Jon Kabat-Zinn

Gesund durch Meditation

Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR

Aus dem Amerikanischen von Horst Kappen

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Jon Kabat-Zinn

Prof. Jon Kabat-Zinn, geboren 1944 in New York, ist ein weltweit angesehener Meditationslehrer und Gründer der Stress Reduction Clinic in Massachusetts. Ihm ist es als erstem gelungen, die Achtsamkeitspraxis systematisch in die medizinische Betreuung zu integrieren. Außerdem gehört er zu den wenigen ausgewählten Wissenschaftlern, die bei dem vom Dalai Lama ins Leben gerufenen Mind and Life Institute mitarbeiten.

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Full Catstrophe Living« bei Bantam Books, einem Imprint von Random House, einem Imprint von Penguin Random House LLC.

 

Dieses Buch ist eine vom Autor genehmigte gekürzte Fassung.

 

 

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 1990/2013 Jon Kabat-Zinn

© 1990 Vorwort: Thich Nhat Hanh

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2011/2013 Vollständig überarbeitete Neuausgabe: O.W. Barth Verlag

© This translation published by arrangement with Bantam Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

© Knaur Taschenbuch

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Übersetzung: Horst Kappen

Redaktion: Horst Kappen

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-42138-3

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.


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Fußnoten

Mindfulness-Based Stress Reduction: der auf Achtsamkeit beruhende Abbau von Stress, kurz: Stressbewältigung durch Achtsamkeit.

Endnoten

Public Broadcasting Service: nichtkommerzielle TV-Senderkette in den USA.

Embodiment und embodied awareness sind Begriffe aus der neueren Kognitionspsychologie, die die grundlegende Rolle des Körpers und der Bewegung bei der Wahrnehmung betonen. Pioniere dieser sensomotorischen Theorie der Wahrnehmung sind Jakob von Uexküll (Funktionskreis) und Ludwig Klages (Leib-Seele-Einheit). Von hier aus gibt es ebenfalls Verbindungen zu dem neuen Konzept der Spiegelneuronen, das auf philosophischem Weg von L. Klages mit dem Begriff der spiegelnden Schauung und von Melchior Palágyi mit dem Begriff der virtuellen Bewegung vorweggenommen wurde [Anm. der Red.].

Lawrence Peter »Yogi« Berra, geboren 1925, ist ein ehemaliger US-amerikanischer Baseballspieler und -manager, der vor allem auch für seine humoristischen Zitate, seine sogenannten Yogiismen, bekannt wurde, die er in Buchform veröffentlichte. [Anm. der Red.]

»Dem Tag eine andere Qualität zu verleihen, das ist die größte Kunst.« Henry David Thoreau, Walden.

Dabei können Sie es gerade zum Gegenstand Ihrer Achtsamkeit machen, wie schwer dieser Verzicht unter Umständen fällt. Wie häufig verspüren Sie den Impuls, nach Ihren E-Mails und SMS zu sehen oder zu »twittern«? Wie süchtig sind Sie nach einem 24-Stunden-Onlinestatus, der uns im Prinzip rund um die Uhr für alle Welt erreichbar und verfügbar macht, und wie abhängig von der Technik, die ihn ermöglicht? Vielen ist das immer griffbereite Handy fast so unentbehrlich wie die Luft zum Atmen geworden, während sie zugleich immer mehr den Kontakt zu sich selbst und ihrer Erlebniswirklichkeit verlieren. Die Ironie dabei ist, dass uns so in einer Welt der grenzenlosen digitalen Kommunikation gerade eine der wichtigsten »analogen« Verbindungen, die wir haben – zu den Tiefen unseres Selbst, unserem leibhaften Sein und unserer gegenwärtigen Erfahrung –, verstellt wird oder auch ganz abhandenkommen kann.

Entsprechend dem Einstein-Zitat in Kapitel 12.

Zur Berg-Meditation vgl. auch Kabat-Zinn: Im Alltag Ruhe finden sowie Set 2, CD 3 der geführten Achtsamkeitsmeditationen (in englischer Sprache).

Veröffentlicht in der New York Times vom 29. März 1972. In der letzten Kursstunde des MBSR-Programms verteilen wir an die Teilnehmer ein kleines Textheft, das mit diesem Einstein-Zitat schließt.

Andere Sprachen kennen diese Unterscheidung nicht, wie zum Beispiel das Französische, das beide Bedeutungen mit dem Wort guérir abdeckt.

