Sigmund Freud
Band 17:
Schriften aus dem Nachlaß 1892-1938
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Sigmund Freud, 1856 in Freiberg (Mähren) geboren, wandte sich nach dem Medizinstudium während eines Studienaufenthalts in Paris der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Gesammelte Werke in Einzelbänden, Band XVII:
Beiträge zu den Studien über Hysterie
Eine erfüllte Traumahnung
Psychoanalyse und Telepathie
Das Medusenhaupt
Die Ichspaltung im Abwehrvorgang
Abriß der Psychoanalyse
Ergebnisse, Ideen, Probleme
Stimmen zum Werk Sigmund Freuds:
»In Freud lebt eine Intuition, die ihm zu einem großen Komplex der geheimsten und verschwiegensten Vorgänge – nicht nur im Individuum, sondern auch in der menschlichen Gemeinschaft – den Schlüssel gab, einen Schlüssel, den vor ihm niemand so bewußt in der Hand gehabt hatte – mit Ausnahme der Dichter. – Es ist sehr evident, daß die Erkenntnisse Freuds und der Gebrauch, den er von ihnen macht, kurz, daß seine ganze geistige Haltung in einer besonderen Weise zu unserer Zeit gehören.«
Hugo von Hofmannsthal
»Freud hat seine Traumlehre einmal ›ein Stück wissenschaftlichen Neulands‹ genannt, ›dem Volksglauben und der Mystik abgewonnen‹. In diesem ›abgewonnen‹ liegt der kolonisatorische Geist und Sinn seines Forschertums. – Ich bin vollkommen überzeugt, daß man in Freuds Lebenswerk einmal einen der wichtigsten Bausteine erkennen wird, die beigetragen worden sind zu einer heute auf vielfache Weise sich bildenden neuen Anthropologie und damit zum Fundament der Zukunft, dem Hause einer klügeren und freieren Menschheit.« Thomas Mann
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Hinweise zur Zitierfähigkeit dieser Ausgabe:
Textgrundlage dieser Ausgabe ist: Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Bd. 17, Schriften aus dem Nachlaß 1892-1938.
Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 1993. 8. Auflage.
Die grauen Zahlen in geschweiften Klammern markieren jeweils den Beginn einer neuen, entsprechend paginierten Seite in der genannten Buchausgabe. Die Seitenzahlen im Register beziehen sich ebenfalls auf diese Ausgabe.
ISBN 978-3-10-400167-8
Hier fehlt offenbar ein Wort.
Ergänzung der Herausgeber.
Dieser älteste Teil des psychischen Apparates bleibt durchs ganze Leben der wichtigste. An ihm hat auch die Forschungsarbeit der Psychoanalyse eingesetzt.
Dichter haben Ähnliches phantasiert, aus der Geschichte der lebenden Substanz ist uns nichts Entsprechendes bekannt.
Die Darstellung der Grundkräfte oder Triebe, gegen die sich die Analytiker noch vielfach sträuben, war bereits dem Philosophen Empedokles von Akragas vertraut.
S. die Vermutung, dass der Mensch von einem Säugetier abstammt, das mit 5 Jahren geschlechtsreif wurde. Irgendein grosser äusserer Einfluss auf die Art hat dann die gradlinige Entwicklung der Sexualität gestört. Damit könnten andere Umwandlungen des Sexuallebens beim Menschen im Vergleich zum Tier zusammenhängen, etwa die Aufhebung der Periodizität der Libido und die Verwendung der Rolle der Menstruation in der Beziehung der Geschlechter.
Es entsteht die Frage, ob die Befriedigung rein destruktiver Triebregungen als Lust verspürt werden kann, ob reine Destruktion ohne libidinösen Zusatz vorkommt. Befriedigung des im Ich verbliebenen Todestriebs scheint Lustempfindungen nicht zu ergeben, obwohl der Masochismus eine ganz analoge Mischung wie der Sadismus darstellt.
