Katrin Bauerfeind
Alles kann, Liebe muss
Geschichten aus der Herzregion
FISCHER E-Books
Katrin Bauerfeind absolvierte vor Jahren eine Humorgrundausbildung als Teil der »Harald Schmidt Show«. Seit zehn Jahren tragen verschiedene Sendungen im Fernsehen ihren Namen, zuletzt zum Beispiel »Bauerfeind assistiert« und »Bauerfeind - die Leseshow«.
Sie hat bereits zwei Bestseller geschrieben »Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag. Geschichten vom schönen Scheitern« und »Hinten sind Rezepte drin. Geschichten, die Männern nie passieren würden«. Aus beiden Büchern hat sie erfolgreiche Bühnenprogramme gemacht, mit denen sie in ganz Deutschland unterwegs ist. So soll es weitergehen. Und zwar ab März 2018. Dann unter dem im wahrsten Sinne liebevollen Titel »Alles kann, Liebe muss«!
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Das Herz ist vermintes Gelände. Unbekannte Gegend, gefährliches Terrain. Aber es nutzt nichts. Wir müssen Liebe wagen. In allen Formen. In allen Aggregatzuständen.
Katrin Bauerfeind wühlt sich in ihrem neuen Buch durch alle Facetten dieses Gefühls. Sie hebt die kleinen emotionalen Schätze aus dem Alltag, fragt sich, wo die Liebe herkommt, wo sie hingeht, wenn sie weg ist, wie man sie findet, verliert und wiederfindet, und was es überhaupt damit auf sich hat. Es ist ein Plädoyer für mehr Liebe. Ein Aufruf, dem grassierenden Hass etwas entgegenzusetzen, Viagra fürs Herz, ein heiteres Gegengift zur dunklen Lage da draußen. Zu all dem gibt’s in diesem Buch Geschichten, selbst erlebte und selbst ausgedachte. Lustige, melancholische, liebevolle. Geschichten, nach denen Sie hoffentlich das Buch zuklappen und sagen: »Liebe, ja sicher! Her damit! Los geht’s!«
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114,
D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Buero Mattschwarz, Stuttgart
Coverabbildung: Marcus Hoehn
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490606-5
Katrin Bauerfeind, Hinten sind Rezepte drin, Fischer Taschenbuch, 2006.
Die drei – generationsübergreifend – häufigsten männlichen Vornamen in Deutschland.
Der Einfachheit halber und völlig willkürlich heißen übrigens alle meine Exfreunde in diesem Buch Markus.
Ich weiß schon, dass es eigentlich Cappuccini heißt, aber Leute, die beim Italiener »grazie« sagen, oder eben zwei Espressi bestellen, weil sie im Urlaub mal am Gardasee waren, sind mit ziemlicher Sicherheit ähnlich sympathisch wie Leute, die wissen, dass es Parodontose heißt (s.S. 65).
Ja, Golda. Klar, in der Schule werden die Jungs sie Gouda nennen. Einer wird sagen, »Reden ist Silber und Schweigen ist Golda«, einer wird sagen, wie geil es wäre, wenn sie später mal einen Mann heiratet, der mit Nachnamen Fisch heißt, aber meine imaginäre Tochter heißt trotzdem Golda.
Der Schwabe kennt in etwa so viele Schimpfworte für einen anderen Schwaben wie die Ureinwohner des Polarkreises Wörter für Schnee kennen. Von Grasdaggl über Lomb und Arschkibbf bis bleede Zuddel. Für Auswärtige gibt’s natürlich noch mal ein ganz eigenes Arsenal. Kosenamen gibt’s auch. Insgesamt vielleicht drei. Spätzle, Schätzle und Scheißerle. Wenn der Schwabe es ernst meint mit der Zuneigung, sagt er auch schon mal: »Es isch a rechts Arschloch!«
Ich verwende hier Fußballvergleiche aus einem alten Geschlechterreflex und in der Hoffnung, damit auch Männer als Leser zu gewinnen. In dieser Hinsicht bin ich hoffnungslos romantisch.
