Iny Lorentz
Die Wanderapothekerin
Serial Teil 4
Knaur e-books
Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb begeisterte. Mit der »Wanderhure« gelang ihnen der Durchbruch; der Roman erreichte ein Millionenpublikum. Seither folgt Bestseller auf Bestseller. Die Romane von Iny Lorentz wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen ihrer »Wanderhuren«-Romane haben Millionen Fernsehzuschauer begeistert.
Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren: www.inys-und-elmars-romane.de
eBook-Ausgabe 2014
Knaur eBook
© 2014 Knaur Taschenbuch Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic®, München
ISBN 978-3-426-42428-5
Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren spannenden Lesestoff aus dem Programm von Knaur eBook und neobooks.
Auf www.knaur-ebook.de finden Sie alle eBooks aus dem Programm der Verlagsgruppe Droemer Knaur.
Mit dem Knaur eBook Newsletter werden Sie regelmäßig über aktuelle Neuerscheinungen informiert.
Auf der Online-Plattform www.neobooks.com publizieren bisher unentdeckte Autoren ihre Werke als eBooks. Als Leser können Sie diese Titel überwiegend kostenlos herunterladen, lesen, rezensieren und zur Bewertung bei Droemer Knaur empfehlen.
Weitere Informationen rund um das Thema eBook erhalten Sie über unsere Facebook- und Twitter-Seiten:
http://www.facebook.com/knaurebook
http://twitter.com/knaurebook
http://www.facebook.com/neobooks
http://twitter.com/neobooks_com
Gift
Der Weg war steil, doch Klara widerstand der Versuchung, Martha das schwere Reff zu übergeben. Seit sie Kitzingen verlassen hatten, waren sie bereits drei Wochen unterwegs, hatten aber in den unwegsamen Tälern und Hängen des Spessarts und des Odenwalds oft weniger als zwei Meilen am Tag zurücklegen können. Um die einzelnen Dörfer und Gehöfte zu erreichen, in denen sie Rumold Justs Arzneiwaren verkaufen durften, waren sie gezwungen, stundenlang in eine der Schluchten hineinzugehen und diese auf dem gleichen Weg wieder zu verlassen.
Zum Glück kauften die Bewohner der einsamen Dörfer ihnen häufig etwas ab. Zwar wunderten sie sich, innerhalb von zwei Jahren die dritte Person zu sehen, die ihnen die Waren brachte, aber sie wussten Justs Salben und Tinkturen zu schätzen. Klara war daher guten Mutes, dass sie bis zu ihrem nächsten Treffpunkt mit Tobias den größten Teil ihrer Arzneien verkauft haben würde.
An diesem Tag fiel ihr der Weg jedoch schwer. Es war heiß, das Reff drückte, und sie litt Hunger und Durst. »Allmählich müssten wir Schloss Waldstein doch erreichen«, stöhnte sie, während sie weiter bergan stieg.
Martha schnaubte zunächst nur zustimmend, denn ihr setzten die Hitze und der steinige Weg ebenfalls zu.
»Es kann keine Viertelmeile mehr sein«, antwortete sie ein paar Schritte später, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte.
Klara nickte, denn sie hatte längst festgestellt, dass ihre Begleiterin ein gutes Orientierungsvermögen besaß und die zurückgelegte Strecke besser einzuschätzen vermochte als sie selbst.
»Auf ebener Straße wäre eine Viertelmeile kein Problem«, erwiderte sie. »Aber hier geht es seit mehr als einer Stunde stetig bergan.«
»Wenn du willst, übernehme ich das Reff«, bot ihre Freundin an.