Frühzeitige Vaginalerregungen werden vielfach behauptet, sehr wahrscheinlich handelt es sich aber um Erregungen an der Klitoris, also einem dem Penis analogen Organ, was die Berechtigung, die Phase die phallische zu nennen, nicht aufhebt.
Eine extreme Richtung wie der in Amerika entstandene Behaviourismus glaubt eine Psychologie aufbauen zu können, die von dieser Grundtatsache absieht!
Die Analogie wäre, wie wenn der Unteroffizier, der eben einen Verweis vom Vorgesetzten stumm entgegengenommen hat, seiner Wut darüber an dem nächsten unschuldigen Gemeinen einen Ausweg schafft.
Die Kastration fehlt auch in der Ödipus-Sage nicht, denn die Blendung, durch die sich Ödipus nach der Aufdeckung seines Verbrechens bestraft, ist nach dem Zeugnis der Träume ein symbolischer Ersatz der Kastration. Dass an der ausserordentlichen Schreckwirkung der Drohung eine phylogenetische Erinnerungsspur mitschuldig ist an die Vorzeit der prähistorischen Familie, da der eifersüchtige Vater den Sohn wirklich des Genitales beraubte, wenn er ihm als Rivale beim Weib lästig wurde, ist nicht auszuschliessen. Die uralte Sitte der Beschneidung, ein anderer Symbolersatz der Kastration, lässt sich nur verstehen als Ausdruck der Unterwerfung unter den Willen des Vaters. (Siehe die Pubertätsriten der Primitiven.) Wie sich der oben beschriebene Ablauf bei den Völkern und in den Kulturen gestaltet, die die kindliche Masturbation nicht unterdrücken, ist noch nicht untersucht worden.
Der Name William Shakespeare ist sehr wahrscheinlich ein Pseudonym, hinter dem sich ein grosser Unbekannter verbirgt. Ein Mann, in dem man den Autor der Shakespearischen Dichtungen zu erkennen glaubt, Edward de Vere, Earl of Oxford, hatte noch als Knabe einen geliebten und bewunderten Vater verloren und sich völlig von seiner Mutter losgesagt, die sehr bald nach dem Tode ihres Mannes eine neue Ehe eingegangen war.
Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 1904.
Versuche von Bernheim, die ich 1889 in Nancy mitangesehen. Über den Zweifel an der Echtheit solcher hypnotischen Phänomene darf ich mich heute hinaussetzen.
Der wissenschaftliche Nachlass Sigmund Freuds, den die Herausgeber in diesem Band zusammenfassen, ist seinem Umfang nach gering. Die Ursache dafür liegt in der Arbeitsweise des Autors. Freud schrieb für die Publikation; er übergab der Öffentlichkeit, was fertiggestellt war, und vernichtete wieder, was als Vorarbeit überholt war oder ihm nicht druckreif schien. Die wenigen in diesem Band enthaltenen Entwürfe und Skizzen sind Ausnahmen, die diesem Schicksal aus verschiedenen Gründen entgangen sind.
Beispiele für zufällige Erhaltung sind die drei kurzen „Beiträge zu den Studien über Hysterie“. Sie entstammen dem schriftlichen Gedankenaustausch zwischen Breuer und Freud aus der Zeit vor der Publikation ihrer gemeinsamen Arbeiten. In einem Brief vom 8.X. 1909 bestätigt Freud ihre Rückstellung wie folgt: „Nehmen Sie meinen ergebensten Dank für die Überlassung der alten Skizzen und Entwürfe, die mir in der Tat sehr interessant erscheinen. Mit dem Abschnitt über den Anfall dürfte es sich so verhalten wie Sie vermuten, doch habe ich Manuskripte nach dem Druck nicht mehr aufbewahrt.“
Das Vorhandensein des Artikels „Eine erfüllte Traumahnung“ und der unausgeführten Skizze „Das Medusenhaupt“ ist nicht weiter begründet. Beide dürften der Vernichtung durch Zufall entgangen sein.
