Kiera Cass
Selection Storys
Liebe oder Pflicht
&
Herz oder Krone
Aus dem Amerikanischen von Susann Friedrich
FISCHER E-Books
Kiera Cass wurde in South Carolina, USA, geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Virginia. Die Idee zu den »Selection«-Romanen kam ihr, als sie darüber nachdachte, ob Aschenputtel den Prinzen wirklich heiraten wollte – oder ob ein freier Abend und ein wunderschönes Kleid nicht auch gereicht hätten …
Mit ihren »Selection«-Romanen hat sie es weltweit auf die Bestseller-Listen geschafft.
Mehr von Bestseller-Autorin Kiera Cass:
»Selection« (Band 1)
»Selection – Die Elite« (Band 2)
»Selection – Der Erwählte« (Band 3)
»Selection – Die Kronprinzessin« (Band 4)
»Selection – Die Krone« (Band 5)
»Siren«
Die amerikanische Originalausgaben erschienen
2014 unter dem Titel »The Selection Stories. The prince and the Guard«
bei HarperTeen, New York
© 2014 by Kiera Cass
Für die deutschsprachige Ausgabe
© S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 1114, D-60596 Frankfurt am Main 2015
und
2015 unter dem Titel »The Selection Stories 2. The Queen and the Favorite«
bei HarperTeen, New York
© 2015 by Kiera Cass
Für die deutschsprachige Ausgabe
© S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main 2015
Coverabbildung: Gustavo Marx /mergeleft reps inc.
Covergestaltung: Karin Dahlhaus, MT-Vreden
Erschienen bei FISCHER E-Books
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-5120-6
Der Prinz – 7
Der Leibwächter – 115
Die Königin – 239
Die Favoritin – 337
Anhang – 401
Interview mit Kiera Cass – 403
Die erwählten Mädchen – 423
America Singers Stammbaum – 425
Aspen Legers Stammbaum – 429
Maxon Schreaves Stammbaum – 433
Wie leben sie heute? – 437
Ich marschierte auf und ab, um meine Aufregung zu bekämpfen. Als das Casting noch in weiter Ferne lag – und lediglich eine Möglichkeit für meine Zukunft darstellte –, hatte alles so spannend geklungen. Aber jetzt? Jetzt war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher.
Man hatte die Volkszählung ausgewertet und die Ergebnisse vielfach überprüft. Das Personal im Palast war neu eingeteilt, und es waren Vorkehrungen für die Einkleidung der Kandidatinnen getroffen worden. Man richtete Zimmer für unsere künftigen Gäste her. Der große Augenblick rückte immer näher – was aufregend und beängstigend zugleich war. Für die Mädchen begann das Verfahren, sobald sie das Formular ausgefüllt hatten. Zu diesem Zeitpunkt mussten das bereits Tausende von ihnen getan haben. Für mich begann alles an diesem Abend, denn heute war ich neunzehn und damit volljährig geworden.
Ich blieb vor dem Spiegel stehen und überprüfte nochmals meine Krawatte. Die Augen vieler Menschen würden bald auf mir ruhen, und ich musste wie der selbstbewusste Prinz aussehen, den alle erwarteten. Ich fand an meiner Erscheinung nichts zu beanstanden und begab mich in das Arbeitszimmer meines Vaters.
Auf dem Weg dorthin nickte ich Beratern und mir vertrauten Wachmännern zu. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass diese Gänge in weniger als zwei Wochen voller Mädchen sein würden.
Ich klopfte so energisch an seine Tür, wie Vater es von mir verlangte. Wenn es nach ihm ging, gab es für mich immer etwas zu lernen.
Mit Autorität anklopfen, Maxon.
Nicht ständig hin und her laufen, Maxon.
Du musst schneller, klüger und besser sein, Maxon.
»Herein!«
Ich betrat das Arbeitszimmer, und tatsächlich wandte Vater den Blick kurz von seinem Spiegelbild, um mir zuzunicken. »Ah, da bist du ja. Deine Mutter wird auch gleich hier sein. Bist du bereit?«
»Selbstverständlich«, antwortete ich. Eine andere Antwort war auch gar nicht denkbar.
Er streckte die Hand aus und griff nach einer kleinen Schachtel, die er vor mich auf seinen Schreibtisch stellte. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Ich entfernte das silberne Papier und enthüllte eine schwarze Schachtel. Darin lagen ein Paar Manschettenknöpfe. Vermutlich war er zu beschäftigt, um sich daran zu erinnern, dass er mir schon zu Weihnachten welche geschenkt hatte. Diese Vergesslichkeit hing wohl mit seiner Position zusammen. Vielleicht würde ich meinem Sohn auch aus Versehen zweimal das gleiche Geschenk machen, wenn ich König wäre. Doch um überhaupt dahin zu kommen, brauchte ich zunächst eine Frau.
Eine Frau. Ich bewegte das Wort in meinem Mund, ohne es laut auszusprechen. Es hörte sich irgendwie zu seltsam an.
»Danke, Vater. Ich werde sie gleich anlegen.«
»Sicher wirst du dich heute Abend von deiner besten Seite zeigen wollen«, sagte er und riss seinen Blick vom Spiegel los. »Denn zweifellos werden alle das Casting im Kopf haben.«
»Mir geht es nicht anders«, sagte ich mit einem knappen Lächeln und überlegte, ob ich ihm gestehen sollte, wie angespannt ich war. Schließlich hatte er das Gleiche durchlebt. Und sicher hatte er selbst an irgendeinem Punkt auch einmal Zweifel gehabt.
Doch anscheinend sah man mir die Aufregung ohnehin an.
»Denk positiv, Maxon«, forderte er mich auf. »Das Casting sollte ein Vergnügen für dich sein.«
»Das ist es. Ich bin nur ein bisschen geschockt, wie schnell das alles geht.« Ich konzentrierte mich darauf, die Manschettenknöpfe an meinen Ärmeln zu befestigen.
Er lachte. »Dir kommt es vielleicht schnell vor, aber was mich betrifft, so hat mich die Vorbereitung Jahre gekostet.«
Ich kniff die Augen zusammen und hob den Blick von der Manschette. »Was willst du damit sagen?«
In dem Moment ging die Tür auf, und meine Mutter kam herein. Wie immer erhellte sich Vaters Gesicht bei ihrem Anblick. »Amberly, du siehst hinreißend aus«, sagte er und ging auf sie zu, um sie zu begrüßen.
Sie schenkte uns ihr typisches Lächeln – als könne sie nicht glauben, dass sie überhaupt jemand bemerkte – und umarmte meinen Vater. »Nicht zu hinreißend, hoffe ich. Ich möchte ja niemandem die Schau stehlen.« Sie löste sich von ihm, kam zu mir herüber und nahm mich fest in die Arme. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Sohn.«
»Danke, Mom.«
»Dein Geschenk bekommst du bald«, flüsterte sie mir rasch zu und wandte sich wieder an Vater. »Dann sind wir alle so weit?«
»Das sind wir.« Er hielt ihr den Arm hin, sie nahm ihn, und ich folgte ihnen in kurzem Abstand. Wie immer.
