Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «20th Century Boy. Notebooks of the Seventies» im Verlag Alfred A. Knopf.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2021
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«20th Century Boy. Notebook of the Seventies» Copyright © 2018 by Duncan Hannah
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Covergestaltung Anzinger und Rasp, München
Coverabbildung FotoGraphik/iStock
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ISBN 978-3-644-00595-2
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
ISBN 978-3-644-00595-2
Für Megan und alle Freunde, die schon verstorben oder noch da sind
Blazing our nights with arguments uproarious,
What care we for a dull old world censorious,
When each is sure he’ll fashion something glorious?
John Reed, The Day in Bohemia
Dies sind keine Memoiren, sondern Tagebücher, begonnen 1970, mit siebzehn Jahren, geschrieben, während sich all das zutrug, voller Jugendsünden. Vierzig Jahre lang haben sie mehrere Regale in meiner Bibliothek in Anspruch genommen. Anfangs führte ich wohl Tagebuch, weil ich Angst hatte, dass mir die Zeit durch die Finger rinnen würde, und auf diese Weise konnte ich sie festhalten. Das Schreiben war eine Selbstmythologisierung, um zu begreifen, wer ich und meine Freunde sein könnten. Ich las viel und wollte dem Gelesenen nacheifern. Ich war fasziniert von Kerouac. Die frühen Tagebücher waren reiner Bewusstseinsstrom (ein schreckliches Kauderwelsch, das ich überarbeitet habe) und wurden durch die Drogen, die ich damals nahm, noch schlimmer. Zum Glück habe ich mir viele Gespräche und Einzelheiten notiert, sonst hätte ich mir niemals alles merken können. Aber es ist genau so, wie ich es erlebt habe.
Die Bände selbst habe ich beim Künstlerbedarf gekauft, sie sind schwarz eingebunden, unliniert und haben ein Format von 21,5 mal 28 cm. Ich habe jedem einen eigenen Titel gegeben (es sind zwanzig Stück) und eine dazu passende Titelseite gebastelt. Scrapbooks gab es schon immer in unserer Familie; bereits meine Großeltern stellten voller Begeisterung solche Scrapbooks zusammen. Meine Handschrift drängt sich zwischen eingeklebte Zeitungsausschnitte meiner jeweiligen Lieblingsrocker, zwischen Filmstars, Aktaufnahmen, Bonbonpapiere, Eintrittskarten und den ganzen Krimskrams, den mein elsternhafter Sammeltrieb vor dem Papierkorb bewahrte. Ich war noch kein Collagekünstler, hatte aber bereits ein Auge für Papierobjekte. Anfangs arbeitete ich mit Elmers-Klebstoff und stieg dann auf Gummilösung um, die angenehm roch, die Ausschnitte jedoch verfärbte und nach ein paar Jahren ihre Hafteigenschaften verlor. Schließlich entschied ich mich für Sprühkleber, der hochgiftig ist, für meine Bedürfnisse aber ideal war. Die Bände waren voller Schwarzweißfotos von mir und meinen Freunden.
Die Tagebücher beginnen in meinem dritten Highschool-Jahr. Wegen einer Geschichte mit einem neurotischen Klassenkameraden (und Bandkollegen) war ich von der Blake-Privatschule geflogen, die ich fünf Jahre besucht hatte. Dumm, wie ich war, hatte ich mich nötigen lassen, ihm ein Ticket LSD zu verkaufen. Er hatte einen schlechten Trip und sagte seiner Mutter, ich sei schuld. Damit war’s vorbei. Wie sich herausstellte, war es gar nicht so übel, dass ich rausflog, weil ich in Französisch, Latein, Geschichte, Naturwissenschaften und Geometrie durchrasselte (dort befassten wir uns mit E = mc2 – im zehnten Schuljahr, Herrgott noch mal!). Dafür war ich in Englisch gut und in Kunst. Hasste den obligatorischen Sport.
Mein Dad war Jahrgangsbester derselben Schule gewesen und hatte ein paar Schuljahre übersprungen, bevor er mit sechzehn nach Harvard ging. Ich trat nicht unbedingt in seine Fußstapfen. Er war ein eleganter Rechtsanwalt (man stelle sich James Mason vor) und nahm seit dem Jahr meiner Geburt Psychopharmaka, weil er unter Depressionen litt. Er wäre gern bei der Navy geblieben. Der Krieg war für ihn gut gelaufen, er war Kapitän eines U-Jagd-Boots bei den Salomonen gewesen, hatte australische Küstenwächter von japanisch besetzten Inseln gerettet und nach der Schlacht um Guadalcanal aufgeräumt … und außerdem war er auf einem Zerstörer gewesen, der bei der japanischen Kapitulation in der Bucht von Tokio neben der Missouri gelegen hatte.
Inzwischen trank er seine allabendlichen Martinis, Wein zum Abendessen, manchmal danach einen Scotch mit Soda. Pillen zum Aufwachen, Pillen zum Einschlafen. Er sagte, das Geheimnis des Glücklichseins bestehe in Ablenkung. Er war Mitglied eines efeuumrankten Altherrenclubs in der Innenstadt von Minneapolis, wo er Squash spielte. Dort saß ich gern in einem der großen burgunderroten Ledersessel und las Sherlock Holmes. Wir waren auch Mitglied in einem wunderschönen Country Club außerhalb der Stadt, wo er mit seinen Anwaltskollegen Tennis spielte. Mir gefiel es, an dem riesigen nierenförmigen Swimmingpool mit Blick auf den Lake Calhoun Transistorradio zu hören und Eis am Stiel zu schlecken.
Meine Mutter war in ihrer Jugend eine große Schönheit gewesen. War sie immer noch. Ein bisschen wie Maureen O’Sullivan (Tarzans Jane). Sie war stets modisch gekleidet und liebte Partys. Sie arbeitete als Innenarchitektin. Von dem Geld, das sie verdiente, reisten meine Eltern jedes Jahr mehrmals nach Europa. Sie studierten Prospekte und Fahrpläne und planten Reisen. Als ich auf Abwege geriet, schien meine Mutter das persönlich zu nehmen und entlud ihren ganzen Zorn auf mich. Anders als mein Dad konnte sie nicht viel vertragen. Aus seiner Sicht war meine Generation stark von den stetigen Turbulenzen in den USA betroffen. Er hatte recht.
Jim und Bunny Hannah.
Meine Schwester war fünfeinhalb Jahre älter als ich. Sie war ein Überflieger, von ihrer Highschool wurde sie zu «unserer Energischsten» gewählt. Sie war in Mount Holyoke. Marschierte mit Martin Luther King. Meine Eltern waren mit ihr streng gewesen, als ich dran war, gaben sie auf. Bei mir war ja keine Jungfräulichkeit zu bewahren.
