Paul Shipton
Ein neuer Fall für die Wanze
Nur der Floh war Zeuge
Ein Insektenkrimi
Aus dem Englischen
von Stephanie Menge
Mit Illustrationen
von Axel Scheffler
FISCHER E-Books
Paul Shipton, geboren 1963 in Manchester, Großbritannien, studierte Philosophie und Altphilologie und arbeitete viele Jahre als Englischlehrer und Lektor für Schulbücher. Nach einem längeren Aufenthalt in den USA, lebt er heute wieder in Cambridge, Großbritannien. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet.
Axel Scheffler, geboren 1957, lebt als freischaffender Illustrator in London. Seine preisgekrönten Kinder- und Bilderbücher sind international erfolgreich.
Stephanie Menge, geboren 1962, studierte in Münster Germanistik, Publizistik und Neuere Geschichte und absolvierte den Radcliffe Publishing Course in Cambridge, Mass. Sie lebt in Berlin und übersetzt seit 2001 Kinder- und Jugendliteratur aus dem Englischen.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Wer hat den Igel auf dem Gewissen? Privatdetektiv Wanze Muldoon steht vor einem Rätsel. Der einzige Augenzeuge, ein Floh, kann leider nicht zur Aufklärung beitragen, weil er unter Gedächtnisverlust leidet. Steht das Verbrechen etwa in Verbindung mit dem Verschwinden zahlreicher Insekten im Garten? Eine Spur führt direkt in das Haus der Menschen! Doch selbst das schreckt den Krabblerdetektiv nicht ab. Mit Coolness und Scharfsinn kommt er dem Verbrecher auf die Spur!
Der zweite Fall im Insektenmilieu – verboten spannend und kriminell komisch!
Bei Antolin gelistet
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die englische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel ›Bug Muldoon and the Killer in the Rain‹ bei Oxford University Press, Oxford
© 2000 Paul Shipton
Die deutschsprachige Ausgabe erschien zum ersten Mal 2001 unter dem Titel ›Heiße Spur in Dixies Bar‹ bei Nagel & Kimche, Zürich
Für die deutschsprachige Neuausgabe: © 2021 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Norbert Blommel, MT-Vreden, unter Mitarbeit von Dahlhaus & Blommel Media Design, Vreden
Coverabbildung: Axel Scheffler
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0449-3
Für Tante Pat und Onkel Ted
Mit einem erstickten Quaker wirbelte die Kröte herum. Mich hatte sie völlig vergessen. Auf ihrem Gesicht war jetzt kein Platz für Gier oder Wut. Es war von einem einzigen Ausdruck geprägt: Angst.
Mein Name ist Muldoon. Wanze Muldoon. Ich bin Privatdetektiv im Garten.
Nach meinem letzten Fall hoffte ich auf ein bisschen Ruhe und Erholung. Aber scheinbar hatte das Schicksal was anderes mit mir vor. Das Schicksal und die Kreatur, die die Kröte aus dem Garten gejagt hatte. Als Nächstes krachte ein Igel in Dixies Bar und der Teufel war los. Und als dann noch meine Freundin Wilma verschwand … – na, was soll ein Krabbler da tun? Ich musste natürlich losziehen und mich nach ihr umsehen; und das bedeutete, einen Ausflug zum Haus zu machen. Würde ich Wilma dort finden oder hatte das Ungeheuer sie ebenfalls erwischt? Und wer war dieses Ungeheuer, das die Angst wie einen Dolch in das Herz des Gartens gestoßen hatte? Ich war im Begriff, es herauszufinden …
Der Tod ist nicht wählerisch. In einen Garten wie diesen kommt er in vielen Formen und Größen. Manchmal ist er der Schnabel eines hungrigen Vogels, manchmal ein Schuh, der vom Himmel niederfährt. Manchmal kleidet er sich in die feinen Fäden einer lauernden Spinne. Und manchmal besitzt der gute alte Tod kein Fünkchen Stolz und kreuzt in Gestalt einer großen, warzigen alten Kröte auf.