Sehr viel später erhielt Bernard Lown (gemeinsam mit Jewgeni Tschasow) den Friedensnobelpreis als Mitbegründer der Vereinigung International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW).

Die ersten, wegweisenden Untersuchungen dieser Art stammen von Elmer und Alyce Green von der Menninger Foundation, David Shapiro und Gary Schwartz, damals an der Harvard Medical School, und Chandra Patel aus England, um nur einige zu nennen.

»Entfaltung« ist die Grundbedeutung des Pali-Wortes für »Meditation«: bhavana.

Im Unterschied zur Allostase bezieht sich der Begriff der Homöostase auf die Notwendigkeit, die Schwankungen unmittelbar lebenswichtiger physiologischer Funktionen, wie zum Beispiel der Körpertemperatur, der Blutchemie oder des Sauerstoffgehaltes des Blutes, in engen Grenzen zu halten. Dagegen haben andere physiologische Funktionen, wie die Regulierung des Blutdrucks und Cortisolspiegels oder die Anlage von Fettdepots, einen sehr viel weiteren »Spielraum« und eine entsprechend größere Schwankungsbreite. Gesteuert werden sie zum Teil durch das Gehirn und durch unsere längerfristige Anpassung an die sich ständig verändernden Umweltbedingungen im Laufe von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren – Zeiträume, in denen sich typischerweise auch chronischer Stress manifestiert. Es sind diese physiologischen Systeme langfristiger »Gesunderhaltung«, die mit dem Begriff der Allostase vor allem gemeint sind. Jedoch können sowohl Allostase als auch Homöostase durch die chronischen Belastungen einer stressreichen Lebensweise auf gefährliche Weise aus dem Gleichgewicht geraten.

Ein sinnfälliges Beispiel dafür ist die vor dem Löwen flüchtende Gazelle, die in der Fluchtreaktion enorme Energien mobilisiert und, sobald sie sich in eine sichere Distanz gebracht hat, zum friedlichen Grasen zurückkehrt, als wäre nichts geschehen. Beim Menschen sieht der Fall etwas anders aus, weil wir, auch nachdem die unmittelbare Gefahr vorüber ist, darüber nachsinnen können, was hätte geschehen können oder künftig geschehen könnte und durch den Denkvorgang selbst unter enormen Stress geraten. Das Trauma des knappen Entrinnens kann uns noch lange Zeit begleiten und muss behutsam aufgearbeitet werden, um bis zu einem gewissen Grad heilen zu können.

Tatsächlich sprach Cannon von der Kampf-oder-Flucht-Antwort (fight or flight response). Wenn ich sie in dem uns hier interessierenden Zusammenhang dennoch Reaktion nenne, dann um ihren unbewussten und automatischen Charakter zu betonen und den Ausdruck »response« der Beschreibung eines bewussteren Handlungsablaufs vorzubehalten [in der deutschen Fassung »achtsamer Umgang«; Anm. der Red.].

Richard Davidson hat unter anderem untersucht, welche Auswirkungen langjähriges Meditieren und MBSR-Training auf das Gehirn haben. Dabei hat sich bestätigt, dass die linke und rechte Hälfte des präfrontalen Cortex Emotionen auf unterschiedliche Weise steuern. Eine erhöhte Aktivität der linken Hälfte verringert offenbar Angst und Aggressionen, möglicherweise auch durch eine dämpfende Wirkung auf die Aktivität der Amygdala. Mit einer erhöhten Aktivität der linken Hälfte des präfrontalen Cortex nimmt also die psychische Widerstandskraft bei emotionaler Belastung zu. Laut Davidson »kann die Aktivität der linken präfrontalen Gehirnregion bei psychisch stabilen Personen dreißigmal so hoch sein wie bei weniger belastbaren Personen«. Vgl. Richard Davidson, Sharon Begley: Warum wir fühlen, wie wir fühlen. Wie die Gehirnstruktur unsere Emotionen bestimmt – und wie wir darauf Einfluss nehmen können. München 2012.

Beispielsweise wird vom Hypothalamus und weiteren Gehirnregionen Dopamin ausgeschüttet, dessen Funktion mit Konzentrationsvermögen, Lernvorgängen, dem Abspeichern von Informationen im »Arbeitsgedächtnis« des Gehirns sowie dem Glückserleben in Zusammenhang steht. Serotonin spielt eine Rolle bei der Stimmung, beim Hungergefühl, beim Schlaf-Wach-Rhythmus und beeinflusst ebenfalls das Glückserleben. Es wird vor allem im Darmtrakt freigesetzt.