»Wie lange müssen wir uns noch gedulden, Eure Majestät?«, fragte einer der Journalisten. Das Licht der Scheinwerfer brannte heiß auf meinem Gesicht.
»Die Kandidatinnen werden an diesem Freitag ausgelost, und genau eine Woche später werden die Mädchen dann hier eintreffen«, erwiderte ich.
»Sind Sie aufgeregt, Sir?«, rief eine andere Stimme.
»Dass ich ein Mädchen heiraten werde, das ich bis jetzt noch gar nicht kenne? Ach, das ist doch nichts Besonderes«, sagte ich mit einem Augenzwinkern, und die Menge schmunzelte.
»Macht das Casting Sie denn überhaupt nicht nervös, Eure Majestät?«
Ich gab es auf, der Frage ein Gesicht zuordnen zu wollen. Ich antwortete einfach in die Richtung, aus der sie gekommen war, und hoffte, dass ich damit die richtige Person ansprach. »Im Gegenteil. Ich bin voller Vorfreude.« Oder so ähnlich.
»Wir wissen, dass Sie eine hervorragende Wahl treffen werden, Sir.« Ein Kamerablitz blendete mich.
»Bravo! Genau!«, riefen andere.
Ich zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Ein Mädchen, das sich für mich entscheidet, ist möglicherweise nicht ganz zurechnungsfähig.«
Wieder lachten die Journalisten, und ich nutzte den Moment, um das Interview zu beenden. »Bitte vergeben Sie mir, aber ich habe Familienbesuch und möchte nicht unhöflich sein.«
Ich nickte noch einmal in die Runde, wandte den Reportern und Fotografen den Rücken zu und holte tief Luft. Würde es den ganzen Abend so weitergehen?
Ich blickte mich im Großen Saal um: Die Tische waren mit dunkelblauen Tüchern verhüllt, alle Lichter brannten hell, damit die ganze Pracht auch angemessen zur Geltung kam, und ich stellte fest, dass es kaum Fluchtmöglichkeiten für mich gab: In der einen Ecke standen Würdenträger, in der anderen Journalisten – nirgends sah ich ein ruhiges, unbeobachtetes Fleckchen, wohin ich mich hätte zurückziehen können. Wenn man bedachte, dass ich die Person war, die heute gefeiert wurde, hätte man meinen können, dass ich auch die Art der Feier bestimmen könnte. Doch so schien es nie zu funktionieren.
Gerade als ich der Journalistenmeute entkommen war und bereits aufatmen wollte, legte sich ein Arm um meinen Rücken, und mein Vater packte mich an der Schulter. Ich spürte den Druck seiner Finger, und in mir verkrampfte sich alles.
»Lächle«, zischte er mir zu, und ich gehorchte, während er mit dem Kopf einem seiner besonderen Gäste zunickte und mich gleichzeitig durch den Saal schob.
Aus dem Augenwinkel sah ich Daphne, die mit ihrem Vater aus Frankreich angereist war. Dank einem glücklichen Zufall fiel der Zeitpunkt der Feier mit der Notwendigkeit zusammen, dass sich unsere Väter über das bestehende Handelsabkommen austauschten. Da sie als Tochter des französischen Königs ihren Vater oft auf diplomatischen Reisen begleitete, hatten sich unsere Wege seit unserer Kindheit regelmäßig gekreuzt, und außer meiner Familie war Daphne vielleicht die Einzige, zu der ich eine engere Bindung hatte. Es war schön, wenigstens ein vertrautes Gesicht im Saal zu sehen.
Ich nickte ihr zu, und sie hob ihr Champagnerglas und prostete mir zu.
»Du darfst nicht immer solche sarkastischen Antworten geben. Du bist der Prinz – du bist eine Führungspersönlichkeit.« Der Griff an meiner Schulter war fester als nötig.
»Entschuldige, Vater. Da es ein Fest ist, dachte ich …«
»Nun, da hast du falsch gedacht. Ich erwarte, dass du die Sache in jeder Situation und vor allem im Gespräch mit Journalisten ernst nimmst. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Er blieb stehen, und seine grauen Augen musterten mich streng.
Wieder lächelte ich, weil ich wusste, dass er das den Gästen zuliebe wünschte. »Selbstverständlich, Vater. Das habe ich dann wohl falsch eingeschätzt.«
Er ließ mich los und hob sein Champagnerglas an die Lippen. »Du neigst dazu, eine Menge Dinge falsch einzuschätzen.«
Ich riskierte einen Blick in Daphnes Richtung und verdrehte die Augen, was sie zum Lachen brachte, denn sie wusste nur zu gut, was ich fühlte.
Vaters Augen waren meinem Blick gefolgt.
»Immer wieder ein hübscher Anblick, dieses Mädchen. Jammerschade, dass sie nicht am Casting teilnehmen kann.«
Ich zuckte die Achseln. »Sie ist nett. Aber ich habe nie mehr für sie empfunden.«
»Gut so. Denn das wäre auch außerordentlich dumm von dir gewesen.«
Ich überging die erneute Kränkung. »Außerdem freue ich mich darauf, meine tatsächlichen Optionen kennenzulernen.«
Vater griff meinen Gedanken auf, wobei er mich weiter durch den Saal dirigierte. »Genau, es wird Zeit, dass du in deinem Leben eigenständige Entscheidungen triffst, Maxon. Und zwar die richtigen Entscheidungen. Bestimmt glaubst du, meine Erziehung sei unnötig hart, aber ich möchte, dass du die Bedeutung deiner Position erkennst.«
Ich unterdrückte einen Seufzer. Ich habe versucht, Entscheidungen zu treffen. Du hast es mir nur nicht wirklich zugetraut.
»Keine Sorge, Vater. Ich nehme die Aufgabe, mir eine Frau zu suchen, außerordentlich ernst«, erwiderte ich und hoffte, dass mein Ton ihn von meiner Aufrichtigkeit überzeugte.
»Es erfordert viel mehr, als nur jemanden zu finden, mit dem du dich gut verstehst«, fuhr er fort. »Nimm Daphne und dich als Beispiel: Ihr seid gute Freunde, aber als Frau wäre sie völlig nutzlos.« Er nahm noch einen Schluck und winkte jemandem hinter mir zu.
Wieder ließ ich mir nichts anmerken. Die Richtung, in die das Gespräch ging, war mir unangenehm. Ich versenkte die Hände in den Taschen und blickte mich um. »Ich sollte wohl besser mal die Runde machen«, murmelte ich.
Vater entließ mich mit einer Handbewegung und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Champagner zu.
Ich entfernte mich rasch, versuchte aber zu vermeiden, dass es wie eine Flucht aussah. Sosehr ich mich auch bemühte, ich war mir nicht sicher, was diese ganze Unterhaltung zu bedeuten hatte. Es gab keinen Grund für meinen Vater, dermaßen grob über Daphne zu sprechen, da sie ja nicht einmal im Rennen war.
Der Große Saal brummte vor Begeisterung. Die Leute erzählten mir, das ganz Illeá auf diesen Moment hingefiebert habe: Mit Spannung erwarteten sie die neue Prinzessin, und auch meine Position als künftiger König versetzte das Land in Aufregung. Zum ersten Mal spürte ich die geballte Dynamik, die hinter dem Casting steckte, und hatte Angst, dass sie mich erdrücken würde.
