Karen Rose

Heiß glüht mein Hass

Thriller

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Karen Rose

Karen Rose studierte an der Universität von Maryland, Washington, D. C. Ihre hochspannenden Thriller sind preisgekrönte internationale Topseller, die in viele verschiedene Sprachen übersetzt worden sind. Auch in Deutschland feierte die Bestsellerautorin große Erfolge. »Todesstoß« stand auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Wenn Karen Rose nicht gerade Thriller schreibt oder auf Weltreise ist, lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Florida.

Mehr Infos über die Autorin unter: www.karenrosebooks.com

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Count to ten« bei Warner Books, Inc., New York. Copyright © 2006 by Cristie Carrington für das Gedicht »US«

eBook-Ausgabe 2011

Knaur eBook

Copyright © 2007 by Karen Rose Hafer

Copyright © 2008 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch.

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.

This edition published by arrangement with Warner Books, a division of Hachette Book Group USA Inc., New York, NY, USA. All rights reserved.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30827 Garbsen.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Antje Nissen

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Corbis

ISBN 978-3-426-41395-1

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.


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Für Martin, für die besten fünfundzwanzig Jahre meines Lebens. Ich liebe dich.

 

Für Cristy Carrington, die mir ihre wunderschönen Gedichte zur Verfügung gestellt hat und Emotionen in meinen Figuren entdeckte, die nicht einmal ich gesehen habe. Ich hatte einen Felsen. Du hast ihn behauen.

 

Für meine Seelenschwestern, die mich kennen und dennoch lieben.

Prolog

Springdale, Indiana

Donnerstag, 23. November, 23.45 Uhr

Er starrte mit grimmiger Befriedigung in die Flammen. Das Haus brannte lichterloh.

Er glaubte, ihre Schreie zu hören. Hilfe! O Gott. Hilfe! Er hoffte, dass er sie wirklich hörte, hoffte, dass es sich nicht nur um seine Einbildung handelte. Und er hoffte, dass sie litten.

Sie waren im Haus gefangen. Meilenweit keine Nachbarn, die zu Hilfe eilen würden. Er konnte sein Handy hervorholen. Die Polizei anrufen. Oder die Feuerwehr. Ein Mundwinkel verzog sich zu einem winzigen Lächeln. Wieso sollte er? Sie bekamen endlich, was sie verdienten. Endlich. Und dass es durch ihn geschah, war … nur gerecht.

Er konnte sich nicht erinnern, das Feuer gelegt zu haben, aber er wusste, dass es so gewesen sein musste. Ohne den Blick vom Haus zu nehmen, hob er die Hand an die Nase. Schnupperte an dem Lederhandschuh, den er trug. Er konnte das Benzin daran riechen.

Ja, er hatte es getan. Und er war zutiefst froh, dass er es getan hatte.

Er konnte sich ebenso wenig erinnern, hergefahren zu sein, aber er war hier. Er erkannte das Haus wieder, auch wenn er nie hier gewohnt hatte. Hätte er hier gewohnt, wäre alles anders geworden. Hätte er hier gewohnt, wäre Shane nie etwas geschehen. Shane könnte noch leben, und der tiefe Hass, den er so viele Jahre lang in seinem Herzen eingeschlossen hatte, hätte niemals existiert.

Aber er hatte nie hier gewohnt. Shane war allein gewesen, ein Schaf unter Wölfen. Und als er endlich entlassen worden war und zurückkehren konnte, war sein Bruder kein glücklicher Junge mehr gewesen. Als er endlich zurückgekommen war, hatte Shane den Kopf gesenkt gehalten, damit man die Scham und die Furcht in seinen Augen nicht sah. Denn sie hatten ihm etwas angetan.

Zorn kochte in ihm hoch. In eben jenem Haus, in dem Shane sicher und geborgen hätte sein sollen, in eben jenem Haus, das nun brannte wie die Hölle selbst, hatte man Shane etwas angetan, das ihn vollkommen verändert hatte.

Shane war tot. Und nun litten sie, genau wie er gelitten hatte. Es war nur … gerecht.

Dass der Hass und die Wut von Zeit zu Zeit in ihm aufstiegen war vermutlich unausweichlich. Beides gehörte zu ihm, beinahe solange er zurückdenken konnte. Aber den Grund für seine Wut … diesen Grund hatte er vor allen versteckt. Sogar vor sich selbst. Er hatte ihn so lange geleugnet, hatte die Geschichte so oft anders erzählt, dass selbst er inzwischen Probleme hatte, sich an die Wahrheit zu erinnern. Es gab ganze Zeitabschnitte, die er vergessen hatte. Die zu vergessen er sich gezwungen hatte. Weil es zu schmerzhaft war, sich daran zu erinnern.

Nun aber erinnerte er sich wieder. An jede einzelne Person, die ihre Hand erhoben hatte, um ihm etwas anzutun. An jede einzelne Person, die ihn und Shane hätte beschützen sollen und es nicht getan hatte. An jede einzelne Person, die einfach weggesehen hatte.

Und der Junge hatte das ausgelöst. Der Junge, der ihn an Shane erinnerte. Der Junge, der ihn hilfesuchend angesehen hatte. Schutz suchend. Ein Blick voller Angst und Scham. Heute Abend war es gewesen. Und er war in die Vergangenheit zurückversetzt worden. In eine Zeit, an die er sich nicht erinnern wollte. Damals war er … schwach gewesen. Jämmerlich schwach. Nutzlos.

