Andreas Bernard
Komplizen des Erkennungsdienstes
Das Selbst in der digitalen Kultur
FISCHER E-Books
Andreas Bernard, geboren 1969 in München, schreibt für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« und ist Professor am »Center for Digital Cultures« der Leuphana Universität Lüneburg. Im Fischer Verlag erschien zuletzt »Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung« (2014) sowie »Die Geschichte des Fahrstuhls. Über einen beweglichen Ort der Moderne« (2006).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Auffällig viele Verfahren der Selbstpräsentation und Selbsterkenntnis in der digitalen Kultur gehen auf Methoden der Kriminologie, Psychologie oder Psychiatrie zurück. Das Format des »Profils« in den Sozialen Netzwerken entstand als »psychiatrisches Profil« von Internierten oder als »Täterprofil« von Serienmördern. Die Selbstortung auf dem Smartphone nutzt eine Technologie, die bis vor zehn Jahren als elektronische Fußfessel bekannt war. Und die Vermessungen der »Quantified Self«-Bewegung zeichnen Körperströme auf, die einst die Entwicklung des Lügendetektors voranbrachten. Andreas Bernards Buch geht der irritierenden Frage nach, warum Geräte und Verfahren, die bis vor kurzem Verbrecher und Wahnsinnige dingfest machen sollten, heute als Vehikel der Selbstermächtigung gelten.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: hißmann, heilmann, Hamburg
Coverabbildung: artvea / Getty Images
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490444-3
Bélanger u.a. (2011), S. 334; vgl. zu der Debatte grundsätzlich Anonym (2012) und Piorkowski (2012)
Boyd/Heer (2006), S. 1. Vgl auch: Boyd (2004), S. 1 und Boyd/Donath (2004), S. 72. Den Hinweis auf Danah Boyds Aufsätze zum ›Profil‹, wie auch einige andere Hinweise zur Geschichte des Formats, verdanke ich den Forschungen des Braunschweiger Medienhistorikers Andreas Weich (vgl. Weich [2017]), dessen Dissertation zur Geschichte des Profil-Begriffs in Kürze erscheint
Boyd/Donath (2004), S. 74
Boyd/Heer (2006)
Webster Universal Dictionary (1968), S. 1163
Rossolimo (1910/1926), S. 8 (Hervorhebung A.B.)
Bartsch (1922/1926), S. 3
Bartsch (1922/1926), S. 60 und S. 73; Giese (1923), S. 40
Gold (1962); zum ›Mad Bomber‹ und dem Anteil des Psychoanalytikers James Brussel an der Aufklärung der Explosionsserie vgl. Brussel (1968/1971)
Ault/Reese (1980), S. 22–25
Vorpagel (1982), S. 156
Ault/Reese (1980), S. 24; vgl. die ganz ähnliche Liste bei Vorpagel (1982), S. 159
Gold (1962), S. 404 und 416, Ault/Reese (1980), S. 25
Rider (1980), Juli, S. 7
Zur Anzahl der Fälle in den USA vgl. Vorpagel (1982), S. 159, zum ersten Täterprofil in Deutschland vgl. Musolff (2006), S. 12
Vgl. etwa zur Geschichte der Erfassung von Psychiatriepatienten, zum Übergang von der krankensaalbezogenen Dokumentation zum patientenzentrierten Format im Lauf des 19. Jahrhunderts Ipektschi (1983) über das Allgemeine Krankenhaus in Hamburg, Bernet (2009) über die Zürcher Klinik Burghölzli sowie Hess (2010, v.a. S. 310) und Ledebur (2011, v.a. S. 103) über die Berliner Charité
Lavater (1772/1991), S. 50 (Die Zitate wurden der gegenwärtigen Ortographie angepasst)
Bertillon (1895), S. 14
Und man könnte in dieser Hinsicht sogar noch eine dritte Bedeutungsebene des Begriffs hinzunehmen, die erstmals um 1880 patentierten Fahrrad-›Profilreifen‹ der Firmen Dunlop oder Palmer. In Conan Doyles Sherlock-Holmes-Geschichte Die Abtei-Schule ist es genau die Lektüre dieser verschiedenen Fahrradspuren im Umkreis des Tatorts, die den Detektiv auf die richtige Fährte bei der Suche nach dem Täter führt. »Ich bin mit zweiundvierzig verschiedenen Reifenabdrücken vertraut«, sagt Sherlock Holmes zu Beginn der Ermittlung. (Doyle [1904/1985], S. 142)
Vgl. die Abbildung der ersten match.com-Seite von 1995 auf dailymail.co.uk/sciencetech/article-3324447/I-trying-right-person-marry-Match-com-founder-reveals-inspirationonline-dating-site-goes-public.html sowie die frühe Werbeannonce des Unternehmens auf kremen.com/wp-content/uploads/files/019_WEBSIGHT_0996_MATCH_AD.PDF. Vgl. auch einen der ersten Erfahrungsberichte über die Seite von Crawford (1996), in dem es heißt: »Man stellt einfach sein Profil online und wartet auf elektronische Liebesbriefe.«
Vgl. Illouz (2006), S. 115–159 und Illouz (2011), S. 357–416
youtube.com/watch?v=MzE2cOqUFWM (ab Minute 2:20)
Noch ältere, auf wenige Hundert Teilnehmer begrenzte Online-Communities wie das seit 1985 bestehende, in Kalifornien gegründete WELL (›Whole Earth ’Lectronic Link‹) kannten das Format des ›Profils‹ noch nicht. Die Mitglieder wählten sich mit Benutzernamen und Passwort ein und konnten die nach Themen geordneten Seiten durchstöbern und Kommentare platzieren (vgl. zur Funktionsweise des WELL Rheingold [1993/2000] und Turner [2006], S. 141–174)