Das Ende der Sechziger traf mich mit voller Wucht. Ich rauchte mit vierzehn, mit fünfzehn kam Gras, dann alles andere – LSD, Psilocybin, Meskalin, Haschisch, Opium, Amphetamin, Crystal Meth, Alkohol. Meine Jungfräulichkeit verlor ich noch auf der Privatschule an eine apfelwangige Cheerleaderin, mit der mich nur das Toben der Hormone verband. Das Ritual ereignete sich in einem Yachthafen am Lake Minnetonka im Heck eines kleinen Motorbootes, das nach Segeltuch, Vinyl und Benzin roch. Wenn sie das Gefühl hatte, dass ich zu erregt war, musste ich den Schwanz immer wieder rausziehen, weil sie eine Heidenangst davor hatte, schwanger zu werden. Ich durfte auch kein Gummi benutzen, denn sie sagte, so was sei «schmutzig».
Damals interessierten mich Rock ’n’ Roll, Pop Art, Herrenmagazine und schmutzige Bücher (meine sexuelle Aufklärung bezog ich aus den beiden Paperbacks Strumpets’ Jungle und Pay-for-Play Girl), Drogen, meine verrückten Freunde, Filme und Bücher, größtenteils Entwicklungsromane wie Salingers Der Fänger im Roggen und die Beats oder die neu aufgelegten Groschenromane von Doc Savage und Fu Manchu. Ich war Drummer in mehreren Bands und ein Künstler. Ich fertigte überdrehte, fahrige Zeichnungen an, in denen sich meine ganzen Interessen vereinigten. Ich war stets der «Künstler in der Klasse», weshalb ich besondere Aufmerksamkeit erfuhr. Hatte von meiner Mutter ein junges Gesicht geerbt. Glaubte, dass mich Großes erwartete. Und tatsächlich habe ich im Lauf der Zeit oft Glück gehabt. Ich brannte darauf, nach New York zu gehen und mich mitten ins Getümmel zu stürzen.
Ich bin ein Produkt der zweiten Jahrhunderthälfte, ein Twentieth-Century Boy (nach dem T.-Rex-Song gleichen Namens). Trotz aller Mängel waren die Siebziger in NYC eine tolle Zeit zum Erwachsenwerden. Wir hatten kein Geld, und deshalb war es auch nicht wichtig. Das Leben in Manhattan war billig, mit vierhundert Dollar im Monat konnte man ein interessantes Leben führen. Es gab noch kein Internet, recherchiert wurde direkt. Die Ergebnisse bedeuteten uns wahrscheinlich mehr, weil sie hart erarbeitet waren. Die Siebziger hatten ein unterschwelliges Retro-Interesse an den Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern, das hundertpro meinem Gefühl entsprach. Wir suchten nach echter Erfahrung und stolperten in bunteste Bereiche. Wir glaubten an den Weg, obwohl wir vom Ziel keine Ahnung hatten.
Erst für die Veröffentlichung habe ich diese Tagebücher wieder gelesen. Bei der Durchsicht habe ich einen Haufen Belanglosigkeiten entfernt. Anders als viele Tagebuchschreiber hatte ich keine große Nabelschau betrieben, deshalb musste ich mich damit nicht herumschlagen. Damals war mir aufgefallen, dass es hauptsächlich Mädchen waren, die Tagebuch führten, und die schrieben normalerweise nur, wenn sie aufgewühlt waren. Ich war entschlossen, es anders zu halten. Ich wollte in Feierlaune sein. Nachts im Bett (sofern mein Zustand es erlaubte) oder morgens beim Kaffee. Ich schrieb nicht jeden Tag, und wenn sich mein Leben beschleunigte, versäumte ich, meine Erfahrungen festzuhalten. 1979 fiel fast ganz unter den Tisch. Keine Ahnung, warum. Manche Namen habe ich für die Veröffentlichung geändert, um die Unschuldigen, aber auch die nicht ganz Unschuldigen zu schützen. Grammatik und Rechtschreibung wurden ebenfalls korrigiert, da mein schludriger Satzbau einiges zu wünschen übrigließ, aber längst nicht jede Zeitenfolge normalisiert.
Als ich die Tagebücher durchsah, wurde mir schlagartig bewusst, dass das alles schon sehr weit zurücklag und die Atmosphäre völlig anders gewesen war als heute. Seltsam, den Werdegang dieses Wüstlings durch eine zeitgenössische Linse zu betrachten. Die sexuelle Landschaft von damals ist mit der heutigen nicht zu vergleichen – sie war weit offen, Pioniergebiet. Es war ein bizarres Gefühl, die Verbindung zu meinem jugendlichen Ich wiederherzustellen, das ich oft amüsant fand und für das ich mich manchmal schämte, doch das gehört zum Wesen der Jugend. Plötzlich hatte ich Verständnis für meine Eltern und meine Schwester Holly, was mein Egoismus damals nicht zugelassen hätte. Ich hatte auch Verständnis für mich, gefangen in einem aufkeimenden Alkoholismus, was ich seinerzeit gar nicht begriffen hatte. Ich sah, wie die Sucht immer schlimmer wurde. Wie ich mit all dem Schritt zu halten versuchte, von der Entwicklung zum Künstler, der ich sein wollte, bis zu dem Mann, der ich sein wollte. Ich suchte einen Platz in der zeitgenössischen Kultur, der meinen eigenen Vorstellungen entsprach. Wundersamerweise war das meiste, was ich auf der ersten Seite ersehnt hatte, auf der letzten Seite, mit achtundzwanzig Jahren, in Erfüllung gegangen. Vermutlich begann ich erst da, allmählich erwachsen zu werden. Natürlich war es meist ein großer Spaß und lustig, aber vieles war einfach auch grauenvoll. Hätte nicht ein Schutzengel über mich gewacht, hätte die Sache auch ganz anders ausgehen können. Was würde ich heute anders machen? Eine sinnlose Frage. Es ist, wie es ist. Ich bereue nichts.
New York City, Januar 2021
Ich denke an die Privatschule für Jungen zurück, die ich besuchte. Dort wollten sie mich kleinkriegen. Diese Mistkerle. Sie schlugen mich mit Eichenbrettern und gaben mir Kopfnüsse. Mein homosexueller Lateinlehrer zog mich am Ohr, weil ich nicht richtig konjugierte. Mir wurden Aschenbecher aus Blei an den Kopf geworfen. Ich wurde in ein Spind gesperrt, woraufhin jemand dagegenhämmerte. Ich kam auf Meskalin im Französischunterricht. Ich schrieb Hunderte von Sätzen, die mit «Ich darf nicht …» begannen. Ich keuchte beim Fußballtraining. Es machte mich fertig. Jetzt bin ich frei. Lasse mich in einer riesigen staatlichen Highschool treiben, in der sehr wenig von mir verlangt wird.
Hab gerade mit meiner Band, den Hurricane Boys, gejammt. Wir haben «Boris the Spider», «Run Run Run», «Communication Breakdown», «I’m So Glad», «I’m a Man» und «Stormy Weather» gespielt. Hinter meinem silbern funkelnden Schlagzeug komme ich mir unbesiegbar vor. Dringe durch den dichten Sound der Gibson-Gitarren, die mal den Lead, mal den Rhythmus übernehmen, ineinandergreifende Muster, mir dreht sich alles, und das Blut schießt von den Zehen bis in den Kopf hinauf. Klingt super, und es stammt von uns!