Boston Globe, 1. November 1980.

Das gilt ebenso für sozialen Stress, der äußerst bedrohlich wirken kann. Eine seiner häufigsten Formen ist die Furcht vor persönlichem Ansehensverlust. Verlegenheit, Scham, das Gefühl der Zurückweisung und negative Gedanken in Bezug auf sich selbst können Affektausmaß annehmen und zur habituellen Stressreaktion mit all ihren negativen Konsequenzen für den Körper führen. In diesem Bereich steht für uns persönlich sehr viel auf dem Spiel, was einerseits nachvollziehbar ist, andererseits aber nur einen Aspekt dessen darstellt, was uns wirklich ausmacht.

Die Zusammenhänge mögen etwas komplizierter sein, als dieses Modell sie beschreibt. So reagieren Frauen in bestimmten Gefahrensituationen unter Umständen anders als Männer. Die Psychologin Shelley Taylor von der University of California, Los Angeles, schlug daher das ergänzende Konzept einer »tend-and-befriend-Reaktion« vor, die bei Frauen neben der »fight-or-flight-Reaktion« zu beobachten ist und bei der die Sorge um den Nachwuchs und eine vermittelnde Haltung im Vordergrund stehen. Mehr zu den komplexen Zusammenhängen der Biologie und Psychologie des Stresses bietet das wunderbare und aufschlussreiche Buch von Robert Sapolsky: Why Zebras Don’t Get Ulcers. Owl Books, New York 2004.

Jon Kabat-Zinn: Coming to Our Senses, Seite 347358. Deutsch: Zur Besinnung kommen. Die Weisheit der Sinne und der Sinn der Achtsamkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt. Freiburg 2008.

Vgl. zum Thema Achtsamkeit im Alltag auch Jon Kabat-Zinn: Im Alltag Ruhe finden. Meditationen für ein gelassenes Leben. München 2010.

Diese Passagen stammen aus den späten achtziger Jahren. Heute, im Jahre 2013, gibt es glücklicherweise wachsende Bestrebungen, Achtsamkeit in den Grundschulen und weiterführenden Schulen zu kultivieren sowie in die Lehrpläne der Hochschulen aufzunehmen.

 

Die hier gegebenen Empfehlungen sind allgemeiner Natur und können eine professionelle medizinische oder psychologische Behandlung nicht ersetzen. Leser mit gesundheitlichen Problemen sollten einen Arzt zu Rate ziehen, um abzuklären, ob das hier dargestellte Übungsprogramm für sie in Frage kommt. Das gilt insbesondere für einige der Yoga-Positionen, die unter Umständen der individuellen Abwandlung bedürfen.

 

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge und Übungen wurden von Verfasser und Verlag mit größter Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Eine Garantie und Haftung kann jedoch nicht übernommen werden.

 

für
Will, Naushon und Serena,

 

für
Asa, Toby und Teresa,

 

für Sally,

 

für
alle Menschen in der Stress Reduction Clinic, die bereit waren, sich der ganzen Katastrophe des Lebens zu stellen und daran zu reifen,

 

für
alle früheren, gegenwärtigen und künftigen Teilnehmer am MBSR-Programm und anderen Achtsamkeitskursen

 

und für
die Lehrer und Erforscher der Achtsamkeit auf der ganzen Welt – vor deren Engagement, Aufrichtigkeit und liebender Hingabe an ihre Arbeit ich mich tief verneige.

Es ist mir eine große Freude, mich mit diesem Grußwort an die deutschsprachige Lesergemeinde zu wenden, zu der ich seit langem eine besondere Verbindung habe, auch wenn ich weit von ihr entfernt lebe. Im Laufe der Jahre habe ich viele Male Deutschland, Österreich und die Schweiz bereist, um dort Vorträge zu halten und Ausbildungs-Retreats zu leiten. Dabei kam es zu vielen Begegnungen mit Menschen, die es sich in diesen Ländern zur Aufgabe machen, den MBSR-Ansatz oder andere an der Achtsamkeit orientierte Übungsmethoden in ihr Leben und ihre Arbeit zu integrieren – Kontakte, aus denen sich oftmals echte Freundschaften entwickelt haben.