Weinreich (1997), Abschnitt 10, Abschnitt 18, Abschnitt 1
Zitiert bei Riordan (2003). Reid Hoffmann, noch heute Präsident des Unternehmens LinkedIn, hat diese Formel mit ihrer konstitutiven Analyse des ›Profils‹ nie mehr aus der Hand gegeben
Weinreich (1997), Abschnitt 5
Erstmals formuliert wurde dieses Konzept offenbar in der 1929 erschienenen Erzählung Kettenglieder des ungarischen Schriftstellers Frigyes Karinthy
Püttjer/Schnierda (1999)
Bis heute sind unter anderem folgende Titel in verschiedenen Auflagen erschienen: Die Bewerbungsmappe mit Profil für Führungskräfte, Die Bewerbungsmappe mit Profil für Hochschulabsolventen (mit Insiderkommentaren), Das große Bewerbungshandbuch (mit Püttjer & Schnierda-Profil-Methode), 20 perfekte Bewerbungen mit Profil, Die Bewerbungsmappe mit Profil für Um- und Aufsteiger, Vorstellungsgespräch: vorbereiten, überzeugen, gewinnen (mit Pütter & Schnierda-Profil-Methode)
Telefonisches Interview mit Christian Püttjer, 26. Januar 2017
Püttjer/Schnierda (2006), S. 18
Püttjer/Schnierda (2001), S. 85, Püttjer/Schnierda (2006), S. 20
Püttjer/Schnierda (2006), S. 25
Vgl. zum Beispiel Püttjer/Schnierda (1999), S. 79, Püttjer/Schnierda (2006), S. 220 und Püttjer/Schnierda (2006), S. 18
Das Wort ›Benutzerprofil‹ etwa taucht im Zusammenhang mit der demographischen Analyse einer Bevölkerungsgruppe vereinzelt schon ab den frühen 1970er Jahren auf, vgl. Kob (1973)
Vgl. etwa Burnett/Bush (1986)
Wenzlau u.a. (2003), S. 17/18 (Hervorhebung im Original)
Vgl. US-Patent WO 2007041371, Using Information from User Video Game Interactions to Target Advertisments und die Diskussion des Patents bei Martin-Jung (2007)
Wittig (2000), S. 62. Wittig zitiert in dieser Passage zum Teil ihrerseits einen anderen Juristen
Schnabel (2009), S. 172, S. 171
Datenschutz-Grundverordnung (2016), Kapitel 1, Art. 4: ›Begriffsbestimmungen‹ und Vorbemerkung 60
Ebd., Vorbemerkung 18
Schnabel (2009), S. 177. Eine der ersten datenschutzrechtlichen Untersuchungen, die diese neue Verdoppelung von unbemerkt und freiwillig erstellten ›Profilen‹ zum Thema machen, ist die im Jahr 2012 erschienene Studie von Louise Specht, vgl. Specht (2012)
Vgl. Kosinski u.a. (2011); Kosinski/Stilwell/Graepel (2013), S. 5802; vgl. auch mypersonality.org/wiki/doku.php
Kosinski/Stilwell/Graepel (2013), S. 5802; Kosinski u.a. (2011)
Vgl. die Rede Nix’ auf youtube.com/results?search_query=alexander+nix+concordia+summit (bei Minute 4:10); vgl. auch Grassegger/Krogerus (2016), jener Artikel, der die Arbeitsweise der Firma ›Cambridge Analytica‹ nach Trumps Wahl im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat
Turkle (1995), S. 185, Turkle (1994), S. 164 (Hervorhebung im Original), Rheingold (1993/2000), S. 149, Barlow (1996)
Turner (2006), S. 162
Ebd., S. 117
Barlow (1996)
facebook.com/legal/terms
Kirkpatrick (2010), S. 100, S. 199, S. 210
Sender (1978), S. 318
Vgl. Krüger (1978), S. 105
Kittler (1986), S. 149
Freiesleben (1978), S. 66, Ernst (1978), S. 409, Tjardts (1982), S. 150
Stellvertretend etwa Beukers (1995), S. 24
Presidential Decision Directive NSTC-6 vom 28. März 1996, fas.org/spp/military/docops/national/gps.htm
The White House, Office of the Press Secretary, Press Briefing May 1 2000, clinton6.nara.gov/2000/05/2000-05-01-press-briefing-on-the-global-positioning-system.html
Institute of Public Administration (1968), S. 28, zitiert auch bei Schwitzgebel (1971), S. 18
Hansen/Leflang (1979), S. 4
Eylert (1982), S. B 13; vgl. auch Hansen/Leflang (1979), die im Hinblick auf das Konzept der automatischen Fahrzeugortung die Sicherheit der Beamten als »eines der vordringlichsten Einsatzgebiete« bezeichnen, und Fogy (1978), den vermutlich ersten deutschsprachigen Aufsatz zum Thema
Peitz (1987), S. 361
Vgl. die Diskussion der beiden Fälle bei Hall (1985), Heft 2, S. 27–30
Lavrakas/Marshall (1995), S. 122, S. 124
Vgl. Larkin (2013), S. 3
Zitiert bei Hall (1985), Heft 2, S. 27
Hall (1985), Heft 3, S. 27
United States v. Jones (2012), S. 10
United States v. Jones (2012), Alito, J., Concurring in Judgement, S. 11, 12, 13
United States Petitioner v. Antoine Jones (2011), Oral Argument, S. 44
United States v. Jones (2012), Sotomayor, J., Concurring in Judgement, S. 3
Vgl. Johnson (2012)
Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 581/01 (2005)
Vgl. juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2013&Sort=3&nr=64248&pos=0&anz=95
Schwitzgebel u.a. (1964), S. 233
Schwitzgebel/Hurd (1969)
Schwitzgebel (1969), S. 10
Vgl. Schwitzgebel (1971)
Schwitzgebel (1969), S. 12
Schwitzgebel u.a. (1964), S. 237
bleedingcool.com/2012/06/24/when-spider-man-invented-electronic-tagging/; vgl. zu Jack Love und Spiderman auch Timko (1986), S. 15 und Fox (1987), S. 131ff.
