte sie ihm das von wimmelnden Würmern juckende Poloch.

»Bei Täñgir* im neunten Himmel wächst der heilige Baum Qayıñ, an dem das Qut hängt, als wären es Blätter.«

»Das Qut, was ist das?«, fragte Erjan immer noch fröstelnd; das Wort verwunderte ihn, weil es nach Köt – Arsch – klang.

»Das ist das Glück. Wenn man’s warm hat und satt ist«, erwiderte die Großmutter, und weiter ging ihr unversiegliches Wispern: »Als deine Geburt bevorstand, ist das Qut vom Baum gefallen und durch den Rauchfang in unser Haus geplumpst, ganz wie es dem Täñgir und unserer Großen Mutter Umay gefiel. Das Qut fiel deiner Mutter in den Bauch und nahm in ihrem Schoß die Gestalt eines roten Wurms an …«

»Ist es der, den du mir grad aus dem Po kratzt?«

Die Großmutter prustete und klatschte ihm mit der runzligen Hand – derselben, die ihm eben noch das Löchlein geschabt – zärtlich auf die Wange.

»Schlaf, du kleiner Quatschkopf, sonst zürnt Mutter Umay und nimmt dir noch dein Qut weg!«

Andermal wieder, wenn er bei Tante Sholpan nächtigte – der niedlichen Aysulu wegen, der er schon ins Ohrläppchen gebissen hatte, um sie später einmal zu heiraten – war es an Sholpan-Sheshe, ihm von seiner Geburt zu erzählen, wobei sie das Märchen von Täñgirs Sohn Geser einzuflechten pflegte.

»Täñgir sandte Geser hinab auf die Erde, in ein Steppenreich, das keinen Herrscher hatte.«

»Etwa zu uns?«, fuhr Erjan auf, doch ein Blick der Tante, halb verschmitzt, halb strafend, ließ ihn verstummen.

»Damit ihn niemand erkannte, erschien Geser in Gestalt eines rotznäsigen kleinen Jungen, wie du einer bist«, fuhr Sholpan-Sheshe fort und nutzte die Gelegenheit, ihm in die Nase zu kneifen, worauf Erjan niesen musste, sodass, um die in ihrer Wiege schlummernde Aysulu nicht zu wecken, die Großmutter seine Nase schleunigst fahren ließ und die ihre zärtlich an seiner Stirn rieb, ehe sie die Geschichte wiederaufnahm:

»Einzig Qara-Shotoñ, der sein Onkel war, so wie Kepek-Naǵashı deiner ist, hat erkannt, dass der Junge kein einfaches Kind, sondern göttlicher Abkunft war, und fing an, ihm nachzustellen; er wollte ihm den Garaus machen, bevor er groß und stark würde. Aber Täñgir hat Geser jedes Mal vor den Untaten des Qara-Shotoñ bewahrt. Als Geser zwölf wurde, sandte Täñgir ihm das beste Reitpferd auf Erden, und Geser gewann das große Wettreiten um die schöne Urmay-sulu und eroberte den Thron dieses Steppenreiches.«

»Kasachst…«, lag es Erjan auf der Zunge zu sagen, doch er sah die funkelnden Augen der Sheshe und hielt an sich.

»Doch nicht lange durfte der wackere Geser sein Glück und seine Ruhe genießen, denn vom Norden her drang der furchtbare menschenfressende Dämon Lubsan in sein Reich vor. Zwar geschah es, dass sich des Menschenfressers Weib Tümen Djirǵalañ in Geser verliebte und ihm daher ein Geheimnis ihres Mannes preisgab, welches Geser benutzte, um Lubsan totzuschlagen, doch darauf verabreichte Tümen Djirǵalañ ihm einen Vergessenstrunk, um ihn an sich zu binden. Geser trank den Becher leer, vergaß seine geliebte Urmay-sulu und blieb bei Tümen Djirǵalañ wohnen.

Unterdessen brachen im Steppenreich Revolten aus, und Qara-Shotoñ nahm sich Urmay-sulu gewaltsam zur Frau. Täñgir aber ließ Geser nicht im Stich, er führte ihn ans Tote Meer und befreite ihn von dem Zauber, indem er ihm das Spiegelbild seines Zauberpferdes im Wasser zeigte. Auf diesem Pferd kehrte Geser in sein Steppenreich zurück, schlug Qara-Shotoñ und befreite seine Urmay-sulu …«

Spätestens an dieser Stelle war Erjan, dem an Sholpan-Sheshes Busen ausreichend warm geworden, selig entschlummert; das Ende des Märchens, das ihm sein künftiges Leben voraussagte, träumte er in einem flauschigen Kindertraum.

