Katrin Bauerfeind
Hinten sind Rezepte drin
Geschichten, die Männern nie passieren würden
FISCHER E-Books
Katrin Bauerfeind moderierte das erste ruckelfreie deutsche Internetfernsehen, »Ehrensenf«, ausgezeichnet mit mehreren Grimme-Online-Awards. Harald Schmidt verpflichtete sie daraufhin als Teilzeitfrau in seiner ARD-Show. Seit Jahren sendet sie außerdem aus der Kulturnische 3sat, wo sie aktuell in »Bauerfeind assistiert …« Prominente portraitiert. Mittlerweile tauscht sie immer öfter die Fernseh- gegen die Filmkamera. Katrin Bauerfeind spielte unter anderem an der Seite von Olli Dittrich, Mišel Maticevic und Martina Gedeck, in der neuen ARD-Reihe »Borcherts Fall« übernimmt sie die weibliche Hauptrolle. Unter dem Titel ›Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag‹ wurden ihre ›Geschichten vom schönen Scheitern‹ zum Bestseller. Mit dem gleichnamigen Programm tourte sie – dem Untertitel zum Trotz – erfolgreich in der gesamten Republik.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Kann ich emanzipiert sein und trotzdem ohne Unterwäsche in die Stadt?
Bin ich schon eine moderne Frau, nur weil ich nicht kochen kann?
Kriege ich in einer Beziehung auch Treuepunkte?
Muss es in Frauenbüchern eigentlich immer um Männer, Mode und Cellulite gehen?
Wenn Sie solche Fragen mögen, werden Sie in diesem Buch viel Spaß haben. Klar, für den Preis dieses Buchs können Sie sich auch einen dünnen Thomas Mann kaufen oder zwei Hemingways, also echte Nobelpreisträger, oder eine gebrauchte Bibel, also praktisch das Wort Gottes, aber überall da steht wenig über Frauen, und schon gar nichts Lustiges oder nicht viel Wahres …
Katrin Bauerfeind erzählt in ihrem neuen Buch, was es heutzutage heißt, eine Frau zu sein: mit Witz, aber ernstgemeint, ohne Quote und Aufschrei, aber auch ohne Drumrumreden. Es geht um Playmobilfrisuren, Wellnesswahnsinn, schlechten Sex und gute Freunde und um Männer, Mode, Cellulite. Und hinten sind natürlich keine Rezepte drin …
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2016
Coverabbildung: Jürgen Naber
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403555-0
Der Mann einer Freundin hatte sehr lange als PIN den Geburtstag seiner Exfreundin und als Passwort ihren Kosenamen. Er sah da kein Problem. Warum sollte er sich neue Daten merken, es ging doch um technische Vorgänge?
Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
Manche Sachen kaufe ich ironisch. Ich will zum Beispiel eine echte Louis-Vuitton-Handtasche haben. Es soll möglichst groß Louis Vuitton draufstehen. Natürlich nicht, weil ich das schön finde. Ich glaube, dass die bei LV ihre Sachen von krankhaft ehrgeizigen Koalas entwerfen lassen, die sich von Beutel- zu Taschentieren hocharbeiten wollen. Ich will trotzdem so ein Ding, damit die Leute darüber nachdenken, ob ich die Handtasche ernst meine, ob sie wirklich echt ist und ob man bei 3sat so viel verdient, dass es für Louis Vuitton reicht.
Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag. Geschichten vom schönen Scheitern, S. Fischer Verlag, 14,99 €, oder gebraucht bei Ebay für 1 €.
Ich glaube ja auch an eine Tinder-für-Schnäppchen-App, die einem auf dem Smartphone anzeigt, welche Sonderangebote sich in der Nähe befinden. Aber auch damit wird wieder ein anderer reich.