So wie heute; sie hockte da drüben im Schatten. Die goldenen Augen der Kröte blinzelten nicht. Sie tat völlig gelassen, so als ob sie mich nicht bemerkt hätte. Nur ihre Nadelstreifen-Nüstern bewegten sich. Anscheinend war sie absolut ahnungslos.
Ja, prima. Ich ließ mich nicht für blöd verkaufen. Ihre Glupschaugen verfolgten mich. In einem Maul, das sich über die ganze hässliche Fratze der Kröte zog, passte ihre mörderische Zunge nur den rechten Augenblick ab. Sie wartete bloß darauf, dass sich jemand in ihre Reichweite begab. Dann würde diese tödliche Waffe von einer Zunge herausschnellen und mich mit ihrer klebrigen Haut aufschaufeln. Sie würde mit mir in diese Fallgrube von einem Maul zurückschnellen. Und dann brauchte die Kröte nur noch zu schlucken.
Nun, sie konnte es versuchen. Nennt mich einen Träumer, aber ich hatte andere Pläne, wie der Deal ablaufen sollte.
Im Augenblick konzentrierte ich mich nur darauf, meine Rolle zu spielen: Ich tat so, als sei ich der leckerste Käfer im Garten. Das war nicht schwer. Ich hatte massenhaft Erfahrung darin, Kreaturen auszutricksen, die mich fressen wollten. So ist das Leben in unserem Garten; man wird damit fertig oder man endet als kleiner Imbiss für irgendeinen Fiesling.
Was mich betrifft, ich bin kein kleiner Imbiss für niemanden, nicht, wenn ich es verhindern kann. Mein Name ist Wanze. Wanze Muldoon. Ich bin Privatdetektiv, und dieser Albtraum von einem Garten ist der Ort, den ich mein Zuhause nenne.
Der Kröten-Job war der erste, den ich seit langem übernommen hatte. Nach einem großen Fall, an dem ich vor einiger Zeit gearbeitet hatte, brauchte ich eine Pause. Eine heimtückische Gruppe Ameisen hatte versucht, sich mit den Wespen zusammenzutun und die Herrschaft über den ganzen Garten zu übernehmen. Die Sache wurde ziemlich haarig. Am Ende sah ich mich gezwungen, der größten, bösartigsten Spinne, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, einen Besuch abzustatten. Es war kein Freundschaftsbesuch, wenn ihr wisst, was ich meine. Als alles vorbei war, lebte ich noch – und die Spinne nicht. Aber ich wurde ziemlich übel zugerichtet. Tatsache ist, einer meiner Flügel schmerzt noch immer bei feuchtem Wetter. Ich versuche, nicht darüber zu klagen, es sei denn, ich bin in Gesellschaft.
Als der Fall abgeschlossen war, hatte ich gefressen, dass ich die Dinge leichter nehmen sollte. Klar, ich konnte weiter als Privatdetektiv herumpusseln, aber von jetzt an würde ich nichts Gefährliches mehr übernehmen. Ich würde nur noch das unauffällige Zeug erledigen. Ihr wisst schon, kleine Fälle, wo gefressen werden nicht zu den alltäglichen Dingen gehört, die man lieber meiden sollte.
Aber jetzt war ich hier und zuckelte weiter auf die Kröte zu. Glaubt bloß nicht, ich hätte mir ’s anders überlegt. Ich bin keins von diesen Insekten, die von Gefahr angezogen werden wie die Motten vom …
Ich erzähl euch mal was über Gartenkröten. Sie fressen alle Arten von Insekten oder Würmern, die sie auf die Zunge kriegen, und sie stopfen sich bis zu viermal in einer Sommernacht voll. Es wird noch schlimmer: Sie haben keine Zähne, was heißen will, sie schlucken ihr Opfer einfach ganz hinunter.