Jolin/Rogers (1990), S. 202
Vgl. Fox (1987), S. 133
Bundestagsdrucksache 17/3403 (2010)
Brauneisen (2011), S. 311
Strafgesetzbuch, § 68b Weisungen; http://dejure.org/gesetze/STGB/68b.html
Nogala/Haverkamp (2000), S. 35
Brauneisen (2011), S. 312; vgl. auch den identischen Vergleich mit der »Armbanduhr« bei Kunze (2008), S. 34
Vgl. Önel (2012), S. 6. Und dies ist auch der Grund dafür, dass es gegen die ›elektronische Fußfessel‹ noch nicht, wie im Fall der heimlichen Ortung von Verdächtigen, zu Verfassungsklagen gekommen ist
Brauneisen (2011), S. 312
§ 463a Abs. 4 S. 1 Hs. 2 STPO
Redlich (2005), S. 369
Feltes (1988), S. 90, S. 95, S. 97
Vgl. dazu Kapitel 4 dieses Buches
Feltes (1988), S. 102
Jacobson (1995), S. 81
Buschauer/Willis (2014), S. 7; vgl. auch den aufschlussreichen Aufsatz von Buschauer (2014), in dem sie unter anderem die technische Vorgeschichte der Ortungssensibilität von Mobiltelefonen nachzeichnet. Bis weit in die 1990er Jahre hinein gilt es als ein rein infrastrukturelles Problem der neuen Kommunikationstechnik, dass ein Gerät den Standort des anderen kennen muss; anders könnte das zellulär aufgebaute Mobilfunksystem nicht funktionieren. Erst ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, so Buschauer, beginnen Lokalisierungsverfahren als Selbstzweck und ›Kernfähigkeit‹ der digitalen Kultur wahrgenommen zu werden (S. 417)
Dao/Rizos/Wang (2002), S. 169 (vgl. ganz ähnlich auch Lachapelle/Wang [2002], S. 137); Frith (2015), S. 29
Vgl. Frith (2015), S. 34
Negroponte (1996/1997), S. 13/14
Vgl. etwa Ackermann (2014), S. 156
Vgl. den für die Fangemeinde zentralen Text von Köhntopp (2016)
Boltanski (2012/2015), S. 60; zum »Indizienparadigma« vgl. Ginzburg (1979/1988)
Nogala/Sack (1995), S. 127, S. 149
Wolf (2010), S. 12
Ebd., S. 2 und 3
Ebd., S. 7, S. 12
Lichtenberg (1778/1972), S. 288
Wolf (2010), S. 11, S. 12
Vgl. zu diesen Zahlen Neff/Nafus (2016), S. 1, Marshall (2016) und cnet.com/news/fitbit-sold-more-wearables-in-2016-than-apple-and-samsung-combined/
Wolf (2010), S. 7, youtube.com/watch?v=ec31n6HFxJg, fitbit.com/de/whyfitbit
Vgl. zur Geschichte der Waage das eindrucksvolle Buch von Schwartz (1986), v.a. S. 164ff.; zum Vergleich zwischen früheren und heutigen Verfahren der Selbstvermessung Crawford/Lingel/Karppi (2015)
fitbit.com/de/app
Ebd.