Die erste deutsche Ausgabe dieses Buches erschien im April 1990 fast gleichzeitig mit der ersten englischen Originalausgabe und war damit auch die erste Übertragung in eine andere Sprache. Das ist für mich kein Zufall, sondern Ausdruck des großen Interesses, das in Ihrem Kulturraum an der Arbeit mit der Achtsamkeit, ihren therapeutischen Möglichkeiten und ihrem Wert für unser gesamtes Leben besteht.

Vielleicht haben Sie die Bedeutung der Achtsamkeit für Gesundheit und Krankheit, für den Umgang mit Stress und Schmerz längst schon für sich entdeckt. Vielleicht ist Ihr Interesse daran auch erst vor kurzem erwacht. Wie dem auch sei, meine Hoffnung ist, dass diese zweite, aktualisierte Ausgabe, nahezu fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von Full Catastrophe Living, für Sie von Nutzen sein wird.

 

 

Jon Kabat-Zinn

Lexington, Massachusetts, im April 2013

Dieses lesenswerte, lebensnahe Buch wird dem Leser auf vielerlei Weise zum Nutzen gereichen, denn es veranschaulicht die praktischen Aspekte der Meditation in einer leicht verständlichen Art und Weise. Meditation ist keineswegs etwas Weltfremdes, vielmehr hat sie ganz konkret mit unserem Leben und Alltag zu tun. Mit ihr eröffnen sich sogar gleich zwei Wege: einer, der von der Welt zum Dharma führt, und ein zweiter, der vom Dharma zur Welt führt.

Wenn der Dharma sich für unser tägliches Leben als nützlich erweist, wenn er uns hilft, das Leben zu meistern, dann ist er echter Dharma. Dieses Buch ist daher eine wirkliche Lebenshilfe. Ich danke dem Autor dafür, dass er es geschrieben hat.

 

Thich Nhat Hanh

Willkommen zur Neuausgabe von Full Catastrophe Living. Zweierlei hat mich bewogen, das Buch nach fünfundzwanzig Jahren erstmalig einer Revision zu unterziehen: Einerseits galt es, den Text inhaltlich auf den neuesten Stand zu bringen; andererseits – und das ist angesichts der vielen Jahre, die seither verstrichen sind, vielleicht der wichtigere Aspekt – ging es mir darum, eine noch präzisere Anleitung zur Meditation zu bieten, eine vertiefte Beschreibung der Möglichkeiten, mit dem menschlichen Leben und Leiden auf achtsame Weise umzugehen. Die Aktualisierung erwies sich als notwendig, da die wissenschaftlichen Forschungen zur Achtsamkeit und zu ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden in diesem Zeitraum einen gewaltigen Zuwachs erfahren haben. Je mehr ich aber in die Arbeit am Text hineinkam, desto spürbarer wurde es für mich, dass die grundlegende Botschaft des Buches, sein eigentlicher Inhalt im Wesentlichen erhalten bleiben musste. Daher habe ich mich darauf beschränkt, die Ausführungen dort, wo es angebracht war, zu ergänzen und zu verdeutlichen. Nach wie vor sollte es vor allem um die Achtsamkeit als inneres Abenteuer gehen. Letztlich bleibt das Buch also das, als was es von Anfang an gedacht war: ein praktischer und allgemeinverständlicher Leitfaden zur Kultivierung der Achtsamkeit mit ihrer verwandelnden Kraft und zutiefst optimistischen Sicht des menschlichen Wesens.

Seit meiner allerersten Begegnung mit der Übung der Achtsamkeit war ich überrascht und ermutigt von den wohltuenden Auswirkungen, die sie in meinem eigenen Leben hatte. Und dieses Grundgefühl hat in den gut fünfundvierzig

 

Als ich noch an der ersten Textausgabe arbeitete, riet mir mein Lektor davon ab, das Wort »Katastrophe« in den Titel aufzunehmen, weil viele Menschen allein durch den Ausdruck abgeschreckt werden könnten. Also bemühte ich mich redlich, einen anderen Titel zu finden. Ich ersann und verwarf Dutzende von Alternativen. Die heilende Kraft der Achtsamkeit war einer der Favoriten. Gewiss brachte diese Überschrift zum Ausdruck, worum es in dem Buch ging. Aber der ursprüngliche Titel Full Catastrophe Living stellte sich hartnäckig wieder ein. Er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Der Grund dafür wird bald deutlich werden.