Die Geschichte spielt in den verrückten Neunzigern. Damals gab man Kindern noch normale Namen und taufte Haustiere exotisch. Heute ist es natürlich umgekehrt. Jetzt heißen Hunde Emil und Kinder Bluebelle Madonna Cheyenne. In drei Jahren kommt dann vielleicht der Opel Simba auf den Markt, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Österreichischer Verhaltensforscher aus dem letzten Jahrhundert, der mich als Kind beeindruckt hat mit dem Satz: »Als kleines Kind wollte ich eine Eule werden, weil Eulen abends nicht ins Bett müssen.« Später, als er merkte, dass Eulen den Nachteil haben, im Gegensatz zu ihm nicht schwimmen oder tauchen zu können, beschloss er, ein Wasservogel zu werden. »Als mir klar wurde, dass ich keiner werden konnte, wollte ich wenigstens einen haben.« Er entdeckte, dass Graugänse das erste sich bewegende Objekt ihres Lebens als Mutter anerkennen, und bekam den Medizin-Nobelpreis.
Die Frau natürlich auch und alle Transgender. Und das Schnitzel kann auch aus Tofu sein. Tofu ist ernährungstechnisch mittlerweile fast genauso umstritten wie Fleisch, es gibt tolle Lesben und lesbische Arschlöcher, und nicht nur Transgender, sondern auch Intersexuelle haben Familien und Freunde. Wenn ich das alles berücksichtige, bevor ich den Gag mache, ist das Buch voll mit Fußnoten und leer mit Humor, aber das ist das, was wir alle am meisten brauchen: Humor. Und Liebe. Also, bitte …
Der Sieger der vierten Staffel von »Deutschland sucht den Superstar« und damals enorm erfolgreich. Der Song ist eine Art aufgetaute Ouzo-Version des Bacardi-Werbesongs, und insofern passte auch musikalisch alles…
Aus nachvollziehbaren Gründen möchte Ryan Gosling hier nicht unter seinem richtigen Namen auftauchen. Deswegen »Steffen«. Bitte fragen Sie nicht weiter nach. Auch bei ihm nicht. Danke!
Wenn Sie nicht wissen, was das ist, haben Sie keinen Kontakt zur Jugend. Oder kein Internet. Oder Sie gehören zu denen, die als Erwachsene Malbücher ausmalen. Ich kann Ihnen dann jetzt auf die Schnelle nicht helfen.
Ja, ja, so steht’s da. Und der original Romeo ist auch nicht viel älter. Andere Zeiten damals. Die Kinderehe hatte noch nicht so einen schlechten Ruf wie heute. Die Leute wurden damals im Schnitt nur knappe Ende 30, da musste man sich ranhalten. Aus dieser Zeit stammt auch noch das »bis dass der Tod uns scheidet«, was man angesichts dieser Lebenserwartung natürlich auch deutlich leichter versprechen konnte als heute.
Der Einfachheit halber und völlig willkürlich heißen übrigens alle meine Exfreunde in diesem Buch Markus.
Die politische Korrektheit steckte damals noch in den Kinderschuhen. Schwul war ein gängiges Synonym für unmännlich, behindert war ein ganz normales Schimpfwort, und rauchen war ebenso selbstverständlich cool. Man bekam noch Zigeunerschnitzel und Mohrenköpfe, und ein guter Mensch war noch kein Gutmensch. Andere Zeiten damals …
Soweit ich weiß, sind in meiner Heimat insgesamt zwei Morde passiert. Einer vor über zwanzig Jahren in einem Waldstück, der andere angeblich in einer Kläranlage, wobei das, glaube ich, auch eher eine Geschichte war, die uns unsere Eltern erzählten, um uns vom Trampen abzuhalten. Wie gesagt, wir hatten ja nichts. Nicht mal Kriminalität.
Zumindest schreibt das die »Fachgruppe Karneval im DVSI« in einer Pressemitteilung.
Halloween bezieht sich übrigens im Ursprung auf ein altes heidnisch-keltisches Totenfest. Das zur Beruhigung für alle, die aktuell Angst haben, »unsere« Kultur könnte überfremdet werden. In Wirklichkeit sorgt »unsere« Kultur, beziehungsweise eben der Kapitalismus dafür, dass wir sämtliche fremden Riten, Gebräuche und Traditionen innerhalb weniger Jahre einfach in Grund und Boden feiern.
