Kate Lynn Mason
Heartbreaker –
Für immer nur du
New Adult Romance
Knaur e-books
Kate Lynn Mason ist die andere Seite der Liebesromanautorin Kate Sunday, die seit 2012 ihre Leser mit gefühlvollen, romantischen Liebesgeschichten verzaubert. Kate Lynn Mason schreibt prickelnd-erotische, sexy Romance sowie New Adult. Geboren in Köln und aufgewachsen in Süddeutschland, lebt Kate heute mit ihrer Familie an der Bergstraße. Ein Teil ihres Herzens ist bei diversen Aufenthalten in Australien und den USA geblieben. Sie liebt Pizza, Katzen und Sonnenuntergänge und träumt von einem rosenumrankten Cottage an einer wildromantischen Meeresküste.
Die Autorin ist Mitglied bei Delia, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautoren.
© 2017 der e-Book-Ausgabe Feelings – emotional eBooks
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Dorothea Kenneweg
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic®, München
ISBN 978-3-426-44324-8
Für Omi in Liebe
Unmöglich. Vergiss es.« Ich spürte, wie mein Herz hektisch klopfte. Als könnte ich so die aufsteigende Panik vertreiben, umklammerte ich mein Smartphone fester.
»Ashley, du musst nach Foxwood kommen, hörst du? Dad und ich brauchen dich hier«, wiederholte meine Zwillingsschwester Skye, als sei ich ein Kleinkind, mit dem man besonders langsam und deutlich sprechen musste.
Ich stand am Fenster meines Dubliner WG-Zimmers, verfolgte die glitzernde Spur eines Regentropfens an der Glasscheibe und beobachtete, wie er sich nach kurzem Zögern mit einem anderen Tropfen vermischte und anschließend zum Fenstersims strebte.
»Es geht Dad zwar schon wieder besser, aber der Doc sagt, auch wenn es nur ein leichter Herzinfarkt war, muss er sich unbedingt schonen«, fuhr Skye fort. »Bitte komm nach Hause.«
Nach Hause. Zu viele schmerzliche Erinnerungen. Ich presste eine Hand gegen meine Brust, um den Druck zu mindern, der mir die Luft abschnürte. Ich hatte mir geschworen, niemals mehr dorthin zurückzukehren. Vor drei Jahren war ich aus Roundstone, diesem beschaulichen Nest an der Südwestküste von Connemara, abgehauen. Aus gutem Grund. Dads Bild drängte sich mir auf. Die glitzernde Wut in seinen hellen Augen und das Entsetzen, als er mich betrachtet hatte, als sei ich ein verabscheuungswürdiger Alien und nicht das Kind, das er aufgezogen hatte. Die Kälte in seiner Stimme, die mir Eisschauer über den Rücken gejagt hatte. Diese schreckliche Verzweiflung, diese Einsamkeit, die ich gefühlt hatte, nachdem mein Leben sich in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte. Trotzdem sehnte ich mich nach Foxwood Cottage. Nach Skye, nach Máire. Nach meinem Heimatort. Trotz allem.
Zu Hause, das war der ewige Gesang des Atlantikwinds. Zu Hause, das waren die malerischen Häuserzeilen von Roundstone am Fuß des Errisbeg Mountains. Der kleine, verträumte Hafen. Unser Haus mit dem Blick über die Bertraghboy Bay bis hin zu den Bergen von Connemara.
Und Logan Savage. Der Kerl, den ich hasste.
»Ashley, bitte. Sei nicht so stur. Máire und ich können unmöglich die ganze Arbeit im B&B allein stemmen. Zwar geht uns –«
»Nein, Skye. Nein.« Ich wandte mich vom Fenster ab, ließ mich auf den Drehstuhl an meinem Schreibtisch sinken und versuchte verzweifelt, das Bild, das sich in meinem Kopf formte, zu verscheuchen. Logans kräftige Hände auf meinen Schultern. Seine Lippen, warm, weich und voll, an meinem Ohr. Seine muskulösen Arme, die mich gefangen halten, und das Funkeln der Sterne, die Lichtreflexe im Moon River aufblitzen lassen. Dann dachte ich an seine verdammte Lüge. Die unsere Zukunft zerstört hatte. Von einem Tag auf den anderen war mein Leben wie ein Kartenhaus eingestürzt. Das Bild verpuffte.
»Nein. Ich kann nicht nach Hause.« Roundstone war für mich gestorben. Genau wie Logan Savage.
»Was meinst du mit nein, Ashley? Ich weiß, Dad und du, ihr habt euch damals im Streit getrennt, aber wird es nicht langsam Zeit für dich, den alten Groll beiseitezuschieben?«
Ha! Wenn meine Schwester auch nur die geringste Ahnung hätte. Hier ging es nicht nur um Dad. Es ging um mehr, sehr viel mehr. Um mein altes Leben, meine Träume. Meine schönen Träume, die ein einziger, verfluchter Moment unwiderruflich zerstört hatte. Aber so war es mit Skye schon immer gewesen. Was sie nicht sehen wollte, das sah sie nicht. Wenn sie etwas beunruhigte, ignorierte sie es. Die süße, sanfte Skye. Meine Zwillingsschwester. Sie war Dads Liebling. Seine Prinzessin. Warum auch nicht? Sie war nicht diejenige, die unsere Mam auf dem Gewissen hatte. Scheiße. Ich verdrängte das Gefühl des hilflosen Zorns, das sich in mir wie eine Welle auftürmte, und zerknüllte die leere Chipstüte auf dem Tisch vor mir mit der freien Hand. »Hör zu, Skye. Es tut mir leid, dass es Dad schlecht geht. Aber es … Ich kann nicht kommen.« Ich konzentrierte mich auf den Anblick meiner angeknabberten Fingernägel. Ich sollte endlich mal damit aufhören. So würde ich nie einen Mann abbekommen. Nicht dass ich sonderlich scharf darauf gewesen wäre. Seit der Sache mit Logan hatte es mit keinem Kerl geklappt. Es fiel mir schwer zu vertrauen. Und die Typen hatten keine Geduld, darauf zu warten, bis ich meine Gefühle sortiert hatte.
»Ashley Leona Brennan, du hörst mir jetzt genau zu.« Skyes Stimme verjagte meine schwermütigen Überlegungen. »Dad geht es nicht gut. Er braucht jetzt seine Familie, damit er wieder gesund werden kann. Also schwing deinen Arsch gefälligst hierher und hör mit deinen Ausreden auf.«
Wow. So resolut hatte meine Schwester noch nie geklungen. »Dad schert es einen Dreck, ob ich da bin oder nicht.« Ein letzter Versuch.
