Katja Brandis
Drachendetektiv Schuppe
Chaos im Zauberwald
Mit Bildern von Fréderic Bertrand
FISCHER E-Books
Katja Brandis, geboren 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat zahlreiche Geschichten, Romane und Sachbücher für junge Leserinnen und Leser veröffentlicht, darunter die Bestsellerserien »Woodwalkers« und »Seawalkers«. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.
www.katja-brandis.de
Fréderic Bertrand studierte Illustration, Trickfilm, Monsterologie und Getränkewissenschaften an der HfK Bremen. Nun lebt er schon lange in Berlin und werkelt in seinem Labor an Kinderbüchern oder poliert nachts seine Schuppensammlung.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2022, Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstrasse 114, D-60385 Frankfurt am Main
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München)
Covergestaltung und -abbildung: Fréderic Bertrand
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0423-3
Für Christian und Robin
Drache Schuppe mochte seine Wohnung und Detektivzentrale sehr. Irgendwann hatten Zwerge die Höhle mal aus dem riesigen Felsen am Stadtrand von Wurmstedt gehämmert, warum auch immer. So was machten sie ständig, und dann zogen sie weiter.
Seit Schuppe in der Höhle wohnte, war sie seine Detektivzentrale. Am liebsten mochte er daran den Minivulkan im Wohnzimmer. Der heizte die Höhle und lieferte heißes Wasser für Schuppes geliebte Schaumbäder. Ungefähr zweimal am Tag brach der Vulkan aus, so dass Schuppe über dem frisch gefüllten Lavabecken kochen konnte.
Sehr praktisch war außerdem, dass man sämtlichen Müll in den Vulkan werfen konnte. Das stank nur manchmal ein bisschen. Durch ein Ofenrohr konnte der Rauch nach oben abziehen. Ein weiterer Nachteil des Vulkans war, dass er ab und zu Steinbröckchen oder Asche herausschleuderte, aber die konnte man ja auffegen.
Leider hatte die Höhle noch andere Nachteile. Das Fenster war nur ein Loch im Felsen und ließ sich deswegen nicht zumachen. Hin und wieder kamen ungebetene Gäste.
»Schleimbatz!«, brummte Schuppe. Er hatte zu spät gemerkt, dass sich ein Kobold in sein Zuhause eingeschlichen hatte. Und nun turnte das haarige kleine Biest durch die Detektivzentrale, nahm einen Schluck von seiner Lavalimo und rülpste mit erstauntem Blick Rauchwölkchen aus. Zum Glück hatte Schuppe wenigstens schon die Kürbischips mit Käse aufgegessen.
Schuppe watschelte hinter dem Kobold her und versuchte, ihn zu packen. Keine Chance. Der zeigte ihm nur die kleinen, spitzen Zähnchen, kletterte ins Regal und schnappte sich Schuppes Detektivlupe.
»Nicht die Lupe!«, ächzte Schuppe.
Erst betrachtete der Kobold mit dem Ding fasziniert seine Zehen. Dann probierte er aus, ob man es fressen konnte.
Im Anschleichen war Schuppe nie besonders gut gewesen. Diesmal versuchte er, sich hinter der großen, steinernen Tischplatte zu verstecken. Doch der Kobold bemerkte ihn schon nach dem dritten Schritt. Kichernd ließ er das Vergrößerungsglas fallen, mit einem Platsch landete es in Schuppes frisch gekochter Warzenkürbis-Suppe.
Schuppe sprang vor. Gleichzeitig hüpfte der Kobold hoch, schlang die Ärmchen um eine Lampe und begann daran herumzuschaukeln.
»Schwing deinen Hintern da runter und verzieh dich«, forderte Schuppe ihn auf.
Er hätte genauso gut eine sprechende Staubfluse sein können. Der Kobold schaukelte noch heftiger, bis die Lampe herunterkrachte. Mit Schwung landete das kleine Biest auf dem Regal und warf dort Bücher herunter.
Zum Glück kam nun Unterstützung.
»Brauchste Hilfe, Chef?«, fragte sein Freund und Kollege Grauwacke und lugte durch die halb offene Holztür. Sein zerknautschtes Katergesicht sah aus, als hätte er eine harte Nacht gehabt. Außerdem hatte er wieder mal vergessen, sein grau-schwarz getigertes Fell zu bürsten. Aber egal.