Nette Sache, was? Man ist also noch lebendig und strampelt, während man die pechschwarze Speiseröhre hinunterrutscht. Man sitzt einfach da im Magen, während die Verdauungssäfte beginnen, auf einen herabzuregnen.
Danke, kein Bedarf.
Ich blieb stehen. Das war nah genug. Jetzt war alles eine Frage des Timings. Wenn ich ’s vermasselte, würde ich mich in einem schönen warmen Säurebad im Darm dieser Kreatur entspannen.
Ich hatte keinen Anlass zur Sorge. Die Kröte erhellte nicht gerade den Garten mit ihrer glänzenden Intelligenz und ich hielt sie gehörig zum Narren.
Jetzt hieß es, sich zusammenzureißen. Schritt für Schritt bewegte ich mich vorwärts. Im nächsten Augenblick schoss die Zunge der Kröte wie ein rosa Blitzstrahl auf mich zu. Ich war bereit. Ich duckte mich und rollte nach links. Die riesige Zunge wischte über die Oberseite meines Panzers und schaufelte die Schmiere auf, die an mir haftete. Die Kröte blinzelte bei dem scheußlichen Geschmack. Sie kapierte rein gar nichts.
Okay, Zeit, dass ich in die Gänge kam. Ich musste meinen Spruch schnell aufsagen, bevor die Zunge zum zweiten Mal zurückkam. Ich hielt die Sache schön einfach. »Sperr die Lauscher auf, Kröte!«, rief ich. »Du solltest besser aufpassen, was du frisst. Du hast eben Gift geschluckt: einen sauberen kleinen Cocktail aus giftigen Wurzeln und Blättern. Ich hab sie zusammengeworfen und mich dann hineingerollt. Für Amphibien ist er zufälligerweise tödlich.«
Die Kröte blinzelte wieder. Sie war so zugänglich wie ein Stein, aber ich nahm an, sie hatte das Wesentliche kapiert. Ich redete weiter. »Das Gift wird sich ziemlich bald in deinem ganzen Körper ausbreiten. Du kannst mir glauben, die Zunge wird dir raushängen … aber sie wird nicht gerade viel erwischen, wenn du weißt, was ich meine.« Ich legte eine wirkungsvolle Pause ein. Die Kröte stieß einen quieksenden Quaker aus: Miep! Ihre Augen wurden schmal vor Ärger.
Ich brachte die Sache schnell auf den Punkt. »Aber es gibt ein Gegengift … Interesse?«
Die Kröte gab ein quatschendes Grunzen von sich. Es war irgendwie ekelhaft, aber ich versuche, persönliche Gefühle aus der Arbeit rauszuhalten.
»Ich fass das mal als Ja auf«, sagte ich. »Also, der Deal ist folgender …«
So weit, so gut. Und jetzt zu dem, was ich erklären wollte. Ich würde der Kröte das Gegengift nur unter einer Bedingung geben: dass sie einwilligte, die Biege zu machen und einen anderen Garten zu finden, in dem sie rumhängen konnte. Auf diese Weise konnten sich die Teichkrabbler, die mich für diesen Job angeheuert hatten, entspannen und beruhigt durchatmen – keine Amphibie würde sie mehr terrorisieren und die Larven der Eintagsfliegen runterschlingen. Was mich anging, ich würde mein Honorar für diese scheußliche kleine Nachmittagsarbeit einstreichen und alles wäre im Lot. Zum Teufel auch, sogar die Kröte konnte in den Sonnenuntergang davonpatschen und das genießen, was auch immer von Amphibien als glückliches und gesundes Leben betrachtet wird!