Ich schüttelte Hände und nahm höflich Geschenke an, die ich nicht brauchte. Leise befragte ich einen der Fotografen zu seinem Objektiv, dann küsste ich die Wangen von Familienmitgliedern und Freunden und bestimmt auch von einer erklecklichen Anzahl völlig Fremder.
Als ich endlich einen kurzen Moment für mich allein war, ließ ich nachdenklich den Blick über die Menge schweifen. Weiter hinten im Saal entdeckte ich Daphne und ging auf sie zu. Ich freute mich auf ein paar Minuten echter Unterhaltung, aber das musste wohl noch warten, denn Mom stellte sich mir in den Weg.
»Amüsierst du dich?«, fragte sie.
»Sehe ich denn so aus?«
Sie glättete meinen ohnehin schon tadellos sitzenden Anzug mit den Händen. »Ja.«
Ich schmunzelte. »Na also. Das ist doch alles, was zählt.«
Sanft lächelnd neigte sie den Kopf. »Kommst du mal für einen kurzen Augenblick mit nach draußen?«
Ich nickte und bot ihr meinen Arm an, den sie freudig ergriff. Unter dem Klicken der Kameras gingen wir hinaus auf den Gang.
»Können wir das Ganze im nächsten Jahr vielleicht etwas kleiner halten?«, fragte ich.
»Wohl kaum. Bis dahin bist du sehr wahrscheinlich verheiratet. Und deine Frau wird sich in eurem ersten gemeinsamen Jahr bestimmt eine rauschende Feier wünschen.«
Ich runzelte die Stirn – was ich mir in ihrer Gegenwart durchaus herausnehmen konnte. »Vielleicht hat sie es ja auch gern etwas stiller.«
Meine Mutter lachte leise. »Tut mir leid, mein Schatz, aber jedes Mädchen, das sich für das Casting bewirbt, möchte der Stille entkommen.«
»War das bei dir auch so?«, überlegte ich laut. Wir hatten nie darüber gesprochen, wie sie hierher an den Hof gekommen war. Es war eine seltsame Kluft zwischen uns, doch eine, die ich durchaus schätzte: Ich war im Palast aufgewachsen, sie aber hatte dieses Leben aus freien Stücken gewählt.
Mom blieb stehen und sah mich mit großer Zuneigung an. »Ich war völlig bezaubert vom Gesicht des Prinzen im Fernsehen. Ich habe von deinem Vater geträumt, genau wie Tausende von Mädchen jetzt von dir träumen.«
Ich stellte mir meine Mutter als junges Mädchen in ihrer Provinz Honduragua vor, die Haare zu einem Zopf geflochten, wie sie sehnsüchtig auf den Fernseher starrte. Ich konnte geradezu sehen, wie sie bei jedem seiner Worte seufzte.
»Alle Mädchen träumen davon, Prinzessin zu sein«, fuhr meine Mutter fort. »Im Sturm erobert zu werden und dann eine Krone zu tragen … In der Woche bevor die Namen ausgelost wurden, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Mir war nicht klar, dass es so viel mehr als das bedeuten würde«, fügte sie leise hinzu und sah ein wenig traurig aus. »Ich hatte keine Ahnung, unter welchem Druck ich stehen oder wie wenig Privatsphäre ich haben würde. Doch trotz alledem – ich bin mit deinem Vater verheiratet, und ich habe dich bekommen.« Sie strich mir mit der Hand über die Wange. »Damit sind all meine Träume wahr geworden.«
Mom lächelte mich an, aber ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Ich musste sie unbedingt dazu bringen, mir noch mehr zu erzählen.
»Dann bereust du also nichts?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht das kleinste bisschen. Das Casting hat mein Leben verändert, und zwar in der bestmöglichen Weise. Und genau darüber möchte ich auch mit dir sprechen.«
Ich blinzelte. »Ich weiß nicht genau, was du meinst.«
Sie seufzte. »Ich war eine Vier. Ich habe in einer Fabrik gearbeitet.« Sie streckte die Hände aus. »Die Haut an meinen Händen war rau und rissig, und ich hatte andauernd Dreckränder unter den Fingernägeln. Ich besaß keine Verbindungen, keinen Status, nichts, was es wert war, mich dafür zur Prinzessin zu machen … Und doch bin ich hier.«
Ich schaute sie an und wusste noch immer nicht, worauf sie hinauswollte.
»Maxon, dies ist mein Geschenk für dich: Ich verspreche dir, dass ich mich nach Kräften bemühen werde, die Mädchen mit deinen Augen zu sehen. Nicht mit den Augen einer Königin oder mit den Augen einer Mutter, sondern mit deinen Augen. Selbst wenn das Mädchen, das du dir aussuchst, einer sehr niedrigen Kaste angehört, selbst wenn andere der Meinung sind, dass sie nichts taugt – ich werde mir immer anhören, warum du gerade sie ausgewählt hast. Und ich werde alles tun, um deine Wahl zu unterstützen.«
Ich schwieg einen Moment, bis es mir dämmerte. »Hat Vater keine solche Unterstützung gehabt? Und du auch nicht?«
Sie straffte den Rücken und stand nun kerzengerade vor mir. »Jedes Mädchen wird Pros und Contras in sich vereinen. Manche Menschen in deinem Umfeld werden sich bei einigen Teilnehmerinnen nur auf ihre schlechtesten Eigenschaften konzentrieren und bei anderen nur auf ihre besten. Und glaube mir, du wirst nicht immer verstehen, warum sie sich so engstirnig verhalten. Aber ich stehe hinter dir, egal welche Wahl du triffst.«
»Das hast du immer getan.«
»Das stimmt«, sagte Mom und nahm meinen Arm. »Aber mir ist auch bewusst, dass ich bald nur noch die zweite Geige spielen und einer anderen Frau Platz machen werde. So soll es auch sein. Aber an meiner Liebe zu dir wird sich nie etwas ändern, Maxon.«
»Das gilt auch umgekehrt.« Ich hoffte inständig, dass meine Mutter die Aufrichtigkeit in meiner Stimme heraushörte. Ich konnte mir nichts vorstellen, was meine grenzenlose Bewunderung für sie jemals schmälern konnte.
»Ich weiß.« Mit einem kleinen Stupser schob sie mich zurück zur Tür des Großen Saals. Als wir lächelnd und unter Applaus wieder den Raum betraten, dachte ich über ihre Worte nach. Die hervorragendste Eigenschaft meiner Mutter war ihre unglaubliche Großherzigkeit – ich kannte niemanden, der es in dieser Beziehung mit ihr aufnehmen konnte. Das war ein Charakterzug, nach dem ich selbst auch strebte. Wenn dies also ihr Geschenk war, dann brauchte ich es zweifellos viel dringender, als ich im Moment ahnte. Denn die Geschenke meiner Mutter waren stets wohlüberlegt.
Die Gäste blieben viel länger, als ich es für angebracht hielt. Das war wohl ein weiterer Nachteil meiner privilegierten Stellung: Niemand wollte, dass ein Fest im Palast zu Ende ging – selbst wenn der Palast es gern wollte. Und ich musste ausharren bis zum bitteren Ende.