Der Feminismus hat mehr Frauen enttäuscht als die Verfilmung von 50 Shades of Grey. Auf Partys ist das Wort »Emanzipation« ein ähnlicher Stimmungskiller wie »Islam« oder »Darmkrebsvorsorge«. Darüber will keiner gerne reden. Und bevor Sie, liebe Leser*innen, deswegen das Buch gleich wieder zuklappen, sei schon mal gesagt, es geht hier um die komischen Seiten des Frauseins. Es geht auch um Haare, Handtaschen, Zicken, Gewalt, Religion, Männer und Sex. Aber eben komisch. Denn Anfang des 21. Jahrhunderts ist es immer noch komisch, eine Frau zu sein. Komisch, im Sinne von seltsam, aber auch im Sinne von lustig.
Ich war zum Beispiel nie in der Gefahr, zwangsverheiratet zu werden. Meine Eltern wollten mir nicht mal einen Pulli für den Winter aussuchen, geschweige denn einen Mann. Vermutlich hätten sie bei Männern und Pullis eh dieselben Kriterien angelegt: »Nimm den, der ist schön dick, der hält dich warm.« Die Typen, auf die ich mich bislang eingelassen habe, habe ich mir alle selbst ausgesucht. Mit dem Ergebnis, dass ich immer noch unverheiratet bin und mir Internet-Partnerbörsen ungefragt Schnupperwochen anbieten. Ob das am Ende besser ist? Ja, sicher, aber Sie verstehen, was ich meine, oder?
Frauen verdienen für dieselbe Arbeit weniger Geld als Männer, werden aber von Männern problemlos an jeder Bar eingeladen, wenn sie’s nicht allzu blöd anstellen. Das heißt, je nachdem was ein Gin Tonic so kostet, kann man sich als Frau die Lohnungerechtigkeiten wieder raussaufen. Aber Gleichberechtigung zum Preis von Alkoholismus kann ja auch keine Lösung sein.
Frauen dürfen in vielen Ländern politisch nichts entscheiden, haben aber weltweit die Macht über die Fernsehfernbedienung. Deswegen gibt es so unfassbar viele romantische Komödien. Das heißt, einer der wenigen Bereiche, in denen Frauen das Sagen haben, führt dazu, dass jemand wie Til Schweiger ein Star ist. Es bleibt schwierig. Es bleiben Fragen: Kann ich emanzipiert sein und trotzdem ohne Unterwäsche in die Stadt? Bin ich schon eine Feministin, nur weil ich nicht kochen kann? Bin ich keine Feministin mehr, wenn ich flirte? Haben Sie auch das Gefühl, dass sich Feminismus und Katholizismus in puncto Humorlosigkeit sehr ähneln? Wenn Sie solche Fragen mögen, werden Sie in diesem Buch viel Spaß haben. Wenn nicht, sind Sie vermutlich ein Mann. Dann ist es eh wurscht, weil Männer keine Bücher kaufen, geschweige denn lesen. Aber machen Sie in diesem Fall eine Ausnahme. Denn erstens kommen Sie in diesem Buch besser weg, als Sie jetzt vielleicht noch denken, und zweitens – und das verrate ich nur Ihnen – sind hinten gar keine Rezepte drin. Das ist nur ein Marketingtrick, um die Frauen zum Kaufen zu bewegen. In diesem Sinne wünsche ich allen Gendern jetzt viel Spaß beim Lesen.
Gott ist gegen Frauen. Zumindest der katholische. Es gibt zum Beispiel ein »Vater unser …«, aber kein »Mutter unser …«, die Frauenquote in den Führungspositionen der katholischen Kirche liegt bei null Prozent, und im Neuen Testament gibt es im Wesentlichen genau zwei Frauenrollen: Mutter oder Nutte.
Die prägende Religion des Abendlandes hält von der Gleichberechtigung der Frauen ungefähr so viel wie die Hells Angels. Wenn ich das richtig verstehe, besteht das Paradies im Islam auch darin, dass es da zugeht wie beim Bachelor von RTL. Etliche Jungfrauen scharen sich um einen Mann. Emanzipatorisch fragwürdig, aber immerhin kommen junge Frauen vor. Bei den Katholiken steht dagegen ein alter Mann an der Himmelspforte. Bei guter Führung sitzt man den Rest seiner Tage zur Rechten Gottes, und der ist, nach allem, was man so hört, auch eher männlich und betagt. Aus Frauensicht klingt das so gar nicht nach ewiger Happy Hour, sondern nach dem Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns, wo jede Menge alte Kerle am liebsten unter sich bleiben. Die evangelische Kirche ist zwar etwas lockerer, wirkt als Alternative unterm Strich aber trotzdem eher so, als würde man beim Stierkampf jetzt auch Kühe zulassen.
