Valentin Groebner
Retroland
Geschichtstourismus
und die Sehnsucht nach dem Authentischen
FISCHER E-Books
Valentin Groebner, geboren 1962 in Wien, lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Er war u.a. Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg sowie am Europäischen Hochschulinstitut Florenz und Professeur invité an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er ist der Autor zahlreicher Bücher zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte; seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschien von ihm 2015 ›Ich-Plakate. Eine Geschichte des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine‹.
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Reisen ist die Suche nach dem Paradies – wie es einmal war
Geraniengeschmückte historische Altstädte, Kolonialidyllen auf tropischen Inseln, unberührte Mittelmeerstrände und urtümliche Alpendörfer: Reisen an Orte, an denen die Zeit vermeintlich stehengeblieben ist, sind das Alltagsgeschäft des Fremdenverkehrs. Echt muss es sein, authentisch, wie früher – aber was genau wollen die Besucher dort finden? Valentin Groebner erzählt von der Entstehung des Geschichtstourismus und von dessen Hotspots, vom romantischen Luzern bis zum pittoresken Sri Lanka. Der eigentliche Rohstoff der Tourismusindustrie, so zeigt er in seinem elegant geschriebenen Reisebericht, sind nicht Kultur, Sonne und Landschaft, sondern das Versprechen auf das Paradies und das Wiederfinden der eigenen Ursprünge. Aber was macht man damit, nachdem man sie gefunden hat?
Erschienen bei FISCHER E-Books
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ISBN 978-3-10-490693-5
Enzensberger/Schlak, Ausland, S. 10.
Zitate: Bordmagazin Fluglinie Swiss, November 2017, S. 82ff. – all das finde man am Bielersee. Die geträumte Zeitreise in die Zukunft ist vor allem ideengeschichtlich wirksam gewesen; siehe Kapitel 3. Als touristisches Angebot war sie kommerziell weit weniger erfolgreich als die Besichtigung von vermeintlich vergangenen Zuständen – dazu Fenske, Abenteuer; Kühberger/Pudlat, Vergangenheitsbewirtschaftung; Schnepel/Knoll; Reznik, Vergangenheit.
Alle Zahlen nach »Tourism Highlights« 2016, hg. von der in Madrid ansässigen World Tourism Organisation UNWTO; abrufbar unter http://www.e-unwto.org/doi/book/10.18111/9789284418145. Zu den methodischen Schwierigkeiten mit den Zahlenangaben der WTO siehe Hess, Zahlen, S. 153–162; vgl. Scheppe, Migropolis, S. 512f., und d’Eramo, Welt, S. 12–16.
Urry/Larsen, Tourist Gaze 3.0; Meethan, Tourism; Boyer, Histoire; Duhamel, Tourismes 1; Ceriani, Tourismes 2; für Deutschland der Überblick von Fabian, Boom, und Hachtmann, Tourismus-Geschichte; für die Schweiz Tissot, Naissance und Charbon, Schweiz; Bachleitner, Tourist.
Stasiuk, Flugzeug, S. 54.
Lowenthal, Taking, S. 205–218.
Leniaud/Perrot, Sainte-Chapelle; Cohen, Sainte-Chapelle.
Koselleck, Zukunft; ders.: Zeitschichten; für eine detailliertere Übersicht siehe Groebner, Geschichtsgebrauch, S. 409ff.
Benjamin, Tagebuch, S. 443. Zu dieser Passage und zu Benjamins Geschichtskonzeption gibt es eine breite Forschungsliteratur; einen Überblick liefert Kramer, Benjamin, S. 116–124.
Dazu sehr detailliert Koschorke, Wahrheit.
Hardtwig/Schug, History; Korte/Paletschek, History; Assmann, Schatten; Dies, Geschichte.
Jenkins u.a., Manifestos; mit ähnlicher Ausrichtung Cannadine, History and the Media; mehr bei Groebner, Geschichtsgebrauch.
Daugbjerg u.a., Re-enacting; McCalman/Pickering, Reenactment; Sieber, Reenactment; Willner u.a., Doing History.
Anders im angelsächsischen Sprachraum; siehe etwa bereits Hewison, Heritage Industry, und Samuel, Theatres, die beide umfangreiche akademische Debatten ausgelöst haben; Watson, Touring; Baranowski/Furlough, Being Elsewhere; Kostiainen/Syrjämaa, Touring the Past.
Die drei Bände »Deutsche Erinnerungsorte«, 2001 von Etienne François und Hagen Schulze publiziert, verstanden sich als ein Kompendium populärer Geschichtsbenutzung. Sie dokumentierten Material »von ganz unterschiedlichem Gewicht, oft furchtbar trivial«, schreiben die Herausgeber in ihrer Einleitung, das aber »dennoch ein Netz von materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden« darstelle. Von der touristischen Nutzung ist dabei nur ganz am Rand die Rede. Das ist auch im französischen Vorbild so – François/Schulze, Einleitung, in: Dies, Erinnerungsorte, Bd 1., S. 16; Nora, Lieux.
