Christoph Ransmayr
Strahlender Untergang
Ein Entwässerungsprojekt oder Die Entdeckung des Wesentlichen
FISCHER E-Books
Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren und studierte Philosophie in Wien, wo er nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder lebt. Neben seinen Romanen ›Die Schrecken des Eises und der Finsternis‹, ›Die letzte Welt‹, ›Morbus Kitahara‹ und ›Der fliegende Berg‹ sowie dem ›Atlas eines ängstlichen Mannes‹ erschienen bisher zehn Spielformen des Erzählens, darunter ›Damen & Herren unter Wasser‹, ›Geständnisse eines Touristen‹, ›Der Wolfsjäger‹ und ›Gerede‹. Für seine Bücher, die bisher in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche literarische Auszeichnungen, unter anderem die nach Friedrich Hölderlin, Franz Kafka und Bert Brecht benannten Literaturpreise, den Premio Mondello und, gemeinsam mit Salman Rushdie, den Prix Aristeion der Europäischen Union. Ein langes Gespräch mit Christoph Ransmayr sowie Texte zu seinem Werk erschienen in ›Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk Christoph Ransmayrs‹.
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Covergestaltung: Manfred Walch, Lorsbach
Umschlagabbildung: Hubert Scheibl
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 1982
im Christian Brandstätter Verlag, Wien
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2000
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403256-6
Wie ein Brief, vor achtzehn Jahren geschrieben, ins Blaue geschickt und nun auf Seewegen zurückgekommen, liegt der Strahlende Untergang wieder auf meinem Schreibtisch, ein schmales Bündel Druckfahnen. Ich erinnere mich an das Fenster, an dem der Schreibtisch damals stand, in der Tiefe davor das Mittelmeer, die Steilküste bei Trachila auf der südgriechischen Halbinsel Mani. Heute ist es der Atlantik, der vor meinem Fenster liegt, die Brandung an der Westküste Irlands, und wieder ist es März.
Natürlich ist die Versuchung groß, diesen Untergang jetzt und möglicherweise für immer abzuschließen, in achtzehn Jahren lernt auch ein Erzähler dazu, und tatsächlich kann ich an vier, fünf Stellen nicht widerstehen, streiche hier ein Wort, ändere Kursivsetzungen und stelle insgesamt den Zeilenfall des ursprünglichen Manuskriptes wieder her … Ein kindisches Unternehmen vielleicht, schließlich hat das Schreiben seinen Weg hinter sich, wurde gedruckt, gelesen und vielleicht längst wieder vergessen, sind Adressaten von einst verzogen oder für immer verschwunden. Aber ich sitze wieder (oder immer noch) am Meer, verbiete mir weitere Korrekturen und bestätige schließlich selbst den langatmigen Untertitel meiner Nachrichten aus der Wüste: Ein Entwässerungsprojekt oder Die Entdeckung des Wesentlichen. Denn zumindest eines der leiseren Geräusche eines Untergangs in den Dünen würde ich auch heute nicht viel anders beschreiben:
Wie hier jeder Schritt tönt.
Der Sand ist so trocken,
daß er sich unter den Füßen
und im Wind
zu kurzen Fontänen erhebt
und gleich wieder hinlegt
und dabei klingt,
als fielen Nadeln
gegen eine Erde aus Glas.
C.R.
Castletownshend / West Cork, im März 2000