Der Zaubergarten

Nelly Möhle

Der Zaubergarten

Geheimnisse sind blau

Mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Nelly Möhle

© privat

Nelly Möhle liebte es als Kind, durch den riesigen Garten ihrer Großeltern zu streifen und sich Geschichten auszudenken. Zwischen Rosenranken und geheimnisvollen Tannen ließ sie ihrer Phantasie freien Lauf, und irgendwann begann sie, ihre Geschichten aufzuschreiben. ›Der Zaubergarten – Geheimnisse sind blau‹ ist Nelly Möhles Debüt und so überbordend und fröhlich wie ein bunter Blumengarten. Die Autorin lebt mit ihrer Familie, einem Hund und einer hundertjährigen Schildkröte in Offenburg.

© Klaus Renner

Eva Schöffmann-Davidov, Jahrgang 1973, ist eine der renommiertesten Kinder- und Jugendbuchillustratorinnen Deutschlands. Nach ihrem Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Augsburg machte sie sich in der Kinder- und Jugendliteratur schnell einen Namen und gewann zahlreiche Preise für ihre Gestaltungen. Als Fachhochschuldozentin gab sie ihr Wissen auch an junge Künstler weiter. Heute illustriert sie Kinderbuchserien und Jugendbücher unter anderem von Bestsellerautoren wie Kerstin Gier oder Tanya Stewner. Die Illustratorin lebt mit ihrer Familie in Augsburg..

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage gibt es unter www.fischerverlage.de

Impressum

Zu diesem Buch ist bei Hörbuch Hamburg ein Hörbuch erschienen, das im Buchhandel erhältlich ist.

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, D-60596 Frankfurt am Main

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Covergestaltung: Eva Schöffmann-Davidov, unter Mitarbeit von MT Vreden

Coverillustration: Eva Schöffmann-Davidov

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-7336-5131-2

Für Lilly und Louis

Es war der letzte Samstag im Mai, also vor noch nicht einmal einem Monat. Ich stand am Küchenfenster und sammelte die toten Fliegen auf dem Fensterbrett ein. Eine fürchterliche Langeweile hatte mich gepackt. Normalerweise hätte ich mich an so einem Tag mit meiner besten Freundin Lea verabredet. Aber das ging nicht mehr. Denn die wohnte jetzt in einer anderen Stadt, weit, weit weg.

»Matilda!« Mama musste im Flur sein. »Tilda-Schatz, ich hab hier jemanden für dich!«

Das Haar des Mädchens, das Mama im nächsten Moment in die Küche schob, glänzte wie das schwarze Fell eines Panthers.

»Anni ist die Tochter meiner alten Freundin Renate. Die beiden sind erst letzte Woche zurück in die Stadt gezogen

Aha.

»Hallo!«, sagte das Panther-Mädchen und grinste mich mit ihrem großen Mund lustig an.

»Ihr seid auch noch gleich alt! Womöglich kommt Anni in deine Klasse!«, rief Mama und freute sich wie verrückt. Sie schob Anni ein Stück in meine Richtung. »Du wolltest doch mit den Zwillingen zum Schuppen gehen, Tilda. Den würde Anni sich bestimmt gern anschauen!«

Mama zwinkerte mir zu. Und verschwand durch die Küchentür.

Ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte. Anni wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. So lange schwarze und wunderschöne Schneewittchenhaare hatte ich mir immer gewünscht. Meine Locken sind braun-blond gemischt. Wie der Pudel von Frau Rössel, sagt mein Bruder Finn. Das stimmt aber nicht, weil der Pudel immer geschoren wird, während meine Locken wachsen, seit ich aus Mamas Bauch gekrochen bin!

Aber gut.

»Willst du mit in unser Geheimversteck?«, fragte ich schließlich.

»Aber meine älteren Brüder Finn und Jonas gehen auch mit«, warnte ich sie.

»Super!«

Die hatte wohl keine Brüder.

Egal. Ein gleichaltriges Mädchen, das aussieht wie ein Panther und grinst wie Pippi Langstrumpf, konnte so verkehrt nicht sein.

Zu viert machten wir uns wenig später auf den Weg zu unserem Geheimversteck.

Unser Schuppen steht im Garten von Oma und Opa, nur eine Straße weiter.

Finn und Jonas hatten den Fußball mitgenommen und kickten ihn hin und her.

»Die beiden sehen ja absolut gleich aus«, sagte Anni.