Also, dachte ich mir, Katrin, warum gründest du nicht einfach deine eigene Religion. Nur für Frauen. Warum sollte etwas, dass für Fitnesscenter und Autohäuser prima funktioniert, nicht auch für Religionen klappen? Ja, ich weiß, es klingt erst mal absurd. Andererseits: Vor 75 Millionen Jahren soll Xenu der Herrscher einer galaktischen Konföderation gewesen sein, die aus 26 Sternen und 76 Planeten bestand. Einer davon war unsere Erde, die sich damals noch Teegeeack nannte. Eng war es, denn es lebten knapp 180 Milliarden Menschen auf dem Planeten. Deutlich zu viel, fand Xenu, der sich überlegte, etwas gegen die Überbevölkerung zu tun. Er entwickelte den Plan, Millionen von Menschen mit Alkohol und Glykol zu lähmen.
So steht’s bei L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology. Eine Religion aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das ist kein Witz. In diesem Stil geht’s da noch seitenlang weiter. Und Scientology hat es damit immerhin geschafft, Tom Cruise zu überzeugen. Insofern, dachte ich mir, ist es bei Religion wieder mal so wie überall: Männer legen einfach los und haben mit dem absurdesten Zeug Erfolg. Frauen haben erst mal Zweifel. Also, Schluss damit und her mit der Frauenreligion. Auf geht’s!
Die Welt ist weiblich. Guckt euch an, wie schön sie ist! Da hat auf jeden Fall eine Frau ihre Hände im Spiel gehabt. Oder ein Schwuler. Hetero-Männer jedenfalls richten ihre Wohnungen bis heute weiß, karg und ungemütlich ein. Warum sollte das vor einer Ewigkeit anders gewesen sein? Kein Mann käme darauf, einen Schmetterling zu erfinden oder einen Sonnenuntergang. Ein Mann würde einfach das Licht ausmachen.
Gott also war eine Frau. Sie hieß Brigitte. Brigitte Gott. Abgefahrene Mädchennamen wie Babylonia Cheyenne gibt es erst seit kurzem. Gott lebte aber vor etlichen Millionen Jahren und hieß deswegen noch ganz normal. Im Gegensatz zum bisherigen Bild vom männlichen Schöpfer war Brigitte nicht perfekt und fehlerfrei. Sie wollte zum Beispiel eine kuschelige Spinne schöpfen, was ihr aber wieder und wieder misslang. Deswegen haben wir heute Tausende unterschiedlicher Spinnenarten, die alle nicht kuschelig sind. Brigitte wollte schönes Wetter für alle und schuf anfangs England, sie wollte herrliche Landschaften und übte zunächst vergeblich an Brandenburg. Aber sie stand zu ihren Fehlern, deswegen überlebte auch der Mann bis heute. Gut, das ist ein billiger Gag, aber die Sache mit dem Übers-Wasser-Laufen ist ja auch nicht gerade raffiniert.