Klara lächelte, blieb aber nicht stehen. »Wenn Waldstein nicht bald kommt, nehme ich das gerne an.«
»Wieso müssen wir eigentlich dieses Schloss aufsuchen? Es kostet uns einen ganzen Tag, dorthin zu gelangen – und viel werden sie uns nicht abkaufen.«
»Laut meinem Vater ist Waldstein deshalb so wichtig, weil sein Besitzer die Herrschaft über das ganze Gebiet ausübt. Nur in die Dörfer zu gehen und das Schloss zu meiden, wäre nicht nur unhöflich, sondern könnte uns auch die Erlaubnis kosten, unsere Arzneien in diesem Gebiet zu verkaufen.«
Klara verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln und ging weiter. Dabei glitt ihr Blick nach oben, wo der höchste Punkt der Straße mehr zu erahnen als zu sehen war.
»Was würde ich jetzt für einen kühlen Trunk geben«, entfuhr es ihr unwillkürlich.
Martha blickte sich suchend um, horchte einen Augenblick und zuckte dann mit den Achseln. »Die Flasche, die du aus Kitzingen mitgenommen hast, ist leer, und ich höre nirgends einen Bach oder eine Quelle plätschern, an denen wir sie auffüllen könnten. Also werden wir durchhalten müssen, bis wir das Schloss erreichen.«
»Das fürchte ich auch.« Klara schluckte mehrmals, um den Speichelfluss anzuregen, und ärgerte sich, weil der Sitz der Herren von Waldstein ausgerechnet im hintersten Winkel ihres Gebiets lag.
»Was mag uns dort erwarten?«, fragte Martha. »Die Leute in den Dörfern, durch die wir gekommen sind, waren sehr verschlossen, besonders, was das Schloss und seine Bewohner betrifft.«
Klara hatte sich bislang keine Gedanken über die Herren auf Waldstein gemacht. Sie blieb kurz stehen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Ich weiß es nicht.«
»Es soll dort letztens einen Todesfall gegeben haben«, berichtete ihre Freundin.
»Wir werden unsere Arzneien verkaufen und dann weiterziehen. Mit den Herrschaften dort oben kommen wir dabei wohl kaum zusammen. Aber wenn es jetzt noch lange bergauf geht, muss ich dich bitten, das Reff zu übernehmen. Es lastet mir allmählich zu schwer auf den Schultern!«
Noch während Klara es sagte, stieß Martha einen erleichterten Ruf aus. »Ich sehe das Schloss!«
»Wo?«, fragte Klara und setzte sich wieder in Bewegung.
Keine fünfzig Schritte weiter entdeckte sie es ebenfalls. Die Anlage schmiegte sich zur Linken an einen flachen Hang, der sie vor den scharfen Ostwinden schützte. Ein großer Mittelbau wurde von zwei kürzeren Seitenflügeln flankiert, und alle Dächer waren mit grauem Schiefer gedeckt. Die Wände des Schlosses leuchteten in einem sanften Gelb, und die Fensterläden hatte man mit einem Zackenmuster in Grün und Rot bemalt.
Wer hier wohnte, besaß Macht, fuhr es Klara durch den Kopf. Da streifte ihr Blick den erhöhten Mittelteil des Hauptflügels. Die Fahne wehte auf Halbmast und zeigte an, dass es einen Trauerfall oder ein anderes Unglück gegeben haben musste.
Beklommen ging Klara weiter und erreichte kurze Zeit später den mit feinem Kies bestreuten Vorplatz. Nun konnte sie erkennen, dass etwas abseits des Schlosses Wirtschaftsgebäude und Ställe standen. Doch weder hier noch dort waren Leute zu sehen.
»Hoffentlich ist hier nicht die Pest ausgebrochen«, sagte Martha in einem Ton, als würde sie am liebsten kehrtmachen und im Wald übernachten.
»Ich will es nicht hoffen!« Klara sah kurz zum Haupteingang des Schlosses über der breiten, zweiteiligen Freitreppe hoch.
Dort durfte sie nicht einfach hochsteigen und anklopfen, sonst würde sie mit Schimpf und Schande davongejagt. Doch wo befand sich der Eingang für ihresgleichen? Sie ging um den Hauptflügel herum und entdeckte im rechten Seitenflügel eine Tür. Mehrmals atmete sie tief durch, um die Beklemmung zu überwinden, die sie angesichts der unheimlichen Stille erfasst hatte. Als sie gegen die Tür pochte, rührte sich nichts.