Etienne François: Oberammergau, in: François/Schulze, Erinnerungsorte, Bd. 3, S. 291; Prost, Verdun, S. 270; Groebner, Geschichtsgebrauch.
Bloch, Apologie, S. 50f.
»Der Tourist«, hatte Enzensberger 1958 bemerkt, »zerstört, was er sucht, indem er es findet.« Siehe dazu Ders., Schimpfen S. 149.
Vgl. Frevert/Schmidt, Geschichte, die aber keine Angaben darüber machen, wer da jeweils sein Fühlen wem vorzeigt.
Pfaller: Zweite Welten, S. 98; Ders., Illusionen, etwa S. 11, 14, 20; aus sozialwissenschaftlicher Perspektive klassisch Davidson, Third-Person Effect.
Groebner, Mittelalter. Der Titel war ironisch gemeint; das ist nicht durchgängig so angekommen.
Sabrow, Sehnsucht, S. 768f.
Giuliani, Rezension; Wyss, Vasari; Nagel/Wood, Anachronic Renaissance, S. 219f.
Nagel/Wood, Anachronic Renaissance, S. 195–200.
Esch: Rom, S. 192ff.; zur Scala Santa Nagel/Wood, Anachronic Renaissance, S. 201.
Nagel/Wood: Anachronic, S. 202ff. und 215.
Ebd., S. 56–61 und 168.
»Nil vidi unquam magis religiosum, magis devotum, quod corda magis compungeret, quod caeterea omnia negligere et solum Christum sequi compelleret.« Zitiert nach Göttler, Last Things, S. 85; siehe auch Dies., Temptation; Nova: ›Popular Art‹; Panzanella, Pilgrimage in Hyperreality; Lasansky, Body Elision.
Lasansky, Body Elision, S. 265 und 266.
Göttler, Last Things, S. 85–107.
Dazu eingehend Lasansky, Body Elision, S. 258ff., und Göttler, Last Things, S. 82ff.
Karmon, Sacro Monte, S. 70f.
Federico Zuccari: Il Passagio per Italia (1607), zitiert nach Karmon, Sacro Monte, S. 72.
Zur humanistischen Rhetorik Grafton, Alberti; Wood, Replica, S. 255f. Zur Wirkungsgeschichte in der Moderne siehe Masse, Renaissance, und Hönes u.a., Renaissance.
Esch, Rom, S. 209f.
Karmon, Ruin, S. 18f.; Anthony Grafton: The Ancient City Restored, in: Ders.: Bring Out, S. 31–61.
Nagel/Wood, Anachronic Renaissance, S. 168ff. Zu Albertis vielen Arbeitsfeldern siehe Grafton, Alberti; zu den Vervielfältigungsketten rund um die Grabkopien Pieper u.a., Jerusalemskirchen.
Oder lautstarke Propaganda: Die Tafel wird im Reisebericht des Nürnbergers Niklaus Muffel von 1452 beschrieben; sie sei an der Decke derselben Kirche angebracht – Nagel/Wood, Anachronic Renaissance, S. 219ff. Siehe auch die Beiträge in Hamm/Kaufmann, Humanisten.
Wood, Replica, S. 259 und 366; siehe auch Anthony Grafton: A Contemplative Scholar: Trithemius Conjures the Past, in Grafton, Worlds, S. 56–77.
»Defuncta jacebant, ex ea demum arte diva iterum vivos inter homines ad lucem ab orco revocata vivent felicissima temporis reparatione.« Zitiert nach Brown, Venice, S. 306; Wright, Belozerskaya.
Wood, Replica, S. 272; Esch, Rom, S. 207.
Tschudi, Baroque Antiquity.
Wood, Replica, S. 139.
Der Brief an Ulrike von Kleist vom 1. Mai 1802 ist abgedruckt in Ilse-Marie Barth u.a. (Hg.): Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe, Frankfurt am Main 1987–1992, Bd. 4, S. 306; instruktiv dazu Bisky, Kleist, S. 151–172, und mit ganz anderem Blick auf Schönheiten im Thunersee S. 224f.
Ganz, Rundbild; Giezendanner, Rundherundherundherum.
Seume, Spaziergang, S. 125f., 154, 160.
Ebd., S. 332 und 333f. Die Eidgenossenschaft war 1798 durch französische Truppen besetzt worden; ein souveräner eigener Staat wurde sie erst wieder 1815.
Zum Fotografen siehe Heilbrun, Nègre, und zuletzt die Beiträge bei Hagner u.a., Nègre. Zum Foto und zur Geschichte von Notre-Dame Camille, Gargoyles, S. 223ff.
Moeglin, Bourgeois.