„Psychoanalyse und Telepathie“ ist für die mündliche Mitteilung vor dem engeren Zentralvorstand der psychoanalytischen Vereinigung geschrieben. Als solche Adresse ist es persönlicher gehalten und enthält mehr Einzelheiten als für die Veröffentlichung im Druck geplant{viii} war. Die Herausgeber haben sich durch diese grössere Ausführlichkeit bestimmen lassen, die Arbeit (mit einigen wenigen Auslassungen) in der ursprünglichen Form abzudrucken, obwohl ihre Ergebnisse den Lesern aus den späteren Verarbeitungen bekannt sind.
Auch die „Ansprache an die Mitglieder usw.“ ist für die mündliche Mitteilung und nicht für den Druck geschrieben. Es ist im Augenblick nicht möglich festzustellen, ob sie in den „B’nai B’rith Mitteilungen für Österreich“ Jahrgang 1926, (für „dem Verbande nicht Angehörende als Manuskript gedruckt“) erschienen ist. Die Herausgeber entschlossen sich zu ihrer Aufnahme in diesen Band nicht wegen des wissenschaftlichen Inhalts, sondern weil sie bestimmte Gedankengänge Freuds zu Problemen von allgemeinem Interesse entwickelt.
Wichtiger als diese mehr zufällige Auswahl aus den früheren Schriften sind die Arbeiten aus dem Jahre 1938, die den eigentlichen wissenschaftlichen Nachlass Freuds enthalten. Sie umschreiben den Problemkreis, mit dem Freud in seinen letzten Arbeitsjahren beschäftigt war. Ihre Erhaltung und Aufnahme bedarf keiner weiteren Begründung: es sind unfertige Arbeiten, deren Vollendung durch die letzte Erkrankung des Autors unterbrochen wurde. Der „Abriss der Psychoanalyse“ entstand aus der Bemühung, eine Darstellung der Psychoanalyse zu geben, die knapper und elementarer sein sollte als die bis dahin vorhandenen. Der Versuch schien Freud nicht gelungen. Er begann in „Some Elementary Lessons etc.“ die Arbeit umzuschreiben, um ihr eine andere noch mehr vereinfachte Fassung zu geben. Der englische Titel dieser Arbeit trägt der neuen Umgebung Rechnung, für deren Leserkreis sie bestimmt war. Die „Ichspaltung im Abwehrvorgang“ gibt Rechenschaft von dem Versuch, Vorgänge der Ichentwicklung unter einem neuen Gesichtspunkt, dem der Spaltung und Synthese, anzusehen, „Ergebnisse, Ideen, Probleme“ haben die bei Freud übliche Form der tagebuchartigen Aufzeichnung von Überlegungen, die sich ihm aus der täglichen Arbeit an Patienten ergaben und gewöhnlich den ersten Ansatzpunkt für spätere Arbeiten enthielten. Sie sind das einzige Blatt dieser Art, das erhalten ist. Alle ähnlichen Notizen aus den vorhergehenden Jahren sind von Freud selbst vor seiner Abreise von Wien vernichtet worden.
Im Besitze der Herausgeber befinden sich ausser dem hier veröffentlichten Material noch die zahlreichen Briefe Freuds, die zum Teil wertvolle wissenschaftliche Hinweise enthalten, einige verstreute Anmerkungen zu verschiedenen Themen, die durch andere Veröffentlichungen überholt erscheinen, eine ausführliche Krankengeschichte des „Rattenmannes“ (Bemerkungen zu einem Fall von Zwangsneurose), die sich aus Gründen der ärztlichen Diskretion zur Publikation nicht eignet, und eine erste Fassung des „Moses“, die vielleicht in einem späteren Zeitpunkt der Öffentlichkeit übergeben werden kann.
London, im August 1940.
Brief an Josef Breuer, vom 29.6.1892 datiert. Die in eckigen Klammern eingefassten Sätze und Worte sind im Manuskript durchgestrichen.