»Das Schloss kann doch nicht ausgestorben sein«, murmelte sie, wartete noch ein wenig und klopfte erneut. Kurz darauf verrieten Geräusche, dass sich jemand näherte. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, und sie sah ein Gesicht vor sich, das im Dunkel des Flurs kaum zu erkennen war.
»Was willst du hier?«, fragte eine Frauenstimme ungehalten.
»Ich bin die Wanderapothekerin Klara Schneidt aus Königsee«, stellte Klara sich vor und erklärte, dass sie mit den Arzneien des Laboranten Just unterwegs sei.
»Just?« Die Frau schien nachzudenken. »War das nicht all die Jahre ein Mann mittleren Alters und im letzten Jahr ein junger Bursche? Der hat mir das Kraut ausgeschüttet, sage ich dir. Wollte auf dem Rückweg noch einmal vorbeikommen und mir etwas bringen, hat sich aber nicht mehr sehen lassen!«
Es sah so aus, als wollte die Frau ihr die Tür vor der Nase zuschlagen. Deshalb hob Klara bittend die Hände. »Das war mein Bruder! Er ist von seiner Wanderung nicht zurückgekehrt, und wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.«
Nun stutzte die Frau. »Er ist verschwunden, sagst du?«
»Ja! Ein Jahr zuvor ist mein Vater verschollen und im letzten Jahr mein Bruder. Jetzt trage ich die Arzneien aus, bis mein kleiner Bruder diese Pflicht übernehmen kann.«
Die Bitterkeit in Klaras Worten rührte die Frau, und sie öffnete die Tür. »Komm herein! Wir werden uns später unterhalten. Jetzt muss ich mich um die junge Herrin kümmern. Sie ist schwanger und schwerkrank. Wenn sie ebenfalls stirbt – wie ihr Gemahl und ihre Schwiegereltern –, wird Baron Ludwig von Triberg der neue Herr hier. Dann gnade uns allen Gott!«
Verwundert über den seltsamen Empfang, trat Klara ein. Martha folgte ihr und sah sich einem kritischen Blick der fremden Frau ausgesetzt.
»Wer ist das?«, fragte diese.
»Meine Helferin!« Klara lächelte unsicher, denn im Allgemeinen zogen die Königseer Wanderapotheker allein durch das Land.
Die Fremde gab sich jedoch mit ihrer Erklärung zufrieden. »Kommt mit!«, befahl sie und schritt ihnen voraus.
Klara und Martha brauchten geraume Zeit, bis sich ihre Augen an die Düsternis im Inneren gewöhnt hatten. Martha bezahlte es damit, dass sie sich das Schienbein an einer herumstehenden Truhe anstieß.
»Aua!«, stöhnte sie und funkelte die Frau empört an.
»Ihr müsst euch hinter mir halten«, antwortete diese ungerührt.
»Ein bisschen Licht hättet ihr hier schon machen können«, beschwerte Klara sich.
»Uns ist nicht nach Licht und Helligkeit zumute! In diesem Haus ist der Tod ein steter Gast. Sollen wir ihm etwa seinen Weg erleuchten, damit er seine Opfer rascher findet?«
»Ist hier eine Seuche ausgebrochen?«, fragte Klara erschrocken.
»Keine Seuche, die unsereins trifft. Sie rafft nur die Hochwohlgeborenen hin, zuerst den alten Herrn, dann die alte Gräfin und den jungen Herrn. Nun ringt dessen Gemahlin mit dem Tod! Ich hatte so gehofft, dein Bruder würde die geweihte Kerze bringen, um die ich ihn gebeten hatte, doch er ist nicht zurückgekehrt. Wahrscheinlich ist Baron Triberg an seinem Verschwinden schuld. Von diesem stammt gewiss auch das Gift, das die Familie der Reichsgrafen auf Waldstein einen nach dem anderen ausrottet.«
»Bei Gott, das wäre schrecklich!«, stieß Klara aus. »Ich hatte die Hoffnung, Gerold wäre von Soldatenwerbern in ein Regiment gepresst worden.«
»Auch das kann Triberg veranlasst haben. Er ist ein entfernter Vetter der Familie und nun der nächste Erbe.« Die Bedienstete blies die Luft scharf durch die Nase und wandte sich den beiden jungen Frauen zu.