Camille, Gargoyles, S. 3–50, zu Meyron ebd., S. 201–222; Le Men, Notre-Dame; danke für den Hinweis an Matthias Noell.
Zitiert nach Camille, Gargoyles, S. 223.
Cohen, Visiter Notre-Dame, S. 504f.
Valance, Haussmann; Jordan, Neuerschaffung.
Kennel, Charles Marville; zu Zürich Fischli, Geplante Altstadt, S. 17ff.
Diese besondere Fähigkeit der neuen Technik hatte bereits der Bericht an die Pariser Académie des Sciences 1839 hervorgehoben; siehe Stiegler, Theoriegeschichte, und Noell, Denkmalsammlungen.
Ruskin: Of Mountain Beauty (1856), in ders., Modern Painters, S. 455f., meine Übersetzung.
Robida, Suisse, S. 100f.
Holmes, Spiegel, S. 38f.
Thürlemann, Haremsfenster; Jacobson, Odalisques.
Heilbrun, Nègre, S. 27 und 36.
Gérard de Nerval: Œuvres, Bd. 1, Paris 1960, S. 934f. und 915, zitiert nach Mitchell, Welt.
Flaubert, Voyage, S. 96–97; siehe dazu von Brevern, Flaubert. Die Deutsche Ausgabe des Bandes von Gustave Flaubert: Die Reise nach Ägypten 1849–1850, Berlin 2011. Die Auflage folgt der Ausgabe von 1918 und ist stark gekürzt.
Mitchell, Welt, S. 172f.; Stiegler/Thürlemann, Orientbilder; Enard, Kompass, S. 280f.
Zelger, Luzern, S. 73 und 77; Riedo, Luzern, S. 150.
Hermann, Löwendenkmal; Bürgi, Bilderfabrik.
Zu ihrer Geschichte Omachen, Touristenstadt.
Henry James: The Old Saint-Gotthard, in: Ders., Travel Writings, S. 377f.
Wyss, Luzern; Schumacher, Geschichte, S. 200–213.
H.A. Berlepsch: Luzern und der Vierwaldstätter-See. Ein Wander-Buch für die Pensions-Gäste und alle Alpenfreunde in der Urschweiz, Luzern 1871; eine englische Ausgabe erschien 1876. Zitiert nach Fasol, Stadtgestalt, S. 117ff.
Theodor von Liebenau: Das alte Luzern, Luzern 1881, S. 1.
Ich stütze mich hier auf die ausführliche Darstellung bei Fasol, Stadtgestalt, vor allem S. 160–175.
Wyss, Luzern, Inventar, S. 384.
https://www.steigenberger.com/hotels/alle-hotels/deutschland/konstanz/steigenberger-inselhotel?utm_medium (aufgerufen am 5. September 2017).
Wyss: Luzern, Inventar; Hesse, Fassadenmalerei; Casutt u.a., Kriens–Kairo.
Mitchell, Welt; Thürlemann, Haremsfenster, S. 69–119; ders., Observing, S. 17–19.
Siehe Carqué u.a., Visualisierung; Groebner, Mittelalter, S. 85ff.; zu Basel Vincken, Zone Heimat.
Tragbar, Dante; Vincken, Zone Heimat. Zu ähnlichen Kampagnen zur »Reinigung« historischer Stadtbilder für den Fremdenverkehr Hagen, Most German.
Fasol, Stadtgestalt, S. 168.
Wyss, Luzern, S. 32; von Moos, Nicht Disneyland; Badran, Gaffer.
Omachen, Luzern; Flückiger-Seiler, Hotelträume.
Bauer, Blühendes Geschäft.
Michael, Oper; Abbate/Parker, Geschichte; Zalfen, Zeitmaschine Oper.
Liessmann, Zeitreisen, S. 215ff.
Bürgi, Bilderfabrik, S. 27ff., 50f. und 65f.; Manchester Guardian, 5. Dezember 1898, zitiert nach Fasol, Stadtgestalt, S. 168.
Twain, Bummel, S. 791–809, Zitat S. 808; Badran, Gaffer, S. 57.
Twain, Innocents; ders., Yankee.
Alle klassischen Texte zur Denkmalpflege zitieren Plutarchs Erzählung von dem Schiff, mit dem der mythische Athener Held Theseus auf seiner erfolgreichen Befreiungsexpedition nach Kreta gesegelt sein soll. Nach seiner siegreichen Rückkehr sei dieses Schiff als Siegesdenkmal noch Hunderte von Jahren in Athen zu sehen gewesen. Immer dann, wenn eine der hölzernen Schiffsplanken verfault gewesen sei, schreibt Plutarch, hätten die Athener sie durch neue, dickere ersetzt, so dass das Schiff ein beliebtes Argument in den Streitgesprächen der Philosophen über Veränderung wurde. Die einen sagten, dass das Schiff immer gleich bleibe, während die anderen sagten, dass es nicht mehr dasselbe sei. Der Dissens indes machte das Schiff als Wahrzeichen von Athen noch wirkungsvoller.