Ich ließ den sehr betrunkenen Würdenträger der Deutschen Föderation in der Obhut einer Wache, dankte allen königlichen Beratern für ihre Geschenke und küsste die Hand von nahezu jeder Dame, die durch die Palasttüren nach draußen trat. In meinen Augen hatte ich meiner Pflicht damit Genüge getan, und nun wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einfach ein paar Stunden lang meine Ruhe zu haben. Doch als ich mich gerade anschickte, den allerletzten noch verbliebenen Gästen zu entfliehen, wurde ich erfreulicherweise von einem Paar dunkelblauer Augen aufgehalten.
»Du bist mir den ganzen Abend aus dem Weg gegangen«, sagte Daphne in scherzhaftem Ton, und ihr trällernder Akzent klingelte angenehm in meinen Ohren. Wenn sie sprach, hatte das immer etwas von Musik an sich.
»Überhaupt nicht. Es waren ein bisschen mehr Gäste, als ich erwartet hatte.« Ich blickte zurück zu der Handvoll Menschen, die es offensichtlich darauf anlegten, durch die Palastfenster die Sonne aufgehen zu sehen.
»Dein Vater liebt den großen Auftritt.«
Ich lachte. Daphne schien so viele Dinge zu verstehen, die ich nie laut ausgesprochen hatte. Manchmal machte mir das Angst. Was merkte sie mir alles an, ohne dass ich es wusste? »Ich finde, er hat sich heute selbst übertroffen.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Das gilt aber nur bis zum nächsten Fest.«
Wir standen schweigend da, aber ich spürte, dass Daphne noch mehr sagen wollte. Sie biss sich auf die Lippe. »Könnte ich dich unter vier Augen sprechen?«, sagte sie leise.
Ich nickte, nahm ihren Arm und geleitete sie den Flur entlang zu einem der Salons. Sie blieb stumm und hob sich ihre Worte auf, bis sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. Obwohl wir uns oft allein unterhielten, machte mich ihr Verhalten jetzt ganz beklommen.
»Du hast nicht mit mir getanzt«, sagte Daphne in gekränktem Ton.
»Ich habe überhaupt nicht getanzt.« Vater hatte auf Musikern mit klassischem Repertoire bestanden. Obwohl die Fünfer sehr talentiert waren, konnte man zu ihrer Art von Musik nur langsame Tänze tanzen. Wenn ich also überhaupt hätte tanzen wollen, wäre meine Wahl sicherlich auf Daphne gefallen. Doch da mich alle nach meiner zukünftigen Frau gefragt hatten, war mir das irgendwie fehl am Platze vorgekommen.
Daphne stieß seufzend den Atem aus und fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. »Wenn ich wieder zu Hause bin, steht mir diese Verabredung bevor«, sagte sie. »Mit Frederick – so heißt er. Natürlich habe ich ihn schon mal gesehen. Er ist ein ausgezeichneter Reiter und sieht auch sehr gut aus. Er ist vier Jahre älter als ich, und ehrlich gesagt glaube ich, dass das einer der Gründe ist, warum Papa ihn mag.« Mit einem zaghaften Lächeln blickte sie mich über die Schulter hinweg an.
»Und wo wären wir ohne die Zustimmung unserer Väter?«, gab ich mit sarkastischem Grinsen zurück.
Daphne kicherte. »Wir wären natürlich völlig verloren. Wir hätten keine Ahnung, wie wir leben sollten.« Ich stimmte in das Lachen ein, dankbar, dass ich mit jemandem darüber scherzen konnte. Manchmal war das die einzige Möglichkeit, mit dieser Belastung fertig zu werden.
»Also ja, Papa billigt es. Dennoch, ich frage mich …« Plötzlich senkte sie schüchtern den Blick.
»Was fragst du dich?«
Einen Augenblick stand sie nur da, die tiefblauen Augen noch immer auf den Teppich gerichtet. Schließlich schaute sie mich an. »Findet es denn auch deine Billigung?«
»Was?«
»Frederick.«
Ich lachte wieder. »Wie soll ich das denn beurteilen? Ich kenne ihn doch gar nicht.«
»Nein«, sagte Daphne mit leiser Stimme. »Ich meine nicht die Person, sondern die Verabredung mit ihm. Findet es deine Zustimmung, dass ich mich mit diesem Mann treffe? Ihn vielleicht sogar heirate?«
Daphnes Gesicht war wie versteinert, es verbarg etwas, was ich nicht begriff. Verunsichert hob ich die Schultern. »Es steht mir doch gar nicht zu, es zu billigen. Es steht ja noch nicht einmal dir selbst wirklich zu«, fügte ich hinzu, was mir für uns beide ein wenig leidtat.
Daphne rang die Hände, als sei sie nervös oder hätte Schmerzen. Was war nur los mit ihr?
»Dann stört es dich also überhaupt nicht? Denn wenn es nicht Frederick ist, dann wird es Antoine sein. Und wenn es nicht Antoine ist, dann ein gewisser Garron. Es gibt eine ganze Reihe von Männern, die um mich werben, doch mit keinem von ihnen bin ich auch nur halb so gut befreundet wie mit dir. Eines Tages werde ich einen von ihnen zum Ehemann nehmen müssen. Und das alles kümmert dich nicht?«
Das war in der Tat traurig. Obwohl wir uns nicht öfter als dreimal im Jahr sahen, war Daphne wohl meine engste Freundin. Wie bedauernswert wir beide waren!
Ich schluckte und suchte nach den passenden Worten. »Ich bin sicher, dass sich alles schon irgendwie fügen wird.«
Ohne jede Vorwarnung strömten plötzlich Tränen über ihr Gesicht. Ich ließ meinen Blick durchs Zimmer schweifen, versuchte eine Erklärung oder eine Lösung zu finden und fühlte mich von Moment zu Moment unbehaglicher.
»Sag bitte nicht, dass du das wirklich durchziehst, Maxon. Das kann doch nicht dein Ernst sein«, flehte Daphne.
»Wovon sprichst du überhaupt?«, fragte ich verzweifelt.
»Von dem Casting!«, rief sie, beinahe hysterisch. »Bitte heirate keine völlig Fremde. Und lass nicht zu, dass ich einen völlig Fremden heirate.«
»Aber ich habe keine andere Wahl, Daphne. So ist es für die Prinzen von Illeá nun einmal vorgesehen. Wir heiraten jemanden aus dem Volk. Das war schon immer so. Und das wird auch so bleiben.«
Daphne eilte auf mich zu und ergriff meine Hände. »Aber ich liebe dich. Schon immer. Bitte heirate kein anderes Mädchen, ohne dass du deinen Vater wenigstens gefragt hast, ob ich nicht doch eine mögliche Partie für dich sein könnte.«
Sie liebte mich? Schon immer?
Ich erstickte fast an meinen Worten, wusste nicht, wie ich beginnen sollte. »Daphne, wieso … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Sag einfach, dass du deinen Vater fragen wirst«, bat sie und wischte sich hoffnungsvoll die Tränen ab. »Schieb das Casting so lange auf, bis wir herausgefunden haben, ob es einen Versuch wert ist. Oder lass mich daran teilnehmen. Für dich verzichte ich auch auf meine Krone.«
»Bitte hör auf zu weinen«, flüsterte ich.