Er kniff die Augen zusammen, als die Flammen an den Wänden des Holzhauses leckten, das wie Zunder brannte. Er war nicht mehr schwach oder nutzlos. Nun nahm er sich, was er wollte, und zum Teufel mit den Konsequenzen.

Plötzlich drang sein gesunder Menschenverstand durch den Zorn. Wie es immer geschah.

Denn manchmal schickten die Konsequenzen ihn zum Teufel. Besonders dann, wenn die Wut Oberhand nahm, wie es heute Abend geschehen war. Diese Nacht war nicht die erste, in der er wie aus einem Traum erwachte, sah, was er getan hatte, sich aber kaum daran erinnern konnte, es getan zu haben. Es war der erste Brand, den er gelegt hatte …

Er schluckte. Der erste Brand seit einer langen Zeit. Aber er hatte andere Dinge getan. Notwendige Dinge. Dinge, die ihn ins Gefängnis bringen würden, wenn man ihn fasste. Diesmal in ein echtes Gefängnis und nicht in eine Jugendhaftanstalt, die schon schlimm genug war, aber in der man zurechtkommen konnte, wenn man ein bisschen Verstand hatte.

Heute Abend hatte er getötet. Und er bereute nichts. Überhaupt nichts. Aber er hatte Glück gehabt. Dieses Haus stand einsam in der Gegend, weit und breit keine Nachbarn, keine Zeugen, niemand, der etwas gesehen haben konnte. Aber was, wenn er irgendwo in der Stadt gewesen wäre? Wenn man ihn dabei beobachtet hätte? Jedes Mal stellte er sich dieselbe Frage. Was, wenn man ihn erwischte?

Eines Tages würde seine unkontrollierbare Wut ihn in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Sie beherrschte ihn. Machte ihn verwundbar. Er biss die Zähne zusammen. Verwundbar zu sein war etwas, das er sich nie wieder zugestehen würde.

Und mit einem Mal schien die Lösung so klar. Die Wut musste getilgt werden.

Und daher musste die Ursache der Wut getilgt werden. Was bedeutete, dass alle Menschen, die ihnen etwas angetan oder weggesehen hatten, verschwinden mussten. Und während er dort stand und den Flammen zusah, erinnerte er sich an jeden einzelnen dieser Leute so, als hätte er sie gestern noch gesehen. Er sah Gesichter. Hörte Namen. Spürte Hass.

Er neigte den Kopf zur Seite, als das Dach einbrach und ein Funkenfeuerwerk in den Himmel schickte. Er hatte ganze Arbeit geleistet. Hübsch.

Es würde schwer sein, eine solche Darbietung zu übertreffen. Aber natürlich würde es ihm gelingen. Er machte niemals halbe Sachen. Was immer er tat, tat er gut. Und so musste es sein. Für Shane. Und für sich selbst. Dann konnte er endlich diesen Teil seines Lebens abschließen und wieder nach vorn sehen.

Der letzte Funkenregen mochte hell genug gewesen sein, um die Feuerwehr zu alarmieren. Er sollte verschwinden, solange es noch gefahrlos möglich war. Er stieg in den Wagen und wendete in Richtung Stadt, während ein Lächeln auf seinen Lippen erschien. In seinem Kopf begann ein Plan zu reifen.

Ja, es würde eine großartige Darbietung werden. Und wenn der letzte Vorhang fiel, konnte Shane endlich in Frieden ruhen. Und ich werde endlich frei sein.

1. Kapitel

Chicago

Samstag, 25. November, 23.45 Uhr

Ein Ast klatschte ans Fenster, und Caitlin Burnette fuhr zusammen. »Nur der Wind«, murmelte sie. »Sei nicht so ein Jammerlappen.« Dennoch machte das Heulen draußen sie nervös, und in Doughertys altem, ächzendem Haus ganz allein zu sein, trug nichts dazu bei, ihre Unruhe zu dämpfen.

Sie senkte den Blick wieder auf ihr Statistik-Buch und seufzte. Die Party im TriEpsilon war bestimmt viel spaßiger als das hier. Und viel lauter. Und genau aus diesem Grund saß sie in diesem langweiligen alten Haus und versuchte zu lernen, während im College ihre Kommilitoninnen feierten.

Ihr Professor hatte für Montagmorgen eine Klausur angekündigt, und wenn sie durchfiel, war das Semester umsonst gewesen. Dann würde ihr Vater ihr den Wagen abnehmen, verkaufen und mit dem Geld mit ihrer Mutter auf die Bahamas fliegen.

Caitlin knirschte mit den Zähnen. Sie würde es ihm schon zeigen und diese blöde Klausur bestehen, und wenn es das Letzte war, was sie tat. Und falls nicht, hatte sie genügend Geld gespart, um sich den blöden Wagen selbst zu kaufen – oder vielleicht sogar noch einen besseren. Der Betrag, den die Doughertys ihr zahlten, damit sie die Katze hütete, war lächerlich, aber es reichte, um einigermaßen zurechtzukommen, und …

Ein anderes Geräusch ließ sie auffahren. Was war das? Es kam von unten. Und es klang wie … wie ein Stuhl, der über den Holzboden schrammte.

Ruf die Polizei. Sie legte die Hand auf den Hörer, holte dann aber tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Wahrscheinlich nur die Katze. Sie würde ziemlich dumm dastehen, wenn sie die Polizei wegen einer fetten, verwöhnten Perserkatze anrief. Im Übrigen sollte sie jetzt gar nicht hier sein. Mrs. Dougherty hatte sich ziemlich klar ausgedrückt. Sie sollte nicht »hier übernachten«, sie sollte keine »Partys feiern«, und sie sollte auch nicht »das Telefon benutzen«. Sie sollte die Katze füttern und ihr Klo saubermachen, Punkt.