Die Heimfahrt an der nächtlich neonerleuchteten Vorstadt vorbei, Tom Thumb, der kleine Little General, Nate’s Food Market, Snuffy’s Drive-In, Smack’s Hamburgers, Quik Mart, Dairy Queen, Pee Wee’s Big Fish, das A&W, das 7-Hi, Hart’s Cafe, im Radio Clapton, der Wagen voll verrückter Langhaariger, eine eingespielte Truppe, in der sich einer vom anderen nährt, beobachtet, angibt, plappert, rumblödelt. Wir sind irgendwohin unterwegs, um jemanden abzuholen, jemanden abzusetzen.
Die Hurricane Boys: Steve Brooks, DH, Jimmy Clifford, Steve Kramer.
Ich denke an die fünfzehnjährige Honey Sullivan. Letzten Dezember wurde sie zu ihrer Mutter in Dixie County in Missouri zurückgeschickt. Sie war nur ein paar Monate hier, hatte zu Hause irgendwelche Probleme. Honey war eine dieser frühreifen Jugendlichen, die das einzige Mädchen unter lauter Jungs sind und in einem Baumhaus einen Striptease für sie hinlegen. Hatte keinen Vater. War eine scharfe Nummer. Einen ganzen Sommer lang hatte ihr ein zehn Jahre älterer Trickster/Drogendealer gezeigt, wo’s langgeht. Zu unserem ersten Kuss kam es im Loring Park. Nachdem wir einen Joint geraucht und die Enten beobachtet hatten, wälzten wir uns bei den Blumenbeeten. Zungen und Lippen verknotet. Wir schnappten endlich nach Luft, und sie sagte in ihrem Südstaatenakzent: «Ich wusste, dass du so küssen würdest», und ich dachte bei mir: «So hab ich doch noch nie geküsst!» Wir knutschten bis Mitternacht. «Nächste Woche will ich mit dir schlafen», sagte sie.
Ich weiß noch, wie sie mich in den Schulfluren mit großen Augen ansah und grinsend «Hallo» sagte, begierig auf die bevorstehenden leidenschaftlichen Nächte. Sie war zwei Jahre jünger als ich, in sexueller Hinsicht aber viel weiter. Ich kann mich noch an ihren Rücken erinnern, als sie ihren weißen BH öffnete und sich dann zu mir umdrehte. Ein unauslöschlicher Anblick, der immer wieder in meinem Kopf abläuft. Perfekt vorstehende Brüste, daunenweich mit rosa Nippeln. Rehbraunes flauschiges Schamhaar. Sie streckte sich mir entgegen wie eine lustvolle Katze, die gekrault und gestreichelt werden will … ihr cremefarbener flacher Bauch … ihr Haar roch honigsüß. Ungelogen.
Einmal hörten wir im Haus meiner Eltern (sie waren in Europa) gerade «I Want You» von den Beatles, als sie plötzlich total erregt war. «She’s so heavy», sang John. «Komm schon, Dunc», flehte Honey. Ich hatte Angst, dass meine Tante hereinschneien könnte, um die Pflanzen zu gießen oder irgendwas, auch wenn es schon acht Uhr abends an einem Schultag war. Also stiegen wir die Holztreppe zu dem kleinen Dachboden über dem Wohnzimmer rauf, wo ein Sofa stand, auf dem wir rummachen konnten. Weg mit meiner Hose und den Boxershorts, weg mit ihrer braunen Strumpfhose. Her mit dem Sheik-Präservativ, das ich aus der Schublade meines Dads im Bad stibitzt hatte. Sie präsentiert mir ihren schönen Arsch und ergreift das Geländer; ich positioniere mich zwischen ihren Gesäßbacken, streife ihre seidigen Schenkel, dringe ins Schamhaar ein. Ich bin nervös, glaube, dass wir nicht genug Zeit haben, und bin sofort voll dabei. Honey blickt mich über die Schulter an und sagt in ihrem schleppenden Südstaatentonfall: «Hey, wo bleibt das Feuer?» Wir lachten, ich machte langsamer und kostete unser Treiben einfach aus. Sie ist offen für mich, wippt zurück, Haut an Haut. Wir reiten die dunklen Wellen, schaukeln uns hoch, und plötzlich kommen wir in sanft schauernden Zuckungen und zerschmelzen in herrlicher Wonne.
Einmal schob sie mir in der Bibliothek einen Zettel hin, auf dem in ihren kindlich verschnörkelten Druckbuchstaben stand: «Ich will in den Arsch gefickt werden!», woraufhin ich errötete, lachte und mir dachte: «Wer macht denn so was?!?» Aber sie meinte es ernst, hatte wahrscheinlich schon alles Mögliche mit ihrem Exfreund ausprobiert, der jetzt wegen Drogenhandels im Knast saß. Ich kann mich auch an ein anderes Mal in der Wohnung eines Studenten erinnern, wo sich ein paar ältere Freaks bekifften und feierlich Abbey Road hörten. Sie kniete neben mir, rauchte, nahm hin und wieder in ihrem Minirock eine bequemere Stellung ein und spielte mit der Katze. Wir schlichen in die Küche, wo man uns nicht sehen konnte, wälzten uns und gaben uns Zungenküsse, bis wir gehörig erregt waren, was ihr bevorzugter Gefühlszustand war. «Ich will dich», flüsterte sie. «Hier? Jetzt? Und was ist mit den ganzen Leuten?» «Wir können ins Bad gehen … Komm schon … Ich muss dich in mir spüren.» Und ich hab’s nicht gemacht! Idiotisch! Ich wollte den Anstand wahren! Wie bescheuert! Ich setzte ein sehr unbefriedigtes Mädchen bei ihrer Schwester ab und fuhr mit dicken Eiern nach Hause. Sie war von Kopf bis Fuß eine nymphomanische Schülerin aus den Südstaaten.
Sie spukt mir noch immer im Kopf herum. Ich hab geträumt, dass sie in einer Inszenierung von Peter Pan mitspielt. In einem weiteren wiederkehrenden Traum fahre ich mit einem orangen Schulbus an einen See. Und sie ist dort. Der schimmernde See ist von ungleichmäßigen Felsen gesäumt, was ihn dunkel, romantisch und gruselig macht. Sie ist unglaublich sinnlich, sitzt aufrecht da, ein hartnäckiges kleines Mädchen, das darauf wartet, geküsst und gestreichelt zu werden. Sie sagt: «Kleine Teekannen brauchen Zeit.» Wir umarmen uns. Leider habe ich in meinen Träumen niemals Sex, also war’s das schon. Nach ihr kommt mir alles nicht richtig vor. Das ist der Grund, warum sie mir nicht aus dem Kopf geht.