Ja, ja. Es gibt auch Männer, die Yoga machen, und Frauenfußball. Das weiß ich. Aber im Auftrag des weiblichen Selbstbewusstseins will ich hier alle Männer über einen Kamm scheren. Frauen müssen aufhören, immer ausgewogen sein zu wollen. Ich bin eine Frau, keine Diät. Immer noch suche ich viel zu oft die Fehler bei mir. In Beziehungen und im restlichen Leben. Ich moderiere zum Beispiel eine Veranstaltung, auf der der Chef der veranstaltenden Firma eine Rede hält, in der er den berühmten Schriftsteller Kamuss zitiert, von dem ich noch nie gehört habe. Als er ihn ein zweites Mal zitiert, denke ich, wie unglaublich lückenhaft meine Bildung ist, und google den Mann. Ich bin beruhigt, dass Google ihn auch nicht kennt, dafür aber das Zitat. Es ist von Albert Camus, von dem der Chef also offenbar noch nie gehört hat. Er hat den Fehler gemacht, den ich aus Gewohnheit bei mir gesucht habe. Am Ende hat der Chef die Frau entlassen, die ihm die Rede geschrieben hat. Leider kein Witz.
Wenn Sie ohne Ihr Telefon neben dem Bett schlafen, sind Sie älter als 40. Menschen unter 30 schlafen lieber ohne Bett als ohne Telefon. Menschen über 40 finden das schrecklich. Anfangs dachten die Leute allerdings auch, das Flugzeug, das Auto, der Zug oder der Buchdruck seien eine Erfindung des Teufels und würden die Menschheit, wenn nicht vernichten, so doch verblöden. So kam es nicht. Also, beruhigt euch.
Myanmar, das frühere Birma, ist ein südostasiatischer Staat mit Grenzen zu Indien, Bangladesch, China, Laos und Thailand, in dem mehr als 100 ethnische Volksgruppen leben. Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit, die dort verfolgt wird. Wenn Sie helfen wollen, dann zum Beispiel hier: www.aerzte-ohne-grenzen.de.
Wer sich informieren will: www.wwf.de
Wenn Sie helfen oder sich informieren wollen: www.vivaconagua.org. Wirklich, tun Sie’s, es ist eine gute Sache.
Ich hab im Vorwort gesagt, dass dieses Buch idealerweise bewirkt, dass Sie Ihren »Liebsten« anschließend noch mal sagen, dass Sie sie lieben. Das ist jetzt der Moment. Legen Sie das Buch weg, nehmen Sie das Telefon und rufen Sie an, schicken Sie wenigstens eine Nachricht. Oder eine Karte. Wirklich. Schicken Sie kein verficktes Emoji, sondern geben Sie sich Mühe. Schieben Sie’s nicht auf bis zum nächsten Weihnachten. Das nächste Weihnachten ist womöglich noch weiter weg als der nächste Sonntag, und das Leben ist nicht nur kurz, sondern in seiner Kürze unberechenbar …
Dafür und nur dafür wurden facebook & Co. erfunden. Es ist dieselbe Idee wie bei kleinen Kindern, die zum ersten Mal ohne Stützräder Fahrrad fahren und dabei die ganze Zeit brüllen: »Guck! Guck mal! Jetzt guck doch mal! GUCK MAL!!!« Wir wollen, dass jemand hinguckt. Wir wollen, dass jemand sagt: »Toll! Das machst du ganz toll!« Das Internet macht uns alle wieder zu Dreijährigen.
Bis 30 war Sex oft so wie eine Stadttheateraufführung von Shakespeare. Man ahnte, dass es eigentlich anders gemeint war, man ahnte, dass es besser ist, wenn es richtig gemacht wird …
Meine Herren, mein Freund, der sagte
Mir damals ins Gesicht:
»Das Größte auf Erden ist Liebe«
Und »An morgen denkt man da nicht.«
Bertolt Brecht
Auf Wolle
»Man kann sich leichter am Hintern kratzen als am Herzen.« Das ist kein altes Sprichwort, sondern ein neu ausgedachtes. Es soll Ihnen, liebe Leser*innen, die Angst nehmen, dass es auf den nächsten Seiten kitschig wird. Obwohl es um Liebe geht.