Die Doughertys konnten wütend werden und ihr das Geld streichen, wenn sie es herausfanden. Caitlin seufzte. Und dann würde ihr Vater davon erfahren, für den diese Nachricht bestimmt ein innerer Triumph wäre. Und all das wegen einer dummen Kuschelkatze, die auch noch Percy hieß!

Dennoch konnte es nicht schaden, etwas vorsichtig zu sein. Lautlos verließ Caitlin das Zimmer, das die Doughertys als Büro benutzten, und schlich ins Schlafzimmer, wo sie die kleine Pistole aus Mrs. Doughertys Nachttischschublade holte und sie entsicherte. Sie hatte die Pistole entdeckt, als sie nach einem Stift gesucht hatte. Es war eine .22, und mit einer solchen Waffe hatte sie mit ihrem Vater schon oft am Schießstand geschossen. Sie stieg die Treppe hinunter und hielt die Waffe hinter dem Rücken. Es war stockdunkel, aber sie wagte es nicht, Licht zu machen. Lass es, Caitlin. Ruf die Cops. Aber sie ging weiter, die Schritte durch den Teppich gedämpft, bis die zweite Stufe von unten knarrte. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Herz hämmerte laut, während sie lauschte.

Und dann hörte sie das Summen. Da war jemand im Haus, und er summte!

Das Quietschen von etwas Schwerem, das über den Boden gezogen wurde, übertönte das Summen. Und dann roch sie Gas.

Raus! Hol Hilfe! Sie stürzte vorwärts, stolperte, als ihre Füße den Holzboden berührten und fiel auf die Knie. Die Pistole flog aus ihrer Hand und rutschte über den Boden. Laut.

Das Summen verstummte. Verzweifelt fuhren ihre Hände im Dunkeln über den Boden, tasteten nach der Pistole. Dann hatte sie sie gefunden und kam auf die Füße. Raus! Raus! Raus!

Sie war zwei Schritte auf die Tür zugelaufen, als sich jemand von hinten auf sie stürzte und mit ihr zu Boden ging. Sie wollte schreien, bekam aber keine Luft. Gott, bitte! Sie zappelte unter ihm, aber er war zu schwer. Sein Atem strich heiß über ihr Ohr. Dann spürte sie, wie er hart wurde. Nein, bitte nicht. Nicht das!

Sie kniff die Augen zusammen, als er seine Hüften gegen sie presste. Seine Absicht war klar. »Bitte. Lassen Sie mich gehen. Ich sollte nicht einmal hier sein. Ich werde nichts sagen, das verspreche ich.«

»Du solltest nicht einmal hier sein«, wiederholte er. »Was für ein Pech für dich.« Seine Stimme war tief, aber aufgesetzt tief. Sie klang wie eine Darth-Vader-Imitation. Caitlin konzentrierte sich, entschlossen, sich jede Einzelheit einzuprägen, so dass sie, falls sie lebend entkommen würde, der Polizei alles erzählen konnte.

»Bitte, tun Sie mir nichts an«, flüsterte sie.

Er zögerte. Sie spürte, wie er die Luft anhielt. Die Zeit schien stillzustehen. Dann, endlich, stieß er den Atem wieder aus.

Und lachte.

Sonntag, 26. November, 1.10 Uhr

Reed Solliday drängte sich durch die Menschenmenge, während er im Vorbeigehen den Stimmen lauschte und die Gesichter betrachtete, die dem brennenden Haus zugewandt waren. Es war eine Mittelklasse-Gegend, in der hauptsächlich ältere Menschen wohnten, und die Leute, die hier in der Kälte standen, schienen einander alle zu kennen. Schockiert und ungläubig drängten sie sich zusammen, und er wusste, dass sie sich sorgten, die Flammen könnten auf ihre eigenen Häuser überspringen. Drei ältere Frauen standen etwas abseits, und über ihre ängstlichen Gesichter flackerte der Schein des verbliebenen Feuers, das zuvor nur mit zwei Löschtrupps unter Kontrolle hatte gebracht werden können. Dieses Feuer war kein Zufall. Es hatte zu stark, zu heiß und an zu vielen Stellen im Haus gebrannt.

Doch trotz des allgegenwärtigen Schockzustands musste er die Schaulustigen befragen, bevor sie Zeit hatten, ihre Erlebnisse auszutauschen. Selbst bei Leuten, die nichts zu verbergen hatten, glichen sich die Geschichten über das Gesehene aneinander an, wodurch wertvolle Einzelheiten verlorengehen und sogar Brandstifter entkommen konnten. Reeds Job war es dafür zu sorgen, dass das nicht geschah.

»Meine Damen?« Mit der Marke in der Hand näherte er sich den drei Frauen. »Ich bin Lieutenant Solliday.«

Alle drei Frauen musterten ihn. »Sie sind Polizist?«, fragte die mittlere. Sie war um die siebzig und so zart und klein, dass der Wind sie hätte umwehen können. Ihr weißes Haar war fest auf Wickler gedreht, und ihr Flanellnachthemd stach unter dem Wollmantel hervor und schleifte über den gefrorenen Boden.