Schließlich blieb es bei dem Titel, und das war gut so. Noch heute kommen Menschen auf mich zu, um mir zu sagen, dass das Buch ihnen selbst, einem Verwandten oder einem Freund buchstäblich das Leben gerettet habe. Bill Moyers, der als Teil seiner PBS[1]-Serie Healing and the Mind eine TV-Dokumentation über unser Übungsprogramm gedreht hatte, erzählte mir, dass er während der Berichterstattung über den Feuersturm von Oakland im Jahr 1991 Zeuge wurde, wie ein Mann es an sich gedrückt hielt, nachdem sein Haus in Flammen aufgegangen war. Und wer aus New York ist, scheint den Titel ohnehin auf Anhieb zu verstehen.

Eine Resonanz wie diese ist es, die mir bestätigt, was ich seit den Anfängen der Arbeit in der Stress Reduction Clinic gespürt habe, als ich erstmals die wohltuenden Auswirkungen beobachten konnte, die die Übung der Achtsamkeit auf unsere Patienten hatte. Ganz offensichtlich geht von der Pfle

Hier ist von ur-menschlichen Ressourcen die Rede, die in der Tiefe unseres Wesens verborgen sind wie ein unterirdisches Gewässer oder ein Mineralvorkommen, das im Felsgestein des Planeten eingeschlossen liegt. Wir können uns diese Ressourcen erschließen und nutzbar machen, Ressourcen, die uns erlauben, unser Leben zu transformieren. Wie aber geschieht diese Verwandlung? Sie ergibt sich unmittelbar aus unserer Fähigkeit, eine weitere Perspektive zu gewinnen, uns bewusst zu werden, dass wir größer sind, als wir zu sein glauben. Sie folgt unmittelbar daraus, dass wir uns in der Tiefendimension unseres Seins wahrnehmen und annehmen, mit der ganzen Bedeutung dessen, wer und was wir in Wirklichkeit sind. Und wie sich herausstellt, beruhen alle diese in uns liegenden zutiefst menschlichen Kräfte auf unserer Fähigkeit zu einem im Leib verankerten Gewahrsein (embodied awareness)[2], auf unserem Vermögen, unsere Verbindung zu diesem Gewahrsein bewusst zu entdecken und zu entwickeln. Wir gelangen dahin, indem wir auf eine ganz besondere Weise aufmerksam sind, und zwar gezielt im gegenwärtigen Moment und ohne zu werten.

Diese Dimension des Seins war mir seit meinen eigenen Meditationserfahrungen vertraut, lange bevor das Phänomen »Achtsamkeit« wissenschaftlich erforscht wurde. Und es würde für mich nichts von seiner Bedeutung verlieren, selbst wenn sich eine solche Wissenschaft niemals entwickelt

Beim Einführungsgespräch in der Stress Reduction Clinic sagen wir unseren Patienten häufig:

»Aus unserer Sicht haben Sie, solange Sie atmen, mehr gesunde als kranke Anteile in sich, egal, was alles mit

Dabei zeigt sich, dass es ein sehr gesundes und heilsames »Tun« ist, auf diese neue Weise wach und aufmerksam zu sein, obwohl es sich, wie wir noch sehen werden, keineswegs um ein Tun im herkömmlichen Sinn handelt oder darum, irgendwohin zu gelangen. Es geht vielmehr um ein Sein und darum, sich so anzunehmen, wie man jetzt schon ist. Es geht darum, die in diesem Ansatz liegende Fülle und sein reiches Potenzial für sich selbst zu entdecken. Dabei markiert das als MBSR bekannte Acht-Wochen-Programm zum Abbau von Stress lediglich einen Anfang. Das eigentliche Abenteuer ist und bleibt das eigene Leben. MBSR ist gewissermaßen eine Durchgangsstation und hoffentlich ein Sprungbrett in eine neue Art des Seins, bei der man in Kontakt ist mit den Dingen, wie sie nun einmal sind.

 

Während meiner jahrzehntelangen eigenen Meditationspraxis und »weltlichen« Arbeit habe ich gelernt, die Übung der Achtsamkeit als einen radikalen Akt zu begreifen – als eine radikale Maßnahme mentaler Gesundung, des Mitgefühls mit sich selbst und letztlich der Liebe. Dazu gehört die Bereitschaft, sich selbst zu begegnen, mehr im gegenwärtigen Augenblick zu leben, von Zeit zu Zeit innezuhalten und einfach zu sein, anstatt sich in endlosem Tun zu verausgaben

 