29.6.92.
Verehrtester
Die Befriedigung, mit welcher ich Ihnen arglos meine paar Seiten überreichte, ist dem Unbehagen gewichen, welches sich an beständige Denkschmerzen zu knüpfen pflegt. Ich quäle mich mit dem Problem, wie man etwas so Körperhaftes wie unsere Hysterielehre flächenhaft darstellen kann. Die Hauptfrage ist wohl die, stellen wir es historisch dar, fangen mit allen oder den zwei besten Krankengeschichten an, oder vielmehr dogmatisch mit unseren zur Erklärung erfundenen Theorien. Ich neige mich der letzteren Entscheidung zu und würde so gliedern:
Unsere Theorien:
Der Satz von der Konstanz der Erregungssumme.
Die Theorie der Erinnerung.
Der Satz, dass der Inhalt verschiedener Bewusstseinszustände nicht miteinander assoziiert wird.
Die Entstehung der hysterischen Dauersymptome: Traum, Autohypnose, Affekt und Wirkung des absoluten Traumas. Die drei ersten Momente auf Disposition, das letzte auf Aetiologie bezüglich. Die Dauersymptome entsprächen normalem Mechanismus, sie sind [Reaktionsversuche, zum Teil auf abnormen Wegen, das Hysterische daran, dass sie bleiben. Der Grund für ihr Verbleiben liegt im Satz c).] Verschiebungen von Erregungs-[Nebenthema]summen z.T.auf abnorme Wege (innere Veränderung), welche nicht gelöst werden. Grund der Verschiebung: Versuch der Reaktion, Grund des{6} Verbleibens: Satz c) von der Isolierung für die Assoziation. – Vergleich mit Hypnose –
Nebenthema: Über die Art der Verschiebung: Lokalisation der hysterischen Dauersymptome.
Der hysterische Anfall: Gleichfalls Reaktionsversuch auf Wege des Erinnerns usw.
Die Entstehung der hysterischen Stigmata: Recht dunkel, einige Andeutungen.
Die pathologische Formel der Hysterie: Dispositions- und accidentelle Hysterie. Die Reihe, die ich aufgestellt. Die Grösse der Erregungssumme, Begriff des Traumas, der zweite Bewusstseinszustand.
(GEMEINSAM MIT JOSEF BREUER)
Das Manuskript, ein Entwurf, der an Breuer gesendet wurde, in der Handschrift Freuds geschrieben, trägt das Datum: Wien, Ende November 1892. Einzelne Abschnitte sind in der vorläufigen Mitteilung „Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene“ (Neurologisches Zentralblatt, Jahrgang 1893; „Studien über Hysterie“ 1895) enthalten. Die Arbeit ist mit Zustimmung der Erben Breuers in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und Imago, Band XXV, 1940, Heft 2, erschienen.
Es gibt, soviel uns bekannt ist, noch keine Theorie des hysterischen Anfalles, sondern bloss eine von Charcot herrührende Beschreibung desselben, welche sich auf die selten vorkommende, unverkürzte „grande attaque hystérique“ bezieht. Ein solcher „typischer“ Anfall besteht nach Charcot aus vier Phasen, 1) der epileptoiden, 2) den grossen Bewegungen, 3) der Phase der „attitudes passionelles“, 4) dem „délire terminal“. Indem sich einzelne dieser Phasen selbständig machen, verlängern, modifizieren oder ausfallen, entstehen nach Charcot alle jene mannigfaltigen Formen von hysterischen Anfällen, die man als Arzt häufiger als die typische grande attaque zu beobachten Gelegenheit hat.
Diese Beschreibung bietet keinerlei Aufklärung über einen etwaigen Zusammenhang der einzelnen Phasen, über die Bedeutung des Anfalles im Gesamtbilde der Hysterie oder über die Modifikation der Anfälle bei den einzelnen Kranken. Wir gehen vielleicht nicht irre, wenn wir vermuten, dass bei der Mehrzahl der Ärzte die Neigung vorherrscht, im hysterischen Anfall eine „periodische Entladung der motorischen und psychischen Zentren der Hirnrinde“ zu sehen.
