Dies ist der fünfte und letzte Band in der Reihe «Die Hedvig-Formel», und er befasst sich mit dem Teenageralter Ihres Kindes bis zu dem Tag, an dem Sie gemeinsam die Umzugskartons ins Auto laden und ein neuer Lebensabschnitt für Sie alle beginnt.
Bald wird Ihr Kind eine neue Welt betreten und wie wir erwachsen sein. Aber noch ist es nicht ganz so weit.
Dieses Buch soll Ihnen eine bessere Vorstellung davon geben, auf welcher Entdeckungsreise Ihr Kind sich gerade befindet und was es heißt, ein Teenager zu sein. Wenn Sie verstehen, welche Entwicklungen und Veränderungen damit verbunden sind, wird es Ihnen leichterfallen, sich auf die Herausforderungen dieser Zeit einzustellen.
Viele Eltern können nur schwer damit umgehen, wenn sie eines Tages plötzlich vor verschlossener Zimmertür stehen. Doch um seine eigene Identität zu finden, braucht man eine gewisse Distanz zu den Menschen, die einem am nächsten stehen. Ihr Kind muss sich sogar von Ihnen entfernen und sich in die weite Welt hinausbewegen.
Teenagern wird oft anders begegnet als jüngeren Kindern. Niemand lächelt ihnen mehr einfach so zu, und sie sind häufig mit härteren Blicken konfrontiert. In der Schule sollen sie vor allem Leistungen abliefern, und es wird ihnen eingeschärft, dass nun der Ernst des Lebens auf sie wartet. Nicht zuletzt betrachten Jugendliche sich im Alter zwischen 13 und 19 selbst zunehmend aus einem anderen Blickwinkel, sie sind kritischer gegenüber sich selbst und werfen leichter die Flinte ins Korn. All das zusammengenommen ist ein idealer Nährboden für Sorgen und Ängste.
Wenn Sie sich als Eltern diese unnachgiebigere Haltung gegenüber Teenagern ebenfalls aneignen, sie ausschimpfen und kritisieren und die Augen ihres Verhaltens wegen verdrehen, tragen Sie selbst nur dazu bei, ihnen ein Etikett zu verpassen und den Freiraum einzuschränken, den sie brauchen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass zumindest Sie ein Gegengewicht bilden und anders mit ihnen umgehen.
Sie sollten Verständnis für Ihren Teenager zeigen. Ihm mit liebevollem und verständnisvollem Blick signalisieren, dass Sie immer zu ihm stehen und für ihn da sind.
Und einen anderen wichtigen Aspekt sollten Sie auch nicht aus den Augen verlieren: Eine verschlossene Zimmertür bedeutet nicht, dass Ihr Kind schon selbständig genug ist, um allein zurechtzukommen. Teenager können und wollen nicht auf sich allein gestellt sein. Er oder sie braucht Sie – selbst während dieses Ablösungsprozesses.
Dieses Buch gliedert sich wie die bisherigen Bände der Reihe in zwei Teile. Im ersten Teil gehe ich mit Ihnen sieben Schritte durch, die Ihnen beim täglichen Umgang mit Ihrem Teenager eine Hilfe sein sollen. Im zweiten Teil geht es um typische Fragestellungen und wichtige Themen – von sozialen Medien über Hausaufgaben bis hin zur Sexualität –, die Eltern von Teenagern beschäftigen.
Die Ausgangslage für diesen Ablösungsprozess ist für jede Familie individuell verschieden. Wo auch immer Sie starten – niemand kennt Ihr Kind so gut wie Sie. Deshalb möchte ich auch bei Ihnen anfangen. Werfen Sie sämtliche Methoden und Ratschläge erst einmal über Bord und seien Sie einfach richtig für Ihr Kind da. Nehmen Sie den Menschen wahr, der in «Ihrem» Teenie heranwächst. Das ist das Beste, was Sie für Ihr Kind tun können.
Ich hoffe, das Buch kann Ihnen dabei eine Hilfe sein.
Hedvig Montgomery
Es kommt einem häufig so vor, als würde das Kind sich im Teenageralter von allem abwenden, was man als Familie gemeinsam aufgebaut hat. Sie sind nicht länger die Person, zu der Ihr Kind aufsieht oder bei der es Rat sucht. Sie sind nicht mehr sonderlich interessant für es. Sie sind nicht mehr bewunderungswürdig.
Und genau so soll es auch sein.
Ihre Familie, Ihr Alltag, alle gemeinsamen Unternehmungen haben Ihrem Kind Sicherheit und Geborgenheit gegeben, waren ein heimeliger Zufluchtsort, wie ein warm leuchtendes Zelt. Als Teenager jedoch verlassen die Kinder dieses Basislager.
Sie müssen hinaus und sich auf die Suche nach sich selbst machen, und sie werden dabei viele verschiedene Wege einschlagen. Diese Suche ist in unserer menschlichen Natur geradezu angelegt – wir müssen Dinge ausprobieren, müssen unterschiedliche Standpunkte testen, Lebensformen und -weisen, verschiedene Persönlichkeiten ausprobieren. Hier und da werden Ihre Kinder Sätze äußern, die härter klingen, als sie gemeint sind, ohne zu ahnen, wie das auf Sie wirkt. Es ist so, als würden sie vor dem Spiegel stehen und in verschiedene Rollen schlüpfen und sich fragen, welcher Wesenstyp sie wohl sind, was am besten zu ihnen passt.