Eine Lage, in der keiner verlieren konnte, stimmt’s? Mir erschien das eindeutig ein cleverer Plan, aber in ebendiesen Augenblicken brät einem das Leben eins über. Wisst ihr, ich hatte keine Chance, der Kröte was von diesem glänzenden Plan zu erzählen. Tief im Inneren ihres blöden amphibischen Gehirns musste irgendwas gefunkt haben – irgendwas Altes, Primitives, Niederträchtiges –, nämlich dass der einzig gute Käfer ein gefressener Käfer ist. Die Kröte schoss vorwärts, und ihre Zunge schnellte wieder raus.
WIE BITTE? Hatte sie nicht begriffen? Hatte sie mir nicht geglaubt? Dies waren interessante und stichhaltige Fragen, die ich jetzt allerdings nicht in vollem Umfang berücksichtigen konnte. Nicht, wenn ich am Leben bleiben wollte. Die blöde alte Kröte war dabei, mich zu verspeisen.
Ich rollte mich nach rechts, richtete mich auf und sprang so hoch, wie meine sechs Beine es mir erlaubten. Die Zunge des Todes sauste unter mir her. Um ein Haar wäre ich genau auf ihrer Spitze gelandet, aber ich schaffte es, einen Augenblick länger in der Luft zu bleiben. Dieser Augenblick rettete meinen Panzer. Ich landete sicher – rennend kam ich auf dem Boden auf.
Schon sauste ich auf einen schützenden Chrysanthemenbusch zu. Ich konnte hören, wie die Kröte hinter mir ein nasses, glucksendes Lachen verlauten ließ. Völlig zu Recht. Sie konnte die Entfernung zwischen uns mit einem einzigen Hopser zurücklegen.
Normalerweise wäre mein erster Tipp gewesen, den eigenen Stolz runterzuschlucken, den Kopf nach unten zu richten und sich in Sicherheit zu graben. Das können Käfer noch am besten. Aber es hatte in der letzten Zeit wenig geregnet, und der Erdboden war ausgedorrt. Es würde zu lange dauern, bis ich mich durch die krustige Oberfläche gearbeitet hätte. Ich wusste, der Regen würde später am Tag kommen, aber nicht zeitig genug, um mir jetzt aus der Patsche zu helfen. Nein, ich musste es bis ins Laub schaffen. Mich so tief wie möglich darin vergraben und das Beste hoffen.
Einen Moment lang verdunkelte sich der Himmel über mir. Es war keine Wolke, die sich vor die Sonne schob, sondern der Tod in schleimigem Gewand. Es war die Kröte, die gerade über mich hinweghopste. Ihr Plan – falls man einen Ausdruck wie »Plan« für eine Kröte mit Erbsenhirn benutzen kann –, ihr Plan musste gewesen sein, vor mir zum Busch zu springen, herumzuwirbeln und dann das Maul aufzusperren.
Aber da wurde die Sache eigenartig. Die Kröte schoss über ihr Ziel hinaus und krachte weiter vorn in den Busch. Dann erstarrte sie. Sie drehte sich nicht um, um mich zu grüßen, fressen oder sonst was. Sie ließ nicht mal den leisesten Quaker hören … Nichts. Ihre Hinterbeine zitterten.
Ich ließ sie nicht aus den Augen. Was ging hier vor? Warum hatte …? Dann raffte ich es. Ein plötzliches Rascheln in den Büschen, obgleich kein Lüftchen geweht hatte. Da war irgendwas.
Bevor ich Zeit hatte, weiter über die Sache nachzudenken, reagierte die Kröte wie von der Tarantel gestochen. Mit einem erstickten Quaker wirbelte sie herum. Mich hatte sie wohl völlig vergessen. Auf ihrem Gesicht war jetzt kein Platz mehr für Gier oder Wut. Es war von einem einzigen Ausdruck geprägt: Angst. Totale und alles verzehrende Ich-muss-hier-SOFORT-die-Biege-machen-Angst.
Ich kümmerte mich nicht mal darum, wohin sie abhaute. Sie sollte nur verschwinden.
Und das tat sie.
»Und was war da jetzt?«, fragte Wilma.