»Fire Marshal«, antwortete Reed. »Würden Sie mir bitte Ihre Namen nennen?«

»Emily Richter. Und das sind Janice Kimbrough und Darlene Desmond.«

»Und Sie kennen sich hier ein wenig aus, Ma’am?«

Mrs. Richter rümpfte die Nase. »Ich lebe seit beinahe fünfzig Jahren hier.«

»Wer wohnt in diesem Haus, Ma’am?«

»Bis vor einiger Zeit die Doughertys. Joe und Laura. Aber Laura ist gestorben und Joe ist nach Florida gegangen. Jetzt wohnen sein Sohn und dessen Frau hier. Hat’s ihnen ziemlich billig verkauft, der gute Joe. Das hat hier in der Gegend anständig die Preise gedrückt.«

»Aber sie sind nicht da«, fügte Janice Kimbrough hinzu. »Sie sind über Thanksgiving zu Joe nach Florida gefahren.«

»Es war also niemand im Haus?« Das war den Männern bei ihrer Ankunft bereits gesagt worden.

»Nein. Es sei denn, sie sind vorzeitig zurückgekommen«, meinte Janice.

»Sind sie aber nicht«, sagte Emily Richter bestimmt. »Ihr Truck ist zu breit für die Garage, deshalb parken sie immer in der Auffahrt. Und da dort kein Truck steht, sind sie auch noch nicht wieder zurück.«

»Haben Sie heute jemanden gesehen, der nicht zu dieser Gegend gehört?«

»Gestern war ein Mädchen hier«, sagte Emily Richter. »Sie füttert die Katze.« Wieder rümpfte sie die Nase. »Früher hätte Joe uns den Schlüssel und Katzenfutter in die Hand gedrückt. Aber sein Sohn hat die Schlösser ausgetauscht und irgendein junges Ding engagiert.«

Reeds Nackenhaare stellten sich auf. Vielleicht war es Instinkt, vielleicht etwas anderes. Aber er hatte überhaupt kein gutes Gefühl bei dieser Sache. »Ein junges Ding?«

»Studentin«, erklärte Darlene Desmond. »Joes Schwiegertochter hat mir erzählt, dass sie hier nicht übernachten würde. Sie sollte nur ein- oder zweimal am Tag kommen, um die Katze zu füttern.«

»Hatten die Doughertys noch andere Autos?«, fragte Reed.

Janice Kimbrough zog die Brauen zusammen. »Die Frau von Joes Sohn hatte einen Wagen. Einen Ford?«

Emily Richter schüttelte den Kopf. »Buick.«

»Und das waren die einzigen Fahrzeuge? Der Truck und der Buick?« Er hatte in der Garage die verschmorten Überreste von zwei Wagen gesehen. Übelkeit machte sich in seinem Inneren breit.

Die drei Frauen nickten und tauschten verwirrte Blicke aus. »Ja, nur die beiden«, bestätigte Emily Richter.

»Vielen Dank, meine Damen, Sie waren eine große Hilfe.« Er ging über die Straße, wo Captain Larry Fletcher mit einem Funkgerät neben dem Löschwagen stand. »Larry.«

»Reed.« Larry betrachtete stirnrunzelnd das brennende Haus. »Das Feuer ist gelegt worden.«

»Ja, das denke ich auch. Larry – es könnte doch noch jemand drin sein.«

Er schüttelte den Kopf. »Die älteren Damen meinten, die Hausbesitzer wären nicht in der Stadt.«

»Sie sagten konkret, dass die Besitzer eine Studentin zum Katzenfüttern engagiert hätten.«

Larrys Kopf fuhr herum. »Angeblich ist niemand im Haus gewesen.«

»Ja, das Mädchen sollte auch nicht hier übernachten. In der Garage sind zwei Autos, oder? Die Besitzer haben aber nur eines dort stehen. Mit dem anderen, dem Truck, sind sie unterwegs. Wir müssen rein und nachsehen, ob das Mädchen dort drin ist, Larry.«

Mit einem knappen Nicken hob Larry das Funkgerät an die Lippen. »Mahoney. Möglicherweise Opfer im Haus.«

Das Gerät knisterte. »Verstanden. Ich versuche reinzugehen.«

»Falls es zu gefährlich ist, kommst du sofort wieder raus«, befahl Larry, dann wandte er sich wieder Reed zu. »Wenn sie drin ist …«

Reed nickte grimmig. »Ist sie wahrscheinlich tot. Ich weiß. Ich höre mich noch ein bisschen um. Lass mich reingehen, sobald es möglich ist.«

Sonntag, 26. November, 2.20 Uhr

Sein Herz hämmerte immer noch zu schnell und zu heftig. Alles war so gelaufen, wie er es geplant hatte.

Na ja, nicht ganz. Das Mädchen war eine Überraschung gewesen. Miss Caitlin Burnette. Er holte ihren Führerschein aus der Tasche, die er mitgenommen hatte. Ein kleines Andenken an die Nacht. Sie hätte nicht dort sein dürfen, hatte sie gesagt. Er solle sie gehen lassen, hatte sie ihn angefleht. Sie würde nichts sagen, hatte sie versprochen. Aber sie hatte natürlich gelogen. Frauen logen immer. Das war eine Tatsache.

Rasch fegte er die Erde vom Versteck und hob den Deckel der Plastiktonne hoch. Glänzender Tand und Schlüssel funkelten ihm entgegen. Er hatte sie am Tag, als er hergekommen war, vergraben und seitdem nicht mehr angerührt. Es hatte keinen Grund dazu gegeben, doch jetzt gab es einen. Er warf Caitlins Tasche hinein, setzte den Deckel wieder auf und fegte sorgsam wieder Erde darüber. So. Fertig. Jetzt konnte er schlafen.