Wir sind zu unseren Anschauungen über den hysterischen Anfall dadurch gelangt, dass wir Hysterische mit hypnotischer Suggestion behandelten und durch Ausfragen in der Hypnose ihre psychischen Vorgänge während des Anfalles erforschten. Wir stellen folgende Sätze über den hysterischen Anfall auf, denen wir noch die Bemerkung vorausschicken, dass wir die Annahme einer Dissoziation – Spaltung des Bewusstseinsinhaltes – für unentbehrlich zur Erklärung hysterischer Phänomene erachten.
Konstanter und wesentlicher Inhalt eines (wiederkehrenden) hysterischen Anfalles ist die Wiederkehr eines psychischen Zustandes, den der Kranke bereits früher einmal erlebt hat, mit anderen Worten, die Wiederkehr einer Erinnerung.
Wir behaupten also, dass das wesentliche Stück des hysterischen Anfalles in der Charcot’schen Phase der attitudes passionelles enthalten ist. In vielen Fällen ist es ganz offenkundig, dass diese Phase eine Erinnerung aus dem Leben des Kranken, und zwar häufig immer die nämliche, enthält. In anderen Fällen aber scheint eine solche Phase zu fehlen, der Anfall besteht anscheinend nur aus motorischen Phänomenen, epileptoiden Zuckungen, einem kataleptischen oder schlafähnlichen Ruhezustand, aber auch in diesen Fällen gestattet die Ausforschung in der Hypnose den sicheren Nachweis eines psychischen Erinnerungsvorganges, wie er sich sonst in der phase passionelle augenfällig verrät.
Die motorischen Erscheinungen des Anfalles sind nie ausser Zusammenhang mit dem psychischen Inhalt desselben; sie stellen entweder den allgemeinen Ausdruck der begleitenden Gemütsbewegung dar oder entsprechen genau jenen Aktionen, welche der halluzinatorische Erinnerungsvorgang mit sich bringt.
Die Erinnerung, welche den Inhalt des hysterischen Anfalles bildet, ist keine beliebige, sondern ist die Wiederkehr jenes Erlebnisses, welches den hysterischen Ausbruch verursacht hat – des psychischen Traumas.
Dieses Verhältnis ist wiederum augenfällig in jenen klassischen Fällen traumatischer Hysterie, wie sie Charcot bei Männern kennen gelehrt, in denen das früher nicht hysterische Individuum von einem einzigen grossen Schreck an (Eisenbahnunfall, Sturz etc.) der Neurose verfällt. Hier bildet der Inhalt des Anfalles die halluzinatorische Reproduktion jenes mit Lebensgefahr verbundenen Ereignisses, etwa nebst den Gedankengängen und Sinneseindrücken, die das bedrohte Individuum damals ange{11}sponnen. Aber diese Fälle verhalten sich nicht abweichend von der gemeinen weiblichen Hysterie, sondern sind geradezu vorbildlich für dieselbe. Erforscht man bei letzterer den Inhalt der Anfälle auf dem angegebenen Wege, so stösst man auf Erlebnisse, welche gleichfalls ihrer Natur nach geeignet sind als Trauma zu wirken (Schreck, Kränkung, Enttäuschung). In der Regel wird das vereinzelte grosse Trauma hier ersetzt durch eine Reihe von kleineren Traumen, die durch Gleichartigkeit oder indem sie Stücke einer Leidensgeschichte bilden, zusammengehalten werden. Solche Kranke haben dann auch häufig verschiedene Arten von Anfällen, jede Art mit besonderem Erinnerungsinhalt. – Man wird durch diese Tatsache dazu veranlasst, dem Begriff der traumatischen Hysterie eine grössere Ausdehnung zu geben.