Wir Menschen haben uns schon immer von unseren Familien entfernt, haben das sichere und vertraute Umfeld hinter uns gelassen, um unser eigenes «Ich» zu finden, unsere eigene Zukunft. Dieses Streben nach etwas Besserem, Geeigneterem und Neuem ist etwas zutiefst Menschliches, das uns alle eint. Ein Teenager zu sein bedeutet in vielerlei Hinsicht ein Streben nach Verbesserung – danach, ein besserer Mensch zu werden oder die Welt zu verbessern.
Das ist ein großartiges Vorhaben, das wir begrüßen und dem wir unseren ganzen Respekt zollen sollten.
Nach Neuem Ausschau zu halten bedeutet aber auch, sich mit dem Bestehenden auseinanderzusetzen oder in Konflikt zu geraten. Jugendliche beschäftigt sehr viel mehr, was Gleichaltrige von ihnen halten und über sie denken. Sie winden sich allein schon bei dem Gedanken daran, von einem Klassenkameraden mit der falschen Mütze ertappt zu werden. Was Sie oder die Lehrer davon halten, zählt nicht.
Gleichzeitig empfinden viele Jugendliche diesen Prozess des Sich-Vorwagens als anstrengend und beängstigend, und er löst viel Unsicherheit in ihnen aus. Sie machen sich Sorgen, anders zu sein als die anderen, falsche Entscheidungen zu treffen und der- oder diejenige zu sein, der oder die von den anderen kritisch beäugt wird. So viel steht für sie auf dem Spiel, dass es für sie um eine Frage von Leben und Tod geht. «Beachte mich!», «Mag mich!», «Liebe mich!».
Die Teenagerzeit ist für viele junge Menschen also ein Lebensabschnitt, der von einer Menge Unruhe und Stress begleitet ist. Umso mehr brauchen sie weiterhin Vertraute um sich, die sie gut kennen und die ihnen mit ihrem Blick zu verstehen geben: «Ich weiß, wer du bist.» Sie brauchen jemanden, der ihnen zulächelt, sie tröstet, wenn sie leiden, und jemanden, der ihnen hilft, wenn sie weder ein noch aus wissen. Jemanden, der mit ihnen spricht, ohne sie zu verurteilen.
Für Eltern kann die Teenagerzeit ziemlich verwirrend sein. Ihr Kind, das bisher ihren Rat suchte und es genoss, mit ihnen zu kuscheln, verbarrikadiert sich plötzlich in seinem Zimmer und sagt nicht mehr, was in ihm vorgeht, zieht sich zurück, verschließt sich. Als würde der geistige und körperliche Entwicklungsprozess, den die Kinder jetzt durchlaufen, sie dazu bewegen, zu allem auf Abstand zu gehen, was vorher von Bedeutung für sie war. Als würde nichts von dem Bisherigen noch existieren.
Doch das ist glücklicherweise nicht die ganze Wahrheit.
Denn die Ablösung gelingt dann am besten, wenn man sich dabei auf ein Umfeld stützen kann, das einem Halt und Geborgenheit gibt. Dafür müssen Sie ein Band zu Ihrem Kind geknüpft haben, eine stabile emotionale Bindung zwischen sich und Ihrem Kind. Selbst während dieser Phase, in der sich Ihr Kind von Ihnen entfernt, ist es auf diese Beziehung zu Ihnen angewiesen. Sie ist ausschlaggebend für den Erfolg oder den Misserfolg seines Vorhabens.
Sie als Eltern sind also einerseits weniger wichtig, andererseits geradezu lebenswichtig.
Jugendliche senden sozusagen zwei entgegengesetzte Botschaften aus. Sie rufen: «Lass mich los!», und flüstern zugleich: «Halt mich fest!»
Beidem gerecht zu werden, das ist in den kommenden Jahren die große Kunst.
In Ihrem gemeinsamen Alltag wird es flüchtige Momente geben, in denen die Beziehung zu Ihrem Kind ganz besonders zählt. Wenn Ihr Sohn irgendwann aus seinem Zimmer kommt oder Ihre Tochter allen Mut zusammennimmt, um Ihnen von ihren Problemen zu erzählen, ist es ganz entscheidend, wie Sie in diesem Augenblick reagieren.
Dann möchte Ihr Kind auf Verständnis stoßen.
Häufig machen Eltern den Fehler, erst auf einen Anlass zu warten, um Kritik zu äußern und endlich sagen zu können, was sie denken – doch an so etwas sollten Sie in diesen Momenten keinen Gedanken verschwenden.
Nichts ist wichtiger, als Ihrem Teenager das Gefühl zu geben, dass er sich immer an Sie wenden kann, wenn es hart auf hart kommt.
Das ist das Ziel, das Sie sich in diesen Jahren setzen müssen.