Während er davonging, leckte er sich über die Lippen. Er konnte sie noch immer schmecken. Süßes Parfum, weiche Rundungen. Sie war ihm buchstäblich in den Schoß gefallen. Es war wie Weihnachten gewesen. Sie hatte sich gewehrt. Er lachte leise. Und wie sie sich gewehrt hatte. Sie hatte sich ihm zu verweigern versucht. Das hatte ihn nur noch härter gemacht. Sie hatte versucht, ihm das Gesicht zu zerkratzen, aber er hatte sie leicht festhalten können. Er schauderte. Er hatte fast vergessen, wie gut es sich anfühlte, wenn jemand sich ihm verweigerte. Allein der Gedanke daran erregte ihn wieder. Immer glaubten sie, sie könnten sich wehren. Immer meinten sie, sie könnten sich verweigern.

Aber er war größer. Und stärker. Heute traf er die Entscheidungen, und niemand würde ihm je wieder eine Abfuhr erteilen.

 

Der Junge sah vom Fenster im ersten Stock aus zu. Sein Herz klopfte laut. Du musst es jemandem sagen. Aber wem? Er findet bestimmt heraus, dass ich es verraten habe. Er würde wütend werden, und der Junge wusste, was geschah, wenn er wütend wurde. Krank vor Angst ging der Junge zurück ins Bett, zog die Decke über den Kopf und begann zu weinen.

Sonntag, 26. November, 2.15 Uhr

Es war ein hübsches Haus gewesen, dachte Reed, als er durch die Überreste wanderte. Der Schaden schien in der einen Hälfte größer als in der anderen zu sein. Sobald es Tag wurde, würde es eine gründlichere Untersuchung geben. In der Zwischenzeit würde er mit einer starken Taschenlampe die Wände nach Spuren absuchen, um den Brandverlauf zu rekonstruieren.

Er blieb stehen und wandte sich zu dem Feuerwehrmann um, der seine Truppe ins Hausinnere geführt hatte. »Wo hat es gebrannt, als Sie reinkamen?«

Brian Mahoney schüttelte den Kopf. »Flammen in der Küche, der Garage, oben im Schlafzimmer und im Wohnzimmer. Als wir im Wohnzimmer ankamen, begann die Decke einzustürzen, und ich habe meine Jungs wieder rausgeschafft. Gerade noch rechtzeitig, denn die Küchendecke ist ebenfalls eingestürzt. Danach haben wir uns darauf konzentriert zu verhindern, dass das Feuer nicht auf die anderen Häuser überspringt.«

Reed blickte nach oben, wo bis vor kurzem noch zwei Etagen, ein Speicher und ein Dach gewesen waren, und sah die Sterne am Himmel. Möglicherweise hatte es mehrere Brandherde gegeben. Irgendein Mistkerl hatte sicherstellen wollen, dass dieses Haus auch wirklich abbrannte. »Ist jemand verletzt?«

Brian zuckte die Achseln. »Kleinere Verbrennung bei dem Neuen, aber nichts Wildes. Einer der Jungs hat Rauch eingeatmet. Der Captain hat beide vorsichtshalber ins Krankenhaus geschickt. Hören Sie mal, Reed, ich habe noch einmal nach dem Mädchen gesehen, aber der Rauch war zu dicht. Wenn sie hier war …«

»Ich weiß.« Reed seufzte und setzte sich wieder in Bewegung. »Ich weiß.«

»Reed!« Es war Larry Fletcher, der aus der Küche rief.

Reed bemerkte sofort, dass der Herd von der Wand abgerückt worden war. »Habt ihr das gemacht?«

»Nein«, sagte Brian. »Sie glauben, er hat das Gas eingesetzt?«

»Das würde die erste große Explosion erklären.«

Larry hatte die ganze Zeit auf den Boden gestarrt. »Hier ist sie«, sagte er leise.

Reed biss die Zähne zusammen und trat neben Larry. Obwohl er am liebsten nichts sehen wollte, lenkte er den Strahl der Taschenlampe auf seine Füße. Und sog scharf die Luft ein. »Verdammt!«

Der Körper war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

»Verdammt«, sagte auch Brian. »Wissen wir, wer sie ist?«

Reed leuchtete die Umgebung der Leiche ab und zwang sich zur Professionalität, zwang sich, nicht daran zu denken, wie sie gestorben war. »Noch nicht. Ich habe die Telefonnummer von dem ehemaligen Besitzer dieses Hauses. Die alten Damen draußen haben sie mir gegeben. Joe Dougherty senior. Sein Sohn wohnt jetzt hier. Ich habe den Vater angerufen, und er hat mir erzählt, dass sein Sohn und seine Frau sich ein Boot gechartert hätten und an der Küste Floridas rumschippern würden. Sie werden nicht vor Montag zurückkommen. Allerdings hat er mir auch gesagt, dass seine Schwiegertochter in einem Anwaltsbüro in der Innenstadt arbeitet. Ich könnte mir vorstellen, dass die Studentin die Tochter einer ihrer Kollegen gewesen ist. Vielleicht kann ich die Eltern ausfindig machen.« Er seufzte, als er sah, dass Larry immer noch auf den Boden starrte. »Du konntest nicht wissen, dass sie hier drin war, Larry.«

»Meine Tochter ist auch auf dem College«, erwiderte Larry rauh.