Jefferson Airplane im Minneapolis Auditorium. Kurt und ich haben für das Konzert Meskalin eingeworfen und ziemlich viel Gras geraucht. Zehntausend Freaks sind da, Unmengen von Hippieschnallen, die wunderschön sind und in die ich mich, wie ein Irrer grinsend, alle verliebe. Die Halle ist brechend voll, und mir schwirrt der Kopf. Alle außer Rand und Band. In Vorfreude auf das Beste aus San Francisco! Die Lichter gehen aus, Joints werden rumgereicht. Zuerst zeigen sie einen Film der Airplane auf verschiedenen Be-Ins, Love-Ins, und wir vergessen, was wir da sehen. «Ist das die Airplane?», rufen wir lachend. Dann wird die Leinwand hochgerollt, blaue Fender-Verstärker leuchten, und das schleppende Intro zu «Volunteers» beginnt. Das ist die Airplane. Durch die Faszination der Lightshow öffnen sich lysergische Tunnel. Ich stand wie alle anderen auf meinem Stuhl. Ein Meer aus wippenden Köpfen. Sie hatten uns, steuerten unseren Trip mit Kreissägeströmen, zerschmetternden, hämmernden Gitarren, geschleuderten Blitzen, improvisierter Space Music, die wegdriftete und zusammenfand, «Feed your head!», schrie Grace. Absolute Profis, die uns durch die Musik für das Volk lotsten.
Als die Band die Bühne verließ und das Hallenlicht wieder anging, sahen wir uns überwältigt an, neues Wissen in den Gesichtern. Wir alle sahen dasselbe, hörten dasselbe, fühlten dasselbe. Vereint. Das bestärkte uns darin, den Freak raushängen zu lassen. Es läuft eine Revolution!
Auf dem kalten Parkplatz finde ich den blauen Buick-Kombi meiner Mutter, und die Jungs steigen ein. Ich will das Radio anmachen, aber Kurt sagt: «Warte, Dunc … was, wenn’s nicht Jefferson Airplane ist?!?»
Ich zögere einen Augenblick. «Du hast recht.»
Stille. Dann sagt er: «Mach nur, sie sind’s bestimmt.»
Also schalte ich es ein, und natürlich ist es Jefferson Airplane, was denn sonst!
Ich fahre alle nach Hause, wir sind erschöpft vom Erlebten, und der schwarze Winterhimmel von Minneapolis fegt mit Tempo hundert über uns weg. Auf dem Rücksitz sagt jemand: «Bravo, Dunc, du bist auf der Straße geblieben!» Spontaner Beifall der ganzen bekifften Truppe.
Habe Roland Kirk im ExtraOrdinaire in der Lake Street erlebt. Wir waren dort die einzigen weißen Jugendlichen. Er ist blind und spielte zwei Saxophone gleichzeitig.
Rod Stewart and the Faces (Labor Temple)
Tony Williams Lifetime mit Jack Bruce, John McLaughlin, Larry Young (ebenda)
Traffic (Mpls. Auditorium)
The Who (ebenfalls)
The Mothers of Invention mit Aynsley Dunbar und Jeff Simmons (Guthrie Theater)
Blodwyn Pig (The Depot)
Robin Hood und seine tollkühnen Gesellen
Felix Graf von Luckner, der Seeteufel
Gespenstergeschichten
Tarzan
Procol Harum
Nippel
Dracula
King Crimson
The Nice
Richard Halliburton
Flash Gordon
The Shadow
Paul Butterfield Band
Zap Comix
Larry Coryell
Laura Nyro
Fu Manchu
Terry Reid
Free
Susannah York
LeRoi Jones
Soft Machine
Wir fahren mit dem Kajütboot von Tommy Haskells Dad auf dem Lake Minnetonka. Ich liege auf dem Bug, bekifft vom guten Gras, das er von den Gangstern im Excelsior-Vergnügungspark besorgt hat. Endlose Küstenlinie, grün und grau. Aus der Stereoanlage dröhnt Hendrix. Axis: Bold as Love. Das Bootshaus ist unser Hauptquartier. Manchmal sitzen wir dort und sehen dem Regen zu. Lauschen dem Donner. Jemand hat ein reizendes Mädchen mit Nickelbrille und grauem Samtbikini mitgebracht. Ich liebte sie! Sie schwamm unter meinen Beinen. Alles ein Traum.
In den letzten drei Tagen hat meine Mutter … meine Jointklammer … meine Schachtel Pall Mall … ein Taschenbuch mit dem Titel Drive-In Nympho entdeckt. Ich habe ihr gestanden, dass ich Dope rauche. Wir haben in letzter Zeit nicht viel geredet. Ich habe immer was zu verbergen. Bin gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Mom hat gesagt, sie habe Tommy, der bei mir über Nacht war, «in total bekifftem Zustand» vorgefunden. Stimmt schon, wochentags rauchen wir drei bis vier Joints.
Ich besuche die Sommerkurse am Minneapolis College of Art and Design. Mein bisheriges Wissen zählt dort nicht viel. Ich bin in einer neuen Gruppe mit ein paar seltsamen Leuten, alles Klassenbeste. Mein Lehrer hatte eine Band in San Francisco, die Fifty Foot Hose hieß. Er hat den Bus der Merry Pranksters verkabelt! Er sagt, ich sähe aus wie Stevie Winwood (einer meiner englischen Lieblingsrockstars). Er drängt mich, im Bewusstseinsstrom zu sprechen. Kein Problem für mich. Sie wollen uns beibringen, unsere Persönlichkeit malerisch auszudrücken. Aber einige dieser Trampel haben keine Persönlichkeit, die sie umwandeln könnten. Du musst deine Kunst leben. Dahin gehen, wohin dich deine Extreme führen. Das ist meine Überzeugung.
Nach dem Unterricht treffen wir uns manchmal in einem kleinen abgeschiedenen Park in Kenwood, der Seven Pools heißt. Ich und die Jungs nennen ihn manchmal «Pisspalast», weil wir nach unserem Eintreffen als Erstes den Reißverschluss aufmachen und Kreise pinkeln oder «Schwertkämpfe» aufführen. Wir hören die Symphonie eines Zugs, der in der Ferne zum Stillstand kommt. Kreisch.
Ich arbeite als Platzanweiser im Guthrie Theater. Die Mothers spielen. Nach dem Konzert findet in Sue Weills modernistischem Haus eine Party für sie statt. Flo und Eddie (Backgroundsänger, die früher bei den Turtles waren) wollen wissen, ob wir Gras haben. Ich hab was dabei, also gehen wir in die Garage, um einen durchzuziehen. Zappa ist gegen Drogen, deshalb müssen sie vorsichtig sein. Wir gehen wieder ins Haus, wo der Mundharmonikaspieler Tony Glover echt bedrohlich aussieht. Spider John Koerner kommt rein und wirkt völlig benebelt, die knochigen Schultern hochgezogen. Aynsley Dunbar fragt mich, warum ich Klebeband an den Fingern habe. «Weil ich genau wie du Drummer bin!» Wir reden übers Schlagzeugspielen.
Ein anderer Platzanweiser erzählt mir, er sei bei der Musterung durchgefallen, indem er sich Erdnussbutter in den Arsch geschmiert und davon gegessen habe, während er in der Schlange stand. Er habe dem Offizier was davon angeboten. Untauglich, Baby!