»Da irrst du dich.« Skyes Stimme klang unvermittelt sanft. »Dad leidet darunter, dass du einfach so gegangen bist. Er gibt es nicht zu, aber ich weiß es. Komm nach Hause. Ich vermisse dich so. Komm heim, Ash.«
Tränen stiegen mir in die Augen, als ich das alte Kosewort aus dem Mund meiner Schwester hörte. Meine Kehle brannte. »Ich bin nicht einfach so gegangen«, sagte ich leise. Mein Herz war in tausend Splitter zerborsten, als ich nach der verhängnisvollen Nacht meine Siebensachen gepackt hatte und nach Dublin geflüchtet war. Niemand hatte gewusst, dass ich fuhr, niemand hatte geahnt, dass ich vorgehabt hatte, für immer zu gehen. Nur meine beste Freundin Tara hatte ich per SMS informiert. Aber Tara hatte ihr Versprechen gehalten und Dad erst verraten, wo ich war, nachdem ich in Dublin Fuß gefasst hatte. Es hatte mein Herz gebrochen, Skye zu verlassen. Skye wusste das, denn ich hatte es ihr seitdem ungefähr eine Million Mal gesagt.
Sie hakte nicht nach, und ich war froh drum. Jetzt am Telefon war weder die Zeit noch der Ort, das alte Drama aufzurollen. Ich seufzte schwer. »Okay. Du hast gewonnen. Ich komme. Aber nur so lange, bis es Dad wieder besser geht, verstehst du?«
»Ich verstehe absolut«, erwiderte Skye und ich konnte das leise Lächeln in ihrer Stimme hören.
»Skye«, begann ich, »es ist nicht so, dass ich –« Tief Luft holend brach ich ab und warf die Chipstüte in den Papierkorb zu meinen Füßen. Meine Gefühle waren so komplex, so verworren, dass ich sie nicht in Worte fassen konnte. »Ich melde mich, wenn ich unterwegs bin.« Energisch drückte ich das Gespräch weg. Skye, meine herzensgute Schwester Skye, würde vermutlich nie verstehen, wie intensiv meine Beziehung zu Logan gewesen war. Wie unendlich groß mein Schmerz, nachdem er mit seiner dummen Lüge alles zerstört hatte. Skye hatte nur ein einziges Mal in ihrem Leben unter Liebeskummer gelitten. Abgesehen vom Tod unserer Mam hatte sie nie schlimme Dinge erlebt. Ich dagegen – ich zog das Unglück scheinbar förmlich an. Die düsteren Gedanken wegschiebend sprang ich auf und trat wieder ans Fenster. Ich lehnte meine Stirn gegen das kühle Glas und starrte hinaus. Die Backsteinhäuser am Ende der Cumberland Road verschwanden hinter einer trüben Wand aus Regen und Nebel. Doch an den Birkenbäumchen vor meinem mehrgeschossigen Studentenwohnheim spross das erste hoffnungsvolle Grün. Ich liebte den Frühling in Irland, wenn die Tage angenehm warm und die Nächte kühl waren, wenn süßer Blütenduft durch die Luft schwebte und überall frisches sattes Grün sprießte. Ich dachte an die blühenden Brombeerhecken auf Foxwood, wie wir als Kinder durch ihre Reihen gestreift waren und von den süß-sauren Früchten genascht hatten, bis uns die Bäuche wehgetan hatten. Ich dachte daran, wie Logan und ich uns kichernd und flüsternd zum alten Weidenbaum geschlichen hatten. An den fantastischen Sex, den wir unter den tief hängenden Zweigen im taunassen Gras gehabt hatten. Verdammt, Logan, du Arsch. Du hast mein Leben zerstört. Ich hoffte inständig, er würde mir nicht unter die Augen treten, wenn ich wieder zurück in Roundstone war. Denn wenn das passieren würde, wüsste ich nicht, wie ich reagieren würde. Noch immer schnürte es mir die Kehle enger. Heiße Wut wallte in mir auf, wenn ich an Logan Savage dachte.
Meistens gelang es mir, seinen Namen aus meinem Bewusstsein zu verbannen. Vor drei Jahren hatte ich beschlossen, meiner Vergangenheit den Rücken zu kehren. Mein Leben fand jetzt hier statt, in Dublin. Hier studierte ich Kunstgeschichte an der DCU und teilte mir ein winziges Zwei-Zimmer-Apartment mit einer Psychologiestudentin und einem Meerschweinchen, das auf den Namen Howard Wolowitz hörte. Unschwer zu erraten, dass meine Mitbewohnerin und ich beide Riesenfans von The Big Bang Theory waren, wobei ich fairerweise sagen muss, dass Howard Beth gehörte. Das war’s dann aber auch, was unsere Gemeinsamkeiten betraf. Meist gingen wir uns aus dem Weg, was nicht immer ganz einfach war, angesichts dieses Hasenstalls von Studentenbude, in der wir hausten. Aber Beth zahlte den Löwenanteil der Miete, ich kümmerte mich dafür um den Einkauf und putzte das Bad. (Eine Tätigkeit, die Beth für verabscheuungswürdig hielt). Insofern funktionierte es ganz gut mit uns. Kerle brachten wir niemals mit. Beth hatte einen Verlobten, der in New York Rechtswissenschaften studierte und mit dem sie regelmäßig skypte. In den Semesterferien besuchte sie ihn. Und ich? Ich könnte jetzt behaupten, dass ich seit meiner Beziehung zu Logan keinen Sex mehr gehabt hätte, aber das wäre gelogen. Ich war eine gesunde junge Frau und hatte Bedürfnisse. Im letzten Semester hatte ich Rick kennengelernt. Rick war Schotte und hatte vergeblich versucht, mir seine Vorliebe für Haggis näherzubringen. Er spielte Saxophon und studierte Musik. Rick war immer gut drauf, rotblond und athletisch, ein richtiger Sonnenschein. Der Sex mit ihm machte Spaß, aber es fehlte die Leidenschaft. Das Dunkle, Gefährliche. Das Prickeln. So, wie es mit Logan gewesen war. Ich seufzte leise auf, als ich an den göttlichen Sex mit Logan dachte. Wir waren wie zwei Magnete gewesen, die einander anzogen. Wir hatten die Hände nicht voneinander lassen können. Der Mistkerl hatte mich für alle Zeiten verdorben. Würde ich jemals wieder bei einem Mann dasselbe fühlen können wie bei Logan Savage?