Und meine wird es bald sein, dachte Reed, verbannte den Gedanken dann aber schnell aus seinem Kopf. »Ich bestelle den Gerichtsmediziner her«, sagte er. »Und hole mein Team. Larry, du siehst aus wie ausgekotzt. Ihr beide seht so aus. Gehen wir wieder hinaus, damit ich deine Leute befragen kann, dann fahrt ihr zur Wache und ruht euch aus.«

Larry nickte betäubt. »Du hast mal wieder das ›Sir‹ unterschlagen.« Es war ein Versuch, ein wenig Humor in die Situation zu bringen, aber er versagte kläglich. »Du sagst nie ›Sir‹. Und dabei sind wir so viele Jahre zusammen gefahren.«

Und es waren gute Jahre dabei gewesen. Larry war einer der besten Captains, die Reed je gehabt hatte. »Sir«, verbesserte er sich sanft. Er zog an Larrys Arm, damit sein Freund und ehemaliger Vorgesetzte die verkohlte Gestalt, die einmal ein junges Mädchen gewesen war, nicht mehr sehen musste. »Gehen wir.«

Sonntag, 26. November, 2.55 Uhr

»Die Scheinwerfer sind aufgestellt, Reed.«

Reed, der in seinem SUV saß, sah von seinen Notizen auf. Ben Trammell stand ein paar Meter entfernt und sah ihn müde an. Ben war das neueste Mitglied seines Teams, und wie die meisten war er Feuerwehrmann gewesen, bevor er zu den Fire Marshals stieß. Dies war Bens erster Tag als Brandursachenermittler, und man konnte ihm ansehen, welchem Druck er ausgesetzt war.

»Alles in Ordnung?«, fragte Reed, und Ben antwortete mit einem knappen Nicken. »Gut.« Reed winkte dem Fotografen, der in der Wärme seines eigenen Wagens wartete. Foster stieg mit der Kamera in der Hand und dem Camcorder um den Hals aus.

»Gehen wir«, sagte Reed und ging durch den Schutt, den die Feuerwehrleute zurückgelassen hatten, die Auffahrt zum Haus hinauf. Sie würden sich um den Außenbereich kümmern, sobald das Licht ausreichte. »Im Moment fassen wir nichts an. Wir fotografieren die Szene und holen uns ein paar Messwerte. Dann können wir sehen, was wir haben.«

»Hast du eine richterliche Verfügung?«, fragte Foster.

»Noch nicht. Ich will erst genau wissen, was ich überhaupt rechtlich abdecken muss.« Er hatte ganz und gar kein gutes Gefühl in Bezug auf die Leiche in Doughertys Küche, und da er bei seiner Arbeit äußerst penibel war, bereitete er sich jetzt schon mental auf alle gesetzlichen Fallstricke vor. »Wir können reingehen und nach Ursprung und Ursache suchen. Wenn wir etwas anderes finden, beantrage ich eine richterliche Verfügung. Immerhin sind die Besitzer nicht hier, um uns die Erlaubnis zu geben.«

Reed führte sie durch die Eingangshalle, an der Treppe vorbei und in die Küche, wo die Scheinwerfer alles in grelles Licht tauchten. Der Raum war vernichtet. Die Fensterscheiben waren explodiert, und an einer Stelle war die Decke heruntergekommen. Man konnte die Küche kaum durchqueren, ohne über Schutt zu stolpern. Eine dicke Ascheschicht bedeckte den gekachelten Boden. Aber das Erschreckendste war die verkohlte Leiche, die noch immer dort lag, wo Larry Fletcher sie entdeckt hatte.

Eine Weile lang standen die drei Männer reglos da, starrten das Opfer an und versuchten zu verarbeiten, was im Licht noch grausiger erschien als im Dunkeln. Mit einem tiefen Atemzug setzte Reed sich schließlich in Bewegung. Er zog Latexhandschuhe über und holte ein kleines Aufnahmegerät aus seiner Tasche. »Foster, fang mit dem Camcorder an. Wir machen Fotos, wenn wir unseren ersten Durchgang hinter uns haben.«

Er hob das Gerät an die Lippen, während Foster zu filmen begann. »Lieutenant Reed Solliday in Begleitung der Marshals Ben Trammell und Foster Richards. Wir befinden uns im Haus der Doughertys am sechsundzwanzigsten November, drei Uhr nachts. Außenbedingungen, einundzwanzig Grad Fahrenheit, Wind von Nordosten mit fünfzehn Meilen pro Stunde.« Er holte tief Luft. »Ein einzelnes Opfer in der Küche. Die Haut ist verkohlt. Einzelheiten des Gesichts nicht erkennbar. Geschlecht auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Die schmale Statur verweist auf eine weibliche Person, was mit Zeugenaussagen übereinstimmt.«

Reed ging neben dem Körper in die Hocke und holte den Photoionisationsdetektor aus der Tasche, die am Riemen über seiner Schulter hing. Er führte das Gerät langsam über den Körper, und augenblicklich ertönte ein hohes Geräusch. Das überraschte ihn nicht. Er schaute zu Ben auf. Immerhin konnte man diesen Moment zu einer Lehrstunde nutzen. »Ben?«

»Hohe Kohlenwasserstoffkonzentration«, sagte Ben gepresst. »Verweist auf Brandbeschleuniger.«

»Gut. Was bedeutet?«

»Was bedeutet, dass das Opfer wahrscheinlich mit Benzin übergossen wurde.«

»Benzin oder etwas anderem«, sagte Reed, der sich bemühte, weder den Gestank wahrzunehmen, noch das Bild der toten jungen Frau zu nah an sich heranzulassen. Ersteres war nahezu, Letzteres vollkommen unmöglich. Doch er hatte einen Job zu erledigen. »Der Leichenbeschauer wird uns Genaueres sagen können. Gut, Ben.«