»Das kann ich nicht! Nicht wenn ich dich vielleicht für immer verliere.« Sie barg den Kopf in den Händen und schluchzte leise.
Wie erstarrt stand ich da, voller Angst, ich könnte alles noch schlimmer machen. Ein paar angespannte Sekunden vergingen, dann hob Daphne den Kopf. »Du bist der einzige Mensch, der mich wirklich kennt«, sagte sie ernst und blickte dabei ins Leere. »Und der einzige Mensch, von dem ich das Gefühl habe, ihn zu kennen.«
»Jemanden zu kennen, bedeutet nicht, ihn auch zu lieben«, wandte ich ein.
»Das ist nicht wahr, Maxon. Uns verbindet eine gemeinsame Geschichte, und sie ist kurz davor, zerstört zu werden. Und das nur um der Tradition willen.« Sie hielt den Blick weiter auf irgendein unsichtbares Objekt in der Mitte des Raums gerichtet. Ich hatte keine Ahnung, was Daphne in diesem Augenblick dachte. Und offensichtlich hatte ich auch keine Ahnung gehabt, was ansonsten in ihr vorgegangen war.
Schließlich wandte sie sich wieder mir zu. »Maxon, ich bitte dich, frag deinen Vater«, bat sie inständig. »Wenn er Nein sagt, habe ich zumindest alles versucht.«
In dem sicheren Bewusstsein, wie er reagieren würde, sagte ich: »Das hast du schon, Daphne. In diesem Moment.« Einen Augenblick lang streckte ich die Arme aus, dann ließ ich sie wieder fallen. »Mehr kann zwischen uns nicht sein. Und das weißt du eigentlich auch.«
Daphne blickte mich lange Zeit an. Sie wusste ebenso gut wie ich, dass ich bei meinem Vater mit einem derart ungeheuerlichen Ansinnen niemals durchkommen würde. Ich merkte, wie sie im Geiste nach einer Alternative suchte, doch rasch feststellte, dass es keine gab. Sie war eine Dienerin ihrer Krone, ich ein Diener der meinen, und unsere dynastischen Pflichten würden uns nie freigeben.
Sie nickte und brach erneut in Tränen aus. Dann ging sie hinüber zum Sofa, setzte sich und schlang die Arme um ihren Körper. Ich verharrte ganz still, in der Hoffnung, ihren Kummer dadurch nicht weiter zu vergrößern. Ich hätte sie so gerne zum Lachen gebracht, aber unsere Situation hatte nichts Komisches. Bis gerade eben war mir nicht bewusst gewesen, dass ich dazu fähig war, jemandem das Herz zu brechen.
Und es gefiel mir ganz und gar nicht.
Denn die nächste Erkenntnis war beinahe noch schlimmer: Mir wurde plötzlich klar, dass eine solche Szene bald alltäglich für mich sein würde: Während der nächsten Monate würde ich insgesamt vierunddreißig Mädchen zurückweisen. Was war, wenn sie alle so reagierten?
Bei dem Gedanken daran stieß ich ein entnervtes Schnauben aus.
Das Geräusch ließ Daphne aufblicken, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich merklich.
»Macht dir das alles eigentlich überhaupt etwas aus?«, wollte sie wissen. »Du bist nicht gerade ein begnadeter Schauspieler, Maxon.«
»Natürlich macht es mir etwas aus.«
Sie erhob sich und sah mich prüfend an. »Aber nicht aus den gleichen Gründen wie mir«, flüsterte sie. Dann kam sie mit flehendem Blick auf mich zu und sagte eindringlich: »Maxon, du liebst mich doch.«
Ich schwieg.
»Maxon«, sagte sie drängender. »Du liebst mich. Das tust du doch, oder?«
Ich wandte die Augen ab – Daphnes Blick war zu viel für mich. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und versuchte, das, was ich fühlte, in Worte zu kleiden. »Noch nie hat jemand in meiner Gegenwart auf diese Weise seine Gefühle ausgedrückt. Ich zweifle nicht an deinen Worten, aber ich kann nicht das Gleiche sagen, Daphne.«
»Das bedeutet aber nicht, dass du es nicht fühlen kannst. Du hast nur keine Ahnung, wie du deine Gefühle ausdrücken sollst. Dein Vater kann eiskalt sein, und deine Mutter ist sehr introvertiert. Du hast noch nie erlebt, wie Menschen sich offen ihre Liebe bekunden, also weißt du auch nicht, wie du sie zeigen sollst. Aber du fühlst sie, ich weiß, dass du es tust. Du liebst mich genau so, wie ich dich liebe.«
Ich schüttelte langsam den Kopf und fürchtete, wenn nur eine weitere Silbe über meine Lippen kam, würde alles wieder von vorn losgehen.
»Küss mich«, verlangte sie.
»Wie bitte?«
»Küss mich. Wenn du es fertigbringst, mich zu küssen und danach immer noch zu sagen, dass du mich nicht liebst, werde ich dieses Thema nie wieder erwähnen.«
Ich wich zurück. »Nein. Bitte entschuldige, aber das kann ich nicht.«
Ich wollte nicht zugeben, wie wörtlich ich das meinte. Wie viele Jungen Daphne schon geküsst hatte, wusste ich nicht genau, aber mit Sicherheit hatte sie bereits ihre Erfahrungen gemacht. Als ich sie vor ein paar Jahren im Sommer in Frankreich besuchte, hatte Daphne mir gestanden, dass sie geküsst worden war. Na bitte. Sie hatte mir etwas voraus, und auf keinen Fall würde ich in diesem Moment einen noch größeren Narren aus mir machen, als ich es bereits getan hatte.
Daphnes Kummer verwandelte sich in Wut, und sie wich vor mir zurück. Sie lachte kurz auf, doch ihre Augen lachten nicht mit.
»Dann ist das also deine Antwort auf meine Bitte? Du sagst Nein? Du entscheidest dich dafür, mich ziehen zu lassen? Sehe ich das richtig?«
Ich zuckte hilflos mit den Achseln.
»Du bist ein Idiot, Maxon Schreave«, sagte sie verächtlich. »Deine Eltern haben dich zu einem emotionalen Krüppel erzogen. Man könnte dir tausend Mädchen vor die Nase setzen, es würde keinen Unterschied machen. Du bist zu dumm, um die Liebe zu erkennen, selbst wenn sie direkt vor dir steht.«
Sie wischte sich über die Augen und strich ihr Kleid glatt. »Ich bete zu Gott, dass ich dein Gesicht nie wieder sehen muss.«
Ganz plötzlich veränderten sich meine Ängste, und als Daphne davonmarschieren wollte, packte ich sie am Arm. Ich wollte nicht, dass sie für immer aus meinem Leben verschwand. Und schon gar nicht so.
»Daphne, es tut mir leid.«
»Ich muss dir nicht leidtun«, antwortete sie kalt. »Du solltest dir selbst leidtun. Du wirst dir eine Frau suchen, weil du es musst, aber du hast die Liebe schon gekostet und sie nicht festgehalten. Eines Tages wirst du das erkennen.«
Sie riss sich los und verließ den Salon.
Alles Gute zum Geburtstag, beglückwünschte ich mich selbst.