In einer dritten Gruppe von Fällen findet man als Inhalt der Anfälle Erinnerungen, denen man an und für sich einen traumatischen Wert nicht zugestehen würde, die denselben aber offenbar dem Umstande verdanken, dass sie sich durch Zusammentreffen mit einem Moment krankhaft gesteigerter Disposition assoziiert haben und so zu Traumen erhoben worden sind.
Die Erinnerung, welche den Inhalt des hysterischen Anfalles bildet, ist eine unbewusste, korrekter gesprochen: sie gehört dem zweiten, bei jeder Hysterie mehr oder minder hoch organisierten Bewusstseinszustande an. Demgemäss fehlt sie auch dem Gedächtnis des Kranken in seinem Normalzustande gänzlich oder ist nur summarisch in demselben vorhanden. Wenn es gelingt, diese Erinnerung gänzlich ins normale Bewusstsein zu ziehen, hört deren Wirksamkeit zur Erzeugung von Anfällen auf. Während des Anfalles selbst befindet sich der Kranke völlig oder teilweise im zweiten Bewusstseinszustand. Im ersten Falle ist er in seinem normalen Leben für den ganzen Anfall amnestisch; im zweiten nimmt er seine Zustandsveränderung und motorischen Äusserungen wahr, während der psychische Vorgang während des Anfalles ihm verborgen bleibt. Derselbe{12} kann aber jederzeit durch die Hypnose geweckt werden.
Die Frage nach der Herkunft des Erinnerungsinhaltes hysterischer Anfälle fällt zusammen mit der Frage, welche Bedingungen dafür massgebend seien, dass ein Erlebnis (Vorstellung, Vorsatz etc.) anstatt ins normale ins zweite Bewusstsein aufgenommen wird. Wir haben von diesen Bedingungen bei Hysterischen zwei mit Sicherheit erkannt.
Wenn der Hysterische ein Erlebnis mit Absicht vergessen will, einen Vorsatz, eine Vorstellung gewaltsam von sich weist, hemmt und unterdrückt, so geraten dadurch diese psychischen Akte in den zweiten Bewusstseinszustand, äussern von dort aus ihre permanenten Wirkungen, und die Erinnerung an sie kommt als hysterischer Anfall wieder. (Hysterie der Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Knaben, der Personen, welche Hang zur Kunst, zum Theater in sich verspüren etc.)
In den zweiten Bewusstseinszustand geraten auch jene Eindrücke, welche während eines ungewöhnlichen psychischen Zustandes (Affekt, Ekstase, Autohypnose) empfangen worden sind.
Wir fügen hinzu, dass diese beiden Bedingungen sich häufig durch inneren Zusammenhang kombinieren und dass ausser ihnen noch andere anzunehmen sind.
Wenn man von dem übrigens weiter tragenden Satze ausgeht, dass das Nervensystem bestrebt ist, etwas in seinen Funktionsverhältnissen, was man die „Erregungssumme“ nennen mag, konstant zu erhalten, und dass es diese Bedingung der Gesundheit durchsetzt, indem es jeden sensibeln Erregungszuwachs assoziativ erledigt oder durch entsprechende motorische{13} Reaktion abführt, gelangt man zu einer gemeinsamen Eigentümlichkeit derjenigen psychischen Erlebnisse, die man als Inhalt hysterischer Anfälle vorfindet. Es sind durchwegs Eindrücke, denen die adäquate Abfuhr versagt ist, sei es weil die Kranken aus Furcht vor peinlichen Seelenkämpfen die Erledigung von sich weisen, sei es weil (wie bei sexuellen Eindrücken) Schamhaftigkeit und soziale Verhältnisse sie verbieten, oder endlich weil diese Eindrücke in Zuständen empfangen worden sind, in denen das Nervensystem der Aufgabe der Erledigung unfähig war.
Man gewinnt auf diesem Wege auch eine für die Lehre von der Hysterie brauchbare Definition des psychischen Traumas. Zum psychischen Trauma wird jeder Eindruck, dessen Erledigung durch assoziative Denkarbeit oder motorische Reaktion dem Nervensystem Schwierigkeiten bereitet.