Drei Tage später tuckerte mein altersschwacher Ford über die steinerne Brücke, die sich über einen Seitenarm des Ballynahinch Rivers spannte. Aus einer Laune heraus hatten Logan und ich das Flüsschen in einer besonderen Nacht Moon River getauft. In seinem von geduckten Büschen und leuchtend gelbem Mauerpfeffer gesäumten Bett gurgelte er über Steine und schroffe Felsbrocken. Ich genoss diesen friedvollen Anblick, der in krassem Gegensatz zu der lärmenden Geschäftigkeit Dublins stand. Heimat. Hier in Connemara, dem wilden Herzen Irlands, war ich geboren worden. Ich war mit der rauen, vom Wind geprägten Landschaft zwischen Bergen und Atlantik verwurzelt. Und dennoch hatte ich niemals mehr zurückkommen wollen. Ich schob mir einen Kaugummi in den Mund, bemühte mich, die aufsteigende Beklemmung zu verdrängen. Erinnerungen stiegen in mir auf. Wie kleine Luftbläschen im Wasser, die an die Oberfläche strebten. Logan und ich hatten uns im letzten Schuljahr mit Freunden hier regelmäßig zum Baden getroffen. Manchmal waren es auch nur Logan und ich gewesen. Ich dachte an die Küsse, die wir im Mondlicht ausgetauscht hatten. Wie Logan anschließend lachend ins funkelnde Wasser gerannt war, das auf seinem nackten Körper wie flüssiges Silber geglänzt hatte. Zwischen meinen Beinen prickelte es, ein sehnsüchtiges Ziehen durchfuhr meinen Schoß. Shit, allein der Gedanke an diesen Mistkerl machte mich heiß. Ich würde einen großen Bogen um unseren Lieblingsplatz am Moon River machen. Auch Roundstone würde ich meiden, vor allem die Hauptstraße am Ende des Orts, wo das Haus der McNamaras stand, in dem Logan zuletzt gewohnt hatte. Ebenso seinen Lieblingspub, das Ryan’s, wo er üblicherweise mit seinem Kumpel Zach abhing. Ein Stich durchfuhr mich, als ich daran dachte, wie Logan einmal einen albernen Blechring aus dem Kaugummiautomaten vor dem benachbarten Postlädchen gezogen hatte. Feierlich hatte er ihn mir über den linken Ringfinger gestreift und mir ins Ohr geflüstert: Sollte ich jemals heiraten, dann bist du die eine. Scheißkerl. Seine Worte hatten sich in mein Herz eingebrannt, ich hatte sie gehütet wie einen Schatz. Du warst für mich auch der Eine, Logan. Bevor du mich verraten hast. Ich hatte keine Ahnung, ob er überhaupt noch in Roundstone wohnte oder inzwischen nach Galway verschwunden war, wie er es ursprünglich geplant hatte. Eigentlich hatten wir beide dort studieren wollen. Zusammen. Irgendetwas in meinem Inneren zog sich schmerzhaft zusammen. Nie wieder in meinem Leben wollte ich Logan Savage begegnen. Entschieden schloss ich meine Hände fester um das Lenkrad und folgte der schmalen gewundenen Landstraße, die mich nach Hause brachte.
Ich setzte den Blinker, um in die abzweigende Schotterpiste einzubiegen, und musste unvermittelt hart auf die Bremse treten. Gerade noch rechtzeitig. Puh. Kopfschüttelnd sah ich zu, wie einige Schafe genüsslich vor mir her spazierten, ihre weißen Popos wackelten unbekümmert vor meiner Motorhaube. Vermutlich gehörten die Ausreißer zu Corey O’Craigs Herde, die nebenan auf dem Hügel graste. Ich drückte ein paar Mal auf die Hupe und wartete, bis sich die Wollknäuel verzogen hatten – in aller Seelenruhe natürlich. Nichts und niemand hatte so sehr die Ruhe weg wie ein irisches Schaf. Endlich konnte ich meine Fahrt fortsetzen, und mein Herz pochte vor Aufregung, als kurz danach mein Blick auf unser Haus fiel. Reetgedeckt und weiß gekalkt mit einem schlanken hohen Schornstein lag es ein wenig abseits vom Ort auf einer Anhöhe. An klaren Tagen konnte man von dort einen Teil der Bucht erkennen, dahinter die rauchgraue Silhouette der Connemara-Berge. Ich sah Handtücher und Bettlaken im Garten neben dem Haus flattern. Es musste kürzlich geregnet haben, denn in der Wiese und auf den Blättern von Pflanzen funkelten Tausende von glitzernden Diamanten. Máire ließ die Wäsche grundsätzlich draußen hängen, egal ob die Sonne schien oder es regnete, weil der Regen in Connemara rein und sauber wie Quellwasser war, wie sie immer behauptete. Der vertraute Anblick trieb mir Tränen in die Augen. Niemals hätte ich gedacht, dass es mich so umhauen würde, wieder hier zu sein. Zum ersten Mal in meinem Leben registrierte ich die idyllische Schönheit dieser kargen Landschaft. Irgendwie schien die Zeit hier stillzustehen, und ich fand es auf einmal atemberaubend schön. Warum hatte ich das nie zuvor so empfunden? Ratternd rumpelte der Ford über das Viehgitter, bevor ich ihn auf dem Kiesplatz vor dem Haus neben einem silbernen Van und unserem alten Pick-up zum Stehen brachte. Ich stellte den Motor ab und lenkte meinen Blick auf die himmelblau angestrichene Haustür und den wilden Rosenstock daneben, der sich wie jedes Frühjahr unter der Last seiner üppigen Blüten bog. Ich war zu Hause. Zögernd öffnete ich die Fahrertür. Mit seltsam wackligen Knien stieg ich aus und zog die Reisetasche vom Beifahrersitz.
»Hey, Schwesterchen!«
Als ich mich umdrehte, sah ich Skye auf mich zu sprinten. Ihr Pferdeschwanz schaukelte fröhlich hin und her. Die Kieselsteinchen unter ihren Sneakers flogen nach allen Seiten. Stürmisch umarmte sie mich.
»Willkommen daheim!«
Ich ließ die Reisetasche auf den Boden fallen, hielt meine Schwester fest und schloss die Augen. Ihr vertrauter Duft von Vanille und Orange, dem Haarshampoo, welches sie seit Urzeiten benutzte, stieg mir in die Nase. Irgendetwas in mir schmolz. Shit, es tat so verdammt gut, Skye wiederzusehen. Drei lange Jahre hatten wir uns nicht gesehen, nur telefoniert, geskypet oder geschrieben. Wobei sie und ich nie mehr ein Wort über jene schwarze, dunkle Nacht verloren hatten. Zu tief saß der Schmerz bei mir.