Irgendwann jedenfalls machte Brigitte den Menschen. Fortan war sie alleinerziehend, und wir wissen bis heute, was für eine schwierige Aufgabe das ist. Man kann seine Augen nicht überall haben, macht vieles falsch und ist ständig überfordert, und Brigitte musste sich ja auch gleichzeitig noch um die ganze Welt kümmern. Es war praktisch der Job von Angela Merkel plus ein paar tausend Kinder. Das bringt dich auch als Gott an den Rand deiner Kapazitäten. Wie so viele Frauen erwartete auch Brigitte keine Dankbarkeit oder Anerkennung für das, was sie geleistet hatte. Erst im hohen Alter hatte sie das Gefühl, etwas zu sagen zu haben, was hinausgeht über »Die Mutti geht jetzt nach Hause!«, »Räumt bitte eure Erde auf, sonst gibt’s keinen Nachtisch!« und »Könnt ihr euch nicht einfach vertragen?!«. Sie war schon ein paar Millionen Jahre alt und somit also quasi der typische ZDF-Zuschauer, als sie in der Mediathek zufällig meine Sendung sah. »Diese Bauerfeind gefällt mir«, sagte Brigitte. Ich weiß, das klingt ein bisschen eitel, aber der Gründer der Mormonen war zum Beispiel ein vorbestrafter Trickbetrüger und behauptete, dass Gott zu ihm gesprochen hat, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Das ist auch kein Witz. Die Evangelisten hatten teilweise nicht mal Abitur, warum sollte Brigitte also nicht ausgerechnet mit mir reden? Eben. Brigitte also sprach: »Katrin, du sollst es später einmal besser haben, deswegen sage ich dir jetzt, wie ich mir alles vorgestellt habe. Schreib das schön auf und verkünde es, denn reden kannst du! Sonst, muss ich feststellen, hab ich schlicht vergessen, dir Talente mitzugeben. Das tut mir leid. Ah, dieses ewige Entschuldigen ist auch sehr weiblich, das wollte ich eigentlich längst gelassen haben …« So saßen wir zusammen, und sie diktierte mir ihre Gebote.
Lasst euch nicht vorschreiben, wie ihr auszusehen habt! Ich, Brigitte, hab euch überall Haare drangemacht. War vielleicht ein Fehler. Wie gesagt, ich bin nicht perfekt. Wem’s nicht gefällt, der kann sie gerne abrasieren. Die anderen lassen sie dran. Es ist doch scheißegal. Kümmert euch gefälligst um das, was wichtig ist.
Lasst euch nicht vorschreiben, wie ihr auszusehen habt! Wer Bock auf Kopftuch hat, soll eins aufsetzen, wer Röcke tragen will, die kurz überm Arsch aufhören, soll das machen, wer bauchfrei gehen will, soll bauchfrei gehen, dann aber im Mittelteil nicht schwobbelig sein. Das ist unästhetisch. Ich hab mir bei der Gestaltung von zum Beispiel Orchideen, Alpen und Geparden optisch nicht so viel Mühe gemacht, damit ihr die Fußgängerzonen verschandelt, nur weil Taylor Swift oder die Brigitte euch erzählen, dass man jetzt so rumrennt. Ich bin die wahre Brigitte, und ich aber sage euch: Klamotten sind nett, aber am Ende scheißegal. Kümmert euch gefälligst um das, was wichtig ist!
Lasst euch nicht vorschreiben, wie ihr auszusehen habt. Ob smoky eyes oder Amy-Winehouse-Lidstrich, ich gab jedem von euch zwei Augen zum Rausgucken. Das ist eine feine Sache. Darauf muss man erst mal kommen. Ich finde es ehrlich gesagt schon ein bisschen frech, dass ihr diese prima Erfindung, die ich euch für lau mitgebe, noch verschönern wollt. Falls jemand euch einen Porsche schenkt, macht ihr doch auch nicht zuerst Kunstfell auf die Sitze, weil’s besser aussieht, oder? Na also! Guckt euch also mit den von mir gemachten Augen um und kümmert euch gefälligst um das, was wichtig ist!
Macht Liebe! Reichlich! Sucht euch einen Mann, eine Frau oder beides, macht, was ihr wollt. Liebe ist wie Schokolade, immer eine feine Sache, egal in welcher Geschmacksrichtung.
Ich weiß, von Liebe reden die anderen Religionen auch, aber im Gegensatz zu denen meint Brigitte es auch so. Auch im Sinne von vögeln. Und sie spricht von Schokolade, und das tun die anderen nicht. Nicht mal Buddha, und der ist dick. Brigitte nicht. Sie hat nur schwere Knochen. Ein klarer Pluspunkt also für Brigitte. Außerdem ist ihre Liste übersichtlich. Vier Gebote. Das war’s! Sie sagt, sie hat nichts dagegen, Vater und Mutter zu ehren, nicht zu stehlen, zu morden und zu lügen, aber dafür brauche man ja keinen Gott, darauf komme man auch mit gesundem Menschenverstand.