Zu kritischen zeitgenössischen Reaktionen siehe Vera Bueller: Unter der Kapellbrücke weinen die Krokodile, in: Die Weltwoche, 26. August 1993, und Niklaus Meienberg: Ein rentabler Brand in Luzern (1993), in ders.: Reportagen, Bd. 2, Zürich 2000, S. 464–474; Stadt Luzern (Hg.): Kapellbrücke und Wasserturm: Der Wiederaufbau eines Wahrzeichens im Spiegel der Restaurierung und Forschung, Luzern 1998; Horat, Bilder.
Die Zahlenangaben zu den Tagestouristen weichen je nach Quelle voneinander ab; zu den genauer erfassbaren Übernachtungen siehe das Statistische Jahrbuch des Kantons Luzern, www.lustat.ch (Stand 2015) und das Schweizerische Bundesamt für Statistik: www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/tourismus.html (aufgerufen am 8. September 2017). An anderen Orten sind die Zahlen noch extremer: Das historische Zentrum von Venedig hat etwas über 50000 Einwohner und zwischen 25 und 30 Millionen Besucher pro Jahr; der Mont St. Michel 3,5 Millionen Besucher und 40 Bewohner.
Reynold, Städte, in Auszügen abgedruckt in Riedo, Luzern, S. 140–142. Der Text erschien erstmals 1920 auf Französisch; für die deutsche Übersetzung wurde er überarbeitet und erweitert.
Aram Mattioli, Demokratie.
De Reynold, Städte, S. 215. Dazu Hess, Morgarten, Das Erbe der Wörter.
Zu Inglin Marchal, Gebrauchsgeschichte, S. 141f.; siehe auch Bundi, Landschaft; Hess, Morgarten, wie Anm. 3; Blatter/Groebner, Tell, S. 113.
Schweizer, Nationalsozialistische Geschichtsbilder; siehe auch Katrin Minder, Die 1000-Jahr-Feier der Stadt Merseburg 1933, in: Müller, Jubiläum, S. 369–389.
Zu den (unterschiedlich erfolgreichen) »Heiligen Jahren« im 14. und 15. Jahrhundert zuletzt Esch, Rom, S. 128–140; Müller, Jubiläum, darin Rousseaux, Jubiläumskultur, S. 349–367; Sabrow, Jubiläumsreigen, S. 44ff.
Feger, Konzil; zu den Feierlichkeiten 1964/65 jetzt ausführlich Luzi, Konzilsbilderfabrik Konstanz, S. 166–194.
Frefel, Luzern feiert; Capitani, Stadtjubiläum.
Von Moos, Nicht Disneyland, S. 65.
Frefel, Luzern, S. 100.
Hess, Morgarten, Schulreise 1965.
Zu den heftigen Debatten um die geplante 700-Jahr-Feier siehe die Dokumentation von Fredi Lerch und Andreas Simmen (Hg.), Der leergeglaubte Staat. Kulturboykott: Gegen die 700-Jahr-Feier in der Schweiz, Zürich 1991; Arnold, Landi; Liehr, Skandal & Nation, S. 361ff.
Arnold, Landi, S. 101.
Bundesrat Ueli Maurer am 21. Juni 2015 anlässlich der Jubiläumsfeiern »700 Jahre Schlacht am Morgarten«, vollständiger Text unter https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-57763.html (aufgerufen am 15. September 2017).
Müller, Jubiläum, S. 7; Sabrow, Jubiläumsreigen, S. 51.
Zitiert nach Marchal, Gebrauchsgeschichte, S. 21; dort auch eine ausführliche Interpretation dieser Passage.
Groebner, Identität.
Rousseaux nennt das in seiner Untersuchung der Jubiläen »additive Konstanz«. Einmal eingeführte Elemente werden deswegen beibehalten: einmal Festrede, immer Festrede; einmal historischer Umzug, immer historischer Umzug. Zum Repertoire der 1890er und 1930er Jahre sind seit den 1990er Jahren die Mittelaltermärkte dazugekommen. Rousseaux, Jubiläumskultur, S. 366. Zu den historischen Jubiläen in Portugal siehe Martins, History, S. 329–346.
Karnevalsmasken sind in Venedig zum ersten Mal im 13. Jahrhundert belegt, die Umzüge und Feste hatten aber im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit einen sehr anderen Charakter als heute; die rituelle Tötung eines Stiers, Tierkämpfe und Theatervorstellungen standen im Zentrum. Das Fest in seiner heutigen Gestalt wurde zum ersten Mal 1867 nach dem Anschluss Venedigs an Italien abgehalten: Erklärtes Ziel der Organisatoren war dabei, »Fremde anzuziehen, die Geld bringen«. Birgit Weichmann: Fliegende Türken, geköpfte Stiere und die Kraft des Herkules, in: Michel Matheus (Hg.): Fastnacht/Karneval im europäischen Vergleich, Stuttgart 1999, S. 195f., und Gilles Bertrand: Histoire du carnaval de Venise, Paris 2013. Erfolgreich wiederbelebt wurde der Karneval erst Ende der 1970er Jahre im Kielwasser von Federico Fellinis Film »Casanova« von 1976 und mit expliziter Förderung durch die offiziellen Fremdenverkehrsagenturen.