MacManus (2014), S. 13
generali-vitalityerleben.de/noch-fragen.html#tests
presseportal.de/pm/108395/3360582; zu den Plänen der gesetzlichen Krankenkassen vgl. versicherungsbote.de/id/4844671/Techniker-Krankenkasse-Fitnesstracker-Bonusprogramm/
generali-vitalityerleben.de/noch-fragen.html
Vgl. die Website dacadoo.com
Vgl. Bröckling (2004), Bröckling (2007), Lemke (2007)
generalivitality.de/vmp/bewusst_machen/vitality_alter
Neff/Nafus (2016), S. 15
youtube.com/watch?v=YN_MjyNq3Z8, vgl. zur hier zitierten Passage die Sequenz bei Minute 3:10 bis 3:30
Münsterberg (1908/1923), S. 6, S. 3, Münsterberg (1914/1920), S. 236
Kurella (1892), S. 11, Gould (1981/1994), S. 131; zu den Verbrechertypen vgl. Kurella (1892), S. 39
Bertillon (1890), S. 4, S. 11, S. 4/5
Schneider (1986), S. 23, Bertillon (1890), S. 30/31
Krause (2008), S. 362
Gross (1893/1914), S. 50, S. 37, S. 37
Gross (1893/1914), S. 160, S. 164/65. Der automatische Schrittzähler wird sogar schon in der zweiten Auflage des Handbuchs, erschienen im Jahr 1894, erwähnt (vgl. S. 126/127)
Krafft-Ebing (1867), S. 19; Westphal (1877/1892), S. 393
Westphal (1877/1892), S. 394; zum Stellenwert des Zählzwangs in der Psychiatrie des frühen 20. Jahrhunderts vgl. Jahrreiß (1926)
Joachim (1892), S. 25/26, Jahrreiß (1926), S. 761, S. 782, S. 783
Döblin (1911/2013), S. 59; Marx (1997), S. 55 (mit Blick auf Duytschaever [1973]), Döblin (1911/2013), S. 60. Michael Fischer ist nicht der einzige labile Protagonist Döblins, der unentwegt seine Schritte zählt. In seinem großen historischen Roman November 18 heißt es etwa über die Hauptfigur Friedrich Becker: »Wie er die Schritte zählte und kontrollierte, machte er noch rasch kehrt, um zu sehen, was sich hinter seinem Rücken abspielte« (zitiert nach Schäffner [1995], S. 44)
Zit. bei Griesinger (1868/69), S. 631, Westphal (1877), S. 405
Freud (1896/1952), S. 391, Freud (1894/1952), S. 63, Freud (1896/1952), S. 386
Cullerre, Alexandre, Les Epileptiques arithmomanes (1890), zitiert und übersetzt bei Donath (1918), S. 56
Löwenfeld (1904), S. 230/31
Freud (1896/1952), S. 391
Gould (1981/1994), S. 132, S. 18/19, S. 74/75
Ebd., S. 19
Ebd., S. 164
Ebd., S. 173
Ebd., S. 201
Münsterberg (1914/1920), S. 236; vgl. auch die ganz ähnlichen Passagen S. 507 und Münsterberg (1908/1923), S. 82
Watson (1913/1968), S. 17, Watson (1925/1930), S. 22, Watson (1913/1968), S. 13
Skinner (1974/1978), S. 40, S. 22
Raulff (1985), S. 39
Skinner (1974/1978), S. 175, S. 191, S. 253/54
presseservice.pressrelations.de/pressemitteilung/generali-group--partnerschaft-zwischen-generali-und-discovery-zur-einfuehrrung-des-innovativen-produkts-vitality-in-europa-581548.html (Hervorhebung A.B.)
Münsterberg (1914/1920), S. 216, Watson (1925/1930), S. 31, Skinner (1974/1978), S. 252. Dieser prinzipiellen Ablehnung zum Trotz führt Münsterberg aber auch einige Selbstvermessungen durch (vgl. Münsterberg 1908/1923, S. 120/121)
fitbit.com/de/app
Vgl. Rechtschaffen/Kale (1968), zitiert bei Penzel (2014), S. 213
Wolf (2010), S. 11
Münsterberg (1914/1920), S. 237
Münsterberg (1908/1923), S. 45/46
Vgl. Raulff (1985), S. 36
Münsterberg (1914/1920), S. 506/07
Münsterberg (1914/1920), S. 502 (siehe ganz ähnlich auch S. 512), S. 502
Zitiert bei Raulff (1985), S. 33
Raulff (1985), S. 42. Ein Schreibfehler im Original wurde getilgt.
Crawford (2014)
Vgl. zu diesem Standpunkt etwa Olsen (2014)
Crawford (2014)
bgr.com/2016/04/20/fitbit-fitness-tracker-legal-case/, fusion.net/story/158292/fitbit-data-just-undermined-a-womans-rape-claim/
Anonym (1987a), S. 30
Rottmann/Strohm (1986), S. 7, S. 136, S. 9, S. 11/12; zu den Verkaufszahlen des Buches vgl. Anonym (1987b), S. 46
Koppenstedt (1983), S. 7
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15.12.1983; https://openjur.de/u/268440.html
Vgl. die Darstellung der Bögen auf deutsche-digitale-bibliothek.de/item/UBKXLYCVA5QTY4B7CX2FWXLXBM7OOCLD; alle Zitate aus den Erhebungsformularen von 1987 beziehen sich auf diese Abbildungen
Zitiert bei Anonym (1987a), S. 31. Zu Leverkusen vgl. Anonym (1987a), S. 30, zu Freiburg vgl. den Pressespiegel in Universität Duisburg Gesamtschule (1988), o. S.