Ich bastle gerade an den Ritualen für unseren Brigittesdienst. Bei den Katholiken laufen Männer und Jungs in Kleidern durch die Kirche, tragen lustige Hüte. Einer läuft mit einem Kreuz voraus, ein anderer macht was mit Rauch, ein Dritter was mit Glöckchen! Dazu gibt’s Musik. Ist vom Entertainment-Level nicht ausgefuchster als die Carmen-Nebel-Show, und da ist wenigstens schon eine Frau dabei. Da ist also noch Luft nach oben. Vielleicht könnte Vivian Westwood sich um passende Kostüme kümmern, statt Weihrauch gibt es Chanel No. 5, und Glöckchen und Orgel ersetze ich durch das Feel-Good-Album von Spotify. Alle Gläubigen tragen einen Kranz aus Gänseblümchen oder Sonnenblumen, einfach so, zur Hebung der Laune, und das mit der Oblate hat mir auch zu viele Anklänge an Entbehrung, Diät und Minimalismus. Bei mir bekommt jede Schokolade. Und statt Wein gibt’s Prosecco. Es ist ja schließlich eine Frauenreligion.
Okay, ich gebe zu, da muss ich noch mal ran, das sitzt noch nicht, das ist noch nicht okkult genug, es klingt schon noch sehr weltlich. Aber Rom beziehungsweise der Vatikan wurde auch nicht an einem Tag erbaut.
Falls Ihnen meine Religion sympathisch ist, können Sie gerne mitmachen. Ich nehme jede auf, und Brigitte sieht es auch nicht so eng, hat sie mir gesagt. Wenn Sie jetzt beitreten, erhalten Sie zwanzig Prozent Frühbucher-Rabatt und einen Premiumplatz im Himmel. Da gibt’s den ganzen Tag Wellness. Versprochen. Alles was Sie machen müssen, ist, das Anmeldeformular am Ende des Buches auszufüllen und mir 200 Euro zu überweisen. Ja, sorry, das ist natürlich bei uns auch nicht anders als bei anderen Religionen. Es geht um Kohle. Glaube ist nie kostenlos.
Als Mädchen war Mädchensein für mich überhaupt kein Thema. Ich hab nie einen wesentlichen Unterschied gesehen zwischen Jungs und mir. Auch vonseiten meiner Eltern wurde keiner gemacht. Heute sind Spielzeugläden so streng in Jungs- und Mädchenbereiche getrennt wie sonst nur Toiletten. Für Jungs gibt’s Piraten, Lego, Feuerwehrautos, Teleskope und Ritter; für die Mädchen Prinzessin Lillifee, Hello Kitty, Puppen, Barbie, noch mehr Prinzessin Lillifee und jede Menge rosa Gebömsel. Die Achtziger dagegen waren nur wenig rosa. Klar, auch in meiner Generation hatte man Barbies, Puppen und die Wendy, für Pferdemädchen. Aber ich wollte nie ein Pferdemädchen sein. Ich hab genau dasselbe gespielt wie Jungs: Mit Playmobil oder Autos, die je nach Wasser- oder Außentemperatur ihre Farbe veränderten.
Erst zu meinem siebten Geburtstag habe ich von meiner Tante eine Barbie geschenkt bekommen. Die Ultra Long Hair Barbie, deren blonde glatte Glitzer-Plastikhaare ihr bis zu den Plastik-Fußknöcheln reichten, was aber wahnsinnig unpraktisch war. Überall verhedderten sie sich, blieben an Türklinken hängen und sammelten eigenständig Essensreste. Selbst wenn man Stunden damit zubrachte, die Haare mit der dazugehörenden pinken Bürste zu kämmen, war Momente später wieder irgendwo ein Haarknoten. Barbie und ich wurden keine Freundinnen. Sie war anstrengend und nervig, wie eine Miniausgabe von Paris Hilton. Nach zwei Wochen schnitt ich ihr einen Bob. Ihr standen die verbliebenen Haare vom Kopf ab, als hätte sie dauernd Gegenwind. Sie sah wahnsinnig blöd aus mit dem Bob, und ich hatte überhaupt keine Lust mehr, mit ihr zu spielen.