Silverman, Uses of History; Park, Passion; Mugnaini, Carnevale.
Sablonier, Vaterländische Schatzsuche; zu den Funden von 2015 siehe https://www.srf.ch/sendungen/einstein/einstein-spezial/einstein-spezial-neue-funde-zur-morgartenschlacht und die nüchterne Analyse von Anette Jeanrichard, Stefan Hochuli und Eva Roth Heege: Resultate der archäologischen Prospektion »Morgarten 2015«, und Annina Michel: Ausgrabungen am Morgarten. Zwischen Forschung und Schatzsucherei, in: Mitteilungen des historischen Vereins Schwyz 108 (2016), S. 37–51.
De Reynold, Städte, S. 215f.
Wüthrich, Mythos Marignano; Emil Dürr: Die auswärtige Politik der Eidgenossenschaft und die Schlacht bei Marignano, Basel 1915; Theodor Rimli (Hg.): 650 Jahre schweizerische Eidgenossenschaft, Zürich 1941, S. 160–167; vergleiche die Wortwahl bei Markus Somm: Eine wunderbare Niederlage, in: Das Magazin, 18. September 2015, und ders.: Marignano. Die Geschichte einer Niederlage, Zürich 2015.
Der Walliser Präfekt Herbert Volken im Dokumentarfilm von Roland Huber: »Das Schlachtross des Papstes«, Schweizer Fernsehen, ausgestrahlt am 10. September 2015, https://www.srf.ch/sendungen/dok/das-schlachtross-des-papstes (aufgerufen am 18. September 2017).
Martins, History, S. 313–318.
Dazu mit vielen weiteren Beispielen etwa Weisl, Persistance; Nicholas Haydock: Movie Medievalism: The Imaginary Middle Ages, Jefferson 2008; Andrew B.R. Elliott: Remaking the Middle Ages: The Methods of Cinema and History in portraying the Medieval World, London 2011; zu den politischen Indienstnahmen Falconieri, Medioevo Militante.
Martins, History, S. 319–322
Zitiert nach Friedrich Wilhelm Graf: Luthergedenken? in: Merkur 804 (Mai 2016), S. 53.
Stefan Rhein: Am Anfang war Luther. Die Personengedenkstätte und ihre protestantische Genealogie, in: Anne Bohnenkamp (Hg.): Häuser der Erinnerung. Zur Geschichte der Personengedenkstätte im 19. Jahrhundert, Leipzig 2015, S.59–70; Matthias Noell (Hg.): Weiterbauen, weiterdenken. Neue Häuser für Martin Luther, München 2017.
http://www.geo.de/geolino/wissen/16601-rtkl-eine-million-figuren-martin-luther-ist-die-beliebteste-playmobil-figur (aufgerufen am 20. September 2017).
https://www.domradio.de/themen/kultur/2017-10-14/wie-luther-zur-erfolgreichsten-playmobil-figur-aller-zeiten-wurde (aufgerufen am 21. Oktober 2017).
Luzi, Konzilsbilderfabrik, S. 204f.; ausführlicher dazu www.youtube.com/watch?v= 5OaJC_1AuHs und www.bistum-essen.de/presse/artikel/playmobil-aebtissin-trifft-spielzeug-luther/ (beide aufgerufen am 22. September 2017).
Stiegler, Spuren, S. 166f.; zur Motivgeschichte W.J.T. Mitchell: The Last Dinosaur Book: The Life and Times of a Cultural Icon, Chicago/London 2007.
Hesse, Indien, S. 14.
Scafi, Vermessung; Pabst, Ideallandschaft.
Giovanni de Marignolli: Cronica Boemorum, in: Folker Reichert (Hg.): Quellen zur Geschichte des Reisens im Spätmittelalter, Darmstadt 2009, S. 179–189.
Jordanus Catalanus de Sévérac: Mirabilia Descripta, in: Wilhelm Baum und Rainer Senoner: Indien und Europa im Mittelalter, Klagenfurt 2000, S. 125.
Ibn Battuta: Die Wunder des Morgenlandes, München 2010, S. 129–135.
Cristoforo Colombo: Bericht über seine dritte Reise an Ihre Königlichen Majestäten, in: Christoph Columbus: Briefe und Berichte, hg. von Ernst Gerhard Jakob, Leipzig 1956, Reprint Darmstadt 1968, S. 265. Siehe Reichert, Columbus, S. 422f., und Eco, Geschichte, S. 175.