Ben räusperte sich. »Soll ich den Hund holen lassen?«

»Das habe ich schon getan. Larramie hat heute Nacht Dienst. Er sollte mit Buddy in ungefähr zwanzig Minuten hier sein.« Reed richtete sich wieder auf. »Foster, nimm das Opfer bitte von der anderen Seite auf, okay?«

»Jep.« Foster filmte den Schauplatz von verschiedenen Blickwinkeln. »Was noch?«

Reed war zur Wand getreten. »Hier, diese Wand brauche ich im Ganzen. Und dann noch Nahaufnahmen von den Spuren hier.« Er beugte sich näher heran und runzelte die Stirn. »Was, zum Teufel …«

»Enges ›V‹«, sagte Ben, nun selbstsicherer. »Das Feuer ist unten ausgebrochen und dann rasch die Wand hinaufgerast.« Er sah zu Reed. »Sehr rasch. Mit Hilfe eines Zündmittels?«

Reed nickte. »Sieht so aus.« Er fuhr mit dem PID an der Wand entlang, und wieder hörten sie das hohe Geräusch. »Brandbeschleuniger auf der Wand. Ein chemisches Mittel.« Beunruhigt musterte er die Wand. »Ich glaube nicht, dass ich so etwas jemals schon gesehen habe.«

»Das Gas aus dem Herd«, bemerkte Foster und richtete die Kamera auf das, was von dem Gerät übrig war. Er beugte sich vor, um den Bereich zwischen Herd und Wand aufzunehmen. »Die Schraube ist entfernt worden. Das muss Absicht gewesen sein.«

»Ja, schätze ich auch«, murmelte Reed und hob dann wieder sein Diktiergerät an den Mund. »Das Gas strömte in den Raum und stieg zur Decke. Das Feuer wurde nah am Boden entzündet und ist dann aufwärtsgewandert. Wir sollten Proben nehmen. Aber was ist das hier?« Er trat zurück und betrachtete die Pockennarben, die die ganze Wand sprenkelten.

»Da ist etwas explodiert«, sagte Ben.

»Du hast recht.« Reed führte den PID an der Wand entlang. Kurze, kreischende Signaltöne, aber kein langer Warnton wie zuvor. »Klebt an der Wand wie Napalm.«

»Sieh mal.« Ben hockte neben der Tür, die zur Waschküche führte. »Plastikstückchen.« Er schaute verwirrt auf. »Die sind blau.«

Reed beugte sich herab. Sie sahen tatsächlich blau aus. Er sah sich rasch um und entdeckte noch mehr blaue Stücke auf dem Boden, und ein Bild erschien vor seinem geistigen Auge. Er hatte so etwas schon einmal in einem Buch gesehen. Einem Handbuch für Brandermittler, und es musste schon mindestens fünfzehn Jahre her sein. »Plastikeier.«

Ben blinzelte. »Eier?«

»Ich wette, wenn wir genug Stücke finden, wird das Labor sie uns zu einem Plastikei zusammensetzen. Ein Ei, wie es sie an Ostern gibt. Der Brandstifter füllt das Ei mit einem Beschleuniger – fest oder zähflüssig wie zum Beispiel Polyurethan – und steckt eine Zündschnur durch ein Loch. Dann wird die Schnur angezündet, und der Druck lässt das Ei explodieren, so dass der Beschleuniger sich überall verteilt.«

Ben sah ihn beeindruckt an. »Das würde das Brandmuster erklären.«

»O ja. Und es zeigt auch, dass man alles schon gesehen hat, wenn man den Job nur lange genug macht. Foster, nimm die Stücke und ihre Lage auf, dann will ich Bilder von jedem Gegenstand in diesem Raum. Ich fordere eine richterliche Verfügung für Ursachen- und Quellenproben an. Ich habe keine Lust, dass uns nachher irgendein Anwalt erzählt, wir könnten die Proben zwar als Beweise für die Brandstiftung verwenden, aber nicht für den Mord an diesem armen Mädchen.«

»Verdammte Anwälte«, murmelte Foster. »Zum Kotzen, dass man immer auch seinen eigenen Hintern schützen muss.«

»Wir sammeln die Plastikstücke ein, sobald Larramie und sein Hund hier fertig sind. Vielleicht ist ein Stück darunter, das groß genug ist, um Latent einen Abdruck zu verschaffen.«

»Optimist, du«, murmelte Foster.

»Mach die Fotos und nimm auch die Türen und die Fenster hier unten auf, insbesondere die Schlösser. Ich will wissen, wie er hier reingekommen ist.«

Foster nahm die Kamera von den Augen und sah Reed an. »Du weißt ja – wenn das hier ein Mord ist, dann reißen sie dir den Fall direkt unterm Hintern weg.«

Daran hatte er auch schon gedacht. »Nicht wirklich. Ich werde wohl teilen müssen, aber hier deutet noch genug auf Brandstiftung hin, damit wir anständig mitmischen können. Und im Augenblick sind ja nur wir hier. Wir haben den Ball. Also seht zu, dass wir ihn in Tornähe bringen, okay?«

Foster verdrehte die Augen. Er war kein Sportfan. »Na schön.«

»Ben, in der Garage stehen zwei Autos. Laut Zeugen gehört der Buick den Doughertys. Finde heraus, wem der andere gehört. Und, Foster, sobald das Licht reicht, machst du draußen Aufnahmen. Bei all dem Schlamm sollte etwas Brauchbares dabei sein.«

»Ich liebe Optimisten«, murmelte Foster wieder.