»Ich hab dich vermisst«, murmelte ich in ihr Haar. Dann löste ich mich von ihr, um sie anzusehen. Sie hatte sich nicht verändert. War immer noch die zarte Elfe, als die ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Sie trug eine hellblaue ärmellose Bluse und Jeansshorts, die ihre schlanken Beine betonten. Sie war zierlich und wirkte jünger als einundzwanzig. Die Leute behaupteten immer, dass Skye und ich uns unheimlich ähnlich sähen. Ich fand das überhaupt nicht. Meine Haare waren kastanienbraun, Skyes schimmerten goldbraun. Ich hätte sonst etwas dafür gegeben, wenn ich den gleichen Porzellanteint wie sie gehabt hätte. Aber nein – das Schicksal hatte beschlossen, dass sich auf meiner Nase mindestens eine Million Sommersprossen tummeln sollten. Glückspünktchen hatte Mam sie immer genannt. Ich verdrängte die Erinnerung an meine Mutter, weil es zu wehtat. Stattdessen konzentrierte ich mich lieber auf Skye. Ich fand meine Schwester viel hübscher als mich. Das Einzige, worauf ich stolz war, waren meine Kurven. Im Gegensatz zu Skye besaß ich Hüften und einen Busen, der zum Ärger meines Dads schon immer die Blicke der Jungs auf sich gezogen hatte. »Ich bin nur dir zuliebe gekommen, damit du es weißt«, sagte ich und löste mich von ihr. Weil ich aus dem Augenwinkel einen Schatten bemerkte, drehte ich den Kopf und erstarrte. Mein Blut gefror zu Eis. Dort drüben, nur ein paar Meter von uns entfernt, stand er. Logan Savage. Der Kerl, der mir das Herz gebrochen hatte. In lässiger Pose an die alte Trockensteinmauer gelehnt, die die mit Wildblumen übersäte Wiese neben dem Haus begrenzte. Die stone-washed Jeans schmiegte sich an seine langen Beine wie eine zweite Haut, das schwarze Nine-Lies-T-Shirt spannte über seinem Brustkorb. Er hielt die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt und fing meinen Blick auf. Nichts in seiner Miene ließ darauf schließen, dass er überrascht war, mich hier zu sehen. Er deutete ein knappes Nicken in meine Richtung an. Wie schon früher begann mein dummes Herz bei seinem Anblick höher zu schlagen. Noch immer sah er aus wie ein Hollywoodstar. Seine Haare könnten einen Haarschnitt vertragen. Die dunkle Locke, die ich ihm stets von der Stirn gestrichen hatte, die espressobraunen Augen mit den verboten langen Wimpern. Ein altbekanntes, verlangendes Kribbeln wuchs in meinem Unterleib, und der Drang, mich Logan an den Hals zu werfen und seine verführerischen Lippen zu küssen. Doch dann fiel mir wieder ein, wie er mich verraten hatte. Mich und unsere Liebe. Wie er gelogen und betrogen und mich eiskalt im Regen stehengelassen hatte. Mein Herzschlag verlangsamte sich und das sehnsuchtsvolle Prickeln wich einer tiefen, unbändigen Wut.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, atmete tief ein und riss mich von Logans Anblick los. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, als ich in Skyes graugrüne Augen starrte. »Was zur Hölle tut er hier, Skye?«, zischte ich leise, damit Logan mich nicht hören konnte. In meinem Inneren tobte ein Sturm, sämtliche Muskeln und Organe vibrierten vor Anspannung. Auch wenn ich nicht zu ihm hinsah, war ich mir Logans Gegenwart so sehr bewusst, dass sich die Härchen auf meinen Armen aufstellten. »Ich hab echt eine Weile gebraucht, um über den Kerl hinwegzukommen, und jetzt taucht er hier auf?« Das war gelogen. Über Logan Savage kam man nicht hinweg.
Skyes Wangen färbten sich pfirsichrot. »Ich muss dir etwas sagen, Ash.« Sie hob eine Hand an ihre Kehle und fingerte an dem Silberkettchen in ihrem Ausschnitt. Diese Geste ließ meinen Magen einen Salto vollführen. Mams letztes Geschenk an uns. Sie hatte Skye und mir zum sechsten Geburtstag identische Halskettchen mit einem Schmetterlingsanhänger geschenkt. Zart, filigran und wunderhübsch, so wie Skye. In diesem Augenblick allerdings verspürte ich den Drang, meine hübsche Schwester zu packen und zu schütteln, weil sie nicht mit der Sprache herausrückte. Instinktiv verschränkte ich die Arme vor der Brust. Irgendwie ahnte ich, dass es nichts Gutes sein würde, was Skye mir zu berichten hätte. Erneut räusperte sie sich. »Logan arbeitet jetzt hier.«
Mir fiel die Kinnlade herunter. »Was?« Ich folgte ihrem Blick hinüber zur Mauer, an der bis vor wenigen Sekunden Logans sexy Hintern geklebt hatte. Er war verschwunden.
»Ähm, ja. Er hilft uns im B&B aus … Und er wohnt hier.«
»Was?«, wiederholte ich. Wie eine Geisteskranke starrte ich sie an. »Logan wohnt bei uns? In unserem Haus? Vielleicht sogar in meinem Zimmer, weil es ja praktischerweise seit drei Jahren leer steht?« Ich stieß ein schrilles Lachen aus.
Skyes Wangenrot vertiefte sich. »Nein, nicht im Haus. Dad hat ihm das kleine Cottage gegeben. Aber natürlich kommt er ins Haus zum Essen und so.«
Mein fassungsloser Blick irrte hinüber zu dem weißgetünchten Cottage, das sich unter den ausladenden Kronen zweier windgebeugter Kiefern duckte. Normalerweise beherbergten wir dort, ebenso wie in dem zweiten Cottage und im Haupthaus, Urlaubsgäste. »Verstehe«, murmelte ich, obwohl ich rein gar nichts verstand. Der Boden unter meinen Füßen schien zu schwanken. Ausgerechnet Logan! Dann konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. »Was zur Hölle macht Logan Savage hier, Skye? In meinem Zuhause? Wie kommt er dazu, sich hier einzunisten?«
Skye seufzte tief. Sie senkte die Lider, doch ich hatte das verräterische Flackern in ihren Augen gesehen. »Dad hat Logan vor einem halben Jahr unter seine Fittiche genommen, als –«
»Wie bitte?« Das Blut rauschte in meinen Ohren wie der Aasleagh-Wasserfall am Erriff River. »Dad kickt mich, seine Tochter, aus dem Haus, aber er nimmt Logan auf?« Ich war im falschen Film. Definitiv. Hatten sich denn alle gegen mich verschworen? »Ich kapier es nicht, Skye. Echt nicht.«
»Logan geht uns zur Hand, was gut ist, nachdem Cara uns wegen des Babys sitzengelassen hat«, erklärte Skye.
Cara hatte die Zimmer sauber gehalten, und Máire hatte sich um das leibliche Wohl der Gäste unseres B&Bs gekümmert. Ich konnte mir vorstellen, dass Cara im Betrieb fehlte. Trotzdem war das noch lange kein Grund …
»Außerdem meinte Dad, Logan könne ein anständiges Dach über dem Kopf brauchen«, fuhr Skye fort.