Bei Playmobilmännchen dagegen konnte man die Frisur einfach abnehmen. So ähnlich sah ich auch aus. Meine Mutter hielt das für praktischer. Auch als ich gern lange Haare gehabt hätte, fand meine Mutter, der Mecki-Schnitt »sieht doch frech aus und passt viel besser zu dir!«. Ich entwickelte deswegen kein Trauma, es gab noch nicht mal Streit, ich behielt einfach den pflegeleichten Topfschnitt. Auch Klamotten mussten mich nicht gut aussehen lassen, sondern hauptsächlich ihren Zweck erfüllen, also matschtauglich sein. Keiner fand mich jemals süß, und nie hab ich das vermisst. Wenn die Nachbarsjungs und ich etwas angestellt hatten, wurde die Strafe gerecht fifty/fifty geteilt. Weder hatte ich als Mädchen bessere Karten, noch bekam ich Bonus-Ärger, weil »ein Mädchen so was nicht macht«. Und das alles ganz ohne Gleichstellungsbeauftragte.
Drei Sätze meiner Eltern haben mich in meiner Jugend begleitet: »Du musst wissen, was du willst!«, »Mach dich nie abhängig!« und »Geh deinen eigenen Weg!«. Erst ging’s ums Abitur, dann um die Wahl des Studienfaches und die ersten Schritte ins Berufsleben. Es stand außer Frage, dass meine Eltern mich bis zu dem Tag unterstützen würden, an dem ich mein Diplom-Zeugnis in der Hand hielt. Danach musste ich selbst klarkommen. Es war nie die Rede davon, dass dann irgendwer anders für mich aufkommen würde. Also etwa ein Mann oder etwas ähnlich Abstruses. Dazu bestand ja auch kein Anlass. »Wer was kann, muss sich keine Sorgen machen, und du kannst was.« Von Anfang an war klar: Ich war für mich selbst verantwortlich.
Zu dieser Erziehung kamen mit Schule und Studium insgesamt siebzehn Jahre, in denen es – geschlechtsunabhängig – immer nur um Leistungen ging, nach denen ich bewertet wurde. Fand ich. Ich hatte eine Eins in Deutsch, weil ich Lessing gelesen und halbwegs verstanden hatte, nicht weil ich ein Mädchen war. Ich ging automatisch davon aus, im weiteren Leben genauso bewertet zu werden.
Erst als ich anfing zu arbeiten, stellte ich fest, dass es im wahren Leben anders zugeht. Der erste Presse-Artikel, in dem ich erwähnt wurde, begann mit: »Sie sieht ein bisschen aus wie die kleine Schwester von Catherine Zeta-Jones …« In meinen Anfängen beim Internet-Fernsehen war eine der am meisten gestellten Fragen von Journalisten: »Wie wichtig, glauben Sie, ist Aussehen?« Für mich eine absurde Frage. Ich war ja kein Model, ich moderierte eine Sendung. Ich wollte darüber reden, ob ich das gut oder schlecht machte, nicht darüber, ob mein Aussehen zum Erfolg des Formates beitrug. Ulrich Deppendorf wurde ja auch nicht gefragt, ob es für ihn in seinem Job hinderlich war, so auszusehen wie eine Figur bei den Simpsons.
Ich fühlte mich plötzlich, als wäre ich all die Jahre vorher verarscht worden. So als ob jemand Mark Zuckerberg erzählt, dass die Weiber sich doch nicht für ihn interessieren, weil er so ein dufter Typ ist, sondern weil er 96 Milliarden Dollar auf dem Konto hat. Ich stellte fest, dass es in der Welt eben nicht nur um Leistung geht, sondern um Geschlecht und Optik, und zwar unabhängig davon, ob man in den Medien arbeitet oder in der Metzgerei. Selbst Angela Merkel musste sich die Zonenflusen auftoupieren lassen, als es darum ging, Kanzlerin zu werden.