»Gut, dass du da bist!«, rief Schuppe. »Fang das Vieh, schnell!«
»Klar doch.« Mit einem gewagten Sprung folgte Grauwacke dem Kobold aufs Regal und begann ihn zu jagen. Fläschchen mit Geheimtinte und Beutel für die Spurensicherung flogen nach rechts und links. Auch ein Glas mit diesen superleckeren eingelegten Purpurschnecken, die Schuppe mal als Dankeschön für einen erfolgreich gelösten Fall bekommen hatte, segelte durch die Luft. Es zerschellte auf dem Fußboden zu einer violetten Pfütze.
Außerdem kippte Schuppes Siegerurkunde vom 3. Wurmstedter Rätselmarathon vom Regal und flatterte davon. Genau in Richtung des Minivulkans!
»Neeein«, schrie Schuppe und stieß Rauchwölkchen mit ein paar Funken aus. Das passierte ihm manchmal, wenn er aufgeregt war.
Die Urkunde trudelte auf den Krater zu.
Zum Glück war Grauwacke schnell. Seine Pfote schoss vor. Präzise hakten sich seine Krallen in das gegerbte Baumblatt, obwohl die Flammen schon daran hoch leckten. »Hab sie«, versicherte sein Freund zufrieden.
Mit einem Wuusch loderte die Urkunde auf. Fauchend sprang Grauwacke zurück und landete dabei auf seinem Widersacher. Einen Moment lang sah Schuppe nur ein kreischendes Knäuel aus Kater, Kobold und Urkunde. Dann floh der Kobold mit brennenden Rückenhaaren aus dem Fenster in den Garten.
Von der Urkunde war nur noch Asche übrig. Na ja, egal, der nächste Rätselmarathon war schon im Sommer.
Nachdem Schuppe seinen leicht angesengten Freund gelöscht hatte, schnaubte er: »Wir gehen noch heute los, um eine Koboldfalle zu kaufen!«
Er fischte seine Lupe aus dem Topf und verputzte die restliche Suppe. Natürlich nicht das, was auf den Boden gespritzt war. Das schleckte Grauwacke weg. Er wohnte schließlich auch in der Höhle und hatte keine Lust auf klebrige Pfoten. Leider mochte er keine Purpurschnecken – die würde Schuppe nachher noch aufwischen müssen.
Schuppe schnallte seinen Mäuseleder-Gürtel um, den sein Freund und Kollege ihm mal geschenkt hatte. Dann machten sie sich zu zweit auf den Weg zum besten Kramladen von Wurmstedt. Na gut, man konnte darüber streiten, ob er wirklich der beste war, jedenfalls war er der einzige. Es gab dort Schuppenpolitur für Drachen, schwarze Schmusedecken für Vampire, Fläschchen mit Fledermausspucke (die half angeblich bei Durchfall), Rostentferner für Zwergenrüstungen und vieles mehr.
Weil die Besitzerin des Ladens – Hexe Gunilla – erst in fünf Minuten öffnen würde, gab es schon eine Schlange vor dem Eingang. Unter den Wartenden war ein schlecht gelaunter Zwerg, der Schuppe nur bis zum Bauch ging, ein Zauberer … und zwei Einhörner, eine weiße Stute mit einem hellblauen Fohlen. Schuppe hatte die Stute schon einmal gesehen, sie war Lehrerin und hatte irgendeinen Pflanzennamen. Brennnessel? Nein, garantiert nicht. Tulpe? Nein, aber so ähnlich.
»Entschuldigen Sie«, sagte Schuppe und deutete auf das Schild an der Ladentür, das einen roten Kreis mit einem durchgestrichenen Einhorn zeigte. »Aber ich fürchte, Sie dürfen da nicht rein.«
Gunilla hatte das Schild besorgt, nachdem wieder einmal eins der Einhörner versehentlich mit dem Horn ein Regal abgeräumt hatte. Und zwar nicht irgendeins, sondern das mit den Souvenir-Trinkkrügen mit dem Stadtwappen, einem Drachen, der einen goldenen Wurm in den Klauen hielt.
»Ach!« Das Einhorn seufzte. Schuppe fiel auf, dass es leicht nach Pfefferminz duftete. »Ich hatte gehofft, Gunilla würde eine Ausnahme machen. Mein Kleiner hat sich so sehr Kleekekse gewünscht als Trost.«
»Trost wofür?«, fragte Grauwacke. Manchmal hatte er ein mitfühlendes Herz. Oft tat er aber auch nur so.
»Heute ist schon wieder einer dieser Müllhaufen im Zauberwald aufgetaucht. Aus dem Nichts! Richtig scheußlich, oder, Wölkchen?«
Das hellblaue Fohlen nickte und wirkte schon wieder traurig. Schuppe sah ein, dass der Kleine dringend etwas Süßes brauchte.