Hab mich mit einer Kunststudentin mit dem poetischen Namen Robin rumgetrieben. Eine Präraffaelitin aus St. Paul, Typ griechische Göttin. Mandelaugen, Schlupflider. Ein Wust von medusenhaft langem braunen Haar. Sie trägt knappe, beige Breitkord-Shorts und enge T-Shirts. Wir sind am Bootshaus nackt ins Wasser, beide sehr schüchtern. Sahen uns verstohlen an. Ihre Oberlippe kräuselt sich, ihr Blick zuckt über mein ganzes Gesicht. Sie ist schamhaft und ziemlich verrückt. Sie sagt, sie habe Angst, sich in mich zu verlieben, weil ich weggehen könnte. An einem Sommerabend fahren wir zum Lake of the Isles, wo wir unter den Bäumen liegen und es endlich zu heftigem Fummeln kommt. Fingerspiel. Begierig, hungrig, stöhnend, seufzend, heißer Atem in meinem Ohr. Ich friemele an ihrem pfirsichfarbenen T-Shirt und ihren Titten herum. Schiebe die Hand in ihre Shorts, wo mich ein Gewirr von Haaren erwartet. An meinen Fingern rieche ich ihren natürlichen Duft. Doch sie rastet aus, sagt: «Was machst du denn da!?!», und fängt an zu schreien und zu schluchzen. Ich versuche, sie zu beruhigen, doch sie ist ziemlich durch den Wind.
Ich flog nach New York, um meine Schwester zu besuchen, die über Uncle Hugo’s Bar in der Columbus Avenue wohnt. Sie arbeitet für Houghton Mifflin. Auch Tommy ist in New York, er wohnt bei seiner schönen blonden älteren Schwester Ellie, mit der ich zum ersten Mal kiffte und die immer schon vor uns wusste, was cool ist. Sie liest mein Horoskop und sagt, ich sei beim Sex ein Perfektionist, freundlich gesinnt. Ich erwartete Reinheit und Schamhaftigkeit von einer Frau (behauptet sie). Nur eine natürliche Frau komme in Frage. Sie steht inzwischen auf Kokain und Tantra-Sex mit einem geheimnisvollen älteren Guru.
Tommy und ich sehen uns Charles Mingus im Top of the Gate in der Bleecker Street an. Fahren mit der U-Bahn nach Uptown zurück. Rauchen Gras in dem nächtlichen Park, vor dem wir gewarnt wurden. Eine Bande von Puerto Ricanern bleibt unterhalb von uns stehen. Gefahr! Ich lösche den Joint mit Spucke. Wir sind mucksmäuschenstill. Sie horchen, suchen nach Eindringlingen in ihrem Territorium. Sie spüren unsere Anwesenheit, riechen das Gras, können uns aber im Dunkeln nicht finden.
Uns klopft das Herz. Man hatte uns gesagt, wenn wir entdeckt würden, bedeute das den sofortigen Tod. Schließlich zogen sie weiter, und wir kletterten über die Mauer in die relative Sicherheit des Central Park West.
Holly und ich nahmen den Bus nach Newport, um ihren Ehemann Barrs zu besuchen. Wir fuhren direkt durch Harlem, und ich erblickte durchs Fenster Smalls Paradise. Ich liebe New York.
Tommy wurde währenddessen ausgeraubt. Ich besuchte das Museum of Modern Art, wo mir Pavel Tchelitchews Hide-and-Seek gefiel. Ebenso wie Ernst Ludwig Kirchners Straße in Dresden. Ich lernte ein Model namens Penny kennen, die mich fragte, woher ich käme. «Minnesota», sagte ich schüchtern. «Liegt das in den Vereinigten Staaten?» Sie fragte mich auch, ob ich auf Beine oder Brüste stünde. Ob ich Schriftsteller sei, und nachdem ich kurz nachgedacht und ja gesagt hatte, sagte sie: «Hättest du nein gesagt, hätte ich dir nicht geglaubt.»
Ein makellos gekleideter vierzigjähriger Franzose nahm mich unter seine Fittiche und spendierte mir im Zum Zum einen Kaffee. Er erzählte, er sei mit einer älteren Frau hergekommen, die zu den an der Decke hängenden Würsten hochgeblickt und gesagt habe: «Ach, hätte mein Mann doch eine davon.» Er gab mir seine Karte. In dieser Stadt ist schwer was los.
Heute hatte ich ein Vorstellungsgespräch am Bard College. Wurde am Bahnhof von Rhinecliff von einem Hippie auf einem Motorrad abgeholt, der sagte, er sei eigentlich kein Freak. Ich erzählte dem Mann, der das Gespräch in Bard führte, dass ich Gebäude verschnürte (was gelogen war). Er wirkte beeindruckt. In Bard war alles sehr grün und efeubewachsen. Das College thronte auf einem Kliff über dem gewaltigen Hudson.
6. August. War auf einem ganztägigen Rockkonzert im Shea Stadium. Paul Butterfield, Al Kooper, die Rascals, Janis Joplin, Johnny Winter usw.
Ich war auch im Fillmore East, der heiligen Halle, in der Geschichte geschrieben wurde. Mir gefielen die langhaarigen Platzanweiser in ihren grünen Baseballtrikots. Hab mir Brian Auger mit Julie Driscoll und Steppenwolf als Hauptgruppe angesehen. Der Bassist Nick St. Nicholas trug Hasenohren und ein Suspensorium. Weiter nichts. Ich war echt beeindruckt.
An meinem letzten Abend durfte ich mich zur Ecke Seventieth Street und Amsterdam Avenue wagen, in einen Keller-Rock-Club namens Ungano’s, dessen Anzeigen ich in der alternativen Presse studiert hatte, zum Beispiel in Cheetah, Eye, Creem, Crawdaddy und Ramparts. Ich wusste, dass die Stooges dort gespielt hatten. Innen war alles mit grauem Teppichboden ausgelegt, und die Gäste waren wirklich phantastisch. Die Vorgruppe Chicken Shack war ein erstklassiges britisches Blues-Ensemble unter Führung des charismatischen, zurückhaltenden Stan Webb mit den schnellen Fingern und der Nebelhornstimme. Hauptgruppe waren The Tony Williams Lifetime mit Jack Bruce, John McLaughlin und Larry Young. Tony saß hinter seinem gelben Schlagzeug und spielte echt unglaubliche Polyrhythmen. Seine Arme und Beine handelten jeweils eigenständig, und er sang übertrieben traurig, als würde nicht er das daruntergelegte Trommelgewitter erzeugen. Ich erinnere mich an ein Downbeat-Interview mit ihm, in dem er gefragt wurde, warum Miles Davis ihn bereits als Siebzehnjährigen engagiert hatte. «Weil ich so gut war», antwortete er. Und auf die Frage, warum er das berühmte Quintett verließ, um mit vierundzwanzig seine eigene Gruppe zu gründen, antwortete er wieder: «Weil ich so gut bin.» Er ist die fleischgewordene Coolness.