»Ja, schon. Ich kann sie leicht auseinanderhalten. Weil sie total unterschiedlich sind: Finn ist wie ein Löwe. So ein Löwenmännchen habe ich im Fernsehen gesehen. Er denkt, er ist der Allerstärkste. Und er reißt sein Maul zum Brüllen ganz weit auf!«

Anni sagte: »Er hat auch eine Mähne wie ein Löwe.«

»Du magst Tiere«, stellte Anni fest.

»Ich liebe Raubkatzen!«, sagte ich. »Und alle anderen Tiere auch. Außer Zecken. Zecken finde ich total eklig!«

Ich liebe wirklich alle Tiere, selbst Läuse. Von denen habe ich mal welche aus der Schule mitgebracht. Papa musste uns allen eine stinkige Paste in die Haare schmieren und Plastiktüten auf den Kopf setzen. Selbst Mama und Papa hatten eine Tüte auf. Und wir durften alle einen Tag zu Hause bleiben und Spiele machen. Schön war das.

Wieder lachte Anni. Sie holte ihr Lachen ganz tief aus dem Bauch heraus. Hohohooo! Fast wie der Weihnachtsmann.

Meine Brüder lachten nicht mehr.

»Kannst du nicht ein einziges Mal gerade schießen?«, meckerte Jonas.

»Mein Schuss ist wie immer genial! Dein Babyball eiert!«, rief Finn.

Inzwischen waren wir in der Scheffelstraße 14 angekommen. Neben dem Haus von Oma und Opa schlüpften wir durch das versteckte Gartentörchen.

Anni staunte: »Das ist ja ein Park. Sogar Wege gibt es hier!«

Ich bin immer richtig stolz auf den Garten. Obwohl er mir ja gar nicht gehört. Er ist riesig und mit vielen uralten Bäumen und Büschen bewachsen. Und zwischen all den Bäumen und Büschen gibt es immer wieder kleine Grasflächen und Blumenbeete und Bänke, auf denen Oma sich ausruhen kann.

Opa ist besonders stolz auf seinen Rosengarten. Er hat ihn vor unzähligen Jahren angelegt. Papa sagt, allein Opas Rosengarten ist so groß wie unser gesamtes Reihenhausgrundstück.

Jedenfalls steht hinter all den Rosen und Sträuchern und Bäumen, direkt an der großen Gartenmauer, unser Schuppen. Opa hat ihn uns geschenkt.

Wir nahmen den linken Gartenweg an der großen Steinmauer entlang. Meine Brüder stritten sich inzwischen wie verrückt.

»Du bekommst keinen einzigen Schuss gerade hin«, rief Finn gerade. Er kickte den Ball gegen die Mauer und fing ihn wieder auf.

»Gib den Ball her!«, schrie Jonas.

»Hol ihn dir doch, du Zwerg!«, äffte Finn und hob den Ball mit gestreckten Armen über den Kopf.

»Du Knallfrosch!«, brüllte Jonas. »Der war teuer! Den holst du wieder!«

Finn glotzte immer noch dem Ball hinterher. »Äh«, sagte er schließlich. »Jetzt hab ich mich echt mal verschossen!«

Jonas’ Gesicht war knallrot, und die hellblonden Haare standen wild ab. »Mir grad egal, du mieser Torschützenkönig! Hol mir den WM-Ball wieder! Sonst passiert was Schreckliches, ich schwör es!«

Finn knabberte an seinem Daumennagel. Und stierte auf die Mauer.

»Die Mauer ist ja riesig! Da kommt man nie im Leben drüber!«, sagte Anni und legte den Kopf in den Nacken.

»Wir dürfen sowieso nicht über die Mauer klettern«, sagte ich, »strengstes Gartengesetz. Opa sagt, dass wir niemals nie in den Nachbargarten klettern dürfen, egal was passiert!«

»Warum nicht?«, fragte Anni. »Wer wohnt denn dort drüben?«

»Da wohnt ein Herr Bovist«, sagte ich.