Ich sitze beim Programmdirektor eines Senders. Er hat mich eingeladen, um mit mir über meine Zukunft zu sprechen. Er wird gesehen haben, was ich so mache, denke ich, es wird ihm gefallen haben, denke ich. Stattdessen sagt er: »Lassen Sie mich ehrlich sein. Wir haben keine Frauen. Wir brauchen Frauen. Wir brauchen vor allem junge Frauen.« Sätze, die ich eher von einem Puffbesitzer erwartet hätte. Ich sitze also gar nicht hier, weil ich mitunter witzig bin, das ein oder andere brauchbare Interview geführt habe und an guten Tagen sogar unterhaltsam sein kann, sondern weil ich eine Frau bin. Hm. Der Programmdirektor und ich kommen nicht zusammen.
Es gibt die Anfrage für eine Rolle in einem Spielfilm. Namhaftes Team, bekannte Kollegen, guter Sendeplatz. Im Buch gibt es eine Nacktszene. Ich finde Nacktszenen eigentlich nur in Pornos sinnvoll, in anderen Filmen meist überflüssig. Ich frage, warum wir die Szene im Film haben, und höre: »In einem guten Film und einer guten Ehe erwarten die Leute auch ein bisschen Sex. Und das ist hier dein Part.« Hm. Ich hab die Rolle angenommen.
Vorbesprechung zu einer Veranstaltung, die ich moderieren soll. Ich rede mit zwei Frauen von der Eventagentur fünf Minuten über Inhalte und zwanzig Minuten darüber, was ich anziehe. Viel Zeit für wenig Stoff. Die eine Event-Frau ist in meinem Alter und sagt lachend: »Das Auge isst schließlich mit. Letztes Jahr hat das hier Jörg Thadeusz gemacht, und da ging das Auge mit leerem Magen nach Hause, wenn du weißt, was ich meine.« Hm. Ich moderiere die Veranstaltung im besprochenen Kleid.
Die Redaktionen meiner Sendungen waren bislang überwiegend weiblich besetzt. Der Umgangston war deswegen so, dass ich oft das Gefühl hatte, ich hätte zunächst einen Wunderbaum frühstücken sollen, bevor ich Kritik äußere, damit harsche Worte erst mal parfümiert werden. Daher ist die folgende Szene komplett ausgedacht, hat so nie stattgefunden, und alle Namen wurden sorgfältig geändert:
Bärbel hat einen Beitrag für eine Sendung geschnitten, und ich finde ihn nicht gut. Deswegen sage ich: »Bärbel, ich finde, so kann man’s nicht machen, das ist scheiße!« Bärbel weint. Ich gebe zu, ich habe mich mit meinem Satz nicht für die Aufnahme in den Diplomatischen Dienst empfohlen, meinte damit aber weder »Bärbel, du bist scheiße!« noch »Bärbel, ich bin menschlich tief von dir enttäuscht, nimm dir bitte das Leben!«. Ich meinte lediglich: »Bärbel, das ist scheiße, ich finde, so kann man’s nicht machen.« Das hab ich auch gesagt. Man mag es schöner formulieren können, aber ich halte es dennoch für inhaltliche Kritik. Das sage ich Bärbel. Sie weint noch lauter. Ich kann nicht gut damit umgehen, wenn Kolleginnen alles nass machen. Deswegen tritt unangenehme Stille ein. Bärbel sieht mich mit einem Blick an, der sagt, dass sie als Kollegin und Frau getroffen ist: »Du bist doch auch eine Krähe, wieso hackst du mir ein Auge aus? Kennst du keine Sprichwörter?« Das sagt dieser Frauenblick. Bärbel schluchzt entsprechend: »Ich finde das echt doof, wenn du so gemein zu mir bist!« Ich verstehe nicht, wieso inhaltliche Kritik gleich als gemein wahrgenommen wird, aber wir kommen nicht weiter. Ich glaube, Bärbel hat mir bis heute nicht verziehen. Wir sind jetzt angestrengt nett miteinander. Manchmal tun mir davon die Mundwinkel weh.