Hab gerade erfahren, dass Honey Sullivan von ihrem Knackifreund, der wieder hinter Gittern sitzt, schwanger ist. Erst sechzehn, selbst noch ein Kind. Sie wollte, dass wir zusammenblieben, in einem Greyhoundbus abhauten, doch ich wusste, dass im Gegensatz zu ihr vor mir eine strahlende Zukunft lag. Ich träumte, dass sie in grünem Kleid, grüner Strumpfhose und kleinen schwarzen Kellnerinnenschuhen an einem Bahnhof stand. Ich staunte über ihre Schönheit, ihre unschuldige Stärke, ihr erhobenes Kinn. Ich wollte sie dazu bringen, mir in die Augen zu schauen, wollte sie umarmen, sie für immer behüten. Aber sie weinte.
Ich bin achtzehn geworden.
Mom hat einen Artikel auf meinen Schreibtisch gelegt, in dem es heißt: «Gras macht Menschen leichtsinnig, und Ihr Kind wird irgendwann mit einer Verletzung nach Hause kommen.» Als ich das las, hatte ich gerade bei irgendeinem grasbefeuerten Blödsinn eine dicke Lippe davongetragen.
Mein größter (und allerletzter) LSD-Trip.
Ich kaufte eine Tablette von einem, der mit mir Platzanweiser war. Er sagte, es sei was Besonderes, ich solle es allein nehmen, auf dem Land, und mich auf positives Denken und die Macht des Geistes über die Materie konzentrieren. Ich versicherte ihm, ich sei ein «Drogi», würde mich mit Psychedelika auskennen und hätte schon mehr als fünfzigmal einen Trip geworfen. Er sagte, dieses Acid sei von Mönchen auf einem Berggipfel hergestellt worden und werde mir das dritte Auge der Erkenntnis schenken. «Du darfst die Macht dieser Pille nicht unterschätzen!», warnte er mich.
Also fahre ich am Sonntag mit dem marineblauen Opel-Kombi meiner Mutter zum Hidden Valley, parke den Wagen, gehe durch den Betontunnel in das wundervolle Tal. Das Zeug haute richtig rein. Vielleicht hatte der Freak recht gehabt. Auf dem Kliff konnte ich König Arthur und seine Ritter vorbeigaloppieren sehen, gefolgt von zwei Brontosauriern. Ich senkte den Kopf und glitt in die Tiefen der Zeit/der Nichtzeit. All die Geräusche ringsum schienen eine neue Bedeutung zu haben. Mein Geist entfaltete sich, alle Filter aus! Ich konnte in Sekundenschnelle einen komplizierten Traum durchleben, mehrdimensionale Gehirnfilme, die sich über Stunden hinzuziehen schienen, aber nur ein paar Minuten dauerten. Ich schaue ständig auf die Uhr, um zu ermessen, was zum Teufel vor sich geht. Streife durch lila Schilf und grüne Schößlinge. Ich gehe in die Hocke, der Hintergrund wird zum Vordergrund, zu einem zerklüfteten Kathmandu. Der Himmel treidelt. Woge um Woge eines überhitzten Szenariums spült über mich hinweg. Die Antwort auf all das besteht darin, dass alles auf mich eindringt! Petula Clark blitzt vor meinen spiralförmigen Augen auf. Grillen reden über Eitergeschwüre. Carol Lynley lächelt von einer Wolke herab. Alles ist alles. Die Zeit existiert nicht. Mein Hinterstübchen hat sich nach vorn verschoben. Die Dualität der Dinge. Super!
Ich beschloss, ein bisschen runterzukommen, und setzte mich in ein Bachbett. Da spürte ich den Herzschlag der Erde, erst langsam, dann immer schneller. Mutter Erde! Sie ist eine Frau! Unser Puls schlug synchron. Ich begann, geil zu werden. Die Sonne schien herab, der Planet wogte unter mir. Mein Penis war voll erigiert. Jetzt half nur noch, den Reißverschluss meiner Jeans zu öffnen, mich auf den Bauch zu rollen, einen kleinen Schoß in den Schlamm zu graben und den Pimmel hineinzuschieben. Das tat ich auch. Ich fickte die Erde, und siehe da, die Erde fickte auch mich und wiegte sich vor und zurück. Ich orientierte mich an dem wallenden Boden unter mir und hüllte mich in die Güte der Erde. Warum hatte ich das noch nie ausprobiert? Ich rieb mich ein letztes Mal an ihrem empfangsbereiten Kern und hatte eine bebende Ejakulation.
Ich lag im pulsierenden Nachglimmen … und als ich begriff, was ich getan hatte, zog ich meinen Penis heraus und betrachtete die kleine Schlammfotze, in der sich die traurige Ablagerung meines perlweißen Samens befand. Musterte meinen zerschrammten, dreckigen Schwanz. «Du bist verrückt!», dachte ich. «Reiß dich zusammen, Dunc.»
Dann versuchte ich, eine Felswand zu erklimmen. Nutzte positives Denken: «Ich kann’s ich kann’s ich kann’s.» Schlechte Idee. Ich konnte es nicht. Hätte mich fast umgebracht. Ich trieb vom Grund des Meeres zum Grund der Zeit zum Grund der Lust. Klang verwandelte sich in Farbe, Wahrnehmungen vermischten sich. Ich konnte Formen schmecken. Synästhesie.
Ich stieg den Talhang hinauf, bis das gesamte Grün vor mir lag. In der Ferne war ein beweglicher Fleck. Er kam auf mich zu. Er war menschlich. Ein schmuddeliger, pickeliger sechzehnjähriger Bauernjunge, der ein fliehendes Kinn und vorstehende Zähne hatte. Er trug ein aquamarinblaues T-Shirt mit weißer Ziernaht. Während er den Hügel hinaufstieg, beäugte er mich ängstlich. Da saß ich, von der Sonne verbrannt, in einem schmutzigen weißen Hemd, die Augen so groß wie Untertassen, mutterseelenallein mitten im Nirgendwo. «He, Mann, was machst du hier?», fragte er.
«Das willst du gar nicht wissen, Junge», dachte ich bei mir.
Er setzte sich zu mir und gab mir aus einem Krug, den er bei sich trug, billigen süßen Wein zu trinken. Ich zündete einen Joint an, gab ihn weiter, und wir begannen zu reden. Er sei deprimiert wegen Frauen, erklärte er. Er hatte ein Zittern in der Hand (er zeigte es mir), und wenn die Mädchen ihn fragten, was damit los sei, sagte er, weil er geil auf sie sei. Das kam bei den Frauen nicht so besonders an. Ich gab ihm einen weisen Rat. Dank dieses Schwachkopfs fühlte ich mich langsam wieder mehr wie mein altes Ich. Wir rauchten noch einen, tranken noch etwas von dem grässlichen Wein. Plötzlich wurde mir klar, dass ich am Abend arbeiten musste, bei einem Leon-Russell-Konzert im Guthrie! In einer Stunde! Der ganze Tag war nur so vorübergerauscht! Wir nahmen Abschied voneinander, und ich stieg ins Tal hinab, an dem Bachbett vorbei, das ich gefickt hatte (und das jetzt mit einem kleinen Planeten schwanger war?), in den Tunnel, durch den ich wieder zu meinem Wagen fand.