»Oh! Ja, das hört sich echt gruselig an!«, rief Anni. »Hohohooo!«

Aber gut, sie konnte ja auch nicht Bescheid wissen. Also erklärte ich es ihr:

»Hinter dieser hohen Steinmauer liegt gut versteckt ein riesiges Grundstück. Niemals werden die Bäume und Büsche dieses Anwesens geschnitten. Kein Mensch kann einen Blick hineinwerfen. Die große Mauer, von der das gesamte Grundstück eingeschlossen ist, kann nur durch ein großes Eisentor betreten werden. Allerdings ist dieses Tor immer verschlossen, und eine Klingel gibt es nicht.«

Anni kratzte sich den Bauch. »Und dieser Herr Bovist? Wo steckt der?«

»Tja«, antwortete ich. »Herr Bovist lebt irgendwo auf diesem Grundstück. Wie ein Einsiedler, sagt meine Tante Ilse. Und die weiß einfach alles, was hier in unserer Stadt passiert. Und vor allem weiß sie, was in unserem Wohnviertel passiert. Tante Ilse ist Opas Schwester. Sie sagt auch, dass seit Jahren keiner mehr Herrn Bovist gesehen hat. Nur seinen schwarzen Geländewagen mit den verdunkelten Scheiben sieht man ab und zu aus dem Tor kommen. Manche Nachbarn aus der Scheffelstraße erzählen von fürchterlichem Hundegebell und Gewinsel von hinter der Mauer.«

Ich hatte allerdings noch nie Hundegebell von der

»Und einmal, vor vielen Jahren«, erzählte Jonas, »ist Opa hier mit der Leiter auf die Mauer gestiegen, um die Brombeerranken zu schneiden. Plötzlich tauchte dort drüben ein vollständig behaarter Mensch auf. Er starrte Opa grimmig an und stieß einen seltsamen Laut aus. Opa ist vor Schreck abgestürzt und lag mit gebrochenem Bein wochenlang auf dem Sofa. Oma hat ihm verboten, noch einmal über die Mauer zu gucken!«

»Quatsch mit Soße!«, sagte Anni.

Wie jetzt? Glaubte Anni uns nicht? Vor Schreck verschluckte ich mein Melonen-Kaugummi. Ich stellte mir Herrn Bovist immer wie Räuber Hotzenplotz vor. Wild, gefährlich und behaart.

»Und überhaupt bekommen wir lebenslanges Schuppenverbot, wenn wir auch nur einmal einen Fuß hinter die Mauer setzen«, rief ich. »Das hat Opa gesagt. Und Tante Ilse sagt, wer da rüberklettert, ist nicht mehr zu retten!«

»Man wird ja wohl kurz seinen Ball holen dürfen!«, sagte Anni. »Oder traut ihr euch wirklich nicht?«

»Klar trau ich mich da rüber!«, antwortete Finn angeberisch. »Bis jetzt hat mich dieser zugewachsene Acker einfach nicht interessiert!«

Finn zog mit einem schmatzenden Geräusch die Nase hoch.

Jonas gab ihm einen Schubs. »Du musst hinten beim Schuppen über die Mauer. Da kommen Oma und Opa fast nie hin.«

Finn sagte: »Klar! Gar kein Problem.« Und lief den Pfad entlang in Richtung Schuppen.

Wir folgten ihm im Gänsemarsch.

Ganz hinten im Garten treffen sich alle drei Pfade wie an einer kleinen Kreuzung. Und genau dort steht unser Geheimversteck. Direkt an der großen Mauer aus Natursteinen.

»Boah, eine grüne Hütte!«, rief Anni.

Ja, wir haben wirklich das schönste Geheimversteck aller Zeiten!

Opa hat den Schuppen vor Urzeiten für seine Gartengeräte gezimmert. Weil hier hinten an der Mauer früher Gemüsebeete waren. Da waren Oma und Opa noch junge Leute.

Jedenfalls ist unser Schuppen aus Holz und hat eine Tür und ein kleines Fenster. Und ein schräges Dach aus Wellblech. Auf dieses Wellblechdach kletterte Finn nun

Ich musste meinen Kopf ganz weit in den Nacken legen, um zu Finn auf der Mauer zu gucken. So hoch ist die Mauer, das muss man sich mal vorstellen.

»Finn ist kein Löwe, er ist ein Affe«, sagte Anni kichernd.

Ich stupste sie in die Seite.

Finn rief von oben: »Das ist ein richtiger Urwald. Die Büsche und Bäume hinter der Mauer sind riesig. Da findest du nicht mal einen Elefanten wieder!«

Finn zeigte Jonas einen Vogel. Und sprang. Ich hörte einen Plumps auf der anderen Seite. Dann ein Rascheln. Und dann hörte ich nichts mehr!