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Die Wege durch die Steppe – und seien es Schienenwege – sind lang und eintönig; verkürzen lassen sie sich nur im Gespräch. Erjan erzählte mir aus seinem Leben. Sein Bericht war dem Schienenstrang ähnlich – ohne viel Biegungen und Schleifen, er floss dahin, so wie die Drähte draußen längs der Strecke, von Mast zu Mast schwingend, dahinflossen, und das Klopfen der Schienenstöße schien der Erzählung Takt um Takt, Takt um Takt den Rhythmus vorzugeben. Seine frühe Kindheit erinnerte er als ein fortwährendes Hin und Her zwischen beiden Häusern, von sich zu Aysulu hinüber – nicht nur der hübschen kleinen Prinzessin zuliebe, die der Sprache noch nicht mächtig war und der er das Ohr angeknabbert hatte zum Zeichen eines frühen Verlöbnisses – nein, vor allem des stahlblitzenden Krimskrams wegen, den Shaken-Köke reichlich vom Dienst mitbrachte, wenn er wieder einmal einen ganzen Monat weg gewesen. Er arbeitete irgendwo in der Steppe, davon wird noch die Rede sein. Wie auch von dem Fernseher, um dessentwillen es Erjan erst recht zu Shaken-Köke hinüberzog, als der dieses Wunder eines Tages aus der Stadt anschleppte; an ihm klebten sie fest und ließen sich verschlucken.

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Vorher aber noch das:

»Was die Weiber so zusammenschwatzen!«, pflegte sein Großvater zu sagen, wenn er sich den Jungen an Frühlingstagen mit dem Hüfttuch auf den Rücken band und seinen flinken Apfelschimmel bestieg. Dann galoppierten sie durch die Steppe jenseits der Bahnlinie, deren Beaufsichtigung der Großvater an solchen Tagen seinem Sohn Kepek überließ. Schweigend ritten sie – nur so zum Spaß, wie es schien – durch das schwellende, von Tulpen gesprenkelte Grün, und der Wind, der ihnen noch kalt um die Seiten strich, brannte Erjan die schrundigen Wangen rot.

Einmal kamen sie an eine Schlucht, hinter der ein paar vereinzelte Hügel aufragten, und der Großvater sprach wie beiläufig:

»Hier haben wir dich aufgelesen, Ulım* …«

Und gleich jenseits dieser Schlucht – jetzt im Frühling mit einem rauschenden Flüsschen am Grund, über das eine hölzerne Hängebrücke, Shaytan Köpir*, führte – wuchs in ganzer Breite Stacheldraht aus dem Boden; der Großvater aber, sein hitziges Pferd zügelnd, sprach ein Wort, das Erjan nicht verstand: »Sona*!« – und wie er es sagte, mit einer abwinkenden Geste seiner Reitpeitsche, klang es in den Ohren des Jungen wie eine surrende Fliege oder eher eine Bremse, wie sie an trägen Tagen den Kühen um die Köpfe kreiste, nun trug sie auf einmal den klingenden Namen Sona.

Dies also der Moment, da jenes rätselhafte Flügeltier in Erjans Leben vordrang und über der kindlichen Einbildung zu surren anfing. Zumal als sich herausstellte, dass sein Onkel Shaken an diesem Ort Dienst tat.

Einstweilen aber breitete der Großvater in der Schlucht das Hüfttuch aus, mit dem er sich Erjan auf den Rücken gebunden hatte, nahm seine Dombıra von der Schulter und hob zu singen an, dass es nur so schallte:

Bir jasta, eki jasta besiktamın,

Bes jasta Täñgir bergen nesiptemin,

Altı jasta qayıñnıñ tozındaymın,

Jetti jasta oypon jer bozındaymın,

On jasımda süt ämgän qozıdaymın,

On beste jorǵa oynaǵan laqtaymın.

Bin ich ein Jahr oder zwei,

lieg ich in der Wiege.

Bin ich fünf, bin ich in dem,

was mir Gott beschieden.

Bin ich sechs, so kannst du mich

als Birkenpollen denken.

Bin ich sieben, bin wie Reihergras

ich in einer Senke.

Bin ich zehn, bin ich ein Lamm,

nuckle pausenlos.

Mit fünfzehn dann ein bockig Füllen –

geh pass und wär gern groß.

Ein altes Lied, das Großvater Daulet von wer weiß woher in die Seele gefallen war … Woher hätte Erjan ahnen sollen, dass es von ihm handelte, sein künftiges Leben vorwegnahm?

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Und auch wenn der Großvater die Weiber allesamt als Klatschbasen ansah – die Geschichte von Geser hakte sich in Erjans Gemüt nicht weniger fest als des Großvaters Dombıraspiel, und während Großmutter Ulbarsın ihm, bevor sie seine Haare mit Sauermilch wusch, den Kopf nach Läusen absuchte, die den Winter über ordentlich fett geworden waren, fragte Erjan sie aus: woran dieser Geser