Das Manuskript ist ein undatierter Entwurf, es stammt offenbar aus dem Jahre 1892 und ist „III“ überschrieben.
Wir haben im Vorstehenden als eine Tatsache der Beobachtung anführen müssen, dass die Erinnerungen, welche hinter hysterischen Phänomenen stecken, dem Gedächtnis der Kranken, über das sie verfügen, fehlen, während sie sich in der Hypnose mit halluzinatorischer Lebhaftigkeit wachrufen lassen. Wir haben ferner angeführt, dass eine Reihe von solchen Erinnerungen sich auf Vorfälle in eigentümlichen Zuständen wie Schreckkataplexie, Halbträume, Autohypnose u.dgl. bezieht, deren Inhalt nicht in Assoziativverkehr mit dem normalen Bewusstsein steht. Es war uns also bereits soweit unmöglich, die Bedingung für das Zustandekommen hysterischer Phänomene zu erörtern, ohne auf diejenige Annahme einzugehen, welche eine Charakteristik der hysterischen Disposition versucht, nämlich, dass es bei der Hysterie leicht zur zeitweiligen Dissoziation des Bewusstseinsinhaltes und zur Absprengung einzelner nicht im assoziativen Verkehr stehenden Vorstellungskomplexe kommt. Wir suchen also die hysterische Disposition darin, dass solche Zustände entweder spontan (auf innere Ursachen hin) auftreten oder dass sie leicht durch äussere Einflüsse provoziert werden, wobei wir eine Reihe von wechselnder Beteiligung der beiden Faktoren gelten lassen.
Wir heissen diese Zustände hypnoide und heben als wesentlich für sie hervor, dass ihr Inhalt mehr minder vom übrigen Bewusstseinsinhalt abgesperrt, also der assoziativen Erledigung beraubt ist, wie wir im Traum und Wachen, Vorbild verschiedener Zustände, nicht zu assoziieren sondern nur{18} unter einander[1] geneigt sind. Bei disponierten Personen könnte jeder Affekt zu einer solchen Abspaltung Anlass geben, und der im Affekt empfangene Eindruck würde so zum Trauma, auch wenn er dazu an sich nicht geeignet ist. Der Eindruck könnte auch selbst diesen Affekt machen. In ihrer voll entwickelten Form bildeten diese hypnoiden Zustände, die miteinander assoziierbar sind, die condition seconde etc. der bekannten Fälle. Rudimente dieser Anlage wären überall anzuerkennen und sind durch geeignete Traumen auch bei nicht disponierten Personen zu entwickeln. Insbesondere eignet sich das Sexualleben dazu, Inhalt (solcher Traumen[2]) zu bilden, mit dem mächtigen Gegensatz, den es zur sonstigen Person bildet und der Unreagierbarkeit seiner Vorstellungen.
Man versteht, dass unsere Therapie darin besteht, die Wirkungen der nicht abreagierten Vorstellungen dadurch aufzuheben, dass wir entweder im Somnambulismus das Trauma wiederaufleben lassen, abreagieren und korrigieren oder in leichterer Hypnose es ins normale Bewusstsein ziehen.
Das Manuskript trägt das Datum 10. November 1899.
Frau B., eine ausgezeichnete, auch kritische Person erzählt in anderem Zusammenhange, keineswegs tendenziös, dass sie einmal vor Jahren geträumt, sie treffe ihren früheren Hausarzt und Freund, Dr. K., in der Kärntnerstrasse vor dem Laden von Hies. Am nächsten Vormittag geht sie durch diese Strasse und trifft die bezeichnete Person wirklich an der geträumten Stelle. Soweit das Argument. Ich bemerke noch, dass dieses wunderbare Zusammentreffen seine Bedeutung durch kein nachfolgendes Ereignis erwies, also aus dem Zukünftigen nicht zu rechtfertigen ist.