Achtsamkeit ist eine Fähigkeit, die wie jede andere Fähigkeit durch Übung entwickelt werden kann. Wir können sie uns auch als einen Muskel denken. Der Achtsamkeits-Muskel wird durch Gebrauch sowohl kräftiger als auch geschmeidiger und beweglicher. Und wie ein richtiger Muskel lässt sich auch unsere Achtsamkeit am besten anhand eines gewissen Widerstands trainieren, durch den sie gefordert und gekräftigt wird. Unser Körper, unser Geist und der Stress, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind, versorgen uns in dieser Hinsicht mit einer Menge an Widerständen, mit denen wir arbeiten können. Was sich in unserem Geist abspielt, hat möglicherweise größeren Einfluss auf unser Wohlbefinden als das, was wir in einem gegebenen Moment tatsächlich tun und erfahren. Wenn wir dies erkennen, so hat das weitreichende Folgen nicht allein für unser Selbstverständnis als Mensch, sondern auch für die Vorstellung, die wir uns – in sehr konkreter, persönlicher und sogar intimer Weise – davon machen, was es bedeutet, gesund und wahrhaft glücklich zu sein.

Für unsere praktischen Belange definiere ich Achtsam

Im asiatischen Sprachraum werden Mind/Geist und Heart/Herz in der Regel mit demselben Wort bezeichnet. Und wenn wir hier von Achtsamkeit (mindfulness) sprechen, so dürfen wir nicht vergessen, dass damit nicht nur eine Dimension des Geistes gemeint ist, sondern immer auch die des Herzens (heartfulness). Wenn wir uns daher, sooft von Achtsamkeit die Rede ist, nicht auch in unserem Herzen angesprochen fühlen, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit das Wesentliche verfehlen. Achtsamkeit ist nicht bloß ein begriffliches Konzept oder eine gute Idee. Sie ist eine Form zu sein. Und das Synonym Gewahrsein (awareness) bezeichnet eine Art des Wissens, das schlichtweg umfassender als bloßes Denken ist. Es bietet uns weitaus mehr Wahlmöglichkeiten, wie wir unser Verhältnis zu dem, was sich in unserem Geist, unserer Seele, unserem Körper und in unserem Leben begibt, gestalten wollen. Gewahrsein geht über begriffliches oder intellektuelles Wissen hinaus, steht der Weisheit näher und damit auch der Freiheit, die sie verleiht.

 

 

Seitdem dieses Buch vor 25 Jahren erstmals erschien, hat sich die Welt in gigantischer und kaum vorstellbarer Weise verändert, vielleicht mehr als jemals zuvor in einem so kleinen Zeitraum. Man denke nur an Errungenschaften wie Laptop, Smartphone, an das Internet, Google, Facebook und Twitter, an die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und des mobilen Zugangs zu Informationen, an die Auswirkungen der unaufhaltsam fortschreitenden digitalen Revolution auf nahezu all unser Tun, die rasante Beschleunigung und Rastlosigkeit unserer Lebensführung, ganz zu schweigen von den enormen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die während dieser Periode weltweit eingetreten sind. Das Tempo, in dem sich der Wandel heute bereits vollzieht, wird sich kaum verringern, sondern weiter steigern, und das wird immer spürbarere und letztlich unausweichliche Konsequenzen haben. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die wissenschaftliche und technologische Revolution mit ihren Folgen für unser aller Leben kaum erst begonnen hat, und es ist gewiss, dass der Stress, den die notwendige Anpassung mit sich bringt, in den kommenden Jahrzehnten noch weiter anwachsen wird.

Denn während wir die Segnungen einer 24-Stunden-Vernetztheit erfahren, die uns erlaubt, überall und jederzeit mit aller Welt in Verbindung zu treten, machen wir paradoxerweise zugleich die Erfahrung, dass es noch nie so schwierig war, mit uns selbst und unserer inneren Welt in Kontakt zu kommen. Und damit nicht genug: Wir haben immer weniger Zeit für die Begegnung mit uns selbst, obwohl jedem von uns nach wie vor 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen. Wir füllen diese Stunden mit so viel Tun aus, dass uns kaum mehr Zeit zum Sein bleibt.

Das erste Kapitel ist überschrieben: Das Leben besteht aus Augenblicken. Das ist eine unumstößliche Wahrheit, die auch

Erfahren wir neben Leid auch Freude und Zufriedenheit? Gelingt es uns, inmitten des alles verschlingenden Mahlstroms, der das Leben ist, uns in unserer Haut wohl zu fühlen? Kennen wir Unbeschwertheit und Heiterkeit, erfahren wir sogar Momente tiefen Glücks? Um nichts Geringeres geht es hier. Dies ist es, was uns der gegenwärtige Moment zu geben vermag, wenn wir uns ihm, ohne zu urteilen, in wohlwollendem Gewahrsein zuwenden.

