Luise Rinser
Vom Sinn der Traurigkeit
FISCHER Digital
Luise Rinser, 1911 in Pitzling in Oberbayern geboren, war eine der meistgelesenen und bedeutendsten deutschen Autorinnen nicht nur der Nachkriegszeit. Ihr erstes Buch, ›Die gläsernen Ringe‹, erschien 1941 bei S. Fischer. 1946 folgte ›Gefängnistagebuch‹, 1948 die Erzählung ›Jan Lobel aus Warschau‹. Danach die beiden Nina-Romane ›Mitte des Lebens‹ und ›Abenteuer der Tugend‹. Waches und aktives Interesse an menschlichen Schicksalen wie an politischen Ereignissen prägen vor allem ihre Tagebuchaufzeichnungen. 1981 erschien der erste Band der Autobiographie, ›Den Wolf umarmen‹. Spätere Romane: ›Der schwarze Esel‹ (1974), ›Mirjam‹ (1983), ›Silberschuld‹ (1987) und ›Abaelards Liebe‹ (1991). Der zweite Band der Autobiographie, ›Saturn auf der Sonne‹, erschien 1994. Luise Rinser erhielt zahlreiche Preise. Sie ist 2002 in München gestorben.
In diesem erstmals 1962 veröffentlichten Essay nähert sich Luise Rinser dem Begriff der Schwermut, ihrer Motive und Konsequenzen. Mittels einer genauen Analyse wird die Schwermut von verwandt erscheinenden Begriffen abgegrenzt und in ihrem historischen Kontext betrachtet. Rinser schlägt dabei einen Bogen von Thomas von Aquin über Kierkegaard bis hin zu der Frage, ob sich der Schwermütige an Gott schuldig macht. Denn: »ohne Hoffnung ist man kein Christ«. Anders als die Verzweiflung beinhaltet Schwermut für Rinser jedoch immer auch Hoffnung. Der mit dem Leiden vertrauten christlichen Existenz kann sie so zu einer Quelle des Trostes werden, zur »felix tristitia« eben.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-561242-2
Wer sich daran begibt, in der Literatur, sei es in der psychologischen, philosophischen oder theologischen, eine klare Bestimmung dessen zu finden, was Schwermut sei, der wird feststellen, daß das Wort Schwermut nirgendwo als terminus technicus erscheint. Es gibt viele andere Wörter, die, obenhin betrachtet, als Synonyma vorkommen, so Melancholie, Depression (dies in der Psychopathologie und Psychiatrie), so Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung (vor allem in der Philosophie und Theologie). Um so öfter finden wir das Wort Schwermut in der Dichtung. Es scheint zunächst, als sei es damit einer poetischen Unbestimmtheit ausgeliefert und als müsse es, fortgewiesen selbst aus den nicht-exakten Wissenschaften, allezeit heimatlos geistern in dem dunklen und vagen Bereich zwischen Traurigkeit, Depression und Verzweiflung, um keines von allem ganz zu sein und von allem etwas. Aber ich glaube, daß jedem Ding, das existiert, sein ihm eigenes Wort zugehört, und daß jedes Wort nur ein einziges Ding treffend zu bezeichnen vermag, und darum glaube ich, daß es etwas gibt, das Schwermut heißt und unverwechselbar Schwermut ist. Es hat sich allezeit die Methode bewährt, festzustellen, was etwas nicht ist, um auf solchem Umwege zu finden, was es denn sei. Diese Methode hier anzuwenden, erweist sich als schwierig, denn jene Begriffe, von denen der Begriff der Schwermut scharf abgesetzt werden soll, sind selbst nicht exakt. So müssen wir denn zuerst versuchen, auch jene anderen Begriffe so klar wie möglich herauszuschälen. Eine große Hilfe bietet immer die Sprache.
In dem Worte Schwermut meint «Mut» das Gemüt, und Gemüt bezeichnet die Einheit der geistigen und sinnlichen Gefühle.