Daphne roch nach Kirschbaumrinde und Mandeln. Seit sie dreizehn war, benutzte sie dasselbe Parfum. Auch am gestrigen Abend hatte sie es aufgetragen, und sogar als sie sagte, sie wolle mich nie wieder sehen, konnte ich es riechen.
Sie hatte eine Narbe am Handgelenk – eine Schramme, die sie sich mit elf zugezogen hatte, als sie auf einen Baum geklettert war. Es war meine Schuld. Damals war sie noch nicht ganz so damenhaft wie heute, und ich hatte sie überredet – oder besser gesagt zu einem Wettkampf herausgefordert –, bis ganz nach oben auf einen der Bäume am Rande des Gartens zu klettern. Ich hatte gewonnen.
Daphne hatte furchtbare Angst im Dunkeln, und da ich dafür durchaus Verständnis hatte, zog ich sie in all den Jahren nie damit auf. Und sie zog mich nicht auf. Jedenfalls nicht wegen etwas, das mir wirklich etwas ausmachte.
Sie reagierte allergisch auf Meeresfrüchte. Ihre Lieblingsfarbe war Gelb. Und sosehr sie sich auch bemühte – sie konnte beim besten Willen nicht singen. Aber sie konnte tanzen, weswegen sie wahrscheinlich doppelt enttäuscht gewesen war, dass ich sie vergangene Nacht nicht aufgefordert hatte.
Als ich sechzehn war, schickte sie mir zu Weihnachten eine neue Kameratasche. Und obwohl ich nie hatte verlauten lassen, dass ich meine alte Tasche nicht mehr wollte, bedeutete es mir ungeheuer viel, dass sie meine Leidenschaft für die Fotografie bemerkt hatte. Ich tauschte die Taschen aus und benutzte die ihre noch immer.
Ich räkelte mich unter der Decke und wandte den Kopf in die Richtung, wo die Tasche stand. Ich überlegte, wie lange sie wohl gebraucht hatte, um die richtige für mich auszusuchen.
Vielleicht hatte Daphne ja recht, und uns verband mehr gemeinsame Geschichte, als mir bis jetzt klar gewesen war. Unsere Beziehung hatte aus gelegentlichen Besuchen und sporadischen Telefongesprächen bestanden, weswegen ich mir nie hätte träumen lassen, dass sie in Wahrheit zu so viel mehr geworden war.
Und jetzt saß sie im Flugzeug nach Frankreich, wo Frederick sie bereits erwartete.
Ich stieg aus dem Bett, streifte mein zerknittertes Hemd und die Anzughose ab und stellte mich unter die Dusche. Doch ich bekam Daphnes Anschuldigungen nicht aus dem Kopf. Wusste ich möglicherweise wirklich nicht, wie man liebte? Hatte ich von der Liebe gekostet und sie einfach weggeworfen? Und wenn dem so war, wie sollte ich dann das Casting erfolgreich steuern?
Die Berater liefen mit Stapeln von Casting-Bewerbungen herum und lächelten mir geheimnisvoll zu, als wüssten sie etwas, was ich nicht wusste. Ab und zu klopfte mir einer von ihnen auf den Rücken oder flüsterte mir eine ermutigende Bemerkung zu. Vielleicht spürten sie, dass ich plötzlich Zweifel hegte – Zweifel gegenüber der einzigen Sache, auf die ich immer gezählt und auf die ich immer hingefiebert hatte: dem Casting.
»Der heutige Schwung von Bewerberinnen ist sehr vielversprechend«, sagte der eine.
»Sie sind ein echter Glückspilz«, bemerkte ein anderer.
Doch während sich die Anmeldungen weiter stapelten, konnte ich nur an Daphne und ihre kränkenden Worte denken.
Eigentlich hätte ich die Zahlen des vor mir liegenden Finanzberichts studieren sollen, stattdessen beobachtete ich heimlich meinen Vater. Hatte er mich tatsächlich zum emotionalen Krüppel gemacht? Hatte er mich so erzogen, dass mir das grundlegende Verständnis dafür fehlte, was es bedeutete, eine romantische Beziehung zu haben? Ich bekam ja mit, wie er sich meiner Mutter gegenüber verhielt. Zwischen den beiden bestand große Zuneigung, wenn nicht gar Leidenschaft. Reichte das denn nicht aus? Sollte ich nach mehr trachten? Aber wonach genau?
Ich starrte ins Nichts und grübelte. Vielleicht dachte Vater, ich würde während des Castings eine schlimme Zeit durchmachen, wenn ich nach mehr strebte. Oder vielleicht dachte er auch, ich würde enttäuscht sein, wenn ich keine Frau fand, die mein Leben grundlegend veränderte. Vermutlich war es eine gute Entscheidung gewesen, ihm zu verschweigen, dass ich mir genau das erhoffte.
Aber vielleicht hatte er auch gar keine solchen Gedanken. Die Menschen sind eben so, wie sie sind. Vater war streng – hart geworden unter dem permanenten Druck, ein Land zu führen, das sich ständig im Krieg befand und immer öfter Rebellenangriffen ausgesetzt war. Und Mutter war wie eine alles umhüllende Decke. Das Aufwachsen in völliger Armut hatte sie weich und nachgiebig werden lassen – sie wollte immer nur schützen und trösten.
In meinem tiefsten Inneren war mir klar, dass ich viel stärker nach ihr geraten war als nach meinem Vater. Mich störte das nicht. Aber ihn.
Vielleicht hatte er mich also doch absichtlich so erzogen, dass es mir schwerfiel, meine Gefühle auszudrücken. Vielleicht war das Teil seines Bestrebens, mich härter zu machen.
Du bist zu dumm, um die Liebe zu erkennen, selbst wenn sie direkt vor dir steht.
»Nimm dich zusammen, Maxon.« Beim Klang seiner Stimme riss ich den Kopf herum.
»Vater?«
Er sah müde aus. »Wie oft soll ich es dir noch sagen? Beim Casting geht es darum, eine solide, vernünftige Wahl zu treffen. Es ist keinesfalls eine weitere Gelegenheit, dich deinen Tagträumen hinzugeben.«
Ein Berater betrat das Zimmer und reichte ihm einen Brief. Ich ordnete meine Unterlagen und schlug damit leicht gegen den Schreibtisch. »Ja, Vater.«
Er las den Brief, und ich betrachtete ihn ein letztes Mal.
Vielleicht.
Nein.
Schlussendlich war die Antwort wohl Nein. Er wollte einen Mann aus mir machen, keine Maschine.
Mit einem Grunzen zerknüllte er den Brief und warf ihn in den Papierkorb. »Verdammte Rebellen.«
Die erfreulichere Hälfte des nächsten Vormittags verbrachte ich in meinem Zimmer, wo ich fern von neugierigen Blicken arbeitete. Wenn ich allein war, fühlte ich mich immer viel produktiver. Und wenn ich nicht produktiv war, wurde ich dafür zumindest nicht bestraft. Doch ich ahnte, dass dies nicht den ganzen Tag so bleiben würde – was mit der Aufforderung, die ich bekommen hatte, zusammenhing.
»Du hast mich rufen lassen?«, fragte ich und betrat das private Arbeitszimmer meines Vaters.