Konnte ich überhaupt fahren? Ich hatte keine Tiefenwahrnehmung und war ständig von irgendwelchen Kleinigkeiten fasziniert. Die Macht des Geistes über die Materie, hatte der Mann gesagt. Ich begann meine Reise aus dem Garten Eden in die große, lasterhafte Stadt. Ich durfte mich nicht von der Schönheit der Rücklichter beeinflussen lassen. Rote Ampeln … grüne Ampeln, Bremslichter, Rücklichter, Nachtlichter. Musste mir ständig sagen, dass ich mich mit Tempo hundert in einem Strom aus Stahl und Aluminium bewegte und es wichtig war, gelegentlich langsamer zu fahren oder sogar zu halten. Mitunter machte mich eine Autohupe darauf aufmerksam, dass ich die Verkehrsvorschriften nicht ganz buchstabengetreu befolgte.
Wundersamerweise schaffte ich es bis zum Theater, doch als meine Kollegen mich sahen, fiel ihnen die Kinnlade runter. Lag es an meinem dritten Auge? War es mitten auf meiner Stirn erschienen? Nein, war es nicht. Es lag daran, dass ich total zugedröhnt, schmutzig, verschwitzt, rotgesichtig und irre aussah. Mein Chef schüttelte den Kopf und murmelte bloß: «Hannah …» Unglücklicherweise wurde mir an jenem Abend Gang 3 zugeteilt, der größte von allen, das hieß, ich musste hundertfünfzig Leuten einen Platz zuweisen. Sie würden zu mir kommen und ihre Eintrittskarten vorzeigen, kleine Abschnitte, die rosa oder gischtgrün waren. Auf diesen Karten standen schwarze Zahlen (krabbelnden Ameisen gleich, wenn man sie lang genug ansah), die in irgendeiner Beziehung zu meinem Job standen. Nicht in jedem Fall begriff ich, was das sein sollte. Aber dann (die Macht des Geistes über die Materie, positives Denken) machte es klick, ich sagte «Folgen Sie mir bitte» und schritt (oder stolperte) den Gang entlang zur richtigen Reihe. Ich hörte die Leute hinter mir sagen: «Was ist denn mit dem los?» «Keine Ahnung, aber es ist gruselig … er sieht aus wie ein Gespenst.» «Ich bin’s nur, der dumme alte Duncan», dachte ich. Gegen diese Droge konnte man sich nicht behaupten. Es war schon neun Stunden her, und ich war immer noch voll drauf, mir reichte es langsam.
Die Musik war eine weitere Überraschung. Ich kam mit dem Klang der elektrischen Gitarre nicht klar. Sie hörte sich an wie das fürchterliche Kreischen einer Tischsäge im Werkunterricht und zischte direkt durch mein armes überreiztes Gehirn. Nach dem Konzert fuhr ich allein zu einem leeren Parkplatz in Kenwood, wo ich einen Joint billiges Gras nach dem anderen rauchte und hoffte, den chemischen in einen organischen Rausch zu überführen. In der Nacht konnte ich kaum schlafen, und am nächsten Tag in der Schule hatte ich ständig das Gefühl, dass jemand mit dem Fingernagel an der Innenseite meines (hohlen) Augapfels schabte. Ich hörte sogar das ritsch ritsch ritsch. Dieses unangenehme Gefühl dauerte etwa sechs Wochen. Das war mein letzter LSD-Trip.
So … den Kopf freikriegen.
Vor fünf Jahren war «Satisfaction» die Nummer eins auf Mittelwelle gewesen und hatte aus jedem Transistorradio im ganzen Land geplärrt. Ich weiß noch, wie die teuflischen Töne über den Pool des Minnekahda Clubs waberten. Heute fahre ich total auf Fun House ab, das neue Album von Iggy and the Stooges. «Down on the street … I’m lost in love …»
Ich komm einfach nicht in die Teenie-Stimmung der Hopkins High Pep Rally. Lila Power! Jugendfieber! Sieg Heil! Die Schule soll uns auf ein gehorsames Leben vorbereiten. Tote, vergeudete Energie in der Highschool. Das kotzt mich an.
Mit ein paar anderen Freaks bastle ich ein Comicheft, das auf dem Gang für zehn Cent verkauft wird. The Daily Planet. Meine Mom erhält den Anruf einer besorgten Mutter, die sagt, sie habe auch ohne diesen Schund, der ihren Sohn dazu aufstachle, Drogen zu nehmen, schon genug Probleme mit ihm. Sie sagt, zahllose andere Eltern seien in Harnisch. Sie würden dafür sorgen, dass die Sache unterbunden werde. Die Frau fragt meine Mom, ob sie wisse, was ich da produzierte. «Ja, aber mein Sohn ist ein äußerst netter Junge und hat viel künstlerisches Talent.» Die Frau am Telefon sagt, ich müsse auf Drogen sein, um ihrem Sohn so was Schreckliches anzutun. (In einem Comicheft!?!?) Mom zittert vor Angst. Die Ärmste. Sie wird schwach und sagt, ich würde die besten Jahre meines Lebens versäumen.
Andererseits sagt mein Kunstlehrer Vern, ich hätte es raus, müsse mich bloß mehr anstrengen, ich sei kurz vor dem Durchbruch. Also … hab ich die eins achtzig große Pappmaché-Skulptur eines Saxophonspielers mit einem Taucherhelm auf dem Kopf angefertigt. Vern sagt, ich muss mich unbedingt der Kunst widmen, immer ein Skizzenheft dabeihaben.
Jimi Hendrix hat vor zwei Tagen in einem Londoner Hotelzimmer eine Überdosis erwischt. Er ist tot. Ich weiß noch, wie ich nachts mal im Keller eines Freundes ziemlich starkes Acid eingeworfen habe und mit seiner Musik im Kopfhörer durch die Stratosphäre geschwebt bin … wie mir klarwurde, dass sie dafür geschaffen war. Space Music. Mit Warp-Geschwindigkeit durch die Galaxien brausen. «You got me floatin’.» Habe ihn ein paarmal im Auditorium gesehen, fand ihn ein bisschen albern, aber er spielte echt gut Gitarre.