Die Leute, denen ich im Vorfeld von diesem Buch erzählte, sahen mich an, als hätte ich meinen Verstand verbummelt. »Liebe? Ach du Scheiße!« Über Liebe schreiben sonst nur singenden Glückskekse wie Helene Fischer oder alte Frauen wie Rosamunde Pilcher. Aber ich doch nicht! Ich hab schließlich studiert. Und im letzten Buch was über Feminismus geschrieben.[1] Und jetzt das! Liebe muss man sich erst mal trauen zu sagen. »Ich meine jetzt gar nicht nur dieses Mann-Frau-Ding«, sagte ich deswegen zu den Leuten, »ich meine ja auch Liebe zu Menschen im Allgemeinen.« Das klang, als würde ich an emotionalen Tagen Obdachlose mit Febreze einsprühen. Noch mehr ratlose Blicke. »…und ich meine die Liebe zu einem selbst, die Liebe zur Heimat, die Liebe zum Leben.« Die Blicke wurden nicht besser. »Aber schon auch das Mann-Frau-Ding«, sage ich deshalb, »nur eben in lustig.« Wobei Liebe und lustig ja meist nicht gut zusammengehen. Bei der Frage »Geld oder Liebe« zum Beispiel, entscheiden sich spontan die meisten für Liebe. Dabei hängt die Antwort ja häufig nur an der nächsten Frage: »Wie viel Geld?« Angenommen nämlich, Mark Zuckerberg entscheidet sich spontan, all sein Geld auf Ihren Kopf zu hauen, unter der einzigen Voraussetzung, dass Sie den Menschen an Ihrer Seite verlassen. Was ist dann? Da kommen Sie doch ins Grübeln, oder? Klar, Sie hätten plötzlich keinen Peter-Michael-Thomas[2] mehr, dafür aber gut 70 Milliarden Dollar. Für das Geld könnten Sie sich Ihren Michael-Peter-Thomas aus Marzipan nachbauen lassen und hätten danach immer noch knapp 70 Milliarden Dollar. Da können Sie kurz vorher noch »Ich liebe dich« zu Thomas-Peter-Michael gesagt haben und sogar gemeint haben, da ist der doch trotzdem ratzfatz Single, oder nicht? Liebe ist also käuflich. Das ist nicht so schön. Und auch ohne Geld wird sie oft nicht besser. Kaum jemand hat jemals ein lange verheiratetes Paar erlebt und gedacht: »Super, genau das will ich auch!« Aber deswegen allein bleiben? In meinem Alter schon darauf zusteuern, später erst drei Wochen nach dem Tod gefunden zu werden, wenn die Katze einem schon das Ohr abgekaut hat, und zwar wörtlich? Es wird im Laufe der Zeit immer schwieriger, jemanden zu finden. Weil man mehr Macken bekommt, seltsamer wird und merkwürdiger. Bis man so seltsam und merkwürdig ist, dass man denkt, »das pack ich jetzt nicht mehr alleine«. Dann braucht man die Liebe, aber gerade dann ist sie schwer zu finden. Zack! Jetzt bin ich schon im Vorwort wieder negativ geworden, dabei will ich genau das Gegenteil. Denn ich glaube, in der heutigen Zeit brauchen wir die Liebe dringend. Mit Hass sind alle schnell bei der Hand. »There will be haters.« Mit so einem Satz werden jetzt schon Turnschuhe beworben. Der Ton da draußen ist rau geworden. Das Internet ist der Brutkasten für Hass. Alle sind mit den Nerven am Anschlag, jeder hat den Kaffee auf, keiner hört mehr zu. Hass ist einfach, Liebe macht Arbeit. Hass ist real und ernst zu nehmen, die Liebe halten alle für flusigen, wolkigen Teenager-Quatsch. Und wie sie geht, die Liebe, das sagt einem eh keiner. Es gibt keine Tutorials, keine Kurse, keinen Unterricht, nichts. In der Schule lernt man Algebra oder wie man einen Aufsatz schreibt über Effi Briest, die langweiligste Frau, die jemals nicht gelebt hat, aber man lernt nicht, wie man dem sehr lebendigen Markus Schettke aus der Nachbarklasse schreibt, dass man mit ihm knutschen will. Keiner sagt einem, was man da sagt. Dabei ist das so wichtig! Wie viel Unglück in der Welt ist, weil einem das mit der Liebe keiner erklärt hat, lässt sich mit Algebra gar nicht ausrechnen.