Ich ließ die Luft aus meinen Lungen mit einem Zischen entweichen. »Seit wann spielt Dad den guten Samariter? Logan ist doch kein Babyvögelchen, das aus dem Nest gefallen ist und gerettet werden muss. Soweit ich mich erinnere, kam er früher gut zurecht.« Okay, Logan hatte im Wohnheim gelebt, was er gehasst hatte. Aber dann hatte er Unterschlupf bei den McNamaras gefunden, und hilflos war er mir niemals vorgekommen. »Echt, ich kapier –«
»Hör zu, Ash«, fiel Skye mir ins Wort. »Logan und –«, erneutes Räuspern. »Da gibt es noch etwas, das ich dir sagen muss.« Sie scharrte mit der Fußspitze im Kies.
»Ich bin ganz Ohr.« Unwillkürlich schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper, wie ich es immer tat, wenn mir etwas unangenehm wurde.
Ich sah einen Nerv an Skyes Schläfe zucken. »Es ist so, Ash, also Logan und ich, wir … sind jetzt zusammen.«
Ich lachte laut auf. »Guter Scherz, Schwesterherz. Ich wusste gar nicht, dass du so witzig sein kannst. Obwohl, ein wenig geschmacklos finde ich die Vorstellung ja schon.« Wenn man bedenkt, dass ich mich vor drei Jahren beinahe aus Liebeskummer in den Atlantik gestürzt hätte.
Skyes Blick brannte sich in meinen. Mir wurde heiß. Dann kalt. Mir wurde schlecht. Wie in Zeitlupe schüttelte ich den Kopf. Ein Vogel schrie irgendwo in den Bäumen. Sein Schrei fuhr mir durch Mark und Bein. »Es ist nicht wahr, oder?«, sagte ich mit dünner Stimme.
Ich konnte die Antwort in Skyes Augen lesen.
»Seit wann?«
»Seit vier Monaten.« Sie schluckte. »Es tut mir leid, Ash. Ich dachte, du bist über ihn hinweg.«
»Klar bin ich das!« Ich schrie, und es war mir egal, ob er mich hören konnte. »Ich bin so was von über Logan Savage hinweg! Ich möchte ihn nicht mehr sehen, schon gar nicht in meinem eigenen Zuhause! Nie mehr, hörst du?« Ich war so aufgebracht, dass ich regelrecht zitterte.
Skye machte einen Schritt auf mich zu und streckte eine Hand nach mir aus, zog sie dann aber zurück. »Dad hat Logan vor einem halben Jahr angeboten, zu uns zu kommen, als sie sich bei Ryan’s über den Weg gelaufen sind. Es hat sich einfach so ergeben.«
Also hing Logan noch immer gern in seiner Lieblingskneipe ab. »Ach, was so ein gemeinsames Bierchen unter Männern doch alles auslösen kann«, giftete ich. »Dann hat Dad den armen Logan mit nach Hause genommen. Jetzt hat er ja endlich den Sohn, den er sich immer gewünscht hat. Und das, nachdem er seine eigene Tochter verstoßen hat.« Das durfte doch alles nicht wahr sein.
Skye runzelte die Stirn. »Dad hat dich doch nicht verstoßen. Aber Logan hatte wirklich üblen Stress mit Aileen und war auf der Suche nach einer anderen Bleibe und –«
Ich stoppte sie mit einer Handbewegung. Mit wem hatte Logan eigentlich keinen Stress? Und was zum Teufel hatte Aileen von der Hafenpension damit zu tun? Aber Aileen war im Moment mein geringstes Problem. »Wie in aller Welt seid ihr, du und Logan –« Ich konnte es nicht aussprechen. Konnte – nein, wollte es mir nicht vorstellen. Logan. Dunkler, sexy, gefährlicher Bad Boy und meine zarte, liebe Schwester. Wie passte das zusammen?
Skye zuckte mit den Achseln. »Wir sind uns nähergekommen. Das ging ganz langsam, während der Arbeit. Erst waren wir so was wie Freunde, und dann hat er mich eines Tages gek–«
Wieder stoppte ich sie mit einer Handbewegung. »Okay, das reicht.« Ganz ruhig, Ash, atme tief ein. Ich streckte meinen Rücken durch. »Ich kapier’s nicht, Skye. Aber es geht mich auch nichts an.« Ich bemühte mich nach Kräften, die aufsteigenden Bilder von Logan und Skye in inniger Umarmung zu verscheuchen.
»Bist du sauer?«
»Warum hast du mir nichts gesagt? Ich meine, wir telefonieren ab und zu, wir chatten, und du hältst es nicht für nötig, mir mitzuteilen, dass du mit meinem Ex pennst?« Hinter meinen Lidern brannten Tränen. Ich blinzelte sie weg.
»Ash«, sagte Skye sanft. »Ich wollte es dir ja sagen, aber ich …« Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Erneut streckte sie eine Hand nach mir aus.
Ich wandte mich ab, weil ich gerade nicht sprechen konnte. Ich konnte dieses niederschmetternde Gefühl nicht einordnen, das mich überfiel wie eine heimtückische Krankheit. Als ich mich wieder in der Lage fühlte, etwas zu sagen, hörte ich ein Geräusch in meinem Rücken. Ich wirbelte herum und sah meinem Dad direkt in die grünen Augen. Er war noch immer eine imposante Erscheinung. Hochgewachsen mit breiten Schultern, langen Beinen und bekleidet mit den üblichen Latzhosen und einem karierten Baumwollhemd. Um den Mund herum hatten sich neue tiefe Linien eingegraben. Eine Folge des Herzinfarkts? Auf seinen Wangen und dem energischen Kinn lag ein silbriger Bartschatten. Äußerlich erinnerte er mich immer mehr an John-Boy Waltons Großvater.
»Dia dhuit, ich grüße dich, Ashley.« Dad deutete ein knappes Nicken an.
Wow. Was für ein Gefühlsausbruch. Übernimm dich nicht, Dad. Aber was hatte ich erwartet nach unserem hässlichen Streit von damals? Offensichtlich hatte Logan ihn nie über seine Lüge aufgeklärt. Oder er hatte es getan, und Dad hatte ihm nicht geglaubt. Am liebsten hätte ich in diesem Moment auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre zurück nach Dublin gebraust. Was zum Teufel machte ich hier?
»Hi, Dad. Wie geht es dir? Fühlst du dich, ähm, besser?«
Ich hasste dieses Gefühl der Befangenheit. Seit Beginn der Pubertät hatte ich mich meinem Dad gegenüber nicht mehr so verunsichert gefühlt.