Vgl. Kapitel 1, S. 24
Rottmann/Strohm (1986), S. 7
Anonym (1987a), S. 53
Rottmann/Strohm (1986), S. 126
Rottmann/Strohm (1986), S. 9; Wermann (1987), S. 38
Aly/Roth (1984), S. 16, S. 17, S. 67
Vgl. Aly (1987)
Rottmann/Strohm (1986), S. 8
Herold (1968), S. 244/45, S. 243, S. 240
Herold (1985), S. 85
Anonym (1987a), S. 31
Duve (1983), S. 26, Hubert (1983), S. 259, Süskind (1983), S. 3, Hubert (1983), S. 254, Rottmann/Strohm (1986), S. 25
Rottmann/Strohm (1986), S. 7
Bölsche (1979/1983) S. 11
Lovink (1997); vgl. zur Geschichte der Netzkritik-Bewegung auch Apprich (2015)
Vgl. zu dieser Entwicklung Turner (2006), S. 212–222
Orwell (1949/2011), S. 9, S. 8, S. 136, S. 102
Dave Eggers hat diese Transformation in seinem Roman Der Circle von 2014 literarisch ausgearbeitet (vgl. Eggers [2014])
Orwell (1949/2011), S. 10
Ebd., S. 248/49
Ebd., S. 92
Ebd., S. 42
Ebd., S. 155
Ebd., S. 203 (Hervorhebung im Original)
Ebd., S. 341–343
Vgl. Bauman/Lyon (2013)
Vgl. Brunton/Nissenbaum (2015)
Anonym (1984), S. 221
Vgl. Kurella (1892), S. 22
Gross (1893/1914), S. 346/47
Bertillon (1890), S. 24
Vgl. z.B. nytimes.com/1994/05/22/magazine/sunday-may-22-1994-nike-s-tattooed-ekins.html oder polledemaagt.com/blog/2010/11/14/remarkable-corporate-culture-nikes-ekin-tattoos/
Ploetz (1895), S. 144
Binding/Hoche (1920), S. 55, S. 51
Deleuze (1990/1993), S. 255, S. 257, S. 261
fitbit.com/at/about, facebook.com/generali.badhomburg/posts/1171630396227749
Bauman/Lyon (2013), S. 47
Lukács, Georg (1923/1968), S. 257
So schon ein BVerfG-Urteil zum Mikrozensus im Jahr 1969, telemedicus.info/urteile/Allgemeines-Persoenlichkeitsrecht/420BVerfG-Az-1-BvL-1963-Mikrozensus.html
Nachtwey (2016), S. 108, S. 11
Ebd., S. 84, S. 86, S. 78, S. 108
Münsterberg (1914/1920), S. 441; Watson (1925/1930), S. 33; zur Kybernetik vgl. Wiener (1943/2002); Herold (1968), S. 253, S. 254. Auch in B.F. Skinners Standardwerk Der Behaviorismus wird betont, wie wichtig die Kategorie der »Vorhersage« für die durch ihn so einflussreich gewordene Wissenschaft ist (vgl. Skinner [1974/1978], S. 16/17)
Foucault (1993), S. 203, übersetzt und zitiert von Bröckling/Krasmann/Lemke (2000), S. 29; ebd., S. 29
Orwell (1949/2011), S. 201, S. 264
Der große Erfolg des Buches Rückkehr nach Reims, in dem der Soziologe Didier Eribon von der lebenslangen Verleugnung seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie erzählt und dieses paradigmatische Schweigen mit einer Reflexion über den Stellenwert der ›Klasse‹ in der Politik der Gegenwart verbindet, deutet allerdings an, dass sich das Interesse an dieser vernachlässigten Kategorie gerade wieder vergrößert (vgl. Eribon [2009/2016])
Wenn es die digitale Kultur also charakterisiert, dass der Standort der Kritik in einer Gesellschaft aus vernetzten, sich selbst erfassenden und regulierenden Menschen problematisch geworden ist, dann stellt sich die Frage, inwieweit die politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre an die Ausprägungen der neuen Medientechnologie gebunden sind. Welchen Anteil am Aufstieg des Populismus hat die Disposition einer Öffentlichkeit, in der jede Behauptung, jede Information eines Absenders die Adressaten ohne den Filter zwischengeschalteter Institutionen erreichen kann? So wie Walter Benjamin in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit den Zusammenhang von Faschismus und neuen Medien wie dem Film und der Fotografie untersucht hat, müsste man die Präsidentschaft Donald Trumps, die Wahlkämpfe der neuen populistischen Parteien an die Wirkung heutiger Kommunikations- und Repräsentationsweisen knüpfen. Aber dies erfordert eine eigenständige Analyse.