»Wahrscheinlich hat er auch den ältesten Sohn des Grafen umgebracht, ebenso einen anderen Neffen und dessen Tochter. Die sind vor drei Jahren ums Leben gekommen. Im letzten Jahr begann dann das Sterben hier bei uns.«
Klara sah die Frau entsetzt an. »Konnte man denn überhaupt nichts tun?«
»Wie will man etwas beweisen, das sich nicht beweisen lässt? Baron Triberg hat dieses Schloss das letzte Mal vor fünf Jahren betreten und wurde damals von unserem Herrn zum Teufel gejagt. Waldstein hat ihm auch verboten, weiterhin den gräflichen Titel zu verwenden, und so musste der Mann den geringeren Titel des Barons Triberg annehmen, den seine Mutter ihm vererbt hat.«
In der Stimme der Frau klang ein Hass auf, der Klara erschreckte. Am liebsten wäre sie umgedreht und in die Nacht hineingegangen. Doch wenn sie das tat, würde wohl keiner von Rumold Justs Wanderapothekern mehr seine Arzneien in diesem Landstrich verkaufen dürfen. Aus dem Grund biss sie die Zähne zusammen und folgte der Frau in einen Raum im hintersten Teil des Seitenflügels.
»Hier könnt ihr übernachten. Essen bekommt ihr in der Küche. Wagt es aber ja nicht, den Haupttrakt des Schlosses zu betreten. Das ist keinem erlaubt bis auf jenen, denen wir voll und ganz vertrauen können.«
»Das verstehe ich«, sagte Klara.
Martha nickte verschüchtert. Auch sie hatte keine Lust, hier anzuecken. Ihre Führerin hörte sich nämlich ganz so an, als würde sie sie von den Hunden zerreißen lassen, wenn sie dieses Gebot übertraten.
Kaum waren sie allein, eilte Martha zum Fenster, öffnete es und stieß die Fensterläden auf. »Ich brauche frische Luft«, stöhnte sie.
Klara nickte. In diesem Raum war es noch dunkler und stickiger gewesen als auf den Gängen, aber im Licht des hellen Tages wirkte er sogar heimelig. Die Kammer war größer, als sie angenommen hatte, und verfügte über ein breites Bett, das mit zwei, allerdings muffig riechenden Strohsäcken ausgestattet war. Darüber hinaus gab es einen bemalten Schrank in der Ecke, zwei einfache Schemel und einen kleinen Klapptisch, der schmal wie ein Brett an der Wand stand.
Weder Klara noch Martha wagten es, den Tisch aufzustellen. Klara war einfach nur froh, ihr Reff absetzen zu können, und stellte es neben den Tisch. Dann sah sie sich zu Martha um.
»Wir sollten zusehen, dass wir an Wasser kommen. Ich muss trinken und würde mir gerne den Schweiß abwaschen. Auch sind meine Hände nicht gerade sauber.«
»Die meinen auch nicht!« Martha trat zur Tür und öffnete sie.
Eine junge Frau kam vorbei, blieb stehen und funkelte sie böse an. »Was willst du denn hier?«
»Man hat uns hierhergeführt«, antwortete Martha.
»Wer?«
»Den Namen weiß ich nicht. Es war eine Frau mittleren Alters in einem schwarzen Kleid und einer grauen Schürze.«
»Dann war es die Mamsell. Das wundert mich, denn sonst weist sie alle ab, die hierherkommen!« Die junge Frau klang immer noch misstrauisch.
»Wir sind Wanderapothekerinnen«, erklärte Martha zuvorkommend. »Wahrscheinlich hat uns die Mamsell deshalb eingelassen.«