 

Die Übung der Achtsamkeit besitzt, wie gesagt, ihre eigene innere Logik und Poesie, bietet aus sich selbst ausreichend überzeugende Gründe, sie zu einem Teil unseres Lebens zu machen und systematisch zu pflegen. Vielleicht aber geben

»Sie müssen dem täglichen Meditationsprogramm nicht gern folgen, Sie müssen ihm einfach nur folgen. Am Ende der acht Wochen können Sie uns dann sagen, ob es Zeitverschwendung war oder nicht. In der Zwischenzeit aber gilt: Üben Sie unbeirrt weiter, auch wenn Ihnen Ihr Geist ständig weismachen will, dass es unsinnig oder pure Zeitvergeudung sei. Üben Sie mit ganzem Einsatz, als ob Ihr Leben davon abhinge. Denn das tut es in mehr als einer Hinsicht und weit mehr, als Ihnen selbst oder irgendjemandem von uns klar sein kann. Während Sie üben, wird Ihr Geist sich mit allen möglichen Bewertungen, Kommentaren und Einwänden einmischen. Messen Sie all dem gleich wenig Bedeutung bei, etwa so viel wie der Frage, was Sie vor drei Tagen zum Abendessen hatten.«

Achtsamkeit ist nicht bloß eine gute Idee oder eine nette Form zu philosophieren. Soll sie irgendeinen Wert für uns besitzen, so müssen wir sie in unserem Alltag verwirklichen, und zwar so weitgehend, wie es uns ohne Zwang und Verkrampfung, das heißt mit einer gewissen Leichtigkeit und Anmut möglich ist. Dies ist der eigentliche Sinn eines akzeptierenden, liebevollen und nachsichtigen Umgangs mit sich selbst. Nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt entwickelt sich die Achtsamkeitsmeditation zunehmend zu einer festen Größe in der geistigen Landschaft, und vor die

Möge Ihre Achtsamkeit wachsen und gedeihen und so Ihr Leben, Ihre Arbeit und Ihren inneren Weg an jedem Tag von Augenblick zu Augenblick bereichern.

 

Jon Kabat-Zinn

16. März 2013

Der Umgang mit Stress, Schmerz und Krankheit

Dieses Buch will den Leser zu einer Entdeckungsreise einladen, die ihn zu persönlicher Weiterentwicklung, Selbstfindung und Heilung führt. Grundlage dafür sind vierunddreißig Jahre klinischer Erfahrung mit mehr als zwanzigtausend Patienten, die sich im Rahmen der Acht-Wochen-Kurse, die wir am Medical Center der University of Massachusetts in Worcester anbieten, bereits auf diese lebenslange Reise begeben haben. Das Programm, als MBSR oder Mindfulness-Based Stress Reduction bekannt geworden, hat seinen Ursprung in der dem Medical Center angeschlossenen Stress Reduction Clinic. Heute existieren überall in den USA und weltweit mehr als 720 Klinikprogramme, denen das MBSR-Achtsamkeitskonzept zugrunde liegt. Abertausende von Menschen haben seither an entsprechenden Programmen teilgenommen.

Seit der Gründung der Klinik im Jahre 1979 hat MBSR in der Medizin, Psychologie und Psychiatrie kontinuierlich Anstöße zu einer neuen Entwicklung gegeben, die man am besten als partizipatorische oder einbeziehende Medizin bezeichnen könnte. Übungsprogramme, die auf der Achtsamkeit beruhen, werden zur Chance für Menschen, die sich – über ihre reguläre medizinische Versorgung hinaus – für ihr eigenes körperliches Wohl einsetzen wollen.

Im Jahre 1979 war MBSR eine neuartige Methode klinischer Betreuung im Rahmen der Verhaltensmedizin, eines damals noch jungen Forschungszweigs, der heute allgemeiner als integrative oder ganzheitliche Medizin bezeichnet

 

Wer dem MBSR-Ansatz folgt und diese innere Reise der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung, des Lernens und Heilwerdens antritt, hat das Bedürfnis, seine Gesundheit wiederherzustellen oder wenigstens zur inneren Ruhe zurückzufinden. Die Patienten kommen mit einer Vielfalt gesundheitlicher Probleme wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, Herzerkrankungen, Krebs und Aids oder auch mit Depressionen und Angstzuständen. Sie gehören allen Lebensstufen an, und sie lernen durch MBSR, wie sie verantwortungsvoll mit sich selbst umgehen, nicht als Ersatz für eine medizinische Behandlung, sondern als unverzichtbare Ergänzung dazu.