Jonas guckte finster. »Der findet den Ball niemals. Bei dem Gestrüpp da drüben!«

Da konnte ich Jonas nur zustimmen. Finn fand nie etwas. Nicht in seinem Zimmer und auch nicht in seinem Schulranzen.

Jonas setzte sich auf die Obstkiste. »Ist mir grad egal, wie er’s macht. Hauptsache, er kommt nicht ohne Ball wieder.«

Das konnte dauern. Also zeigte ich Anni erst mal unseren Schuppen. Die Vorhänge mit den Vögelchen drauf fand sie am allerschönsten. Aber auch der kleine Tisch und die roten Hocker gefielen ihr. Deshalb zeigte ich ihr auch noch die Kiste mit den Zeitschriften. Es sind Omas Zeitschriften, und da sind viele Fotos von echten

»Toll, echt«, sagte Anni.

Zum Abschluss meiner Hüttenführung zeigte ich ihr noch Knox. Besser gesagt: seinen Hauseingang.

»Kno… was?«, fragte Anni.

»Knox!«, sagte ich. »Meine Maus. Sie ist leider mein einziges Haustier.«

Das war wirklich so. Obwohl ich mir schon seit Ewigkeiten einen Hund wünsche. Aber immer wenn ich einen Hund auf meinen Wunschzettel schreibe, sagt Papa: »Tilda-Schatz, vier Kinder im Haus ersetzen jedes Haustier. Da ist vom Ferkel bis zum Kampfhund alles dabei!«

Jetzt erklärte ich Anni: »Schau mal, hier hinten an der Schuppenwand hat Knox einen kleinen Eingang geknabbert. Das darfst du aber nicht Opa erzählen. Er mag nämlich keine Mäuse.«

Opa hat in seinem Keller fiese Mausefallen. Ich mag Mäuse. Und vor allem natürlich Knox. Der ist richtig niedlich mit seiner kleinen rosa Nase und den langen Barthaaren, die immer so zucken, wenn er mich sieht.

Viel mehr konnte ich Anni dann aber nicht mehr zeigen.

Sie musste schon ganz nah beim Schuppen sein.

Jonas riss die Hüttentür auf und rief mir zu: »Achtung! Oma ist im Anmarsch! Wir müssen sie von Finn ablenken!«

Schon flitzte er los. Ich sauste hinterher.

»Kiiinder!«, ertönte es wieder. Omas Kopf tauchte hinter den Johannisbeersträuchern auf.

»Aaah, da seid ihr ja. Mama hat mir verraten, dass ich euch hier finde. Es gibt Vanilleeis mit heißen Himbeeren!«

Ich liebe Vanilleeis mit heißen Himbeeren!

Oma schaute sich um. »Wo ist denn Finn?«

Tja!

In diesem Moment entdeckte Oma Anni. »Und wer bist du?«, fragte sie.

»Guten Tag«, antwortete Anni und strahlte Oma an. »Mein Name ist Annemarie Kummer. Meine Mutter ist die Renate.«

»Ach, du bist Renates Tochter? Ihr wohnt wieder in der Stadt, stimmt’s? Wie schön! Komm, wir essen auf der Terrasse ein leckeres Eis, dann kannst du mir alles erzählen. Wo ist Finn überhaupt?«, plapperte Oma fröhlich.

»Er holt einen Fußball«, antwortete Anni.

»Jaja, na ja, er wird uns finden, wenn er seinen Ball

Oma war fürs Erste beschäftigt.

Blöd nur, dass wir unseren Posten an der Mauer verlassen mussten. Was, wenn Finn nach uns rufen würde?

Kein Eis zu essen kam aber auch nicht in Frage. Und was sollte schon passieren?

Ich schaute noch einmal zur Mauer.

Alles war still.

Oma hatte den Tisch auf der Terrasse gedeckt. Von dort hat man einen tollen Blick über die raspelkurz gemähte Sonnenwiese und den Rosengarten bis hin zu den ersten Obstbäumen. Beim Essen befragte Oma Anni. Ich hörte nicht wirklich zu, sondern beobachtete den mittleren Gartenweg. Auf dem müsste Finn bald erscheinen. Nachdem ich alle Himbeeren einzeln gelutscht hatte und Finn immer noch nicht aufgetaucht war, rutschte ich zappelig auf dem quietschenden Eisenstuhl herum. Wo blieb er nur?

Jonas’ Füße zuckten wild.