»Da bist du ja«, sagte Vater. Er rieb sich die Hände. »Morgen ist also der große Tag.«
Ich holte tief Luft. »Ja. Sollen wir noch mal den Ablauf des Berichts durchgehen?«
»Nein, nein.« Er legte mir die Hand auf den Rücken und schob mich vorwärts. Sofort richtete ich mich auf und ließ mich von ihm führen. »Das wird das reinste Kinderspiel. Ein paar einleitende Worte, eine kleine Plauderei mit Gavril, dann verkünden wir die Namen und zeigen die Gesichter der Mädchen.«
Ich nickte. »Klingt … einfach.«
Er schob mich bis an die Kante seines Schreibtischs und legte dann die Hand auf einen dicken Stapel mit Mappen. »Das sind sie.«
Ich blickte den Stapel an. Starrte darauf. Schluckte.
»Also, ungefähr fünfundzwanzig von ihnen besitzen Qualitäten, die für eine Prinzessin überaus wünschenswert wären: Sie stammen aus sehr guten Familien oder haben Verbindungen zu anderen Ländern, die uns politisch von Nutzen sein könnten. Manche von ihnen sind einfach nur außergewöhnlich schön – eine Eigenschaft, die man nicht unterschätzen sollte.« Er stieß mir spielerisch den Ellbogen in die Seite, was völlig untypisch für ihn war. Ich wich ihm aus. Das hier war wahrlich kein Spiel.
»Bedauerlicherweise gab es nicht in jeder Provinz ein Mädchen, das etwas Besonderes vorzuweisen hatte«, machte Vater unbeirrt weiter. »Doch damit das Ganze ein bisschen zufälliger wirkt, haben wir aus diesen Gegenden Kandidatinnen ausgewählt, die für mehr Vielfalt sorgen. Wie du sehen wirst, haben wir sogar ein paar Fünfer mit aufgenommen. Jedoch keine aus einer noch niedrigeren Kaste. Zumindest ein paar Standards müssen schließlich gewährleistet sein.«
Was mein Vater da gerade so leichthin gesagt hatte, musste ich erst einmal verdauen. Ich war bislang immer davon ausgegangen, dass die Auswahl der Mädchen auf Schicksal oder Bestimmung beruhen würde … Doch in Wahrheit hielt also nur er die Fäden in der Hand.
Vater fuhr mit dem Daumen den Stapel entlang, und die Kanten der Mappen schnalzten gegeneinander.
»Möchtest du mal einen Blick riskieren?«, fragte er.
Wieder schaute ich auf die Mappen. Namen, Fotos und die Auflistung besonderer Fertigkeiten. Hier waren alle wichtigen Fakten zusammengetragen. Doch was die Persönlichkeit der Mädchen ausmachte, danach wurde in dem Formular nicht gefragt. Was sie zum Lachen brachte etwa. Oder was ihr dunkelstes Geheimnis war. Dieser Stapel enthielt eine Zusammenstellung von Eigenschaften, keine Informationen zum Charakter der Mädchen. Alles, was für meine Wahl zu zählen hatte, waren Eigenschaften.
»Du hast sie ausgesucht?« Ich riss mich vom Anblick der Mappen los und sah meinem Vater ins Gesicht.
»Ja.«
»Jede einzelne von ihnen?«
»Mehr oder weniger«, sagte er mit einem Lächeln. »Wie ich schon sagte: Ein paar sind nur um der besseren Show willen dabei, schließlich wollen wir dem Volk doch etwas bieten. Aber ich glaube, insgesamt erwartet dich eine vielversprechende Gruppe von Mädchen. Es sind weitaus bessere Kandidatinnen als damals bei mir.«
»Hat dein Vater die Kandidatinnen auch für dich vorab ausgewählt?«
»Einige von ihnen. Aber damals war noch alles anders. Warum fragst du?«
Ich dachte an seine Worte. »Das hast du also damit gemeint, als du sagtest, es hätte dich Jahre gekostet, habe ich recht?«
»Nun, wir mussten sicherstellen, dass bestimmte Mädchen zum Zeitpunkt des Castings auch wirklich volljährig sein würden. Und in manchen Provinzen hatten wir mehrere Optionen. Aber vertrau mir, du wirst sie lieben.«
»Werde ich das?«
Sie lieben? Als ob ihn das kümmern würde. Als ob das nicht nur eine willkommene Gelegenheit für ihn wäre, die Krone, den Palast und sich selbst noch weiter voranzubringen.
Plötzlich bekam auch sein beiläufiger Kommentar über Daphnes Nutzlosigkeit einen Sinn. Es war ihm völlig gleichgültig, ob ich ihr nahestand, weil sie charmant war, und ob ich ihre Gesellschaft genoss oder nicht; ihn interessierte nur, dass sie Frankreich verkörperte. Sie war für ihn gar kein Mensch. Und da er aufgrund seiner hervorragenden politischen Beziehungen von Frankreich ohnehin schon alles bekam, was er wollte, hatte sie in seinen Augen keinen Nutzen. Hätte Daphne andererseits aber irgendeinen Wert für seine politischen Ambitionen dargestellt, hätte er zweifellos keinerlei Skrupel gehabt, eine lieb gewordene Tradition über Bord zu werfen.
Er seufzte. »Das hier ist kein Grund, Trübsal zu blasen. Ich dachte, du würdest begeistert sein. Willst du wirklich keinen Blick hineinwerfen?«
Ich zupfte an meinem Jackett. »Wie du schon sagtest: Das Casting ist keine Angelegenheit für Träumereien. Ich werde sie sehen, wenn alle anderen sie auch sehen. Und wenn du mich nun entschuldigen würdest: Ich muss den Entwurf deiner Gesetzesänderung noch zu Ende lesen.«
Ohne Vaters Zustimmung abzuwarten, verließ ich das Zimmer. Ich war mir jedoch sicher, dass meine Antwort als Entschuldigung für meinen Abgang ausreichte.
Vielleicht war es nicht unbedingt ein Versuch, mich zum emotionalen Krüppel zu machen. Dennoch fühlte es sich wie eine Falle an, dass ich aus den von ihm handverlesenen wenigen Dutzend Mädchen eine aussuchen sollte, die ich mochte. Wie sollte das nur gehen?
Ich befahl mir selbst, ruhig Blut zu bewahren. Immerhin hatte er Mom ausgewählt, und sie war eine wundervolle, schöne und kluge Frau. Allerdings war das anscheinend ohne dieses Ausmaß an Einmischung geschehen. Und die Dinge lagen jetzt anders – jedenfalls behauptete er das.
Angesichts dieser neuen Erkenntnisse – Daphnes Worten und der Tatsache, dass Vater sich aktiv in die Auswahl einmischte – wuchsen meine eigenen Ängste ins Unermessliche, und plötzlich fürchtete ich das Casting wie nichts zuvor.
Noch fünf Minuten blieben mir, bis sich meine Zukunft vor mir ausbreiten würde, und mir war so übel, dass ich mich jeden Moment zu übergeben drohte.
Eine sehr nette Visagistin tupfte mir den Schweiß von der Stirn.
»Geht es Ihnen gut, Sir?«, fragte sie und bewegte das Tuch hin und her.