Sonntag, 26. November, 14.55 Uhr

Er war ausgeschlafen, und konnte nun darüber nachdenken, was er erreicht hatte. Und was nicht. Er saß am Tisch, die Hände gefaltet, und blickte aus dem Fenster, während er die Ereignisse der vergangenen Nacht analysierte. Nun konnte er genau bestimmen, was gut gelaufen war, und würde sich beim nächsten Mal daran halten. Im Gegenzug konnte er entscheiden, was nicht gut funktioniert hatte, damit er beim nächsten Mal nicht dieselben Fehler machte. Oder vielleicht gab es sogar etwas zu verbessern. Er musste es schrittweise durchgehen. Alles der Reihe nach. So war es am besten.

Der erste Punkt war die Explosion. Er verzog das Gesicht, als er unwillkürlich sein wundes Knie bewegte. In Anbetracht der Wucht der Explosion musste er sich eingestehen, dass er es ein wenig übertrieben hatte. Die Druckwelle hatte ihn umgeworfen, als er die Auffahrt entlanggerannt war. Wahrscheinlich hatte er die Zündschnur zu kurz abgeschnitten. Er hatte sich zehn Sekunden erhofft, um aus dem Haus zu fliehen und die Straße zu erreichen. Aber es waren wohl eher sieben Sekunden gewesen. Zu wenig. Er brauchte zehn. Zehn waren sehr wichtig.

Das nächste Mal musste er die Länge der Zündschnur besser berechnen.

Das erste Ei, das er in der Küche deponiert hatte, hatte wunderbar funktioniert – ganz wie der Prototyp. Das zweite dagegen, das er in Doughertys Bett gelegt hatte … Ursprünglich hatte er geplant, die beiden Alten umzubringen und dann in ihren Betten zu verbrennen. Aber als er festgestellt hatte, dass sie gar nicht da waren, hatte die zweite Bombe zwar einen symbolischen Wert erhalten, aber letztlich keinen Nutzen gehabt.

Als er die Zündschnur in Brand setzen wollte, war ihm bewusst geworden, dass das Ding vermutlich bereits explodieren würde, während er nach unten lief, um den Brand in der Küche zu legen. Dadurch hätte sich auch das Gas entzünden können, noch bevor er das Haus wieder verlassen hatte. Also hatte er es einfach dort liegen lassen und gehofft, dass es in die Luft gehen würde, sobald das Feuer sich ausbreitete. Und so, wie es sich durch das Dach gefressen hatte, musste das wohl auch funktioniert haben. Wenn aber nicht, war es möglich, dass die Polizei etwas gefunden und mehr erfahren hatte, als gut für ihn war.

Obwohl die Idee von den zwei Bomben schön gewesen war, hatte sich das gleichzeitige Zünden als unpraktisch erwiesen. Das Risiko war zu groß, so dass er sich in Zukunft nur noch auf eine verlassen würde. Alles andere war wie aus dem Lehrbuch gelaufen – ganz, wie er es geplant hatte. Nun ja, nicht ganz, wie er es geplant hatte.

Was ihn zum zweiten Punkt führte. Das Mädchen. Sein Lächeln wurde breiter, und er spürte … Macht. Allein der Gedanke daran, ließ seinen Körper vibrieren.

Als sie ihn angefleht, sich gegen ihn gewehrt hatte, war es gewesen, als wäre ein Schalter in ihm umgelegt worden, und er hatte sie missbraucht. Gründlich. Bis sie zitternd am Boden gelegen hatte und nicht ein Wort mehr hatte sagen können. Und so sollte es immer sein. So sollten sie immer sein. Still. Und wenn nicht freiwillig, dann durch Zwang. Sein Grinsen verschwand. Er hatte sie ohne Kondom vergewaltigt, was unglaublich dumm gewesen war. Er hatte nicht darüber nachgedacht, war zu sehr im Augenblick versunken gewesen. Doch wieder hatte er Glück gehabt. Das Feuer hatte alle Beweise und Spuren vernichtet. Zumindest hatte er die Geistesgegenwart besessen, sie mit Benzin zu übergießen, bevor er hinausgelaufen war. Von ihr würde nichts übrigbleiben, und von dem, was er hinterlassen hatte, auch nicht.

Blieb noch Punkt drei. Seine Flucht. Er war nicht gesehen worden, als er zum Wagen gelaufen war. Was für ein Glück. Aber er konnte sich nicht immer auf sein Glück verlassen. Er musste sich unbedingt etwas Besseres einfallen lassen. Er musste sich etwas überlegen, das der Polizei keinerlei Hinweise lieferte, selbst wenn man ihn bei der Flucht beobachtete. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er wusste, wie er das anstellen musste.

Einen Moment lang dachte er über den Plan nach. Er war gut gewesen. Hatte, im Ganzen betrachtet, funktioniert. Aber er musste zugeben, dass vor allem der Sex den Abend abgerundet hatte. Er hatte auch vorher schon getötet. Er hatte sich auch vorher schon genommen, was er brauchte. Aber nun, da er Mord und Sex gemeinsam erfahren hatte, konnte er sich das eine ohne das andere nicht mehr vorstellen.

Nun, eigentlich durfte ihn das nicht überraschen. Es lag vermutlich an seiner eigenen … Schwäche. Und vielleicht war diese Schwäche auch seine größte Stärke. Von all den Waffen, die er je eingesetzt hatte, war Sex die mächtigste. Die grundlegendste.