Andreas Schlüter | Irene Margil
In der Abseitsfalle
Mit Bildern von Michael Vogt
FISCHER E-Books
Liebe Leserinnen und Leser,
diese Geschichte ist frei erfunden. Nichts davon ist wirklich passiert.
Wir danken Zeljko Ristic, ehemaliger Jugendtrainer bei Hertha BSC und heute Streetworker, für seine fachliche Beratung. Er gehört in Berlin zu einem Organisations-Team, das regelmäßig Straßenfußball-Touren veranstaltet.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: GarstenYoung Marketing,
Kommunikation für junge Zielgruppen unter Verwendung einer Illustration von Michael Vogt
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-4994-4
Pedro stand auf seinem Bett und machte sich so lang wie er konnte. Auf Zehenspitzen pinnte er eine Flagge direkt zu den Porträts seiner Lieblingsspieler. Neben dem Bett lagen fein säuberlich gefaltet weitere brasilianische Nationalflaggen in verschiedenen Größen und aus unterschiedlichen Materialien. Pedro war mächtig stolz auf seine Sammlung, die er nun auflösen und der Spendengala zur Verfügung stellen wollte. Der Erlös sollte einem Bolzplatz für die Kinder, die in den Containern wohnten, und deren Nachbarn zugutekommen. Nur eine Flagge, die größte, behielt er. Pedro sprang vom Bett und betrachtete die Wand.
In einer Reihe hingen dort Thomas Müller, Jonas Hector, Ronaldo, Mesut Özil, Julian Weigl und: das Foto mit Jérôme Boateng und ihm selbst. Boateng hatte den linken Arm auf Pedros Schulter gelegt und streckte den rechten Daumen hoch. „Niemals aufgeben!“, lautete Pedros Motto, das er von Boateng gelernt hatte. Seit dem Tag ihrer Begegnung im Vereinsheim hatte sich Pedro schon öfter daran zurückerinnert, besonders in Momenten, in denen er traurig oder ratlos war. Neben diesem Bild hing nun die Nationalflagge von Brasilien. Sie ließ ihn an seinen Großvater denken. Pedro wollte ihm später gleich ein Foto von der Wand nach Brasilien senden. Er war sehr gespannt, ob Opa sein Versprechen einhalten konnte. Er wusste, Opa würde alles dafür tun, um seinen Wunsch nach einer Autogrammkarte von Neymar zu erfüllen.
„Überraschung von Opa Antonio für dich!“, rief seine Mutter genau in diesem Moment durch den Flur. Sie kam in sein Zimmer und streckte ihm ein Paket entgegen.
„Ein Paket?“, wunderte sich Pedro, nahm es und riss es sofort auf. Für ein Autogramm brauchte man doch kein Paket?
Im Karton lag ein Fußball! Pedro nahm ihn heraus und betrachtete ihn von allen Seiten. Da erkannte er es – Wahnsinn!
„Schau mal, Mama! Neymars Autogramm ist auf dem Ball!“, rief er und konnte es kaum glauben. Er hielt seiner Mutter den glänzenden Ball entgegen. Dann entfaltete er den beiliegenden Brief und las.
„Ich kann sofort damit spielen, schreibt Opa!“, rief er anschließend. „Das schadet der Unterschrift überhaupt nicht! Toll, oder?“
„Na dann? Worauf wartest du noch?“, fragte seine Mutter und lächelte. Pedro legte den Brief in seine gelbgrüne Schachtel. „Briefe von Opa Antonio“ stand darauf, daneben klebte ein Foto von seinem Großvater als junger Fußballer.
Pedro rannte mit dem Ball unter dem Arm das Treppenhaus hinunter und nach draußen. Vor der Haustür blinzelte er in den blauen Himmel. Schäfchenwolken und Sonne. Die Bedingungen für ein Spielchen konnten nicht besser sein!
Plötzlich sauste ein Ball über ihn hinweg. Pedro zog den Kopf ein, dann schaute er dem Ball hinterher und beobachtete, wie er direkt ins Küchenfenster von den Obermeyers im ersten Stock krachte. Die Glasscheibe zersplitterte unter lautem Klirren. Pedro zog vor Schreck den Kopf noch tiefer ein.
Das zerbrochene Fenster öffnete sich. Dahinter erschien Herr Obermeyer im Unterhemd. „WEEER WAR DAS?“, brüllte er mit hochrotem Kopf auf die Straße hinaus.
Pedro sah sich um. Im selben Moment riss ihm jemand blitzartig seinen Ball aus den Händen.
„Wer wohl?“, rief Ulf, der plötzlich neben ihm stand und Pedros Ball nach oben hielt. Er zeigte auf Pedro und grinste. Ulf war der Anführer der ‚Knödel‘. So nannten die Haie die Mannschaft der älteren Jungs auf dem Bolzplatz. Wo Ulf und die Knödel auftauchten, war Ärger nicht weit. So auch dieses Mal.
„PEDRO!“, schimpfte Herr Obermeyer. „Das hätte ich mir ja denken können. Na warte! Das werde ich mit deinem Vater bereden! Den Ball behalte ich solange!“ Herr Obermeyer hielt Ulfs Ball wie eine Trophäe in die Höhe und verschwand in seiner Wohnung.