Varthema, Reisen, S. 177f., 192–194, 196.
Silva, Encounters, S. xix, 18–20, 23–27.
Michael Hermann: Was ist Heimat für Sie? In: Stapferhaus, Heimat, S. 103.
Bouvier, Skorpionfisch, S. 32.
Michel Leiris: Mannesalter, Frankfurt am Main 1994, S. xx.
Hesse, Indien, S. 107.
Ebd. S. 15.
Barbosa, Livro; Osswald; Otherness; Paul Theroux: The Happy Isles of Oceania, London 1992, S. 383.
Georg Seeßlen: Western. Geschichte und Mythologie des Westernfilms, Marburg 1995.
Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität: Zur globalen Zirkulation des Western-Genres, Berlin 2015.
Urry, Tourist Gaze, S. 61; Boltanski/Esquerre, Enrichissement, S. 408–425.
Zu den Migranten als Personen »ohne« Geschichte siehe Boltanski/Esquerre, Enrichissement, S. 449f.
Reynolds, Retromania.
Mehr bei Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Frankfurt am Main 2003.
Bundi, Heimatschutz.
Donat Caduff: Das Bündner Dorf und sein Mythos, in: Bündner Monatsblatt 2 (2017), S. 176–191, und Ders.: Das Hyperdorf, Zürich 2017, Zitat S. 143.
https://guarda-messe.ch/partner (aufgerufen am 14. Januar 2018).
Zu den »Nationalbergen« Jon Mathieu: Die Alpen. Raum – Kultur – Geschichte, Stuttgart 2015, und Bernhard Tschofen: Was ist Landschaft? Plädoyer für Konzepte jenseits der Anschauung, in: Kasper u.a., Entdeckungen, S. 13–32.
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/ibn-battuta-zehn-tipps-fuer-reisende-a-1085503.html (aufgerufen am 23. September 2017).
Zur intensiven Verknüpfung der Paradies-Erzählung aus der Genesis mit Debatten um die Erbsünde, Sexualität und Schuld zuletzt Greenblatt, Rise and Fall, S. 98–137; zu den mittelalterlichen Debatten Klaus Schreiner: »Si homo non pecasset …«. Der Sündenfall Adam und Evas, in: ders. und Norbert Schnitzler (Hg.): Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 41–83.
Osswald, Otherness, S. 34; Tessa Storey: Courtesan Culture. Manhood, Culture and Sociability, in: Grieco, Erotic Cultures, S. 247–273; Johann Caspar Goethe: Reise durch Italien im Jahre 1740, München 1986, S. 26, 38f.
Brian Doherty: This is Burning Man. The Rise of a New American Underground, Boston/New York 2004; Lee Gilmore und Mark van Proyen (Hg,): After Burn: Reflections on American Counterculture, Boston/New York 2005; de Witt: Future Sex, S. 173–189.
Peter Cowe (Hg.): Ani. World Architectural Heritage of a Medieval Capital, Leuwen 2001; zu den Konflikten siehe »Haunted by History: Ani, a disputed city«, in: The Economist 279, Juni 2006, S. 59. 2016 wurde Ani in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen: http://whc.unesco.org/en/list/1518 (aufgerufen am 23. November 2017).
Zum Ablauf der Rituale http://www.univie.ac.at/rel_jap/kami/Ise_Schrein (aufgerufen am 23. November 2017); lesenswert dazu Sand, Monument Problem.
Johann Wolfgang Goethe-Universität (Hg.): Von der Grüneburg zum Campus Westend – Die Geschichte des IG Farben-Hauses. Begleitbuch zur Dauerausstellung im IG Farben-Haus, Frankfurt am Main 2007.
Zu den spezifischen Produktionsbedingungen dieses Wahrzeichens siehe Yannis Hamilakis: The Nation and its Ruins. Antiquity, Archaeology and the National Imagination in Greece, Oxford 2009.
Freud, Erinnerungsstörung, S. 254f.
Die Höhlenmalereien von Lascaux, 1940 entdeckt, wurden acht Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und 1963 wegen irreparabler Schäden wieder geschlossen. Die erste, 1983 eröffnete Nachbildung ist mittlerweile selbst schwer beschädigt. Sie wurde durch eine Wanderausstellung (»Lascaux 3«) und 2016 durch eine weitere vollständige Nachbildung aus Acrylharz (»Lascaux 4«) ersetzt. Die aufblasbare Kopie von Stonehenge als Hüpfburg hat Jeremy Deller 2012 unter dem Titel »Sacrilege« realisiert – http://www.jeremydeller.org/Sacrilege/Sacrilege.php (aufgerufen am 28. November 2017).