Dad legte den Kopf schief, wie es seine Art war, wenn er jemanden musterte. »Du bist dünn geworden«, brummte er. Er ging nicht auf meine Frage ein. Typisch. Dad tat immer nur das, was ihm gerade in den Kram passte. Skye behauptete, dass ich diese Eigenschaft von ihm geerbt hätte und dies auch ein Grund sei, weshalb wir so oft aneinanderrasselten. Wie auch immer, ich fühlte das altbekannte Gefühl von Zorn aufsteigen.
»Tja, so ist das eben, wenn man neben dem Studium noch jobben muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen«, schoss ich zurück. Hätte er mir nicht das Geld verweigert, das mir von Mam zum achtzehnten Geburtstag zugestanden hätte, müsste ich nicht kellnern gehen.
Und wieder ging er über meine Bemerkung hinweg. Er schob die Daumen durch die Gürtelschlaufen seiner Latzhose und machte eine Kopfbewegung. »Warum kommt ihr nicht rein, Mädchen? Máire hat Ingwerplätzchen gebacken, und das Teewasser ist auch schon aufgesetzt.«
Máire. In meiner Brust breitete sich ein Wärmegefühl aus. Máire O’Malley war definitiv ein Lichtblick auf Foxwood. Sie sorgte seit vielen Jahren dafür, dass Dad seine heiß geliebten Frühstückswürstchen mit Bohnen und einen frischen Pot Barry’s zum Frühstück bekam. Sie hatte uns Pausenbrote geschmiert, verletzte Knie verarztet und mit uns Kleider für den Schulabschlussball ausgesucht. Ein Jahr nach Mams Tod war Máire zu uns nach Foxwood Cottage gekommen und geblieben. Ihre Fürsorge und Liebe waren ein unsichtbares Band, das uns Brennans zusammenhielt. Nur damals, nach der Sache mit Logan, war auch sie machtlos gewesen. Ich liebte Máire. Nicht so, wie man seine Mam liebte, aber nah dran.
»Na, komm.« Skye lächelte unsicher. »Lass uns reingehen.«
Ich seufzte tief, bückte mich nach meiner Reisetasche und folgte meiner Schwester zum Haus. Hoffentlich würde ich nicht gleich wieder auf Logan treffen. Ich musste seine Anwesenheit erst einmal verdauen, und ich bat das Schicksal um genügend Zeit, um mich sortieren zu können. Ein Jahr oder auch zwei würden vielleicht ausreichen. Was für ein Mist. Ich hüpfte hinter Skye die Steintreppen hinauf und wartete, bis sie die Haustür aufsperrte, von der, wie ich jetzt feststellte, die Farbe abblätterte.
»Ich werde Logan bitten, dass er die Tür neu streicht«, meinte sie beiläufig mit einem Blick zu mir über die Schulter. Dann wurde ihr klar, was sie gesagt hatte. Sie biss auf ihre Unterlippe. »Shit, Ash. Es tut mir leid, ich hätte –«
»Schon gut.« Ich quittierte ihre Äußerung mit einem Schulterzucken, das eine Lässigkeit ausdrückte, die meinen Gemütszustand Lügen strafte. »Ich muss mich offenbar daran gewöhnen, dass Logan in meinem Orbit auftauchen wird.«
»Es ist eine komische Situation, ich weiß.« Skye hielt mir die Haustür auf und ich schlüpfte unter ihrem Arm hindurch.
»Komisch?«, entfuhr es mir. Fast hätte ich hysterisch aufgelacht. Ich pfefferte meine Reisetasche neben die Treppe in den Flur, wo früher – zu Máires Ärger – immer unsere Schulrucksäcke herumgelegen hatten, und folgte meiner Schwester mit gesenktem Kopf.
Skye blieb mitten im Wohnzimmer stehen. An ihrem Hals und ihrem Dekolleté prangten rote Flecken. Ein Zeichen, dass sie ebenfalls nicht so ruhig und gelassen war, wie sie vorgab. Ich kannte meine Schwester gut.
»Tja«, sagte sie und machte eine Geste in den Raum hinein, »da wären wir.«
»Da wären wir«, echote ich und schaute mich um. Es schien sich nichts verändert zu haben. Da lag immer noch der dicke Läufer im Raum, mit dem winzigen Brandfleck-Überbleibsel einer fetten Party, die Logan und ich geschmissen hatten, als Dad seine Schwester Colleen in Kilkenny besucht hatte. (Die zwei Wochen Hausarrest nahm ich ihm heute noch übel.) Auf dem Kaminsims saßen die Engelsfiguren, die Mam gesammelt hatte, und ihr geblümter Lesesessel stand wie eh und je am Erkerfenster. Die alte Ledercouch, aufgepeppt mit ein paar bunten Kissen, gegenüber dem gigantischen Flatscreen. Mir wurde warm, als ich an die heißen Küsse dachte, die Logan und ich darauf ausgetauscht hatten, während im Fernseher Ripper Street lief. Küsse, die zu mehr geführt hatten. Es kam mir vor, als sei ich gestern erst von hier weggegangen. Das Zimmer, der Geruch nach Leder, Holz und Zitronenöl, von dem Putzmittel, das Máire verwendete, und der Anblick der Kringel, die das einfallende Sonnenlicht auf den gebohnerten Fußboden malte. Alles war mir schmerzhaft vertraut. Ich liebte dies alles. Und ich hasste es. Weil es mich an den letzten Tag auf Foxwood erinnerte. Den Tag, an dem mein Leben auseinandergebrochen war.
»Ashley, Darling!« Eine mollige Frau mittleren Alters mit straff nach hinten gebundenem Haar stürzte strahlend auf mich zu. »Mìle fàilte! Sei willkommen!« Máire wischte ihre Hände flugs an der weißen Baumwollschürze ab, bevor sie ihre Arme ausbreitete.
Ein Lächeln glitt über mein Gesicht und ich flog in ihre Arme.
»Schätzchen, wie schön, dich wieder hier zu haben! Du hast uns so gefehlt.« Máire drückte mich an ihren ausladenden Busen und schnaufte mir vor Freude ins Ohr.
»Ihr habt mir auch gefehlt«, erwiderte ich und inhalierte ihren Duft nach Backwerk, frischen Äpfeln und Puder.
Máire gab mich frei und hielt mich auf Armeslänge von sich, um mich zu betrachten. »Du bist hübsch wie eh und je, meine Kleine. Nur ein bisschen blass um die Nase. Gehst du überhaupt raus an die frische Luft dort in deiner Großstadt oder hockst du nur vor dem PC, wie es heute so üblich zu sein scheint?«
Ich setzte zu einer Antwort an, wollte ihr gerade erzählen, dass ich in meiner Freizeit kellnerte und nicht viel Gelegenheit zu ausgedehnten Spaziergängen hatte, da erschien Dad in der Tür. Ich schluckte meine Antwort hinunter. Ich wollte keinen Streit provozieren. Jetzt nicht, wo Máire sich so freute, mich zu sehen. Ich war mir sicher, dass Dad und ich früher oder später ohnehin aneinandergeraten würden. Vermutlich eher früher als später.