»Keine Ahnung.«
Die Grashüpferin starrte mich ungläubig an. »Momentchen mal, Wanze. Du bist doch losgegangen und hast nachgesehen, was in den Büschen lauerte, stimmt’s?«
»Ist das ein Scherz?«, antwortete ich. »Diese Kröte war kein Kumpel von mir, aber ich zweifelte nicht, dass sie Augen im Kopf hatte. Irgendwas in diesen Büschen trieb ihr vor Angst den Schleim auf die Haut. Ich hatte kein Bedürfnis herauszufinden, was.« Ich rührte meinen Saft-und-Nektar-Cocktail mit einer Kiefernnadel um und nahm einen Schluck, den ich dringend nötig hatte. Das war jetzt genau das Richtige! »Nein, ich bin einfach losgezogen und hab den Teichläufern erzählt, dass die Kröte sie nicht mehr belästigen würde. Dann hab ich mein Honorar eingestrichen und bin gleich hierhergekommen.«
Gleich hierher bedeutete in Dixies Bar. Man konnte mich da an den meisten Abenden finden. Heute Abend war es noch ziemlich früh, aber der Laden war gerammelt voll. Wir mussten unsere Stimmen erheben, um das Geschrei der Krabbler ringsum zu übertönen. Ich hatte vergessen, dass Kampf-Nacht bei Dixie war. Das hieß, sie hatten ein ziemlich unkultiviertes Volk da: Eine Bande Wespen brummte rüpelhaft im Hintergrund, ein Haufen verrückter Rüsselkäfer versuchte zu beweisen, dass sie den Nektar vertragen konnten, eine Bremse eilte geschäftig von Tisch zu Tisch. Es gab nur Stehplätze – na ja, mit Ausnahme einer leeren Ecke. Eigentlich keine große Überraschung, wenn man feststellte, dass die einsame Stinkwanze dort saß. Dixie, der Klub-Besitzer, sah verdammt glücklich aus. Nichts machte den fetten Nacktschneck zufriedener als ein volles Haus.
Wilma schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich versteh dich nicht, Wanze. Es würde mich verrückt machen, wenn ich nicht wüsste, was die Kröte verscheucht hat.« Typisch Wilma. Sie ist so ziemlich die beste Reporterin in diesem Garten. Wenn diese Grashüpferin den Hauch einer Nachrichten-Story wittert, lässt sie nicht locker. Muss wohl ihr angeborener Spürsinn sein. Das war der große Unterschied zwischen uns beiden. Die einzigen Dinge, die meinen Spürsinn weckten, waren: Nummer eins, was gibt’s zum Abendessen?, und Nummer zwei, wie schaffe ich es, einen weiteren Tag in meinem bevorzugten Zustand (das heißt, unverdaut) zu überleben?
Doch Wilma bombardierte mich weiter mit ihren Fragen. »Aber die Kröte hätte sowieso nicht mehr lange zu leben gehabt, stimmt’s? Ich meine, das Gift …«
Normalerweise verrate ich meine einschlägigen Tricks nicht, aber bei Wilma ist es etwas anderes. »Es gab kein Gift«, verriet ich ihr. »Weißt du, es war alles ein Bluff, um die Kröte loszuwerden. Das Zeug auf meinem Rücken war bloß eine harmlose Mixtur, die scheußlich schmeckte. Die Kröte sollte aus Angst versprechen, vom Garten wegzubleiben. Dann hätte ich ihr ein falsches Gegengift gegeben, das sie von vornherein nicht gebraucht hätte. Verstehst du?«
»Ganz schön raffiniert«, war Wilmas Kommentar.
Sie war selbst manchmal ziemlich raffiniert, also fasste ich es als Kompliment auf.
»Manchmal bin ich gar nicht so übel«, sagte ich.