Im Laufe der Jahre hat es zahlreiche Anfragen von Menschen gegeben, die sich die Inhalte unseres Acht-Wochen-Programms zu Hause erarbeiten wollen. Dies bedeutet nichts anderes, als selbständig einem intensiven Übungsprogramm mit dem Ziel bewusster Lebensführung zu folgen. Das vorliegende Buch will vor allem diesem Bedarf gerecht werden. Es ist als praktischer Ratgeber für Kranke und Gesunde, für Gestresste und Schmerzgeplagte gedacht, für alle, die ihre mentalen Beschränkungen hinter sich lassen und eine andere Dimension der Gesundheit und des Wohlbefindens erfahren möchten.

Das MBSR-Programm basiert auf einer Form der Medi

Die Stress Reduction Clinic versteht sich nicht als Notdienst, in dem Menschen Beratung empfangen und sich passiv einer therapeutischen Prozedur unterziehen. Vielmehr ist sie eine Plattform für aktives Lernen, das auf vorhandenen inneren Potenzialen aufbaut und die Menschen, wie gesagt, in die Lage versetzt, selbst etwas dafür zu tun, körperlich und seelisch gesünder zu werden und sich wieder wohler mit sich selbst zu fühlen. Bei diesem Lernprozess gehen wir von Anfang an davon aus, dass, solange wir noch atmen, die gesunden Anteile in uns überwiegen, wie krank, entmutigt oder verzweifelt wir uns im Augenblick auch fühlen mögen. Es gelingt jedoch nicht ohne ein gewisses Maß an Energie und Einsatzbereitschaft, innere Wachstums- und Heilungsreserven zu mobilisieren und das eigene Leben in einem umfassenderen Sinn wieder in die Hand zu nehmen. So betrachtet kann unser Programm zur Stressbewältigung für die Teilnehmer auch schon mal »in Stress ausarten«.

Manchmal benutze ich dafür die Metapher vom Gegenfeuer, das man legen muss, um ein anderes Feuer zu löschen. Es gibt kein Medikament, das gegen Stress oder Schmerz unempfindlich macht, kein Wundermittel, mit dem Probleme von selbst verschwinden und Heilung einsetzt. Es verlangt

Heutzutage stehen wir unter so massivem und unausweichlichem Druck, dass immer mehr Menschen sich ganz bewusst fragen, was diesen Druck eigentlich ausmacht, wie sie ihm auf kreative Weise begegnen und ein anderes Verhältnis zu ihm gewinnen können. Sie wissen, dass es keinen Zweck hat, von außen Verbesserung zu erwarten. Das eigene Zutun ist wichtig. Dem Phänomen Stress ist mit simplen Ad-hoc-Lösungen nicht beizukommen. Stress ist ein natürlicher Teil unseres Lebens, dem wir ebenso wenig entrinnen können wie anderen Grundbedingungen unserer menschlichen Existenz. Dennoch unternehmen manche den Versuch, dem Stress zu entkommen, indem sie sich gegen das Leben abschotten oder auf die eine oder andere Weise zu betäuben versuchen. Wenn Flucht und Vermeidung jedoch zur gewohnten Strategie werden, lassen sich die Probleme dadurch nicht auf magische Weise verbannen, sondern werden nur umso größer. Was wir aber tatsächlich verbannen, wenn wir unsere Probleme auszublenden versuchen oder vor ihnen davonlaufen, ist unsere Kraft zu persönlichem Wachstum, Wandel und Heilung. Letzten Endes können wir unsere Probleme nur dadurch überwinden, dass wir ihnen ins Auge sehen.

Jeder kann die Kunst erlernen, Schwierigkeiten auf eine Weise zu begegnen, die nicht nur zu effektiven Lösungen führt, sondern auch zu innerem Frieden und Ausgeglichenheit. Wenn es uns gelingt, unser inneres Potenzial zu aktivieren, um Probleme auf gekonntere Weise anzugehen, entdecken wir für gewöhnlich in uns die Fähigkeit, uns selbst