Als die USA im Jahr 2012 von zwei Amokläufen innerhalb weniger Monate erschüttert wurden, in einem Kino in Denver und in einer Grundschule in Connecticut, erneuerte sich eine alte politische Debatte. Sie betraf die Frage, ob der potentielle Kreis von Tätern in Zukunft besser eingegrenzt und ein Verbrechen dieser Art frühzeitig verhindert werden könne. Zu den bekannten Verdachtsmomenten – die besondere Introvertiertheit der fast immer männlichen Täter, ihre soziale Abgeschiedenheit, psychiatrische Behandlungen in der Vergangenheit – kam nun ein weiteres Kriterium hinzu, und zwar die übereinstimmende Zurückhaltung der Todesschützen in den Sozialen Medien. Weder James Eagan Holmes noch Adam Lanza, so stellten die Berichterstatter fest, verfügten über ein ›Profil‹ bei Facebook, Twitter oder LinkedIn. Sie hatten sich, wie auch der Norweger Anders Breivik ein Jahr zuvor, den omnipräsenten Kommunikations- und Selbstdarstellungsangeboten im Netz verweigert, und diese Askese erhielt nun den Charakter eines Warnsignals. Personalchefs großer Unternehmen kamen zu Wort, die daran erinnerten, dass ein Blick auf die Online-Profile der Bewerber inzwischen zum Standard bei der Auswahl geeigneter Kandidaten gehöre und die völlige Absenz in den Sozialen Netzwerken Befremden hervorrufe. Medizinisch erhärtet wurde diese Ansicht durch eine 2011 publizierte Untersuchung des kanadischen Psychiaters Richard Bélanger, die einen »u-förmigen Zusammenhang« zwischen Internetaktivität und seelischer Gesundheit bei Jugendlichen konstatiert: »Heranwachsende, die sich überhaupt nicht im Netz bewegen, und solche, die es mehrere Stunden am Tag tun«, so Bélangers Fazit, gäben Ärzten und Psychologen »gleichermaßen zur Beunruhigung Anlass«.[1] In der digitalen Kultur der Gegenwart, das zeigte diese Diskussion anschaulich, kommt es inzwischen einem Moment der Irritation gleich, wenn Menschen in einem bestimmten Alter kein öffentliches Doppel ihrer selbst im Netz erschaffen, in Form von Profilen, Statusmeldungen, Kommentaren. Diese Abstinenz ist in der westlichen Welt heute offenbar erstes Zeichen einer psychischen Auffälligkeit, vielleicht einer Krankheit, vielleicht eines verborgenen pathologischen Triebs, der sich eines Tages in einem verheerenden Ausbruch entladen könnte. Im Umkehrschluss gilt die regelmäßige Nutzung der Sozialen Medien als Ausweis von Gesundheit und Normalität.
Die folgenden Überlegungen zum Status des Selbst in der digitalen Kultur betreffen Verfahren, Dienste und Geräte, die inzwischen selbstverständlich sind und in ihrem allgegenwärtigen Gebrauch zunehmend wie eine natürliche Disposition erscheinen. Dennoch stellen sie in der Geschichte der Repräsentationsformen von Subjektivität weiterhin eine frappierend junge Entwicklung dar. Wer noch vor einem Vierteljahrhundert die Schule oder die Universität besucht hat, wird sich erinnern, wie begrenzt damals die Optionen gewesen sind, die eigene Person, die eigenen Vorlieben und Überzeugungen, öffentlich darzustellen – ein Sticker auf dem Revers der Jacke, ein paar Zeilen unter dem Foto in der Abiturzeitung, eine kostspielige, nur einen Tag lang erhältliche Bekanntschaftsannonce in der Tageszeitung. Dieser minimale Radius an Publizität für alle, die nicht über den konstanten Zugang zu den Massenmedien verfügten, war noch Anfang der 1990er Jahre unveränderliche Wirklichkeit – und doch wirkt diese Zeit heute wie eine weit entfernte, fremd gewordene Epoche.
In Windeseile – Facebook ist erst seit Herbst 2006 ein für alle offenes Netzwerk, Smartphones gibt es seit 2007, App-Stores seit 2008 – hat sich eine flächendeckende digitale Kultur herausgebildet, deren Erscheinungsweisen in journalistischen und akademischen Abhandlungen laufend untersucht, gefeiert oder dämonisiert werden, deren wissensgeschichtliche Herkunft aber selten (und wenn, dann in computerhistorischer Perspektive) zur Sprache kommt. Eine solche Genealogie, eine solche Einbettung digitaler Medientechnologien in die Geschichte der Humanwissenschaften versucht dieses Buch. Denn was an den Verfahren heutiger Selbstpräsentation und Selbsterkenntnis auffällt – an den ›Profilen‹ der Sozialen Medien, aber auch an den vielfältig genutzten Ortungsfunktionen auf dem Smartphone oder den Körpervermessungen der ›Quantified Self‹-Bewegung –, ist der Umstand, dass sie allesamt auf Methoden zurückgehen, die in der Kriminologie, Psychologie oder Psychiatrie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erdacht worden sind. Techniken der Datenerfassung, die lange Zeit für polizeiliche oder wissenschaftliche Autoritäten reserviert waren, um den Zugriff auf einen auffälligen Personenkreis zu sichern, betreffen heute jeden Nutzer eines Smartphones oder Sozialen Netzwerks. Biographische Signalements, GPS-Sender und dauerhaft am Körper installierte Messgeräte sind dabei keine Erkenntnisinstrumente des kriminalistischen Verdachts mehr, sondern werden in einem spielerischen, kommunikativen, ökonomisch oder amourös inspirierten Sinne gebraucht.
Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Kategorie des ›Profils‹. Für den Austausch innerhalb der Sozialen Netzwerke spielt dieses Element bekanntlich die zentrale Rolle. Das Profil der Mitglieder von LinkedIn, Instagram oder Facebook – der Ort, an dem sie ihre Selbstbeschreibung verfassen, an dem persönliche Daten, Texte, Fotos und Videos versammelt sind – ist der Knotenpunkt der Interaktion. Bereits die frühesten Forschungen über Soziale Medien haben das ›Profil‹ deshalb in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. Danah Boyd etwa geht in ihren einflussreichen, ab dem Jahr 2002 veröffentlichten Aufsätzen über Friendster (das erste dauerhaft erfolgreiche Soziale Netzwerk) immer wieder von diesem Element aus. Im ersten Satz eines Beitrags von 2006 heißt es etwa: »Profile sind das vorherrschende Format geworden, um die eigene Identität online darzustellen.«[2] Den Autoren eines Profils – die gleichzeitig dessen Gegenstand sind – wird von Boyd dabei ein hohes Maß an Souveränität zugesprochen. Sie haben volle Autonomie in der öffentlichen Darstellung ihres Selbst, und je origineller und aufwendiger das Format gestaltet ist, desto stärker wird die Reaktion der anderen Nutzer des Sozialen Netzwerks ausfallen: »Wer die Mühen auf sich nimmt, ein interessantes Profil zu kreieren«, so Danah Boyd und Judith Donath im Jahr 2004 über Friendster, »wird auch mehr Verbindungen herstellen.«[3] Boyd bezeichnet die Praxis der Selbstgestaltung in ihren Aufsätzen häufig als »Identitätsperformance«, und sie betont, dass diese schöpferische, produktive Bewegung »das Profil von einer statischen Repräsentation des Selbst in ein kommunikatives Instrument verwandelt hat«.[4] Das ist also das Versprechen des Formats: ein freier, selbstbestimmter Raum, in dem die Verfasserinnen und Verfasser eine wünschenswerte, mehr oder weniger aufrichtige, mehr oder weniger geschönte öffentliche Persona in Szene setzen können.
Und doch darf man bei alldem nicht vergessen: Bis vor 20 oder 25 Jahren waren nur Serienmörder oder Wahnsinnige Gegenstand eines ›Profils‹. Diese Wissensform, dieses Raster der Menschenbeschreibung hat im letzten Vierteljahrhundert eine so rasante wie tiefgreifende Umwandlung erlebt. Vor dem Hintergrund seines heutigen Gebrauchs ist es daher aufschlussreich, sich mit der historischen Semantik des Begriffs auseinanderzusetzen. In welchen Zusammenhängen und zu welchem Zeitpunkt taucht das schriftliche ›Profil‹ auf? Wer ist sein Autor, wer sein Gegenstand, und warum wird es erstellt? In seiner Bedeutung als »kurze, anschauliche Biographie, die die wichtigsten Charaktermerkmale eines Subjekts umreißt«,[5] wie es das Webster Dictionary von der 1968er-Auflage an definiert, hat die Bezeichnung eine verhältnismäßig junge Geschichte (deutschsprachige Enzyklopädien nehmen diese Definition noch später auf). Das Wort ›Profil‹ wird ab der Frühen Neuzeit zunächst im architektonischen und geologischen Kontext gebraucht und meint den Umriss von Gebäuden oder Gebirgen; im 18. Jahrhundert etabliert sich dann auch die Bedeutung als Seitenansicht des Gesichts. Das ›Profil‹ im Sinne eines tabellarischen oder schematischen Abrisses, der Auskunft über einen Menschen gibt, scheint bis ins frühe 20. Jahrhundert unbekannt zu sein.
Wenn der Eindruck nicht täuscht, kommt das Wort in den Humanwissenschaften zum ersten Mal als Fachbegriff der Psychotechnik auf, in den Untersuchungen des russischen Psychiaters Grigorij Rossolimo, der im Jahr 1910 eine Abhandlung mit dem Titel Das psychologische Profil veröffentlicht. Rossolimo entwirft in dieser Studie, die nach dem Krieg auch auf Deutsch erscheint und in den zwanziger Jahren von Fachkollegen wie Karl Bartsch oder Fritz Giese aufgegriffen wird, ein Testverfahren für Kinder ab sieben Jahren, um verschiedene Begabungen – Konzentrationsspanne, Gedächtnisleistung oder Assoziationsvermögen – auf einer Skala von eins bis zehn zu messen. Am Ende dieser Testverfahren, so Rossolimo, können alle »Punkte der Tabelle miteinander verbunden werden, wodurch man eine Kurve der Entwicklungshöhe aller einzelnen Vorgänge enthält, nämlich ein detailliertes psychologisches Profil«.[6] Diese Messwerte werden in Russland vor allem dazu benutzt, um verhaltensauffällige Kinder einer adäquaten Schulart zuzuweisen. Wie Karl Bartsch in seiner Adaption der Methode sagt: »Das psychologische Profil ermöglicht es, die Funktionen der kindlichen Seele zu zergliedern und klarzulegen, und zeigt Wege zu rechten heilpädagogischen Behandlungen vorgefundener Störungen.«[7]
Das Erkenntnisinteresse des ›Profils‹ besteht also von Anfang an darin, einer prüfenden, wertenden Instanz Aufschluss über die Identität und das Verhalten abweichender Subjekte zu geben. Karl Bartsch, der die Interpretationen der Messverfahren Rossolimos zuspitzt und den Kreis seiner jungen Untersuchungspersonen »Psychopathen« nennt, schreibt über einen schwererziehbaren Schüler mit langer Problembiographie: »Wer kann ihn verstehen, ohne sein psychologisches Profil zu kennen?« Der Leipziger Heilpädagoge stellt auch eine kalkulierbare Beziehung zwischen ›Profilkurve‹ und institutioneller Reaktion her: »Alle Kinder, die im Alter von 7–8 Jahren und darüber hinaus eine Profilhöhe von 4 nicht erreichen«, so Bartschs Empfehlung, »sind der Hilfsschule zuzuführen.« Wo ein Profil erstellt, wo »eine Art seelenkundlichen Querschnitts durch den Menschen«[8] gezogen wird, wie es der Psychotechniker Fritz Giese 1923 nennt, steht also immer schon die Normalität und Gesundheit der analysierten Probanden auf dem Spiel.