»Moment«, sagte er, weil der Laden gerade öffnete. Schuppe wünschte Gunilla einen magischen Morgen und kaufte für zwei Silberlinge eine Packung Kleekekse. Es lohnte sich: Das Fohlen wieherte vor Freude, als Schuppe ihm die Dinger gab.
»Oh, das ist aber nett. Sie sind dieser bekannte Detektiv, oder?«, fragte die weiße Stute, während ihr Fohlen mit seinem erst handlangen Horn versuchte, die Kekspackung aufzureißen. »Mein Name ist Krokus. Sagen Sie, könnte ich Sie vielleicht anheuern?«
»Erzählen Sie mir mehr über diesen Müllhaufen«, sagte Schuppe. Er übernahm Fälle nur, wenn sie ihn reizten, und bei diesem war er noch nicht sicher.
»Es ist wirklich eigenartig«, erzählte Krokus und schüttelte ihre Mähne, so dass die hineingeflochtenen silbernen Glöckchen erklangen. »Er erscheint über Nacht in unserem Zauberwald. Wir räumen ihn weg, aber am nächsten Morgen ist er wieder da. Nie haben wir jemanden gesehen, der den Dreck dort ablädt.«
Schuppe und Grauwacke warfen sich einen zufriedenen Blick zu. Das war schön mysteriös, also genau richtig für ihr Detektivteam. »Ich helfe Ihnen gerne damit«, versicherte Schuppe dem Einhorn.
»Oh, danke, danke! Sie finden den Haufen im westlichen Zauberwald, dritter Silbernussbaum rechts, gleich neben dem Teich. Sie trauen sich doch in den Zauberwald, oder?«
»Ja, ja, natürlich«, versicherte Schuppe.
Dankbar schaute die Stute ihn an. Dann blickte sie zu Wölkchen hinunter, der schon einen ganzen Haufen zerkrümelter Kekse verputzt hatte. »So, das waren wirklich genug Süßigkeiten. Jetzt wird wieder geübt. Wie viel ist drei plus drei?«
Das Fohlen überlegte angestrengt. »Dreiunddreißig?«, fragte es.
»Denk noch mal nach«, mahnte es seine Mutter.
»Dreizehn?«
»Nein, mein Schatz. Du musst dir vorstellen, dass du drei Zaubernüsse nimmst und dann noch drei dazutust …« Ihre Stimmen verklangen in der Entfernung, als die beiden davontrabten. Eine glitzernde Spur blieb dort zurück, wo ihre Hufe die Erde berührt hatten.
Erst als Schuppe fast wieder in seiner Höhle angekommen war, fiel ihm auf, dass Grauwacke und er vergessen hatten, die Koboldfalle zu kaufen. Schleimbatz!
Schuppe und Grauwacke hatten Glück, der Kobold war nicht zurückgekommen. Also konnten sie sich gleich dem neuen Auftrag widmen. »Als Erstes müssen wir Jessamy Bescheid sagen, dass es was zu tun gibt«, entschied Schuppe.
Jessamy war das sportlichste Mitglied ihres Detektivteams, sie war eine Elfe und lebte in der Elfensiedlung etwas außerhalb. Deshalb schaute Schuppe hoch zu den Fledermäusen, die in einem Winkel der Höhle pennten. Mit den weißen konnte man jemandem tagsüber eine Nachricht schicken und mit den schwarzen bei Nacht. Nur leider waren die weißen gerade aus.
Grauwacke seufzte. »Hätten wir auch gleich im Laden besorgen können. Soll ich noch mal zurücklaufen?«
»Ach, das geht schon.« Schuppe schrieb eine Nachricht (Dringendes Treffen heute um drei Uhr bei mir! Bring deine Schleuder mit. Schuppe) und kitzelte eine der schwarzen Fledermäuse unter den Flügeln. Sie gähnte, klappte ein Auge auf und schaute ihn vorwurfsvoll an.
»Los, los, es gibt Arbeit«, sagte Schuppe und winkte mit einer kandierten Fliege.
Die Laune der Fledermaus verbesserte sich schlagartig. Als sie die Fliege verputzt hatte und halbwegs wach war, nahm sie Schuppes Nachricht in die Krallen und flatterte los.
Erst um halb vier flog die Tür auf, und eine Elfe, die Kampfstiefel trug, stürmte in die Detektivzentrale. Jessamy hatte unternehmungslustig blitzende grüne Augen, lange schwarze Haare und feine, schillernde Flügel. Auf ihrem Hut wippte eine bunte Feder, und um ihren Hals trug sie ihren Glücksbringer, einen sternförmigen Smaragd.
Der