Dad bedachte mich mit einem flüchtigen Blick, als er mit Máire sprach. »Ich hau mich eine Weile aufs Ohr. Machst du mir in einer Stunde eine Tasse von deinem grässlichen Gebräu, Máire?«
Máires kluge Augen irrten zwischen Dad und mir hin und her. Sie spürte die unterschwelligen Spannungen. »Ich nehme an, du sprichst von meinem guten Weißdorntee, Thomas James. Den sollst du später haben. Aber jetzt sieh zu, dass du eine Mütze Schlaf bekommst. Lass uns Frauen mal allein.« Máire war der einzige Mensch, der nicht vor Dad kuschte, sondern ihm Kontra gab. Er wiederum gab vor, sie nicht sonderlich zu mögen, doch ich wusste es besser. Hätte T.J. Brennan Máire O’Malley nicht in sein Herz geschlossen, hätte sie keine Woche hier bei uns im Foxwood Cottage überlebt.
Skye und ich tauschten einen vielsagenden Blick.
Máire wartete, bis Dads hohe Gestalt im Flur verschwunden war und neigte sich mir verschwörerisch zu. »Dein Dad hat letzte Nacht kaum geschlafen. Ich denke, es war die Aufregung.«
Mein Herz pochte ein wenig schneller. Aufregung? Warum sollte Dad aufgeregt sein? Er machte mir nicht den Eindruck, dass ihn mein Besuch in irgendeiner Weise berührte. Ich beschloss, Máires Bemerkung zu übergehen. »Ist ’ne Weile her, Máire«, sagte ich stattdessen. »Irgendwie seltsam, wieder hier zu sein.«
»Du warst viel zu lange weg, a leanbh, mein Kind. Wir haben dich alle sehr vermisst, glaub mir. Wir alle.«
Bullshit. Dad hatte mich bestimmt nicht vermisst. Dad hasste mich, so viel war sicher. Aber das machte nichts, denn ich konnte ihn ebenfalls nicht besonders leiden. Nicht seitdem er mir deutlich gemacht hatte, dass er mir nicht vertraute. Ich schüttelte die zerstörerischen Gedanken ab wie ein Hund die Regentropfen. »Ich hab gehört, es gibt Ingwerplätzchen, Máire?«, wechselte ich das Thema. »Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich platt. Ich bin seit über vier Stunden auf der Piste, hab nur mal kurz für einen Burger und eine Coke angehalten.«
»Natürlich, Kindchen. Du setzt dich jetzt erst einmal hin, ruhst dich aus und genießt eine schöne Tasse heißen Tee.« Máire legte einen Arm um meine Schultern und dirigierte mich mit Skye im Schlepptau Richtung Küche. Máire war der Meinung, dass es nichts auf der Welt gab, das nicht mit einer schönen Tasse Barry’s in Ordnung gebracht werden konnte. Nun, ich ließ sie in dem Glauben.
Wenige Augenblicke später saßen wir drei Frauen an dem großen urigen Holztisch in der gemütlichen Wohnküche, die das Herz unseres Hauses war, knabberten an Ingwerplätzchen und schlürften süßen, heißen Tee. Auf den Fensterbänken der Sprossenfenster verströmten Kräuter in tönernen Töpfen ihren würzigen Duft. Die blank gescheuerten Töpfe und Pfannen über dem gusseisernen alten Herd blitzten im hereinströmenden Sonnenlicht. Ich hätte mich geborgen und pudelwohl gefühlt, wenn da nicht das Wissen in meinem Hinterkopf gelauert hätte, dass Logan jeden verdammten Moment auftauchen könnte.
»Warum hast du mir nichts gesagt, Skye?«, bohrte ich erneut mit einem verschämten Seitenblick auf Máire, nachdem ich von meinem Leben und meinem Alltag in Dublin berichtet hatte. »Von dir und Logan, meine ich.« Ich konnte es noch immer nicht fassen. Meine Gedanken wirbelten im Kreis.
Skye stellte ihren Becher ab und presste die Lippen aufeinander, bevor sie antwortete. »Wie gesagt, ich war mir nicht sicher, wie du reagieren würdest. Ich hatte Angst.«
»Und da hast du gedacht, du verschweigst mir die Sache lieber. Was die gute Ash nicht weiß, macht sie nicht heiß, oder?« Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich zynisch klang.
Máire räusperte sich. »Ich sollte mal nach der Wäsche sehen. Vielleicht ist sie schon fertig zum Aufhängen. Genießt euren Tee, Mädchen.« Sie warf mir und Skye einen bedeutungsvollen Blick zu, der uns vermutlich dazu auffordern sollte, uns gefälligst zusammenzureißen.
Skye seufzte tief auf und sah Máire nach, die in den Flur verschwand. Gedankenverloren umrandete sie mit dem Zeigefinger den Rand ihres Teebechers. »Ich weiß, es war nicht richtig. Ich hätte es dir schon noch erzählt. Aber dann wurde Dad krank …« Sie machte eine fahrige Handbewegung.
Obwohl ich keinen Appetit mehr verspürte, langte ich nach dem Teller mit den Plätzchen und schob mir eins in den Mund. »Fuck, Skye«, nuschelte ich kauend. »Wie in aller Welt soll ich hier mit Logan wohnen? Wie soll das funktionieren? Wie soll ich es ertragen, ihn jeden Tag zu sehen?«
Skyes feine Brauen hoben sich. »Du hast gesagt, du wärst über ihn hinweg.«
Ich schluckte, weil Krümel in meinem Hals kratzen. »Ich habe eine Stinkwut auf den Mann. Das wird sich niemals ändern. Er hat mir mein Herz gebrochen, Skye.«
»Ich weiß. Das war echt mies von ihm.« Skye schüttelte den Kopf. »Aber Logan hat sich geändert, weißt du? Er –« Sie brach ab, schien sich zu besinnen. »Es tut mir leid, Ash.«
»Wie ist das mit euch – ich meine, liebst du ihn?« Oh shit. Warum tat ich mir das an? Aber ich konnte nicht aufhören zu bohren. Ich musste es wissen. Musste wissen, wie und warum Skye und Logan ein Paar geworden waren. Vermutlich hatte ich irgendein fieses masochistisches Gen in mir, das sich gerade ins Fäustchen lachte.
Skye nestelte wieder an ihrem Schmetterlingsanhänger. Wenn sie damit doch nur mal aufhören würde! Sie machte mich wahnsinnig.