Das klare Wort ist ein generelles Problem für Frauen. Nicht nur für solche, die ihre Autos taufen und Ü-Ei-Figuren auf den Computer stellen. Auch toughe Mädchen haben’s oft lieber harmonisch. Eine Freundin, die mit beiden Beinen fest im Business steht und einen Etat verwaltet, mit dem man sich ein schlecht laufendes Land in der Dritten Welt kaufen könnte, hat eine Telefonphobie. Meistens bekommt sie Anrufe von Agenturen, die wollen, dass das Unternehmen, für das sie arbeitet, Werbeanzeigen schaltet. »Schauen wir mal«, sagt sie dann, »das muss ich auch erst noch mit meinem Vorgesetzten absprechen.« Da sie ihr eigener Vorgesetzter ist, ist das glatt gelogen. Sie will aber nicht direkt absagen, um nicht das Gefühl zu haben, grob zu sein. Frauen würden am liebsten absagen, ohne abzusagen. Ich habe auch einige Veranstaltungen moderiert, weil ich meine Absagen so formuliert hatte, dass die Veranstalter sie als Zusage werteten. Meine Freundin hat den Anrufer jetzt nur vertröstet. Er wird sich in zwei Wochen wieder melden. Dann hat sie dasselbe Problem, nur größer. Sie kann deshalb auf der Arbeit an manchen Tagen nicht mehr ans Telefon oder meldet sich mit der verstellten Stimme ihrer völlig erfundenen zweiten Vorzimmerdame.
Frauen hätten niemals das Militär erfunden. Erstens würde es ihnen nicht gefallen, jeden Tag dasselbe anzuziehen, und zweitens wären sie nie und nimmer auf die Idee mit dem Befehlston gekommen. Bei Frauen hieße es nicht »Kompanie stillgestanden!«, sondern vermutlich »Äh, hört mal, ich finde es schon echt prima, wie ihr alle so lauft, aber was haltet ihr jetzt mal zwischendurch von stehen?«.
Frauen haben dieses Harmoniebedürfnis. Ich habe auch diese Tendenz. Ich übe Kritik an Freundinnen, meine »üben« hier aber im Sinne von proben. So wie man bei Preisverleihungen eine Dankesrede vor dem Spiegel aufsagt, um sie dann »spontan« zu bringen, wenn’s passt. Es ist mitunter erstaunlich, wie viele Anläufe ich brauche, bis ich einer Freundin sage »Du, ich finde, du hast dir eine komische neue Angewohnheit zugelegt«. Beruflich strengt mich die Harmoniesucht noch mehr an. Immer muss man sich durch mehrere Liter Milchkaffee schlürfen und etliche private Anekdoten austauschen, bevor das Eigentliche gesagt werden kann.
Männer schreiben »Donnerstag, 13 Uhr, klappt«. Ich habe deswegen noch nie gedacht: Oh, so kurz angebunden, wie der schreibt, kann er mich bestimmt nicht leiden. Ich dachte immer nur »Donnerstag, 13 Uhr, klappt«. Als ich einer Kollegin ähnlich knapp schrieb, fragte sie mich, ob zwischen uns alles in Ordnung ist.
Frauen haben diesen Hang, alles nett zu verpacken. Selbst um Drohungen machen sie noch ein Schleifchen. »Es wäre schon schön, wenn dies und jenes jetzt klappen würde.« Das heißt: Da hat jemand bereits das Messer gewetzt, tut aber so, als wär’s eine Kuchengabel. »Es wäre schon schön, wenn …« bedeutet im Klartext: »Wenn dies und jenes nicht zügig passiert, dann knallt’s!«
Aber das sagen Frauen nicht gerne. Bevor wir auf ein unangenehmes Thema zu sprechen kommen, fragen wir noch nach den Kindern, der Beziehung oder wie’s im Urlaub war.
Deswegen biete ich jetzt bundesweit Kurse an: »Tacheles für Frauen«. Hier ist das Programm:
10.00 UHR
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