»Ich hadere nur gerade damit, dass von den ganzen Lippenstiften, die Sie da drüben stehen haben, kein einziger meine Farbe zu haben scheint.« Mom sagte das manchmal: nicht meine Farbe. Ich war mir nicht ganz sicher, was es genau bedeutete.
Sie kicherte – genau wie Mom und ihre Visagistin.
»Ich glaube, das reicht«, sagte ich zu dem Mädchen und betrachtete mich in den Spiegeln, die im Hinterraum des Studios aufgestellt waren. »Ich danke Ihnen.«
»Für mich gilt das Gleiche«, sagte Mom, und die beiden jungen Frauen ließen uns allein.
Ich spielte mit einem kleinen Behältnis und versuchte nicht an die Sekunden zu denken, die verrannen.
»Maxon, Liebster, geht es dir wirklich gut?«, fragte Mom und sah dabei nicht mich, sondern mein Spiegelbild an. Auch ich schaute in den Spiegel.
»Es ist nur … Es ist …«, murmelte ich.
»Ich weiß. Das Casting ist für alle Beteiligten nervenaufreibend, doch schlussendlich werden wir heute nur die Namen von ein paar Mädchen hören. Das ist alles.«
Ich atmete tief ein und nickte. So konnte man es auch sehen. Namen. Das war alles, was passieren würde. Nur eine Reihe von Namen. Nichts weiter.
Noch einmal holte ich tief Luft. Wie gut, dass ich heute kaum etwas gegessen hatte. Mein Magen dankte es mir.
Ich wandte mich um und ging zu meinem Platz im Studio, wo Vater bereits wartete.
Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Reiß dich gefälligst am Riemen. Du siehst grauenvoll aus.«
»Wie hast du das bloß geschafft?«, fragte ich in flehendem Ton.
»Mit Selbstvertrauen, denn ich war der Prinz. Und so wirst du es auch handhaben. Muss ich dich daran erinnern, dass du die Trophäe bist?« Vater sah unendlich müde aus, und sein Tonfall klang ungeduldig, als hätte ich das alles schon längst begreifen müssen. »Sie wetteifern um dich, nicht umgekehrt. Dein Leben wird sich nicht im Geringsten ändern – abgesehen davon, dass du einige Wochen lang mit ein paar extrem aufgeregten weiblichen Wesen zurechtkommen musst.«
»Aber was ist, wenn mir keine von ihnen gefällt?«
»Dann wirst du diejenige nehmen, die du am wenigsten verabscheust. Vorzugsweise eine, die uns politisch nützen kann. Aber mach dir in dieser Hinsicht keine Sorgen; ich werde dir schon auf die Sprünge helfen.«
Wenn mein Vater mich mit diesen letzten Worten hatte beruhigen wollen, dann war das gründlich schiefgegangen.
»Noch zehn Sekunden«, rief jemand. Meine Mutter setzte sich rasch auf ihren Platz, wobei sie mir aufmunternd zuzwinkerte.
»Vergiss nicht zu lächeln«, spornte mich Vater an und wandte sich dann selbstbewusst den Kameras zu.
Und dann ging es los.
Plötzlich erklang die Nationalhymne, und Leute begannen zu reden. Mir war klar, dass ich eigentlich hätte zuhören sollen, doch ich musste mich mit aller Kraft darauf konzentrieren, einen gelassenen, fröhlichen Ausdruck auf mein Gesicht zu zaubern.
Ich bekam nicht viel mit, bis ich Gavrils vertraute Stimme hörte.
»Guten Abend, Eure Majestät«, sagte er fröhlich. Ich schluckte vor Angst, bevor ich merkte, dass er meinen Vater angesprochen hatte.
»Es ist immer schön, Sie zu sehen, Gavril«, sagte der König mit einem charmanten Lächeln.
»Sind Sie gespannt auf die Verkündung der Namen?«
»O ja. Ich war gestern dabei, als einige von ihnen ausgelost wurden; allesamt zauberhafte Mädchen.«
Ich zog innerlich den Hut vor meinem Vater. Er war so lässig, so natürlich.
»Sie kennen die Namen also schon?«, rief Gavril aufgeregt.
»Nur ein paar«, wiegelte Vater sofort ab, »nur ein paar wenige.«
»Hat er Sie zufällig an seinen Kenntnissen teilhaben lassen?«, fragte Gavril und wandte sich an mich. Seine Reversnadel funkelte im grellen Scheinwerferlicht, als er sich bewegte.
Vater drehte sich zu mir und erinnerte mich mit einem Blick daran zu lächeln. Ich tat es.
»Nicht im mindesten«, antwortete ich. »Ich werde die jungen Frauen erst mit allen anderen Zuschauern zu Gesicht bekommen.«
»Eure Majestät«, sagte Gavril jetzt und trat zur Königin. »Haben Sie einen Ratschlag für die Kandidatinnen?«
Ich beobachtete meine Mutter. Wie lange hatte sie gebraucht, um so selbstsicher, so makellos zu wirken? Oder war sie schon immer so gewesen? Sie lächelte milde, und Gavril schmolz dahin.
»Genießt euren letzten Abend als ganz normale Mädchen«, sagte Mom in die Kameras. »Ab morgen wird sich euer aller Leben in jedem Fall sehr verändern.« Ja, meine Damen, euer Leben und meines auch. »Und – das ist ein alter Ratschlag, aber er ist gut: Seid ihr selbst.«
»Weise Worte, meine Königin, sehr weise Worte.« Mit einer ausholenden Geste drehte Gavril sich zu den Kameras. »Und damit wollen wir nun die Namen der fünfunddreißig jungen Damen enthüllen, die für das Casting erwählt wurden. Meine Damen und Herren, bitte beglückwünschen Sie mit mir folgende Töchter von Illeá!«
Ich sah, wie das Nationalwappen auf den Monitoren erschien und in der rechten oberen Ecke mein Gesicht eingeblendet wurde. Der Schreck fuhr mir in die Glieder. Was? Sie würden mich die ganze Zeit über auf dem Bildschirm zeigen?
Außerhalb des Blickwinkels der Kameras legte Mom ihre Hand auf meine. Ich atmete ein. Und dann wieder aus. Dann wieder ein.
Es sind schließlich nur ein paar Namen. Keine große Sache, sagte ich mir immer wieder. Es ist ja nicht so, dass sie nur einen Namen verkünden, und dieses Mädchen muss es dann sein.
»Miss Elayna Stoles aus Hansport, Drei«, las Gavril von einer Karte ab. Ich strengte mich an, noch strahlender zu lächeln. »Miss Tuesday Keeper aus Waverly, Vier«, fuhr er fort.
Ich beugte mich zu Vater, wobei ich mich bemühte, weiterhin begeistert auszusehen. »Mir ist übel«, flüsterte ich.
»Atme ganz ruhig weiter«, zischte er zwischen den Zähnen hindurch. »Ich wusste es doch – du hättest sie dir gestern bereits ansehen sollen. Dann würde dir das jetzt nicht passieren.«
»Miss Fiona Castley aus Paloma, Drei.«
Ich blickte hinüber zu Mom. Sie lächelte. »Sehr hübsch.«