»Skye.«
»Ja.« Meine Schwester drückte den Rücken durch und sah mir in die Augen. »Ja, ich denke, ich liebe Logan.« Sie beugte sich über den Tisch und griff nach meinen Fingern. Ihr Daumen streichelte über meinen Handrücken. »Ich hatte niemals die Absicht … Weißt du, er war einfach da, als ich ihn brauchte. Und irgendwie ist es passiert. Ich –«
Ich hatte genug gehört. »Ist egal«, unterbrach ich sie schroff. Ich entzog mich ihrem Griff und sprang auf. Die Stuhlbeine schrammten über die Fliesen und das Geräusch ließ mich zusammenzucken. »Ich gehe hoch in mein Zimmer, mich ein bisschen hinlegen. Kopfschmerzen.«
»Oh. Magst du … Soll ich dir ein Aspirin bringen?« Skye sprang ebenfalls auf.
Ich winkte ab. »Ich brauche nur einen Augenblick Ruhe.«
Ohne sie weiter zu beachten, flüchtete ich in den Flur, wo ich zuvor meine Reisetasche liegengelassen hatte. Der Drang, die Füße in die Hand zu nehmen und zu verschwinden, wurde übermächtig. Was zum Henker machte ich hier, fragte ich mich zum wiederholten Mal. Dad war nicht bettlägerig. Ihm schien es viel besser zu gehen, als Skye mir hatte weismachen wollen. Und außerdem war Logan da, der ihnen zur Hand ging. Hatte Skye mich unter falschem Vorwand hergelockt? Um mich zu quälen? Ich spürte Tränen aufsteigen. Skye und ich hatten uns immer gut verstanden, wir waren wie zwei Hälften eines Ganzen. Oft hatte die eine den angefangenen Satz der anderen zu Ende gesprochen. Sie hatte meist gewusst, was ich dachte, und wir hatten über dieselben schrägen Witze lachen können. Okay, wir hatten uns voneinander entfernt, seit ich Foxwood Cottage verlassen hatte. Die räumliche Trennung hatte mir wehgetan. Besonders in den letzten Monaten war es mir vorgekommen, als ob Skye mir immer fremder werden würde, und wir hatten auch nicht mehr regelmäßig telefoniert. Nun kannte ich den Grund. Ich verharrte im Flur vor der Treppe und focht einen Kampf mit mir aus. Sollte ich abhauen? Ohne ein Wort verschwinden – so wie vor drei Jahren schon? Ich reckte das Kinn. Nein. Ich war nicht mehr dieselbe Ashley, die wie ein beleidigtes Kind davonrannte, wenn ihr Unrecht getan wurde. Wenn ich jetzt kapitulieren würde, hätten Dad und Logan gewonnen. Diese Macht über mich wollte ich ihnen nicht geben. Ich wollte ihnen zeigen, wie egal sie mir waren. Dass es mir nichts ausmachte, und dass ich über das, was damals passiert war, schon lange hinweg war. Nur, dass das eine verdammte Lüge war. Es tat noch immer weh. Beschissen weh. Aber ich würde niemandem meine Tränen zeigen.
Mit meinem Gepäck in der Hand stolperte ich die mit beigefarbenem Teppich bezogenen Stufen nach oben und versuchte, die Neuigkeit zu verdauen, dass Logan Savage, der Kerl, wegen dem ich einst vier Kilo und mein Selbstvertrauen verloren hatte, im kleinen Cottage nebenan wohnte. Genau wie die Tatsache, dass er jetzt Skye vögelte. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Oder wie in einem verdammten Albtraum. Nur, dass ich bereits aufgewacht war. Ich öffnete die Tür zu meinem alten Zimmer, huschte hinein und schlug sie hinter mir zu. »Fuck!« Kraftvoll schleuderte ich meine Tasche in eine Ecke und ließ mich auf mein weißes, schmiedeeisernes Bett sinken. Máire musste es frisch bezogen haben, denn es duftete nach Lavendel und Sommerblüten, und die spitzenverzierten Kissen am metallenen Kopfteil waren hübsch aufgereiht. Ich zupfte an einem losen Fädchen an der Patchworkdecke, bevor ich mich hinwarf und das Gesicht in den wohlriechenden Kissen vergrub. Das hier war nicht richtig. Ich sollte nicht hier sein. Logan sollte nicht hier sein. Und vor allen Dingen sollte er nicht der neue Lover meiner Schwester sein. Shit, shit, shit! Ich malträtierte das Kissen mit meiner Faust und nahm mir fest vor, nicht länger als zwei Wochen zu bleiben. Dann müssten sie wieder ohne mich auskommen. Zum gefühlt hundertsten Mal fragte ich mich, wie es dazu gekommen war, dass Logan jetzt Skyes Freund war. Dass er ihre Hand hielt. Sie küsste. Dass sie miteinander – verflucht! Ich sprang auf. Ich musste dieses verdammte Kopfkino loswerden. Die Handflächen gegen die Schläfen gepresst, begann ich durchs Zimmer zu tigern. Beruhige dich, Ashley Brennan! Reiß dich zusammen! Du stehst das durch. Du wirst sehen, die zwei Wochen werden wie im Flug vergehen, und ehe du dichs versiehst, sitzt du wieder in Dublin in deiner Studentenbude in trauter Gesellschaft von Beth und Howard Wolowitz.
Irgendwie stimmte mich dieser Gedanke auch nicht fröhlicher.
Einer Eingebung folgend, trat ich an meinen Schreibtisch und strich über das leicht ramponierte Holz. Mit den Fingerspitzen fuhr ich die eingeritzten Buchstaben am rechten Rand nach: A & L. Für immer. Ich zog meine Finger zurück, als hätte ich mich verbrannt. Für immer. Was heißt das schon? Die Gesichter der Jungs von Coldplay an der gegenüberliegenden Wand verschwammen vor meinen Augen.
Drei Jahre zuvor
Du siehst echt heiß aus, Babe.« Logan rieb seinen Unterleib an mir in einer Weise, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieb. Mein Blick irrte durch die von einer altmodischen Diskokugel in grelle Blitzlichter getauchte Schulsporthalle voller tanzender Kids.
»Was machst du da, Logan?« Ich hob den Kopf und begegnete seinen braunen Augen, in denen Zuneigung und Verlangen funkelten. Um Logans Mundwinkel zuckte ein spitzbübisches Lächeln.
»Ich bin dir mit Haut und Haaren verfallen, Ashley Leona Brennan, weißt du das?« Zärtlich schob er eine Hand durch mein langes Haar und umfasste meinen Hinterkopf. Seine Augen fixierten meine in einem kühnen Rot geschminkten Lippen, und unwillkürlich leckte ich mit der Zunge darüber. Die Luft zwischen uns knisterte vor Erotik.