Hattest du eine schöne Kindheit? Diese Frage hört man oft, keiner fragt: Hattest du eine schöne Pubertät? Hattest du schöne Jahre zwischen 30 und 40? Wie schwer das alles ist mit dem Leben! Ich drifte schon wieder ab. Was ich meine: Gerade jetzt müssen wir uns bemühen. Umeinander. Mit heißem Herzen. Und wenn Sie denken, dass sich das übertrieben anhört: Die von der Hass-Seite, die anderen, die sprengen sich sogar in die Luft. In echt. Wenn wir da nicht wenigstens ein heißes Herz entgegenzusetzen haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Ein gutes Leben ist mehr als freies WLAN, Superfood im Müsli und ein Netflix-Abo. Wir brauchen Momente, in denen die Seele tanzt, und zwar keinen Discofox, sondern richtig, ausgelassen, wild, mit den Armen rudernd. Ja, genau, die Seele rudert mit den Armen. Natürlich eine schiefe Metapher, aber kommen Sie mir nicht mit Logik! Gerade die unlogischen Momente sind die besten – die, in denen wir staunend vor dem Leben stehen und denken, wie fucking groß, einmalig und überwältigend es sein kann. Und wie umwerfend der Mensch. Wann hatten Sie das zuletzt? Und wie oft hatten Sie zuletzt »Stress« und »leider keine Zeit«? Wenn Sie dieses Buch lesen und am Ende Ihre Eltern anrufen und sagen: »Ich wollte euch nur sagen, dass ich euch liebe«, wenn Sie einer Freundin eine SMS schicken: »Ich hab nächste Woche gar keine Zeit, aber wir treffen uns trotzdem!«, wenn Sie über den anderen Menschen in Ihrer Wohnung denken: »Es macht mich irre, wie er beim Essen die Gabel hält, wie laut er telefoniert und wie uneffektiv er die Wäsche aufhängt, aber es gibt jeden Tag auch diese drei Momente mit ihm, in denen das Leben hüpft, die Momente, um die es eigentlich geht, und beim nächsten Mal sag ich ihm das auch mal wieder!«, wenn Sie so was in der Art nach diesem Buch tun, dann hat es seinen Zweck erfüllt. Lieben Sie los!
Meine Tage werden immer kürzer. Auch im Sommer. Ich kriege mein Leben kaum noch in die paar Stunden gezwängt, die mir pro Tag zur Verfügung gestellt werden. So viel zu tun, so viel zu erledigen. Ein großes Wollen, Sollen, Müssen. Ich muss unbedingt pünktlich bei einem Geschäftstermin sein, weil ich schon die letzten beiden Male zu spät gekommen bin; ich soll vorher bei einer Freundin etwas abholen, und ich will danach noch was einkaufen. Angeblich macht die moderne Technik alles immer leichter und schneller, aber die Technik hält nicht Schritt mit den Terminen. Vermutlich wurde einen Tag nach dem Telefon das Meeting erfunden und drei Stunden nach dem Computer die Deadline. In Wahrheit rufen moderne Lösungen nur noch moderne Probleme hervor, nie ist es andersherum. Die Erfindung des Autos zum Beispiel führte auf kürzestem Weg zur Parkplatznot. Was nutzt es, schnell von A nach B zu kommen, wenn man in B nicht parken kann? Parkplätze gibt es in unseren Städten noch weniger als Zeit, und damit ich nicht schon wieder zu spät komme, parke ich bei meiner Freundin kurz semilegal halb auf dem Bürgersteig. »Man kommt mit dem Kinderwagen noch vorbei«, denke ich. Es sei denn, man hat Zwillinge, aber dann hat man eh ganz andere Probleme. Und ich brauche ja nicht lange. Ich darf gar nicht lange brauchen, sonst kann ich das mit der Pünktlichkeit beim Termin gleich wieder vergessen. Rein, raus, hallo, tschüss. Vier Minuten, höchstens, dann steh ich wieder auf der Straße. Aber offenbar war ich lange genug weg, dass mir jemand einen Zettel an die Windschutzscheibe klemmen konnte: »Sie parken faktisch vor einer Einfahrt. Beim nächsten Mal Spiegel ab. Arschloch.