Die Grashüpferin beugte sich vor. Ihre Facettenaugen blickten mich geradewegs an. »Aber was wird das alte Krötchen davon abhalten, eines Tages zurückzukommen?«
Das war eine gute Frage, aber ich wusste es besser. »Du hast nicht den Ausdruck auf dem Gesicht dieser Kreatur gesehen, Wilma. Sonst wüsstest du’s. Sie wird nicht zurückkommen.«
»Und das bringt uns zurück zu der Frage, was in dem Busch war«, sagte die Grashüpferin.
Ich schwieg. Ich schätze, ich hätte es Wilma erzählen können. Einige Minuten hatte ich in die Tiefen des Busches gestarrt. Keine Regung, nichts war zu sehen gewesen, und doch konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass irgendwas darin war. Irgendwas anderes. Irgendwas, das man normalerweise in einem Garten wie unserm nicht finden würde, und es starrte mir nach. Es war schwer zu erklären, bloß ein Angstkribbeln in meinen Fühlern, aber ich habe gelernt, dass es nur zwei Sorten von Käfern gibt, die solche Gefühle ignorieren: dumme und tote. Ich hätte Wilma von dem Gedanken erzählen können, der mir in den Sinn gekommen war: dass ich recht gehabt hatte; der Tod war an diesem Nachmittag im Garten, aber schließlich und endlich nicht in Gestalt einer Kröte. Er versteckte sich im Schatten eines Chrysanthemenbusches. Er wartete darin auf mich. Nur wollte ich nicht mitspielen.
Ja, ich hätte Wilma das alles erzählen können, aber wer will schon so einem Gerede zuhören, wenn man sich bei ein paar Drinks entspannen soll? Ich zuckte bloß mit den Achseln.
Wilma ließ die Sache nicht auf sich beruhen. »Du bist doch im Innersten nicht wirklich so gleichgültig … stimmt’s, Wanze?«
Was sollte ich sagen? In meiner Branche fangen clevere Burschen nicht an, sich für einen Fall zu interessieren, bis sie dafür bezahlt werden. Das mag alles nicht so schön sein, aber wer sagt, dass die Wahrheit immer in rosa Seidenpapier verpackt sein muss?
Wie sich herausstellte, brauchte ich nichts zu sagen, denn Dixie, der Nacktschneck, hatte sich in die Mitte des Klubs vorgeschleimt. Jeder gab Acht, nicht in die silbrig glänzende Spur hinter ihm zu treten.
Die Menge wurde still, und Dixie läutete die Abendunterhaltung ein. Wenn Kampf-Nacht war, wurde der Bühnenbereich für den Abend mit einem Seil abgesperrt. Krabbler von überall aus dem Garten drängten sich um den Ring. Die Kellner sausten hektisch herum und versuchten, alle Bestellungen aufzunehmen. Sie arbeiteten schnell – wenn Kampf-Nacht war, konnte die Menge unangenehm werden.
»Ladiiiieeees und Geeeentlemen!«, sagte Dixie an.
»Willkommen zur Kampf-Nacht!«
Es gab einiges Gejohle von einem Haufen Schnellkäfer, die sich wie die Rowdys aufführten, aber die zum harten Kern gehörenden Kampf-Fans verhielten sich still. Sie blieben während der gesamten Wettkampferöffnung ruhig: Zwei winzige Springschwänze hopsten und sprangen wie Besessene im Ring herum, ohne einander richtig zu berühren. Es endete unentschieden, und die beiden hopsten davon, um zusammen einen Drink zu nehmen, als ob sie die besten Kumpel wären.
Während wir auf den nächsten Kampf warteten, erkundigte ich mich bei Wilma nach der Nachrichten-Story, an der sie gerade arbeitete.
»Es ist ein Hintergrund-Bericht über die Menschen im Haus«, erklärte sie und versuchte, einen Anflug von Begeisterung für das Thema vorzutäuschen. »Ein paar neue sind aufgekreuzt. Wir vermuten, sie besuchen den Mann im Haus.« Am liebsten hätte ich darüber einen geistreichen Witz gemacht. Ich ließ es lieber bleiben, aber ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
»Was ist so lustig?«, wollte die Grashüpferin wissen.