Philippe Minard und François Folcher: Guédelon: Des hommes fous, un château fort, Paris 2003; siehe auch die offiziellen Websites: www.guedelon.fr – www.burgbau.at (zu Friesach) – www.campus-galli.de (zu Messkirch), alle aufgerufen am 8. September 2017. Eine lange Liste weiterer Beispiele wieder aufgebauter historischer Gebäude bei von Engelberg-Dočkal, Hybridität.
Malgorzata Omilanowska: Rekonstruktion statt Original – das historische Zentrum von Warschau, in: Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4 (2011), S. 227–236; Herber, Wiederaufbau.
Ursula LeGuin: Great Joy, in dies.: Changing Planes, S. 116–130.
Koschorke: Wahrheit, S. 260f.
Anfänge, notiert der Spezialist nüchtern, sind rekursiv, sie sind vom weiteren Verlauf bestimmt: Ereignisse sind beim Erzählen sowohl Rohmaterial als auch vom Erzähler erzeugte Instrumente der Aufmerksamkeitsführung: ebd., S. 62.
Ein strenger englischer Reiseschriftsteller hat schon 1841 kritisch angemerkt, nur an den besonders pittoresken Passagen fange der Rhein an, sich selbst ähnlich zu sein. Siehe Blackbourne, Eroberung, etwa S. 139 und 204; vgl. Müller, Baedeker.
Kap. 2, Anm. 18. »Es begann mit dem Wunsch, mit den Toten zu sprechen«, lautet der erste Satz von Stephen Greenblatts berühmtem Buch »Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance«, Berlin 1988, S. 7. Vgl. Moritz Bassler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, Frankfurt am Main 2005, S. 11ff.
Kalush/Sloman, Houdini, S. 193, meine Übersetzung; Ruth Brandon: The Life and Many Deaths of Harry Houdini, London 1993; zu Conan Doyles spiritistischen Überzeugungen Stiegler, Spuren.
Zu den aktuellen Auseinandersetzungen in der polnischen Erinnerungspolitik siehe z.B. Neal Ascherson: Diary, in: London Review of Books, 17. Oktober 2017, S. 39.
Greif, Concept, S. 145f.
Zur Neuerschaffung einer authentischen Altstadt siehe d’Eramo, Welt, S. 133–140.
Thomas Laqueur: Why name a ship after a defeated race? In: London Review of Books, 24. Januar 2013, S. 3–10, hier S. 3.
Ashworth/Bruce, Town Walls, S. 301ff.
Sand, Monument Problem, S. 130.
Perur, Conducted Tour, S. 15; zur Perspektive einer indischen Reisegruppe auf Europa ebd., S. 21–44; d’Eramo, Welt, S. 58–61.
Zum polnischen Gendering siehe Ann Cotten: Fast Dumm. Essays, hg. von Manfred Rothenberger, Fürth 2017, S. 248.
»denn was mich wirklich interessiert ist weniger das woraus es gemacht wird als dass es eine sache ist die gemacht wird. damit man sie herzeigen kann.« (Ernst Jandl, 1970)
»Wir Ferienverbesserer kennen noch Paradiese«, verkündete das Werbeplakat. Darüber der Erdball, der sich in einen rundherum konsumierbaren grünen Apfel verwandelt hat – das Plakat des Reiseveranstalters Kuoni (»in allen Reisebüros«) kam 1973 als ironischer Bezug auf das biblische Buch Genesis daher. Reisen als verlockender Sündenfall? Der boomende neue Dienstleistungsbereich Tourismus wurde nicht mit Fotos von Stränden, Bergen oder glücklichen Kunden visualisiert, sondern mit einer ehrwürdig alten Bildformel. Ferien waren für die Gestalter der Werbeagentur Wirz vor 45 Jahren eine Reise zurück in die unschuldige Vergangenheit am Ursprung der Menschheit.