« So steht’s da, in geübter Handschrift, blau auf weiß. Ich werfe den Zettel ins Auto. Ich kann mich wirklich nicht um alles kümmern. Ich muss los. Ich hab’s eilig. Und seit ich bei Facebook, Twitter und Konsorten bin, perlt unqualifizierte Kritik an mir ab wie kalter Kaffee an Meissener Porzellan. Der Zettel liegt neben mir. Als Beifahrer. An der nächsten Ampel gucke ich rüber und sehe das »Arschloch« da liegen. An der übernächsten lese ich noch »Spiegel ab« und dann natürlich doch wieder den ganzen Zettel. Handgeschrieben. Das ist praktisch wie Steinzeit-Twitter. Ich merke, wie meine innere Mikrowelle loskocht. »Sie parken faktisch vor einer Einfahrt.« Wer, um Gottes willen, schreibt denn »faktisch« auf so einen Hasszettel? Da ist es doch genauso benagelt wie in einem Liebesbrief. »Man kann faktisch festhalten, dass ich dich liebe. Punkt!« So was machen nur Lehrer oder andere Beamte. Und wie kommt dieser Hilfspolitessen-Anwärter in einem Satz von »faktisch« auf »Arschloch«? Was sind das überhaupt für Leute, die heute noch am helllichten Tag, mitten auf der Straße, Papier dabeihaben? Nicht die Rückseite von einer Werbung, einer Speisekarte oder einem Bierdeckel, nee, richtiges Papier! Und einen Kugelschreiber! Und wie schnell der Kerl gewesen sein muss, (es ist der Handschrift nach auf jeden Fall ein Mann)! Der muss doch in seiner verschissenen faktischen Einfahrt auf mich gelauert haben! Der macht das wahrscheinlich hauptberuflich. Rennt den ganzen Tag die Straße auf und ab und verteilt Zettel. Vermutlich trägt er so gesunde Mephisto-Schuhe mit Fußbett und eine wetterfeste Jack-Wolfskin-Jacke. Das würde ihm ähnlichsehen. Lehrer für Mathe und Erdkunde. Der geht bestimmt gerne mal wandern und trinkt abends ein »schönes« Glas Wein und hat zuletzt die AfD gewählt. Solche Leute sind das doch! Reinsteigern ist eine meiner leichteren Übungen. Ich schleiche äußerlich mit fünf Stundenkilometern durch die Stadt und bin innerlich auf 180. Weil heute mal wieder alle fahren wie Onkel Horst nach neun Pils, weil die Stadt hier schon wieder ein Freilichtmuseum für Baustellen eingerichtet hat – anders ist die Straßenführung nicht zu erklären –, weil das Navi mir jetzt schon sagt, dass ich zwanzig Minuten zu spät kommen werde, und weil, ey, »faktisch«, Freundchen, dein »faktisch« reimt sich auf mein »fick dich«! Damit das mal klar ist. Einen Fuck-Tisch kenne ich aus Pornos, wo Mutti in der Küche noch mal hart weggeknuspert wird, und bevor du mir den Spiegel abbrichst, du Hobbyhausmeister, kann es durchaus sein, dass ich dir deine dumme Fresse gepflegt auf links ziehe. Jetzt hupe ich einen Panda weg (das Auto, nicht das Tier, aber in meinem derzeitigen Zustand würde ich auch einen Panda in einem Panda weghupen. Soll sich das Scheißvieh doch bei Greenpeace beschweren!). Wenn ich in der Verfassung zu dem Termin gehe, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass ich den Eindruck hinterlasse, ich sei im Fernsehen eine ganz locker, luftige Tante mit Humor, während ich in Wirklichkeit Godzilla mit Make-up bin. Toll! Super! Danke an den Zettel-Blockwart! Bis ich das Image korrigiert habe, hat es sich wahrscheinlich schon überall verbreitet, und entsprechend werden die Anfragen weniger. Ich kann im Prinzip gleich den anstehenden Termin ignorieren und sofort zum Jobcenter fahren. Weil irgendein Straßenverkehrsordnungsnazi nichts mit seinem Leben anzufangen weiß, stehe ich jetzt mit einem Bein in Not und Elend! Im Reinsteigern war ich immer schon gut. Von null auf furchtbar in einer Minute ist kein Problem. Unter Apokalypse fange ich gar nicht erst an. Ich hab ja sonst keine Hobbys.