Savoy Brown
Poco
Johnny Winter And (mit Rick Derringer)
Youngbloods
Grateful Dead
Elton John
Eddie Harris
Flying Burrito Brothers
Faces (mit Rod Stewart)
John Sebastian
Leo Kottke
Neil Young
Al Kooper
Taj Mahal
Elvin Jones
In der Schule melde ich mich jeden Morgen anwesend und gehe dann über den Golfplatz wieder nach Hause. Die Freuden des «Modulsystems», was im Grunde bedeutet, dass ich nicht viel Zeit in der Schule verbringen muss. Normalerweise habe ich das Haus für mich, weil Dad in Downtown als Anwalt arbeitet und Mom ihrem Job als Innenarchitektin nachgeht. Jedenfalls sitze ich um neun Uhr hinter Laurie Gold, einem schlanken jüdischen Mädchen mit Schlafzimmerblick, das eine Samthose und keinen BH trägt. Eine verwöhnte, erotische Rockmieze, deren Dad eine Kette von Lebensmittelgeschäften besitzt. Sie fährt einen Camaro und hat stets gutes Hasch. Sie schaut ständig nach, ob ihre Titten richtig sitzen, und befeuchtet sich dann die Lippen. Ab und zu treiben wir’s miteinander, aber als feste Freundin taugt sie nicht. Sie hat irgendwie was Unaufrichtiges. Und außerdem ist sie echt versnobt und blickt auf die ganzen Sportskanonen und Langweiler herab. Nur nicht auf mich. Ich bin der Auserwählte … Sie sagt, sie mag mich, es sei aber unmöglich, mit mir zu reden. Sie sagt, ich hätte hochentwickelte intuitive Fähigkeiten, darunter auch eine außersinnliche Wahrnehmung!
«Warum kommst du nicht vorbei und behandelst mich wie eine Hure», raunt sie mir über meinen Tisch zu und kichert. «Meine Eltern sind in Florida, und ich hab gutes Gras da.» Sie nimmt die Pille. Das will sie ausnutzen. Das Ganze ist sehr verlockend, aber es fällt mir schwer, bei Mädchen, die ich im Grunde nicht sonderlich mag, nur den Nutzwert zu sehen. Und hinterher habe ich sie am Hals. Ich hab ihr schon oft gesagt, dass wir nicht zusammenpassen, dass wir zu verschieden sind. Das bestreitet sie auch nicht, gibt aber trotzdem nicht auf. Sagt, sie sei «ein dummes kleines Ding». Und nach einem schlaflosen Freitagabend, an dem ich ständig daran denken musste, dass keine fünf Minuten entfernt ein reales, lebendiges nacktes Mädchen wartet, erliege ich meinen niederen Gelüsten, stehe früh auf, fahre rüber und klingele. Schläfrig öffnet sie die Tür, in einem weißen Morgenrock, der von Kopf bis Fuß offen steht. Nuttig und zufrieden, dass ihre Liebesfalle zugeschnappt ist. Wir begeben uns direkt zum Wohnzimmersofa, wo sie sich auf mich setzt. Gemischte Gefühle.
Heute früh wurde Janis Joplin tot aufgefunden. Ich hab mich mit ihr und Big Brother bekifft, als sie im Guthrie auftraten. Hab ihnen ein paar Eimer Kentucky Fried Chicken in die Garderobe gebracht. Sie waren echt ätzend. Die Jungs sagten: «Guck mal, Janis, dein Hühnchen ist da!», und alle lachten über den goldigen jungen Kerl in seinem blauen Blazer und der grauen Flanelluniform. Janis ließ den Blick über mich tänzeln und leckte sich die Lippen angesichts dieser Mahlzeit – ich! Sie spielte den geilen Hühnerhabicht, trank einen Schluck aus einer Flasche Jack Daniel’s und machte unflätige Bemerkungen. Niemand rührte das Hühnerfleisch an, sondern wir standen auf engstem Raum zusammen und ließen einen Joint kreisen. Ich versuchte, einen auf cool zu machen, doch das Gras war so stark, dass ich aus einer Art Zeitschleife kam und sah, wie alle über mich lachten, als wäre ich ein Ministrant, den sie gerade verdorben hatten. Nach Patschuliöl duftend, kam sie zu mir und tröstete mich, und ihre Federboa kitzelte mich an der Nase. Ich wurde rot. Ich kam mir vor wie ein richtiges Landei.
Fünfzehn Minuten später stand sie auf der Bühne und stampfte schwitzend und schreiend mit dem Fuß auf. Ich fand sie schon damals tragisch. Sah sie mehr als ein Jahr später ohne Big Brother, mochte sie noch weniger. Zu viel Angst. Und jetzt ist sie tot.
Mädchen: Wo ist meine verrückte Rock-’n’-Roll-Queen? Ich streife durch die Zombieatmosphäre der gelb gekachelten Schulflure und suche meine Seelenfreundin. Ich brauche mehr Geschlechtsverkehr. Es ist November, keine Zeit mehr für Spielchen im Freien. Ich habe Performance gesehen, deshalb will ich jemanden wie Anita Pallenberg, jemanden wie Geneviève Waïte, Susannah York oder Monica Vitti. In meiner Theaterklasse gibt’s ein Mädchen namens Rachel, die toll ist, aber schon einen Freund hat. Aber einmal hat sie mich in die Samtfalten des dunkelroten Bühnenvorhangs gezerrt, und wir haben ein, zwei Minuten geknutscht. Sie hat eine dunkle Mähne und interessante Brauen, trägt keinen BH, aber enge T-Shirts und Hüfthosen, Lederstiefel mit hohen Absätzen. Auf jeden Fall ziemlich sexy. Herablassende Art. Unser Lehrer ist ein Liberaler mit Nickelbrille, der ständig an seinem Bart rumzupft. Quasselt dauernd von Ionesco und dem experimentellen Theater. Wir Schüler schreiben ein Nonsens-Stück mit dem Titel Cincinnati World’s Fair 1936, das aus der Improvisation hervorging. Total schwachsinnig, doch unser Lehrer zwirbelt seinen Bart und starrt uns aufmerksam an, als wäre das Ganze genial. Er will mit aller Gewalt «up to date» sein. Was für ein Widerling.
Albert Ayler ist diese Woche ertrunken.
Die Bewerbungsformulare fürs College müssen ausgefüllt werden. Hampshire, Boston University und Bard. Für die Bewerbungen schreibe ich einen Essay über das Gute und Schlechte in mir. Und eine Buchbesprechung zu Schlachthof 5.
Ich führe die Tagebücher, um meine Jugend festzuhalten. Wenn ich mit fünfzig in Schottland in einem Lehnsessel sitze, kann ich sie hervorholen und meine Zeit als Teenager noch mal durchleben. Sie werden in einer archaischen Sprache verfasst sein.
Ich würde mir gern einen Traum erfüllen und Popstar werden, aber ich kann nicht singen!
Habe ein Mädchen namens Angie Miller kennengelernt, das nach Minnetonka geht. Sie ist klein. Fünfundvierzig Kilo. Kokett. Bin ihr auf einem Gegenkultur-Festival begegnet, und sie nahm meine Hand und sagte: «Wohin gehen wir jetzt, Spaßvogel?» Goldig. Noch Jungfrau. Sieht aus wie Minnie Maus. Schnalzt oft mit der Zunge. Isst Sandwiches. Wir gehen in 2001. Und was noch besser ist, in Borsalino. Marseille 1930. Gangster in Nadelstreifenanzügen. Belmondo und Delon. Toller Soundtrack.
Das I-Ging sagt, dass ich viele Veränderungen durchmachen und irgendwann Erfolg haben werde, mit spirituellem und sonstigem Reichtum. Ich soll mir das nicht zu Kopf steigen lassen und es nicht kompliziert machen. Bei mir dreht sich angeblich viel um Identität.