Ich wollte meine Freundin, die eine prima Reporterin ist, nicht kränken, deshalb wählte ich meine Worte mit Vorsicht. »Jedes Mal, wenn die Nachrichtenlage flau ist, verlangt dein Redakteur einen Bericht über Menschen. Du weißt schon, wie sie wirklich sind, ob sie genau wie wir Gedanken und Gefühle haben. Dieser ganze Quatsch.« Ich schätze, ziemlich viele Insekten interessieren sich für so ein Zeug, besonders solche, die in der Nähe des Hauses leben. Beobachtungsstorys über Menschen sind in den Nachrichten immer gefragt, aber ich habe kein Interesse daran. Menschen sind mir immer ein Rätsel gewesen und von mir aus können sie das gern bleiben.
»Okay, okay«, räumte Wilma ein. »Ich werde damit nicht die Mega-Story landen. Ich schätze, die Nachrichtenlage ist immer flau, wenn der Erste Mai heranrückt.«
Ich nickte. Wie jeder zählte auch ich die Tage bis zum Ersten Mai. Im Garten war das der höchste Feiertag des Jahres. Es war die einzige Unterbrechung in der alltäglichen Plackerei, am Leben zu bleiben. Wenn die Tage wärmer und wärmer wurden, schien ein jeder auf den ersten Mai zu warten. Im Ring kündigte eine pummelige kleine Schafslausfliege jetzt das Gewicht der nächsten beiden Kämpfer an. Es war der Glanzpunkt des Abends, ein Kampf zwischen zwei Hirschkäfern. Der Titelverteidiger war ein Einheimischer. Der Herausforderer, ein Käfer namens Elch, kam aus einem anderen Garten.
»Also, das ist aber ein dicker Brummer«, sagte Wilma, als sie den Herausforderer sah. »Warum sollte irgendein Insekt so verrückt sein, mit ihm in den Ring zu steigen, geschweige denn, gegen ihn zu kämpfen?«
Ich hätte zugestimmt, nur war dies nicht das erste Mal, dass ich den alten Elch zu Gesicht bekam. Ich kannte ihn noch von früher. »Ich geb ihm etwa zwanzig Sekunden in der ersten Runde, bis er zu Boden geht«, sagte ich.
Wilma war nicht überzeugt. »Das Einzige, was den stoppen könnte, ist ein Wald voll Ameisensoldaten.«
Ich zeigte auf ein mageres Silberfischchen in der Nähe des Rings. Ein Pulk von Insekten umringte den Kerl, alle rempelten, um dichter an ihn heranzukommen. »Siehst du den Typ da?«, sagte ich. »Er wird der Glatte Piet genannt, und er macht seinem Namen alle Ehre. Er nimmt Wetten auf den bevorstehenden Kampf an. Elch ist sein Mann.«
Wilmas schlanke Fühler zuckten. Sie witterten eine Story. »Ich verstehe«, sagte sie. »Ein Haufen kleiner Wetter setzt seine Einsätze auf Elch, und dann geht das Schwergewicht zu Boden.«
Ich lächelte. Wilma begriff schnell. »Du hast es erfasst. Dann räumt das Silberfischchen ab. Eine saubere kleine Masche.«
Eine Schmeißfliege läutete die Glocke zur ersten Runde, und die beiden wuchtigen Käfer hoben die Fäuste. Der Kampf begann langsam, mit einer Menge Scheinangriffen und ohne viel Bewegung. Hirschkäfer sind nicht gerade schnell. In ihren Kämpfen geht es nur um Größe und Kraft. Jeder versucht, den Gegner mit seinen Zangen zu umklammern, ihn hochzuheben und auf den Rücken zu werfen.