Mein Park-Karma lässt mich weiter im Stich. Alles voll. Mit viel Mühe und Not rangiere ich mich ohne Blechschaden in die letzte freie Fläche. Der Tag ist im Grunde jetzt schon verratzt. Stimmungsmäßig ist bei mir an diesem Mittwochmittag schon Totensonntag. Erst recht, als ich nach dem Termin wieder zu meinem Auto komme. Jemand hat mich tatsächlich zugeparkt!! Es ist nicht zu fassen! Irgendein Schrotthaufen hat sich mit seinem Auto in die zweite Reihe gestellt, so dass ich nicht mehr rauskomme. Ich setze mich in meinen Wagen und hupe ausführlich. Nichts passiert. Neben mir liegt immer noch der Zettel. Ich krame nach einem Kugelschreiber und schreibe auf die Zettelrückseite: »Glückwunsch zum ›Parkplatz‹! Vollasi«. Ah, nicht gut … Ich sollte durch Facebook & Co eigentlich wissen, dass die Leute Ironie nicht verstehen. Ich sollte außerdem härter austeilen, und eventuell schreibt man Asi auch mit zwei »s«. Wie in »die Geissens«. Am besten, ich schreibe eine zweite Fassung. Härter, schärfer, besser. Noch während ich ›du Parkpimmel‹ schreibe, kommt die Fahrerin des Wagens. Sie sieht aus wie ich. In etwa mein Alter, meine Haarfarbe, und ihren Mantel kenne ich von Zara. Sie trägt eine Einkaufstüte und ein kleines Kind. Sie winkt hektisch entschuldigend in meine Richtung und zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ich jetzt eine Kita sehe. Das »Strolchennest«. Ich lächle in Richtung der Mutter. Mein Lächeln, das ich geübt habe, falls ich jemals für Werbung angefragt werden sollte. Es sagt, dass alles easy ist und mein Leben aus Schmetterlingen besteht, seit ich dieses Shampoo/Waschmittel oder Medikament gegen Scheidenpilz nehme. Ich lächle, als gäbe es kein Morgen. Ich lächle gegen die aufsteigende Peinlichkeit in mir an. Als mein eigener Pressesprecher möchte ich mich jetzt hier, in diesem Auto, mit diesem Lächeln auf das Energischste von mir distanzieren. Es wäre schön, wenn es eine Rückspultaste für mein Leben gäbe. Ich möchte die letzten paar Stunden löschen und noch mal neu anfangen. Um ein Haar hätte ich einer jungen Frau meine »Parkpimmel-Botschaft« an die Scheibe geklemmt. Sie hat wahrscheinlich am Ende ähnlich lange gebraucht, um ihr Kind abzuholen, wie ich vorhin bei meiner Freundin. Ein paar Minuten haben gereicht, um aus mir einen Teil der Hass-Staffel zu machen. Wer weiß, wem die Mutter dann später geschrieben hätte. Ein Kettenbrief der schlechten Laune. Womöglich hat auch mein Zettelschreiber nur was weitergegeben. Vielleicht hat ihm eine Stunde zuvor jemand einen Zettel an seinen Wagen geklemmt, den er für zwei Minuten irgendwo abgestellt hatte, um seiner Großmutter im Wald Wein, Käse und Brot zu bringen oder dem Messias Weihrauch, Myrrhe und Gold zu liefern. Auf dem Rückweg hat er sich reingesteigert in die Wut über den Zettel, und ich kam ihm gerade recht. Natürlich, vielleicht trägt er auch nur Mephisto-Schuhe und ist faktisch ein notorischer Zettelschreiber. Aber so kommt der Hass in die Welt. Und wenn er mal da ist, hat er’s leichter als die Liebe. Jeder von uns kann ein Dominostein werden im großen »Heut kippt die Stimmung«-Tag. Und sie kippt nie ins Positive. Deswegen nutze ich jetzt die Gelegenheit und schreibe hier eine Antwort an ihn:
Lieber Zettelschreiber, Sie haben recht. Ich habe halb in einer Einfahrt geparkt. Das war weder gut noch richtig, und es tut mir leid, wenn Sie dadurch Schwierigkeiten hatten. Wir kennen uns nicht, ich weiß nichts über Sie. Unsere Leben sind uns für einen kurzen Moment in die Quere gekommen. Wer weiß, etwas früher oder später, und wir wären uns womöglich sogar sympathisch gewesen. Vielleicht mögen wir dieselben Filme, hören dieselbe Musik oder haben die gleichen Lieblingsgerichte. Womöglich haben wir gemeinsame Ziele und Ideen. Wollten Sie als Kind Rennfahrer werden, Fußballer oder Astronaut? Wollten Sie die Wale retten, ein Mittel gegen Krebs erfinden oder mal zum Lehrer des Monats gewählt werden, wenn es so was gibt und Sie wirklich Lehrer sind? Sie wollten gewiss glücklich werden. Wie wir alle. Garantiert haben Sie sich nicht ausgemalt, ein gelungener Tag bestehe aus einer wütend hingekritzelten Lektion an eine Falschparkerin. Das ist irgendwann einfach passiert. Ich glaube, dass die Halbwertszeit von Träumen, Plänen und Hoffnungen durch Alltagshass verkürzt wird. Hass macht hässlich. Wir aber brauchen jetzt das Gegenteil. Unbedingt. Vor nicht allzu langer Zeit war das noch Luxus. Jetzt ist es Notwendigkeit. Deswegen schenke ich Ihnen Liebe. Wenn Sie diese Zeilen lesen. Auch im nächsten Satz: Alles voller Liebe. Keine Nächstenliebe, keine Parship-Liebe, bloß Liebe. Ist das naiv? Absolut. Ist das albern, kindisch, nicht durchdacht? Hundertprozentig. Kann sein, es ist am Ende so was wie die Coca-Cola-Werbung zu Weihnachten. Aber das ist doch egal. Es kann doch nicht sein, dass nur die Wut als ehrlich gilt, die Liebe aber sofort als kitschig. Lassen Sie uns ausprobieren, was passiert, wenn Sie und ich ein paar Leuten einen Zettel ans Auto klemmen, auf dem steht: »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Und Glück. Und Liebe.« Sie können auch was anderes schreiben. Ich weiß, was Ihr Zettel mit meiner Stimmung gemacht hat. Vielleicht klappt das ja auch andersherum. Vielleicht erwischen wir einen Menschen, dem das an dem Tag weiterhilft. Vielleicht auch nicht, aber was riskieren wir? Fangen Sie ruhig klein an. Mit Ihrer Frau, Ihren Kindern, Ihren Freunden. Ich weiß schon, so retten wir die Welt nicht. Mit blinder Liebe kommt man nicht an gegen Nazis und Rassisten. Aber um die geht es nicht. Gegen die brauchen wir andere Kaliber. Es geht hier um die anderen. Leute wie Sie und ich. Die sich so durchs Leben wurschteln, die noch nicht verloren sind, die sich noch so oder so entscheiden können. Bei denen müssen wir es jetzt im Guten versuchen! Mit Liebe. Von mir aus nennen Sie es anders. Aber machen Sie mit! Probieren Sie es mal! Wenigstens ab und zu. Regen sie sich auf, aber jedes dritte Mal denken Sie an mich und den Zettel, und dann regen Sie sich wieder ab und trinken einen Tee. Tun Sie mir den Gefallen. Ein Zettel verändert nicht die Welt, aber die Stimmung für ein paar Stunden. Vielleicht macht das am Ende den Unterschied!
Mit aller Liebe
Ihre Katrin Bauerfeind
WGIKEA