Um 1930 verliert sich zunächst die Spur des ›psychologischen Profils‹ im Sinne der Psychotechnik, doch der Begriff taucht bald darauf in einem neuen Wissenskontext auf, der ihm dann im späten 20. Jahrhundert umfassende Popularität verschaffen wird. Um die Aufklärung ungelöster Kriminalfälle voranzutreiben – vor allem solcher, hinter denen man einen Wiederholungstäter vermutet –, kommt es nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA zunehmend zu Kooperationen zwischen Kriminalisten und Psychoanalytikern. So wie die konventionelle Polizeiarbeit materielle Spuren am Tatort auswertet, um sich über Fingerabdrücke oder verstreute Projektile der Identität des Täters zu nähern, beginnt sich die kriminalpsychologische Perspektive auch auf die immateriellen, affektiven Spuren zu konzentrieren, die er hinterlässt, auf die Frage, wie sich Hass, Angst, Zorn, Liebesbedürftigkeit oder andere Eruptionen seines Innenlebens in den Schauplatz des Verbrechens einzeichnen. Dieser Persönlichkeitsabdruck, diese kriminalpsychologische Ballistik hat schon in den fünfziger Jahren Anteil an der Aufklärung spektakulärer Serienverbrechen (etwa im Fall des New Yorker ›Mad Bombers‹ George Metesky), doch als ›psychiatrisches Profil‹ wird die Methode offenbar erst 1962, in einem Aufsatz des Psychoanalytikers Louis Gold über notorische Brandstifter, zum ersten Mal bezeichnet.[9]
Eine große Differenz kennzeichnet das ›psychiatrische Profil‹ der Kriminalistik im Vergleich zum früheren Gebrauch des Begriffs in der angewandten Psychologie: Nun sind es unbekannte Personen, die mit Hilfe dieses Wissensformats identifiziert werden sollen; an die Stelle der Prüfung tritt die Fahndung, an die Stelle der quantifizierbaren wissenschaftlichen Aussage die Hypothese. In ihrer Frühphase vertraut die neue Ermittlungstechnik noch auf die charismatischen, ins Schamanenhafte gehenden Intuitionen einzelner Kriminalpsychologen wie James Brussel. Erst am Ende der 1970er Jahre wird die Erstellung von ›Täterprofilen‹, wie sie nun heißen, mit programmatischer Sorgfalt entwickelt, und zwar im Umfeld einer neugegründeten Abteilung des FBI mit dem Namen ›Behavioral Science Unit‹. Psychologen und Kriminalisten erproben in dieser Abteilung neue Methoden, um auf die steigende Verbrechensrate in den USA zu reagieren. Seit den 1960er Jahren ist laut FBI nicht nur die Zahl der ungeklärten Tötungsdelikte stark angewachsen; auch die Fälle, bei denen das Opfer den Täter nicht kannte, hat sich, wie die Statistik überführter Mörder ausweist, von etwa zehn auf dreißig Prozent erhöht. »Wenn die Verbrecher immer raffinierter vorgehen«, so schreiben Richard Ault und James Reese in ihrem grundlegenden Aufsatz über die neue Methode in der hauseigenen Monatszeitschrift FBI Law Enforcement Bulletin, »muss Gleiches auch für die Ermittlungswerkzeuge des Polizeibeamten gelten. Eines dieser Werkzeuge ist die psychologische Analyse des Verbrechers – das Profiling.«[10]
Der Erkenntnisauftrag des ›Profils‹ liegt Ault und Reese zufolge darin, an den verheerenden Schauplätzen ungeklärter Sexualmorde oder Brandstiftungen bestimmte Verhaltensmuster und Motive des Täters zu entziffern. Einer der Leiter der ›Behavioral Science Unit‹ bezeichnet diese Strategie an anderer Stelle als den Versuch, »über das ›Warum‹ zum ›Wer‹ zu finden«.[11] Vom Zustand des Tatorts schließen die Ermittler auf eine eher organisierte oder desorganisierte Vorgehensweise des Täters, und von dieser Grunddifferenz aus versuchen sie die Identität des Unbekannten mehr und mehr einzukreisen: Lebt er in unmittelbarer Nähe seines Opfers? Befindet sich seine Wohnung in verwahrlostem Zustand? Hat man es mit einem eloquenten oder sozial ausgeschlossenen Täter zu tun, einem weiß- oder dunkelhäutigen, einem korpulenten oder abgemagerten (bestimmte psychische Krankheiten, so die Überzeugung der Kriminalpsychologen, äußern sich in asketischem Essverhalten)? Ihren bahnbrechenden Artikel beginnen die FBI12345678910[12]