Werbeplakat der Agentur Adolf Wirz, 1973
Der Rohstoff der Dienstleistungsindustrie Tourismus sind nicht unberührte Landschaften oder der von modernen Transportmitteln verkleinerte Raum. Es ist die Zeit. Urlaub, so möchte ich in diesem Buch zeigen, ist seit mehr als 150 Jahren nicht nur das Versprechen auf intensiviertes Empfinden, sondern auf wiedergegebene Zeit: Urlaub verspricht die Reise in ein Früher, das auf magische Weise konserviert wurde und wieder zugänglich ist. Hans Magnus Enzensberger, der 1958 eine scharfzüngige und bis heute lesenswerte »Theorie des Tourismus« formuliert hat, hat den Effekt 50 Jahre später in einem Interview noch einmal auf den Punkt gebracht. Die Geschichte sei der einzige Ort, der noch exotische Qualitäten habe. »Das einzig wahre Ausland ist die Vergangenheit.«[1]
Wer Kataloge von Reiseveranstaltern aufschlägt, findet seit 150 Jahren darin das Versprechen einer solchen Fahrt zurück in die Geschichte. Das ist die Botschaft des kleinen Wortes »noch«, das im Werbeplakat von Kuoni ebenso erscheint wie in dem Slogan, mit dem 1994 das Schweizer Freilichtmuseum Ballenberg für sich warb: »Wo die Vergangenheit noch ein Erlebnis ist« – ein Versprechen auf stillgestellte oder zurückgedrehte Zeit. Es gibt keinen Reisekatalog, in dem nicht von unberührter Natur, traditioneller Alltagskultur und wunderbar erhaltenen Altstädten die Rede ist. Die Slogans klingen immer gleich: »Hier ticken die Uhren langsamer als anderswo«, »Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein« – Wahrzeichen eines ebenso geräumigen wie unklar datierten Früher, das für die Sehenswürdigkeit schlechthin steht. Eine Unterhaltungsreise in die entgegengesetzte Richtung, in die Zukunft nämlich, will kaum jemand antreten.[2]
Die Reise an entfernte Orte verspricht, auf geheimnisvolle Weise die Zeit stillzustellen, während man unterwegs ist, und eigene verlorene Lebenszeit wiederzubeschaffen. Denn diese Orte, so das Versprechen, befinden sich noch in einer paradiesischen Vergangenheit – im Gegensatz zu ihren Besuchern von auswärts, die dort (oder genauer: nur noch dort) in jene heile Welt von früher eintauchen können. Das kann Wellness im ursprünglichen Alpendorf sein, die Kolonialidylle im noblen Vintage-Hotel oder der Einkaufsbummel in der historischen Altstadt mit Busparkplatz und Tiefgarage: Das große Dienstleistungskonglomerat Tourismus hat sich in den letzten eineinhalb Jahrhunderten der Rückgewinnung – der Reproduktion im wörtlichen Sinn – der Geschichte als pittoreskem Erlebnispark verschrieben. Wie sieht das aus, wenn Monumente und Ereignisse aus der Vergangenheit als Zeugen lokaler »Identität« und Echtheit vermarktet werden?
Historisches Material ist für die Praktiker aus den Marketing-Abteilungen des Fremdenverkehrs eine willkommene Ressource, um Destinationen auszuflaggen und aufzuwerten. Den meisten Historikern ist diese touristische Nutzung der Vergangenheit eher unangenehm oder gar peinlich, weil sie ihnen die begrenzten Möglichkeiten ernsthafter Wissenschaft vor Augen führt. Diesen Wechselwirkungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem kommerziellen Umgang mit den Überresten der Vergangenheit gehe ich in diesem einleitenden, ersten Kapitel nach. Für Touristen wird Geschichte zum persönlichen Erlebnis, zu etwas, das zum Vergnügen besichtigt wird. Bleibt sie davon unverändert? Was für Orte entstehen dabei?
Das zweite Kapitel schlägt dann einen großen Bogen zurück ins ausgehende Mittelalter, als in Europa zum ersten Mal historische Schauplätze – nämlich die der Passionsgeschichte – nachgebaut wurden, um von Pilgern besichtigt zu werden. Die Humanisten inszenierten im 16. Jahrhundert eine exotische christliche Antike, die ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Auftraggeber erfüllte. Die »Sacri Monti« boten ihren Besuchern das biblische Geschehen lebensgroß, in Farbe und zum Anfassen: das Authentische von früher, so unmittelbar wie möglich – Paradiese und Fremdenführer inklusive.
Im 19. Jahrhundert – und darum geht es im dritten Kapitel – schufen enthusiastische Gebildete ein neues Mittelalter, das den technischen Medien und Möglichkeiten der Industrialisierung entsprach. Straßenzüge und Bauwerke, die zuvor als eng, hässlich und bedrückend wahrgenommen worden waren, verwandelten sich in pittoreske Altstädte und einzigartige Sehenswürdigkeiten; ergänzt mit nahe gelegenen komfortablen Grand Hotels und melancholischen Erzählungen von der unwiederbringlichen Zerstörung des schönen Alten.
Die großen Erzählungen von Ursprung und »historischer Identität« aus dem 19. Jahrhundert wurden im 20. umgesetzt und visualisiert in Sehenswürdigkeiten und Wahrzeichen für ein großes Besucherpublikum. Dieser Postproduktion von Geschichte ist das vierte Kapitel gewidmet: Wie werden »authentische« Stimmungskulissen und politisch instrumentalisierte Großbegriffe erzeugt? Der individuellen Reise in die Vergangenheit als Suche nach dem Authentischen von früher geht schließlich das fünfte Kapitel nach – es führt in tropische Paradiese, an die Strände des Mittelmeers und in die Alpen. Und am Schluss versuche ich, all das zusammenzupacken: Was entsteht da neu, wenn die Vergangenheit, das Verschwundene von früher, besichtigt wird, zum Vergnügen?
192021