Anni bestellte bei Oma eine zweite Portion Eis. Ich versuchte, ihr einen Blick zuzuwerfen. Sie merkte nichts. Als

Anni verstand. »Leider bin ich satt. Vielen Dank für das vorzügliche Eis!«

Oma rief begeistert: »Kind, was kannst du dich schön ausdrücken! Jetzt haben wir euch genug in Beschlag genommen, ihr wollt bestimmt spielen. Wenn Finn auftaucht und sein Eis essen möchte, schickt ihn her.«

Wie eine Herde Pferde galoppierten wir über die Wiese davon.

Atemlos standen wir wieder beim Schuppen an der Mauer. Von Finn war weit und breit nichts zu sehen.

Ich rief: »Fiiinn!« Und spitzte die Ohren.

Nichts!

»Dem muss was passiert sein! Er ist schon ewig drüben!« Jonas raufte sich die Haare.

»Wir müssen zum Abendessen wieder zu Hause sein. Mit Finn!«, stellte ich fest.

Ich musste was unternehmen. Ich stieg auf die Obstkiste. Und versuchte, mich am Schuppendach hochzuziehen.

»Du bist kein Affe«, sagte Anni.

Anni guckte mich an. »Ich komm da auch nicht hoch. Wir brauchen eine Leiter.«

»Opa hat eine Leiter bei den Kirschbäumen stehen«, fiel mir ein.

Bei den Kirschbäumen fanden wir keine Leiter. Auch nicht bei den Apfel- und Birnenbäumen.

»Wie viele Obstbäume gibt es denn noch in diesem riesigen Garten?«, fragte Anni.

»Nur noch zwei Quittenbäume!«, antwortete ich. »Die stehen dort hinter der Brombeerhecke.«

Und tatsächlich lehnte an dem einen Quittenbaum Opas lange Holzleiter. Es war ganz schön mühsam, das alte Ding bis zur Mauer zu schleppen.

Ich kletterte als Erste hoch. Die Leiter ächzte und wackelte. Breit war die Mauer, da konnte ich nur staunen. Fast wie bei einer Burg. Vorsichtig richtete ich mich auf. Und sah nur noch grün.

»Fiiinn!«, rief Jonas.

Ich merkte, dass er sich Sorgen machte. Bei den Zwillingen ist es nämlich so: Sie streiten wie die Verrückten. Aber ohne einander können sie es kaum aushalten.

Hinter mir knarzte die Leiter. Anni stieg Sprosse um Sprosse nach oben. Jetzt klammerte sie sich an der Mauer fest und schaute neugierig in das Grün auf der anderen Seite.

»Ihr müsst mal rücken«, sagte sie. Also balancierte ich mit ausgebreiteten Armen ein Stück auf der Mauer entlang. Wie tief es da runterging!

Weit kam ich nicht. Aus dem Nachbargarten quollen Äste und Zweige wie lange Arme herüber und versperrten mir den Weg.

»Wir müssen Finn suchen«, sagte Jonas.

Er stieß sich ab und sprang in den Nachbargarten.

Anni saß inzwischen auf der Mauer. Ihre Füße baumelten auf Herrn Bovists Seite.

»Das ist mir eindeutig zu hoch«, sagte sie und starrte auf Jonas.

Der rief zu uns herauf: »Jetzt macht schon!«

Also zerrten Anni und ich die Holzleiter auf die Mauer und ließen sie auf der anderen Seite in den Garten hinunter. Ganz schön schwierig war das.

»So ein sperriges Miststück!«, schimpfte Anni.

Vorsichtig stiegen wir nach unten. Die alte Leiter wackelte und stöhnte.

»Jetzt kann ich nur hoffen, dass es hier nicht wirklich wilde Hunde gibt!«, sagte Anni.

Mein Bauch grummelte.

Ich drehte meinen Kopf nach links, nach rechts, nach oben. Und was soll ich sagen:

Wir standen mitten im Dschungel!

»Okay!«, sagte Jonas. »Auf geht’s!«

Aber das war leichter gesagt als getan. Das Grünzeug stand entlang der Mauer so dicht, dass wir erst einmal in den Dschungel hineingehen mussten. Ach was, gehen. Wir kletterten über einen umgefallenen Baumriesen, unter einem anderen robbten wir durch. Überall wucherte dichtes Gestrüpp, so dass wir ständig Umwege und Slalom machen mussten. Der Waldboden war bedeckt von hellgrünen Farnen und dunkelgrünem Moos.